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Genuserwerb in DaZ I

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<strong>Genuserwerb</strong> <strong>in</strong> <strong>DaZ</strong> I<br />

Flexionserwerb <strong>in</strong> Deutsch als Zweitsprache<br />

W<strong>in</strong>tersemester 2011/12<br />

Said Sahel


Die Lernaufgabe


• Das Genus ist e<strong>in</strong>e lexikalische Kategorie des Substantivs.<br />

→ Lexikone<strong>in</strong>trag von Haus: [_ Neutr]<br />

• Das Genus ist dem Substantiv <strong>in</strong>härent und ‚grammatisch verdeckt‘.<br />

→ Haus: Es gibt ke<strong>in</strong>e Markierung, die auf das Genus h<strong>in</strong>weist.<br />

• Das Genus wird morphologisch an den Substantivbegleitern angezeigt:<br />

→ das Haus, e<strong>in</strong> altes Haus<br />

• Nicht immer hat das Substantiv e<strong>in</strong>en Begleiter!<br />

→ Wasser ist knapp.<br />

• E<strong>in</strong> und das selbe Genus wird durch unterschiedliche Artikelformen bzw.<br />

Flexive angezeigt.<br />

• E<strong>in</strong> und die selbe Artikelform bzw. das selbe Flexiv steht für<br />

unterschiedliche Genera.


• Die Probleme beim <strong>Genuserwerb</strong> resultieren u.a. daraus,<br />

1. dass die sprachlichen Elemente, an denen Genus markiert wird, ke<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>deutigen<br />

H<strong>in</strong>weise auf das Genus tragen,<br />

2. dass sie nicht immer mit dem Substantiv auftreten und<br />

3. dass die Genusmarkierung kasus- und numerusabhängig erfolgt: je nach Kasus und<br />

Numerus gibt es für e<strong>in</strong> und dasselbe Genus verschiedene Flexive.<br />

→ Kasus, Numerus und Genus fusionieren <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Flexiv!


• Die Determ<strong>in</strong>ierer haben primär andere semantische bzw. grammatische<br />

Funktionen:<br />

– semantische Funktion: Unterscheidung zwischen bestimmter und unbestimmter<br />

Referenz,<br />

– grammatische Funktion: Unterscheidung zwischen den grammtischen Funktionen (z.B.<br />

Subjekt vs. Objekt).


• Erfolgt der <strong>Genuserwerb</strong> durch imitatives Lernen (Substantiv wird<br />

zusammen mit dem Artikel gespeichert) oder eher dadurch, dass Regeln<br />

für die Genuszuweisung erkannt und ausgebildet werden?<br />

• Gegen imitatives Lernen:<br />

1. extreme Belastung des Gedächtnisses,<br />

2. die Artikelform bleibt nicht gleich, sondern ändert sich abhängig vom Numerus und<br />

Kasus: <strong>in</strong> die Schule, aber <strong>in</strong> der Schule und durch die Fenster,<br />

3. Häufige Fehler bei hochfrequenten Substantiven wie K<strong>in</strong>d und Mädchen.


• Der Erwerb von Genus erfolgt abhängig vom Erwerb von Numerus und<br />

Kasus: korrekte Genusmarkierungen s<strong>in</strong>d erst dann möglich, wenn auch<br />

die Kasus und die Numeri erworben werden!<br />

• Wenn das K<strong>in</strong>d aus dem Artikel das Genus erschließen soll, muss es den<br />

Artikelformen bestimmte Funktionen zugewiesen haben.<br />

• Teufelskreis:<br />

– Die korrekte Genuszuweisung und -markierung ist erst dann möglich, wenn die Kasus<br />

und Numeri erworben s<strong>in</strong>d.<br />

– Die korrekte Kasusmarkierung ist von der Genuszuweisung abhängig.


Phasen des <strong>Genuserwerb</strong>s


• <strong>Genuserwerb</strong> erfolgt nicht durch imitative Lernstrategien.<br />

• Vielmehr kommen hierbei kognitiv-analytische Erwerbsstrategien zum<br />

E<strong>in</strong>satz.<br />

• Phasen des <strong>Genuserwerb</strong>s bei K<strong>in</strong>dern mit Türkisch als L1:<br />

1. Fehlen jeglicher Genusmarkierung.<br />

2. Semantische Determ<strong>in</strong>ation, aber ke<strong>in</strong>e Genusmarkierung.<br />

3. Reduktion der Formenvielfalt.<br />

4. grammatisch motivierte Genusfehler:<br />

1. syntaktische Um<strong>in</strong>terpretation der Genusmarker <strong>in</strong> Kasusmarker<br />

2. semantische Um<strong>in</strong>terpretation der Genusmarker <strong>in</strong> Numerus.<br />

5. Ausbildung von Regeln:<br />

1. erste Genusregeln: Das natürliche Geschelchtspr<strong>in</strong>zip (das NGP)<br />

2. Ausbildung formaler Regeln.


Phase 1: Fehlen jeglicher Genusmarkierung<br />

• Substantive werden kurze Zeit ohne Artikel verwendet, auch Pronom<strong>in</strong>a<br />

fehlen <strong>in</strong> dieser ersten Phase.<br />

→ Genusmarker fehlen vollständig!<br />

• Erklärung: Artikel transportieren wie andere Funktionswörter <strong>in</strong> den<br />

Augen der K<strong>in</strong>der ke<strong>in</strong>e Inhalte und werden daher weder wahrgenommen<br />

noch produziert<br />

• Artikel werden von L2-K<strong>in</strong>dern früher gebraucht als von L1-K<strong>in</strong>dern, auch<br />

jedoch nicht als Genusmarker, sondern <strong>in</strong> anderen syntaktischen und<br />

semantischen Funktionen.


Phase 2: Semantische Determ<strong>in</strong>ation, aber ke<strong>in</strong>e Genusmarkierung<br />

• K<strong>in</strong>der verwenden den bestimmten und unbestimmten Artikel, jedoch<br />

nicht als Genusmarker, sondern zur Anzeige von bestimmter und<br />

unbestimmter Referenz.<br />

der vs. e<strong>in</strong> und die vs. e<strong>in</strong>e<br />

• Die semantischen Funktionen (bestimmt vs. unbestimmt) werden erkannt<br />

und realisiert, die Genera aber nicht unterschieden.<br />

• Genusfehler entstehen dadurch, dass die Artikel im H<strong>in</strong>blick auf Genus<br />

willkürlich verwendet werden.


Phase 3: Reduktion der Formenvielfalt:<br />

• Bei der Anzeige bestimmter bzw. unbestimmter Referenz beschränken sich<br />

die K<strong>in</strong>der auf wenige Artikelformen (die bzw. e<strong>in</strong>).<br />

• Es werden <strong>in</strong> ke<strong>in</strong>em Fall alle Formen für dieselbe Funktion verwendet.<br />

• Die Reduktion der Formenvielfalt erfolgt deshalb, weil die K<strong>in</strong>der den<br />

vielen Artikelformen ke<strong>in</strong>e Funktion zuordnen können.<br />

→<br />

K<strong>in</strong>der stellen das Problem der Genusmarkierung zurück!<br />

• Vorteile dieser Strategie:<br />

– Genusverstöße führen praktisch nie zu Missverständnissen.<br />

– Aneignung von morphologischen und syntaktischen Bereichen, die funktional<br />

relevanter s<strong>in</strong>d, hat Priorität.


Phase 4: grammatisch motivierte Genusfehler<br />

syntaktische Um<strong>in</strong>terpretation der Genusmarker <strong>in</strong> Kasusmarker<br />

• Das K<strong>in</strong>d fängt an, den Artikeln bzw. den Flexiven syntaktische Funktionen<br />

zuzuordnen:<br />

– r-Formen (der, dieser…) dienen als Subjekte.<br />

– s-Formen (das, dieses…) dienen als Objekte.<br />

semantische Um<strong>in</strong>terpretation der Genusmarker <strong>in</strong> Numerus:<br />

– e-Formen (die, diese…) werden bei Plural-NPs verwendet<br />

• der/die dient zur Numerusunterscheidung; die wird als Numerusmarker<br />

klassifiziert, obwohl die als Fem<strong>in</strong><strong>in</strong>-Marker im Input frequenter ist.<br />

→ Auch <strong>in</strong> dieser Phase f<strong>in</strong>det noch ke<strong>in</strong>e Genusmarkierung statt; die<br />

verschiedenen Formen werden zur Unterscheidung von Subjekt und Objekt<br />

bzw. als Numerusmarker gebraucht.


Phase 5: Ausbildung von Regeln<br />

Erste Genusregeln: Das natürliche Geschlechtspr<strong>in</strong>zip (das NGP)<br />

• Der Schlüssel zur Entdeckung der Kategorie Genus liegt im semantischen<br />

Unterschied der Substantive zur Bezeichnung von männlichen und<br />

weiblichen Personen.<br />

• Es wird e<strong>in</strong> Genussystem gebraucht, bei dem die r-Formen für männliche,<br />

die e-Formen für weiblichen Personen, die s-Formen für Sachen<br />

verwendet und übergeneralisiert werden.<br />

• Somit werden bestimmte Formen bestimmen Genera zugeordnet.<br />

→<br />

Der <strong>Genuserwerb</strong> beg<strong>in</strong>nt!


Phase 5: Ausbildung von Regeln<br />

Ausbildung formaler Regeln<br />

• Die Ausbildung formaler Regeln wird durch die bisher etablierten Regeln<br />

verzögert und blockiert.<br />

• Bilden L2-K<strong>in</strong>der auch phonologische Regeln aus, anhand derer sie<br />

Substantive den e<strong>in</strong>zelnen Genera zuordnen?<br />

• Experiment mit Pseudowörtern.


Genus im Erstspracherwerb


• Bis <strong>in</strong> die zweite Hälfte des dritten Lebensjahres werden die Artikel <strong>in</strong><br />

reduzierter Form produziert:<br />

de für den bestimmten und n für den unbestimmten Artikel<br />

• Erst wenn die K<strong>in</strong>der anfangen (etwa ab 2;6), die Vollformen des Artikels<br />

zu produzieren, kann die Korrektheit des Genus beurteilt werden.<br />

• Wenn der Artikel <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Vollform produziert wird, ist er meistens richtig<br />

im Genus.<br />

• Die ersten Artikelformen ersche<strong>in</strong>en im Nom<strong>in</strong>ativ, der <strong>in</strong> Akkusativ-<br />

Kontexten übergeneralisiert wird.<br />

• Auch wenn für den Akkusativ der Nom<strong>in</strong>ativ verwendet wird, ist der<br />

Artikel im Genus richtig den → der<br />

• E<strong>in</strong>zelfallstudien:<br />

– Im dem Alter von 2;9 ist der korrekte Gebrauch aller drei Genera belegt.<br />

– Im Alter von 2;6 ist die Unterscheidung zwischen Maskul<strong>in</strong>um und Neutrum belegt.<br />

– Im Alter von 2;3 s<strong>in</strong>d die Artikelformen aller drei Genera belegt, der Gebrauch ist aber<br />

unsystematisch bzw. willkürlich.<br />

– Im Alter zwischen 2;3 und 2;8 f<strong>in</strong>det e<strong>in</strong>e Übergeneralisierung der Artikelform die statt:<br />

die Mann, die d<strong>in</strong>g, die Papier


• Reihenfolge des Artikelerwerbs:<br />

1. unbestimmte Artikel (e<strong>in</strong>, e<strong>in</strong>e …),<br />

2. Possessivpronomen (me<strong>in</strong>, de<strong>in</strong>…) und der Negationsartikel (ke<strong>in</strong>),<br />

3. bestimmte Artikel (der, die …).


Experiment von Mills (1978):<br />

• Monol<strong>in</strong>gual deutsche K<strong>in</strong>der zwischen 5-10 Jahren sollten 10<br />

Substantiven (allesamt Bezeichnungen für Spielzeug) e<strong>in</strong> Genus zuweisen.<br />

• Alle 10 Substantive wurden mit den drei Artikeln der, die, das dargeboten<br />

• Die K<strong>in</strong>der sollten sich für e<strong>in</strong>en Artikel entscheiden.<br />

• Insgesamt wurden trotz der für K<strong>in</strong>der ungewöhnlichen Aufgabenstellung<br />

sehr wenig Fehler gemacht.<br />

• Die Fehler kamen ausschließlich bei 5-6 Jährigen vor.<br />

• Fem<strong>in</strong><strong>in</strong>a erreichten den höchsten Korrektheitswert.<br />

• Die Übergeneralisierung der Artikelform die war viel häufiger als die von<br />

der und das.

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