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thema Abb. rechts: Rafał Jakubowicz „Arbeitsdisziplin“, aus der Ausstellung „Nachbarn. Deutsche Motive in der polnischen Gegenwartskunst.“ Keine schöne Überraschung Nachbar Deutschland in der jungen polnischen Kunst Im Sommer 2007 präsentierte agitPolska e.V. während des Festivals der Kulturen altonale9 in Hamburg die Ausstellung „Nachbarn. Deutsche Motive in der polnischen Gegenwartskunst“. Die Ausstellung wurde von Jarosław Lubiak und Kamil Kuskowski kuratiert. Das Thema erschien uns aufgrund der damaligen angespannten politischen Lage zwischen Polen und Deutschland sehr aktuell. Ich wusste allerdings nicht, wie sehr sich meine Vorstellung über dieses Thema, ich bin eine seit Jahren in Deutschland lebenden Polin, von der tatsächlichen künstlerischen Wirklichkeit unterscheidet. Die Kuratoren wählten Arbeiten bekannter polnischer Künstler aus, die sich in ihren Werken mit dem Thema „deutsch“ und „Deutschland“ beschäftigt haben. Dabei griffen sie nicht auf die gegenwärtig gängigen Themen zurück, sondern setzten sich vor allem mit der deutschen Vergangenheit, Nationalsozialismus und Krieg, auseinander. Die präsentierten Arbeiten wurden nicht gezielt für die Ausstellung angefertigt, sondern nur durch die Kuratoren dafür ausgewählt. Mit der Ausnahme von Józef Robakowski sind es Arbeiten von Künstlern der jüngeren Generation, die von dem Kriegstrauma nicht direkt berührt wurden. Desto überraschender war, dass „Das Deutschtum“ überwiegend mit dem Nationalsozialismus und dem Holocaust gleichgesetzt wurde. Wenn man die Auswahl der Werke als repräsentativ für die wichtigsten deutschen Motive in der polnischen Gegenwartskunst betrachtet, stellt sich die Frage warum überwiegend das Faschistische Deutschland? Ist weiterhin das Bild des Deutschen im polnischen Bewusstein dem Mann in SS-Uniform gleichzusetzen? Warum kommt beim Anblick des Stacheldrahts in der Arbeit von Rafał Jakubowicz (siehe Abbildung oben) sofort die Assoziation mit dem Konzentrationslager auf? Warum sind solche Gedankenverknüpfungen noch 60 Jahre nach dem Krieg weiterhin so präsent? Sind dies die Folgen unserer antideutschen Erziehung, angefangen mit der Legende über die Wanda, die den Deutschen nicht wollte, über die populären Witze aus der Reihe „Pole, Russe und der Deutsche“, bis zu beliebten Kinderserien wie „Vier Panzerfahrer und ein Hund“ oder „Oberst Kloss“. Oder sind diese Arbeiten, die sich mit dem Motiv der Shoa auseinandersetzen, ein Teil des gegenwärtigen Trends der letzen Jahre? In denen der Holocaust wieder in der Kunst, nicht nur in Polen sondern auch in anderen Ländern des Westens modern wurde? Mit Sicherheit zwingen die berühmten Arbeiten von Zbigniew Libera „Die Einwohner“ und „Radfahrer“, oder die seitenverkehrte, geknebelte Swastika von Leszek Knaflewski zu einer tiefen Reflexion über diese so wichtige Zeit der deutschen Geschichte. Sie hinterließen bei den Ausstellungsbesuchern einen enormen Eindruck, so enorm und tiefgreifend, dass einige erschütterte Gäste die Vernissage nach wenigen Minuten verließen, ohne den kleinsten Versuch zu starten sich auf eine künstlerische Diskussion einzulassen. Iwona Bigos agitPolska e.V. Teilnehmende Künstler: Tomasz Bajer / Marcin Berdyszak / Arti Grabowski / Rafał Jakubowicz / Paweł Jarodzki / Łódż Kaliska / Grzegorz Klaman / Leszek Knaflewski / Kamil Kuskowski / Leszek Lewandowski / Zbigniew Libera / Robert Maciejuk / Monika Kowalska, Grzegorz Kowalski Zbigniew Sejwa / Aleksandra Polisiewicz / Józef Robakowski / Przemysław Truściński / Wunderteam Abb. links: Leszek Knaflewski, Good mit uns, 2004 16

Strafe und Verbrechen Oben: Videostill aus: Strafe und Verbrechen Ausstellung von Katarzyna Kozyra 10.10.2008-16.11.2008 Neues Museum Weserburg Eröffnung: Freitag, 10.10.2008 um 19 Uhr Die 45-jährige polnische Künstlerin Katarzyna Kozyra eckt wie kaum eine andere Künstlerin an. Mediale Berühmtheit erlangte sie durch ihre Diplomarbeit Tierpyramide (1993), inspiriert durch das Märchen Die vier Stadtmusikanten der Gebrüder Grimm. Das Kunstobjekt besteht aus aufeinander gestellten toten, ausgestopften Tieren - einem Pferd, einem Hund, einer Katze und einem Hahn. Im Jahr 1995 hat sie eine Serie großformatiger Fotos mit dem Titel „Blood Ties“ kreiert, die nackte Menschen vor dem Hintergrund religiöser Symbole inszeniert. Nun ist sie mit einer aktuellen Arbeit im Neuen Museum Weserburg zu sehen. Die Videoinstallation von Katarzyna Kozyra - Strafe und Verbrechen, die 2003 zum ersten Mal in New York präsentiert wurde, basiert auf unterschiedlichen Widersprüchen: Zwischen dem, was wir erwarten und dem, was wir tatsächlich bekommen. Zwischen dem, was wir sehen möchten und dem, was wir wahrnehmen können. Zwischen dem, was wir sehen und dem, was wir wissen. Zwischen dem was wir wissen, und dem, was wir lesen. Zwischen dem, was wir lesen und dem, was wir erwarten zu lesen. Schon der Titel „Strafe und Verbrechen“ ist ein Spiegelbild des Titels eines anderen Werkes, das immer im Bewusstsein des durchschnittlichen Lesers präsent ist. Es erscheint uns als ein Fehler, als ein Widersinn zu unseren Gewohnheiten und der Logik. Warum zuerst die Strafe und dann das Verbrechen? Und welches Verbrechen? Das Verbrechen erkennt man sofort in den letzen Filmszenen auf der großen Leinwand. Und es ist kein happy end, die Protagonisten brechen nicht in Richtung der untergehenden Sonne auf. Und auch wenn die Sonnenstrahlen die Räume zwischen den Baumzweigen beleuchten, bestrahlen sie auch die an ihnen schwebenden Gestalten der Aufgehängten. Die Strafe sieht und hört man auf der zweiten großen Leinwand. Der Kurzfilm, komponiert wie ein Trailer, zeigt nur starke Akzente, den zersprengten Schuppen, den in die Luft gehenden Wagen, die Explosion, das Feuer, die Patronengürtel der Maschinengewehre und die Flammenwerfer. Die Protagonisten tragen gleiche pin up girl – Masken, Perücken und die Patronengürtel wie Halscolliers. Von Zeit zur Zeit bei verlangsamten Lauf des Filmes nimmt man die Schönheit der zerstörerischen Aktivitäten wahr. Man kann versuchen den Sinn dieser Taten zu verstehen, indem man die auf fünf Fernsehern laufenden Filme sich ansieht. Jeder Film ist eine zweistündige Aufzeichnung der Tätigkeiten: Detonationen, Explosionen und Schüsse, die in den gezeigten Trailern benutzt wurden. Die Konstruktion (das Aufstellen des Schuppens, Vorbereitung des Autos) führt zu der Destruktion – Zerstörung. Was ist die Wirklichkeit und was ist der Film? Was ist Dokument, was ist die Phantasie? Welches Geschlecht haben die Protagonisten und wozu tragen sie diese niedlichen Frauenmasken? Das weibliche Grundelement mischt sich mit dem männlichen. Wo ist die Wahrheit, und wo das Falsche? Und ist dieses Feuerwerk eine Mystifikation oder ist es das wirkliche Dynamit? In ihren Arbeiten bewegt sie sich im Bereich kultureller Tabus und nimmt Bezug auf die körperliche Natur des Menschen, die Stereotypen und Verhaltensweisen im sozialen Kontext. Sie hinterfragt und überwindet sie, in dem sie Kontroversen entfacht und sich (gewöhnlich) selbst der Kritik der empörten Kritiker stellt. Sie zwingt uns zum Überdenken und Überprüfen der festgelegten Wertordnungen durch die Enthüllung der Realität. Hanna Wróblewska Übersetzung: Iwona Bigos www.katarzynakozyra.com.pl 17

thema<br />

Abb. rechts: Rafał Jakubowicz „Arbeitsdisziplin“,<br />

aus der Ausstellung „Nachbarn. Deutsche Motive<br />

in der polnischen Gegenwartskunst.“<br />

Keine schöne Überraschung<br />

Nachbar Deutschland in der jungen polnischen Kunst<br />

Im Sommer 2007 präsentierte agitPolska<br />

e.V. während des Festivals der <strong>Kultur</strong>en<br />

altonale9 in Hamburg die Ausstellung<br />

„Nachbarn. Deutsche Motive in<br />

der polnischen Gegenwartskunst“. Die<br />

Ausstellung wurde von Jarosław Lubiak<br />

und Kamil Kuskowski kuratiert. Das<br />

Thema erschien uns aufgrund der damaligen<br />

angespannten politischen Lage<br />

zwischen Polen und Deutschland sehr<br />

aktuell.<br />

Ich wusste allerdings nicht, wie sehr sich<br />

meine <strong>Vor</strong>stellung über dieses Thema,<br />

ich bin eine seit Jahren in Deutschland<br />

lebenden Polin, von der tatsächlichen<br />

künstlerischen Wirklichkeit unterscheidet.<br />

Die Kuratoren wählten Arbeiten<br />

bekannter polnischer Künstler aus, die<br />

sich in ihren Werken mit dem Thema<br />

„deutsch“ und „Deutschland“ beschäftigt<br />

haben. Dabei griffen sie nicht auf<br />

die gegenwärtig gängigen Themen zurück,<br />

sondern setzten sich vor allem mit<br />

der deutschen Vergangenheit, Nationalsozialismus<br />

und Krieg, auseinander.<br />

Die präsentierten Arbeiten wurden<br />

nicht gezielt für die Ausstellung angefertigt,<br />

sondern nur durch die Kuratoren<br />

dafür ausgewählt. Mit der Ausnahme<br />

von Józef Robakowski sind es Arbeiten<br />

von Künstlern der jüngeren Generation,<br />

die von dem Kriegstrauma nicht direkt<br />

berührt wurden. Desto überraschender<br />

war, dass „Das Deutschtum“ überwiegend<br />

mit dem Nationalsozialismus und<br />

dem Holocaust gleichgesetzt wurde.<br />

Wenn man die Auswahl der Werke als<br />

repräsentativ für die wichtigsten deutschen<br />

Motive in der polnischen Gegenwartskunst<br />

betrachtet, stellt sich die<br />

Frage warum überwiegend das Faschistische<br />

Deutschland?<br />

Ist weiterhin das Bild des Deutschen im<br />

polnischen Bewusstein dem Mann in<br />

SS-Uniform gleichzusetzen?<br />

Warum kommt beim Anblick des Stacheldrahts<br />

in der Arbeit von<br />

Rafał Jakubowicz (siehe Abbildung<br />

oben) sofort die Assoziation<br />

mit dem Konzentrationslager<br />

auf?<br />

Warum sind solche Gedankenverknüpfungen<br />

noch 60<br />

Jahre nach dem Krieg weiterhin<br />

so präsent?<br />

Sind dies die Folgen unserer<br />

antideutschen Erziehung,<br />

angefangen mit der Legende<br />

über die Wanda, die den<br />

Deutschen nicht wollte,<br />

über die populären Witze<br />

aus der Reihe „Pole, Russe und der Deutsche“,<br />

bis zu beliebten Kinderserien wie<br />

„Vier Panzerfahrer und ein Hund“ oder<br />

„Oberst Kloss“.<br />

Oder sind diese Arbeiten, die sich mit<br />

dem Motiv der Shoa auseinandersetzen,<br />

ein Teil des gegenwärtigen Trends der<br />

letzen Jahre? In denen der Holocaust<br />

wieder in der Kunst, nicht nur in Polen<br />

sondern auch in anderen Ländern des<br />

Westens modern wurde?<br />

Mit Sicherheit zwingen die berühmten<br />

Arbeiten von Zbigniew Libera „Die Einwohner“<br />

und „Radfahrer“, oder die seitenverkehrte,<br />

geknebelte Swastika von<br />

Leszek Knaflewski zu einer tiefen Reflexion<br />

über diese so wichtige Zeit der<br />

deutschen Geschichte. Sie hinterließen<br />

bei den Ausstellungsbesuchern einen<br />

enormen Eindruck, so enorm und tiefgreifend,<br />

dass einige erschütterte Gäste<br />

die Vernissage nach wenigen Minuten<br />

verließen, ohne den kleinsten Versuch<br />

zu starten sich auf eine künstlerische<br />

Diskussion einzulassen.<br />

Iwona Bigos<br />

agitPolska e.V.<br />

Teilnehmende Künstler:<br />

Tomasz Bajer / Marcin Berdyszak / Arti Grabowski<br />

/ Rafał Jakubowicz / Paweł Jarodzki /<br />

Łódż Kaliska / Grzegorz Klaman / Leszek Knaflewski<br />

/ Kamil Kuskowski / Leszek Lewandowski<br />

/ Zbigniew Libera / Robert Maciejuk / Monika<br />

Kowalska, Grzegorz Kowalski Zbigniew Sejwa<br />

/ Aleksandra Polisiewicz / Józef Robakowski<br />

/ Przemysław Truściński / Wunderteam<br />

Abb. links: Leszek Knaflewski, Good mit uns, 2004<br />

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