DERANALYTIKER - Klettern.de
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<strong>DERANALYTIKER</strong><br />
Vier Tage mit Udo Neumann in Stuttgart waren ebenso<br />
witzig wie inspirierend. Das folgen<strong>de</strong> Interview wur<strong>de</strong> aber<br />
ganz banal am Wohnzimmertisch aufgenommen. Zum<br />
kompletten Abdruck in <strong>de</strong>r Septemberausgabe 2001 von<br />
klettern war es zu lang, <strong>de</strong>shalb nun hier im Internet die<br />
Langfassung. Viel Vergnügen.<br />
Weitere Infos zu Udo Lebenswerk gibt’s in <strong>de</strong>r Printausgabe<br />
von klettern sowie unter www.klettern-shop.<strong>de</strong>. Und<br />
natürlich unter www.udini.com.<br />
INTERVIEW: RALPH STÖHR FOTOS: ARCHIV UDO NEUMANN<br />
klettern: Wie bist du zum <strong>Klettern</strong> gekommen?<br />
Udo: Ich wollte schon mit 15 klettern. Ich<br />
war damals in Schottland und hatte mir<br />
dort in einem La<strong>de</strong>n ein Mountain-Magazine<br />
gekauft, weil da etwas über eine Kajak-<br />
Expedition in Island drin war. In diesem<br />
Heft war <strong>de</strong>r Artikel „State of the Art“, wo<br />
Max Jones und Mark Hudon beschreiben,<br />
wie sie diese ganzen 5.12er begehen. Und<br />
<strong>de</strong>n habe ich zigmal gelesen.<br />
klettern: Wie kommt jemand, <strong>de</strong>r nicht klettert,<br />
dazu, einen solchen Artikel spannend<br />
zu fin<strong>de</strong>n?<br />
Udo: Die Bewegung <strong>de</strong>s <strong>Klettern</strong>s fand ich<br />
schon immer faszinierend, das ist weiterhin<br />
das, weswegen ich klettere. Ich habe große<br />
Höhenangst und bin nicht jemand, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n<br />
Blick in die Tiefe genießt. Irgendwie wird es<br />
das Sich-Bewegen in diesem unfreundlichen<br />
Gelän<strong>de</strong> gewesen sein, weil ich sehr<br />
gerne Herausfor<strong>de</strong>rungen habe. Ich stelle<br />
mich gerne auf die Kippe und schaue, wie<br />
ich da raus komme. Das Problem war, dass<br />
ich mit 15 überhaupt nicht wusste, wohin<br />
mit <strong>de</strong>m <strong>Klettern</strong>-Wollen. Mit 19 hatte ich<br />
dann einen Gleichgesinnten, <strong>de</strong>n kannte<br />
ich vom Pad<strong>de</strong>ln, und dann hat uns jemand<br />
auf <strong>de</strong>n Stenzelberg aufmerksam gemacht.<br />
Damit fing das dann so richtig an.<br />
©klettern<br />
klettern: Habt ihr dann einen Kletterkurs<br />
gemacht?<br />
Udo: Nein. Also ich bin weiterhin nicht im<br />
Alpenverein. Das <strong>Klettern</strong> war ganz stark<br />
anti. Also kein Kletterkurs, kein Alpenverein,<br />
kein gar nichts. Und das war auch <strong>de</strong>r<br />
Gag. Wenn ich einen Kletterkurs gemacht<br />
hätte, hätte ich wahrscheinlich nicht mit<br />
<strong>de</strong>m <strong>Klettern</strong> angefangen. Mich hat mal in<br />
Köln so ein Kleingärtner gefragt, ob ich<br />
dafür trainiere, Terroristen zu befreien. Da<br />
bin ich so um <strong>de</strong>n Brückenpfeiler geklettert,<br />
und da kam <strong>de</strong>r und war ziemlich<br />
unfreundlich, das war zu so einer kritischen<br />
Zeit. Und das ist ganz klar für mich das<br />
Motiv zum <strong>Klettern</strong>.<br />
klettern: Terroristen befreien?<br />
Udo: Nein, aber sagen wir mal so: Wenn ich<br />
gerne einen Film drehen wür<strong>de</strong>, dann<br />
müsste das was sein, wo <strong>de</strong>r Hauptcharakter<br />
o<strong>de</strong>r die Frau zwingend klettern muss,<br />
um sich aus irgendwelchen Situationen zu<br />
befreien. Das hat auch ein bisschen damit<br />
zu tun, was ich am <strong>Klettern</strong> so reizvoll<br />
fin<strong>de</strong>: Man kommt in eine Situation, man<br />
muss sie lösen. und das auf eine sehr<br />
elementare Art und Weise. Das gefällt mir<br />
halt gut.<br />
©klettern<br />
klettern: Wie hing es dann mit <strong>de</strong>m <strong>Klettern</strong><br />
weiter?<br />
Udo: Jetzt hatten die in <strong>de</strong>m Artikel keine<br />
Klettergurte an, das einzige, was ich<br />
gesehen hatte, war, dass die so Schlauchband<br />
umhängen hatten. Wir hatten zuhause<br />
Rollla<strong>de</strong>nband liegen, und aus <strong>de</strong>m<br />
Buch „Richtig Bergsteigen“ hatte ich mir
<strong>de</strong>n Bandschlingenknoten rausgekuckt.<br />
Dann sind wir ein Jahr nur mit Rollla<strong>de</strong>nband<br />
um die Hüfte geklettert. Bis <strong>de</strong>r<br />
Clemens Kisselbach, mit <strong>de</strong>m ich damals<br />
angefangen habe, sich dann einen Brustgurt<br />
gebaut hat, <strong>de</strong>n hat er mit <strong>de</strong>m<br />
Rollla<strong>de</strong>nband kombiniert. Da waren wir<br />
dann in Freyr, und er ist an einem Baum<br />
hochgeklettert, und wir haben das Seil<br />
umgelenkt, und er hat gesagt: „O.k., ich<br />
häng mich jetzt rein.“ Aber obwohl wir die<br />
ganze Zeit damit geklettert sind und auch<br />
gestürzt sind, hat er sich nicht getraut, sich<br />
in seinen eigenen Gurt reinzuhängen, und<br />
ist wie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Baum runtergeklettert. Das<br />
war halt unglaublich schmerzhaft. Irgendwann<br />
habe ich mal mit <strong>de</strong>m Kurt Albert<br />
darüber gesprochen, und Kurt fand das<br />
aufgrund dieses Artikels auch so schick,<br />
und hat erzählt, dass sie auch mit <strong>de</strong>m<br />
Swami-Belt geklettert sind, allerdings<br />
schön mit Schlauchband. Der war halt<br />
etwas älter und wusste auch viel mehr. Wir<br />
wussten überhaupt gar nichts. Ich war aber<br />
damals wirklich fit, und wir wur<strong>de</strong>n dann<br />
verspottet, dass wir Mutanten seien und<br />
Anabolika nähmen von Hans Nathan und<br />
Florian Schmitz, die damals im Rheinland<br />
tonangebend waren.<br />
klettern: Wie schwer sind die damals geklettert?<br />
Udo: Hans Nathan war einer <strong>de</strong>r ersten, <strong>de</strong>r<br />
in Deutschland 10- geklettert ist. Und dann<br />
war Volker Wüstermann ganz entschei<strong>de</strong>nd.<br />
Das ist einer <strong>de</strong>r ganz wenigen, <strong>de</strong>m<br />
es wi<strong>de</strong>rfahren ist, im Frankenjura seine<br />
Tour von 10- auf 10+ aufgewertet zu<br />
bekommen. Der war damals vielleicht 16,<br />
als wir 19 waren. Wir haben natürlich auch<br />
direkt hohe Gra<strong>de</strong> probiert.<br />
klettern: Was be<strong>de</strong>utete das damals?<br />
Udo: Am liebsten direkt Achter. Und am<br />
Stenzelberg sehen die Achter so aus, dass,<br />
wenn du sagen wir mal knappe Siebener<br />
kletterst, du dich in die Achter gar nicht<br />
reinziehen kannst. In <strong>de</strong>r Fränkischen<br />
kannst du irgendwie ein Fingerloch greifen<br />
und mehr o<strong>de</strong>r weniger hochziehen, im<br />
Stenzelberg ist aber die Schichtung so,<br />
dass du davor hängst, aber nicht in die<br />
Wand reinkommst. Dem Stenzelberg habe<br />
ich auch zu verdanken dass ich mich<br />
geschickt anstelle in so komischen Arten<br />
von Felsen. Je komischer, <strong>de</strong>sto lieber. Und<br />
Volker Wüstermann konnte damals Kreise<br />
um uns klettern. Für <strong>de</strong>n waren wir natürlich<br />
Witzfiguren, weil du konntest drei<br />
Volker Wüstermann in mich reinstellen,<br />
und <strong>de</strong>r konnte halt klettern und wir nicht.<br />
Aber damals, das war halt eine sehr schöne<br />
Aufbruchstimmung im <strong>Klettern</strong>. Hans<br />
Diefenbach war auch immer am Stenzelberg,<br />
und die erste Ausgabe vom Boul<strong>de</strong>r-<br />
Magazin war gera<strong>de</strong> raus. Du hattest das<br />
Gefühl, du bist Teil einer Sache, die unglaublich<br />
vorangeht. Auch wenn wir<br />
gemerkt haben, dass wir ziemlich belächelt<br />
wer<strong>de</strong>n.<br />
Dann hatte ich an <strong>de</strong>r Sporthochschule<br />
einen getroffen, Ingo Heiland, <strong>de</strong>r war mir<br />
eigentlich die ersten Male extrem unsympathisch.<br />
Einmal fiel mir ein Kletterschuh<br />
aus <strong>de</strong>m Rucksack, und dann sagt <strong>de</strong>r:<br />
„Wie, du kletterst auch?“ Und ich dachte:<br />
„Klettert jetzt je<strong>de</strong>r o<strong>de</strong>r was, <strong>de</strong>r Typ<br />
auch?“<br />
Als ich das erste Mal in <strong>de</strong>r Eifel war, ist<br />
einer vor meinen Augen fast gestorben,<br />
weil ein Haken abgebrochen ist. und <strong>de</strong>r<br />
hatte dann einen doppelten Schlüsselbeinbruch<br />
und so. Für mich war danach klar, ich<br />
klettere, aber ich toprope nur. Bis ich <strong>de</strong>n<br />
Ingo getroffen habe. Der Ingo war ganz<br />
stark auf Vorstieg eingestellt. Wir konnten<br />
bei<strong>de</strong> dann vielleicht Sechser kontrolliert<br />
©klettern<br />
vorsteigen, als wir nach Amerika geflogen<br />
sind, nach einem halben Jahr klettern im<br />
Grun<strong>de</strong>. Das war ein Unding. Je<strong>de</strong>r, mit <strong>de</strong>m<br />
wir gesprochen hatten, <strong>de</strong>r Florian Schmitz<br />
zum Beispiel - das war für uns ein Gott -<br />
<strong>de</strong>r hat gesagt: „Ja, warum macht ihr nicht<br />
erst mal was in <strong>de</strong>n Alpen?“ Aber das war<br />
für uns völlig unattraktiv. Das hat uns<br />
überhaupt nicht angesprochen, wie die<br />
Leute da rumliefen in <strong>de</strong>n Alpen.<br />
Wir hatten aber kein Geld für Friends, die<br />
es damals ja schon gab. Das einzige, was<br />
wir hatten, waren Tricams und Stopper. So<br />
sind wir also nach Amerika geflogen und<br />
sitzen im Flugzeug und hatten <strong>de</strong>n Valley-<br />
Führer von George Myers dabei und<br />
kreuzten an, wie wir mit <strong>de</strong>n Bigwalls<br />
vorgehen wollten.<br />
klettern: Welches Jahr war das?<br />
Udo: 1983. Wir waren damals als Vorbereitung<br />
ganz oft in Bruchhausen. Das hat uns<br />
sehr angesprochen, weil es gefährlich war.<br />
Verrostete Haken und so, man musste<br />
immer viel mit Keilen rummachen. In <strong>de</strong>n<br />
Shawangunks haben wir dann eigentlich<br />
nicht gemerkt, dass wir keine Ahnung<br />
hatten. Im Eldorado-Canyon trafen wir<br />
dann ziemlich gute Englän<strong>de</strong>r und Australier,<br />
da ging uns schon auf, dass wir<br />
wirklich nichts können. Aber zu <strong>de</strong>r Zeit<br />
haben wir uns sprunghaft verbessert. Im<br />
Eldorado-Canyon habe ich dann meine<br />
erste 8- wenigstens getoproped, und so<br />
ging’s schon ziemlich voran.<br />
klettern: Was wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>nn aus <strong>de</strong>n Bigwalls?<br />
Udo: Auf <strong>de</strong>m Flug hatten wir gesagt: Als<br />
»Das können wir<br />
jetzt mal festhalten:<br />
Weiterhin<br />
kommen alle<br />
guten Kletterer<br />
nicht aus <strong>de</strong>r<br />
Retorte«<br />
erstes machen wir die Halfdome-Nordwestwand,<br />
als zweites machen wir das Westface<br />
am El Cap, dann machen wir die Nose,<br />
dann die Salathé und dann machen wir<br />
Triple Direct. Im Yosemite angekommen,<br />
stellte sich heraus, das wir bei<strong>de</strong> überhaupt<br />
nicht Handriss klettern konnten. Im<br />
Klassiker Outer Limits habe ich einen<br />
ziemlich langen Sturz hingelegt – da hatte<br />
ich glücklicherweise dann aber schon einen<br />
Trollgurt –, weil ich versucht hatte, Outer<br />
Limits durchzupiazen. Unten kann man‘s<br />
wirklich piazen, wenn man’s oben piazt,<br />
kann man keine Keile mehr legen. Das<br />
wollte ich aber nicht einsehen, hab‘ immer<br />
weiter durchgehauen und bin schließlich<br />
knapp vor <strong>de</strong>m Bo<strong>de</strong>n gelan<strong>de</strong>t, in einen<br />
Tricam reingefallen. Da dachte ich dann<br />
schon: Oops. Also Handrisse gingen<br />
überhaupt nicht. Außer<strong>de</strong>m war in <strong>de</strong>m<br />
Jahr schlechtes Wetter, wir sind aber<br />
trotz<strong>de</strong>m hoch zum Halfdome. Ich habe <strong>de</strong>n<br />
KLETTERN SEPTEMBER 2001
Halfdome ja zehn Jahre später o<strong>de</strong>r so<br />
gemacht, und muss sagen: Es war gut,<br />
dass wir nur neun Seillängen hochgekommen<br />
sind. Wir waren viel zu langsam.<br />
klettern: Hatte sich damit das Bigwall-Fieber<br />
erst mal erledigt?<br />
Udo: Nein, dann sind wir in die Nose auch<br />
noch eingestiegen. Da hat <strong>de</strong>r Ingo sich<br />
fast umgebracht, bei so einem Pen<strong>de</strong>lsturz.<br />
Zum Sickle-Ledge rüber haben wir es<br />
geschafft, dass <strong>de</strong>r Ingo praktisch von <strong>de</strong>m<br />
Stand vor <strong>de</strong>m Sickle-Ledge bis unters<br />
Sickle-Ledge die 50 Meter in die entgegengesetzte<br />
Richtung durchgepen<strong>de</strong>lt ist. Frag<br />
mich nicht, wie. Da haben wir richtig<br />
eingesehen, dass es nicht geht. Letzten<br />
En<strong>de</strong>s sind wir dann halt viel geboul<strong>de</strong>rt<br />
und so. In diesem Urlaub gab es ein<br />
bisschen einen Turning point, <strong>de</strong>nn bis<br />
dahin war <strong>de</strong>r Ingo eigentlich immer viel<br />
mutiger als ich, und <strong>de</strong>r hatte sich dann<br />
aber die Kniekehle ziemlich verbrannt beim<br />
Vorsteigen, und dann musste ich das in die<br />
Hand nehmen. Ich war dann <strong>de</strong>r <strong>de</strong>signierte<br />
Vorsteiger, und bin daran auch gewachsen.<br />
Jetzt hatten wir vorher schon – in Köln war<br />
das zu <strong>de</strong>r Zeit ziemlich leicht – einen<br />
Diavortrag verkauft. Und dann haben wir<br />
<strong>de</strong>n Diavortrag gezeigt, und <strong>de</strong>r Diavortrag<br />
war das krasseste, was die Kölner Kletterer<br />
überhaupt je gesehen hatten. Und dann<br />
war es also in Köln so, dass eigentlich je<strong>de</strong>r<br />
©klettern<br />
mit uns klettern wollte und gucken, wie gut<br />
wir waren. Es ist oft so, dass ich <strong>de</strong>n Mund<br />
sehr voll genommen habe, fast so ein<br />
bisschen in <strong>de</strong>r Hoffnung, dass ich daran<br />
wachsen muss. Also erst mal verbal was<br />
vorlegen...<br />
klettern: ...und dann nachziehen müssen.<br />
Udo: So war das dann auch. Und dann sind<br />
wir 1984 mit einer Reihe an<strong>de</strong>rer Kölner in<br />
<strong>de</strong>n Verdon gefahren und stehen an <strong>de</strong>r<br />
Kante vom Verdon, und da fragt <strong>de</strong>r Gregor<br />
Jäger Ingo und mich so, wie wir <strong>de</strong>nn das<br />
jetzt fin<strong>de</strong>n wür<strong>de</strong>n, verglichen mit <strong>de</strong>m<br />
Yosemite. Und wir bei<strong>de</strong> stehen da, und ich<br />
hab totale Panik vor diesem Scheiß-<br />
Verdon, und wir bei<strong>de</strong> drehen uns so um<br />
und sagen: „Hör mal, Gregor, das ist<br />
überhaupt gar kein Vergleich.“ Und <strong>de</strong>r<br />
Gregor war so klein mit Hut. Damals hat<br />
Moffat im Verdon dieses Papi on sight<br />
gemacht, da ging das mit <strong>de</strong>r Aufbruchstimmung<br />
sehr stark weiter. Und obwohl<br />
ganz klar war, dass die guten Jungs ganz<br />
woan<strong>de</strong>rs sind, hatten wir trotz<strong>de</strong>m das<br />
Gefühl - weil ich mich zu <strong>de</strong>r Zeit verbessert<br />
habe ohne En<strong>de</strong> -, dass <strong>de</strong>r Kontakt zur<br />
Weltspitze irgendwie da war.<br />
klettern: Du bezeichnest dich als großen<br />
Theoretiker, hast Sport studiert. Bist du<br />
auch so analytisch ans <strong>Klettern</strong> gegangen?<br />
Udo: Voll. Ich bin vom Bewegungstalent<br />
nicht <strong>de</strong>r, <strong>de</strong>r etwas beim ersten Mal kann.<br />
Es gibt ja so Leute, <strong>de</strong>nen wirfst du ein paar<br />
Bälle zu, und die können direkt jonglieren.<br />
So etwas ist für mich atemberaubend. Ich<br />
probiere das Jonglieren, mache ich mir<br />
meine Gedanken darüber, und beim<br />
nächsten Mal haben die Gedanken gefruchtet.<br />
Das ist meine Stärke. Aber unser<br />
Sportstudium hat uns im Grun<strong>de</strong> ein<br />
bisschen auf die falsche Fährte gelockt,<br />
weil es suggeriert, dass es Sachen gibt, die<br />
man im Griff hat. Da ist immer viel von<br />
Zahlen und Tests und Versuchsgruppen die<br />
Re<strong>de</strong>. Und das gibt dir das Gefühl, dass es<br />
auch ein entsprechen<strong>de</strong>s Training gibt, das<br />
sich dann eins zu eins aufs <strong>Klettern</strong> übertragen<br />
lässt.<br />
klettern: Habt ihr das umgesetzt? Habt ihr<br />
selbst entsprechend trainiert?<br />
Udo: Natürlich. Ich hab je<strong>de</strong>s Training unter<br />
<strong>de</strong>r Sonne ausprobiert, das es damals gab.<br />
Einmal haben wir gehört, Tony Yaniro<br />
könne 600 Klimmzüge in <strong>de</strong>r Stun<strong>de</strong>. Das<br />
haben wir dann auch direkt am Anfang <strong>de</strong>s<br />
Winters probiert, und nach 300 Klimmzügen<br />
waren wir zehn Minuten hinter <strong>de</strong>r Zeit,<br />
also in <strong>de</strong>r 40. Minute. Außer<strong>de</strong>m waren<br />
wir schon so krank – wir hatten uns richtig<br />
laktatmäßig vergiftet –, dass ich mich <strong>de</strong>n<br />
ganzen Winter nicht mehr davon erholt<br />
habe. Auf einmal war uns klar, was wir<br />
damit eigentlich angerichtet hatten.<br />
klettern: Man kann sich also auch kaputtmachen<br />
mit <strong>de</strong>m Training?<br />
Udo: Wir haben uns ohne En<strong>de</strong> kaputtgemacht,<br />
ohne En<strong>de</strong>.<br />
klettern: Du hast mit Dale Goddard das Buch<br />
„Lizenz zum <strong>Klettern</strong>“ gemacht. Da sind ja<br />
schon ganz an<strong>de</strong>re Ansätze drin. Wie bist<br />
du <strong>de</strong>nn zu <strong>de</strong>nen gekommen?<br />
Udo: Im Studium fand ich Trainings- und<br />
Bewegungslehre am interessantesten,<br />
auch Sportmedizin hat mich sehr interessiert.<br />
Ich war tierisch voll mit Wissen. Mein<br />
praktischer Teil war aber Bewegungstheater,<br />
wo es viel um Körpersprache geht und<br />
um qualitative Gedanken über Bewegungen.<br />
Da dämmert dir langsam, dass sich<br />
nicht alles durch Werte und Formeln<br />
erfassen lässt. Und auch dass <strong>de</strong>r Kopf, wie<br />
Güllich gesagt hat, beim <strong>Klettern</strong> <strong>de</strong>r<br />
wichtigste Muskel ist. Ungefähr um diese<br />
Zeit, 1984, haben wir im Verdon Dale<br />
Goddard das erste Mal getroffen und waren<br />
nachher noch mit ihm in <strong>de</strong>r Pfalz. Wir<br />
haben dann gegenseitig Briefe geschrieben,<br />
und <strong>de</strong>r hat das <strong>Klettern</strong> viel ernster<br />
genommen. Der war in Boul<strong>de</strong>r mit so<br />
Trainingsnazis zusammen, wie die Amis<br />
sagen. Und mit Dale hatte ich dann einen<br />
absoluten Austausch, wenn’s ums <strong>Klettern</strong><br />
ging, so wie jetzt mit Klem.<br />
klettern: Was schreibt man in so einem<br />
Brief?<br />
Udo: Der Dale hat zum Beispiel in einem<br />
Brief beschrieben, wie stark er mit <strong>de</strong>n<br />
Einhand-Traversen gewor<strong>de</strong>n ist. Und dann<br />
war das so, dass wir die Einhand-Traversen<br />
ein bisschen ausgebaut haben, und haben<br />
uns noch an<strong>de</strong>re Gedanken und ganz viel<br />
so Bewegungsspielchen gemacht haben.<br />
Also wir haben uns da sehr stark ausgetauscht.<br />
Wir haben dann gemerkt, dass wir<br />
uns bei<strong>de</strong> in einen Tunnel reingegraben<br />
haben, wissensmäßig, wo eigentlich kein<br />
an<strong>de</strong>rer war zu <strong>de</strong>r Zeit.<br />
klettern: Aber die an<strong>de</strong>ren sind ja auch<br />
schwer geklettert?<br />
Udo: Das hat mit <strong>de</strong>m schweren <strong>Klettern</strong><br />
nicht so sehr viel zu tun.<br />
klettern: Wo ist dann <strong>de</strong>r Unterschied?<br />
Udo: Ich sage das jetzt mal so für mich,<br />
aber das gilt für Klem o<strong>de</strong>r Andi Hofmann<br />
o<strong>de</strong>r so Leute genauso: Ich kann dir bei<br />
je<strong>de</strong>m sagen, was er noch besser machen<br />
könnte. Das kann nicht je<strong>de</strong>r. Also ich weiß<br />
nicht, wie gut die Tipps von so einem<br />
Moffat, <strong>de</strong>r zu <strong>de</strong>r Zeit absolut <strong>de</strong>r beste<br />
Kletterer war und <strong>de</strong>r mich am meisten<br />
motiviert hat, waren, aber ich glaube nicht,<br />
dass <strong>de</strong>r außer auf sich auf irgendjemand<br />
an<strong>de</strong>rs so geachtet hätte. Ich glaube nicht,<br />
dass die Leute, die schwer klettern,<br />
notwendigerweise sagen können, was für<br />
dich jetzt gut ist. O<strong>de</strong>r sie sich überhaupt<br />
bewusst sind, wo ihre eigene Stärke liegt.<br />
Das ist auch jetzt mit <strong>de</strong>m Klem so. Dem<br />
musst du praktisch sagen: „Was du da und<br />
da machst, das ist ja super.“ Und dann sagt<br />
er: „Ach, echt?“ Du gehst eben nur von dir<br />
aus, und du weißt nicht, was das Beson<strong>de</strong>re<br />
bei dir ist. Und das ist jetzt, was ich dazu<br />
beizutragen habe, das Beson<strong>de</strong>re herauszupicken<br />
und zu sagen, aha, die Bewegungspräzision,<br />
das scheint schneller zu<br />
gehen, als bei je<strong>de</strong>m an<strong>de</strong>ren, solche<br />
Sachen.<br />
klettern: Hat das Sportstudium in Sachen<br />
Training wirklich gar nichts gebracht?<br />
Udo: Markus Gickler, ein Pad<strong>de</strong>l-Freund<br />
von mir, und ich haben 1989 überlegt, wie<br />
man trainieren könnte, was wirklich Sinn<br />
machen wür<strong>de</strong>. Und wir waren einer<br />
Meinung, dass du zum Beispiel nicht<br />
Kraftausdauer trainierst, weil du es dir<br />
nicht erlauben kannst, wirklich zu übersäuern.<br />
KLETTERN SEPTEMBER 2001
klettern: Du kannst es dir beim <strong>Klettern</strong><br />
nicht erlauben o<strong>de</strong>r beim Trainieren?<br />
Udo: Du solltest es nicht trainieren. Und<br />
wenn du es trainierst, dann muss es ganz<br />
spezifisch sein, dann trainierst du es nur in<br />
<strong>de</strong>r Tour, die du machen willst. Denn es<br />
macht dich zu mü<strong>de</strong>, du kannst also nicht<br />
genug trainieren. Und die Bewegungsqualität<br />
ist nicht hoch genug.<br />
klettern: Die Bewegungen wer<strong>de</strong>n also zu<br />
ungenau?<br />
Udo: Genau. Das einzige, wo du Kraftausdauer<br />
trainierst, ist, wenn du ein Projekt<br />
hast. Und wenn du in diesem Projekt<br />
übersäuerst, dann ist das in Ordnung, weil<br />
das ist ja <strong>de</strong>in Ziel, da irgendwie mit<br />
umgehen zu können. Aber du gehst nicht<br />
zwei Tage später in einen Steinbruch und<br />
querst da wie irr, um für diese Tour zu<br />
trainieren.<br />
Der Markus Gickler ist 1991 dann Weltmeister<br />
gewor<strong>de</strong>n. Da hatte ich das erste Mal<br />
das Gefühl, es gibt eine Verbindung<br />
zwischen <strong>de</strong>m, was ich theoretisch weiß,<br />
und was man praktisch auch realisieren<br />
kann. Beim <strong>Klettern</strong> hat sich das nicht so<br />
offensichtlich gezeigt.<br />
klettern: Wie bist du <strong>de</strong>nn auf Klem als Partner<br />
für „Der Elfte Grad“ gekommen?<br />
Udo: Der Dale und ich hatten ja das<br />
Performance Rockclimbing zusammen<br />
gemacht. Also aus meiner Sicht hätte ich<br />
gerne eine längere Zusammenarbeit mit<br />
Dale gehabt, weil Dale hat schon ein<br />
bisschen Ähnlichkeit mit <strong>de</strong>m Klem insofern,<br />
als dass er ein ganz heller, wacher Typ<br />
ist. Die bei<strong>de</strong>n sind sehr auf <strong>de</strong>n Punkt.<br />
Jetzt war das so, dass wir eigentlich noch<br />
mehr zusammen wollten, und wir waren<br />
dann im Frühjahr 1992 in Smith Rocks und<br />
<strong>de</strong>r Dale hat das Just Do It probiert. Der<br />
Dale hat also als zweiter Ami 8c geklettert<br />
»Das <strong>Klettern</strong> war<br />
ganz stark anti.<br />
Also kein Kletterkurs<br />
und kein<br />
Alpenverein, kein<br />
gar nichts«<br />
klettern: Was meinst du, warum nicht?<br />
Udo: Weil das <strong>Klettern</strong> viel komplexer als<br />
das Pad<strong>de</strong>ln ist. Das verdutzt mich auch so,<br />
dass ausgerechnet beim <strong>Klettern</strong> die Leute<br />
so auf Krafttraining stehen. Wenn du das<br />
einem Skateboar<strong>de</strong>r sagen wür<strong>de</strong>st, <strong>de</strong>r<br />
hätte da kein Verständnis dafür. Und<br />
Skateboar<strong>de</strong>n ist viel schwieriger als<br />
<strong>Klettern</strong>. Im Klettertraining ist einfach nicht<br />
so viel Raum für Krafttraining. Man kann<br />
das mal machen, und es ist auch wichtig,<br />
dass man es in einem bestimmten Alter<br />
macht, das ist, glaube ich, das A und O<br />
©klettern<br />
beim Krafttraining, dass du es in <strong>de</strong>r<br />
Pubertät machst, wenn die Kraft angelegt<br />
wird. Aber danach ist Krafttraining für<br />
Kletterer nicht mehr wichtig.<br />
klettern: Aber Kraft braucht <strong>de</strong>r Kletterer<br />
doch? Klem wird ja auch ein bisschen Kraft<br />
haben?<br />
Udo: Ja, ja, wobei <strong>de</strong>r nicht beson<strong>de</strong>rs viel<br />
Fingerkraft hat. Ein guter Plastikkletterer<br />
hat mehr. Aber ein Teil von Klems Stärke<br />
liegt darin, dass er die Griffe unheimlich<br />
gut sortieren kann, an<strong>de</strong>rs, als das ein<br />
Plastikkletterer macht, auch an<strong>de</strong>rs, als<br />
das zum Beispiel ein Chris Sharma macht.<br />
Chris Sharma siehst du beim <strong>Klettern</strong> an –<br />
o<strong>de</strong>r auch <strong>de</strong>m Dave Graham –, dass sie<br />
unheimlich Fingerstrom haben. Die greifen<br />
ganz nachlässig an die Griffe. Wenn du das<br />
mit <strong>de</strong>m Klem vergleichst: Der greift hin,<br />
und dann geht ein irres Sortieren los, ganz<br />
schnell, und dann hat er <strong>de</strong>n Griff richtig<br />
und macht zu und zieht dann erst daran.<br />
Bei Sharma und Graham sieht es <strong>de</strong>swegen<br />
auch so flüchtig aus, weil die greifen hin<br />
und ziehen direkt weiter, weil sie sich ihrer<br />
Fingerkraft so bewusst sind.<br />
und war also schon einer <strong>de</strong>r wenigen, die<br />
das überhaupt probieren durften, ist aber<br />
im Grun<strong>de</strong> unter an<strong>de</strong>rem über diese Tour<br />
zerbrochen. So zurückblickend muss man<br />
sagen: Er hat gemerkt, das Ding kann er<br />
nicht klettern, weil das genau seine<br />
Schwächen abfragt. Und auch aus privaten<br />
Grün<strong>de</strong>n hat er ganz stark zu <strong>de</strong>r Zeit das<br />
Interesse am <strong>Klettern</strong> verloren. Er hatte<br />
praktisch alles, was er übers <strong>Klettern</strong> sagen<br />
wollte, da verpulvert, pop. Zu <strong>de</strong>r Zeit habe<br />
ich schon viel mit <strong>de</strong>m Jibé Tribout geklettert<br />
o<strong>de</strong>r mit an<strong>de</strong>ren europäischen guten<br />
Kletterern, und die waren ein ganzes Stück<br />
weiter. Also <strong>de</strong>r Jibé war zu <strong>de</strong>r Zeit da, wo<br />
<strong>de</strong>r Hammer hing vom Verständnis übers<br />
<strong>Klettern</strong>. Da war auch <strong>de</strong>r ganze Ausdaueraspekt<br />
so wichtig, da ist man wesentlich<br />
längere Sachen geklettert. Und die Franzosen<br />
haben damals viel härter trainiert als<br />
die Wettbewerbskletterer heute. Da ging’s<br />
dann ziemlich ab mit Bewegungsökonomie<br />
und so.<br />
Wenn ich dann wie<strong>de</strong>r mit <strong>de</strong>m Dale<br />
zurückgegangen bin, kam es mir so vor:<br />
Der Dale versteht nicht mehr so viel vom<br />
klettern. Irgendwann hat mir dann Toni<br />
Lamprecht erzählt, er habe in Russan einen<br />
Österreicher getroffen, und er habe noch<br />
nie jeman<strong>de</strong>n so klettern sehen wie <strong>de</strong>n.<br />
Und dann tauchte <strong>de</strong>r Klem auf einmal im<br />
Frankenjura auf. Und da haben wir uns so<br />
ein bisschen angefrostet. Erst hab ich <strong>de</strong>n<br />
Klem unheimlich schwer verstan<strong>de</strong>n. Und<br />
wir waren dann ein bisschen klettern. Ich<br />
müsste lügen, also er war mir eigentlich<br />
nicht so sympathisch direkt, diese ganze<br />
österreichische Art, dieses Gebrauchtwagenhändler-mäßige.<br />
Aber wir waren dann<br />
in <strong>de</strong>r Fränkischen mal klettern, und es war<br />
ganz klar, dass es eine ganz an<strong>de</strong>re Dimension<br />
<strong>de</strong>s <strong>Klettern</strong>s ist als das, was wir<br />
bisher gesehen haben.<br />
klettern: Lässt sich das genauer beschreiben?<br />
Udo: Die einfachste, primitivste Art,<br />
Bewegungsqualität zu <strong>de</strong>finieren, ist, wenn<br />
du zwei Pole aufmachst, und sagst, das<br />
eine ist die Präzision, das an<strong>de</strong>re ist die<br />
Schnelligkeit, und die Schnelligkeit geht<br />
immer auf Kosten <strong>de</strong>r Präzision, und die<br />
Präzision geht immer auf Kosten <strong>de</strong>r<br />
Schnelligkeit. Und <strong>de</strong>r bis dahin präziseste<br />
Kletterer war Marc Le Menestrel. Wenn du<br />
<strong>de</strong>n in Bleau o<strong>de</strong>r so klettern siehst, das ist<br />
richtige Millimeterarbeit, wie <strong>de</strong>r die Füße<br />
setzt, wie <strong>de</strong>r sich bewegt.<br />
klettern: Aber langsam dann, o<strong>de</strong>r wie?<br />
Udo: Verglichen mit <strong>de</strong>m Klem superlangsam.<br />
Der Klem ist mit Abstand <strong>de</strong>r Kletterer,<br />
<strong>de</strong>r die bei<strong>de</strong>n Pole am besten kombiniert.<br />
Das ist schon so, dass du richtig<br />
Angst bekommst. Das wirkt nicht menschlich,<br />
das ist so, als hätte <strong>de</strong>r einen schnelleren<br />
Mikroprozessor eingebaut.<br />
klettern: Und das sieht man sofort?<br />
Udo: Das sieht je<strong>de</strong>r sofort, <strong>de</strong>r sich für so<br />
etwas interessiert, egal, ob das Jibé Tribout<br />
ist o<strong>de</strong>r Werner Thon, die sehen das sofort.<br />
klettern: Was meinst du, woran das liegt?<br />
Udo: Erst mal ist <strong>de</strong>r Klem mal die hun<strong>de</strong>rt<br />
Meter in 10,8 Sekun<strong>de</strong>n ohne spezielle<br />
Vorbereitung gelaufen. Also <strong>de</strong>r hat eine<br />
extreme Schnellkraft im ganzen Körper. Der<br />
ist in Gedanken schnell, <strong>de</strong>r ist einfach in<br />
allem schnell. Ich bin langsam, und wenn<br />
KLETTERN SEPTEMBER 2001
du einmal auf <strong>de</strong>m Weg, langsam zu sein,<br />
bist, dann kommst du nicht mehr zurück.<br />
Nun gibt’s an<strong>de</strong>re, die sind auch schnell,<br />
wie <strong>de</strong>r Markus Bock zum Beispiel o<strong>de</strong>r<br />
auch <strong>de</strong>r Werner Thon, aber die sind lange<br />
nicht so präzise.<br />
klettern: Du hast vorher Chris Sharma angesprochen.<br />
Der sieht ja auch manchmal etwas<br />
unpräzise aus, klettert aber extrem<br />
schwer.<br />
Udo: Wobei ich glaube, dass <strong>de</strong>r Sharma,<br />
wenn Klem wirklich etwas boul<strong>de</strong>rt, was für<br />
ihn Limit ist, darin keine Chance hat. Eben<br />
weil diese Art von Bewegungspräzision so<br />
stark abgefragt wird. Und Klem aber<br />
wahrscheinlich alles hochkäme, was Chris<br />
Sharma hochkommt, rein vom <strong>Klettern</strong> her.<br />
Dann kommt aber <strong>de</strong>r Kopf dazu. Und <strong>de</strong>r<br />
Klem lei<strong>de</strong>t darunter, worunter viele<br />
Talente lei<strong>de</strong>n: Wenn das Talent zu En<strong>de</strong><br />
ist, was mache ich dann? Der Klem kommt<br />
so weit mit seinem Talent, dass er manchmal<br />
Schwierigkeiten hat, wenn das Arbeiten<br />
anfängt. Dazu kommt, dass <strong>de</strong>r Sharma<br />
ein wesentlich niedrigeres Kontrollbedürfnis<br />
hat. Der Klem dominiert <strong>de</strong>n Fels. Der<br />
Sharma klettert viel mehr wie ein Schlawiner.<br />
Der braucht die Sache nicht im Griff zu<br />
haben, <strong>de</strong>r macht je<strong>de</strong>n Zug so, wie er<br />
gera<strong>de</strong> so hinhaut. Deswegen sieht auch<br />
je<strong>de</strong>r Zug beim Sharma immer schwer aus,<br />
zum Beispiel auf <strong>de</strong>m Vi<strong>de</strong>o Fast Twitch, in<br />
Just do It in <strong>de</strong>r ersten Seillänge. Die Züge<br />
sind ein Witz, da geht keine Passage über 8<br />
raus, bis auf einen wi<strong>de</strong>rlichen Zug, und<br />
ausgerechnet <strong>de</strong>r sieht beim Sharma total<br />
leicht aus. Und <strong>de</strong>r wischt die so hin.<br />
Deswegen kann er auch das ganze Teil<br />
©klettern<br />
klettern. Der Sharma hat keine tolle<br />
Kraftausdauer, <strong>de</strong>r macht die Sachen<br />
ökonomisch. Da ist kein Muskel zu viel<br />
angespannt. Also es wird auch eine<br />
Steigerung nach <strong>de</strong>m Sharma geben, aber<br />
bis jetzt ist Chris Sharma in puncto Relaxedheit<br />
Stand <strong>de</strong>r Dinge. Ganz klar. Das ist<br />
<strong>de</strong>r Klem nicht.<br />
klettern: Ein ökonomischer Kletterstil kennzeichnet<br />
aber doch alle Spitzenkletterer?<br />
Udo: Nicht unbedingt. Es gab in Deutschland<br />
eine Umkehr <strong>de</strong>r Machtverhältnisse im<br />
Wettkampfklettern in Mannheim. Da ist <strong>de</strong>r<br />
Christoph Bucher noch mitgeklettert, und<br />
Christoph ist unheimlich auf Kraft geklettert,<br />
und dadurch sind ihm auch immer die<br />
Füße da rausgegangen. Das war nicht<br />
irgendwie weil er zu klein ist. Und dann<br />
konntest du dagegen <strong>de</strong>n Andreas Bindhammer<br />
– <strong>de</strong>r hat <strong>de</strong>n Wettbewerb gewonnen<br />
– sehen, und dann siehst du halt<br />
einen, <strong>de</strong>r hat eiskalt das <strong>Klettern</strong> analysiert<br />
und sich daran gehalten. Der Christian<br />
Bindhammer leistet sich schon öfters mal<br />
so Luxusbewegungen, dass er auch so ein<br />
bisschen die Show macht. Aber Andreas<br />
Bindhammer ist sich seines Handikaps,<br />
dass er so unheimlich langsam ist, so<br />
bewusst, dass er seine Stärke so stark<br />
gemacht hat, dass er so ökonomisch<br />
klettert wie fast kein an<strong>de</strong>rer.<br />
Wenn du ökonomisch kletterst, sieht das<br />
so aus, dass du eigentlich eine Fe<strong>de</strong>r<br />
spannst. Der Zug folgt dann eigentlich aus<br />
<strong>de</strong>r Bewegung, die du vorbereitet hast.<br />
Und die gehen also mit ihrem ganzen<br />
Körper in diese Position und dann ist<br />
praktisch das Hochgreifen, was für Kletterer,<br />
die nicht so gut klettern das Schwierige<br />
ist, praktisch nur noch Formsache. Das<br />
gleiche gilt natürlich auch, wenn du extrem<br />
schwer klettern willst. Das schwierige ist<br />
die Vorbereitung <strong>de</strong>s Zuges und nicht <strong>de</strong>r<br />
Zug selber. Und die Güte <strong>de</strong>s Kletterers<br />
hängt eigentlich davon ab, wie gut diese<br />
Bewegungsvorbereitung ist. Ein guter<br />
Kletterer, <strong>de</strong>r geht nicht an einen Seitgriff,<br />
und dann ist er überrascht, dass das jetzt<br />
ein Seitgriff ist. Der ist schon vorbereitet<br />
auf <strong>de</strong>n Seitgriff, das heißt richtig eingedreht<br />
und alles.<br />
klettern: Das kann man aber doch sonst<br />
auch brauchen o<strong>de</strong>r?<br />
Udo: Sicher. Die Sache ist, dass es da auch<br />
wie<strong>de</strong>r die bei<strong>de</strong>n Pole gibt: Schnelligkeit<br />
und Güte <strong>de</strong>r Bewegung. So ist das ja ganz<br />
oft mit <strong>de</strong>m Eindrehen: Das Eindrehen ist ja<br />
eigentlich durch das Plastikklettern so<br />
populär gewor<strong>de</strong>n. Jetzt siehst du ganz oft<br />
Leute, die haben einen Seitgriff links, dann<br />
treten sie ganz über Kreuz, Außenkante<br />
rechts an, damit sie das gut seitgriffmäßig<br />
machen können, dann kriegen sie einen<br />
Seitgriff rechts, dann kommt praktisch das<br />
linke Bein von ganz weit und muss dann da<br />
rüber kreuzen. Das ist die perfekte Bewegung,<br />
aber es dauert unheimlich lange. Die<br />
guten Felskletterer hätten einen viel<br />
höheren Anteil von Passgängerbewegungen<br />
da drin. Die nehmen links <strong>de</strong>n Seitgriff,<br />
hocken mit links auf und schlu<strong>de</strong>rn und<br />
schnappen mit links weiter. Das sieht nicht<br />
so gut aus, ist aber viel schneller. Die guten<br />
Plastikkletterer kommen immer ein bisschen<br />
an ihre Grenzen, wenn solche<br />
Bewegungen zwingend sind. Es gab ja da<br />
in Deutschland ein richtiges Experiment am<br />
leben<strong>de</strong>n Menschen, kein Tierversuch,<br />
son<strong>de</strong>rn ein Menschenversuch mit Robert<br />
Mate. Der war ja in <strong>de</strong>n Hän<strong>de</strong>n von Walter<br />
Dingsbums, ist ja egal. Auf je<strong>de</strong>n Fall <strong>de</strong>r<br />
Trainer – und <strong>de</strong>r hat sich auch ziemlich<br />
aufgespielt im Alpenverein und so – <strong>de</strong>r<br />
kam vom Karate her und <strong>de</strong>r hat das ganze<br />
<strong>Klettern</strong> ziemlich gut durchdrungen. Aber<br />
immer aus <strong>de</strong>r Sicht <strong>de</strong>r optimalen Bewegung.<br />
Und <strong>de</strong>r arme Robert Mate ist<br />
bestimmt <strong>de</strong>r, <strong>de</strong>r Plastik am geilsten<br />
geklettert ist in Deutschland. Aber er ist<br />
immer an seine Grenzen gekommen, wenn<br />
er mal einen hässlichen Zug machen<br />
musste, wenn er wie ein Passgänger<br />
klettern musste, wenn die Theorie mal<br />
nicht gegriffen hat. Und das ist, wo <strong>de</strong>r<br />
Klem, <strong>de</strong>r Fred Nicole, <strong>de</strong>r Chris Sharma<br />
ihre Stärke ausspielen. Die haben mit einer<br />
an<strong>de</strong>ren Prämisse angefangen zu klettern.<br />
Die wollten Sachen hochkommen. Die<br />
wollten nicht irgen<strong>de</strong>ine Bewegung optimal<br />
machen.<br />
klettern: Wie lernt man <strong>de</strong>nn dann das <strong>Klettern</strong><br />
optimal?<br />
Udo: Also das können wir jetzt mal festhalten:<br />
Es gibt keinen guten Kletterer, <strong>de</strong>r aus<br />
irgen<strong>de</strong>iner Art von richtiger sportwissenschaftlicher<br />
För<strong>de</strong>rung entsprungen ist.<br />
Kein Lehrplan hat bis jetzt bei einem guten<br />
Kletterer gegriffen. Weiterhin kommen alle<br />
guten Kletterer nicht aus <strong>de</strong>r Retorte. Die<br />
haben alle das <strong>Klettern</strong> auf ganz merkwürdige<br />
Art und Weise gelernt. Bis jetzt steht<br />
<strong>de</strong>r Beweis aus, dass sich jemand einen<br />
Lehrplan aus<strong>de</strong>nken kann - das muss man<br />
einfach auch <strong>de</strong>m Lehrplan vom DAV, vom<br />
österreichischen Alpenverein entgegenhalten<br />
– nach <strong>de</strong>m Leute besser klettern<br />
lernen, als sie das intuitiv o<strong>de</strong>r wie man<br />
sagt naiv machen wür<strong>de</strong>n. Die guten<br />
Wettbewerbskletterer, egal ob’s <strong>de</strong>r Jibé ist<br />
o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Francois Legrand o<strong>de</strong>r Andreas<br />
Bindhammer, die haben sich das selbst<br />
erarbeitet, in<strong>de</strong>m sie gesagt haben: Woran<br />
hängt das, wie verbessre ich das für mich?<br />
Und dabei auch nicht ihr Ego dazwischen<br />
kommen lassen.<br />
Aber wenn man so ein bisschen Mutmaßungen<br />
über die Zukunft <strong>de</strong>s <strong>Klettern</strong>s<br />
anstellt, dann ist natürlich ganz klar, dass<br />
die Zukunft <strong>de</strong>s <strong>Klettern</strong>s an so Leuten<br />
hängt, die die Präzision und Schnelligkeit<br />
von Klem Loskot mit <strong>de</strong>m Kopf von Chris<br />
Sharma, Jerry Moffat und Dave Graham<br />
verbin<strong>de</strong>n. Das nächste Riesentalent wird<br />
das alles zusammen fassen müssen. Der<br />
erste, <strong>de</strong>r die Action onsight klettert, <strong>de</strong>r<br />
wird das alles haben.<br />
klettern: Der wird also nicht nur mehr Kraft<br />
haben?<br />
Udo: Ich glaube nicht, dass es viel mehr<br />
Fingerkraft, als Dave Graham im Moment<br />
hat, gibt. Aber wenn du siehst, wie stark<br />
Kraft ein Produkt <strong>de</strong>r Koordination ist, dann<br />
kannst du von Kraft eigentlich sowieso<br />
nicht re<strong>de</strong>n. Ein großer Teil von <strong>de</strong>m, was<br />
wir für Kraft halten, ist im Grun<strong>de</strong>, sich<br />
durch die Bewegung durchpfuschen. Wenn<br />
KLETTERN SEPTEMBER 2001
du zum Beispiel <strong>de</strong>n Klem hangeln siehst<br />
mit zwei Leuten, die mehr Fingerkraft<br />
haben als er, dann siehst du einfach: <strong>de</strong>r<br />
bescheißt ohne En<strong>de</strong>. Der Klem, und das<br />
kann auch <strong>de</strong>r Sharma und das können die<br />
alle, die bescheißen sogar beim Hangeln.<br />
Wenn du <strong>de</strong>nen Laborbedingungen gibst<br />
und sagst, o.k., hangele hier durch, dann<br />
<strong>de</strong>nkst du, Moment, halt, so wollten wir<br />
das eigentlich nicht, ihr soll so und so<br />
hangeln. Die sind technisch so ausgefeilt,<br />
dass sie, sogar wenn du ihnen eigentlich<br />
gar nichts erlaubst, trotz<strong>de</strong>m pfuschen. So<br />
schnell guckst du gar nicht. Die Art und<br />
Weise, wie die die Schulter reinbringen,<br />
wie die unter die Griffe tauchen und so<br />
was, ist so was von raffiniert, das heißt du<br />
kannst nicht mehr richtig auseinan<strong>de</strong>rhalten<br />
was kraft ist und was Koordination ist.<br />
klettern: Viele Leute haben ja das Problem,<br />
dass sie aus Angst ihre körperlichen Potenziale<br />
gar nicht nutzen können. Was ist<br />
da zu tun?<br />
Udo: Das erste, was ich dann aufhören<br />
wür<strong>de</strong>, wäre irgen<strong>de</strong>ine Form von Training.<br />
Denn das macht einen nur mü<strong>de</strong>, und man<br />
kümmert sich nicht um das, was einen<br />
wirklich zurück hält.<br />
©klettern<br />
springen. Das hat mit <strong>de</strong>r Klettersituation<br />
klettern: Und was hält einen wirklich<br />
zurück?<br />
Udo: Kontrollbedürfnis ist ein großer Teil<br />
davon. Wie man das in <strong>de</strong>n Griff bekommt,<br />
ist individuell verschie<strong>de</strong>n. Was anscheinend<br />
sehr wenig bringt, ist Sturztraining. In<br />
je<strong>de</strong>m Kurs müssen die armen Kerls ins Seil<br />
überhaupt nichts zu tun, weil die gleichen<br />
Leute sich dann doch nicht weitertrauen,<br />
wenn sie sich nicht mehr wohlfühlen.<br />
Besser ist wahrscheinlich, wenn man eine<br />
gut gesicherte Tour nimmt und die Leute<br />
einfach hochtreibt, feuert die also auch an,<br />
weiß aber, da kann nichts passieren. Die<br />
müssen Schlingen einhängen, aber es<br />
muss weitergehen. Es wird gebuht, wenn<br />
sie nicht weiterziehen. Man muss eine Art<br />
von Druck – Flucht nach oben – wahrscheinlich<br />
ausüben. In „Lizenz zum <strong>Klettern</strong>“<br />
ist vielleicht ein bisschen zu stark<br />
betont, dass man nichts unter Angst lernt,<br />
was ich inzwischen etwas relativieren<br />
wür<strong>de</strong>. Weil Angst natürlich auch ein guter<br />
Lehrmeister ist, und man sich so eine Art<br />
<strong>de</strong>s Krisenmanagements aneignet.<br />
klettern: Dieses Krisenmanagement braucht<br />
also je<strong>de</strong>r zum <strong>Klettern</strong>?<br />
Udo: Ja, das ist aber auch <strong>de</strong>r größte<br />
Unterschied zwischen einem Spitzenathleten<br />
wie <strong>de</strong>n Bindhammers und einem<br />
möglicherweise talentierteren Nicht-<br />
Spitzenathleten: Die Jungs, und das muss<br />
man ihnen wirklich zugute halten, sind<br />
sehr, sehr gna<strong>de</strong>nlos mit sich. Wenn da<br />
einer merkt, er macht was nicht, weil er<br />
sich nicht traut, dann wird das bekämpft<br />
ohne En<strong>de</strong>. Das ist etwas, was du von<br />
<strong>de</strong>nen nie hören wür<strong>de</strong>st, weil sie halt nach<br />
außen so einen Panzer aufgebaut haben –<br />
<strong>de</strong>r Moffat hat ja schon immer betont, dass<br />
er <strong>de</strong>r beste Kletterer <strong>de</strong>r Welt ist, <strong>de</strong>r<br />
sagt’s wahrscheinlich immer noch –, aber<br />
wenn dann keiner dabei ist, dann wird an<br />
<strong>de</strong>n Schwächen gebastelt, solange, bis das<br />
weg ist. Diese Geisteshaltung habe ich halt<br />
auch. Das ist <strong>de</strong>r ganz stark hochleistungssportliche<br />
Aspekt in mir. Ich habe kein<br />
Verständnis dafür, wenn jemand Leistungssport<br />
machen will, und nicht bereit ist,<br />
dieses „soul searching“ einzugehen. Und<br />
auch die ganzen an<strong>de</strong>ren Leistungssportler,<br />
die ich kenne, die sind fast schon von<br />
Selbsthass zerfressen. Das ist eine große<br />
Fehlannahme zu glauben, dass solche<br />
Leute zufrie<strong>de</strong>n mit sich sind. Man sagt ja<br />
leicht, <strong>de</strong>r und <strong>de</strong>r klettere so gut und sei ja<br />
arrogant, aber es könnte nichts falscher<br />
sein. Je besser du kletterst, <strong>de</strong>sto mehr bist<br />
du dir bewusst, was du nicht kannst. Du<br />
glaubst gar nicht, wie innerlich – nicht was<br />
sie <strong>de</strong>r Außenwelt erzählen – die Bindhammers<br />
o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Klem o<strong>de</strong>r Fred Nicole o<strong>de</strong>r<br />
<strong>de</strong>r Sharma die allermeiste Zeit mit ihrem<br />
<strong>Klettern</strong> unzufrie<strong>de</strong>n sind.<br />
Das ist ja auch Bewegungsangst. Es ist ja<br />
auch die Frage, ob du überm Bo<strong>de</strong>n kühne<br />
Bewegungen machst. Die kannst du halt<br />
mit noch so raffiniertem Krafttraining nicht<br />
über<strong>de</strong>cken. Wer da zum Beispiel einer ist,<br />
<strong>de</strong>r richtig selbstzerfleischend ist, ist Toni<br />
Lamprecht. Der Toni Lamprecht hat zum<br />
<strong>Klettern</strong> eigentlich ein extrem begrenztes<br />
Talent. Aber er ist ein Analytiker, wie er im<br />
Buch steht, und er ist gna<strong>de</strong>nlos mit sich,<br />
das ist schon fast ein Masochist. Und<br />
<strong>de</strong>swegen kann <strong>de</strong>r Toni ziemlich schwierig<br />
klettern, dafür dass er eigentlich viel zu<br />
schwer ist, manchmal klettert er jetzt durch<br />
das viele Boul<strong>de</strong>rn schon ziemlich gut, aber<br />
er ist halt doch sehr lange Jahre sehr, sehr<br />
schlecht geklettert, und das fällt ihm so<br />
schon schwer, einen Bewegungsfluss<br />
hinzukriegen, aber <strong>de</strong>r Typ ist einfach, also<br />
<strong>de</strong>r will, und <strong>de</strong>r geht über Leichen – also<br />
über seine eigene als erstes.<br />
klettern: Jetzt können wir also zusammenfassend<br />
sagen, dass alle, die <strong>de</strong>n elften<br />
Grad klettern, wenig Spaß am <strong>Klettern</strong> haben?<br />
Udo: Am <strong>Klettern</strong>? ne, das sehe ich an<strong>de</strong>rs.<br />
Ich hab ja im Vorwort zum elften Grad<br />
geschrieben: „Lieber Achter-Kletterer“. Das<br />
ist mir jetzt öfters gesagt wor<strong>de</strong>n, dass das<br />
irgendwie arrogant klingt, aber <strong>de</strong>r Gedanke,<br />
<strong>de</strong>r dahinter steckt, ist, dass natürlich,<br />
je mehr du reinsteckst, umso mehr bekommst<br />
du raus. Das ist ganz klar. Aber<br />
auch in eurer Berichterstattung: Wenn ihr<br />
sagt, <strong>de</strong>r und <strong>de</strong>r hat ne 10+ geklettert,<br />
dann ist das schön, aber 10+ ist nicht<br />
schwierig. Auch wenn’s ein Deutscher ist.<br />
Das macht es auch nicht schwieriger. Wenn<br />
dann gleichermaßen daneben steht,<br />
jemand hat eine 9a geklettert, mit gleich<br />
großen Blöcken und wird gleich gehyped,<br />
dann ist das eine extreme Verschiebung<br />
von <strong>de</strong>m, was da tatsächlich passiert ist.<br />
Je<strong>de</strong>r stellt sich das so vor, dass <strong>de</strong>r Grad,<br />
<strong>de</strong>n er gera<strong>de</strong> nicht klettern kann, das ist<br />
<strong>de</strong>r allergrößte Schritt, <strong>de</strong>n es im <strong>Klettern</strong><br />
überhaupt gibt. Und wir können uns nicht<br />
helfen – auch ich kann mir nicht helfen – zu<br />
meinen, dass <strong>de</strong>r Schritt von 8c+ zu 9a<br />
trivial ist. Weil wir überhaupt nicht vor<br />
Augen haben, was da genau abgeht. Und<br />
so ist das auch gemeint: Ser Elferkletterer<br />
hat eine ganz an<strong>de</strong>re Art von „soul searching“,<br />
von Analyse, von Selbstzerfleischung,<br />
von guten I<strong>de</strong>en über sein Training<br />
o<strong>de</strong>r wie er seine Schwächen bekämpfen<br />
kann, da reingesteckt als <strong>de</strong>r Elf-Minus-<br />
Kletterer. Elf-Minus können inzwischen<br />
viele Leute klettern. Da wo momentan<br />
immer <strong>de</strong>r Hammer hängt, das ist am<br />
interessantesten für mich. Sagen wir mal<br />
»Je<strong>de</strong>r stellt sich das<br />
so vor: Der Grad, <strong>de</strong>n er<br />
gera<strong>de</strong> nicht klettern<br />
kann, das ist <strong>de</strong>r allergrößte<br />
Schritt im <strong>Klettern</strong>«<br />
Formel 1, Fußball o<strong>de</strong>r so, das ist ja alles<br />
viel weiter entwickelt als <strong>Klettern</strong>, Wenn du<br />
da mal guckst: Ein winziges Detail kann da<br />
soviel entschei<strong>de</strong>n. Und so ist das aber<br />
aufs <strong>Klettern</strong> übertragen auch: Wenn du<br />
dich zum Beispiel nie <strong>de</strong>r Angst gestellt<br />
hast, dann wird dich das da auf <strong>de</strong>m Weg<br />
von 10 nach 10+, was man vielleicht, wenn<br />
man sich die richtige Tour aussucht, noch<br />
nie<strong>de</strong>rringen kann, nicht aufhalten, aber<br />
irgendwann kommst du mal an diese<br />
Grenze. Dann wird’s dir groß vorgezeigt:<br />
Siehst, du, hättest du mal vor 15 Jahren<br />
richtig frei springen geübt. Wenn zum<br />
Beispiel <strong>de</strong>r Andi Hofmann springt, dann<br />
sieht das so als, als hätte man Ketten um<br />
<strong>de</strong>n gelegt. Wenn du nur Andi siehst, dann<br />
<strong>de</strong>nkst du: geil, weil <strong>de</strong>r springt natürlich<br />
viel weiter als wir, viel geiler, viel schnellkräftiger,<br />
fängt auch oben viel präziser ab,<br />
alles super. So, und dann siehst du <strong>de</strong>n<br />
Klem o<strong>de</strong>r Leute wie Stephen Jeffreys, das<br />
ist so mit <strong>de</strong>r talentierteste Plastikkletterer<br />
auf <strong>de</strong>r Welt, <strong>de</strong>r bewegt sich noch mal<br />
geiler, also unter Laborbedingungen, als<br />
<strong>de</strong>r Klem. Da <strong>de</strong>nkst du, <strong>de</strong>r wird drei Meter<br />
in <strong>de</strong>r Luft. Wirklich, <strong>de</strong>r wird so was von<br />
lang, und so was von weich, das sieht aus,<br />
wie wenn Carl Lewis sprintet. Und wenn <strong>de</strong>r<br />
Andi springt, dann sieht das aus, wie wenn<br />
so ein Zehnkämpfer sprintet. Da <strong>de</strong>nkst du,<br />
<strong>de</strong>r arme Kerl muss jetzt sprinten. Die<br />
Namen sind nur Beispiele.<br />
Wobei ich vor <strong>de</strong>n Bindhammers ja insofern<br />
Respekt habe, und das ist auch wirklich<br />
wahr, unter <strong>de</strong>n Leuten, die so schwer<br />
<strong>Klettern</strong>, haben die Bindhammer auch die<br />
Art von Respekt. Man hat ja auch Respekt<br />
vor jeman<strong>de</strong>m, <strong>de</strong>r sich so antreibt und <strong>de</strong>r<br />
vielleicht nicht supertalentiert ist, aber halt<br />
dranbleibt. Da musst du auch sehr ehrlich<br />
zu dir sein.<br />
Man hat ja von diesem rasanten Fortschritt<br />
Ô<br />
KLETTERN SEPTEMBER 2001
gesprochen, aber, ich meine, <strong>de</strong>r Toni<br />
Lamprecht hat ja seine Arbeit irgendwie<br />
über <strong>Klettern</strong> mit Behin<strong>de</strong>rten geschrieben,<br />
dann hat er noch mal das Sportklettern<br />
heute vom Güllich gelesen, und war ganz<br />
überrascht: Also in mancher Hinsicht ist<br />
das Ding veraltet, das es dir vorkommt wie<br />
aus <strong>de</strong>m Mittelalter, aber manche Gedanken,<br />
die <strong>de</strong>r Güllich damals hatte, sind so<br />
mo<strong>de</strong>rn, dass die allerwenigsten Kletterer<br />
sie jetzt verstehen, auch gute Kletterer. Am<br />
Anfang hat man beim <strong>Klettern</strong>, wie man das<br />
bei an<strong>de</strong>ren Sportarten macht, viel mehr<br />
<strong>de</strong>n Dialog gesucht mit an<strong>de</strong>ren Aktivitäten.<br />
Dann ist das <strong>Klettern</strong> zur eigenen<br />
Sache gewor<strong>de</strong>n, und man hat gedacht,<br />
man hat das im Griff, aber es fehlt trotz<strong>de</strong>m<br />
sehr stark an Querverbindungen zu an<strong>de</strong>ren<br />
Aktivitäten. Wir haben mal so Interviews<br />
gegeben in <strong>de</strong>n Salzburger Nachrichten,<br />
»Manche Gedanken, die Güllich<br />
damals hatte, sind so mo<strong>de</strong>rn,<br />
dass die allerwenigsten<br />
Kletterer sie jetzt verstehen«<br />
<strong>de</strong>r Klem und ich, da haben wir gesagt, das<br />
ist wie Skateboard fahren. Wir klettern so<br />
wie die Jungs unten in <strong>de</strong>r Fußgängerzone<br />
Skateboard fahren. Gleiche Geisteshaltung,<br />
gleiche Bewegungstricks, das ist<br />
eigentlich das A und O. Natürlich mit<br />
Risiko, aber die Skateboar<strong>de</strong>r haben ein<br />
viel größeres Risiko als wir. Und die<br />
Journalistin wollte das nicht hören, aber für<br />
uns ist das schon so, dass wir ganz stark<br />
schauen, wie machen das die an<strong>de</strong>ren. Wie<br />
unterschei<strong>de</strong>t sich Surfen vom <strong>Klettern</strong>,<br />
welche Geisteshaltung muss dahinterstecken?<br />
Und dass das eine ganz interessante<br />
Betrachtungsweise ist, zeigt zum Beispiel<br />
die Geschichte von Jutta Kaiser, die ist eine<br />
<strong>de</strong>r besten <strong>de</strong>utschen Wildwasserfahrerinnen,<br />
und die Jutta Kaiser war mal mit <strong>de</strong>m<br />
Frank Schweinheim zusammen. Die hat mit<br />
o<strong>de</strong>r wegen ihm angefangen zu klettern,<br />
<strong>de</strong>r Frank konnte da schon 9+ klettern. Die<br />
ist ein halbes Jahr geklettert, dann hat die<br />
<strong>de</strong>m die Topropes eingehängt. Weil <strong>de</strong>r<br />
Frank Schweinheim auch jemand ist, <strong>de</strong>r<br />
nie seine Angst besiegen konnte beim<br />
<strong>Klettern</strong>. Die hat <strong>de</strong>m die Topropes eingehängt.<br />
Und für die Jutta war <strong>Klettern</strong> so was<br />
von trivial von <strong>de</strong>r Angstüberwindung, weil<br />
Pad<strong>de</strong>ln, Wildwasserfahren, hun<strong>de</strong>rttau-<br />
©klettern<br />
sendmal krasser ist von <strong>de</strong>r Angst als<br />
<strong>Klettern</strong>. Weil beim Pad<strong>de</strong>ln kann man <strong>de</strong>m<br />
Kontrollbedürfnis nicht nachkommen. Das<br />
ist genauso wie beim Skifahren, wobei es<br />
beim Pad<strong>de</strong>ln ein bewegtes Element ist,<br />
das ist noch schlimmer. Das heißt also,<br />
man kann keinen perfekten Zug machen,<br />
du bist eigentlich nur immer einen Brandherd<br />
am Löschen. Und bei Jutta hast du<br />
ganz stark gesehen: Du nimmst jeman<strong>de</strong>n,<br />
die ist natürlich körperlich o.k. und talentiert<br />
zum <strong>Klettern</strong>, du nimmst jemand von<br />
einer Extremsportart, wo du Angst überwin<strong>de</strong>n<br />
musst ohne En<strong>de</strong>, setzt die aufs<br />
<strong>Klettern</strong> und nach ein paar Wochen schon<br />
macht die wil<strong>de</strong> Sachen. In einer Art und<br />
Weise vor allem: Die hat die Sachen da<br />
hingeschustert, da war allen Angst und<br />
Bange. Aber die kam nicht von dieser Art<br />
<strong>de</strong>r Statik und Kontrolle, die hat das für<br />
normal gehalten, dass einem beim Klinken<br />
die Füße wegrutschen.<br />
Auch ein Superbeispiel ist <strong>de</strong>r Schlesi. Der<br />
Schlesi ist wohl <strong>de</strong>r allertalentierteste<br />
<strong>de</strong>utsche Kletterer jemals. Ich bin ganz viel<br />
mit <strong>de</strong>m Schlesi geklettert, drei Wochen<br />
lang, und ich war immer schweißgeba<strong>de</strong>t.<br />
Wir haben ganz viel im Verdon zusammen<br />
gemacht. Und <strong>de</strong>r Schlesi, <strong>de</strong>r war ja<br />
irgendwann mal Deutscher Meister im<br />
Ringen, und <strong>de</strong>r kam aus einer ganz an<strong>de</strong>rn<br />
Sportart mit einer ganz an<strong>de</strong>rn Geisteshaltung.<br />
Beim Ringen ist es einfach so, je<strong>de</strong>r<br />
Bruchteil einer Sekun<strong>de</strong> ist wichtig, kann<br />
entschei<strong>de</strong>n, o<strong>de</strong>r ob du es gewinnst o<strong>de</strong>r<br />
ob du auf <strong>de</strong>r Matte liegst. Und er hat das<br />
einfach aufs <strong>Klettern</strong> übertragen, <strong>de</strong>r hat<br />
sich um das <strong>Klettern</strong> selber überhaupt<br />
nicht geschissen, das <strong>Klettern</strong> war für <strong>de</strong>n<br />
trivial von <strong>de</strong>r Angst her. Schlesi hat nie<br />
Angst gehabt beim <strong>Klettern</strong>, weil ihm wohl<br />
vom Ringen auch die Konsequenzen<br />
krasser vorgekommen sind. Das ist viel<br />
erniedrigen<strong>de</strong>r bei <strong>de</strong>n Kampfsportarten,<br />
wenn du so nie<strong>de</strong>rgerungen wirst. Also <strong>de</strong>r<br />
Fels ist tot, da hast du nicht dieses ernied-<br />
KLETTERN SEPTEMBER 2001
igen<strong>de</strong> Gefühl. Bei <strong>de</strong>n Kampfsportarten<br />
wie Boxen o<strong>de</strong>r Ringen das ist ne richtige<br />
Erniedrigung. Und da kannst du sehen, wie<br />
interessant das eigentlich ist, gera<strong>de</strong> für so<br />
Leute, die <strong>de</strong>nken, dass sie so ein bisschen<br />
blockiert sind, mal zu gucken, wie an<strong>de</strong>re<br />
Sachen funktionieren.<br />
Die Jutta klettert jetzt nicht mehr, das ist ihr<br />
zu langweilig. Pad<strong>de</strong>ln ist ab einem gewissen<br />
Level nur noch Kopfsache und das<br />
steht auch ganz groß drauf. Beim <strong>Klettern</strong><br />
ist das im Grund so ähnlich, aber du hast<br />
das Gefühl, du kannst es mit mehr Kraft<br />
zuschütten. Das ist <strong>de</strong>r Unterschied.<br />
klettern: Also passiert doch das meiste im<br />
Kopf?<br />
Udo: Es gibt da ein Zitat aus <strong>de</strong>m Film<br />
Leolo, das ist ein ziemlich komischer<br />
kanadischer Film. Der Bru<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s kleinen<br />
Leolo wird immer zusammengeschlagen<br />
von diesem Jungen aus <strong>de</strong>r Nachbarschaft.<br />
Dann fängt er mit Bodybuilding an, und das<br />
nächste Mal ist er schon ein richtiger<br />
Brecher. Und <strong>de</strong>r Leolo und er gehen diese<br />
Straße entlang, und da ist dieser mickrige<br />
Nachbarsjunge und macht ihn wie<strong>de</strong>r blöd<br />
an, und wie<strong>de</strong>r kriegt er eins auf die Nase.<br />
Am Schluss wird dann gesagt: „All die<br />
Muskeln konnten nicht die Angst besiegen,<br />
die tief in ihm wohnte.“ Das sagt eigentlich<br />
alles. Wenn du etwas erreichen willst,<br />
musst du an die Angst ran.<br />
©klettern<br />
in einer Aktivität, wenn man sich nicht<br />
klettern: Wie siehst du nach 25 Kletterjahren<br />
die aktuelle Kletterszene?<br />
Udo: Die Leute klettern nicht so intensiv<br />
wie wir damals. Das ist nicht unbedingt<br />
negativ. Die sind halt nicht so engstirnig<br />
wie wir. Aber es geht natürlich nichts weiter<br />
darin vertieft. Eine Aktivität konsumieren<br />
heißt auch, dass man nicht soviel rauskriegt.<br />
Und wenn man keine richtige Angst<br />
beim <strong>Klettern</strong> hat, dann ist das auch keine<br />
intensive Erfahrung. Das muss man schon<br />
so sagen.<br />
klettern: Und wo stehen die extremen Kletterer?<br />
Udo: Die Erbsenzählerei mit <strong>de</strong>m Schwierigkeitsgrad<br />
beim <strong>Klettern</strong> ist extrem lästig,<br />
dass also <strong>Klettern</strong> als Bewegungskunst<br />
nicht so populär ist. Das ist im Moment so,<br />
das wird sich in ein paar Jahren möglicherweise<br />
än<strong>de</strong>rn. Aber im Moment sind wir in<br />
einer Phase, wo <strong>de</strong>m Schwierigkeitsgrad<br />
eine sehr große Be<strong>de</strong>utung zugemessen<br />
wird. Der hat eine gewisse Be<strong>de</strong>utung,<br />
aber das ist nicht alles. Als <strong>de</strong>r Jibé zum<br />
ersten Mal bei <strong>de</strong>n Xtreme-Games eingela<strong>de</strong>n<br />
war, da mussten sie so ne läppische<br />
Wand topropen. Und da war <strong>de</strong>r Edi dabei<br />
und so, alle die damals stark waren, die<br />
haben da ihren Wettbewerb abgerissen,<br />
und danach haben wir <strong>de</strong>n Skatern zugeschaut<br />
in <strong>de</strong>r Halfpipe, und <strong>de</strong>r Jibé sagte,<br />
Was er so toll fin<strong>de</strong>t, ist, da wer<strong>de</strong>n bestimmte<br />
Leute eingela<strong>de</strong>n, die einfach so in<br />
Frage kommen, und wenn die da eingela<strong>de</strong>n<br />
wer<strong>de</strong>n, dann machen die eine gute<br />
Show. Die zeigen, was sie drauf haben. Und<br />
dass er das auch als Kletterwettbewerb viel<br />
reizvoller fän<strong>de</strong>. Und das muss man <strong>de</strong>n<br />
Kletterwettbewerben ankrei<strong>de</strong>n: Die<br />
Wettbewerbe sind von <strong>de</strong>n Bewegungen<br />
auf <strong>de</strong>m Niveau vom Achter-Kletterer, aber<br />
von <strong>de</strong>n Ausdaueranfor<strong>de</strong>rungen auf <strong>de</strong>m<br />
Niveau, das im Moment Weltstandard ist.<br />
Aber die Kletterer können unheimlich<br />
wenig an Bewegungskunst so richtig<br />
zeigen. Wenn man sich je<strong>de</strong> an<strong>de</strong>re Aktivität,<br />
die populär ist zum Zuschauen,<br />
anguckt, dann leben die von diesem<br />
Element <strong>de</strong>r Bewegungskunst. Du kannst<br />
weiterhin nicht mit <strong>de</strong>r größten Fitness<br />
Fußballweltmeister wer<strong>de</strong>n, Gott sei dank.<br />
Also es geht ja schon ein bisschen in die<br />
Richtung, aber das sind die langweiligen<br />
Spiele. Je<strong>de</strong> Aktivität, die gerne geguckt<br />
wer<strong>de</strong>n will, – das muss man auch <strong>de</strong>n<br />
Bindhammers sagen, je<strong>de</strong>m, <strong>de</strong>r irgendwie<br />
mit <strong>de</strong>m <strong>Klettern</strong> Geld verdienen will –<br />
muss sich überlegen: Was kann ich <strong>de</strong>nn<br />
<strong>de</strong>m Zuschauer überhaupt bieten? Und das<br />
ist eigentlich nur Bewegungskunst, dass<br />
sie unerhörte Sachen sehen, die sie<br />
motivieren, wie das beim Sharma o<strong>de</strong>r<br />
auch beim Klem <strong>de</strong>r Fall ist. Die sehen<br />
Sachen, die sie selber nicht machen<br />
können. Der Gedanke, da oben nicht mü<strong>de</strong><br />
zu sein, wenn du überhaupt nicht siehst,<br />
was für Griffe das eigentlich sind, ist nicht<br />
so spannend. Es wird kein professionelles<br />
<strong>Klettern</strong> geben können, wenn dieser<br />
Gedanke nicht stärker verfolgt wird.<br />
klettern: Da sind aber doch die Boul<strong>de</strong>rwettbewerbe<br />
ein erster Schritt?<br />
Udo: Auch da wird sich noch etwas än<strong>de</strong>rn.<br />
Wo wir uns extrem umsehen wer<strong>de</strong>n, ist bei<br />
<strong>de</strong>n jungen Amerikanern. Man muss sich<br />
noch mal auf <strong>de</strong>r Zunge zergehen lassen,<br />
dass <strong>de</strong>r Dave Graham bei einem Boul<strong>de</strong>rwettbewerb<br />
in Salt Lake City sechster<br />
wur<strong>de</strong>, <strong>de</strong>r Mann <strong>de</strong>s Jahrzehnts, so<br />
ungefähr, wird beim Boul<strong>de</strong>rwettbewerb<br />
sechster. Und <strong>de</strong>r ist Welten schwächer als<br />
Stephen Jeffreys in <strong>de</strong>m Boul<strong>de</strong>rwettbewerb,<br />
<strong>de</strong>r Stephen Jeffreys flasht in <strong>de</strong>m<br />
Wettbewerb Sachen, die kann <strong>de</strong>r Dave<br />
überhaupt nicht klettern. Und <strong>de</strong>r Stephen<br />
Jeffreys sieht aus wie eine große Katze, <strong>de</strong>r<br />
gleitet da durch, und du <strong>de</strong>nkst: „Wo ist<br />
<strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r Gag?“ Und dann siehst du Dave<br />
Graham und <strong>de</strong>n Klem, wie er einfach wie<br />
ein Ochs vorm Berg steht. Die jungen<br />
Amerikaner haben sehr stark dieses<br />
Verspielte. Die Deutschen verstehen das<br />
Boul<strong>de</strong>rn halt auch nicht so richtig. Die<br />
verstehen <strong>de</strong>n verspielten Aspekt nicht.<br />
klettern: Weil sie es mehr als Training sehen?<br />
Udo: Ja, und dann haben sie ein sehr<br />
starkes Definitionsbedürfnis von Regeln,<br />
mit <strong>de</strong>r Zonenregelung und so. Und wenn<br />
die Boul<strong>de</strong>rwettbewerbe von Leuten<br />
interpretiert wer<strong>de</strong>n, die das Boul<strong>de</strong>rn nur<br />
als Training sehen, ist das etwa so, als ob<br />
du als unzureichen<strong>de</strong>r Musiker etwas von<br />
Mozart interpretieren musst. In Europa ist<br />
die Philosophie beim Schrauben, wie<br />
Wolfgang Güllich es einmal ausgedrückt<br />
hat, sukzessives Ausbrennen. Die Selektion<br />
kommt daher, dass du die Leute einfach<br />
mü<strong>de</strong> machst wie wir das in München 2000<br />
gesehen haben. Immer die gleichen Griffe,<br />
irgendwann mal sind die Leute mü<strong>de</strong>, und<br />
dann macht es „Oh“, und sie fallen ab.<br />
Raffinierter ist es natürlich, wenn du die<br />
Leute bewegungsmäßig unter Druck setzt.<br />
Eigenartiger wiese war das so in München,<br />
dass nur die Männerboul<strong>de</strong>r so bescheuert<br />
geschraubt waren. Die Frauenboul<strong>de</strong>r<br />
waren viel mehr in die Richtung. Deswegen<br />
hat auch die Marietta gewonnen. Weil die<br />
Marietta, das muss man schon sagen,<br />
»Die Deutschen verstehen<br />
das Boul<strong>de</strong>rn nicht<br />
so richtig. Die verstehen<br />
<strong>de</strong>n verspielten Aspekt<br />
nicht«<br />
einfach die beste Kletterin von <strong>de</strong>nen ist.<br />
Ganz viele von <strong>de</strong>n Frauen sind unheimliche<br />
Krallfrösche, tierisch viel Fingerkraft.<br />
wenn du aber die ersten paar Boul<strong>de</strong>r von<br />
<strong>de</strong>n Frauen gesehen hast, da war dir ganz<br />
klar, <strong>de</strong>n Wettkampf kann nur die Marietta<br />
gewinnen. Weil die Marietta die einzige ist,<br />
die ne funktionieren<strong>de</strong> Körperspannung<br />
hat, die halt auch viel im Fels geklettert ist<br />
und die auch nicht so ein hohes Kontrollbedürfnis<br />
hat. Da waren Sachen, die hat keine<br />
Frau geklettert, Marietta hat sie geflasht.<br />
Aber bei <strong>de</strong>n Männern gab es so was nicht.<br />
Bei <strong>de</strong>n Männern war’s wirklich so, am<br />
letzten Griff bei<strong>de</strong> Hän<strong>de</strong> nachgechalkt. Da<br />
muss man echt sagen, Jungs, das habt ihr<br />
super gemacht, <strong>de</strong>r Fürst als Routenbauer<br />
im Boul<strong>de</strong>rn, jemand <strong>de</strong>r erklärtermaßen<br />
das Boul<strong>de</strong>rn geringschätzt. Dann geht’s<br />
nicht weiter.<br />
klettern: Wie müsste <strong>de</strong>nn ein Boul<strong>de</strong>rwettbewerb<br />
<strong>de</strong>iner Meinung nach aussehen?<br />
Udo: Der Boul<strong>de</strong>rwettbewerb <strong>de</strong>r Zukunft<br />
geht nicht über kleinere Griffe, die du<br />
krallen kannst, weil da ist die Grenze<br />
ziemlich erreicht. Son<strong>de</strong>rn da siehst du<br />
Leute, die sich bewegen können, wie wir<br />
nur von träumen können, und die zittern<br />
am ganzen Leib und machen die Bewegung<br />
gera<strong>de</strong>so ums Arschlecken. Und zwar vom<br />
Bo<strong>de</strong>n ab. Und beim nächsten Zug wird<br />
alles noch schlimmer. Und dann machen<br />
sie <strong>de</strong>n auch noch, und dann wird alles<br />
noch schlimmer. Um so etwas wie chalken<br />
können die sich nicht mehr kümmern. Die<br />
sind von vornherein überfor<strong>de</strong>rt, bewegungsmäßig.<br />
Und das ist <strong>de</strong>r Boul<strong>de</strong>rwettbewerb<br />
<strong>de</strong>r Zukunft.<br />
klettern: Vielen Dank, Herr Neumann.<br />
KLETTERN SEPTEMBER 2001