PÃD... Kunst.pdf - Birgit Engel
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»Perspektivwechsel II« – Vom Augen-Schein zum Körper-Sein<br />
»Perspektivwechsel II«<br />
»Perspektivwechsel II« – Vom Augen-Schein zum Körper-Sein<br />
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Assoziationen zum Lernfeld Stelzenlaufen<br />
• ein Spiel mit der Balance, dem Gleichgewicht –<br />
etwas, was uns das ganze Leben auf allen<br />
Ebenen begleitet; je besser wir dieses Spiel –<br />
das Spiel um das Gleichgewicht der Kräfte<br />
verstehen lernen, umso leichter können wir<br />
damit spielen und sind geschützt vor<br />
Abstürzen und Knochenbrüchen leiblicher wie<br />
seelischer Art.<br />
• Sich frei fühlen, trotz »Behinderung« durch<br />
die Holzbeine<br />
• das Körperbewusstsein wird geschult – der<br />
Blick/das Gefühl für Muskeln, Knochen wird<br />
geschärft; für das Eigengewicht und dessen<br />
Möglichkeiten der Verlagerung …<br />
• Mit allen Sinnen lernen<br />
• Mit anderen lernen, ich muß vertrauen<br />
können, ich muß verlässlich sein<br />
• Groß sein<br />
• Sich anders fühlen – gelenkiger oder<br />
ungelenkiger als sonst<br />
• Die Perspektive verändert sich –<br />
der Blick wird anders<br />
• Abheben – ein Stelzenläufer hebt sich ab von<br />
der Menge, vor dem Hintergrund; er steht im<br />
Vordergrund, auch wenn er hinten steht<br />
• Sich zeigen<br />
• Es ist leichter als es aussieht, es b(e)ein-druckt<br />
• Auch das Fallen hat seine Qualität –<br />
z.B. können Sprichwörter anders betrachtet<br />
werden – Hochmut kommt vor dem Fall –<br />
richtig! Aber nicht jeder der hohen Mut hat,<br />
muß fallen; und wenn er schon fällt, kann das<br />
auch gewollt und gewünscht sein –<br />
Nichts muß bleiben wie es ist! –<br />
alles kann mit Sinn und Unsinn gefüllt werden –<br />
entscheidend ist die bewusste Entscheidung.<br />
Die Schüler/innen haben ihre ganz eigenen Erfahrungen<br />
im Umgang mit den Holzbeinen gemacht<br />
und sie waren im gemeinsamen Erfinden von Lernsituationen<br />
äußerst kreativ:<br />
• während des Übens wurden Gedichte rezitiert,<br />
der Stelzenschritt dem Versmaß angeglichen<br />
und umgekehrt<br />
• es wurden Französischvokabeln gegenseitig<br />
abgefragt<br />
• die Schüler/innen brachten eigene Musiken mit<br />
und ließen sich inspirieren, was man zu welchen<br />
Klängen auf den Stelzen machen kann<br />
• sie spielten auf den Stelzen Basketball,<br />
Fußball, Handball<br />
• sie erfanden neue Spiele – z.B. über eine<br />
aufgestellte Langbank als Hindernis laufen<br />
• sie erfanden eigene Bewegungsmuster mit<br />
den Bambusstöcken und setzten diese unter<br />
meiner Anleitung in Choreografien um<br />
• sie nutzten alle möglichen Gänge in der<br />
Turnhalle um sich zu erproben<br />
• sie waren äußerst hilfsbereit untereinander<br />
Ergebnis<br />
Zum Abschluss des Projektes war eine Performance<br />
geplant. Das Typische einer Performance ist das Spiel<br />
mit dem Unvorhersehbaren, im Gegensatz zum<br />
Theaterspiel, in dem die Abläufe festgelegt sind,<br />
einschließlich der Raumaufteilung – hier die Bühne/<br />
dort die Zuschauer.<br />
Ganz anders die Performance: hier treffen die<br />
Akteure unmittelbar auf die Zuschauer, lösen Irritationen<br />
aus, müssen mit diesen umgehen können. Die<br />
Situation, die geschaffen wird, ist ein offener Erfahrungsraum<br />
für beide Seiten, für Akteure genauso<br />
wie für die Zuschauer. Man braucht viel Mut um sich<br />
auf eine Performance einzulassen; sie ähnelt einem<br />
Experiment in einem Chemielabor. Hier wie dort<br />
gehört die Möglichkeit des Scheiterns zur Versuchsanordnung.<br />
Hier wie dort wird trotzdem das Bestmögliche<br />
vorbereitet. Jedes Experimtent benötigt<br />
eine gute Grundlage, damit der zu beobachtende<br />
Prozess beginnen kann. Die Performer/Schüler/<br />
innen hatten eine Aufgabe bekommen. Sie hatten<br />
unter meiner Anleitung eine kleine Choreografie<br />
erarbeitet und wir hatten sie eingeprobt.<br />
Ich hatte dabei folgende Überlegungen:<br />
• die Aufgaben dienen als kleines Stützkorsett,<br />
damit sie sich erst einmal sicher fühlen können,<br />
bevor die zu erwartenden Sprüche losgehen;<br />
• wenn sie Unannehmlichkeiten haben, z.B. aus<br />
sich selbst heraus wegen Lampenfieber, dann<br />
haben sie kleine einstudierte Bewegungsabläufe<br />
auf die sie zurückgreifen können;<br />
wenn ihnen die Auftrittssituation<br />
unangenehm wird haben sie eine Struktur, an<br />
der sie sich innerlich festhalten können.<br />
Das eigentliche Risiko bestand darin, nicht zu wissen,<br />
wie laufen die Schüler/innen, wenn sie unter<br />
freiem Himmel laufen, wenn sie ganz andere<br />
Geräusche, Eindrücke um sich haben, als bei den<br />
Proben. Niemand konnte vorhersagen, wie sie reagieren<br />
würden, wenn sie angesprochen, geärgert<br />
werden. Wir hatten theoretisch darüber gesprochen,<br />
aber die Praxis sieht oft anders aus als die Theorie.<br />
Ich glaube, außer mir wusste keiner, wie gewagt das<br />
Experiment war, wie leicht es hätte daneben gehen<br />
können, wenn die Stelzenläufer/innen unsicher geworden<br />
wären – dann hätten alle in ihrem Umfeld<br />
an ihre Unsicherheit, an ihr Misstrauen angedockt,<br />
und das benutzt, um Blödsinn zu machen, bis hin<br />
zum Runterschmeissen.<br />
Die Schüler/innen haben sich bestens bewährt – es<br />
war mir eine große Freude ihnen zuzusehen. Ich war<br />
und bin stolz auf alle Beteiligen und dankbar, dass<br />
wir alle zusammen diese Erfahrungen machen<br />
konnten.<br />
Dass die Performance gelang, hat mit dem Mut der<br />
Akteure zu tun, ihrem Selbstvertrauen, das sie sich<br />
angeeignet hatten in Bezug auf sich selbst und in<br />
Bezug auf die Gruppe.<br />
Gutes Theater, interessante Performances beruhen<br />
auf der menschlichen Fähigkeit, gemeinsam für<br />
kurze Momente eine neue Realität zu erschaffen.<br />
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