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Viertelstunde Weihnachten 2014

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viertelstunde.ch Dez. <strong>2014</strong> viertelstunde.ch Dez. <strong>2014</strong><br />

4 SCHWEIZ<br />

SCHWEIZ / KOLUMNE 5<br />

Repräsentative Meinungsumfrage:<br />

Wie kann man in<br />

unserer Gesellschaft<br />

versöhnt<br />

und in Frieden<br />

leben? Hilft etwa<br />

auch die Religion<br />

dazu – oder<br />

schadet sie eher?<br />

Die «<strong>Viertelstunde</strong><br />

für den Glauben»<br />

wollte wissen,<br />

was die Bevölkerung<br />

dazu<br />

meint und hat<br />

eine Umfrage in<br />

Auftrag gegeben.<br />

In einer Zeit, in der<br />

grosse Religionskonflikte im<br />

Nahen Osten und in Afrika<br />

die Welt bewegen, hat die<br />

Frage von Religion und Versöhnung<br />

etwas Provokatives.<br />

Die Meinungen zu diesem<br />

Thema gehen denn<br />

auch weit auseinander: Aus<br />

den Antworten zeigt sich,<br />

dass ähnlich viele Menschen<br />

(49 Prozent) meinen,<br />

die religiösen Einstellungen<br />

seien für Versöhnung und<br />

Frieden nützlich, während<br />

diese Ansicht von nahezu<br />

ebenso vielen (47 Prozent)<br />

abgelehnt wird.<br />

Versöhnung –<br />

ein Alltagsthema<br />

Versöhnung sei für die<br />

Menschen in der Schweiz<br />

eines unter verschiedenen<br />

relevanten Alltagsthemen,<br />

sagt der Religionssoziologe<br />

Jörg Stolz von der Universität<br />

Lausanne. Von den religiösen<br />

Personen werde dies<br />

auch religiös begründet.<br />

«Andere rahmen die Frage<br />

anders, zum Beispiel psychologisch»,<br />

so Stolz.<br />

Demokratie braucht<br />

Konflikte<br />

Der Religionssoziologe<br />

weist auch darauf hin, dass<br />

Streit und Konflikt in jeder<br />

Gesellschaft notwendig seien:<br />

«Die Frage ist, wie man diese<br />

kanalisiert». Funktionierende<br />

Demokratie, Gewaltenteilung<br />

und das Rechtssystem<br />

seien Möglichkeiten,<br />

den Streit in einer möglichst<br />

sinnvollen Weise für die Gesellschaft<br />

zu nutzen.<br />

Religion wichtig für<br />

Versöhnung<br />

Gemäss der Umfrage<br />

gehören 80 Prozent der Bevölkerung<br />

zu einer religiösen<br />

Glaubensgemeinschaft<br />

oder Konfession oder halten<br />

sich für religiös-spirituell.<br />

Davon sind 64 Prozent in<br />

einer christlichen Kirche.<br />

Verbinden diese Menschen<br />

ihre eigene religiöse Einstellung<br />

auch mit ihrem Suchen<br />

nach Frieden und Versöhnung?<br />

Für eine deutliche<br />

Mehrheit (58 Prozent) ist dieser<br />

Zusammenhang stimmig.<br />

Sie bestätigen nämlich, dass<br />

ihr Wunsch nach und ihr<br />

Einsatz für die Versöhnung<br />

Hilft Religion auf dem<br />

Weg zu Frieden und Ver söhnung?<br />

Welche der folgenden Persönlichkeiten halten Sie ganz<br />

persönlich für ein gutes Beispiel, wenn es um das Thema<br />

Versöhnung geht?<br />

Papst Franziskus<br />

Nelson Mandela<br />

Prophet Mohammed<br />

Mutter Theresa<br />

Jesus Christus<br />

Mahatma Ghandi<br />

Buddha<br />

55<br />

85<br />

26<br />

76<br />

Wo Menschen nahe<br />

beieinander leben,<br />

kommt es immer<br />

wieder zu Konflikten.<br />

Helfen religiöse<br />

Werte, Konflikte zu<br />

lösen und das Zusammenleben<br />

friedlicher<br />

zu gestalten?<br />

ganz oder teilweise aus ihrer<br />

religiösen Einstellung kommen.<br />

Dies gilt ganz besonders<br />

auch für die nicht-christlichen<br />

und nicht jüdischen<br />

Religionsgemeinschaften,<br />

die weniger säkularisiert sind<br />

71 20 1 8<br />

73<br />

28 6 11<br />

51 10 13<br />

10 1 4<br />

16 2 6<br />

14 7 6<br />

55 28 6 11<br />

0 % 20 % 40 % 60 % 80 % 100 %<br />

Ja Nein Kenne ich nicht Weiss nicht/keine Antwort<br />

Fotolia.com<br />

Wie sehr stimmen Sie der folgenden Aussage<br />

zu: Religiöse Überzeugungen oder spirituelle<br />

Einstellungen helfen in der Schweiz,<br />

dass Menschen versöhnt miteinander Leben.<br />

17%<br />

30%<br />

Hilft Ihnen Ihre religiöse Überzeugung oder<br />

spirituelle Einstellung dabei, ein Leben in<br />

Frieden und ohne Streit mit anderen Menschen<br />

zu führen?<br />

37.8%<br />

4%<br />

3.7%<br />

8%<br />

41%<br />

58.5%<br />

und ihre Versuche, friedlich<br />

zu leben, noch deutlich stärker<br />

religiös begründen. Weit<br />

über 70 Prozent bejahten unter<br />

ihnen diese Frage, gegenüber<br />

52 Prozent bei den Evangelisch-Reformierten<br />

und 56<br />

Prozent bei den Katholiken.<br />

Note «gut» für Jesus<br />

Gibt es Vorbilder, die bei<br />

der Versöhnung besonders<br />

inspirierend sind? Darauf<br />

bezog sich eine weitere Frage,<br />

die sieben Vorbilder, von Jesus<br />

bis Papst Franziskus, einander<br />

gegenüberstellte. Aus<br />

christlicher Tradition gilt ja<br />

Jesus als eigentlicher Versöhner<br />

und Friedensstifter –<br />

sollte man meinen. Die Befragten<br />

sehen das etwas anders.<br />

Im Vergleich zu anderen<br />

bekannten Persönlichkeiten<br />

aus der Neuzeit schneidet Jesus<br />

mit 71 Prozent Zustimmung<br />

im Mittelfeld ab. Note<br />

«gut», aber nicht «hervorra-<br />

Stimmt sehr zu<br />

Stimmt eher zu<br />

Stimmt eher nicht zu<br />

Stimmt überhaupt nicht zu<br />

Weiss nicht/keine Antwort<br />

Ja<br />

Nein<br />

Weiss nicht/keine Antwort<br />

gend», könnte man sagen.<br />

Allerdings finden die Befragten,<br />

die sich vorgehend zu einer<br />

höheren Bedeutung der<br />

Religion für die Versöhnung<br />

ausgesprochen haben, bei Jesus<br />

eine sehr hohe Vorbildfunktion<br />

(85 Prozent). Generell<br />

fanden von allen erwähnten<br />

Vorbildern besonders<br />

Nelson Mandela und Mutter<br />

Theresa hohen Zuspruch.<br />

«Moralisten» sind wir alle<br />

Bleiben also in der Schweiz<br />

religiöse Werte eine wichtige<br />

Grundlage, mit der die Menschen<br />

den Weg der Versöhnung<br />

und das friedliche Zusammenleben<br />

suchen? Ja,<br />

meint dazu die Hälfte der<br />

Bevölkerung. Und bei den<br />

Menschen mit einer religiösen<br />

Anbindung sind es noch<br />

deutlich mehr. Was ist aber<br />

mit den anderen, mit den<br />

Säkularen, den aus der Religionsgemeinschaft<br />

Ausge-<br />

zvg<br />

WAS HAT VERSÖHNUNG<br />

MIT RECHT ZU TUN?<br />

Gott sagt von sich selber: «Ich bin der Herr, der das<br />

Recht liebt» (Jesaja 61.8). Unter anderem aus diesem<br />

Grund bin ich begeisterte Juristin. In meiner Arbeit<br />

als Professorin ist es mir ein Anliegen, dass die<br />

Studierenden ein Verständnis für gerechte Lösungen<br />

bei zwischenmenschlichen Konflikten entwickeln.<br />

Obschon ich längst nicht mit allen Gesetzen einverstanden<br />

bin, sehe ich doch primär die positive Seite<br />

des staatlichen Rechts. Beispielsweise hat die<br />

Strafjustiz in der Schweiz schon vor langer Zeit die<br />

Blutrache verdrängt und das Kindes- und Erwachsenenschutzrecht<br />

ermöglicht den Schutz der Schwächsten<br />

in unserer Gesellschaft.<br />

Und trotzdem: Gesetze schaffen keine heile Welt.<br />

Mit einem Urteil, das ein Gericht nach sorgfältigem<br />

Abwägen der Argumente beider Seiten findet, sind<br />

die Betroffenen oft nicht zufrieden. Ob nach einer<br />

Scheidung oder einem Nachbarschaftsstreit wieder<br />

echter Friede einkehren kann, ob sich die beteiligten<br />

Menschen wieder in die Augen schauen können:<br />

Das alles können auch die besten Gesetze und<br />

Gerichte nicht bewirken. Das Recht kann nicht<br />

verhindern, dass Menschen auf immer neue Weise<br />

versuchen, ihre persönliche Sichtweise des Konflikts<br />

durchzusetzen und schliesslich über einem jahrelangen<br />

Rechtsstreit verbittert werden. Zwar kann eine<br />

Wertung des Gesetzgebers oder ein Richterspruch<br />

unter Umständen dazu beitragen, dass die Streitfrage<br />

auf rechtlicher Ebene beseitigt ist. Echte Versöhnung<br />

ist damit noch nicht erreicht. Sie bleibt Aufgabe der<br />

Betroffenen. Ich wünsche mir, dass in der kommenden<br />

Weihnachtszeit viele Menschen den Mut und die<br />

Kraft finden, ihren Kampf um das Recht beiseite zu<br />

legen und erste, vielleicht noch zaghafte Schritte zur<br />

Versöhnung mit ihrem Nächsten – und letztlich auch<br />

mit Gott – zu tun.<br />

Regina Aebi-Müller ist Professorin für Privatrecht<br />

an der Universität Luzern<br />

tretenen? Ist für sie Versöhnung<br />

weniger wichtig? Das<br />

wäre wohl ein falscher Rückschluss.<br />

Dazu Jörg Stolz:<br />

«Tatsächlich ist es so, dass religiöse<br />

Personen normalerweise<br />

ihr moralisches und<br />

ethisches Handeln auch oder<br />

vorrangig religiös begründen.<br />

Wenig religiöse Personen<br />

sind jedoch nach unseren<br />

Erkenntnissen nicht weniger<br />

‹moralisch› oder ‹werthaft›.<br />

Nur begründen sie ihr<br />

Handeln nicht religiös.»<br />

Thomas Hanimann<br />

zvg<br />

« Jeder Mensch hat<br />

seine ganz persönliche<br />

Geschichte.<br />

Darum sollten wir versuchen,<br />

alle Menschen<br />

so zu akzeptieren, wie<br />

sie sind. Für mich<br />

bedeutet Versöhnung,<br />

den Frieden mit sich<br />

selber finden und<br />

Liebe zu schenken.»<br />

Bruno Graber,<br />

Gefängisleiter Justizvollzugsanstalt<br />

Lenzburg

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