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PÄD... Kunst.pdf - Birgit Engel

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»Perspektivwechsel II« – Vom Augen-Schein zum Körper-Sein<br />

»Perspektivwechsel II«<br />

»Perspektivwechsel II« – Vom Augen-Schein zum Körper-Sein<br />

52<br />

Assoziationen zum Lernfeld Stelzenlaufen<br />

• ein Spiel mit der Balance, dem Gleichgewicht –<br />

etwas, was uns das ganze Leben auf allen<br />

Ebenen begleitet; je besser wir dieses Spiel –<br />

das Spiel um das Gleichgewicht der Kräfte<br />

verstehen lernen, umso leichter können wir<br />

damit spielen und sind geschützt vor<br />

Abstürzen und Knochenbrüchen leiblicher wie<br />

seelischer Art.<br />

• Sich frei fühlen, trotz »Behinderung« durch<br />

die Holzbeine<br />

• das Körperbewusstsein wird geschult – der<br />

Blick/das Gefühl für Muskeln, Knochen wird<br />

geschärft; für das Eigengewicht und dessen<br />

Möglichkeiten der Verlagerung …<br />

• Mit allen Sinnen lernen<br />

• Mit anderen lernen, ich muß vertrauen<br />

können, ich muß verlässlich sein<br />

• Groß sein<br />

• Sich anders fühlen – gelenkiger oder<br />

ungelenkiger als sonst<br />

• Die Perspektive verändert sich –<br />

der Blick wird anders<br />

• Abheben – ein Stelzenläufer hebt sich ab von<br />

der Menge, vor dem Hintergrund; er steht im<br />

Vordergrund, auch wenn er hinten steht<br />

• Sich zeigen<br />

• Es ist leichter als es aussieht, es b(e)ein-druckt<br />

• Auch das Fallen hat seine Qualität –<br />

z.B. können Sprichwörter anders betrachtet<br />

werden – Hochmut kommt vor dem Fall –<br />

richtig! Aber nicht jeder der hohen Mut hat,<br />

muß fallen; und wenn er schon fällt, kann das<br />

auch gewollt und gewünscht sein –<br />

Nichts muß bleiben wie es ist! –<br />

alles kann mit Sinn und Unsinn gefüllt werden –<br />

entscheidend ist die bewusste Entscheidung.<br />

Die Schüler/innen haben ihre ganz eigenen Erfahrungen<br />

im Umgang mit den Holzbeinen gemacht<br />

und sie waren im gemeinsamen Erfinden von Lernsituationen<br />

äußerst kreativ:<br />

• während des Übens wurden Gedichte rezitiert,<br />

der Stelzenschritt dem Versmaß angeglichen<br />

und umgekehrt<br />

• es wurden Französischvokabeln gegenseitig<br />

abgefragt<br />

• die Schüler/innen brachten eigene Musiken mit<br />

und ließen sich inspirieren, was man zu welchen<br />

Klängen auf den Stelzen machen kann<br />

• sie spielten auf den Stelzen Basketball,<br />

Fußball, Handball<br />

• sie erfanden neue Spiele – z.B. über eine<br />

aufgestellte Langbank als Hindernis laufen<br />

• sie erfanden eigene Bewegungsmuster mit<br />

den Bambusstöcken und setzten diese unter<br />

meiner Anleitung in Choreografien um<br />

• sie nutzten alle möglichen Gänge in der<br />

Turnhalle um sich zu erproben<br />

• sie waren äußerst hilfsbereit untereinander<br />

Ergebnis<br />

Zum Abschluss des Projektes war eine Performance<br />

geplant. Das Typische einer Performance ist das Spiel<br />

mit dem Unvorhersehbaren, im Gegensatz zum<br />

Theaterspiel, in dem die Abläufe festgelegt sind,<br />

einschließlich der Raumaufteilung – hier die Bühne/<br />

dort die Zuschauer.<br />

Ganz anders die Performance: hier treffen die<br />

Akteure unmittelbar auf die Zuschauer, lösen Irritationen<br />

aus, müssen mit diesen umgehen können. Die<br />

Situation, die geschaffen wird, ist ein offener Erfahrungsraum<br />

für beide Seiten, für Akteure genauso<br />

wie für die Zuschauer. Man braucht viel Mut um sich<br />

auf eine Performance einzulassen; sie ähnelt einem<br />

Experiment in einem Chemielabor. Hier wie dort<br />

gehört die Möglichkeit des Scheiterns zur Versuchsanordnung.<br />

Hier wie dort wird trotzdem das Bestmögliche<br />

vorbereitet. Jedes Experimtent benötigt<br />

eine gute Grundlage, damit der zu beobachtende<br />

Prozess beginnen kann. Die Performer/Schüler/<br />

innen hatten eine Aufgabe bekommen. Sie hatten<br />

unter meiner Anleitung eine kleine Choreografie<br />

erarbeitet und wir hatten sie eingeprobt.<br />

Ich hatte dabei folgende Überlegungen:<br />

• die Aufgaben dienen als kleines Stützkorsett,<br />

damit sie sich erst einmal sicher fühlen können,<br />

bevor die zu erwartenden Sprüche losgehen;<br />

• wenn sie Unannehmlichkeiten haben, z.B. aus<br />

sich selbst heraus wegen Lampenfieber, dann<br />

haben sie kleine einstudierte Bewegungsabläufe<br />

auf die sie zurückgreifen können;<br />

wenn ihnen die Auftrittssituation<br />

unangenehm wird haben sie eine Struktur, an<br />

der sie sich innerlich festhalten können.<br />

Das eigentliche Risiko bestand darin, nicht zu wissen,<br />

wie laufen die Schüler/innen, wenn sie unter<br />

freiem Himmel laufen, wenn sie ganz andere<br />

Geräusche, Eindrücke um sich haben, als bei den<br />

Proben. Niemand konnte vorhersagen, wie sie reagieren<br />

würden, wenn sie angesprochen, geärgert<br />

werden. Wir hatten theoretisch darüber gesprochen,<br />

aber die Praxis sieht oft anders aus als die Theorie.<br />

Ich glaube, außer mir wusste keiner, wie gewagt das<br />

Experiment war, wie leicht es hätte daneben gehen<br />

können, wenn die Stelzenläufer/innen unsicher geworden<br />

wären – dann hätten alle in ihrem Umfeld<br />

an ihre Unsicherheit, an ihr Misstrauen angedockt,<br />

und das benutzt, um Blödsinn zu machen, bis hin<br />

zum Runterschmeissen.<br />

Die Schüler/innen haben sich bestens bewährt – es<br />

war mir eine große Freude ihnen zuzusehen. Ich war<br />

und bin stolz auf alle Beteiligen und dankbar, dass<br />

wir alle zusammen diese Erfahrungen machen<br />

konnten.<br />

Dass die Performance gelang, hat mit dem Mut der<br />

Akteure zu tun, ihrem Selbstvertrauen, das sie sich<br />

angeeignet hatten in Bezug auf sich selbst und in<br />

Bezug auf die Gruppe.<br />

Gutes Theater, interessante Performances beruhen<br />

auf der menschlichen Fähigkeit, gemeinsam für<br />

kurze Momente eine neue Realität zu erschaffen.<br />

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