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A. Lerndaten 6. Teil B. Inhaltsübersicht 6. Teil C. Lernkontrolle

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Lernprogramm Strafrecht <strong>6.</strong> <strong>Teil</strong><br />

117<br />

______________________________________________________________________________________<br />

A. <strong>Lerndaten</strong> <strong>6.</strong> <strong>Teil</strong><br />

Seiten: 28 (144 insgesamt)<br />

! ca. 120 Minuten (545 insgesamt)<br />

B. <strong>Inhaltsübersicht</strong> <strong>6.</strong> <strong>Teil</strong><br />

75 Die fünf Handlungsstadien<br />

76 Strafbarkeitsgrund des Versuchs<br />

77 Versuchsaufbau<br />

78 Die drei Wesenselemente des Versuchs<br />

79 Einzelheiten zu § 22<br />

80 Weiterführende Rechtsprechung zur Abgrenzung Vorbereitungshandlung/Versuch<br />

81 Untauglicher Versuch und Wahndelikt<br />

82 § 24: Ratio der gesetzlichen Regelung<br />

82 a Prüfungsschema §§ 22, 23 I, 24<br />

83 § 24: Fallvarianten<br />

84 Unanwendbarkeit des § 24 (Fallgruppen)<br />

85 Problem beendeter/unbeendeter Versuch<br />

85 a Rechtsprechung und weitere Probleme des beendeten/unbeendeten<br />

Versuchs<br />

86 § 24 I, II: Einzelheiten der Prüfung<br />

87 Weitere Einzelheiten zum Rücktritt vom Versuch<br />

88-93 RN bleiben zunächst unbesetzt<br />

C. <strong>Lernkontrolle</strong><br />

1. Durcharbeiten am: ...............<br />

2. Durcharbeiten am: ...............<br />

3. Durcharbeiten am: ...............<br />

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Lernprogramm Strafrecht <strong>6.</strong> <strong>Teil</strong><br />

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<strong>6.</strong> <strong>Teil</strong>: Versuch<br />

υ Lernhinweis: Das Lernprogramm beginnt mit der Darstellung<br />

der Versuchsproblematik selbst (RN 75-81). Daran schließen<br />

sich Fragen zum Rücktritt vom strafbaren Versuch an (RN 82 ff.).<br />

1. Abschnitt: Die Versuchsproblematik (§§ 22, 23)<br />

75 Fünf Handlungsstadien<br />

(1) Stadium der Entschlussfassung<br />

• Grundsatz: Straflos<br />

• Ausnahme: Strafbar (z.B. nach § 30 II)<br />

(2) Stadium Vorbereitungshandlung<br />

• Grundsatz: Straflos<br />

• Ausnahme: Strafbar (z.B. nach §§ 80, 83, 98, 149)<br />

(3) Stadium Versuch: Es ist zu unterscheiden -<br />

a) Vergehen: Strafbar nach §§ 23 I, 12 i.V.m. einer Norm des<br />

Besonderen <strong>Teil</strong>s (z.B. §§ 223 II, 224 II, 242 II, 263 II)<br />

b) Verbrechen: Strafbar nach §§ 23 I, 12<br />

c) Beim Rücktritt nach § 24 I 1: Unterscheidung unbeendeter<br />

/ beendeter Versuch<br />

(4) Stadium der Vollendung<br />

(5) Stadium der Beendigung<br />

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Lernprogramm Strafrecht <strong>6.</strong> <strong>Teil</strong><br />

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υ Zur Beachtung: Die Stadien (1) bis (3) haben Bedeutung für<br />

die Strafbarkeit an sich. Die Stadien (3) und (4) erlangen Bedeutung<br />

für § 24 (Rücktritt), denn nach Vollendung kann ein Rücktritt<br />

nicht mehr erfolgen (beachte aber die Möglichkeit der tätigen<br />

Reue, z.B. § 306 e). Die Stadien (4) und (5) sind wichtig für die<br />

Möglichkeit der Verwirklichung qualifizierender Merkmale und der<br />

Tatbeteiligung.<br />

76 Strafbarkeitsgrund des Versuchs<br />

Maßgeblich ist die Betätigung des rechtsfeindlichen Willens, dessen<br />

Eindruck auf die Allgemeinheit zu einer Erschütterung des Rechtsbewusstseins<br />

und zur Gefährdung des Rechtsfriedens führen kann (=<br />

h.M. = gemischt subj.-obj. Theorie, sog. Eindruckstheorie).<br />

77 Versuchsaufbau<br />

Prüfungsschema 9: Versuchsprüfung<br />

1. Delikt vollendet?<br />

a) Wenn offensichtlich nein: Keine weitere Prüfung<br />

b) Wenn Zweifel: Zunächst Vollendung prüfen und dann auf Versuchsprüfung<br />

"umsteigen"<br />

2. Versuch strafbar (§§ 23 I, 12)?<br />

3. Subjektiver Tatbestand (= Tatentschluss i.S.d. § 22)<br />

a) Vorsatz<br />

b) Besondere Absichten u.ä.<br />

4. Objektiver Tatbestand<br />

a) Unmittelbares Ansetzen (subj.-obj. Theorie)<br />

b) u.U. besondere Merkmale des Handlungssubjekts<br />

5. Rechtswidrigkeit/Schuld<br />

<strong>6.</strong> Persönliche Strafausschließungs- und Strafaufhebungsgründe -<br />

wie z.B. Rücktritt (§ 24)<br />

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78 Die drei Wesenselemente des Versuchs<br />

Kennzeichnend für den Versuch ist ein Mangel am objektiven Unrechtstatbestand<br />

bei voller Erfüllung der subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen.<br />

Die drei Wesenselemente des Versuchs:<br />

(1) Fehlen der Tatvollendung - gegeben, wenn der objektive Tatbestand<br />

nicht oder nicht vollständig erfüllt ist<br />

(2) Tatentschluss - umfasst den auf alle objektiven Tatbestandsmerkmale<br />

gerichteten Vorsatz und die sonstigen subjektiven Tatbestandsmerkmale<br />

(insbesondere die besonderen "Absichten"). Der Entschluss zur<br />

Tat muss endgültig gefasst sein. Dem Tatentschluss entspricht bei den<br />

vollendeten Delikten der subjektive Tatbestand.<br />

(3) Unmittelbares Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung: Hier liegt<br />

ein schwieriges Abgrenzungsproblem verborgen, das in vielen Examensklausuren<br />

eine bedeutsame Rolle spielt - die Abgrenzung zwischen<br />

(in der Regel strafloser) Vorbereitungshandlung und (in der Regel<br />

strafbarem) Versuch.<br />

Es existieren im Wesentlichen vier Abgrenzungstheorien:<br />

(a)<br />

(b)<br />

(c)<br />

(d)<br />

(Ältere) formal-objektive Theorie - Versuch gegeben, wenn der Täter<br />

mit der "tatbestandsmäßigen Handlung" im strengen Sinn begonnen<br />

hat<br />

Materiell-objektive Theorie - Versuch gegeben, wenn ein Bestandteil<br />

der Tatbestandshandlung vorliegt oder eine unmittelbare Gefährdung<br />

des geschützten Handlungsobjekts eingetreten ist<br />

Subjektive Theorie - für den Versuchsbeginn ist allein das Vorstellungsbild<br />

des Täters entscheidend<br />

Gemischt subjektiv-objektive Theorie (h.M.): Kombination subj. und<br />

obj. Kriterien = heutiger § 22 (die Bestimmung bitte sehr sorgfältig<br />

nachlesen!)<br />

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υ Klausur- und Lernhinweise: Der Meinungsstreit ist heute ohne<br />

größere Bedeutung, weil sich der Gesetzgeber mit § 22 für<br />

die gemischt subjektiv-objektive Theorie ausgesprochen hat.<br />

υ Achtung: Damit herrscht aber keineswegs Klarheit! Problematisch<br />

ist und bleibt die Frage, wie sich die Formulierung von § 22<br />

konkret auf den Einzelfall hin auswirkt. Es bestehen große Meinungsunterschiede<br />

in Rechtsprechung und Lehre. Orientiert an<br />

§ 22 ist streitig, ob eher subjektive oder eher objektive Momente<br />

(bei letzteren vor allem im Hinblick auf eine Gefährdung des geschützten<br />

Rechtsguts) betont werden sollen. In RN 79 wird die<br />

h.M. dargestellt.<br />

79 Einzelheiten zu § 22<br />

a) Grundsätzliches<br />

Nach § 22 genügt nicht jedes Ansetzen zur Realisierung des Tatentschlusses,<br />

sondern nur ein Verhalten, das zwar selbst nicht tatbestandsmäßig<br />

zu sein braucht, das nach dem Gesamtplan des Täters<br />

jedoch so eng mit der tatbestandlichen Ausführungshandlung verknüpft<br />

ist, dass es bei ungestörtem Fortgang unmittelbar zur Verwirklichung<br />

des gesamten Straftatbestandes führen soll. Ob diese Voraussetzungen<br />

des § 22 im Einzelfall erfüllt sind, ist anhand eines objektiven Bewertungsmaßstabes<br />

zu entscheiden, für den der konkrete Tatvorsatz<br />

(= die Vorstellung des Täters von der Tat) die subjektive Beurteilungsgrundlage<br />

liefert.<br />

Je nach Tatplan und Art des zu verwirklichenden Straftatbestandes<br />

kann sich ein Indiz für die Tatbestandsnähe des "Ansetzens" und die<br />

erforderliche "Unmittelbarkeitsbeziehung" insbesondere daraus ergeben,<br />

dass die vom Täter in Gang gesetzte Ursachenreihe nach seiner<br />

Vorstellung vom Tatablauf ohne Zäsur und ohne weitere wesentliche<br />

Zwischenakte in die eigentliche Tatbestandshandlung einmünden<br />

soll, mit der Folge, dass aus seiner Sicht das Angriffsobjekt schon<br />

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konkret gefährdet erscheint. Bloße Vorbereitungshandlung ist hingegen,<br />

was die Ausführung der (für einen späteren Zeitpunkt geplanten)<br />

Tat nur ermöglichen oder erleichtern soll.<br />

Beispiele für (bloße) Vorbereitungshandlungen: Besorgen der Waffe,<br />

Herrichten der Waffe, Auskundschaften und Aufsuchen des vorgesehenen<br />

Tatortes, Hinschaffen der Tatwerkzeuge.<br />

υ S. zum Ganzen Wessels/Beulke, AT, RN 599-609 (bitte nachlesen!).<br />

b) Indizien für Vorliegen/Nichtvorliegen des Versuchsstadiums<br />

υ<br />

υ<br />

υ<br />

υ<br />

υ<br />

Tatplan<br />

Räumlich-zeitliche Tatbestandsnähe im Stadium des "Ansetzens"<br />

Notwendigkeit zur Überwindung weiterer Hindernisse auf dem Weg<br />

zur Realisierung des Tatentschlusses<br />

Konkrete Gefährdung des Angriffsobjekts<br />

Aufgabe der Geschehensherrschaft durch den Täter<br />

BGHSt 37, 294, 297 f. [Zwischenaktstheorie]: Ein unmittelbares Ansetzen<br />

liegt dann vor, wenn der Täter subjektiv die Schwelle zum "Jetzt<br />

geht es los" überschreitet und objektiv zur tatbestandlichen Angriffshandlung<br />

ansetzt, so dass sein Tun ohne (wesentliche) Zwischenakte<br />

in die Tatbestandserfüllung einmünden soll; bloße Vorbereitungshandlung<br />

ist, was die Ausführung der für einen späteren Zeitpunkt geplanten<br />

Tat nur ermöglichen oder erleichtern soll [Anmerkung: Der Begriff<br />

„Zwischenaktstheorie ist missverständlich, denn der „Zwischenakt“ ist<br />

lediglich das objektive Element der Abgrenzung, gleichwohl geht aber<br />

auch die Rechtsprechung von einer Mischung objektiver – Zwischenakt<br />

- und subjektiver – „Jetzt geht es los“ - Gesichtspunkte aus].<br />

υ Klausur- und Lernhinweise: In einer Klausur sollten Sie nach<br />

Hinweis auf § 22 in einem weiteren Schritt die oben genannten<br />

Indizien (gedanklich) prüfen, um das Ergebnis Ihrer Überlegungen<br />

festzulegen. Sodann nehmen Sie im Rahmen Ihrer Argumentation<br />

die Formulierungen des BGH auf, wobei Sie bitte<br />

darauf achten, stets den Bezug zu Ihrem Klausurfall herzustellen.<br />

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c) Weitere Einzelheiten zur Abgrenzung Vorbereitungshandlung<br />

- Versuch<br />

aa)<br />

bb)<br />

Echte Qualifikationstatbestände: Der Beginn mit der qualifizierenden<br />

Tatbestandshandlung genügt nur, wenn im unmittelbaren<br />

Anschluss daran die Verwirklichung des Grundtatbestandes folgen<br />

sollte.<br />

Mittäterschaft (BGH NStZ 1995, 120 = h.M.): Die Grenze zum<br />

Versuch wird für alle Mittäter schon dann überschritten, wenn<br />

auch nur einer von ihnen im Rahmen des gemeinsamen Tatentschlusses<br />

zur Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes<br />

unmittelbar ansetzt (so die sog. Gesamtlösung - dagegen die<br />

sog. Einzellösung, die auf den einzelnen Täter abstellt und für<br />

diesen, losgelöst von dem Handeln der anderen Tatbeteiligten,<br />

die Versuchsstrafbarkeit bemisst). Für die sog. Gesamtlösung<br />

spricht, dass Mittäter im Wege des bewussten und gewollten Zusammenwirkens<br />

gemeinsam eine Tat begehen, deren Versuch<br />

und Vollendung sich einheitlich vollzieht, weil jedem Mittäter nicht<br />

nur sein eigener Tatbeitrag, sondern auch das zugerechnet wird,<br />

was die übrigen Beteiligten zum Zwecke der Planverwirklichung<br />

tun.<br />

Sonderfall: Vermeintliche Mittäterschaft -<br />

BGHSt 39, 236: Der Grundsatz, dass alle Mittäter in das Versuchsstadium<br />

eintreten, sobald einer von ihnen zur Verwirklichung des Tatbestandes<br />

ansetzt, gilt nur, wenn dieser Beteiligte dabei (noch) mit dem<br />

Willen handelt, die Tat zur Ausführung zu bringen.<br />

Der Entscheidung des BGH (2. Strafsenat) lag folgender Sachverhalt<br />

zugrunde: A und B wollten den D in dessen Wohnung<br />

überfallen und berauben. Sie gewannen C als Mittäter, der jedoch<br />

noch vor Ausführung der Tat zur Polizei ging und alles offen<br />

legte. Als C (absprachegemäß) an der Tür des Opfers D klingelte,<br />

griff die Polizei zu. Der BGH sah das Versuchsstadium als<br />

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nicht erreicht an, da sich das Handeln des C nicht als (strafbarer)<br />

Versuch darstellte.<br />

υ Achtung: Anders urteilt der BGH (4. Strafsenat) für den Fall<br />

des untauglichen Versuchs (des Betrugs) bei vermeintlicher Mittäterschaft<br />

- BGHSt 40, 299 (die Entscheidung bitte nachlesen!);<br />

s. auch Wessels/Beulke, a.a.O., RN 612, die - m.E. zu Recht –<br />

darauf aufmerksam machen, dass der Täter auch bei einem untauglichen<br />

Versuch objektiv mit seiner Ausführungshandlung begonnen<br />

haben muss. Nach Wessels/Beulke, a.a.O., ist der Fall<br />

allerdings über § 265 strafbar.<br />

cc)<br />

Mittelbare Täterschaft<br />

(1) Grundsätzliches<br />

Nach h.M. kommt Versuch frühestens dann in Betracht, wenn<br />

der mittelbare Täter das von ihm in Gang gesetzte Geschehen<br />

in der Weise aus der Hand gegeben hat, dass der daraus resultierende<br />

Angriff auf das Opfer nach seiner Vorstellung von der<br />

Tat ohne weitere wesentliche Zwischenakte und ohne längere<br />

Unterbrechung im nachfolgenden Geschehensablauf unmittelbar<br />

in die Tatbestandsverwirklichung einmünden soll, spätestens<br />

dann, wenn der Tatmittler unmittelbar zur Vornahme der Tatbestandshandlung<br />

ansetzt (für die Rechtsprechung s. BGHSt 40,<br />

257, 268 f.).<br />

Nach einer Gegenauffassung kommt es maßgeblich auf die Einwirkungshandlung<br />

des Hintermanns auf den Tatmittler an (Herzberg,<br />

MDR 1973, 94 f.); wiederum andere anerkennen auch für<br />

den Hintermann ein unmittelbares Ansetzen erst dann, wenn der<br />

Tatmittler unmittelbar ansetzt (Küper, JZ 1983, 369).<br />

S. zu dieser Frage auch BGHSt 30, 363 ["Salzsäurefall"] - beschrieben<br />

bei Wessels/Beulke, a.a.O., RN 615.<br />

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(2) Sonderfall Selbstschädigungsfälle (Giftfalle u.ä. - dazu<br />

Joecks, Studienkomm., <strong>6.</strong> A. 2005, § 25, RN 58-60):<br />

(a)<br />

(b)<br />

Hier ist zunächst umstr., ob überhaupt ein Fall der mittelbaren<br />

Täterschaft gegeben ist (dafür u.a. Heckler, NStZ 1999, 79 und<br />

BGHSt 32, 42 [Sirius]; and. aber BGHSt 43, 177, 180 [Passauer Giftfalle]<br />

– ohne Begründung). In jedem Fall sind die Besonderheiten der<br />

Selbstschädigungsfälle zu berücksichtigen (dazu nachfolgend (b)).<br />

Der Versuchsbeginn bei den Selbstschädigungsfällen ist gleichfalls<br />

umstritten.<br />

υ Während ein <strong>Teil</strong> der Lehre eine konkrete Gefahr für das betroffene<br />

Rechtsgut fordert (Opfer muss sich in den „Wirkungskreis“<br />

des Tatmittels begeben), geht die h.L. davon aus, das ein<br />

unmittelbares Ansetzen schon dann anzunehmen ist, wenn der<br />

Täter den weiteren Geschehensablauf bewusst aus der Hand<br />

gibt, oder - bei fortdauernder Beherrschung - wenn das Opfer<br />

durch Einwirkung auf seine Sphäre gefährdet wird (Wessels/Beulke,<br />

a.a.O., RN 601, 603).<br />

υ Der BGH differenziert nach dem Vorstellungsbild: Steht für den<br />

Täter fest, dass Opfer werde erscheinen und sein für den Taterfolg<br />

eingeplantes Verhalten bewirken, so liegt eine unmittelbare<br />

Gefahr schon mit Abschluss der Tathandlung vor; hält der Täter<br />

ein Erscheinen des Opfers lediglich für möglich, aber letztlich<br />

noch ungewiss, so trete nach dem Plan des Täters eine unmittelbare<br />

Gefährdung des Rechtsguts erst dann ein, wenn das Opfer<br />

tatsächlich erscheint und dabei Anstalten trifft, die selbstschädigende<br />

Handlung vorzunehmen und sich deshalb die Gefahr<br />

für das Opfer „verdichtet“ (so im Fall BGHSt 43, 177, 181<br />

[Versuch verneint] – zur gegensätzlichen Fallkonstellation BGH<br />

NStZ 2001, 475).<br />

BGH NStZ 2001, 475 [Stromschlag-Fall]: Ist noch die unbewusste<br />

Mitwirkung des Opfers erforderlich, so ist das Versuchsstadium erreicht,<br />

wenn dies bei ungestörtem Fortgang der Dinge alsbald und innerhalb<br />

eines überschaubaren Zeitraum wahrscheinlich ist und nahe<br />

liegt [hier bejaht – bitte nachlesen].<br />

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______________________________________________________________________________________<br />

υ Mit dem Kriterium der „Gefahr“ sowie mit dem Kriterium „Aufgabe<br />

der Geschehensherrschaft“ liefert die Lehre zuverlässigere<br />

Ergebnisse als der BGH (problematisch v.a., wenn sich der Täter<br />

einen bestimmten Zeitraum der Tatverwirklichung als sicher vorstellt,<br />

vgl. Joecks, a.a.O.).<br />

dd) Erfolgsqualifizierte Delikte (Wessels/Beulke, a.a.O., RN 617)<br />

•<br />

Versuch ist dann gegeben, wenn der Täter bei voller Verwirklichung<br />

des Grundtatbestandes die qualifizierende Folge in seinen<br />

Vorsatz aufgenommen hat, ihr Eintritt aber ausbleibt, Versuch<br />

der Erfolgsqualifikation (z.B. §§ 239 III, bei Eventualvorsatz im<br />

Falle des § 226; BGH NStZ 2001, 371).<br />

BGH NStZ 2001, 371: Auch bei § 251 ist der Versuch in Form der<br />

„versuchten Erfolgsqualifizierung“ möglich (bitte nachlesen!)<br />

•<br />

•<br />

Gleiches gilt, wenn das Grunddelikt im Versuchsstadium stecken<br />

bleibt und zudem auch die schwere Folge nur angestrebt wird<br />

(Voraussetzung ist allerdings, dass der Versuch strafbar ist).<br />

Problem: Erfolgsqualifizierter Versuch (Täter führt die schwere<br />

Folge bereits durch den mit Strafe bedrohten Versuch des<br />

Grunddelikts herbei) – es ist zu unterscheiden (h.M.):<br />

Erfolgsqualifizierter Versuch<br />

(+), wenn Erfolg mit der Tathandlung<br />

verknüpft ist – z.B.<br />

§ 251 (BGHSt 42, 158; 46, 24,<br />

28)<br />

Nur Bestrafung wegen des<br />

versuchten Grunddelikts,<br />

wenn die Erfolgsqualifikation<br />

auf dem Erfolg des Grunddelikts<br />

beruht (z.B. § 313 II<br />

i.V.m. § 308 III)<br />

Zu den erfolgsqualifizierten Delikten und zum Aufbau des Versuchs<br />

der Erfolgsqualifikation s. u. RN 123 f.<br />

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ee)<br />

Unechte Unterlassungsdelikte: Versuch liegt dann vor, wenn<br />

der Garant nicht handelt, obwohl nach seiner Vorstellung das<br />

geschützte Rechtsgut unmittelbar in Gefahr geraten ist und der<br />

Erfolgseintritt nahegerückt ist (h.M., z.B. BGHSt 40, 257, 270 f.<br />

und Wessels/Beulke, a.a.O., RN 741 f.); nach a.A. ist bereits das<br />

Verstreichenlassen der ersten Rettungsmöglichkeit geeignet,<br />

Versuchsstrafbarkeit auszulösen (z.B. Herzberg, MDR 1973, 89),<br />

teilweise wird auf die letzte Rettungschance abgestellt (z.B. Armin<br />

Kaufmann, Unterlassungsdelikte, S. 210 ff.).<br />

BGHSt 38, 356 [Versuchsbeginn bei unechtem Unterlassungsdelikt]:<br />

Der Versuch des unechten Unterlassungsdelikts beginnt spätestens<br />

dann, wenn der Täter die Herrschaft über das Geschehen<br />

aus der Hand gibt, die letzte Rettungschance ungenutzt lässt und<br />

zugleich objektiv wie nach der Vorstellung des Täters die Gefahr<br />

für das geschützte Rechtsgut massiv erhöht ist.<br />

80 Weiterführende Rechtsprechung zur Abgrenzung<br />

Vorbereitungshandlung/ Versuch<br />

BGHSt 37, 294 [Betrugsversuch oder -vorbereitung?]: Hat der Täter<br />

bereits ein Handlungsmerkmal des Tatbestandes verwirklicht und<br />

steht lediglich ein anderes Handlungsmerkmal oder der tatbestandsmäßige<br />

Erfolg noch aus (sog. <strong>Teil</strong>verwirklichung des Tatbestandes),<br />

so hat er regelmäßig das Stadium strafloser Vorbereitungshandlungen<br />

überschritten und er ist in die Phase der strafbaren Tatausführung eingetreten<br />

[für den konkreten Fall verneint]. Hat der Täter noch nicht mit<br />

der tatbestandsmäßigen, unmittelbar auf Herbeiführung einer irrtumsbedingten<br />

Vermögensverfügung gerichteten Täuschungshandlung begonnen,<br />

so bleibt nunmehr zu fragen, ob seine vorgelagerten Vorspiegelungen<br />

nach seinem Tatplan im ungestörten Fortgang unmittelbar<br />

zur Tatbestandserfüllung führen sollten [hier ebenfalls verneint].<br />

BGH StV 2001, 272: Versuchsstrafbarkeit ist grundsätzlich zu bejahen,<br />

wenn der Täter bereits ein Handlungsmerkmal des Tatbestandes verwirklicht<br />

hat und lediglich ein anderes Handlungsmerkmal oder der tatbestandsmäßige<br />

Erfolg noch aussteht. Eine derartige <strong>Teil</strong>verwirklichung<br />

des Tatbestandes liegt bei einem Betrug jedoch nur in solchen<br />

Täuschungshandlungen, die nach der Tätervorstellung unmittelbar auf<br />

die Herbeiführung einer irrtumsbedingten Vermögensverfügung gerichtet<br />

sind.<br />

BGH NStZ 1996, 38 [zur Frage, ob das Versuchsstadium bereits<br />

erreicht ist, wenn der Täter nach Betreten eines Supermarktes den<br />

geplanten Raubüberfall wegen der Anwesenheit zu vieler Kunden<br />

aufgibt - hier verneint]: Am unmittelbaren Ansetzen zur Tat soll es<br />

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fehlen, wenn sich der Täter beim Betreten der Geschäftsräume noch<br />

nicht - durch Herunterziehen der Mützen - maskiert hat, um die Durchführung<br />

des geplanten Angriffs auf den Filialleiter erst noch davon abhängig<br />

machen zu können, ob die Situation in den Geschäftsräumen,<br />

namentlich im Blick auf die Anwesenheit dritter Personen, die Verwirklichung<br />

des Vorhabens zulässt. S. auch BGH NStZ 2001, 415: Der<br />

BGH verneint ein unmittelbares Ansetzen zu einem Diebstahl, da der<br />

Täter den hierfür notwendigen Entschluss mangels Gelegenheit nicht<br />

gefasst hatte [Entwendung von Schmuck aus einem Juweliergeschäft].<br />

OLG Hamm NStZ-RR 1997, 133 [Treppenhaus-Fall]: Unmittelbares<br />

Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung i.S.v. § 22 liegt noch nicht<br />

vor, wenn der im Treppenhaus eines Mehrfamilienhauses festgenommene<br />

Angeklagte sich nach seinem Tatplan zunächst noch durch Täuschung<br />

Zutritt zu der Wohnung des Tatopfers verschaffen und dieses<br />

dann dort durch ein Gespräch ablenken will, um sich so die Möglichkeit<br />

zur Entwendung von Wertgegenständen aus der Wohnung zu eröffnen<br />

[Achtung: Es ist aber eine Strafbarkeit über § 30 zu prüfen!].<br />

BGH NStZ 1997, 83 [funkgesteuerte Garagentoröffnungsanlage -<br />

Strafbarkeit nach §§ 239 a, 22, 23]: Kein Versuch, wenn das Opfer<br />

den Schutzbereich (Pkw) noch nicht verlassen hat - bitte nachlesen!<br />

BGH NStZ 1999, 395: Bedarf es eines weiteren Willensimpulses, damit<br />

das Tun des Täters unmittel bar in die Tatbestandserfüllung einmündet,<br />

liegt noch kein Versuch vor.<br />

BGH NJW 1998, 2149, 2151 [Castor]: Das Versuchsstadium erstreckt<br />

sich auf Handlungen des Täters, die nach seinem Tatplan in ungestörtem<br />

Fortgang unmittelbar zur Tatbestandsverwirklichung führen sollen<br />

oder die in unmittelbaren räumlichen und zeitlichen Zusammenhang<br />

mit ihr stehen.<br />

BGH NStZ 2004, 38: „Eine Straftat versucht, wer nach seiner Vorstellung<br />

von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestands unmittelbar ansetzt.<br />

Dafür ist nicht erforderlich, dass der Täter bereits ein Tatbestandsmerkmal<br />

verwirklicht. Es genügt, dass er Handlungen vornimmt,<br />

die nach seinem Tatplan der Verwirklichung eines Tatbestandsmerkmals<br />

unmittelbar vorgelagert sind und im Fall des ungestörten Fortgangs<br />

ohne Zwischenakt in die Tatbestandshandlung unmittelbar einmünden.<br />

Das ist der Fall, wenn der Täter subjektiv die Schwelle zum<br />

„jetzt geht es los“ überschreitet, es eines weiteren „Willensimpulses“<br />

nicht mehr bedarf und er objektiv zur tatbestandsmäßigen Angriffshandlung<br />

ansetzt (...).“. Zur konkreten Fallgestaltung weist der BGH<br />

auf Folgendes hin: „Nach diesen Kriterien fehlt es schon an einem engen<br />

zeitlichen Zusammenhang mit der Tatbestandshandlung des Raubes,<br />

da die Angekl. mehr als einen Tag vor dem geplanten Überfall in<br />

die Bank eindrangen, die Räumlichkeiten „präparierten“ und die Bank<br />

wieder verließen. Darin liegt nur eine straflose Vorbereitungshandlung.<br />

Aber auch durch die Fahrt zur Sparkasse am Sonntagabend haben die<br />

Angekl. nicht unmittelbar zur Tatbestandsverwirklichung angesetzt,<br />

weil noch weitere, erhebliche Zwischenschritte erforderlich waren.<br />

Denn sie hätten zunächst in die „vorbereiteten“ Bankräume eindringen<br />

und dort auf das Eintreffen der Bankmitarbeiter am nächsten Morgen<br />

warten müssen, um sie in ihre Gewalt zu bringen. Ein „Zurück“ war für<br />

die Täter, die sich zu diesem Zeitpunkt außerhalb der Bank befanden<br />

noch ohne weiteres möglich, eine konkrete Gefährdung der durch<br />

§ 250 geschützten Rechtsgüter war noch nicht gegeben. Die Angekl.<br />

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haben sich jedoch einer Verabredung zum schweren Raub schuldig<br />

gemacht (§§ 30 II, 249, 250 II Nr. 1).“<br />

81 Untauglicher Versuch und Wahndelikt<br />

a) Untauglicher Versuch bzgl. Subjekt (str.), Objekt oder Mittel<br />

υ Merke: Ein untauglicher Versuch liegt vor, wenn die Ausführung<br />

des Tatentschlusses entgegen der Vorstellung des Täters<br />

aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht zur vollständigen<br />

Verwirklichung des objektiven Unrechtstatbestandes führen<br />

kann.<br />

BGH NStZ 1997, 431 [untauglicher Versuch des Betruges]: Hält der<br />

Täter den von ihm erstrebten (tatsächlich rechtmäßigen) Vermögensvorteil<br />

irrig für rechtswidrig, befindet er sich in einem sog. "umgekehrten<br />

Tatbestandsirrtum". Dies führt auch dann zur Strafbarkeit wegen -<br />

untauglichen - Versuchs des Betruges, wenn er hinsichtlich der<br />

Rechtswidrigkeit des Vermögensvorteils nur mit bedingtem Vorsatz<br />

handelt.<br />

Der untaugliche Versuch ist grds. strafbar - arg. e §§ 22, 23 III.<br />

Davon ist der Fall des Versuchs aus grobem Unverstand zu<br />

unterscheiden - nach §§ 22, 23 III ist hier die Strafbarkeit ausdrücklich<br />

angeordnet, zugleich aber auch die Möglichkeit der<br />

Strafmilderung eröffnet.<br />

Der sog. abergläubische (irreale) Versuch ist hingegen straflos<br />

(ein irrealer Versuch liegt z.B. beim Totbeten, Teufelsbeschwören<br />

und der Anwendung sonstiger "übernatürlicher" Mittel vor).<br />

b) Wahndelikt: Hier liegt stets Straflosigkeit vor!<br />

υ Merke: Beim Wahndelikt nimmt der Täter irrig an, sein in tatsächlicher<br />

Hinsicht richtig erkanntes Verhalten falle unter eine<br />

Verbotsnorm, die nur in seiner Einbildung existiert oder die er infolge<br />

falscher Auslegung zu seinen Ungunsten überdehnt.<br />

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Wir unterscheiden im Einzelnen:<br />

• Umgekehrter Verbotsirrtum: Täter nimmt an, dass in Verhalten<br />

gegen Strafvorschriften verstößt, die es in Wirklichkeit nicht gibt<br />

(z.B. lesbische/homophile Liebe, Ehebruch).<br />

• Umgekehrter Erlaubnisirrtum: Täter hält sein durch Notwehr gerechtfertigtes<br />

Verhalten für strafbar, weil er die Grenzen der Notwehr<br />

zu seinen Ungunsten verkennt.<br />

• Umgekehrter Subsumtionsirrtum: Liegt vor, wenn der Täter bei<br />

voller Kenntnis des Sachverhalts und des sachlichen Bedeutungsgehalts<br />

aller Tatumstände eine gegen ihn selbst gerichtete Norm<br />

infolge falscher Auslegung verkennt und ihren Anwendungsbereich<br />

zu seinen Ungunsten überdehnt (z.B. Annahme einer nicht existierenden<br />

Wartepflicht i.S.d. § 142).<br />

• Umgekehrter "reiner" Strafbarkeitsirrtum: Liegt vor, wenn der<br />

Täter sein Verhalten für strafbar hält, weil er von der Existenz eines<br />

zu seinen Gunsten eingreifenden persönlichen Strafausschließungsgrundes<br />

kriminalpolitischen Charakters, wie etwa des § 173<br />

III, nichts weiß.<br />

OLG Düsseldorf, NJW 2001, 167: Durch das Herstellen und Gebrauchen<br />

einer Fotokopie, die durch Zusammensetzen und Fotokopieren<br />

von <strong>Teil</strong>en mehrerer Schriftstücke erstellt worden ist, wird der Tatbestand<br />

der vollendeten Urkundenfälschung nicht erfüllt; eine solche Collage<br />

ist nämlich keine Urkunde im Rechtssinne. In einem solchen Fall<br />

liegt eine versuchte Urkundenfälschung vor, wenn der Täter glaubt o-<br />

der für möglich hält und billigend in Kauf nimmt, dass es sich bei dem<br />

Produkt seiner Manipulation um eine Urkunde im Rechtssinne handelt<br />

[Anm.: m.E. ein Fall des Wahndelikts!].<br />

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2. Abschnitt: Der Rücktritt vom Versuch (§ 24)<br />

82 § 24: Ratio der gesetzlichen Regelung<br />

• Kriminalpolitische Theorie ("goldene Brücke")<br />

• Verdienstlichkeitstheorie - "Belohnung"<br />

• Strafzwecktheorie: unter spezial- wie generalpräventiven Gesichtspunkten<br />

kein Bedürfnis nach Strafe<br />

• Schulderfüllungstheorie (Schuld = Pflicht zur Wiedergutmachung)<br />

υ Nach h.M. gilt der Rücktritt als persönlicher Strafaufhebungsgrund.<br />

Das Rücktrittsprivileg bewirkt, dass der auf die versuchte<br />

Straftat gerichtete Vorsatz sowie ausschließlich darauf<br />

bezogene Tathandlungen nicht strafschärfend berücksichtigt<br />

werden (nach BGH NStZ-RR 2001, 19 gilt dies auch für das Abstandnehmen<br />

von einem Regelbeispiel!).<br />

82 a Prüfungsschema Versuch (§§ 22, 23 I, 24)<br />

Prüfungsschema 9 a: §§ 22, 23 I, 24<br />

1. Fehlen der Vollendung<br />

2. Strafbarkeit des Versuchs<br />

3. Tatentschluss<br />

4. Unmittelbares Ansetzen<br />

5. Rechtswidrigkeit/Schuld<br />

<strong>6.</strong> Rücktritt nach § 24 I 1<br />

a) Fehlschlag<br />

b) Beendeter/unbeendeter Versuch<br />

c) Rücktrittsleistung entsprechend o. b)<br />

d) Freiwilligkeit<br />

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83 § 24: Fallvarianten<br />

(1) § 24 I 1, 1. Alt.: Unbeendeter Versuch<br />

(2) § 24 I 1, 2. Alt.: Beendeter Versuch<br />

(3) § 24 I 2 - Fallgruppen:<br />

• Untauglicher Versuch (Untauglichkeit noch nicht erkannt)<br />

• Objektiv fehlgeschlagener Versuch (Täter hat Scheitern<br />

noch nicht erkannt - bitte lesen Sie dazu unbedingt<br />

BGH NStZ-RR 2000, 41 zur Problematik eines objektiv<br />

fehlgeschlagenen Versuchs, bei dem der Täter aber<br />

lediglich von der Beendetheit des Versuchs ausgeht!)<br />

• Versuch wird aus anderen Gründen nicht vollendet<br />

• Bei Erfolgseintritt aufgrund völlig atypischer und regelwidriger<br />

Weiterentwicklung des Kausalgeschehens<br />

(4) § 24 II: Beteiligung mehrerer<br />

84 Unanwendbarkeit des § 24 (Fallgruppen)<br />

a) Eintritt des tatbestandlichen Erfolges – anders bei fehlender<br />

objektiver Zurechenbarkeit des konkreten Erfolges (s.o. RN 83<br />

(3))!<br />

Der Irrtum des Täters über die Wirksamkeit seines bisherigen<br />

Tuns steht der Erfolgszurechnung nicht entgegen (str.) - ansonsten<br />

bliebe es reiner Zufall, der darüber entscheiden lässt, ob es<br />

zu einer Strafbefreiung nach § 24 oder zu einer Bestrafung wegen<br />

vollendeter Vorsatztat kommt (Wessels/Beulke, AT, RN<br />

627).<br />

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______________________________________________________________________________________<br />

b) Fall des fehlgeschlagenen Versuchs<br />

BGH NStZ-RR 1996, 195: Der Versuch ist fehlgeschlagen, wenn es<br />

dem Täter, diesem bewusst, tatsächlich unmöglich gewesen ist, im<br />

unmittelbaren Fortgang des Geschehens den Erfolg herbeizuführen,<br />

oder wenn dem Täter bei objektiver Möglichkeit der zur Tatvollendung<br />

die Mittel dazu nicht bekannt oder nicht beherrschbar gewesen sind.<br />

Auf einen Tatplan kommt es dabei nicht an.<br />

υ Lernhinweis: Hier wird unterstellt, dass es sich bei dem fehlgeschlagenen<br />

Versuch um eine "eigenständige" Fallgruppe handelt<br />

(nach a.A. Fall der Unfreiwilligkeit des Rücktritts).<br />

aa)<br />

Scheitert lediglich der Einsatz des zunächst ins Auge gefassten<br />

Tatmittels, ist der Versuch nach h.M. nicht fehlgeschlagen, wenn<br />

der Täter, wie er weiß, im unmittelbaren Anschluss an sein bisheriges<br />

Tun erneut zum Angriff ausholen oder ein neues bereitstehendes<br />

Mittel einsetzen kann - es kommt zu einer Weiterführung<br />

des ursprünglichen Tatentschlusses (s. z.B. BGHSt 34, 53,<br />

57; Wessels/Beulke, AT, RN 628-630 - bitte nachlesen; a.A. ist<br />

die sog. Einzelaktstheorie). Die Gegenauffassung überzeugt<br />

nicht, weil sie einen einheitlichen Lebensvorgang willkürlich auseinanderreißt<br />

und die Rücktrittsmöglichkeiten zu sehr einschränkt.<br />

Beispiel (BGH NStZ 2001, 315): „Mit der Aufspaltung des einheitlichen<br />

Tatgeschehens hat sich das LG den Blick für den maßgeblichen<br />

Zeitpunkt zur Beurteilung der Rücktrittsvoraussetzungen verstellt. Entscheidend<br />

ist danach, ob die Angeklagte die Verwirklichung ihres Tötungsvorsatzes<br />

nach dem letzten Stich in den Rücken ihres Ehemannes<br />

bis zum Eintreffen der Nachbarn noch möglich gewesen wäre und<br />

gegebenenfalls aus welchen Gründen sie ihr Vorhaben aufgegeben<br />

hat“ (bitte die Entscheidung nachlesen!).<br />

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134<br />

______________________________________________________________________________________<br />

BGHSt 34, 53, 57: Liegt der Tat ein fester Plan zugrunde, so ist<br />

der Versuch fehlgeschlagen, wenn die Tat nach der Vorstellung<br />

des Täters nicht mehr planmäßig ausgeführt werden kann, vielmehr<br />

nur noch mit zeitlicher Verzögerung nach dem Ingangsetzen<br />

einer neuen Kausalkette vollendet werden könnte. Anders liegt es<br />

aber beim Einsatz eines bestimmten Mittels, wenn der Täter, wie<br />

er weiß, ohne zeitliche Zäsur sofort ein neues bereit stehendes<br />

Mittel einsetzen könnte. Denn in solchen Fällen liegt dann in der<br />

Verwendung des neuen Mittels, auch wenn der Täter an dieses in<br />

der gedanklichen Vorbereitung der Tat nicht gedacht hat (etwa<br />

weil er ein Versagen des zunächst eingesetzten Mittels gar nicht in<br />

Erwägung gezogen hatte), lediglich die Festigung des Tatentschlusses<br />

den er mit nacheinander zum Einsatz gebrachten Mitteln<br />

verwirklicht. Die Annahme, in solchen Fällen lägen zwei Taten<br />

vor, würde dann einen einheitlichen Lebensvorgang willkürlich<br />

auseinanderreißen.<br />

S. auch BGHSt 39, 244 zur Frage nach dem Vorliegen eines<br />

fehlgeschlagenen Versuchs wegen sog. "rechtlicher Unmöglichkeit"<br />

der Deliktsvollendung in einem Fall, bei dem es um den<br />

Rücktritt vom Versuch der Vergewaltigung bei irrtümlicher Annahme<br />

der Einwilligung der Verletzten nach Versuchsbeginn<br />

ging. Ein <strong>Teil</strong> des Schrifttums stellt der tatsächlichen die rechtliche<br />

Unmöglichkeit gleich; dies soll v.a. dann der Fall sein, wenn<br />

bei Tatbeständen, deren Erfüllung ein Handeln gegen den Willen<br />

des Opfers voraussetzt (z.B. Vergewaltigung, Raub), der Rechtsgutsträger<br />

sein Einverständnis zeigt. Dagegen aber der BGH<br />

(a.a.O., S. 246):<br />

BGHSt 39, 244, 246: Während für den Täter bei Hindernissen im<br />

tatsächlichen Bereich eine in § 24 vorausgesetzte Wahlmöglichkeit,<br />

die Tat mit Aussicht auf den angestrebten Erfolg weiter auszuführen<br />

oder sie aufzugeben, nicht besteht, ist dies bei rechtlichen<br />

Hindernissen durchaus der Fall.<br />

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135<br />

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85 Problem beendeter/unbeendeter Versuch<br />

Bitte lesen Sie zunächst § 24 I 1! Die Bestimmung unterscheidet<br />

zwischen einem unbeendeten und einem beendeten Versuch<br />

(s.o. RN 83). Die jeweilige Rücktrittsleistung des Täters ist davon<br />

abhängig: Nach § 24 I 1, 1. Alt. (unbeendeter Versuch) genügt<br />

bloßes Nichtweiterhandeln (Aufgeben der Ausführung der Tat),<br />

gemäß § 24 I 1, 2. Alt. (beendeter Versuch) muss hingegen -<br />

weitergehend - die Vollendung der Tat "verhindert" werden.<br />

Bedauerlicherweise hat der Gesetzgeber die Abgrenzung zwischen<br />

dem beendeten und dem unbeendeten Versuch nicht<br />

ausdrücklich geregelt. Nachdem die Rechtsprechung zunächst<br />

maßgeblich auf die Tätervorstellung zu Beginn der Ausführungshandlung<br />

abstellen wollte (sog. Planungshorizont) gilt unter Berücksichtigung<br />

der Rechtsprechung seit BGHSt 31, 170 folgendes:<br />

a) Beendeter Versuch: Der Versuch ist als beendet anzusehen,<br />

wenn der Täter nach der letzten Ausführungshandlung den Eintritt<br />

des tatbestandlichen Erfolges für möglich hält und ein entsprechendes<br />

Gefahrbewusstsein besitzt (unabhängig von einem<br />

bestehenden Tatplan!).<br />

BGH NStZ 1999, 300, 301: Erkennt der Täter die tatsächlichen Umstände,<br />

die die Möglichkeit des Eintritts des Todes nach der Lebenserfahrung<br />

nahe legen, so liegt ein beendeter Versuch vor. Dabei braucht<br />

der Täter weder die Gewissheit des Erfolgseintritts zu haben noch<br />

muss er den Tod jetzt noch wollen oder billigen (Entscheidung bitte<br />

nachlesen!).<br />

b) Unbeendeter Versuch: Der Versuch ist unbeendet, wenn der<br />

Täter von weiteren Handlungen absieht, bevor er das verwirklicht<br />

hat, was nach seiner Vorstellung zur Herbeiführung des Erfolges<br />

erforderlich oder möglicherweise ausreichend ist - es ist mithin<br />

vom sog. Rücktrittshorizont auszugehen.<br />

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BGH NStZ 1999, 299 (Beschl. v. 11.2.1999): An die Voraussetzung für<br />

die Annahme eines noch unbeendeten Versuchs, der Täter habe den<br />

Erfolgseintritt nicht für möglich gehalten, sind strenge Anforderungen<br />

zu stellen.<br />

BGH NStZ 1999, 299 (Beschl. v. 3.2.1999): Bei der Prüfung der Voraussetzungen<br />

des § 24 kommt es zunächst darauf an, ob ein beendeter<br />

oder ein unbeendeter Versuch vorliegt. Maßgebend dafür ist die<br />

Vorstellung des Täters nach der letzten Ausführungshandlung ("Rücktrittshorizont").<br />

Hält er in diesem Zeitpunkt den Tod des Opfers schon<br />

auf Grund seines bisherigen Handelns für möglich oder macht er sich<br />

in diesem Zeitpunkt über die Folgen seines Tuns keine Gedanken, so<br />

ist der Versuch beendet.<br />

c) Sonderproblem: korrigierter Rücktrittshorizont<br />

BGH NStZ-RR 1997, 33: Hält der Täter nach seiner Tathandlung den<br />

Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolges [hier: Tod des Opfers] zunächst<br />

für möglich, gelangt er aber unmittelbar darauf, und sei es in<br />

Verkennung der eingetretenen Gefährdung, zu der Annahme, sein bisheriges<br />

Tun könne den Erfolg nicht herbeiführen, so kann er, wenn<br />

seine Handlungsmöglichkeiten unverändert fortbestehen, durch Absehen<br />

von weiteren Ausführungshandlungen mit strafbefreiender Wirkung<br />

[vom Tötungsdelikt] zurücktreten (zum umgekehrten Fall s. BGH<br />

NStZ 1998, 614 - bitte nachlesen!).<br />

d) Zusammenfassung<br />

υ Besteht aus der Sicht des Täters die naheliegende Möglichkeit<br />

des Erfolgseintritts, so sind ernsthafte Rettungsaktivitäten gefordert,<br />

da der Versuch beendet ist. Maßgeblich ist die dem Täter<br />

bewusst gewordene Erfolgsnähe der konkreten Gefahrenlage<br />

Der Rücktrittshorizont ist entscheidend.<br />

BGHSt 35, 90: Auch beim Vorliegen eines festumrissenen Tatplans<br />

kommt es für die Abgrenzung vom unbeendeten zum beendeten Versuch<br />

darauf an, ob der Täter nach der letzten Ausführungshandlung<br />

den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges für möglich hält. Ist das Opfer<br />

aus der Sicht des Täters durch die Handlung nicht unmittelbar gefährdet<br />

worden, so muss es ausreichen, dass er von der ihm noch möglichen<br />

Tatvollendung freiwillig absieht. Auch dann, wenn der Täter davon<br />

ausging, seine Handlung werde sogleich zum Erfolg führen, muss<br />

ihm der Verzicht auf die sich ihm anbietenden weiteren Mittel als Rücktrittsleistung<br />

zugute gehalten werden.<br />

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υ Lernhinweise: Ich empfehle, die vorgenannte Entscheidung<br />

des BGH (knapp 5 Seiten!) nachzulesen. Zudem halte ich ein<br />

Studium von Wessels/Beulke, a.a.O., RN 632 f. für sehr sinnvoll!<br />

85 a Rechtsprechung und weitere Probleme des beendeten/unbeendeten<br />

Versuchs<br />

a) BGHSt GS 39, 221 [Rücktritt vom Totschlagsversuch bei bedingtem<br />

Vorsatz und außertatbestandsmäßiger Zielerreichung:<br />

υ Zum Problem: Fraglich ist, ob die Grundsätze zum Rücktritt<br />

vom Versuch auch dann gelten, wenn Taten vorliegen, bei denen<br />

das primär angestrebte Handlungsziel (z.B. dem Opfer durch<br />

Messerstiche einen Denkzettel zu verpassen) mit einem bedingten<br />

Tötungsvorsatz zusammentreffen. Hier ist umstritten, ob für<br />

einen strafbefreienden Rücktritt vom unbeendeten Versuch des<br />

Tötungsdelikts durch Nichtweiterhandeln Raum bleibt, wenn der<br />

Täter sein primäres Handlungsziel erreicht hat, ohne dass aus<br />

seiner Sicht Gefahr für das Leben des Opfers besteht.<br />

• Wessels/Beulke, AT, RN 635 u.a.: Wer sein eigentliches<br />

Handlungsziel bereits erreicht hat, kann insoweit aber nichts<br />

mehr aufgeben. Bloßes Nichtweiterhandeln ist keine Rückkehr<br />

in die Legalität und keine verdienstliche Umkehrleistung,<br />

wenn die Fortführung des bisherigen Angriffs infolge Zielerreichung<br />

ihren Sinn verloren hat (i.E. ebenso BGH NStZ<br />

1990, 77; 1991, 127).<br />

• BGH NJW 1993, 943: Auch der mit bedingtem Tötungsvorsatz<br />

handelnde Täter, der die weitere Tatausführung aufgibt,<br />

weil er sein vorgreifliches Ziel erreicht hat und in diesem Zeitpunkt<br />

nicht mit dem Eintritt des Todes rechnet, kann durch<br />

bloßes Nichtweiterhandeln freiwillig vom Versuch der Tat zu-<br />

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______________________________________________________________________________________<br />

rücktreten. Einen Rücktritt von weiteren Motiven oder Absichten<br />

kennt das Gesetz nicht; dem entspricht, dass es auf die<br />

ethische Bewertung autonomer Rücktrittsgründe nicht ankommt.<br />

Dieser Auffassung hat sich der Große Senat angeschlossen:<br />

BGHSt GSSt 39, 221: Ein strafbefreiender Rücktritt vom unbeendeten<br />

Versuch ist auch in den Fällen möglich, in denen der Täter<br />

von weiteren Handlungen absieht, weil er sein außertatbestandsmäßiges<br />

Handlungsziel erreicht hat.<br />

Ebenso BGH NStZ-RR 1996, 195, 196: Nach Meinung des BGH<br />

kann auch derjenige vom unbeendeten Tötungsversuch strafbefreiend<br />

zurücktreten, der von ihm möglichen weiteren Tötungshandlungen<br />

allein deshalb absieht, weil er sein außertatbestandsmäßiges<br />

Handlungsziel [hier: Schüsse auf Verfolger, um diese vom<br />

Nachsetzen abzuhalten] erreicht hat oder erreicht zu haben glaubt.<br />

b) Weitere bedeutsame Entscheidungen<br />

BGH NJW 1993, 2125 [Rücktritt vom Mordversuch und vom Versuch<br />

der Beteiligung]: Der Versuch eines Tötungsdelikts liegt nicht vor,<br />

wenn das Tun des Täters erst nach weiteren Zwischenhandlungen, zu<br />

denen es eines neuen Willensimpulses bedarf, in die Tötungshandlung<br />

einmündet. Erkennt der Täter in unmittelbarem Anschluss an einen für<br />

lebensgefährlich gehaltenen Messerstich, dass mit einer tödlichen Wirkung<br />

nicht zu rechnen ist, und bestehen seine Handlungsmöglichkeiten<br />

unverändert fort, so kann er von diesem Zeitpunkt an durch Abstandnahme<br />

von weiteren Ausführungshandlungen strafbefreiend zurücktreten.<br />

BGH NStZ 1994, 535 [Rücktritt vom fortgesetzten Versuch]: Setzt der<br />

Täter mehrfach zur Tat an, ist Voraussetzung für die Annahme eines<br />

unbeendeten Versuchs, dass die vorangegangenen, erfolglos gebliebenen<br />

<strong>Teil</strong>akte mit dem neuen Anlauf, auf den der Täter schließlich<br />

verzichtet hat, einen einheitlichen Lebensvorgang bilden.<br />

BGHSt 40, 304 [zur Annahme eines beendeten Versuchs]: Macht ein<br />

Täter sich nach der letzten Ausführungshandlung keine Vorstellungen<br />

über die Folgen seines Tuns, so ist ein beendeter Versuch anzunehmen<br />

- sehr wichtige Entscheidung!<br />

BGH NStZ 2003, 252 [U.a. zur Frage des Rücktritts des Unterlassungstäters]:<br />

Der BGH weist darauf hin, dass der Rücktritt des Unterlassungstäters<br />

nach den Grundsätzen des beendeten Versuchs beim<br />

Begehungsdelikt nach § 24 I 1, 2. Alt. zu beurteilen ist; gelingt es danach<br />

dem Täter, die Vollendung der Tat zu verhindern, kommt es nach<br />

Einschätzung des BGH nicht darauf an, wann sich der Täter zur Rettung<br />

des Opfers entschlossen hat, was er in der Zwischenzeit tat oder<br />

unterließ und welche Vorstellungen oder Beweggründe insbesondere<br />

dafür maßgeblich waren, dass er zunächst keine Rettungsmaßnahmen<br />

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ergriffen hat. Bei einem mehraktigen Geschehen – so der BGH weiter<br />

– ist der Rücktritt hinsichtlich eines ersten Tatabschnitts nur dann ausgeschlossen,<br />

wenn dieser als ein bereits fehlgeschlagener Versuch zu<br />

erachten ist. Von einem solchen, auch durch spätere Handlungen nicht<br />

mehr rücktrittsfähigen fehlgeschlagenen Versuch sei – bei aktivem Tun<br />

– nur dann auszugehen, wenn der Täter nach dem Misslingen des<br />

vorgestellten Tatablaufs zu der Annahme gelangt, er könne die Tat<br />

nicht mehr ohne zeitliche Zäsur mit den bereits eingesetzten oder anderen<br />

bereitstehenden Mitteln vollenden, so dass ein erneutes Ansetzen<br />

notwendig sei, um zum gewünschten Ziel zu gelangen.<br />

86 § 24 I, II: Einzelheiten der Prüfung<br />

a) § 24 I 1, 1. Alt.: "Aufgeben der Tat"<br />

υ Grundsatz: "Aufgeben" der Tat bedeutet, von der vollen Verwirklichung<br />

des Tatentschlusses aufgrund eines entsprechenden<br />

"Gegenentschlusses" Abstand zu nehmen.<br />

aa)<br />

Problem 1: Vollständige und endgültige Aufgabe des Tatbestandsvorsatzes<br />

erforderlich?<br />

• Vermittelnde Auffassung: Grds. reicht das Abstandnehmen von der<br />

konkreten Tat, wie sie im Rahmen des einschlägigen Straftatbestandes<br />

durch das Tatobjekt, die reale Tatsituation und das angestrebte<br />

Tatziel gekennzeichnet ist (h.M., s. z.B. Wessels/Beulke,<br />

AT, RN 641).<br />

• a.A.: Aufgabe des kriminellen Entschlusses im ganzen und endgültig<br />

(Formulierung der früheren Rechtsprechung, die dem Rücktritt<br />

zu enge Grenzen setzte).<br />

• Weitere Auffassung: Abstandnehmen von der konkreten Ausführungshandlung<br />

(Kritik: Zu weite Ausdehnung des Bereiches einer<br />

Rücktrittsmöglichkeit).<br />

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bb)<br />

Problem 2: Tatbegriff<br />

BGHSt 33, 142: "Tat" i.S.v. § 24 ist der materiellrechtlicher Straftatbestand<br />

- derjenige, der zu einem geplanten Raubmord angesetzt hat,<br />

kann vom Mordversuch strafbefreiend zurücktreten, wenn er aus freien<br />

Stücken auf die Tötung seines Opfers verzichtet und sich im weiteren<br />

Tatverlauf darauf beschränkt, ihm bloß mit Drohungen gemäß § 249<br />

die Geldbrieftasche oder andere Wertsachen wegzunehmen.<br />

b) "Freiwilligkeit"<br />

aa)<br />

Grundsätze: Freiwilligkeit ist anzunehmen, wenn der Rücktritt<br />

aus autonomen (= selbstgesetzten) Motiven heraus erfolgt; dabei<br />

muss das Motiv nicht ethisch wertvoll sein. Freiwilligkeit ist zu<br />

verneinen, wenn Rücktritt durch Hinderungsgründe veranlasst<br />

wird, die vom Willen des Täters unabhängig sind (heteronome<br />

Motive).<br />

υ Merke: Die Freiwilligkeit ist davon abhängig, ob der Täter subjektiv<br />

(noch) in der Lage war, das zur Beendigung des Versuchs<br />

notwendige zu unternehmen. Im Zweifel ist dies zugunsten des<br />

Täters unterstellen.<br />

BGH NStZ-RR 1999, 8: Der Freiwilligkeit eines Rücktritts vom Versuch<br />

steht nicht entgegen, dass sich der Täter während der Tat in einem<br />

Rauschzustand befand, der möglicherweise seine Schuldfähigkeit<br />

ausgeschlossen hat.<br />

bb)<br />

Problem: "Psychologisierende" vs. "normative" Ermittlung der<br />

Freiwilligkeit? S. dazu BGHSt 35, 184 - Rücktritt vom Mordversuch,<br />

um weiteres Opfer nicht zu "verpassen" - bitte nachlesen!):<br />

(1) Die Mindermeinung (= normative Auffassung) verlangt eine<br />

Rückkehr des Täters "in die Bahnen des Rechts" (Normbefolgungsbereitschaft)<br />

(2) Nach h.M. (ebenso BGH, a.a.O.) ist die Frage, ob der Täter noch<br />

Herr seiner Entschlüsse geblieben ist und ob er die Ausführung<br />

seines Tatplans noch für möglich hielt, entscheidend. Freiwilligkeit<br />

entfällt nur bei äußerer Zwangslage (wesentliche Verände-<br />

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rung der Sachlage, Risikoerhöhung - Entdeckung droht) und seelischem<br />

Druck, der zur Handlungsunfähigkeit führt.<br />

BGH, a.a.O., S. 186: Für das Vorliegen von Freiwilligkeit ist entscheidend,<br />

ob der Täter noch Herr seiner Entschlüsse blieb und die Ausführung<br />

seines Verbrechensplans noch für möglich hielt, also weder durch<br />

eine äußere Zwangslage daran gehindert noch durch einen seelischen<br />

Druck unfähig wurde, die Tat zu vollbringen. Es kommt darauf an, ob<br />

sich der betreffende Umstand für den Täter als ein zwingendes Hindernis<br />

darstellte.<br />

BGH NStZ 1994, 428: Kein freiwilliger Rücktritt, wo der Täter aus seelischen<br />

Gründen nicht mehr imstande ist, die Tat weiter auszuführen<br />

[die Kinder des Täters "überraschten" den Vater bei dem Versuch der<br />

Tötung der Ehefrau und Mutter, woraufhin sich der Vater aus seelischen<br />

Gründen nicht mehr imstande sah, weiter auf das Opfer einzustechen].<br />

Nach BGH NStZ-RR 1997, 260 zwingt die Entdeckung des Täters weder<br />

zur Annahme eines fehlgeschlagenen Versuchs, noch schließt dies<br />

die Freiwilligkeit des Rücktritts in allen Fällen aus (bitte nachlesen!).<br />

c) §§ 24 I 1, 2. Alt.; 24 I 2 - "Verhinderung der Vollendung"/"ernsthaftes<br />

Bemühen"<br />

aa)<br />

bb)<br />

Verhindern der Vollendung: Ausreichend ist, dass der Täter<br />

willentlich eine neue Kausalreihe in Gang setzt, die für das Ausbleiben<br />

der Vollendung wenigstens mitursächlich wird. Dass<br />

daneben andere, von seinem Willen unabhängige Umstände zur<br />

Nichtvollendung der Tat beitragen, soll einem strafbefreienden<br />

Rücktritt ebenso wenig entgegenstehen wie die Möglichkeit, etwas<br />

anderes oder mehr zu tun, um die Vollendung mit noch größerer<br />

Sicherheit zu verhindern.<br />

Ernsthaftes Bemühen: Der Täter muss alles tun, was aus seiner<br />

Sicht zur Abwendung des drohenden Erfolges notwendig<br />

und geeignet ist. Strafbefreiung gemäß § 24 I 2 verdient allein<br />

derjenige, der die ihm bekannten und zur Verfügung stehenden<br />

Rettungsmöglichkeiten im Rahmen des Gebotenen auch ausschöpft<br />

und diejenigen Mittel einsetzt, die nach seiner Überzeu-<br />

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gung den Eintritt des Erfolges und damit die Vollendung der Tat<br />

am sichersten verhindern werden.<br />

d) § 24 II (gilt für Mittäter, Anstifter und Gehilfen) - Übersicht 16<br />

(1) § 24 II 1 = § 24 I 1, 2. Alt.<br />

________________________________________________________<br />

(a) Verhinderung der Vollendung<br />

(b) Freiwilligkeit<br />

(2) § 24 II 2, 1. Alt. = § 24 I 2<br />

________________________________________________________<br />

(a) Vollendung ohne Zutun des Beteiligten nicht eingetreten<br />

(b) Ernsthaftes Bemühen<br />

(c) Freiwilligkeit<br />

(3) § 24 II 2, 2. Alt.<br />

________________________________________________________<br />

(a) Vollendung eingetreten, aber unabhängig vom früheren Tatbetrag<br />

(b) Ernsthaftes Bemühen<br />

(c) Freiwilligkeit<br />

BGH NStZ 2004, 614 [Anforderungen an Rücktrittshandlung nach<br />

§ 24 II 1]: Der BGH weist darauf hin, dass es für den Rücktritt nach<br />

§ 24 II 1 nicht zu verlangen ist, dass der Täter über das bloße Beenden<br />

der Aktivitäten hinaus noch weitere Maßnahmen hätte ergreifen können,<br />

um das bereits vorhandene Gefährdungspotenzial zu beseitigen.<br />

Hat der Täter demnach durch sein Verhalten am Tatort eine neue Kausalkette<br />

in Gang gesetzt, die für die Nichtvollendung der Tat ursächlich<br />

geworden ist, so ist es nach Auffassung des BGH unerheblich, ob er<br />

mehr als von ihm getan zur Verhinderung des Taterfolgs hätte leisten<br />

können. Ganz ausdrücklich macht der BGH noch einmal deutlich, dass<br />

soweit die Entscheidung BGHSt 31, 46, 49 dahingehend verstanden<br />

worden sei, dass auch bei kausaler Erfolgsverhinderung "bestmögliche"<br />

Bemühungen des Täters erforderlich seien, um einen strafbefreienden<br />

Rücktritt annehmen zu können, es sich um eine nicht zutreffende<br />

Interpretation dieser Entscheidung handele.<br />

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87 Weitere Einzelheiten zum Rücktritt vom Versuch<br />

a) Sog. qualifizierter Versuch: Ist im Deliktsversuch eine bereits<br />

vollendete Straftat enthalten, wie etwa eine Körperverletzung<br />

(§§ 223, 224) in einem Tötungs- oder Raubversuch, so bleibt<br />

diese vollendete Tat trotz Rücktritts strafbar.<br />

BGH NStZ 1997, 387: Nach einem strafbefreienden Rücktritt vom Tötungsversuch<br />

"lebt" § 229 [a.F., vgl. § 224 I Nr. 1 n.F.] wieder auf.<br />

b) Sog. Sperrwirkung beim Rücktritt vom Versuch eines privilegierten<br />

Delikts: Beim Rücktritt vom Versuch eines privilegierten Delikts<br />

kann dessen Sperrwirkung dem Rückgriff auf den vollendeten<br />

allgemeineren Tatbestand entgegenstehen, soweit sonst der<br />

Sinn der betreffenden Privilegierung verloren ginge. In Betracht<br />

kommt dies etwa bei einem freiwilligen Rücktritt vom Versuch einer<br />

Tötung auf Verlangen (= Vergehen gem. §§ 216, 22). Bleiben<br />

hier schwere Verletzungsfolgen zurück, lässt die ratio legis nicht<br />

den Rückgriff auf § 226, sondern lediglich auf §§ 223, 224 zu.<br />

BGH NJW 1993, 942: Der Rücktritt vom Versuch der Brandstiftung<br />

bewirkt ebenso wenig wie tätige Reue (§ 306 e) Straffreiheit für das<br />

gleichzeitig verwirklichte Delikt des Herbeiführens einer Brandgefahr.<br />

c) Erfolgsqualifizierte Delikte: Nach einer Mindermeinung ist keine<br />

Rücktrittsmöglichkeit gegeben, wenn die besondere Tatfolge<br />

schon im Versuchsstadium eintritt und sich in ihr die tatbestandsspezifische<br />

Gefahr des Grunddelikts realisiert; die h.M.<br />

sieht hingegen grundsätzlich keinen Grund für die Versagung<br />

des Rücktritts.<br />

d) Unterlassungsdelikte<br />

BGH NStZ 1997, 485: Der Täter kann von einem (Totschlags-)Versuch<br />

nicht mehr zurücktreten, wenn er die Vollendung der Tat nicht mehr<br />

verhindern konnte. Damit sind die Rücktrittsvoraussetzungen beim<br />

Versuch des Unterlassungsdelikts dieselben wie beim beendeten Versuch<br />

des Begehungsdelikts.<br />

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RN 88-93 bleiben unbesetzt<br />

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