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Moje Weer<br />
Pomyślnych wiatrów<br />
+++ Das Gröpelinger Magazin +++ Nr. 33 +++ Oktober 2008 +++<br />
+++ Themen: Polnisches Leben in Bremen +++ Gröpelinger Feuerspuren 2008 +++<br />
Videostill aus „Strafe und Verbrechen“ von Katarzyna Kozyra<br />
1
gröpelinger querschau<br />
Als Gott die Welt erschuf<br />
Andrzej Mleczko [www.mleczko.interia.pl]<br />
... spielte er den Polen einen Streich und platzierte das Land<br />
zwischen den Russen und den Deutschen. So jedenfalls sieht<br />
der bekannte polnische Cartoonist Andrzej Mleczko die besondere<br />
kulturelle und politische Situation Polens.<br />
Seit jeher ist die polnische Geschichte eng mit der deutschen<br />
verwoben und polnische Einwanderer prägen seit<br />
über 150 Jahren das Gesicht deutscher Städte.<br />
Für das Gröpelinger Magazin MOJE WEER ist es deshalb ein<br />
lang gehegter Plan, den Spuren polnischen Lebens im Stadtteil<br />
nachzugehen.<br />
Die in diesem Jahr erstmals stattfindenden polnischen Wochen<br />
sind der Anlass, sich endlich einmal dem polnischen<br />
Leben in Bremen zu widmen. Unter dem Motto „Polen sehen“<br />
haben viele Akteure ein umfangreiches Programm zusammen<br />
getragen, um die „unsichtbare“ polnische Community<br />
sichtbar zu machen. Gemeinsam mit der deutsch-polnischen<br />
<strong>Kultur</strong>initiative agitPolska werfen wir in dieser Moje<br />
Weer einen Blick auf POLNISCHES LEBEN IN BREMEN, auf aktuelle<br />
Kunst aus Polen und auf eine schwierige deutsch-polnische<br />
Geschichte.<br />
Das umfangreiche Programm der POLNISCHEN TAGE finden<br />
Sie ebenfalls in diesem Heft.<br />
Moje Weer wird herausgegeben von <strong>Kultur</strong> <strong>Vor</strong> <strong>Ort</strong> e.V., einer<br />
<strong>Kultur</strong>- und Bildungsinitiative aus Bremen-Gröpelingen.<br />
Diese Ausgabe wird freundlich unterstützt von<br />
der Landeszentrale für politische Bildung und<br />
dem Generalkonsulat der Republik Polen Hamburg.<br />
Die Cartoons Mleczkos in diesem Heft drucken wir mit<br />
freundlicher Genehmigung des Autors. Mehr von ihm unter<br />
www.mleczko.interia.pl oder in der Warschauer Galerie auf<br />
der Marszalkowska 140 oder in Krakau, nl. Sw Jana 14.<br />
„Moje Weer“ (auf polnisch pomyślnych wiatrόw) ist<br />
ein alter friesischer Seemannsgruß und bedeutet<br />
so viel wie „Gutes Wetter! Gute Fahrt“<br />
„Moje Weer“ wünschen wir Gröpelingen insbesondere<br />
für die diesjährigen FEUERSPUREN, die <strong>Kultur</strong><br />
<strong>Vor</strong> <strong>Ort</strong> erneut mit dem Bürgerhaus Oslebshausen<br />
in den letzten Herbsttagen durchführen wird. Wie<br />
schon 2007 werden wieder Tausende aus Bremen<br />
und dem Umland in den Bremer Westen kommen,<br />
um dieses besondere Erzählfestival zu<br />
erleben.<br />
Am 7. November startet zum Auftakt<br />
die LANGE NACHT DER ERZÄHLUNGEN und am<br />
Samstag, den 8. November sind an 14 besonderen<br />
<strong>Ort</strong>en entlang der Lindenhofstraße über 60 Erzählungen<br />
aus aller Welt und in vielen Sprachen zu hören<br />
- und auf der Straße gibt es tolle Feuershows..<br />
<strong>Kultur</strong> <strong>Vor</strong> <strong>Ort</strong> lädt auch in diesem Herbst zu zahlreichen<br />
Ausstellungen ins ATELIERHAUS ROTER<br />
HAHN. Insbesondere die Projekte des Kinder- und<br />
Jugendateliers sind ein großer Erfolg und zeigen<br />
die wertvollen künstlerischen Potentiale vieler jungen<br />
Leute im Stadtteil. Mit Kunst kann man zu<br />
einem ganzen Menschen werden und dies können<br />
Sie bei den Ausstellungen der Arbeiten von Kindern<br />
und Jugendlichen immer wieder erleben.<br />
Anlässe für einen Besuch in Gröpelingen bietet<br />
der Herbst mehr als genug. Seien Sie herzlich willkommen.<br />
Bestellen Sie den Newsletter unter:<br />
www.kultur-vor-ort.com<br />
Impressum<br />
Moje Weer, herausgegeben von <strong>Kultur</strong> <strong>Vor</strong> <strong>Ort</strong> e.V.<br />
Liegnitzstraße 63, 28237 Bremen, Tel. 0421-6197727<br />
e-mail: info@kultur-vor-ort.com, www.kultur-vor-ort.com<br />
Konto Sparkasse Bremen BLZ 290 501 01, Kto.-Nr. 108 79 56<br />
Anzeigen Claudia Ruthard, 0421-6169438<br />
Redaktion Eike Hemmer (V.i.S.d.P.),<br />
Claudia Ruthard, Claus Pöllen, Heinfried Becker, Thomas<br />
Berger, Lutz Liffers<br />
Mitarbeit für diese Ausgabe Iwona Bigos (agitPolska e.V.)<br />
2<br />
Öko in Gröpelingen?<br />
Kein Problem!<br />
Blockhaus Walle liefert auch nach Gröpelingen – alles was das Öko-Herz begehrt<br />
Naturkost frei Haus ab 30 Euro<br />
Tel. 39 45 20
kultur vor ort<br />
Ein Projekt von <strong>Kultur</strong> <strong>Vor</strong> <strong>Ort</strong> e.V.<br />
Gröpelinger Heerstraße 226<br />
Talente brauchen Förderer<br />
Angebote für Kids<br />
Zwischen Himmel und Erde<br />
Kunstwerkstatt für Kinder ab 5 Jahre<br />
Kinder interessieren sich für die wichtigen Fragen<br />
des Lebens: Warum müssen wir sterben? Wovon<br />
träumen Spinnen? Wie alt sind die Steine?<br />
In der Werkstatt entstehen Riechbücher, Kellerkisten,<br />
Drahtinsekten, Tonbauten, Steinmännchen<br />
und Lichtschalen.<br />
In Kooperation mit der Volkshochschule Bremen West.<br />
Donnerstags ab 4.9. jeweils 16:30-18:00 (für Kinder ab 7 Jahre)<br />
Donnerstags ab 30.10. jeweils 14.30h- 16.00h (für Kinder ab 5<br />
Jahre)<br />
Kinder- und Jugendatelier<br />
Atelierhaus Roter Hahn, Gröpelinger Heerstr. 226<br />
Mobiles Atelier MOKU<br />
Unterwegs in Gröpelingen<br />
An drei Nachmittagen ist das Mobile Atelier von<br />
<strong>Kultur</strong> <strong>Vor</strong> <strong>Ort</strong> und FH Ottersberg in Gröpelingen<br />
unterwegs.<br />
Mit Farben und Staffeleien, Ton und Ytong und<br />
vielen weiteren interessanten Materialien und<br />
Werkzeugen können die Kinder ihr Können erproben.<br />
Das Angebot ist kostenlos.<br />
In Kooperation mit dem Gesundheitstreffpunkt<br />
West und dem Amt für soziale Dienste.<br />
Kinder- und Jugendatelier Roter Hahn sucht KinderKunstPaten<br />
In Bremen-Gröpelingen gibt es nur wenige Möglichkeiten für junge<br />
Leute in direkter Nachbarschaft zu Schule und Familie ihre gestalterischen,<br />
kreativen und musischen Stärken zu entwickeln. <strong>Kultur</strong> <strong>Vor</strong><br />
<strong>Ort</strong> e.V. ermöglicht Kindern und Jugendlichen in einem modernen<br />
Atelier ihre Talente zu entdecken und zu entwickeln.<br />
Im Atelierhaus Roter Hahn können sie mit Unterstützung von<br />
Künstlern und Kunstpädagogen an frei gewählten Themen mit unterschiedlichen<br />
Materialien arbeiten.<br />
Die Kinder und Jugendlichen lernen einerseits den Umgang mit<br />
Materialien wie Farbe, Ton, Ytong und andererseits mit Werkzeugen<br />
wie Bohrmaschinen und Pinsel, Sägen und Schweißgeräten.<br />
Kunst ermöglicht Veränderung<br />
Für diese Arbeit suchen wir KinderKunstPaten. Mit Ihrer Patenschaft<br />
geben Sie jungen Leuten am Stadtrand neue Chancen und helfen,<br />
das Gesicht der <strong>Vor</strong>städte zu verändern.<br />
Das Kinder- und Jugendatelier im Stiftungsdorf Gröpelingen ist dabei<br />
Teil der vielfältigen Bemühungen von <strong>Kultur</strong> <strong>Vor</strong> <strong>Ort</strong>, junge Leute<br />
in Kontakt mit Kunst zu bringen.<br />
Alle Projekte werden von ausgebildeten KunstpädagogInnen, KünstlerInnen<br />
und KunsttherapeutInnen begleitet.<br />
KinderKunstPaten unterstützen die Arbeit im offenen Kinder- und<br />
Jugendatelier im Atelierhaus Roter Hahn. Mit Ihrer regelmäßigen<br />
Spende ermöglichen Sie offene Angebote und Intensivkurse für besonders<br />
talentierte Kinder und Jugendliche. Sie helfen beim Aufbau<br />
einer künstlerischen Produktionsstätte für Kinder in einem Stadtteil<br />
mit schwacher kultureller Infrastruktur.<br />
Dienstags: Schulhof Fischerhuder Straße ab 15h<br />
Donnerstags: Bibliotheksplatz, Lindenhofstraße ab 15h<br />
Samstags: Marienwerderstraße ab 15h<br />
www.kultur-vor-ort.com<br />
Informationen: <strong>Kultur</strong> <strong>Vor</strong> <strong>Ort</strong><br />
Liegnitzstr. 63, 28237 Bremen<br />
T 0421-6197727, info@kultur-vor-ort.com<br />
3
<strong>Kultur</strong> <strong>Vor</strong> <strong>Ort</strong><br />
Tandem<br />
Junge Talente der Johann-Heinrich-Pestalozzi-Schule und<br />
Gesamtschule West (Gröpelingen) haben gemeinsam mit<br />
den bildenden Künstlern des Jugendateliers Gröpelingen<br />
über mehrere Monate an Bildhauerobjekten für den öffentlichen<br />
Raum gearbeitet. Die Jugendlichen haben sich mit<br />
ihren Wünschen und der Frage, was sie der Öffentlichkeit<br />
mitteilen möchten, auseinandergesetzt. Nun werden die<br />
Skulpturen an verschiedenen <strong>Ort</strong>en aufgestellt um so eine<br />
Spur durch Gröpelingen zu legen.<br />
Ausstellungseröffnung: Mi., 8.10., 17 h<br />
Rundgang durch den öffentlichen Raum<br />
Treffpunkt unter www.kultur-vor-ort.com<br />
Gefördert vom Fonds Soziokultur<br />
Ina Raschke – Zwei Bäume<br />
Bäume gehören zum festen symbolischen Vokabular der<br />
Menschheit. Wurzel, Stamm und Krone spielen eine große<br />
Rolle in den Mythen vieler <strong>Kultur</strong>en. Ina Raschke arbeitet mit<br />
diesem inhaltlichen Potenzial und verbindet in ihrer Ausstellung<br />
in Gröpelingen zwei Baumstämme so miteinander,<br />
dass die Wurzeln jeweils zur Krone der gegenüberliegenden<br />
Wurzeln werden. Daraus entsteht ein gleichzeitig absurdes<br />
und poetisches Bild von gegenseitiger Verwurzelung, das<br />
durchaus symbolisch interpretiert werden sollte.<br />
Ausstellungseröffnung Do. 9.10., 19 h<br />
9.10. bis 7.11., Öffnungszeiten Mo-Fr. 8-18 h<br />
Atelierhaus Roter Hahn, Gröpelinger Heerstr. 226<br />
In Kooperation mit dem Gerhard-Marcks-Haus<br />
Die verflixte Dreizehn<br />
und die Unendlichkeit<br />
Mathematisch-philosophische<br />
Kunstwerkstatt<br />
Preisträger im Bundeswettbewerb „Mathe<br />
erleben!“ zum Jahr der Mathematik<br />
Über 40 Kinder aus den KITAS Pastorenweg,<br />
Kinder leben e.V., St. Nikolaus und<br />
dem Spielkreis Danziger Straße starten<br />
am 8. September in ein neues Kunstprojekt<br />
im Kinder- und Jugendatelier<br />
von <strong>Kultur</strong> <strong>Vor</strong> <strong>Ort</strong>.<br />
Aus Anlass des Jahres der Mathematik<br />
bauen und gestalten die Kinder ein<br />
eigenes Mathe-Buch, in dem es um<br />
solche Fragen geht wie:<br />
- Warum gibt es Zahlen und wer hat<br />
sie erfunden?<br />
- Gibt es unterschiedliche Zahlen in<br />
unterschiedlichen Ländern?<br />
- Gibt es auch Pechzahlen?<br />
- Welche Zahlen hat mein Körper?<br />
- Was ist unendlich?<br />
- Und haben Tiere auch etwas mit<br />
Zahlen zu tun?<br />
Mit Zeichnungen, Collagen, unterschiedlichen<br />
Hochdruckverfahren und<br />
einer Fotoralley philosophieren und<br />
rechnen die Kinder rund um mathematische<br />
Grundfragen.<br />
Zum Ende des Projektes lernen die<br />
Kinder, wie man ein Buch bindet und<br />
produzieren so ihr erstes, eigenes<br />
Mathe-Buch.<br />
Ausstellungseröffnung: Sa., 11.10., 11 h<br />
Stadtbibliothek Bremen-West, Lindenhofstr. 53<br />
11.10.-25.10.2008<br />
Mo 13-18 h, Di+Do 11-18 h, Fr 11-17 h, Sa 10-13 h<br />
Mehr zum Jahr der Mathematik unter:<br />
www.jahr-der-mathematik.de<br />
Die verflixte 13: Kinder aus sechs verschiedenen<br />
Kitas sind dabei.<br />
4
+++ Thema in der Moje Weer +++<br />
Polnisches Leben in Bremen<br />
+++ Alltag, Kunst, Geschichte +++<br />
Polen bilden eine der größten Einwanderergruppen in Bremen.<br />
Doch über ihre <strong>Kultur</strong>, ihre Sprache, ihr Leben, ihre Ansichten und<br />
ihren Alltag wissen die wenigsten Bremer etwas.<br />
Das Meinen über Polen erschöpft sich meist in Schlagzeilen über<br />
angeblich marode politische Zustände oder polnische Konkurrenz<br />
auf dem Spargelarbeitsmarkt.<br />
Moje Weer spürt in dieser Ausgabe dem polnischen Leben in Bremen<br />
nach:. Was denken polnische Einwanderer über das Leben in<br />
Deutschland? Wie ist die Geschichte der polnischen Einwanderung<br />
mit der Geschichte der deutschen Industrialisierung verwoben?<br />
Vielleicht erfährt man am meisten über Polen, wenn man sich mit<br />
zeitgenössischer polnischer Kunst beschäftigt. Wir bieten Streiflichter.<br />
Wer mehr wissen will und die Begegnung sucht, sei auf das umfangreiche<br />
Programm des Festivals POLEN SEHEN verwiesen oder<br />
aber auch auf die Feuerspuren, wo agitPolska mit einer eigenen Erzählstation<br />
tief in die polnische Seele blicken lässt.<br />
Festivalprogramm ab Seite 31<br />
5
thema<br />
Polnische Einwanderung<br />
nach Bremen<br />
Ein fast vergessener Beitrag zur Stadtentwicklung<br />
Die Geschichte der polnischen Einwanderung<br />
nach Bremen ist eng verknüpft<br />
mit der beginnenden Industrialisierung<br />
Bremens seit den 70er Jahren<br />
des 19. Jahrhunderts auf der einen Seite<br />
und auch mit der schwierigen deutschpolnischen<br />
Beziehungsgeschichte der<br />
letzten 150 Jahre auf der anderen Seite.<br />
Letzteres trägt wesentlich mit dazu<br />
bei, dass der Anteil der Polen an der Bremischen<br />
Industriegeschichte heute nur<br />
wenig bekannt ist und die Polen als traditionelle<br />
und älteste Einwanderungsgruppe<br />
in der jüngeren Geschichte Bremens<br />
kaum wahrgenommen werden.<br />
Ihre Integration gilt für die Zeit vor 1945<br />
als gelungen, so dass ihr Verschwinden<br />
nach 1945 nicht weiter verwundert.<br />
Als klassische Gastarbeiter tauchen<br />
seit den 60er Jahren nur Türken,<br />
Italiener, Griechen und andere Südeuropäer<br />
auf, obgleich es auch nach Bremen<br />
seit der zweiten Hälfte der fünfziger<br />
Jahre einen steten, wenn auch nicht<br />
sehr starken Zufluss von Menschen aus<br />
Polen nach Bremen gab. Es handelte<br />
sich dabei um deutsche Spätaussiedler,<br />
doch in den siebziger und achtziger Jahren<br />
nahm die polnische Prägung dieser<br />
6<br />
Menschen stark zu, und vor allem durch<br />
neue Migranten aus Polen in den neunziger<br />
Jahren stellen Polen im Jahre 2007<br />
mit rund 6.800 Menschen die drittgrößte<br />
Ausländergruppe nach Türken<br />
und Menschen aus dem ehemaligen Jugoslawien<br />
in Bremen, 1 wobei die Dunkelziffer<br />
und die Anzahl der Menschen<br />
mit einem deutsch-polnischen Hintergrund<br />
bzw. einem polnischen <strong>Kultur</strong>hintergrund<br />
aber deutschen Papieren deutlich<br />
höher sein dürfte - ähnlich wie auch<br />
bei den Menschen aus der früheren Sowjetunion.<br />
Ziel dieses kurzen Beitrages ist es, einen<br />
kurzen Überblick über die Geschichte<br />
der polnischen Migration nach Bremen,<br />
ihre Besonderheiten und ihren Beitrag<br />
zur Stadtentwicklung zu geben. Dabei<br />
erfolgt eine Konzentration vor allem auf<br />
die Zeit bis 1918 (I), bevor in weiteren Abschnitten<br />
auf die Zwischenkriegszeit (II),<br />
die Nachkriegszeit (III) und die Periode<br />
ab 1989 (IV) Bezug genommen wird. Das<br />
III. Reich und die Ausbeutung von Polen<br />
als Zwangsarbeiter in Bremen, z.B. beim<br />
Bau des U-Boot-Bunkers Valentin verdient<br />
eine eigene Betrachtung und wird<br />
hier daher ausgeklammert.<br />
Aufgrund der ungenügenden Literaturlage<br />
und des Umstandes, dass intensivere<br />
Archivstudien nicht möglich waren<br />
und zudem kaum polnische Quellen,<br />
d.h. Materialien zur Binnenperspektive<br />
der polnischen Migranten vorliegen,<br />
kann der vorliegende Beitrag nur ein<br />
knapper, essayistischer Auftakt zu ei-<br />
1 Siehe www.statistik.bremen.de/sixcms/media.<br />
php/13biz2008.pdf<br />
Für die polnischen Einwanderer wurde 1898<br />
die katholische Kirche St. Marien in Walle<br />
gebaut. [Foto: Geschichtskontor / <strong>Kultur</strong>haus<br />
Walle Brodelpott]<br />
ner gründlicheren Erforschung der polnischen<br />
Migrationsgeschichte in der historischen<br />
Längsachse in Bremen sein.<br />
I. Von WanderarbeiterInnen zu<br />
MitbürgerInnen: Die Anfänge der<br />
polnischen Migration<br />
Mit prägend für die Industrialisierung<br />
Bremens waren neben Schifffahrt und<br />
Häfen sowie der Metallindustrie auch<br />
die Textilindustrie. Die Gründung der<br />
Bremer Wollwäscherei in Lesum 1872,<br />
der Bremer Wollkämmerei und der<br />
Norddeutschen Wollkämmerei und<br />
Kammgarnspinnerei, der sog. Nordwolle<br />
in Delmenhorst 1883/84, der Bremer<br />
Jutespinnerei und –weberei in Bremen-<br />
Hemelingen 1873, der Jutespinnerei und<br />
–weberei Bremen im Westen der Stadt<br />
und der Hanseatischen Jutespinnerei<br />
und –weberei 1870 in Delmenhorst sowie<br />
die Gründung weiterer Industriebetriebe<br />
bedingten die Anwerbung und<br />
den Zuzug von Tausenden von Arbeitern<br />
aus Schlesien, Polen und Böhmen, für die<br />
nach englischem <strong>Vor</strong>bild Arbeiterhäuser<br />
errichtet wurden. 2 Im Bremer Norden<br />
war es vor allem die Bremer Wollkämmerei<br />
(BWK), die sich schnell zum<br />
größten Betrieb ihrer Art in Deutschland<br />
entwickeln sollte. Mit zu diesem<br />
Erfolg trugen auch polnische Arbeiter<br />
bei, von denen im Februar 1886 die ersten<br />
in der BWK eingestellt wurden. Von<br />
den etwas mehr als 2.300 Arbeitern im<br />
Jahr 1899 waren nach einem Bericht der<br />
Regierung fast die Hälfte Polen. In Blumenthal,<br />
Rönnebeck und Lüssum, kleine<br />
Dörfer, die vor Gründung der BWK vom<br />
Niedergang von Handwerk und Schifffahrt<br />
betroffen waren, war mehr als ein<br />
2 Vgl. die knappe Darstellung bei Herbert<br />
Schwarzwälder, Geschichte der Freien Hansestadt<br />
Bremen. Bd. II. Von der Franzosenzeit bis<br />
zum Ersten Weltkrieg (1810-1918), erw. u. verb.<br />
Aufl. Bremen 1995, S. 342ff.
Polnische Einwanderinnen<br />
in Berlin auf<br />
dem Weg zum Bahnhof,<br />
von wo aus sie in die<br />
Landwirtschafts- und<br />
Industriegebiete des<br />
Deutschen Reiches<br />
verschickt wurden.<br />
[Foto: Doku Blumenthal]<br />
Drittel der Bevölkerung aus Polen, etwas<br />
mehr als 2.000 Menschen. Aber<br />
auch diese Zahlen geben den ganzen<br />
Umfang der Migration nicht wieder, da<br />
viele Polen zunächst als Saisonarbeiter<br />
angeworben wurden, sie sich aber bald<br />
durch Familiennachzug in Bremen sesshaft<br />
machten. 3 Auf dem Höhepunkt der<br />
Ansiedlung der polnischen Bevölkerung<br />
wurden 1912 im Kreis Blumenthal 7.000<br />
Polen gezählt, im <strong>Ort</strong> Blumenthal rund<br />
33% der Bevölkerung. 4<br />
Ein weiterer Betrieb, der aufgrund der<br />
niedrigeren Löhne auf die Anwerbung<br />
polnischer Arbeiter setzte, war die Bremer<br />
Jutespinnerei und –weberei in Bremen-Hemelingen.<br />
Wenn man sogenannte<br />
Inlandspolen aus dem Posener<br />
Gebiet und andere Polen zusammenzählt,<br />
waren im Jahr 1900 von den rund<br />
1.000 Arbeitern mehr als 75% ausländische<br />
Beschäftigte, d.h. überwiegend<br />
polnische Frauen. Auch die Delmenhorster<br />
Hanseatische Jutespinnerei und<br />
–weberei, 1871 gegründet, und die bereits<br />
erwähnte Nordwolle deckten weit<br />
mehr als die Hälfte ihres Arbeitskräftebedarfs<br />
mit ausländischen Arbeitskräften,<br />
überwiegend Polen, aber im Fall<br />
der Nordwolle auch Menschen aus Böh-<br />
3 Vgl. Friedrich Jerchow, 1883-1983. Die Geschichte<br />
der Bremer Woll-Kämmerei zu Blumenthal.<br />
Ein Jahrhundert im Dienst der Textilwirtschaft,<br />
Bremen 1983, S. 31ff.<br />
4 Vgl. Diethelm Knauf, Blumenthal 1860-1945,<br />
Bremen 1998, S. 17.<br />
men und Kroatien. 5 Ein wichtiger Zweig<br />
der Bremischen Industrialisierung wurde<br />
demnach mit Hilfe polnischer Frauen<br />
und Männer vorangetrieben, die nicht<br />
nur die ethnische, sondern auch die<br />
konfessionelle Zusammensetzung vormals<br />
kleiner Dörfer änderten. Dennoch<br />
scheint der Zusammenhalt auf der Arbeit<br />
trotz dieser Unterschiede funktioniert<br />
zu haben. Darauf deuten zumindest<br />
gemeinsame Streiks in der Bremer<br />
Jutespinnerei und auch in der Delmenhorster<br />
Nordwolle hin, wo polnische,<br />
böhmische und deutsche Arbeiter in der<br />
Zeit vor dem Ersten Weltkrieg gemeinsam<br />
für bessere Arbeitsbedingungen<br />
mehrfach streikten. Auch der gewerkschaftliche<br />
Organisationsgrad war trotz<br />
der genannten Heterogenität hoch und<br />
erreichte z.B. 1913 in Hemelingen über<br />
50%. 6<br />
Sowohl im Bremer Norden als auch im<br />
Bremer Westen entstanden mit der St.<br />
Marien-Kirche in Blumenthal und der St.<br />
Marien-Kirche in Walle 1892 bzw. 1898<br />
neue Gotteshäuser für die stark gestiegene<br />
Anzahl an Katholiken. Polnische<br />
Pfarrer, die mehrfach für einige Wochen<br />
in dieser Zeit nach Blumenthal kamen,<br />
wie auch das Engagement einheimischer<br />
Seelsorger trugen zur Verwur-<br />
5 Vgl. Marlene Ellerkamp, Industriearbeit,<br />
Krankheit und Geschlecht. Zu den sozialen Kosten<br />
der Industrialisierung: Bremer Textilarbeiterinnen<br />
1870-1914, Göttingen 1991, S. 30ff.<br />
6 Vgl. ebd., S. 227ff.<br />
zelung der Polen bei, zumal es auch damals<br />
polnische Gottesdienste gab. 7<br />
Die Industrialisierung zog natürlich<br />
nicht nur durch die Textilindustrie, sondern<br />
besonders auch im Baugewerbe<br />
und in der Metallindustrie ausländische<br />
Arbeiter und hier vor allem Polen nach<br />
Bremen und ins Umland.<br />
Insgesamt waren nach der Statistik des<br />
Deutschen Reiches im Jahr 1907 in Bremen<br />
rund 1.300 Personen aus dem Posener<br />
Gebiet, 1.000 aus Pommern, rund<br />
1.700 aus Schlesien, 2.500 aus West- und<br />
Ostpreußen beschäftigt. Hinzu kommen<br />
noch rund 6.500 Menschen aus<br />
dem Ausland. Dabei gab es auch spezifische<br />
Verteilungen auf die einzelnen<br />
Branchen. So waren in der Textilindustrie<br />
zum damaligen Zeitraum 27% aus<br />
dem Posener Gebiet (10%) bzw. aus dem<br />
Ausland, wobei letztere auch in starkem<br />
Maße Menschen aus Böhmen betraf. 8<br />
7 Vgl. für die Entwicklung der beiden Gemeinden<br />
St.-Marien 100 Jahre St. Marien. Erlebte Geschichte<br />
einer-Gemeinde Bremen (Hrsg.), Kirchengemeinde<br />
im Bremer Westen 1898-1998,<br />
Bremen 1998; sowie Kath. Kirchengemeinde St.<br />
Marien in Blumenthal (Hrsg.), 1854-2004. Der<br />
Weg einer Diasporagemeinde. Chronik St. Marien<br />
Blumenthal, Bremen 2004.<br />
8 Vgl. für die Zahlen Karl Marten Barfuss, Gastarbeiter<br />
in Nordwestdeutschland 1884-1918,<br />
Bremen 1985, S. 247.<br />
7
Arbeiterinnen auf der Jute in Walle. [Foto: Geschichtskontor / <strong>Kultur</strong>haus Walle Brodelpott]<br />
Hinzu kommen natürlich noch Familienangehörige.<br />
Siedlungsschwerpunkte<br />
der polnischen Bevölkerung waren die<br />
Gebiete mit entsprechenden Industrieansiedlungen,<br />
also vor allem Bremen-<br />
Nord, Walle und Hemelingen.<br />
II. Zwischen Rückkehroption,<br />
Integration und Assimilation in den<br />
zwanziger Jahren<br />
Die Wiederentstehung des polnischen<br />
Staates nach 1918 brachte für die Polen<br />
in Bremen wie auch in ganz Deutschland<br />
einschneidende Veränderungen,<br />
da sich nun eine Rückkehroption in einen<br />
eigenen Staat anbot, eine Möglichkeit<br />
von der rund ein Drittel der Polen<br />
in Deutschland Gebrauch machten.<br />
Viele wanderten auch in die Kohlegebiete<br />
Frankreichs oder in die USA weiter.<br />
Aus Blumenthal kehrte gleichfalls rund<br />
ein Drittel der Polen in ihre alte Heimat<br />
zurück. 9 Für die Verbliebenen Polen bedeutete<br />
dies einen stärkeren Assimilierungsdruck,<br />
wenngleich nach offiziellen<br />
Zahlen trotz des deutlichen Rückgangs<br />
1933 noch ca. 440.000 polnisch<br />
sprechende Menschen in Deutschland<br />
wohnten. 10 Nach statistischen Angaben<br />
waren in Bremen 1925 noch rund 1.100<br />
Menschen mit polnischer Staatsangehörigkeit<br />
gemeldet, nach den Personen<br />
9 Vgl. Knauf, Blumenthal, a.a.O., S. 19.<br />
10 Vgl. Zdzisław Krasnodębski, Die polnische<br />
Minderheit in Deutschland als Forschungsobjekt,<br />
in: Ders. / Nele Krampen (Hrsg.), Polen in<br />
Bremen. Eine unsichtbare Minderheit?, Bremen<br />
2001, S. 13-25, hier S. 20.<br />
8<br />
mit tschechoslowakischer Staatsangehörigkeit<br />
(1.821) die zweitgrößte Gruppe<br />
von Ausländern. Im Jahr 1933 lebten<br />
dann noch 882 Menschen mit polnischer<br />
Staatsangehörigkeit in Bremen, wobei<br />
der Ausländeranteil an der Wohnbevölkerung<br />
von 3% im Jahr 1910 auf 1,1% im<br />
Jahr 1933 zurückgegangen war. 11 Nicht<br />
erfasst werden von diesen Zahlen aber<br />
Menschen mit einem polnischen kulturellen<br />
Hintergrund, so dass die eigentliche<br />
Polonia etwas größer gewesen<br />
sein dürfte.<br />
Unter diesen veränderten Bedingungen<br />
wurde der Zusammenhalt der Polen<br />
in der Weimarer Zeit vor allem durch<br />
die Gemeinschaft am Arbeitsplatz und<br />
durch die katholische Konfession begründet.<br />
Hier konstituierte sich Gemeinschaft,<br />
fand ein Engagement in katholischen<br />
Arbeitervereinen, christlichen<br />
Gewerkschaften oder katholischen Jugendgruppen<br />
statt. 12 Der Druck der Nationalsozialisten<br />
auf die Kirchen und ihre<br />
Organisationen und schließlich auch<br />
der Zweite Weltkrieg selber zerschlugen<br />
dann diese Gemeinschaft. Die für die katholischen<br />
Polen wichtigen Bekenntnisschulen<br />
wurden Ende der dreißiger Jahre<br />
in Bremen aufgelöst, wenngleich die<br />
katholische Kirche weiterhin Anlaufstation<br />
für viele Polen war und in der Waller<br />
St. Marienkirche auch noch im Krieg<br />
11 Vgl. Barfuß, Gastarbeiter, a.a.O., S. 255.<br />
12 Vgl. für das Waller Juteviertel Gerda Krüger,<br />
Leben im Juteviertel in Walle 1910-1933, in: Arbeiterbewegung<br />
und Sozialgeschichte, Bd. 5,<br />
2000, S. 18-30.<br />
Beichten auf Polnisch abgenommen<br />
wurden. Durch polnische Zwangsarbeiter<br />
im Krieg wurde die Nachfrage nach<br />
katholischer Seelsorge zudem größer,<br />
wenngleich der Gottesdienstbesuch für<br />
sie ab 1941 offiziell verboten war. 13 Zweifellos<br />
kamen die polnischen Zwangsarbeiter,<br />
die in der Textilindustrie eingesetzt<br />
wurden, auch mit den dortigen<br />
polnisch stämmigen Arbeitern in Berührung,<br />
aber hierfür liegen leider keine<br />
Erkenntnisse oder autobiographische<br />
Ausführungen vor. Dabei war die Zahl<br />
der Zwangsarbeiter in Bremen bzw. im<br />
Gau Weser-Ems erheblich und wurde<br />
von der Deutschen Arbeitsfront (DAF)<br />
für das Jahr 1943 auf etwa 100.000 geschätzt,<br />
davon zu diesem Zeitpunkt etwa<br />
30.000 in Bremen. Im Sommer 1941<br />
waren rund 7.300 polnische Zwangsarbeiter<br />
in Bremen und ihre Zahl dürfte<br />
zunächst noch weiter gestiegen sein. 14<br />
Allein beim Bau des U-Boot-Bunkers Valentin<br />
in Bremen-Farge kamen deutlich<br />
über 100 Polen ums Leben, wobei die<br />
endgültigen Opferzahlen wahrscheinlich<br />
nie in Erfahrung zu bringen sein<br />
werden. 15<br />
III. Nachkriegszeit<br />
Das Kriegsende brachte für die polnischen<br />
Zwangsarbeiter die Freiheit<br />
und damit auch die Rückkehr der katholischen<br />
Seelsorge. Die Chronik der Pfarrgemeinde<br />
St. Marien in Blumenthal berichtet<br />
von massenhaften polnischen<br />
Trauungen nach dem Kriege, 16 was dafür<br />
spricht, dass eine große Zahl der<br />
Zwangsarbeiter zunächst in Bremen<br />
blieb. Wie viele sich davon dauerhaft in<br />
Bremen niederließen ist leider nicht zu<br />
ermitteln. Allerdings bestimmten nach<br />
1945 vor allem die Vertriebenen als Binnenmigranten<br />
die Zuwanderung und<br />
nicht mehr Polen oder Tschechen. Mit<br />
den Polen hatten sie oft die alte Heimat<br />
gemeinsam und ihre Zahl nahm in den<br />
13 Vgl. 100 Jahre St. Marien, a.a.O., S. 56.<br />
14 Vgl. Herbert Schwarzwälder, Geschichte der<br />
Freien Hansestadt Bremen. IV Bremen in der<br />
NS-Zeit (1933-1945), Bremen erw. u. verb. Aufl.<br />
1995, S. 502ff.<br />
15 Zur Diskussion der Opferzahlen vgl. Heiko<br />
Kania, Neue Erkenntnisse zu Opferzahlen und<br />
Lagern im Zusammenhang mit dem Bau des<br />
Bunkers Valentin, in: Arbeiterbewegung und Sozialgeschichte,<br />
Bd. 10, 2003, S. 7-31.<br />
16 Vgl. 100 Jahre St. Marien, a.a.O., S. 53f.
Moje Weer 115x60 Phase 3:Layout 2 19/8/08 15:19 Page 1<br />
ersten 15 Jahren nach dem Krieg beständig<br />
zu, von ca. 32.000 Vertriebene im<br />
Jahr 1949 auf mehr als 84.000 im Jahr<br />
1959. Deutlich ablesbar ist in den Statistiken<br />
auch die politische Konjunktur<br />
zwischen Ost und West. So stieg die Zahl<br />
der Zuzüge aus den ehemaligen Ostgebieten<br />
des Deutschen Reiches in den<br />
Jahren 1957 und 1958 kurzfristig auf 1210<br />
bzw. 2901, um dann wieder auf einige<br />
Hundert bzw. nur einige Dutzend in den<br />
sechziger Jahren zurückzugehen. 17 Ähnlich<br />
wie in den fünfziger Jahren kam es<br />
auch Mitte der siebziger Jahre zu einem<br />
kurzfristigen Anstieg der Zuzugszahlen,<br />
in beiden Fällen aufgrund von Regierungsvereinbarungen<br />
über die Familienzusammenführung.<br />
Je später allerdings<br />
der Zuzug aus den ehemaligen deutschen<br />
Ostgebieten erfolgte, desto stärker<br />
war bei den Spätaussiedlern auch eine<br />
kulturell polnische Identität vorhanden<br />
und mit der Verschlechterung der<br />
ökonomischen Situation in der Volksrepublik<br />
Polen ab Mitte der siebziger Jahre<br />
und dann vor allem nach der Verhängung<br />
des Kriegsrechts am 13. Dezember<br />
1981 kamen mehr und mehr Polen<br />
wieder nach Bremen, teils indem sie eine<br />
deutsche Abstammung geltend machen<br />
konnten, teils als politische Flüchtlinge.<br />
Ökonomische Motive und der<br />
Wunsch, Lebenschancen in Deutschland<br />
zu suchen, spielten bei vielen sicherlich<br />
auch eine nachvollziehbare Rolle – ähnlich<br />
wie bei den ersten polnischen Zuwanderern<br />
100 Jahre zuvor.<br />
IV. Gemeinsames Europa: Rückkehr<br />
der polnischen Minderheit?<br />
Der politische Wandel in Polen 1989 bedeutete<br />
auch für die Migration von Polen<br />
nach Deutschland einschneidende<br />
Veränderungen. Die Berufung auf politisches<br />
Asyl oder auf deutsche <strong>Vor</strong>fahren<br />
fielen als Begründungen für die<br />
Migrationsentscheidung nun weg und<br />
auch Arbeitserlaubnisse für polnische<br />
Arbeitnehmer sind bis heute nur in bestimmten<br />
Branchen zu erhalten. Dennoch<br />
wird die Freizügigkeit von Au-pair-<br />
Mädchen und von Studierenden genutzt.<br />
17 Vgl. Statistisches Handbuch für das Land<br />
Freie Hansestadt Bremen 1950-1960, Bremen<br />
1961, S. 16 u. S. 30.<br />
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Hinzu kommt, dass ein Teil der in den<br />
achtziger Jahren nach Bremen gekommenen<br />
Polen in der Stadt geblieben ist<br />
und sich nun wieder stärker einer polnischen<br />
Identität zuwendet.<br />
Verändert hat sich nach 1989 auch die<br />
Binnenstruktur der Gruppe und ihr Auftreten<br />
nach außen. Viele der Spätaussiedler<br />
aus den 80er Jahren behielten<br />
mit ihrem polnischen Pass 18 auch einen<br />
Teil ihrer kulturell polnischen Identität,<br />
wenn sie sich in der Öffentlichkeit<br />
auch oft nicht dazu bekannten. Durch<br />
den Zuzug neuer Migranten aus Polen<br />
nach 1989 und das sich allmählich verbessernde<br />
Image Polens als eines demokratischen<br />
Staates sollte sich das ändern.<br />
Man hört wieder Polnisch in den<br />
Straßenbahnen, vor den katholischen<br />
Kirchen oder auch an den Universitäten<br />
des Landes. Polnische <strong>Kultur</strong>vereine<br />
machen mit Lesungen, polnischem<br />
Kino und Theater auf sich aufmerksam<br />
und präsentieren das Nachbarland interessant<br />
und kulturell kreativ. Die Spannungen<br />
zwischen „progressiven“ Bremer<br />
Katholiken und „konservativen“<br />
polnischen Katholiken, die in manchen<br />
18 Vgl. die Angaben von Christoph Pallaske,<br />
Migrationen aus Polen in die Bundesrepublik<br />
Deutschland in den 1980er und 1990er Jahren.<br />
Migrationsverläufe und Eingliederungsprozesse<br />
in sozialgeschichtlicher Perspektive, Münster,<br />
New York, Berlin 2002, S. 39 u. 56f.<br />
www.waterfront-bremen.de<br />
Bremer Gemeinden für Unruhe gesorgt<br />
haben, 19 scheinen der Vergangenheit<br />
anzugehören. Aufschlussreicher sind<br />
da schon die unterschiedlichen Traditionen<br />
innerhalb der polnischen Gruppe<br />
in Bremen, zwischen Arbeitsmigranten<br />
und einem kleinen intellektuellen Milieu<br />
von sehr gut ausgebildeten Polen,<br />
die ihr Land nicht mehr nur nach traditionellen<br />
Mustern vertreten, sondern<br />
als modernes europäisches Land. Unabhängig<br />
davon, was die Politik heute<br />
feststellt oder wie der rechtliche Status<br />
definiert ist, kann heute demnach wieder<br />
von einer polnischen Minderheit in<br />
Bremen gesprochen werden. Allerdings<br />
sind heute die <strong>Vor</strong>aussetzungen für eine<br />
Integration unter Beibehaltung der kulturellen<br />
Identität der Polen in Bremen<br />
besser als vor 100 Jahren.<br />
Dr. Stefan Garsztecki<br />
Universität Bremen<br />
19 Ausführlicher dazu Nele Krampen, Zuwanderung<br />
aus Polen und die katholische Kirche in<br />
Bremen. Migration und Religion in der modernen<br />
Gesellschaft, Hamburg 2005.<br />
9
thema<br />
Zwischen Polenstolz und europäischer<br />
Gespräch mit drei polnischen Einwanderern über Identitäten<br />
und das schwierige Verhältnis zu Deutschland<br />
Fühlen Sie sich mehr als Pole (Polin) oder<br />
als Deutscher (Deutsche) oder spielt das<br />
für sie keine Rolle?<br />
Magda Ziomek-Beims Ich fühle mich<br />
mehr als Polin. Ich spreche mit meiner<br />
Familie polnisch, mit meinen Freunden<br />
polnisch und Deutsch (wenn ich kann,<br />
bevorzuge ich es Polnisch zu sprechen).<br />
Aber es ist alles gemischt.<br />
Polnisch ist praktisch um einen bissigen<br />
Kommentar zu machen, den nur Deine<br />
Freundin verstehen soll. Ich spreche<br />
auch oft polnisch zu Polen, auch wenn<br />
sie Deutsch sprechen und auch wenn<br />
es mehrere Leute im Raum gibt, die<br />
kein Polnisch verstehen. Ich nehme mir<br />
einfach das Recht, Polnisch zu sprechen,<br />
obwohl das bestimmt manchem unhöflich<br />
vorkommt.<br />
Urszula Wöltjen Ich habe nur einen<br />
einzigen Pass und der ist polnisch. Um<br />
10<br />
Gotteswillen, ich fühle mich überhaupt<br />
nicht als Deutsche. Ich kann mir das gar<br />
nicht vorstellen. Ich fühle mich absolut<br />
wie eine Polin, zu hundert Prozent.<br />
Piotr Sudol Ich fühle mich als Europäer.<br />
Ich war auch der einzige, der bei der Fußball-Europameisterschaft<br />
eine EU-Flagge<br />
am Auto hatte. Ich spreche mit meinen<br />
Freunden teils polnisch, teils deutsch.<br />
Mit meinen Eltern polnisch, mit meiner<br />
Freundin, die auch Polin ist, deutsch.<br />
Haben Sie enge Beziehungen zu Polen?<br />
Magda Ziomek-Beims Ich habe sehr<br />
enge Beziehung zu Polen. Mit meiner<br />
Mutter telefoniere ich sehr oft, ich bin<br />
auch oft dort. Sowohl beruflich, als<br />
auch im Urlaub oder um meine Eltern<br />
zu besuchen. Ich habe dort Freunde, mit<br />
denen ich in Kontakt bleibe,<br />
Urszula Wöltjen Ich bin sehr glücklich<br />
verheiratet mit einem deutschen Mann,<br />
einem Bremer, Feuerwehrmann. Wir haben<br />
auch eine 17jährige Tochter. Ich habe<br />
einen deutschen Mann, aber das hat<br />
keinen Einfluss auf meine Identität. In<br />
der Familie spreche ich beides, deutsch<br />
und polnisch. Mit meiner Tochter von<br />
Anfang an fast nur polnisch. Mein<br />
Mann unterstützt das sehr stark. Maria<br />
ist zweisprachig aufgewachsen. Mein<br />
Mann versteht sehr viel auf polnisch. Ich<br />
habe weiter enge Beziehungen nach Polen.<br />
Meine ganze Familie lebt dort. Wir<br />
machen immer Urlaub in Polen. Auch<br />
damit Marias Sprachkenntnisse weiter<br />
verbessert werden. Das ist ein großer<br />
Gewinn für unsere Tochter. Sie hat dort<br />
Freunde und viele Kontakte.<br />
Piotr Sudol Ich bin so vier bis fünfmal<br />
im Jahr in Polen, aber seltener auf Familienbesuch,<br />
sondern eher geschäftlich<br />
für irgendwelche Projekte.
Vision<br />
Pflegen Sie in Deutschland die polnische<br />
<strong>Kultur</strong>, Sitten und Gebräuche?<br />
Magda Ziomek-Beims Mich interessieren<br />
neue Bücher, Musik und Film. Ich<br />
lese manchmal polnische Zeitungen<br />
(aber nicht die von hier wie Agora oder<br />
andere Schmierblätter, wenn dann Internet).<br />
In erster Linie aber bin ich eine<br />
Europäerin.<br />
Ich pflege in Deutschland polnische <strong>Kultur</strong>.<br />
Ich sehe das als meine Arbeit. Mit<br />
ein Paar Freundinnen haben wir den<br />
Verein agitPolska gegründet. Es macht<br />
wirklich Spaß, im <strong>Kultur</strong>austausch aktiv<br />
zu sein. Pflege ich polnische Sitten und<br />
Gebräuche? Eher nicht. Manchmal<br />
koche ich was polnisches, aber extrem<br />
selten.<br />
Piotr Sudol Für mich persönlich sind<br />
die polnischen Sitten eher fremd.<br />
Aber meine Eltern bringen das mit.<br />
Weihnachtsfeiern z.B. werden immer<br />
noch streng polnisch gehandhabt. Nur<br />
den schönen polnischen Aberglauben,<br />
den habe ich mir von meiner Mutter<br />
bewahrt. Der ist in Polen ohne Ende<br />
verbreitet. Wenn man etwa aus dem<br />
Hause geht und zurückkommt, weil<br />
man etwas vergessen hat, muss man<br />
sich kurz hinsetzen. Sonst bringt es<br />
Unglück. Ich bin eigentlich ein Mensch,<br />
der an so etwas nicht glaubt, aber in<br />
meinem Kopf ist das so gespeichert,<br />
dass, wenn ich zurückkomme – auch<br />
wenn keiner da ist – denke: ‚setz Dich<br />
hin. Schaden kann´s ja nicht’.<br />
Urszula Wöltjen Der Begriff ‚Europäisierung’,<br />
den man heutzutage so<br />
oft benutzt, ist soziologisch, politisch<br />
und vielleicht auch kulturell unentbehrlich.<br />
Für mich aber ist der Begriff<br />
„Europäisierung“, „Europäer“ oder<br />
„Pazifist“ oder „Mensch der Welt“ ohne<br />
Bedeutung. Ich bin überall zu Hause.<br />
Ich bin offen für alle Menschen, ich<br />
lebe gerne, ich liebe die Menschen. Für<br />
mich spielen solche Begriffe keine Rolle.<br />
Heute lebe ich in Deutschland, Wenn<br />
ich in Frankreich ein Angebot bekommen<br />
hätte, hätte ich ohne zu überlegen<br />
zugegriffen.<br />
Welche Rolle spielt die Religion für Sie?<br />
Magda Ziomek-Beims Ich bin Atheistin.<br />
Religion spielt für mich keine Rolle.<br />
Urszula Wöltjen Die Religion ist wichtig<br />
für mich. Ich bin katholisch. Nicht alle<br />
Polen sind katholisch. Jeden Sonntag um<br />
13 Uhr besuche ich den Gottesdienst.<br />
Das ist ein fester Punkt in unserer Familie.<br />
Mein Mann ist evangelisch, der bleibt<br />
dann zu Hause. Er kocht.<br />
Piotr Sudol Die Religion spielt für mich<br />
keine Rolle. Außer bei den Familienfeiern.<br />
Da zieht man immer fleißig mit.<br />
Wenn man in Polen ist und es gibt<br />
einen religiösen Anlass, will man auch<br />
nicht der Außenseiter sein. Da wird<br />
extrem drauf geachtet. Wenn ich in der<br />
Familie sagen würde, ich bin Heide und<br />
mach da nicht mit - oha dann brauchte<br />
ich gar nicht nach Polen zu fahren.<br />
Wie beurteilen Sie das Verhältnis zwischen<br />
Zuwanderern aus Polen und den<br />
Deutschen?<br />
Magda Ziomek-Beims Das Verhältnis<br />
ist verschieden. Je nach Mensch, je nach<br />
Ausbildung, je nach Persönlichkeit.<br />
Manche können in deutschen Gewässern<br />
schwimmen, die anderen vermissen<br />
nur Polen.<br />
11
Piotr Sudol Mein Gefühl ist seit Jahren,<br />
dass sich das Verhältnis zwischen<br />
Deutschen und Polen bessert. Durch<br />
die Grenzöffnung entstehen immer<br />
mehr Verbindungen. Wenn man früher<br />
durch Frankfurt/Oder fuhr, gab es<br />
immer zwei Gruppen. Man merkte<br />
sofort, wer Pole ist und wer Deutscher.<br />
Jetzt vermischt sich das immer mehr.<br />
Das finde ich herrlich. Damals hat man<br />
immer noch eine Art – Feindseligkeit ist<br />
übertrieben – Differenz bemerkt. Mir<br />
fällt auf, dass in Polen Deutsche immer<br />
mehr akzeptiert werden. Früher stand<br />
der Deutsche auf einer anderen Stufe,<br />
verdiente besser. Das war die allgemeine<br />
Einstellung. Die existiert fast gar<br />
nicht mehr. Das Selbstbewusstsein der<br />
Polen hat sich enorm gesteigert. Wenn<br />
man Anfang der 90er Jahre nach Polen<br />
gefahren ist, wurde man behandelt,<br />
wie aus einem UFO gestiegen, wie<br />
ein Außerirdischer mit genug „Kohle“.<br />
Dadurch, dass immer mehr Polen<br />
hier arbeiten, auch legal arbeiten mit<br />
eigenen Firmen, wissen die, dass es hier<br />
auch nicht so rosig aussieht. Das macht<br />
die Menschen gleicher.<br />
Es spielt auch eine Rolle, dass es in<br />
Polen inzwischen eine gut ausgebildete<br />
Schicht gibt, die für sich Aufstiegschancen<br />
sehen. Was fehlt, sind die Handwerker,<br />
die sind weg. Die Hochschulabsolventen<br />
sind noch im Land, aber die<br />
Handwerker sind weg. Man versucht<br />
Urszula Wöltjen, geboren in Łόdź, Zentralpolen, Industriestadt,<br />
zweitgrößte Stadt Polens, 50 Jahre alt. Gründerin<br />
einer deutsch-polnische consulting-Firma. Arbeitet vor<br />
allem im <strong>Kultur</strong>bereich, organisiert Ausstellungen und<br />
Veranstaltungen in Polen wie in Deutschland. Verheiratet<br />
mit einem Deutschen, eine Tochter.<br />
„Ich kam im Januar vor 19 Jahren nach Bremen. Aus meiner<br />
Familie gab es vorher keine Zuwanderer nach Deutschland.<br />
Meine Schwester ist nach Kanada emigriert. Ich habe<br />
hier meinen Ehemann kennen gelernt und damit fiel die<br />
Entscheidung, in Deutschland zu bleiben. Zwei, drei Jahre später habe ich ein<br />
Studium an der Universität aufgenommen. Ich hatte vorher schon ein Studium in<br />
Slawistik in Zagreb (Kroatien, damals noch Jugoslawien) absolviert. Hier konnte<br />
ich damit nicht viel anfangen. Dann habe ich in Bremen <strong>Kultur</strong>geschichte Südosteuropas<br />
studiert, als Nebenfächer Soziologie und Polonistik. Nach Beendigung<br />
meines Studiums suchte ich Arbeit, habe aber nichts für mich gefunden. Deswegen<br />
habe ich mich entschieden, mich selbständig zu machen.“<br />
mit allen Mitteln, sie wieder ins Land<br />
zu holen. Beispiel ist mein Cousin, der<br />
Bergbau studiert hat. Der arbeitet bei<br />
Kattowitz, hat eine supergute Stelle auf<br />
dem Gebiet des Umweltschutzes. Ich<br />
habe letzte Woche mit ihm telefoniert<br />
und da kam wieder die alte Schiene:<br />
‚Bei Euch gehts wieder besser. Ihr habt<br />
Bei der Durchsicht des<br />
Haushaltsetats: „Leider<br />
können wir uns in unser<br />
gegenwärtigen Lage nur<br />
ein gestohlenes Auto<br />
leisten.“<br />
Anspielung auf das vor<br />
allem auch in Deutschland<br />
verbreitete <strong>Vor</strong>urteil,<br />
dass viele Autos von<br />
Polen gestohlen würden.<br />
Cartoon von<br />
Andrzej Mleczko<br />
doch sowieso alle Arbeit. Da läuft alles<br />
super’. Dabei verdient er gutes Geld,<br />
hat ein Haus, ein dickes Auto, drei<br />
Kinder, eigentlich ein perfekt eingelebter<br />
Mensch – aber trotzdem stellt<br />
er mir Fragen, wo ich denke: Wenn Du<br />
mal herkommen würdest und mich<br />
für 8 Euro die Stunde arbeiten sehen<br />
würdest, dann wüsstest du, in Polen ist<br />
es für dich besser.<br />
Urszula Wöltjen Die Polen, die hierher<br />
gekommen sind, sind eine sehr heterogene<br />
Gruppe, sie unterscheiden sich.<br />
Und so unterschiedlich reagieren auf<br />
sie die Deutschen.<br />
Es gibt Polen, die sind zufrieden, dass<br />
sie hier sind. Es gibt welche, die seit 20,<br />
30 Jahren hier leben, immer unzufrieden<br />
sind und trotzdem hier bleiben. In<br />
den ersten Jahren, als ich nach Bremen<br />
kam, war die Atmosphäre etwas anders<br />
gegenüber Ausländern als heute.<br />
Offener, etwas menschlicher. Heute stehen<br />
soziale, finanzielle oder kulturelle<br />
Probleme mehr im <strong>Vor</strong>dergrund. Als ich<br />
vor 20 Jahren kam, fühlte ich mich hier,<br />
von der Bevölkerung (nicht von den<br />
Beamten) willkommen.<br />
12
Spüren Sie von Seiten der Deutschen<br />
<strong>Vor</strong>urteile oder Diskriminierung?<br />
Magda Ziomek-Beims Es ist nicht<br />
einfach nach Deutschland zu kommen,<br />
sich hier heimisch zu fühlen. Meine<br />
Anfänge waren auch eher brutal. Klar<br />
habe ich schwarz gearbeitet und habe<br />
das heilige deutsche Gesetz damit gebrochen.<br />
Aber das Gefühl, dass es nicht<br />
so viele deutschen Freiwillige gibt, die<br />
um vier Uhr morgens aufstehen um die<br />
Büros für damals 10 DM zu putzen, hat<br />
mich bis jetzt nicht verlassen.<br />
Piotr Sudol, geboren am 31.3.1976 in Szczecin (Stettin)<br />
Student der Freizeitwissenschaften, wohnt in Gröpelingen.<br />
Piotr (von den meisten Peter genannt) kam 1985 aus<br />
wirtschaftlichen Gründen nach Bremen. Seine Eltern bewirtschafteten<br />
einen kleinen Laden, im kommunistischen<br />
Staat keine einfache Sache.<br />
„Es reichte zum Leben. Aber meine Eltern wollten mir eine<br />
bessere Zukunft sichern und sahen sie eher hier als in<br />
Polen. Sie haben alles stehen lassen - den Laden konnte<br />
man nicht verkaufen - und sind erst einmal ohne mich<br />
gefahren. Ich bin ein Jahr später nachgekommen. Das<br />
war nicht so einfach. Ich bin quasi illegal über die Grenze gekommen, ohne die<br />
nötigen Papiere.“<br />
Piotrs Eltern bekamen eine Aufenthaltsgenehmigung, weil seine Großmutter<br />
lange in Nazi-Deutschland als Zwangsarbeiterin bei einem Bauern in der Nähe<br />
von Hannover gearbeitet hatte. Sie konnte immer noch etwas deutsch. Das hat<br />
die Aufenthaltsgenehmigung für seine Eltern erleichtert. „Merkwürdigerweise<br />
hat das für mich nicht geklappt. Deshalb musste ich hinten auf der Ladefläche<br />
eines LKW nach Deutschland einreisen.<br />
Urszula Wöltjen Als ich mit meiner<br />
kleinen Tochter in der Straßenbahn saß<br />
und mit ihr polnisch redete, sprachen<br />
mich öfters ältere Damen an: „Was für<br />
eine Sprache sprechen Sie?“ „Polnisch,<br />
ach so. Und sagen Sie, sind Sie schon<br />
lange hier?“ Einfach ältere Damen, die<br />
sich gerne unterhalten wollten. Und oft<br />
kam die Frage: „Sind Sie hier zufrieden<br />
oder glücklich? Haben Sie einen deutschen<br />
Mann?“ oder „Wie sehen Ihre<br />
Schwiegereltern das?“ Dann habe ich<br />
immer gedacht: was sollen die Fragen?<br />
Was soll ich antworten? Ich habe einen<br />
lieben Ehemann, eine gesunde Tochter,<br />
wir sind alle gesund, wir haben keine<br />
finanziellen Probleme, haben ein Haus,<br />
fahren in Urlaub, warum soll es mir hier<br />
schlecht gehen?<br />
Wenn sie mich in Polen gefragt hätten,<br />
wie geht es mir in Polen, wenn mein<br />
Mann arbeitslos wäre, meine Tochter<br />
krank, dann würde ich sagen: mir geht<br />
es schlecht. Also es ist nicht so, dass es<br />
mir hier gut geht, weil die Deutschen<br />
gut oder schlecht sind. Ich lebe hier<br />
zufrieden, nicht weil ich Deutschland<br />
als Land so toll empfinde, sondern weil<br />
ich privat glücklich bin.<br />
Ich bin hier zufrieden, aber das heißt<br />
nicht, dass ich nicht sehe, dass es viele<br />
Probleme zwischen Polen und Deutschen<br />
gibt. Ich denke, es funktioniert<br />
immer weniger. Im europäischen<br />
Kontext, laut Medien, funktioniert<br />
die Integration immer besser. Aber im<br />
deutsch-polnischen Verhältnis passieren<br />
Sachen, die wirklich nicht gut<br />
sind. Und sie werden nicht nur durch<br />
die Medien immer wieder angespitzt.<br />
Gleich was in Polen auf der deutschpolnischen<br />
Ebene passiert, wird gerne<br />
als antideutsch gesehen. Es genügt ein<br />
einziger Pressebericht, z.B. im Express,<br />
einer Zeitung, die ich nie im Leben auf<br />
die Idee käme zu kaufen, so wie hier die<br />
Bildzeitung.<br />
Spielt die schmerzliche Vergangenheit<br />
zwischen den beiden Völkern für Sie eine<br />
Rolle?<br />
Magda Ziomek-Beims Die Vergangenheit?<br />
Meinen ersten Streit mit meinem<br />
Mann hatte ich nach dem wir „Die<br />
letzten Tage der Menschheit“ gesehen<br />
haben. Ich war so wütend, als am<br />
Ende der deutsche Wehrmachtsoldat<br />
auf weißem Pferd, nackig, vor sich hin<br />
jammert: ‚Wir waren nur Soldaten, wir<br />
haben das alles nicht gewollt’. Ich hätte<br />
den erwürgen können. Mein Mann hatte<br />
aber die gleiche Meinung wie dieser<br />
Soldat. Wir haben uns vier Stunden<br />
lang nur angeschrieen.<br />
Ja, die Vergangenheit spielt weiter für<br />
uns Polen eine große Rolle<br />
Piotr Sudol Die frühere Geschichte<br />
hat für mich keine Bedeutung, für viele<br />
Polen aber immer noch eine. Die ältere<br />
Generation oder Leute vom Land hängen<br />
noch an der Vergangenheit. Aber<br />
mein Bekanntenkreis ist mit einer offenen<br />
Weltauffassung groß geworden.<br />
Urszula Wöltjen Die deutsch-polnische<br />
Geschichte ist nicht einfach<br />
gewesen und sie ist heute sehr kompliziert.<br />
Es sind von Anfang an Fragen<br />
und Probleme nicht aufgearbeitet und<br />
nicht aufgeräumt worden. In dem Kontext<br />
ist die europäische Vereinigung,<br />
EU mit der gemeinsamen Verfassung<br />
ein Kitsch, ein Versöhnungskitsch.<br />
Noch vor einigen Jahren haben die<br />
Deutschen das Gefühl gehabt oder nur<br />
die Meinung vertreten, dass sie in der<br />
Geschichte versagt haben und dass sie<br />
noch viel gutzumachen haben. Heute<br />
ist es nicht mehr so.<br />
Nach der Wende überwog das Gefühl<br />
uns bei dem EU Beitritt zu helfen.<br />
Ist auch ok. Nun, die Hilfe soll allgemein,<br />
nicht in Form der Belehrung<br />
von dem deutschen Besserwisser zu<br />
uns kommen. Als die Kaczynskis an<br />
die Regierung kamen, oder wie man<br />
es hier abwertend nannte „Kartoffel-<br />
Regierung“, habe ich oft gehört, dass<br />
wir Polen, die diese Regierung selbst<br />
gewählt haben, vor der „Zwillingsdiktatur“<br />
gerettet werden müssen, und am<br />
besten von den Deutschen. Man muss<br />
den Polen beibringen, was Demokratie<br />
ist. Warum müssen sie uns das beibringen?<br />
Wir bringen uns selbst bei, was die<br />
Demokratie ist. Wir gehen unseren polnischen<br />
demokratischen Weg. Vielleicht<br />
ist das ein Umweg und dauert etwas<br />
länger. Deutschland hat 50 Jahre De-<br />
13
mokratie gelernt und ausgeübt, und….<br />
sind hier alle glücklich? Dieses ständige<br />
Gefühl der deutschen Überlegenheit.<br />
Das ist etwas, was ich noch vor einigen<br />
Jahren nicht so stark gefühlt habe,<br />
denn die Beziehung der Deutschen<br />
zu sich selbst war anders. Da gab es<br />
zwischen den Deutschen das Gefühl<br />
des schlechten Gewissens und das hat<br />
den Kopf der Deutschen etwas gebeugt.<br />
In den letzten Jahren hat sich in<br />
dieser Sicht sehr viel verändert, in der<br />
Selbstfindung der Deutschen. Heute<br />
hört man, dass die Deutschen auch<br />
Opfer des Krieges sind, dass sie sich als<br />
Opfer des Krieges und der Vertreibung<br />
fühlen. <strong>Vor</strong> 10, 15 Jahren hörte man das<br />
Wort „Vertreibung“ nicht. Das waren<br />
doch „Flüchtlinge“.<br />
Können nach Ihrer Ansicht die Zuwanderer<br />
aus Polen eine Brücke zwischen den<br />
beiden Völkern bilden und hat für die Veränderung<br />
im Verhältnis der Menschen der<br />
Beitritt Polens zur EU eine Rolle gespielt?<br />
Magda Ziomek-Beims Wir von agit-<br />
Polska sind das beste Beispiel für einen<br />
solchen Brückenschlag.<br />
Piotr Sudol Die Zuwanderer aus Polen<br />
spielen die Rolle einer Brücke eher<br />
nicht. Für mein Gefühl haben diese Rolle<br />
eher die Deutschen, die nach Polen<br />
gehen. Polen gab es schon immer hier.<br />
Sie haben nicht wirklich eine Brücke<br />
gebildet im Sinne von kulturellen Verbindungen<br />
oder gemeinsamen Aktivitäten.<br />
Ich glaube, dass Deutsche, die<br />
nach Polen gehen, sei es zum Arbeiten<br />
oder zum Studieren, eher eine Brücke<br />
schlagen können.<br />
Spüren Sie persönlich Diskriminierung?<br />
Urszula Wöltjen Ich habe nach Beendigung<br />
meines Studiums Arbeit im<br />
öffentlichen Dienst gesucht. Ich dachte<br />
als man über die europäische Vereinigung<br />
sprach und den Beitritt Polens zur<br />
EU, man brauche Menschen mit einer<br />
derartigen Ausbildung und Sprachkenntnissen<br />
(Südslawistische Studien<br />
in Jugoslawien <strong>Kultur</strong>geschichte Ost<br />
–Mitteleuropas, Polonistik, Soziologie<br />
an der Uni Bremen). Aber immer wieder<br />
stieß ich auf das Argument, dass ich<br />
keine deutsche Staatsangehörigkeit<br />
besitze. Wenn ich einen Antrag schrieb,<br />
habe ich immer wieder eine negative<br />
Antwort bekommen. Eine Bekannte aus<br />
diesem Bereich sagte: ‚Die Situation ist<br />
wie sie ist. Wenn wir auf den Tisch 15<br />
Bewerbungen auf eine Stelle bekommen<br />
und wenn da drei ausländische<br />
Namen sind, dann finde ich meinen<br />
Kandidaten unter den Zwölf, die anderen<br />
mach ich nicht mal auf’. Ich fühlte<br />
den Atem des Geistes, der hier in der<br />
Bremer Jutefabrik im 19 Jh. geherrscht<br />
hat, wo die Polen abgestempelt waren<br />
als Ausländer, als Wanderer, ebenso<br />
Magdalena Ziomek-Beims, 34, Kunsthistorikerin, <strong>Kultur</strong>schaffende,<br />
Mitbegründerin agitPolska e.V., Tresenkraft,<br />
gelegentlich Übersetzerin, zur Zeit angestellt beim<br />
<strong>Ort</strong>samt Mitte / Östliche <strong>Vor</strong>stadt, geboren in Białogard.<br />
„Ich habe mit 26 in Posen meinen Mann kennengelernt.<br />
Er machte zusammen mit seiner Schwester in Posen Urlaub.<br />
Sie hat polnisch gesprochen, da sie mit 16 ein Jahr in<br />
Polen als Austauschschülerin verbracht hat. Ich habe mich<br />
mit ihren Bruder auf Englisch unterhalten. Das war Liebe<br />
auf den ersten Blick.<br />
Nach zwei Tagen bin ich mit den beiden nach Bremen gefahren.<br />
Es lag auf dem Weg nach Lingen, wo ich auch wegen meiner Dienstreise<br />
sein musste (ich habe für Cordes Greaf in Polen gearbeitet).<br />
Ich habe mich in Bremen auch auf den ersten Blick verliebt und entschieden hierher<br />
zurück zu kommen. Nach einem halben Jahr habe ich meine Arbeit in Polen<br />
gekündigt und bin in Bremen gelandet.“<br />
wie später die Spanier, Türken oder<br />
Griechen: einsetzbar nur für bestimmte<br />
Arbeiten, aber wenn es um etwas mehr<br />
geht, dann spielt die Staatsangehörigkeit<br />
eine wichtige Rolle.<br />
Ich habe vor kurzem eine Veranstaltung<br />
gemacht, eine Veranstaltung mit<br />
einem Konzert über Arthur Rubinstein,<br />
und ein paar Monate später eine große<br />
Ausstellung über die polnische Buchkunst.<br />
Für kurzfristige Projekte, die ich<br />
selbst schaffe, bin ich schon gefragt,<br />
aber dass ich eine feste Stelle in diesem<br />
Bereich bekomme, das gibt es leider<br />
nicht.<br />
Ich habe mal gehört, wie eine deutsche<br />
Sozialarbeiterin, die in Osterholz Tenever<br />
für internationale Integrationsprojekte<br />
der hiesigen Ausländer zuständig<br />
ist, sagte, was für tolle Projekte sie dort<br />
machen. Aber als ich sie gefragt habe,<br />
wie viele Ausländer beruflich dabei<br />
tätig sind, sagte sie: keine. Wo gibt es<br />
das, dass man Projekte über Ausländer<br />
ohne Ausländer realisiert.<br />
Da sieht man, das Gerede von den deutschen<br />
Bemühungen um die Integration<br />
der Zuwanderer ist nur Rhetorik. Ich<br />
glaube daran nicht. Wenn ich komme<br />
mit meiner polnischen Herkunft und<br />
dazu meine Meinung anders ist als die<br />
deutsche Meinung - und die liegt ab<br />
und zu quer – das wird hier nie als eine<br />
Bereicherung oder Herausforderung<br />
gesehen. Wozu sollen die Ausländer die<br />
deutsche Geschichte oder die deutsche<br />
Demokratie und die deutsche Sprache<br />
lernen, wenn man sie in Wirklichkeit<br />
nicht hören möchte.<br />
Magda Ziomek-Beims Diskriminierung?<br />
Ich finde das lustig, wenn Leute<br />
enttäuscht sind, dass ich aus Polen<br />
komme. Sie finden polnische Abstammung<br />
so banal…<br />
Seit dem EU-Eintritt muss man nicht<br />
mehr mit der Ausländerbehörde was zu<br />
tun haben. Was jeder Mensch bestimmt<br />
begrüßt. Ich habe mich nie so elendig<br />
gefühlt wir dort. Mein Pass wurde von<br />
eine Beamtin auf den Fußboden geworfen<br />
usw. Ich habe mich wie Dreck gefühlt<br />
und geheult, schon, als ich wusste,<br />
dass ich dorthin musste. Werden die<br />
Leute, die in Ausländeramt arbeiten in<br />
Psychoterror geschult?<br />
14
Piotr Sudol Der EU-Beitritt war sehr<br />
wichtig. Es gibt allerdings in Polen<br />
noch stärkere nationale Strömungen<br />
als hier. Ich hatte hier nie Probleme<br />
mit Rechtsextremisten, mit nationalistischer<br />
Gewalt. Aber in Polen spürt man<br />
das schon in manchen Gegenden, besonders<br />
in ländlichen Gebieten, wenn<br />
Leute mitkriegen, man ist Deutscher,<br />
kann es schon problematisch werden.<br />
Allerdings habe ich persönlich keine<br />
Gewalttätigkeiten erlebt.<br />
In Polen gab es lange Zeit eine Geschichtssicht,<br />
die die Polen ausschließlich als Opfer,<br />
die Deutschen als die Bösen sah. Gibt<br />
es da neue Entwicklungen?<br />
Piotr Sudol Ich kann natürlich nur<br />
aus meinem Bekanntenkreis sprechen.<br />
Da sind alle schon so weit offen für die<br />
Einsicht, dass auch von Polen schlimme<br />
Sachen verübt wurden. Sie waren nicht<br />
nur Opfer sondern auch Täter gegenüber<br />
den Juden. Das ist natürlich meine<br />
Altersklasse. Wenn ich das meiner<br />
Oma erzählen würde, die geriete völlig<br />
aus dem Häuschen. Da gibt es jetzt<br />
richtige Spannungen in Polen. Es gibt<br />
immer mehr Bücher über Gewalttaten<br />
von Polen an Juden, was bisher ein<br />
Tabuthema war. Einer der bekannten<br />
Autoren hat zahlreiche Morddrohungen<br />
erhalten. Dieser Nationalismus und der<br />
Opfermythos spielt immer noch eine<br />
große Rolle. Es gibt immer Menschen,<br />
die große Angst haben davor, dass die<br />
Deutschen wiederkommen und uns<br />
unser Land wegnehmen. Das ist natürlich<br />
auch eine Masche, um bei der EU<br />
Geld einzufordern. Aber ich meine, dass<br />
die Menschen, die heute hier arbeiten,<br />
nicht mehr die Untaten der Nazis auftischen<br />
sollen. Ich bin kein Verfechter<br />
davon, dass die Vergangenheit unter<br />
den Tisch gekehrt wird. Denkmäler und<br />
die Behandlung der Nazizeit im Geschichtsunterricht<br />
muss es geben. Aber<br />
mit finanziellen Zahlungen dafür muss<br />
mal Schluss sein. Man muss selbst die<br />
Fähigkeit und den Stolz haben, etwas<br />
aufzubauen.<br />
Das Schweigen<br />
Es muss die Hölle für das kleine Mädchen gewesen<br />
sein, in der Schule und von den Kindern im<br />
Viertel als „Polackin“ verhöhnt und ausgegrenzt<br />
zu werden. Wenn Marianne Schneider aus der<br />
Bromberger Straße in Gröpelingen von ihrer polnischen<br />
Mutter erzählt, begreift man, warum die<br />
Geschichte der frühen Einwanderer aus Polen nahezu<br />
vergessen ist.<br />
Ihr Großvater, Stanislaus Kuzmin, wurde am 15.<br />
Februar 1889 in Hutka/Tschenstochau geboren.<br />
Stanislaus Kuzmin war arm. Auf der Suche nach<br />
Arbeit kam er 1914 nach Bremen. Er arbeitete auf<br />
der Norddeutschen Hütte wie viele seiner Landsleute.<br />
1914 bestand die Hälfte der Belegschaft aus<br />
polnisch sprechenden Arbeitern.<br />
Seine Tochter, Kasimira wurde 1920 geboren. Sie hat sich immer als Außenseiterin<br />
gefühlt, berichtet Marianne Schneider. Sie schämte sich, Polin zu sein und versuchte<br />
ihre Herkunft mit allen Mitteln zu verbergen. Kasimira ließ sich „Else“ nennen.<br />
Eine Heirat mit ihrer großen Jugendliebe verschmähte sie. Denn ihr Liebster<br />
hieß Wenzel Krupczak und war ebenfalls Pole. Stattdessen ehelichte sie einen<br />
Deutschen. Die Ehe wurde später geschieden. Erst als sie 60 Jahre alt wurde, und<br />
ihre alte Liebe mit einem großen Rosenstrauß wieder auftauchte, haben beide zusammengefunden.<br />
Mutter, Tochter und Großvater<br />
wohnten gemeinsam in<br />
der Bromberger Straße. Aber<br />
über die polnische Herkunft<br />
wurde in der Familie wie im<br />
Verwandten- oder Bekanntenkreis<br />
nicht gesprochen.<br />
„Ich habe mich auch nicht dafür<br />
interessiert, weil das alles<br />
so negativ besetzt war,“ sagt<br />
Marianne Schneider. Es fanden<br />
sich auch nur ganz wenige<br />
Dokumente aus dem Leben ihres Großvaters. Ein Entlassungsschein der Norddeutschen<br />
Hütte vom 31. Dezember 1954. Laut diesem Dokument war Stanislaus Kozmin<br />
41 Jahre als Kokereiarbeiter mit der gefährlichen und schmutzigen Arbeit an<br />
den Koksöfen beschäftigt.<br />
Ein 1970 ausgestellter Fremdenpass ist noch vorhanden. Stanislaus Kozmin ist nie<br />
deutscher Staatsangehöriger geworden. Sonst existiert kein Foto, kein schriftliches<br />
Zeugnis. Stanislaus Kozmin konnte weder lesen noch schreiben. So ist dieser Teil<br />
der Familienbiographie untergegangen. Ebenso wie viele deutsch-polnische Familiengeschichten,<br />
die nie erzählt wurden, weil unter dem Diskriminierungsdruck der<br />
Mehrheitsgesellschaft die ehemaligen polnischen Einwanderer sich ihrer Herkunft<br />
schämten.<br />
Eike Hemmer<br />
Die Fragen stellten<br />
Iwona Bigos und Eike Hemmer<br />
Abbildungen: Spärliche Erinnerungsstücke an Stanislaus Kozmin: der Fremdenpass, in dem<br />
alle zwei Jahre die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis bescheinigt wurde, der Entlassungsschein<br />
der Norddeutschen Hütte nach 41 Jahren Arbeit als Kokereiarbeiter und die<br />
Todesanzeige des Werkes mit dem Dank für „treue Dienste“.<br />
15
thema<br />
Abb. rechts: Rafał Jakubowicz „Arbeitsdisziplin“,<br />
aus der Ausstellung „Nachbarn. Deutsche Motive<br />
in der polnischen Gegenwartskunst.“<br />
Keine schöne Überraschung<br />
Nachbar Deutschland in der jungen polnischen Kunst<br />
Im Sommer 2007 präsentierte agitPolska<br />
e.V. während des Festivals der <strong>Kultur</strong>en<br />
altonale9 in Hamburg die Ausstellung<br />
„Nachbarn. Deutsche Motive in<br />
der polnischen Gegenwartskunst“. Die<br />
Ausstellung wurde von Jarosław Lubiak<br />
und Kamil Kuskowski kuratiert. Das<br />
Thema erschien uns aufgrund der damaligen<br />
angespannten politischen Lage<br />
zwischen Polen und Deutschland sehr<br />
aktuell.<br />
Ich wusste allerdings nicht, wie sehr sich<br />
meine <strong>Vor</strong>stellung über dieses Thema,<br />
ich bin eine seit Jahren in Deutschland<br />
lebenden Polin, von der tatsächlichen<br />
künstlerischen Wirklichkeit unterscheidet.<br />
Die Kuratoren wählten Arbeiten<br />
bekannter polnischer Künstler aus, die<br />
sich in ihren Werken mit dem Thema<br />
„deutsch“ und „Deutschland“ beschäftigt<br />
haben. Dabei griffen sie nicht auf<br />
die gegenwärtig gängigen Themen zurück,<br />
sondern setzten sich vor allem mit<br />
der deutschen Vergangenheit, Nationalsozialismus<br />
und Krieg, auseinander.<br />
Die präsentierten Arbeiten wurden<br />
nicht gezielt für die Ausstellung angefertigt,<br />
sondern nur durch die Kuratoren<br />
dafür ausgewählt. Mit der Ausnahme<br />
von Józef Robakowski sind es Arbeiten<br />
von Künstlern der jüngeren Generation,<br />
die von dem Kriegstrauma nicht direkt<br />
berührt wurden. Desto überraschender<br />
war, dass „Das Deutschtum“ überwiegend<br />
mit dem Nationalsozialismus und<br />
dem Holocaust gleichgesetzt wurde.<br />
Wenn man die Auswahl der Werke als<br />
repräsentativ für die wichtigsten deutschen<br />
Motive in der polnischen Gegenwartskunst<br />
betrachtet, stellt sich die<br />
Frage warum überwiegend das Faschistische<br />
Deutschland?<br />
Ist weiterhin das Bild des Deutschen im<br />
polnischen Bewusstein dem Mann in<br />
SS-Uniform gleichzusetzen?<br />
Warum kommt beim Anblick des Stacheldrahts<br />
in der Arbeit von<br />
Rafał Jakubowicz (siehe Abbildung<br />
oben) sofort die Assoziation<br />
mit dem Konzentrationslager<br />
auf?<br />
Warum sind solche Gedankenverknüpfungen<br />
noch 60<br />
Jahre nach dem Krieg weiterhin<br />
so präsent?<br />
Sind dies die Folgen unserer<br />
antideutschen Erziehung,<br />
angefangen mit der Legende<br />
über die Wanda, die den<br />
Deutschen nicht wollte,<br />
über die populären Witze<br />
aus der Reihe „Pole, Russe und der Deutsche“,<br />
bis zu beliebten Kinderserien wie<br />
„Vier Panzerfahrer und ein Hund“ oder<br />
„Oberst Kloss“.<br />
Oder sind diese Arbeiten, die sich mit<br />
dem Motiv der Shoa auseinandersetzen,<br />
ein Teil des gegenwärtigen Trends der<br />
letzen Jahre? In denen der Holocaust<br />
wieder in der Kunst, nicht nur in Polen<br />
sondern auch in anderen Ländern des<br />
Westens modern wurde?<br />
Mit Sicherheit zwingen die berühmten<br />
Arbeiten von Zbigniew Libera „Die Einwohner“<br />
und „Radfahrer“, oder die seitenverkehrte,<br />
geknebelte Swastika von<br />
Leszek Knaflewski zu einer tiefen Reflexion<br />
über diese so wichtige Zeit der<br />
deutschen Geschichte. Sie hinterließen<br />
bei den Ausstellungsbesuchern einen<br />
enormen Eindruck, so enorm und tiefgreifend,<br />
dass einige erschütterte Gäste<br />
die Vernissage nach wenigen Minuten<br />
verließen, ohne den kleinsten Versuch<br />
zu starten sich auf eine künstlerische<br />
Diskussion einzulassen.<br />
Iwona Bigos<br />
agitPolska e.V.<br />
Teilnehmende Künstler:<br />
Tomasz Bajer / Marcin Berdyszak / Arti Grabowski<br />
/ Rafał Jakubowicz / Paweł Jarodzki /<br />
Łódż Kaliska / Grzegorz Klaman / Leszek Knaflewski<br />
/ Kamil Kuskowski / Leszek Lewandowski<br />
/ Zbigniew Libera / Robert Maciejuk / Monika<br />
Kowalska, Grzegorz Kowalski Zbigniew Sejwa<br />
/ Aleksandra Polisiewicz / Józef Robakowski<br />
/ Przemysław Truściński / Wunderteam<br />
Abb. links: Leszek Knaflewski, Good mit uns, 2004<br />
16
Strafe und Verbrechen<br />
Oben: Videostill aus: Strafe und Verbrechen<br />
Ausstellung von Katarzyna Kozyra<br />
10.10.2008-16.11.2008<br />
Neues Museum Weserburg<br />
Eröffnung: Freitag, 10.10.2008 um 19 Uhr<br />
Die 45-jährige polnische Künstlerin Katarzyna Kozyra eckt wie kaum eine andere Künstlerin an. Mediale Berühmtheit<br />
erlangte sie durch ihre Diplomarbeit Tierpyramide (1993), inspiriert durch das Märchen Die vier Stadtmusikanten<br />
der Gebrüder Grimm. Das Kunstobjekt besteht aus aufeinander gestellten toten, ausgestopften Tieren - einem Pferd,<br />
einem Hund, einer Katze und einem Hahn. Im Jahr 1995 hat sie eine Serie großformatiger Fotos mit dem Titel „Blood<br />
Ties“ kreiert, die nackte Menschen vor dem Hintergrund religiöser Symbole inszeniert. Nun ist sie mit einer aktuellen<br />
Arbeit im Neuen Museum Weserburg zu sehen.<br />
Die Videoinstallation von Katarzyna Kozyra<br />
- Strafe und Verbrechen, die 2003<br />
zum ersten Mal in New York präsentiert<br />
wurde, basiert auf unterschiedlichen Widersprüchen:<br />
Zwischen dem, was wir erwarten<br />
und dem, was wir tatsächlich bekommen.<br />
Zwischen dem, was wir sehen<br />
möchten und dem, was wir wahrnehmen<br />
können. Zwischen dem, was wir sehen<br />
und dem, was wir wissen. Zwischen<br />
dem was wir wissen, und dem, was wir<br />
lesen. Zwischen dem, was wir lesen und<br />
dem, was wir erwarten zu lesen. Schon<br />
der Titel „Strafe und Verbrechen“ ist<br />
ein Spiegelbild des Titels eines anderen<br />
Werkes, das immer im Bewusstsein des<br />
durchschnittlichen Lesers präsent ist. Es<br />
erscheint uns als ein Fehler, als ein Widersinn<br />
zu unseren Gewohnheiten und<br />
der Logik. Warum zuerst die Strafe und<br />
dann das Verbrechen? Und welches Verbrechen?<br />
Das Verbrechen erkennt man<br />
sofort in den letzen Filmszenen auf der<br />
großen Leinwand. Und es ist kein happy<br />
end, die Protagonisten brechen nicht in<br />
Richtung der untergehenden Sonne auf.<br />
Und auch wenn die Sonnenstrahlen die<br />
Räume zwischen den Baumzweigen beleuchten,<br />
bestrahlen sie auch die an ihnen<br />
schwebenden Gestalten der Aufgehängten.<br />
Die Strafe sieht und hört<br />
man auf der zweiten großen Leinwand.<br />
Der Kurzfilm, komponiert wie ein Trailer,<br />
zeigt nur starke Akzente, den zersprengten<br />
Schuppen, den in die Luft gehenden<br />
Wagen, die Explosion, das Feuer,<br />
die Patronengürtel der Maschinengewehre<br />
und die Flammenwerfer. Die Protagonisten<br />
tragen gleiche pin up girl –<br />
Masken, Perücken und die Patronengürtel<br />
wie Halscolliers. Von Zeit zur Zeit bei<br />
verlangsamten Lauf des Filmes nimmt<br />
man die Schönheit der zerstörerischen<br />
Aktivitäten wahr.<br />
Man kann versuchen den Sinn dieser<br />
Taten zu verstehen, indem man die auf<br />
fünf Fernsehern laufenden Filme sich<br />
ansieht. Jeder Film ist eine zweistündige<br />
Aufzeichnung der Tätigkeiten: Detonationen,<br />
Explosionen und Schüsse, die<br />
in den gezeigten Trailern benutzt wurden.<br />
Die Konstruktion (das Aufstellen<br />
des Schuppens, <strong>Vor</strong>bereitung des Autos)<br />
führt zu der Destruktion – Zerstörung.<br />
Was ist die Wirklichkeit und was ist der<br />
Film? Was ist Dokument, was ist die Phantasie?<br />
Welches Geschlecht haben die<br />
Protagonisten und wozu tragen sie diese<br />
niedlichen Frauenmasken? Das weibliche<br />
Grundelement mischt sich mit dem<br />
männlichen. Wo ist die Wahrheit, und wo<br />
das Falsche? Und ist dieses Feuerwerk eine<br />
Mystifikation oder ist es das wirkliche<br />
Dynamit?<br />
In ihren Arbeiten bewegt sie sich im Bereich<br />
kultureller Tabus und nimmt Bezug<br />
auf die körperliche Natur des Menschen,<br />
die Stereotypen und Verhaltensweisen<br />
im sozialen Kontext. Sie hinterfragt<br />
und überwindet sie, in dem sie Kontroversen<br />
entfacht und sich (gewöhnlich)<br />
selbst der Kritik der empörten Kritiker<br />
stellt. Sie zwingt uns zum Überdenken<br />
und Überprüfen der festgelegten Wertordnungen<br />
durch die Enthüllung der Realität.<br />
Hanna Wróblewska<br />
Übersetzung: Iwona Bigos<br />
www.katarzynakozyra.com.pl<br />
17
Licht(h)aus<br />
Ausstellung im LICHTHAUS<br />
Hermann Prüser Str. 4<br />
Bremen-Gröpelingen<br />
26.09.2008-12.10.2008<br />
Eröffnung: Freitag 26.09.2008,<br />
20.30 Uhr<br />
geöffnet: Dienstags - Sonntags<br />
20.30-23.00 Uhr<br />
Licht(h)aus<br />
Aktuelle Kunst aus Polen und Bremen in Gröpelingen<br />
Die von agitPolska e.V. kuratierte Ausstellung<br />
„Licht(h)aus“ führt ausgewählte<br />
künstlerische Werke aus Bremen und<br />
der Partnerstadt Danzig zusammen, die<br />
sich mit dem Thema Licht auseinandersetzen.<br />
Bei „Licht(h)aus“ geht es um<br />
Licht als Quelle künstlerischer Ideen,<br />
als Ausgangspunkt differenzierter<br />
Empfindungen und als technische<br />
<strong>Vor</strong>aussetzung zur Erschaffung neuer<br />
Wirklichkeiten.<br />
Angefangen mit dem Licht als Helligkeitsquelle<br />
in der Installation von<br />
Dominika Skutnik, über Fotografien<br />
von Anna Solecka als Dokumentation<br />
eines Lichtmomentes oder von Jan<br />
Meier als Ablichtung der Wirklichkeit,<br />
die einerseits reale <strong>Ort</strong>e darstellen,<br />
anderseits als Film-Location fungieren.<br />
Gezeigt wird auch die andere Seite des<br />
Lichts, als Mittel zur Erschaffung der<br />
beindruckenden Schatteninstallationen<br />
von Constantin Jaxy und weiter<br />
als Ausgangspunkt für ein interaktives<br />
Lichtobjekt von Dorota Walentynowicz.<br />
An die Metapher des Wortes „Licht aus“<br />
knüpft die Videoinstallation sterbender<br />
Einkaufspassagen des Künstlerinnenpaares<br />
Karska&Went an.<br />
Der ideale <strong>Ort</strong> dieser Ausstellung ist<br />
das Lichthaus in Bremen, das ehemalige<br />
„Arbeiteramt“ der A.G. „Weser“,<br />
welches nicht nur Pate für den Namen<br />
der Veranstaltung ist, sondern mit<br />
seinen besonderen Lichtverhältnissen<br />
auch inhaltlich zum Thema der Ausstellung<br />
wird.<br />
Die Ausstellung wird nur nach Sonnenuntergang<br />
präsentiert.<br />
Teilnehmende Künstler<br />
Constantin Jaxy (Bremen), Jan Meier (Bremen),<br />
Alicja Karska und Aleksandra Went (Danzig), Dominika<br />
Skutnik (Danzig), Anna Solecka (Bremen),<br />
Dorota Walentynowicz (Danzig)<br />
Eine Ausstellung von agitPolska e.V. – die Polnisch-Deutsche<br />
Initiative für <strong>Kultur</strong>kooperation.<br />
Mit freundlicher Unterstützung<br />
der Stiftung für Deutsch-Polnische Zusammenarbeit,<br />
des Generalkonsulats der Republik Polen in<br />
Hamburg,<br />
der Stadt Danzig<br />
des Senators für <strong>Kultur</strong> Bremen<br />
Nordmedia<br />
und der Lichthaus Verwaltungsgesellschaft mbH<br />
Unser besonderer Dank gilt der Bremischen<br />
Bürgerschaft und der Bremer Heimstiftung, den<br />
Ausrichtern des Bremer Kunststipendiums.<br />
18
Ein ständiges Abenteuer<br />
Der Verein agitPolska e.V. vermittelt zwischen deutscher und polnischer <strong>Kultur</strong><br />
Ein persönlicher Blick in die Arbeit des jungen Teams<br />
Die Gründer von agitPolska e.V. kommen aus Polen, haben aber Deutschland als ihre Lebensmitte gewählt. Sie haben<br />
sowohl einen lebendigen Kontakt zu ihrem Herkunftsland als auch einen geschärften Blick für die kulturellen<br />
Phänomene in ihrer Wahlheimat. Sie gehen als Kunsthistoriker, Polonisten und Theaterwissenschaftler die Fragen<br />
einer internationalen Begegnung individuell und unterschiedlich an. Dennoch sind sie sich darin einig, dass die Begegnung<br />
zwischen Deutschland und Polen über den Weg der Kunst und <strong>Kultur</strong> intensiviert werden kann.<br />
Da war ich also: Hermann Prüser Straße<br />
Nummer 4 – das Lichthaus. Glücklicherweise<br />
hatte Iwona mir im <strong>Vor</strong>feld eine<br />
Wegbeschreibung gegeben, denn sonst<br />
hätte ich es wahrscheinlich nie gefunden,<br />
so weit außerhalb von der Innenstadt.<br />
Nun musste ich in diesem Haus<br />
das Büro von agitPolska finden. Ich hatte<br />
mir ein großes, helles Zimmer vorgestellt.<br />
Das agitPolska-Büro entsprach<br />
dem nicht ganz. Zunächst einmal befindet<br />
sich das Büro im Keller des Lichthauses.<br />
Ganz hell ist es auch nicht, denn<br />
Licht fällt nur durch Oberlichter herein.<br />
Es ist immer noch sehr ungewohnt für<br />
mich, wenn Menschen an unseren Bürofenstern<br />
vorbeigehen - denn ich kann<br />
nur ihre Füße sehen! Aber das alles sind<br />
Dinge, die unseren Büroalltag nur lustiger<br />
machen. Ich werde nie den Gesichtsausdruck<br />
eines verwirrten Besuchers<br />
vergessen, als er uns beim Hereinkommen<br />
erblickte. Während draußen<br />
die Sonne schien und das Thermometer<br />
30 Grad im Schatten zeigte, saßen<br />
wir in Pullovern, mit heißem Tee in<br />
der Hand vor unseren Computern. Denn<br />
in so einem Kellerbüro bleibt es einfach<br />
kalt, egal wie warm es draußen ist.<br />
Gearbeitet wird unter hohem Druck.<br />
Gestresst sind wir am meisten, wenn<br />
die Projekte endlich stattfinden. Man<br />
möchte sich am liebsten in mehrere<br />
Teile teilen, um überall sein zu können,<br />
denn man wird überall gebraucht. Aber<br />
das alles macht uns nichts aus, denn<br />
wir wissen, wofür wir das alles tun. Wir<br />
möchten die polnische <strong>Kultur</strong> den Deutschen<br />
näherbringen und andersrum,<br />
<strong>Vor</strong>urteile und Stereotypen abschaffen<br />
und die Menschen für die ausländische<br />
<strong>Kultur</strong> begeistern.<br />
Wir arbeiten für die <strong>Kultur</strong>verständigung<br />
zwischen Deutschland und Polen,<br />
indem wir Feste, Ausstellungen, Lesungen<br />
etc. organisieren. Anfang 2006<br />
fand eine Veranstaltungsreihe unter<br />
dem Titel „Junges Polen“ im Rahmen<br />
des deutsch-polnischen Jahres und der<br />
Städtepartnerschaft zwischen Bremen<br />
und Danzig, statt. In Kooperation mit<br />
anderen Organisationen wurden eine<br />
Ausstellung „comics nach polnischer<br />
art. komiksy po polsku“, ein Hip-Hop-<br />
Konzert, ein polnisches Kurzfilmfestival<br />
und ein Jazz-Konzert organisiert.<br />
Im Juni 2007 organisierte agitPolska eine<br />
große Ausstellung unter dem Titel<br />
„Nachbarn. Sąsiedzi.“ Die Ausstellung<br />
zeigte die Verarbeitung von Deutschlandbildern<br />
in der polnischen Gegenwartskunst.<br />
Ein Projekt, das jährlich organisiert wird<br />
und grossen Zuspruch beim Publikum<br />
findet, ist die „Jazzbridge“. Hier findet<br />
ein <strong>Kultur</strong>austausch zwischen Musikern<br />
aus Bremen und Danzig statt. Dieses<br />
Jahr kamen zwei weitere deutsche Städte<br />
dazu: Hamburg und Berlin.<br />
Das nächste Projekt, das bereits in den<br />
Startlöchern steht, ist „POLEN SEHEN“<br />
in Bremen, ein <strong>Kultur</strong>festival vom 5. bis<br />
12. Oktober. Bei keinem anderen Projekt<br />
wird für die Bremer so viel Polen geboten:<br />
Konzerte, Lesungen, Ausstellungen,<br />
polnische Küche, Fußballspiele und noch<br />
vieles mehr. Und nicht zu vergessen die<br />
imponierende Ausstellung im LICHT-<br />
HAUS, dem Sitz von agitPolska.<br />
Olga Rudi<br />
Mehr über agitPolska unter: www.agit-polska.de<br />
Kleines Team, effektive Strukturen<br />
Meine wichtigsten Ansprechpartner<br />
während meines Praktikums sind die<br />
beiden <strong>Vor</strong>sitzenden Magdalena Ziomek-Beims<br />
und Iwona Bigos, und die<br />
Schatzmeisterin Camilla Kloß. Die meisten<br />
Büroalltage laufen ähnlich ab, Milla,<br />
Iwona, ich und Iwonas Hund Cudna<br />
sind im Büro und mit unseren Aufgaben<br />
beschäftigt. Gegen Mittag kommt Magda,<br />
die am frühen Morgen meist schon<br />
wichtige Telefonate erledigt und wichtige<br />
Partner getroffen hat.<br />
Der <strong>Vor</strong>stand von agitPolska, v.l.n.r.: Iwona Bigos, Camilla Kloß, Magdalena Ziomek-Beims<br />
19
Interview mit Pfarrer Zdzisław Turek<br />
Polnische Katholische Mission<br />
Eine eigene polnische Kirche<br />
wäre ein Traum<br />
Jedes Wochenende besuchen in Bremen über 1.000 polnischsprachige<br />
Katholiken die drei polnischen Messen, die in Bremen gefeiert<br />
werden. Die polnische Mission zählt mit ihren mehr als 4.500<br />
offiziellen Gemeindemitgliedern zu der mit Abstand größten ausländischen<br />
Gruppe von Katholiken in Bremen. Aber die geschätzte<br />
Zahl von Katholiken, die einen polnischen Hintergrund haben,<br />
geht weit darüber hinaus. Prof. Krasnodębski spricht von 10.000 -<br />
30.000 Menschen in Bremen mit einem polnischen Hintergrund.<br />
Wie viele dieser Menschen zu den 62 581 katholischen Einwohnern<br />
in Bremen gezählt werden, bleibt Spekulation. Schaut<br />
man sich die Namen in den katholischen Gemeinden in Bremen<br />
an, sieht man jedoch deutlich, dass der polnische Hintergrund<br />
sich nicht nur auf die Mitglieder der Polnischen Mission<br />
beschränkt.<br />
Die katholische Kirche in Bremen ist durchgängig von der Zuwanderung<br />
aus diesen Gebieten geprägt. Bereits die zweite Kirche<br />
in unserer Stadt, die St. Marien Kirche in Walle wurde 1898<br />
auf Grund der Zuwanderung von polnischen Textilarbeitern<br />
und -arbeiterinnen in der Bremer Jute und im Hafen gebaut.<br />
Die historischen Wurzeln der Mission beziehen sich direkt auf<br />
die Nachkriegszeit, als ehemalige polnische Zwangsarbeiter<br />
als Displaced Persons in Lagern untergebracht wurden und die<br />
Pfarrer, die sich unter diesen Menschen befanden, ihren Schicksalgefährten<br />
die Sakramente auf Polnisch ermöglichten. Erst<br />
nach 1949 werden polnische Messen auch außerhalb der Lager<br />
gefeiert.<br />
1977 wurde die heutige Polnische Katholische Mission offiziell<br />
gegründet. Durch die Zuwanderungswellen in den achtziger<br />
Jahren wuchs die Gemeinde auf ihre heutige Stärke. Seit 2006<br />
wird sie von dem Pfarrer Zdzisław Turek betreut.<br />
Zdzisław Turek war von 2001-03 in der Polnischen Katholischen<br />
Mission in Hannover als Kaplan tätig und von 2004-06 als Sekretär<br />
in der Delegatur der deutschen Bischofskonferenz unter der<br />
Leitung vom Delegaten Pfarrer Stanisław Budyń, dem Vertreter<br />
der deutschen Bischofskonferenz für die polnischsprachige Seelsorge<br />
in Deutschland. Er kam als Nachfolger von Pfarrer Kownacki<br />
nach Bremen.<br />
Sie sind vor zwei Jahren von Hannover nach Bremen<br />
gekommen. Nehmen Sie Unterschiede wahr?<br />
Zu meiner wichtigsten Aufgabe in der Katholischen<br />
Mission zählt die Seelsorge. Die Betreuung,<br />
die Katechese sowie die Sakramentenvorbereitung<br />
der Gemeindemitglieder. Diese Aufgaben<br />
sind in jeder Gemeinde sehr wichtig und ähneln<br />
sich auch. Die <strong>Vor</strong>bereitung der Kinder zur<br />
Kommunion, Firmung. Eheschließungen, Taufen,<br />
Begräbnisse.<br />
Wie groß ist Ihre Gemeinde?<br />
Über 4.000 Gemeindemitglieder mit polnischem<br />
Pass. Ca. 4.000 Leute aus der Diözese Osnabrück<br />
und 700 bis 800 aus der Diözese Hildesheim, die<br />
wir auch betreuen. Insgesamt sind in Bremen also<br />
mehr als 4.500 Katholiken mit polnischem Pass.<br />
Aber zu den Hl. Messen kommen neben ihnen<br />
auch Menschen mit doppelter Staatsbürgerschaft,<br />
oder solche, die auch nur einen deutschen Pass<br />
haben. In die Kirche kommen alle, die das Bedürfnis<br />
haben auf Polnisch zu beten. Auch Ostpreußen<br />
und Schlesier.<br />
Wie viele Menschen nehmen an den Gottesdiensten<br />
teil?<br />
Ca. 1000 Menschen. Dann gibt es noch die Katechese,<br />
zu der sich die Kinder um 12.00 Uhr im<br />
Gemeindehaus auf der Domsheide und in der St.<br />
Johannisschule treffen und im Anschluss mit den<br />
Katecheten um 13.00 Uhr in die Kirche kommen.<br />
Wir feiern drei Gottesdienste in Bremen: St.<br />
Johann, St. Elisabeth (die Kirche gehört nach der<br />
Neuordnung jetzt zur Gemeinde St. Johann, und<br />
seit kurzem in der St. Nikolaus Kirche in Gröpelingen.<br />
Wir freuen uns, dass wir dort die Hl. Messe<br />
feiern können.<br />
20
Bei so einem aktiven Gemeindeleben,<br />
gibt es da nicht den Wunsch nach einer<br />
eigenen Kirche?<br />
Das ist ein Traum. So ist es ja normalerweise<br />
in einer Gemeinde, dass man<br />
einen <strong>Ort</strong> hat. Zurzeit sind wir eine<br />
Personalgemeinde, die sich aus vielen<br />
Menschen aus dem gesamten Stadtgebiet<br />
zusammensetzt. Wir freuen uns<br />
sehr, dass wir Gäste in den Gemeinden<br />
sein dürfen, aber es wäre natürlich<br />
wünschenswert, wenn wir eine eigene<br />
Kirche hätten. Das ist ja ganz normal,<br />
dass eine Gemeinde einen <strong>Ort</strong> haben<br />
möchte.<br />
Gibt es Beispiele von polnischen Missionen<br />
mit einer eigenen Kirche?<br />
Ja, die gibt es. In Hannover wurde z.B.<br />
nach dem Krieg eine Kapelle von ehemaligen<br />
polnischen Zwangsarbeitern<br />
gebaut. Nachdem das Lager aufgelöst<br />
und in der Nähe eine neue Kirche<br />
erbaut wurde, erhielten die polnischen<br />
Gläubigen eine eigene Kapelle. Später<br />
wurde auch ein Pfarrheim erbaut, was<br />
nachträglich wesentlich vergrößert<br />
wurde und in dem sich bis heute das<br />
Gemeindeleben der polnischen Mission<br />
abspielt.<br />
<strong>Vor</strong> dem Hintergrund, dass es in den letzten<br />
Jahren keine großen Zuwanderungswellen<br />
mehr gegeben hat, wie sehen sie<br />
die Zukunft der Gemeinde?<br />
Bislang sind es nicht weniger Gemeindemitglieder<br />
geworden. Es kommen<br />
auch immer noch neue Gemeindemitglieder<br />
dazu. Zum Beispiel halte ich von<br />
Mai bis August einen Gottesdienst für<br />
die polnischen Saisonarbeiter in Sulingen<br />
60 Kilometer von hier, der von 60<br />
bis 200 Gläubigen besucht wird.<br />
Oben: Polnische Frömmigkeit: symbolischer Besuch des Grabes jesu vor Ostern.<br />
Unten: Katholischer Gottesdienst in polnischer Sprache - immer gut besucht.<br />
[Fotos: Polnische Katholische Mission]<br />
Welche Funktion hat die polnische Mission<br />
in Bremen. Ist sie eine dauerhafte Einrichtung<br />
oder ein Instrument des Übergangs?<br />
Hier geht es um die Frage von Integration<br />
oder Assimilation. Die polnischsprachigen<br />
Leute sind sehr gut integriert.<br />
Sie haben sich nicht abgeschottet und<br />
sprechen auch sehr gut deutsch. Aber<br />
sie möchten auf Polnisch beten. Die<br />
polnische Messe „schmeckt“ ihnen<br />
einfach besser. Das ist auch so, wenn<br />
21
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Deutsche im Ausland wohnen. Auch Ankunftsgesellschaft. Daraus entwickelt<br />
sich das, was man als dritten Wert<br />
die freuen sich, wenn sie auf Deutsch<br />
beten können.<br />
bezeichnet. Sie bleiben loyal gegenüber<br />
dem Land, in dem sie leben und<br />
Und wie steht es dann mit der nächsten arbeiten. So bereichert es nicht nur das<br />
Generation, die in Deutschland geboren Individuum, sondern die ganze Gesellschaft.<br />
wird und aufwächst?<br />
Auch die zweite Generation gräbt in Die Polnische Mission ist ein <strong>Ort</strong> an<br />
den kulturellen Schätzen der eigenen dem das Kirchliche und das kulturell<br />
Herkunft. Sie nehmen das Gute aus Polnische eine Verbindung eingehen.<br />
der Herkunftsgesellschaft und der Wie der Schlussstein in einem go-<br />
BLG_2008-09-06_Nachwuchs_MW_sw:_ 04.09.2008 15:51 Uhr Seite 1<br />
tischen Gewölbe verbindet sie beides.<br />
Das Kirchliche aber auch die polnischen<br />
Feste, Speisensegnung, polnische<br />
Traditionen und polnisches Liedgut. Wir<br />
haben in diesem Jahr zum ersten Mal<br />
„Grab Gottes“ durchgeführt. Neben der<br />
Speisesegnung am Samstag vor Ostern<br />
ist es auch in jeder Kirche Polens üblich,<br />
symbolisch das Grab Jesu zu besuchen.<br />
Fast 5.000 Mitglieder der polnischen Mission<br />
und 1.000 Besucher der polnischen<br />
Messen am Wochenende - verwischt diese<br />
große Anzahl nicht das Profil der katholischen<br />
Kirche in Bremen?<br />
Die Katholische Kirche ist eine einzige.<br />
Sie ist nicht deutsch. Sie ist nicht<br />
polnisch. Außerdem kann man das<br />
auch mal historisch betrachten: Woher<br />
kommen die Katholiken in Bremen? Aus<br />
Oberschlesien oder aus Posen. Nach<br />
dem Zweiten Weltkrieg, aber auch<br />
schon früher. Die Migration bringt ihre<br />
<strong>Kultur</strong> mit. In Bremen hat die Migration<br />
die katholische Kirche mitgebracht.<br />
Schauen sie sich die Namen in den<br />
katholischen Gemeinden an. Das sind<br />
Menschen aus der ganzen Welt und vor<br />
allem aus Schlesien und Danzig.<br />
Ich habe gehört, dass auch die St. Marienkirche<br />
hier in Walle auf Grund der<br />
Zuwanderung gebaut wurde. Schon im<br />
19. Jahrhundert, weil in der Waller Jute<br />
viele zugewanderte Katholiken auch<br />
aus Polen arbeiteten. <strong>Vor</strong> dem zweiten<br />
Weltkrieg gab es in dieser Region Dörfer<br />
mit nur zwei katholischen Familien<br />
und ähnliches. Das hat sich durch die<br />
Migrationsströme nach dem Zweiten<br />
Weltkrieg verändert. Und jetzt hat mir<br />
der Pfarrer von Gröpelingen „Herzlich<br />
Willkommen“ gesagt, weil durch die<br />
polnischen Gottesdienste in Gröpelingen<br />
das Christentum deutlich präsenter<br />
ist. In dieser Tradition sieht man, dass<br />
die Polnische Mission kein Ghetto ist,<br />
keine Unterkirche sondern eine Brücke.<br />
Prof. Krasnodębski schätzt, dass es in Bremen<br />
etwa 30.000 Menschen aus Polen gibt ?<br />
30.000! Das mobilisiert mich zur<br />
seelsorgischen Tätigkeit, und zeigt uns<br />
wie sehr wir als Polnische Katholische<br />
Mission in Bremen für die Gläubigen,<br />
gebraucht werden.<br />
22
Er spricht von einer unsichtbaren Minderheit<br />
und einem spezifischen Anpassungsdruck.<br />
Hat das Auswirkungen z.B. auf die Polnischkenntnisse<br />
der zweiten Generation?<br />
Die Kinder sprechen deutsch. Es ist ja<br />
auch normal, dass es ihre erste Sprache<br />
ist. Aber viele verstehen noch polnisch.<br />
Familienfeiern und Feste<br />
Tagungs- und Seminarräume<br />
Empfänge und Präsentationen<br />
Ist das nicht schwierig für die Polnische<br />
Mission, wenn die nachwachsende Generation<br />
kein polnisch mehr spricht?<br />
Nicht nur für die Kirche. Es ist auch<br />
wichtig für die Familien. Wie ist denn<br />
das, wenn die Kinder nach Polen fahren<br />
und nicht mit ihren Großeltern sprechen<br />
können. Deshalb sage ich immer,<br />
die Kinder sollen beide Sprachen lernen.<br />
Jede Sprache ist ein Schatz. Wenn man<br />
schon zu Hause zwei Sprachen gelernt<br />
hat und dazu die Sprachen, die in den<br />
Schulen gelehrt werden, gewinnt man<br />
dazu. Goethe hat schon gesagt, „wer<br />
fremde Sprachen nicht kennt, weiß<br />
nichts von seiner eigenen.“ Mit jeder<br />
Sprache gewinnt man ein Land dazu.<br />
Kann sein, dass diese Gesellschaft polnisch<br />
nicht so anerkennt. Der Osten ist<br />
immer schlecht angesehen im Vergleich<br />
zu den USA oder Spanien. Das macht es<br />
für polnische Zuwanderer schwerer sich<br />
offen zur Herkunftskultur zu bekennen.<br />
Aber das ändert sich zurzeit.<br />
Die Frage: Wer bin ich? ist eine schwierige<br />
Frage. Das ist auch schwer für die<br />
Kinder. Aber das ist etwas anderes als<br />
Glauben und Beten.<br />
Beim Beten ist es manchmal eine reine<br />
Geschmackssache. Die Gebete kennt<br />
man aus der Kindheit. Sie können vielleicht<br />
sogar auf Deutsch beten, aber ein<br />
bestimmtes Gefühl stellt sich nicht ein.<br />
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Die Gottesdienste bei den Deutschen sind<br />
ja auch nüchterner.<br />
Ich kritisiere nicht die eine oder andere<br />
Form. Es ist einfach anders. Und da<br />
gibt es ein Bedürfnis, nach bestimmten<br />
Weihnachtsliedern. Oder es kommt<br />
Besuch aus Polen und dann kommt die<br />
ganze Familie in den polnischen Gottesdienst.<br />
Es ist einfach ein Bedürfnis,<br />
dem die Kirche nachkommt.<br />
Aber Gott versteht alle Sprachen. Und<br />
das ist das Wichtigste.<br />
Das Gespräch führte Nele Krampen<br />
23
Arbeiterinnen auf der Jute [l.]<br />
In der Jutefabrik (r.)<br />
Geschichte<br />
Auf der Jute<br />
wurde polnisch gesprochen<br />
Die Jute-Spinnerei und -weberei AG – Frühe Arbeitsmigranten im Bremer Westen<br />
öffnet. Da sich im zollfreien Gelände<br />
keine verarbeitende Industrie ansiedeln<br />
durfte, wurde wenig später der Holzund<br />
Fabrikenhafen gebaut, an dem<br />
sich u. a. die Großmühlen „Roland“ und<br />
„Hansa“ ansiedelten. Hier konnte das<br />
mit dem Schiff gelieferte Korn sofort zu<br />
Mehl verarbeitet, verpackt und mit der<br />
Bahn abtransportiert werden. Als größtes<br />
Industrieunternehmen wurde mit<br />
dem Hafenausbau schon 1888 die „Jute-<br />
Spinnnerei und -weberei AG Bremen“<br />
gegründet. Das Gelände der „Jute“ lag<br />
in Nähe des Europahafens zur Nordstraße<br />
hin, ungefähr auf der Höhe zwischen<br />
Elisabeth- u. Grenzstraße, direkt neben<br />
dem „Heimatviertel“, das damals – auch<br />
1888 – vom gemeinnützigen Bremer<br />
Bauverein gebaut wurde.<br />
Unter den ersten Aktionären der „Jute“<br />
befanden sich bekannte Bremer und<br />
Waller Namen wie Bernhard Loose, Senator<br />
Achelis, Stefan Lührmann und Ed.<br />
Wätjen.<br />
Die ersten 636 Arbeiterinnen und Arbeiter<br />
begannen an Spinnmaschinen und<br />
240 Webstühlen den Rohstoff Jute zu<br />
verarbeiten, der aus dem damaligen Britisch<br />
Indien mit Schiffen der Hansalinie<br />
„Unsere Schule liegt in einer <strong>Vor</strong>stadt,<br />
im Arbeiterviertel. Nicht weit davon sind<br />
die Häfen. Die Fabriken mit ihren großen<br />
Schornsteinen qualmen über die Häuser<br />
dahin. Da liegen z.B. die Jutespinnerei,<br />
die Hansa- und Rolandmühle, Kaffee<br />
Hag, die Bremen-Besigheimer Ölfabrik,<br />
die Ölfabrik Groß-Gerau, die Union-Brauerei,<br />
die Betriebe der Konsum-Genossenschaft<br />
<strong>Vor</strong>wärts, der Lokomotivschuppen<br />
der Reichsbahn. Das Wahrzeichen für unseren<br />
Stadtteil ist der Wasserturm, der<br />
mit seinen 61 Metern alle Häuser überragt,<br />
nur nicht die Rolandmühle, die noch<br />
zehn Meter höher ist.“(1) So haben Schüler<br />
der Versuchsschule an der Helgolander<br />
Straße 1927 ihren Stadtteil Walle gesehen.<br />
Was für sie schon Alltag war, entstand<br />
erst 40 Jahre vorher mit der Industrialisierung<br />
und dem Hafenausbau:<br />
ein ganzes Viertel zwischen Nordstraße,<br />
Lloydstraße und Steffensweg, in<br />
dem viele Industriearbeiter, Hafenarbeiter,<br />
Handwerker und Gewerbetreibende<br />
wohnten.<br />
Nachdem sich Bremen dem deutschen<br />
Zollgebiet angeschlossen hat, wurde<br />
1888 der Freihafen auf dem ehemaligen<br />
Gelände der Stephanikirchenweide ernach<br />
Bremen gebracht und im Hafen gelöscht<br />
wurde. Acht Jahre nach der Gründung<br />
vergrößerte sich der Betrieb um<br />
das Doppelte. Um die Jahrhundertwende<br />
waren schon 2.000 Arbeiterinnen<br />
und Arbeiter auf der „Jute“ beschäftigt.<br />
Die Erzeugnisse bestanden aus Säcken,<br />
Seilen und Linoleumgewebe. Abnehmer<br />
des Garnes waren z. B. Kabelfabriken,<br />
Seifereien, Teppichfabriken.<br />
Trotz der Wirtschaftskrisen (1924, 1929),<br />
die auch die „Jute“ zu spüren bekam, florierte<br />
das Unternehmen weiter. 1931 fusionierte<br />
die Jutespinnerei mit der Hanseat-Jutespinnerei<br />
und –weberei Delmenhorst.<br />
1938 erzeugten beispielsweise<br />
2.400 Arbeiterinnen pro Tag 60.000<br />
kg Garn und 45.000 kg Gewebe. Im II.<br />
Weltkrieg wurde das Bremer Werk an der<br />
Nordstraße stark zerstört, wurde nach<br />
dem Krieg aber noch bis in die 50er Jahre<br />
vor <strong>Ort</strong> weiter geführt und dann vollständig<br />
nach Delmenhorst verlagert.<br />
„Komm Matga, die Jute pfeift!“<br />
Auf der „Jute“ gab es im Gegensatz zu<br />
anderen Industriebetrieben einige Besonderheiten:<br />
Ca. 70 % der Beschäf-<br />
24
tigten waren Frauen, überwiegend verheiratet.<br />
Der größte Teil wanderte seit<br />
der Gründung der „Jute“ aus Böhmen,<br />
Mähren, Galizien und dem Eichsfeld<br />
ein. In diesen überwiegend ländlichen<br />
Gebieten mit zum Teil alten Webereizentren<br />
war die Bevölkerung sehr verarmt<br />
und die „Jute“ suchte hier gezielt<br />
nach neuen Arbeitskräften. Der Werbung<br />
folgten viele Familien auf der Suche<br />
nach besseren Lebensverhältnissen.<br />
Auf der einen Seite war ihnen die Technik<br />
des Webens bekannt, auf der anderen<br />
Seite galten sie dennoch als ungelernte<br />
Arbeitskräfte und erhielten wenig<br />
Lohn, sogar weniger als ihre einheimischen<br />
Kolleginnen.<br />
So wurde auf der „Jute“ und im Wohngebiet<br />
um die „Jute“ herum überwiegend<br />
polnisch gesprochen. Die Arbeitsbedingungen<br />
waren hart und belasteten die<br />
Gesundheit, die Wohnverhältnisse eng,<br />
aber dennoch waren die Lebensbedingungen<br />
für viele Eingewanderte besser<br />
als in ihrer alten Heimat.<br />
Die „Jute“ baute werkseigene Wohnungen<br />
und Straßenzüge, so die Fabrikenstraße<br />
(später umbenannt in Albert-Hasemann<br />
Straße) und Am Syndikushof,<br />
wo ausschließlich auf der „Jute“<br />
Beschäftigte wohnten. Und in den angrenzenden<br />
Straßen ( Wormser-, Gerhard-Rolfs-,<br />
Gutenberg- und Gabelsberger<br />
Straße) waren viele „Jute“ Familien<br />
zu Hause.<br />
In einer Untersuchung von 1907 galt<br />
das Wohngebiet um die „Jute“ als das<br />
dicht besiedelste in ganz Bremen. Die<br />
Wohnungen waren überbelegt, da außer<br />
den Familien noch „Schlafgänger“<br />
und Logierer“ untergebracht wurden,<br />
d.h. es wurden zusätzlich Zimmer oder<br />
einzelne Betten für wenig Geld vermietet,<br />
meistens an Arbeiter der Jute. Für<br />
„Jute“-ArbeiterInnen war es kaum möglich<br />
Eigentum zu erwerben; sie wohnten<br />
vergünstigt in den werkseigenen Wohnungen,<br />
erhielten wenig Lohn, und zählten<br />
innerhalb der Arbeiterschaft zur untersten<br />
„Kaste“.<br />
So grenzte man sich als Hafenarbeiter<br />
oder Handwerker auch von den auf der<br />
„Jute“ Beschäftigten ab. Nicht nur die<br />
Sprache und der soziale Status waren eine<br />
Barriere, auch die Religion spielte um<br />
die Jahrhundertwende eine große Rolle:<br />
Viele der „Jute“-Familien waren katholisch,<br />
so dass sich schon 1898 die katholische<br />
Gemeinde in Bremen zum Bau der<br />
St. Mariengemeinde in Walle am Steffensweg<br />
entschied, um den Bedarf der<br />
wachsenden katholischen Bevölkerung<br />
im Westen zu decken. Hier wurde der eigenen<br />
kulturellen Identität Raum gegeben,<br />
hier wurde geheiratet, gefeiert und<br />
getrauert, und sogar die Gottesdienste<br />
fanden mehrsprachig statt. (Man muss<br />
sich vergegenwärtigen, dass es damals<br />
nicht denkbar war, dass Katholiken und<br />
Evangelen z.B. heirateten.). Zur St. Mariengemeinde<br />
gehörten auch Kinderheim<br />
und Schule. (Die St. Mariengemeinde<br />
baute trotz der starken Zerstörung nach<br />
1945 auf dem gleichen Gelände am Steffenweg<br />
ihre Kirche und Gemeindehäuser<br />
wieder auf.)<br />
Kinder- und Säuglingsheim der „Jute“<br />
Da die Lebensbedingungen im Fabrikviertel<br />
um die „Jute“ ausgesprochen<br />
schlecht waren und da viele Frauen, die<br />
auf der „Jute“ beschäftigt waren, etliche<br />
Kinder hatten, die kaum beaufsichtigt<br />
werden konnten, wurde 1907 ein großzügig<br />
angelegtes Kinderheim der „Jute“<br />
eröffnet: Das Heim, direkt an der Nordstraße<br />
gelegen, war modern eingerich-<br />
25
„Gruß aus Bremen“ Postkarte mit Motiven der<br />
Waller Jute<br />
tet mit einer Säuglingsstation, Stillstube,<br />
einer Spiel- und Warteschule, einem<br />
Jungen- und Mädchenhort für schulpflichtige<br />
Kinder bis zum 14. Lebensjahr<br />
und stand ausschließlich den Kindern<br />
der „Jute“-Arbeiterinnen zur Verfügung.<br />
Es hatte offiziell 250 Plätze, war aber in<br />
der Regel überbelegt. Für die Frauen der<br />
„Jute“ war das Kinderheim sicherlich<br />
eine große Entlastung, waren die Kinder<br />
doch nun besser als vorher untergebracht,<br />
auch das Säuglingsheim trug<br />
zum Rückgang von Kindersterblichkeit<br />
und Krankheiten bei. Gleichzeitig bedeutete<br />
diese soziale Versorgung auch<br />
eine starke Bindung der Familien an die<br />
Fabrik und sicherte dem Unternehmen<br />
eine verlässliche Arbeiterschaft. Mehrere<br />
Generationen von „Jute“-ArbeiterInnen<br />
wuchsen so fast auf dem Werksgelände<br />
auf. Es kam häufiger vor, dass<br />
über mehrere Generationen hinweg Eltern<br />
und Großeltern und Urgroßeltern<br />
auf der „Jute“ beschäftigt waren.<br />
„Unsere Jute“?<br />
Trotz eines 10-Stunden Tages, trotz der<br />
schweren Industriearbeit (hohe Luftfeuchtigkeit,<br />
Lärm etc.) und auch trotz<br />
stattfindender Streiks für die Verbesserung<br />
der Arbeitsbedingungen und für<br />
Lohnerhöhungen, haben ehemalige JutearbeiterInnen<br />
erzählt, dass es „ihr“<br />
Betrieb war, und wenn zum Geburtstag<br />
niemand von der „Jute“ mit dem Präsentkorb<br />
kam, dann war es kein richtiger<br />
Geburtstag…<br />
Die Einwanderungswelle zum Ende des<br />
vorletzten Jahrhunderts hatte wirtschaftliche<br />
Gründe. Nach dem 1.Weltkrieg<br />
1919 gab es polnische Familien,<br />
die mit der Gründung des polnischen<br />
Staates zurück in ihre Heimat gingen; es<br />
wurde berichtet, dass diese Rückwanderung<br />
sogar in den Waller Schulen deutlich<br />
spürbar war. Manch einer kam enttäuscht<br />
wieder zurück. Andere blieben<br />
und in alten Adressbüchern erinnern<br />
Namen wie Urbanski, Drabinski oder<br />
Kratky an ihre kulturellen Wurzeln.<br />
Und so kommt es heute noch vor, dass<br />
Kinder oder Enkelkinder fast zufällig bei<br />
der Beschäftigung mit ihrer Familiengeschichte<br />
auf Groß- oder Urgroßeltern<br />
stoßen, die damals der „Jute“ nach Bremen<br />
folgten.<br />
Cecilie Eckler-von Gleich,<br />
Geschichtskontor <strong>Kultur</strong>haus Walle Brodelpott<br />
Literatur<br />
– Unsere Schule, Schülerzeitung der Versuchsschule<br />
an der Helgolander Straße, VI.Jahrgang,<br />
Nummer 3, Bremen März 1927<br />
Marlene Ellerkamp und Brigitte Jungmann:<br />
Frauen in der „Jute“, in: Beiträge zur Sozialgeschichte<br />
Bremens, Heft 6, Universität Bremen<br />
Elke Reining: Arbeitsbedingungen und Arbeitskämpfe<br />
in der Bremer Jute 1924-1933, in: Beiträge<br />
zur Sozialgeschichte Bremens, Heft 6, Universität<br />
Bremen<br />
Bildnachweise<br />
Alle Abbildungen: Geschichtskontor / <strong>Kultur</strong>haus<br />
Walle Brodelpott, Bildarchiv (Tel.3887078)<br />
26
Aus den „Polenberichten“ des Blumenthaler Landrats Berthold<br />
„Mit einem Schlage waren<br />
unleidliche Verhältnisse eingetreten“<br />
Polnisch, katholisch und schlecht bezahlt –<br />
mit der Ankunft polnischer Arbeitskräfte auf<br />
der Blumenthaler Wollkämmerei begann ein<br />
schwieriges Kapitel Migrationsgeschichte<br />
[Foto: Doku Blumenthal]<br />
„Das Boot ist voll“, mit dieser Begründung<br />
rechtfertigte die Schweiz in den<br />
1940er Jahren einst die Übergabe jüdischer<br />
Flüchtlinge an deutsche Grenzer.<br />
Heute findet die Parole eine neue<br />
Verwendung bei der Abwehr europäischer<br />
Migration. In der Bremer Industrialisierung<br />
um 1900 gab aber es eine<br />
Wanderung von Arbeitskräften, die zudem<br />
noch mit einem komplizierten Nationalitätenkonflikt<br />
verquickt war.<br />
Als die Bremer Textilindustrie vor 1900<br />
ihre Arbeitskräfte rund um Posen zu rekrutieren<br />
begann, kamen damals keine<br />
„Ausländer“. Seit der polnischen Aufteilung<br />
an die derzeitigen Großmächte<br />
gab es schon über 100 Jahre keinen<br />
polnischen Staat mehr, die Zuwanderer<br />
waren inzwischen waschechte preußische<br />
Staatsbürger. Und die Industrie<br />
in Bremen-Nord, mit Ausnahme Vegesacks<br />
damals zum preußischen Landkreis<br />
Bumenthal gehörig, bediente sich<br />
mit <strong>Vor</strong>liebe der billigen Arbeitskraft<br />
aus den polnischen Dörfern. Rund um<br />
den Grohner Industriebezirk und die<br />
Blumenthaler Wollkämmerei stammte<br />
plötzlich jeder vierte Einwohner aus den<br />
polnischen Gebieten.<br />
Für den beschaulichen Kahnschiffer-<strong>Ort</strong><br />
war das eine Verkehrung der bisher geordneten<br />
Verhältnisse. Landrat Paul Berthold<br />
berichtete an seine Stader Bezirksregierung<br />
vom „Entsetzen“ der Alteingesessenen:<br />
„Viele Ankömmlinge galten<br />
als eine Art von Halbwilden, weil<br />
sie weder <strong>Vor</strong>hänge an die Fenster, noch<br />
Blumenstöcke auf die Fensterbretter taten,<br />
die hier sonst selbst im Armenhause<br />
nicht fehlten.“ Die Arbeiterhäuser der<br />
Fabrik erschienen den Blumenthalern<br />
derartig exotisch, daß ihre Siedlung vom<br />
Volksmund „Klein-Kamerun“ getauft<br />
wurde. Das größte Ärgernis bildeten<br />
Liebschaften, die als „Einbürgerung der<br />
wilden Ehe“ verpönt waren. Andererseits<br />
verstanden sich die Blumenthaler<br />
aber auch zu arrangieren, der Mangel<br />
an geeigneten Wohnungen führte<br />
zu einem rasanten Anstieg der Mieten.<br />
„Was hier an Raum in den vorhandenen<br />
Gebäuden überhaupt verfügbar war, die<br />
elendesten und ungesundesten Gelasse,<br />
nackte Bodenräume, alle nur irgendwie<br />
entbehrlichen Ställe oder Scheunen,<br />
notdürftig zu Wohnzwecken hergerichtet,<br />
wurde bis auf den letzten Winkel<br />
[...] ausgenutzt“, klagte der Landrat. Mit<br />
einem Wort: „Unleidliche Verhältnisse.“<br />
Als 1905 die überwiegend polnische Belegschaft<br />
der Wollkämmerei eine Lohnerhöhung<br />
forderte und in den Streik<br />
trat, war das für den Landrat Auftakt zu<br />
einer Serie von alljährlichen „Polenberichten“,<br />
die ein Schlaglicht auf die sozialen<br />
Spannungen zwischen Arbeiterbewegung,<br />
Nationalitäten, Kirchen und<br />
der Staatsmacht werfen. Als Vertreter<br />
von Ruhe und Ordnung kritisiert er vor<br />
allem das „völlig unbegreifliche“ Verhalten<br />
des BWK-Chefs, Kommerzienrat Ullrich.<br />
Der hatte seiner Meinung nach eine<br />
„gerechtfertigte Arbeitszeitverkürzung<br />
und Lohnerhöhung“ verweigert.<br />
So waren plötzlich über 1000 Arbeiter<br />
27
und vor allem Arbeiterinnen in die sozialdemokratische<br />
Gewerkschaft eingetreten.<br />
Die in großem Umfang mit Polinnen<br />
arbeitenden Bremer Textilfirmen<br />
galten bis dahin stets als das „Schmerzenskind“<br />
der Gewerkschaften. Die SPD-<br />
Zeitung urteilte: „Die Herren der Wollkämmerei<br />
halten es lieber mit der sozialen<br />
Rückständigkeit des Krautjunkers,<br />
der im Reichstag rief: ‚Die dümmsten Arbeiter<br />
sind uns am liebsten!‘ Darum ziehen<br />
sie ihre Arbeitssklaven aus dem wilden<br />
Osten heran, aus dem Schlaraffenland<br />
der Ausbeuterei, aus den schwärzesten<br />
Winkeln des Aberglaubens.“<br />
Saal-Freiheit für Polen<br />
Trotz solcher Attacken traten die BWK-<br />
Arbeiterinnen jetzt in die Gewerkschaft<br />
ein – damit begann auch die Suche nach<br />
Versammlungsräumen. Auf Betreiben<br />
des Landrats weigerten sich die beiden<br />
Blumenthaler Wirte aber, ihre Säle für<br />
solche Veranstaltungen zu öffnen. Sie<br />
bauten auf die Zusage des Landrats, die<br />
BWK werde den Verdienstausfall ausgleichen.<br />
Als die Arbeiter die Gaststätten<br />
aber über mehr als drei Monate boykottiert<br />
hatten, knickte der Kommerzienrat<br />
von der BWK ein. Besorgt über die<br />
Erbitterung, mit der seine Belegschaft<br />
den Boykott durchführte und interessiert<br />
an der Wiederherstellung des Betriebsfriedens<br />
widerrief er seine Zusage<br />
und ließ damit den Landrat im Regen<br />
stehen. Landrat Berthold musste die<br />
„Saal-Freiheit“ für die Polen anerkennen,<br />
in seinem Bericht kann er nur diagnostizieren,<br />
Ullrich sei „nervös überreizt“.<br />
Alle Jahre wieder bis zum Ersten Weltkrieg,<br />
und nicht nur auf die BWK bezogen,<br />
kritisiert er das Verhalten der<br />
Unternehmer seines Kreises. Angeblich<br />
würden sie ihren Belegschaften zu<br />
nachgiebig gegenüber treten. Bei jeder<br />
Konjunkturflaute moniert er, jetzt<br />
sei die Gelegenheit gekommen, die „Rädelsführer“<br />
aus den Betrieben zu entfernen.<br />
Letztendlich geht es ihm darum,<br />
jegliche organisatorische und politische<br />
Eigenständigkeit mit polnischem<br />
Einschlag zu verhindern. Auch Konflikte<br />
zwischen den katholischen Polen und<br />
ihren deutschen Geistlichen um die Rituale<br />
im Gottesdienst tauchen in seinen<br />
Berichten auf. Die national orientierten<br />
polnischen Sokόł-Turnvereine werden<br />
Objekt seiner Kontrolle und eine Polenfreundliche<br />
Wahlrede eines Sozialdemokraten<br />
empfindet er als Landesverrat.<br />
Einen Auftritt des späteren Reichpräsidenten<br />
Ebert kommentiert er mit<br />
den Worten, dieser habe „in geradezu<br />
ehrloser Weise um die polnischen Stimmen<br />
gebuhlt.“<br />
Polnischer Nationalismus gegen<br />
Germanisierungspolitik<br />
Diese Wahrnehmung ist jedoch keine<br />
Marotte eines beliebigen preußischen<br />
Landrats. Als die Polen 1906 eine eigene<br />
Bremer Zeitung gründen, berichtet das<br />
Osterholzer Kreisblatt: Ihr Ziel bestünde<br />
darin, „die in der Bremer Gegend lebenden<br />
Polen vor der Germanisierung zu<br />
schützen und sie im katholischen Glauben<br />
zu erhalten.“ Tatsächlich dachten<br />
auch polnische Vereinsgründer nicht nur<br />
an die Pflege von heimischen Liedgut<br />
und Volkstänzen. Inzwischen regierte<br />
das Zeitalter von Kolonialismus und Nationalismus.<br />
Damit entbrannte ein Nationalitätenkonflikt<br />
mit den über 2,5 Millionen<br />
Polen im preußischen Osten.<br />
Preußen steuerte tatsächlich einen Kurs<br />
der „Germanisierung“, es verbannte<br />
die polnische Sprache aus den Schulen,<br />
Briefe mit polnischer Adresse mußten<br />
nicht zugestellt werden und mit<br />
immensen Summen versuchte es, polnischen<br />
Grund und Boden in deutsche<br />
Hand zu bringen. Der polnische „Schulkinderstreik“<br />
für den Unterricht in der<br />
polnischen Muttersprache erhitzte das<br />
politische Klima und zahlreiche Vereine<br />
auch im Westen Deutschlands hielten<br />
den Wunsch nach einem eigenen Staat<br />
lebendig. Die preußischen Polizeipräsidenten<br />
unterhielten ein Übersetzungsbüro,<br />
um den Inhalt polnischer Zeitungen<br />
zu überwachen. Wenn der Bochumer<br />
Verein „Wiarus Polski“ seine<br />
„Zehn Gebote für Polen“ veröffentlichte,<br />
bekamen die Landräte die Übersetzung<br />
zugeschickt. Dort las dann Landrat Berthold<br />
neben der Aufforderung, nur polnische<br />
Produkte zu kaufen, auch das religiös<br />
eingefärbte Erste Gebot „Du sollst<br />
kein anderes Vaterland haben neben<br />
mir. Du sollst kein fremdes Land mehr<br />
lieben als mich.“<br />
Aus preußischer und Reichsperspektive<br />
bekamen die polnischen Bestrebungen<br />
damit den Charakter einer Sezessionsbewegung.<br />
Geschürte Ängste<br />
Germanisierungspolitik und polnischer<br />
Nationalismus schaukelten sich gegenseitig<br />
hoch. So kommentierte das Osterholzer<br />
Kreisblatt die polnische Zeitungsgründung<br />
in Bremen auch prompt: „Für<br />
die Unverfrorenheit der polnischen<br />
Propaganda ist diese Zeitungsgründung<br />
sehr bezeichnend.“ Und der Blumenthaler<br />
Landrat sah in der polnischen<br />
Nationalbewegung, die zudem noch<br />
mit der Sozialdemokratie liebäugelte,<br />
die „größte Gefahr“ für seinen industriell<br />
geprägten Landkreis: „Wird dieser<br />
Fremdkörper, der mehr als 10 % der Bewohner<br />
des Kreises umfasst, mehr und<br />
mehr auf gefährliche Bahnen geleitet<br />
[...], so kann im gegebenen Moment eine<br />
ganz verhängnisvolle Explosion herbeigeführt<br />
werden.“<br />
Der tatsächliche Verlauf der Geschichte<br />
zeigt, die preußischen Ängste beruhten<br />
auf Einbildung. Mit dem Ende des<br />
Ersten Weltkrieges entstand wieder<br />
ein polnischer Staat, die Polen im Bremer<br />
Norden aber blieben. Sie hatten ein<br />
besseres Leben fern ihrer armen Dörfer<br />
gesucht und gefunden. Zwei, drei Generationen<br />
nach der Ankunft bei ihrer<br />
BWK gehörten sie genauso zu den Blumenthalern<br />
wie die Arbeitskräfte, die<br />
einst aus Ostfriesland oder anderen Regionen<br />
zu den neuen Arbeitsplätzen gewandert<br />
waren.<br />
Achim Saur<br />
Die „Polenberichte“ des Landrats und zahlreiche<br />
andere Unterlagen zur Geschichte der Industrialisierung<br />
in Bremen Nord findet man im Dokumentationszentrum<br />
Blumenthal, Heidbleek 10.<br />
Anfragen unter 603 90 79.<br />
28
Zur Arbeit nach Bremen verschleppt<br />
Polnische Zwangsarbeiterinnen und –arbeiter<br />
in Bremer Betrieben während der Nazizeit<br />
„Mein Vater arbeitete als Zwangsarbeiter<br />
auf einem Bauernhof in Hamburg-<br />
Wedel. Er ist geflohen und hat es geschafft<br />
nach Hause zurück zu kommen.“<br />
So wie Urszula Wöltjen berichten ausnahmslos<br />
alle unsere polnischen Gesprächspartner<br />
dieser Moje Weer-Ausgabe<br />
von Eltern, Großeltern oder Verwandten,<br />
die die Nazis nach der Besetzung<br />
Polens nach Deutschland verschleppten.<br />
Wer blieb, musste ebenfalls<br />
damit rechnen, für die Besatzer arbeiten<br />
zu müssen. Urszula Wöltjen berichtet<br />
vom Schicksal ihrer Mutter, „die auch ihren<br />
Weg durch die deutsche Hölle gemacht<br />
hat“. Zunächst als Zwangsarbeiterin<br />
einer Fabrik. Dann wurde sie als<br />
Mitglied einer Untergrundorganisation,<br />
die falsche Dokumente für englische<br />
Fallschirmspringer fabrizierte, verhaftet,<br />
ins Gefängnis und später ins Lager<br />
eingesperrt.<br />
2 Millionen Zwangsarbeiter aus Polen<br />
Etwa zwei Millionen Polen wurden während<br />
des Krieges ins Deutsche Reich verschleppt.<br />
Ab Oktober 1939 vermittelten<br />
die Landesarbeitsämter über Bremen<br />
zivile landwirtschaftliche Arbeitskräfte<br />
aus Polen zumeist an Bauern im Bremer<br />
Umland. Im Herbst arbeiteten aber<br />
auch schon Polen in der Industrie. Ausländische<br />
Arbeitskräfte mussten zunehmend<br />
die Lücken füllen, die durch die<br />
Einziehung deutscher Arbeiter an die<br />
Front in den Betrieben entstanden. Ein<br />
Bericht der Deutschen Arbeitsfront geht<br />
für Sommer 1943 von 41 000 „Fremdarbeitern“<br />
im Bremer Stadtgebiet aus.<br />
1942 betrug ihr Anteil bei der Deschimag<br />
AG „Weser“ 12,7 Prozent der Belegschaft,<br />
bei Weserflug und Borgward mehr als<br />
30 Prozent. Alle, auch die kleinsten Betriebe<br />
wie Handwerker und Bäcker beschäftigten<br />
ausländische Arbeiter. Man<br />
vermutet, dass 1945 jeder vierte bis fünfte<br />
Einwohner der Stadt Ausländer war.<br />
Die Nationalsozialisten behandelten<br />
Aushang von vollzogenen Bestrafungen im<br />
Betrieb<br />
Arbeiter aus den besetzten westlichen<br />
Gebieten weitaus besser als Polen und<br />
„Ostarbeiter“ aus der Sowjetunion.<br />
Während die ersteren in der Regel deutschen<br />
Arbeitern gleichgestellt waren,<br />
erhielten Polen und „Ostarbeiter“ nur<br />
ein Taschengeld.<br />
Für die Polen bestand Kennzeichnungspflicht.<br />
Sie mussten sichtbar das Abzeichen<br />
P auf der Kleidung tragen, ein violettes<br />
P auf gelbem Grund. Wer das Abzeichen<br />
verdeckte oder gar entfernte,<br />
wurde bestraft. Alle <strong>Vor</strong>schriften zielten<br />
darauf ab, die polnischen Menschen von<br />
den Deutschen zu separieren und sie als<br />
minderwertige Rasse zu diskriminieren.<br />
Dazu gehörten Ausgehverbote, Verbot<br />
des Kirchgangs, der Benutzung öffentlicher<br />
Grünanlagen bis zum Verbot, Friseurgeschäfte<br />
zu betreten.<br />
In Polen entwickelten die Nazis die ersten<br />
Umrisse eines gigantischen Umsiedlungs-<br />
und Vernichtungsplan in den<br />
eroberten Ostgebieten. Im Kern sah der<br />
so genannte „Generalplan Ost“ die Deportierung<br />
von 31 Millionen „Fremdvölkischen“<br />
nach Osten und deren Vernichtung<br />
vor. In den annektierten Gebieten<br />
sollten einige Millionen Deutsche angesiedelt<br />
werden. Namhafte deutsche<br />
Wissenschaftler hatten bereits in den<br />
1920er Jahren die Grundlagen für die<br />
„Germanisierungspolitik“ des Ostens<br />
geliefert. Ein Bestandteil dieser Sammlung<br />
„deutschen Blutes“ war es auch, in<br />
den unterworfenen Gebieten die Menschen<br />
herauszufiltern, die nach den rassischen<br />
Kategorien der Nazis „eindeutschungsfähig“<br />
waren.<br />
Rassitisch und Frauenverachtend<br />
In ihrem rassistischen Wahn verfolgten<br />
die Nazibehörden unter drakonischen<br />
Strafandrohungen geschlechtliche Beziehungen<br />
zwischen polnischen und<br />
Ostarbeitern und deutschen Frauen. In<br />
einer vertraulichen Anordnung an die<br />
Landesarbeitsämter warnt der Reichsarbeitsminister<br />
im November 1939: „Der<br />
Einsatz volksfremder Arbeitskräfte und<br />
die Unterbringung der großen Massen<br />
polnischer Gefangener in Deutschland<br />
erfordern eine intensive Aufklärung<br />
des Volkes über die Gefahr einer<br />
Vermischung mit Fremdvölkischen. Die<br />
Reinerhaltung deutschen Blutes ist nationalsozialistisches<br />
Gebot. Wer sich dagegen<br />
versündigt, verliert Ehre und Achtung.“<br />
Über eine Hinrichtung berichtet<br />
Christoph Schminck-Gustavus: Ein<br />
polnischer Landarbeiter starb auf der<br />
Bahrsplate am Galgen, weil er etwas<br />
mit einem deutschen Mädchen gehabt<br />
haben soll. Das Mädchen musste bei der<br />
Exekution mit kahl rasiertem Kopf daneben<br />
stehen 1 .<br />
Die polnischen Zwangsarbeiter sperrte<br />
man zum größten Teil in Lager. Für das<br />
Jahr 1944 ist die Existenz von 200 Bremer<br />
Lagern bezeugt, die über das gesamte<br />
Stadtgebiet verteilt lagen. In<br />
der Nachkriegszeit wurde das Schicksal<br />
der Menschen aus diesen Lagern weitgehend<br />
verdrängt. Viele Firmen, die<br />
Zwangsarbeiter beschäftigt hatten, be-<br />
29
Auch auf der Norddeutschen Hütte, den Stahlwerken in Gröpelingen, arbeiteten Zwangsarbeiter<br />
aus Polen<br />
haupteten, dass die Unterlagen darüber<br />
verschwunden seien.<br />
Durch einen glücklichen Zufall wurde<br />
beim Nachfolgebetrieb der Norddeutschen<br />
Hütte, den Bremer Stahlwerken,<br />
eine Kartei der Zwangsarbeiter entdeckt,<br />
die genauere Angaben über Zusammensetzung<br />
und Lebensumstände<br />
der ausländischen Arbeiter während der<br />
Nazizeit erlaubt. 2<br />
437 polnische Arbeiterinnen und Arbeiter<br />
arbeiteten zwischen 1939 und 1945<br />
auf der Norddeutschen Hütte bei der<br />
Koks- Eisen- und Zementherstellung. Sie<br />
stellten das größte Kontingent ausländischer<br />
Arbeiter. Nur 34 von ihnen konnten<br />
bei Privatleuten wohnen, die anderen<br />
waren in verschiedenen Lagern, entweder<br />
auf dem Gelände der Hütte oder<br />
an der Grambkermoorer Landstraße untergebracht.<br />
Die Lager waren eingezäunt<br />
und wurden bewacht.<br />
Die Verpflegung war trotz der schweren<br />
Arbeit auf der Hütte äußerst mangelhaft.<br />
Essen für Polen und Ostarbeiter<br />
wurde zwar ebenfalls in der Werkskantine,<br />
aber gesondert von dem der Deutschen<br />
und Westarbeiter gekocht. Ein<br />
deutscher Augenzeuge berichtet über<br />
das Essen: „Da war Spinat, unzerkleinert<br />
in langen Stängeln, und so schlecht gekocht,<br />
dass es nicht die Schweine fressen<br />
würden.“ Die Polen und Ostarbeiter<br />
waren deshalb immer auf der Suche<br />
nach etwas Essbaren, versuchten Kartoffeln<br />
oder Rüben aus der Küche oder<br />
von den Äckern der Bauern mitzunehmen,<br />
um sie nachts im Lager zu kochen.<br />
Wer erwischt wurde, erhielt empfindliche<br />
Geldstrafen. Diese betrieblichen<br />
Strafen wurden zur Abschreckung im<br />
Betrieb ausgehängt. Unter Umständen<br />
aber wurde auch die Gestapo eingeschaltet.<br />
So erging es dem ukrainischen<br />
Arbeiter Alexej Ponomarjow. Er zapfte<br />
sich auf dem Weg von der Arbeitsstelle<br />
ins Lager aus der Milchkanne eines Bauern<br />
etwas Milch ab, wurde erwischt und<br />
von der Gestapo ins KZ Neuengamme<br />
eingewiesen.<br />
„Arbeitserziehungslager“ für<br />
Flüchtlinge<br />
Wer die bitteren Lebensumstände nicht<br />
mehr aushielt oder von Heimweh ergriffen<br />
versuchte nach Hause zu kommen,<br />
wurde ebenfalls von der Gestapo<br />
verfolgt. Die Zwangsarbeiterkartei<br />
der Norddeutschen Hütte enthält bei<br />
97 polnischen Arbeitern den Vermerk<br />
„Bummeln“, bei 34 den Hinweis „abgerückt“<br />
und bei weiteren 24 die Eintragung<br />
„über Urlaub“. In all diesen Fällen<br />
verschwanden die Betreffenden von der<br />
Arbeitsstelle oder kamen aus einem Urlaub<br />
nicht nach Bremen zurück. Wurden<br />
sie erwischt, kamen die Unglücklichen<br />
in der Regel in ein Arbeitserziehungslager.<br />
Wer nach einigen Wochen in den<br />
Betrieb zurück überwiesen wurde, war<br />
häufig vollkommen abgemagert und<br />
zerschlagen. Auch Haft ist in einigen<br />
Fällen von den Personalbearbeitern der<br />
Hütte vermerkt worden. Drei Karteikarten<br />
tragen die Bemerkung „Gestapo“, 24<br />
den Vermerk „in Haft“.<br />
Die Nazi-Behörden verschleppten auch<br />
ganze Familien nach Deutschland. Im<br />
Dezember 1939 hatten die Besatzungsbehörden<br />
in Polen die Arbeitspflicht<br />
auch für vierzehnjährige Kinder festgelegt.<br />
In der Kartei der Norddeutschen<br />
Hütte findet sich der Name von Terese<br />
Ludkowski aus Marianova, Kreis Konin<br />
in der Nähe von Poznan. Sie war 14 Jahre<br />
alt, als man sie mit ihren Eltern zur Arbeit<br />
auf der Hütte zwang. Alle Drei fingen<br />
am 6. Juli 1944 im Betrieb an und<br />
wohnten im Lager auf dem Hüttengelände.<br />
Sie verließen den Betrieb, als die<br />
britischen Truppen am 27. April 1945 Bremen<br />
besetzten. Wo die jüngeren Geschwister<br />
von Terese, Josef und Kasimir,<br />
damals acht und drei Jahre alt geblieben<br />
sind, ist auf den Karteikarten nicht<br />
vermerkt. Lebten sie im Lager, waren sie<br />
in Polen zurückgeblieben?<br />
Eine erhebliche Zahl polnischer Arbeiterinnen<br />
und Arbeiter sahen die Heimat<br />
nicht wieder. Die Kartei der Hütte verzeichnet<br />
15 Todesfälle. Bei einigen notierten<br />
die Personalsachbearbeiter auch<br />
die Todesursache: gestorben durch Arbeitsunfälle<br />
oder durch Fliegerbomben.<br />
Eine unbekannte Zahl starb in Haft oder<br />
wurde hingerichtet, so wie der 16jährige<br />
Walerjan Wróbel, der aus Heimweh<br />
den Hof des Bauern anzündete, bei dem<br />
er arbeiten musste, in der naiven Hoffnung,<br />
dann nach Hause abgeschoben<br />
zu werden. Er wurde zum Tode verurteilt<br />
und hingerichtet. Christoph Schminck-<br />
Gustavus hat ihm in dem Buch „Das<br />
Heimweh des Walerjan Wróbel“ eine<br />
bewegende Erinnerung gewidmet.<br />
Eike Hemmer<br />
Anmerkungen<br />
1 Christoph Schminck-Gustavus, Hungern für<br />
Hitler, Erinnerungen polnischer Zwangsarbeiter<br />
im Deutschen Reich 1940-1945<br />
2 Vgl. Hemmer/Milbradt, Bei Bummeln drohte<br />
Gestapohaft, Zwangsarbeit auf der Norddeutschen<br />
Hütte während der NS-Herrschaft<br />
30
POLEN SEHEN<br />
Polnische Kunst und <strong>Kultur</strong> aus Polen und Bremen<br />
5.–12. Oktober 2008 - Das Programm<br />
31
5.–12. Oktober 2008 - Das Programm<br />
Sonntag, 05.10.2008<br />
Eröffnung der Polnischen Tage<br />
16:00 Uhr<br />
Performance Bremer Stadtmusikanten<br />
Dienstag, 07.10.2008<br />
11:00 - 11:45, 14:00 – 14:45, 17:00 – 17:45 Uhr<br />
Folklore – Musik „Die Kowalski´s”<br />
Bühne Rathausplatz<br />
17:30 Uhr<br />
Offizielle Eröffnung in der Oberen Rathaushalle<br />
¬- Tymon Tymański Yass Ensemble<br />
Jazzkonzert<br />
19:00 Uhr<br />
Richtig Polen!<br />
Schallplatten aus Polen aufgelegt von Tomek<br />
Woźniakowski auf dem Marktplatz<br />
ab 21:00 Uhr<br />
Visualisierung - Videokunstpräsentation „playtime.<br />
s and 2 zeros“ von Dorota Walentynowicz<br />
am Marktplatz<br />
ab 16:00 Uhr<br />
Informationsbörse und Kulinarische Präsentation<br />
am Marktplatz<br />
18:00 Uhr<br />
Mikołaj Trzaska Trio<br />
Jazzkonzert<br />
Kunsthalle/Cage-Raum, Am Wall 207, 28195<br />
Bremen<br />
19:00 – 22:00 Uhr<br />
Hevelius Brass, Gdańsk<br />
Dixie – Musik<br />
Bühne Marktplatz<br />
20:00 Uhr<br />
„Herr Cogito - Alchemist der Halluzinationen“<br />
Zbigniew Herbert Abend mit Teatr Okazjonalny<br />
und Erik Roßbander<br />
Lesung und Tanzperformance<br />
Concordia Theater, Schwachhauser Heerstraße<br />
17, 28203 Bremen<br />
20:00 Uhr<br />
„Aktion“<br />
Tanzperformance des polnischen Tanztheaterkollektivs<br />
Good Girl Killer nach einem Stück von<br />
Sam Shepard<br />
Schwankhalle Bremen, Buntentorsteinweg 112,<br />
28201 Bremen<br />
Mittwoch, 08.10.2008<br />
10:00 - 20:00 Uhr<br />
Revitalisierung postindustrieller Areale - Erfahrungen<br />
in Gdańsk und Bremen<br />
Tagung<br />
Speicher XI in der Überseestadt, Roter Salon<br />
Am Speicher XI, 28217 Bremen<br />
11:00 - 11:45, 14:00 – 14:45, 17:00 – 17:45 Uhr<br />
Folklore – Musik „Die Kowalski´s”<br />
Bühne Marktplatz<br />
16:00 – 16:35 Uhr<br />
Jugendchor Bremen<br />
Polnische Lieder<br />
Bühne Marktplatz<br />
19:00 Uhr<br />
Polnische Literatur von Mikołaj Rej bis Dorota<br />
Masłowska<br />
Literaturabend<br />
Zentralbibliothek, Am Wall 201, Wall-Saal, 28195<br />
Bremen<br />
19:00 – 22:00 Uhr<br />
Hevelius Brass<br />
Dixie – Musik<br />
Bühne Marktplatz<br />
Montag, 06.10.2008<br />
11:00 - 11:45, 14:00 – 14:45, 17:00 – 17:45 Uhr<br />
Folklore – Musik „Die Kowalski´s”<br />
Bühne Rathausplatz<br />
21:00 Uhr<br />
„Ijon Tichy: der Raumpilot“ frei nach „Sterntagebücher“<br />
von Stanisław Lem<br />
Filmvorführung, anwesend Regisseur und<br />
Hauptdarsteller Oliver Jahn und Regisseur Denis<br />
Jacobson<br />
zakk klubraum Sielpfad 11, 28203 Bremen<br />
16:30 Uhr<br />
Eröffnung der Ausstellung von Olga Szubartowicz<br />
„… dem Schicksal kann man sich widersetzen…“<br />
06.10.2008-19.10.2008<br />
Roland Klinik, Ambulantes Zentrum, Niedersachsendamm<br />
72/74, 28201 Bremen<br />
Polnische Animations- und Spielfilme unter dem<br />
Motto „Die Polen und der Patriotismus“<br />
18:00 Uhr<br />
1.Teil der Anthologie des Animationsfilms<br />
20:00 Uhr<br />
Spielfilm „Langes Wochenende“ (Regie: Robert<br />
Gliński, 2004)<br />
Kino Schauburg, <strong>Vor</strong> dem Steintor 114, 28203<br />
Bremen<br />
32
Donnerstag, 09.10.2008<br />
11:00 - 11:45, 14:00 – 14:45, 17:00 – 17:45 Uhr<br />
Folklore – Musik „Die Kowalski´s”<br />
Bühne Marktplatz<br />
16:00 – 16:35 Uhr<br />
Jugendchor Bremen<br />
Polnische Lieder<br />
Bühne Marktplatz<br />
16:00 - 19:00 Uhr<br />
Der polnische (Personal) Markt<br />
<strong>Vor</strong>träge und Erfahrungsberichte<br />
Handelskammer Bremen, Am Markt 13, Haus<br />
Schütting, 28195 Bremen<br />
19:00 – 22:00 Uhr<br />
Hevelius Brass<br />
Dixie – Musik<br />
Bühne Marktplatz<br />
Im Reisebüro: Wir wollen in ein nettes Land ohne Lustration<br />
Andrzej Mleczko<br />
20:30 Uhr<br />
Filmland Polen<br />
Spielfilm „Tricks“ (Regie: Andrzej Jakimowski,<br />
2007)<br />
Kino 46, Waller Heerstr. 46, 28217 Bremen<br />
22:30 Uhr<br />
Piotr Lemańczyk International Quartet<br />
Jazzkonzert<br />
Schwankhalle Bremen, Alter Saal, Buntentorsteinweg<br />
112, 28201 Bremen<br />
Freitag, 10.10.2008<br />
Lustration meint die Praxis in Postkommunistischen Staaten, Menschen, die mit dem früheren Regime<br />
zusammenarbeiteten, zu entlarven und von öffentlichen Ämtern auszuschließen. In Polen wurde<br />
das Thema im Jahre 2005 erneut angeheizt, als ein Journalist eine Liste mit 160 000 Namen aus<br />
dem Institut für Nationale Erinnerung veröffentlichte. Das Institut ist eine ähnliche Einrichtung wie<br />
die Bundesbehörde für die Stasi-Unterlagen in Deutschland. Zu denen, die in der jüngsten Kampagne<br />
verdächtigt werden, mit der Staatssicherheit des kommunistischen Regimes zusammengearbeitet zu<br />
haben, gehören auch zwei frühere Staatspräsidenten: Aleksander Kwaśniewski und Lech Wałésa.<br />
17:00 Uhr<br />
Sportlicher Vergleich von Junioren und Juniorinnen-Mannschaften<br />
Fußball<br />
Sportanlage am Weserstadion, Platz 12, 28205<br />
Bremen<br />
19:00 Uhr<br />
„Städtebilder: Bremen-Danzig-Riga“<br />
Buchpräsentation<br />
Janusz-Korczak-Haus, Osterdeich 6, 28203 Bremen<br />
11:00 - 11:45, 14:00 – 14:45, 17:00 – 17:45 Uhr<br />
Folklore – Musik „Die Kowalski´s”<br />
Bühne Marktplatz<br />
14:00 - 17:00 Uhr<br />
Von der Solidarność zur III. Republik - unabhängige<br />
politische Satire und politische Opposition in<br />
den achtziger Jahren<br />
Filmprojektion, <strong>Vor</strong>trag, Eröffnung der Ausstellung:<br />
15.30 Uhr Forschungsstelle Osteuropa<br />
14:30 Uhr<br />
Verleihung des Preises des Generalkonsuls der<br />
Republik Polen Andrzej Osiak für die beste Abschlussarbeit<br />
über Polen<br />
Forschungsstelle Osteuropa, Osteuropagebäude<br />
der Universität Bremen, Klagefurterstrasse 3,<br />
28359 Bremen<br />
17:00<br />
„Kochen wie ein Pole“<br />
Kochkurs polnische Küche<br />
Bühne Marktplatz<br />
19:00 Uhr<br />
Adam Gusowski und Piotr Mordel Leutnant-<br />
Show<br />
Show mit dem „Club der Polnischen Versager“<br />
aus Berlin<br />
<strong>Kultur</strong>zentrum Schlachthof, Findorffstr. 51,<br />
28215 Bremen<br />
19:00 – 22:00 Uhr<br />
Hevelius Brass<br />
Dixie – Musik<br />
Bühne Marktplatz<br />
19:00 Uhr<br />
Eröffnung der Ausstellung Katarzyna Kozyra<br />
„Strafe und Verbrechen“<br />
11.10.2008 bis 16.11.2008<br />
Neues Museum Weserburg, Teerhof 20, 28199<br />
Bremen<br />
20:00 Uhr<br />
“Galaktisches Gewitter - Galaktyczna Burza“<br />
Buchpräsentation<br />
Janusz-Korczak-Haus, Osterdeich 6, 28203 Bremen<br />
20:30 Uhr<br />
Music Bridges präsentiert:<br />
Radio Bagdad (Gdańsk) und urban noise discount<br />
(Bremen)<br />
Konzert<br />
Lila Eule, Bernhardstr. 10, 28203 Bremen<br />
16:00 – 16:35 Uhr<br />
Jugendchor Bremen<br />
Polnische Lieder<br />
Bühne Marktplatz<br />
22:00 Uhr<br />
Jackpot Entertainment Amon & Alako und<br />
Friends spielen ihre Tracks<br />
Konzert<br />
<strong>Kultur</strong>zentrum Schlachthof, Findorffstr. 51,<br />
28215 Bremen<br />
33
5.–12. Oktober 2008 - Das Programm<br />
Sonntag, 12.10.2008<br />
11:00 - 11:45, 14:00 – 14:45, 17:00 – 17:45 Uhr<br />
Folklore – Musik „Die Kowalski´s”<br />
Bühne Rathausplatz<br />
17:00<br />
„Kochen wie ein Pole“<br />
Kochkurs polnische Küche<br />
Bühne Rathausplatz<br />
Montag, 13.10.2008<br />
Polnische Animations- und Spielfilme unter dem<br />
Motto „Die Polen und der Patriotismus“<br />
18:00 Uhr<br />
2. Teil der Anthologie des Animationsfilms<br />
Samstag, 11.10.2008<br />
11:00 - 12:00 oder 12.00 - 13:00 Uhr<br />
Volksgruppe Polonia<br />
Bühne Marktplatz<br />
14:00 – 14:45, 17:00 – 17:45 Uhr<br />
Folklore – Musik „Die Kowalski´s”<br />
Bühne Marktplatz<br />
16:00 Uhr<br />
Bremer Leselust: Polnische Märchen mit Olga<br />
Rudi<br />
Märchen Lesung<br />
Böttcherstraße, Kunst&GeschichtenLaden, Sieben-Faulen-Hof,<br />
28195 Bremen<br />
20:00 Uhr<br />
Spielfilm: „Morgen gehen wir ins Kino“ (Regie:<br />
Michał Kwieciński, 2007)<br />
Kino Schauburg, <strong>Vor</strong> dem Steintor 114, 28203<br />
Bremen<br />
Sonntag, 19.10.2008<br />
11:00 Uhr<br />
Małgorzata Walentynowicz<br />
Klavierkonzert<br />
12:00 Uhr<br />
„Polnischer Spaziergang durch das Focke-Museum“<br />
Schwachhauser Heerstraße 240, 28213 Bremen<br />
Montag, 20.10.2008<br />
Polnische Animations- und Spielfilme unter dem<br />
Motto „Die Polen und der Patriotismus“<br />
18:00 Uhr<br />
3. Teil der Anthologie des Animationsfilms<br />
20:00 Uhr<br />
Spielfilm „Die Ulanen kommen“ (Regie: Sylwester<br />
Chęciński, 2005)<br />
Kino Schauburg, <strong>Vor</strong> dem Steintor 114, 28203<br />
Bremen<br />
16:00 – 16:35 Uhr<br />
Siegerehrung des Fußballspiels Vergleich von<br />
Junioren und Juniorinnen-Mannschaften<br />
Bühne Marktplatz<br />
19:00 Uhr<br />
Katarzyna Sowula „Auftrieb“<br />
Lesung in polnischer und in deutscher Sprache<br />
Böttcherstraße, Kunst&GeschichtenLaden, Sieben-Faulen-Hof,<br />
28195 Bremen<br />
19:00 - 20:00 Uhr<br />
Volksgruppe Polonia<br />
Bühne Marktplatz<br />
23:00 Uhr<br />
Music Bridges präsentiert:<br />
Konzert: Skinny Patrini (Gdańsk), Goldfish und<br />
der Dulz, Karolin Mueller (Hi Freaks, Bremen)<br />
Videoperformance: „Cavalleris“ von Maciej Szupica<br />
(Gdańsk)<br />
Tanzperformance: „Verwucherter Verstand“ von<br />
Leon Dziemaszkiewicz (Gdańsk)<br />
Spedition am Güterbahnhof, 28195 Bremen<br />
34
Ausstellungen:<br />
Licht(h)aus<br />
Ausstellung - Licht und „umzu“<br />
26.09.2008-12.10.2008<br />
Eröffnung: Freitag, 26.09.2008 um 20:30 Uhr<br />
Lichthaus, Hermann Prüser Strasse 4, 28237<br />
Bremen, Gröpelingen<br />
Von der Solidarność zur III. Republik – unabhängige<br />
politische Satire und politische Opposition in<br />
den achtziger Jahren<br />
10.10.2008-31.10.2008<br />
Eröffnung: Freitag, 10.10.2008 um 15:30<br />
Forschungstelle Osteuropa<br />
Osteuropagebäude der Universität Bremen, Klagefurterstrasse<br />
3, 28359 Bremen<br />
„Gemeinsam aber getrennt“<br />
Kunstausstellung<br />
27.09.2008 – 12.10.2008<br />
Postamt 5, An der Weide 50, 3.OG<br />
Eröffnung : Samstag, 27.09.2008 um 17:00 Uhr<br />
„Strafe und Verbrechen“<br />
Ausstellung von Katarzyna Kozyra<br />
10.10.2008-16.11.2008<br />
Eröffnung: Freitag, 10.10.2008 um 19:00 Uhr<br />
Neues Museum Weserburg, Teerhof 20, 28199<br />
Bremen<br />
Weiteres:<br />
Kulinarische Woche „Polnische Küche“<br />
06.10.2008– 12.10.2008<br />
Chopin das Restaurant<br />
Dammweg 1, 28211 Bremen<br />
Weitere Informationen:<br />
www.polen-sehen.de<br />
Licht(h)aus, Ausstellung - Licht und „umzu“<br />
26.09.2008-12.10.2008<br />
„Tor zur Welt. Die Häfen Danzig und Gdynia in<br />
der polnischen Malerei des 20. Jahrhunderts.“<br />
Eine Gemäldeausstellung in Kooperation mit<br />
dem Zentralen Meeresmuseum Danzig<br />
28.09.2008 bis 26.10.2008<br />
Eröffnung: Sonntag, 28.09.08 um 11:00 Uhr<br />
Hafenmuseum Speicher XI; Roter Saal 3.OG, Am<br />
Speicher XI 1, 28217 Bremen<br />
Olga Szubartowicz<br />
Ausstellung<br />
06.10.2008- 19.10. 2008<br />
Eröffnung: Montag, 06.10.2008 um 16:30 Uhr<br />
durch Olga Szubartowicz.<br />
Öffnungszeiten: Montag bis Freitag, 08:00 Uhr<br />
bis 17:00 Uhr<br />
Roland Klinik, Ambulantes Zentrum, Niedersachsendamm<br />
72/74, 28201 Bremen<br />
35
Feuerspuren 08<br />
„Ihr braucht keine Angst mehr zu<br />
Ab heute entscheidet Ihr<br />
Am 8. November steht Gröpelingen wieder ganz im Zeichen der Erzählkunst<br />
An 14 besonderen <strong>Ort</strong>en erwarten über 30 Erzählerinnen und Erzähler ihr Publikum.<br />
Zu hören sind Geschichten für Kinder und Erwachsene in vielen verschiedenen Sprachen.<br />
Schon immer versammelten sich<br />
Menschen in den dunklen Winterwochen<br />
am Feuer, um sich Geschichten zu<br />
erzählen.<br />
Im flackernden Schein brachten die<br />
Erzähler ihre Zuhörer zu sehnsuchtsvollem<br />
Seufzen, lautem Gelächter oder<br />
atemlosen Schaudern.<br />
Heute ist diese Kunst des freien Erzählens<br />
fast verloren gegangen. Bei den<br />
Feuerspuren 08, dem Erzählfestival von<br />
<strong>Kultur</strong> <strong>Vor</strong> <strong>Ort</strong> und dem Bürgerhaus<br />
Oslebshausen lebt dieses großartige<br />
alte Mundwerk wieder neu auf.<br />
Kaum ein anderer Stadtteil eignet sich<br />
für ein Erzählfestival so gut wie Gröpelingen<br />
im Bremer Westen. Menschen<br />
aus über 120 Nationen leben hier, mehr<br />
als 40 Sprachen werden hier gesprochen.<br />
Am 7. und 8. November 2008 wird diese<br />
Vielfalt zum Klingen gebracht. Als<br />
Abschlussveranstaltung des Mundwerk<br />
Erzählfestivals heizen auf der<br />
Straße Feuerkünstler ihrem Publikum<br />
ein, während sich die Zuhörer in der<br />
Moschee über die Weisheiten des Nasreddin<br />
Hoça amüsieren, im Copy-Shop<br />
Greutsch gesprochen wird und man<br />
bei Bauer Gäbel Geschichten aus dem<br />
Schweinestall hört.<br />
Entlang der Lindenhofstraße, der alten<br />
Dorfstraße des Quartiers, sind gemeinsam<br />
mit Initiativen und Einzelhändlern<br />
14 besondere <strong>Ort</strong>e entstanden, an<br />
denen im 45-minütigem Rhythmus<br />
Geschichten erzählt werden.<br />
Das Besondere an Feuerspuren ist die<br />
Zusammenarbeit von Profierzählern<br />
aus dem deutschsprachigen Raum mit<br />
begeisterten Erzählern aus dem Quartier.<br />
Unter der künstlerischen Leitung<br />
von Stefanie Becker mit Unterstützung<br />
der Volkshochschule Bremen-West haben<br />
im <strong>Vor</strong>feld verschiedene Aktivisten<br />
ihre eigenen Stories und Geschichten<br />
erarbeitet, mit denen sie sich während<br />
der Feuerspuren präsentieren.<br />
Feuerspuren 08<br />
36<br />
Das internationale Erzählfestival in Gröpelingen
haben.<br />
selbst, wen ich fresse ...“<br />
<strong>Kultur</strong> <strong>Vor</strong> <strong>Ort</strong> hat auch Schulklassen<br />
die Möglichkeit gegeben, in Workshops<br />
ein Programm für die Feuerspuren zu<br />
erarbeiten. Die Kinder verschiedener<br />
Gröpelinger Schulen werden in diesem<br />
Jahr im Balance-Restaurant ihre Bühne<br />
haben.<br />
Auch auf der Straße wird erzählt. Kurze<br />
Geschichten im <strong>Vor</strong>übergehen sind<br />
zu hören, während allerlei seltsame<br />
Gestalten die Straße bevölkern oder die<br />
Feuerkünstler ihr bestes geben.<br />
Am Juchtershof laden die Bewohnerinnen<br />
wieder zum gemütlichen Tee am<br />
Lagerfeuer ein und wer hier spontan<br />
selbst eine Geschichte erzählen will, ist<br />
herzlich willkommen .<br />
Das umfangreiche Programmheft mit<br />
dem markanten Design der Gruppe für<br />
Gestaltung dient als Wegweiser durch<br />
das vielseitige Erzählprogramm. So<br />
kann man sich schon im <strong>Vor</strong>feld sein<br />
ganz persönliches Programm zusammenstellen.<br />
Im Programmheft finden<br />
sich auch Hinweise darauf, welche Erzählorte<br />
besonders für kleinere Kinder<br />
geeignet sind.<br />
Wer einfach spontan über die Lindenhofstraße<br />
flaniert, erkennt die Erzählorte<br />
an den auffälligen bunten Stelen,<br />
die jeweils den Eingang markieren.<br />
Ein wichtiger Anlaufpunkt für Kinder<br />
ist der Bibliotheksplatz. Hier erwartet<br />
das Mobile Atelier von <strong>Kultur</strong> <strong>Vor</strong> <strong>Ort</strong><br />
die jüngsten Feuerspurenbesucher.<br />
Gemeinsam mit den Künstlerinnen des<br />
Ateliers verwandeln die Kinder die alte<br />
Kastanie in einen glitzernden Feuervogel.<br />
(siehe Seite 39)<br />
Schon am <strong>Vor</strong>abend zum Straßenfestival<br />
werden in der Langen Nacht des<br />
Erzählens die Besten der Zunft im Saal<br />
des LICHTHAUS zu hören sein. (siehe<br />
Seite 38)<br />
Das HörBuch zum Festival<br />
Feuerspuren<br />
Die Welt zu Hause in Bremen –<br />
Geschichten und Musik<br />
Die besten Geschichten der Gröpelinger<br />
Feuerspuren hat <strong>Kultur</strong> <strong>Vor</strong> <strong>Ort</strong> für<br />
dieses Hörbuch zusammengestellt:<br />
Melonen im Space-Park, Geschichten<br />
von kleinen Teufelchen und polnischen<br />
Prinzessinnen, vom Kochkessel,<br />
der ein Kind bekam und die<br />
Antwort auf die Frage, warum überall<br />
in der Welt ein bisschen Weisheit<br />
anzutreffen ist.<br />
Mit Julia Klein, Marco Holmer, Magdalena<br />
Ziomek-Beims, Willy Schwarz<br />
u.v.a.<br />
Erhältlich während des Festivals zum <strong>Vor</strong>zugspreis<br />
von 5 Euro.<br />
Aktuelle Informationen:<br />
www.kultur-vor-ort.com<br />
www.mundwerk-nordwest.de<br />
Gefördert vom Senator für <strong>Kultur</strong><br />
Dieses Projekt wird<br />
von der Europäischen<br />
Union kofinanziert<br />
37
Freitag, 7. November, 19-24 Uhr, Auftakt zu den Feuerspuren 08<br />
Die lange Nacht des Erzählens<br />
Martin Ellrodt (Nürnberg) ist in der<br />
Welt zu Hause. Der polyglotte Geschichtensammler<br />
und Erzähler entdeckt<br />
überall kleine und große Themen<br />
und wechselt in atemberaubenden<br />
Tempo zwischen Sprachen und Situationen,<br />
zwischen uralten Erzählstoffen<br />
und postmodernen Storys.<br />
Mehmet Dalkiliç (Engerwitzdorf) ist<br />
gebürtiger Türke und lebt in Österreich.<br />
Womöglich ist es diese Verbindung, die<br />
die traditionellen Nasreddin-Hoça-Geschichten<br />
der Türkei aus seinem Munde<br />
zu einem wunderbar erfrischenden<br />
Erlebnis werden lassen: Wenn Mehmet<br />
zwischen breitem oberösterreichisch<br />
und türkisch hin und her wechselt, ist<br />
er schon fast selbst ein witziger und<br />
überaus moderner Nasreddin.<br />
Tormenta Jorbateh (München) wurde in<br />
Gambia von der alten Griot-Familie Jorbateh<br />
adoptiert. Griots sind die Musiker<br />
und Geschichtenerzähler Westafrikas<br />
und Tormenta reist seitdem als bisher<br />
einziger weißer Griot um die Welt. Er<br />
erzählt in Deutsch und manchmal auch<br />
in Madinka und begleitet sich dabei<br />
selbst auf der Kora, einer 21-saitigen<br />
Harfenlaute.<br />
Julia Klein (Bremen) ist dem Bremer<br />
Publikum als Geschichtenhändlerin<br />
Amalia bestens bekannt. Sie betritt den<br />
Raum mit einem charmanten Lächeln<br />
und einem Anglersitz, in dem sich alles<br />
befindet, was sie zum Erzählen braucht.<br />
Bald ist der Raum erfüllt von abgründigen<br />
oder witzigen, alten und noch nie<br />
erzählten Geschichten.<br />
Wenn der italo-amerikanische Sänger<br />
und Komponist Willy Schwarz die Bühne<br />
betritt, dann bringt er eine Menge<br />
Instrumente aus aller Welt mit. Willy<br />
Schwarz erzählt in seinen Balladen und<br />
Songs von den vielen Begegnungen, die<br />
er auf seinen musikalischen Expeditionen<br />
um die Welt erleben konnte. Und<br />
so blitzen in seiner Musik die Spuren<br />
unterschiedlichster Menschen an unterschiedlichen<br />
<strong>Ort</strong>en auf – alles andere<br />
als gefällige Mainstream-Weltmusik.<br />
Ausklang an der Feuerspuren-Lounge<br />
LICHTHAUS, Hermann Prüser Straße<br />
Eintritt: 8 Euro, ermäßigt 4 Euro.<br />
Familienkarte: Zwei Erwachsene + Kinder: 10<br />
Euro<br />
Kartenvorverkauf: <strong>Kultur</strong> <strong>Vor</strong> <strong>Ort</strong><br />
T. 0421-6197727<br />
38
Feuerspuren auf der Straße<br />
Feuerwerk am Winterhimmel<br />
Samstag, 8. November, 15-19 Uhr<br />
Feuervögel und Lichtermeer<br />
Auf der gesamten Lindenhofstraße<br />
dreht sich am 8. November alles ums<br />
Feuer. Während in den Erzählstationen<br />
das Publikum bei mollig-warmen Temperaturen<br />
gebannt den Geschichten<br />
lauscht, verwandelt sich die Straße in<br />
einen feurigen Parcour: Flammende<br />
Walking Acts, nervöse Feuerwehrleute,<br />
jahreszeitbedingte Engel und Zwerge,<br />
Stegreifgeschichten aus dem Hinterhalt<br />
und Tee und Geschichten am Lagerfeuer<br />
im Juchtershof.<br />
An der Stadtbibliothek West verwandeln<br />
Kinder gemeinsam mit dem<br />
Mobilen Atelier MOKU die alte Kastanie<br />
in einen riesigen Feuervogel und grillen<br />
zwischendurch ein Stockbrot am wärmenden<br />
Feuer.<br />
Feuerkunst am dunklen<br />
Winterhimmel<br />
Höhepunkt auf der Straße sind die<br />
Feuershows, die in den Pausen zwischen<br />
den Erzählacts stattfinden:<br />
Feuerbälle an Ketten wirbeln durch die<br />
Luft und malen flammende Bilder in<br />
den dunklen Nachthimmel. Brennende<br />
Seile durchschneiden wie Schwerter die<br />
eiskalte Luft.<br />
Aber die zwölfköpfige Crew von<br />
FLAMBAL OLEK kann noch mehr: Überraschend<br />
entsteht aus den Feuerperformances<br />
eine Geschichte, poetischsinnliche<br />
Bilder wechseln mit gewitzter<br />
Interaktion und das Publikum ist<br />
plötzlich mittendrin in einer komischen,<br />
überraschungsvollen Geschichte voller<br />
Rhythmus und Slapstick.<br />
Unterstützt wird Flambal Olek durch<br />
Künstler der Gruppen ZENIT und<br />
LENN FEI, die schon während der vergangenen<br />
Feuerspuren ihr Publikum<br />
mit poetischen Shows verzauberten.<br />
Höhenfeuerwerk zum Finale<br />
Mit Unterstützung der WATERFRONT<br />
enden die Feuerspuren 08 mit einem<br />
grandiosen Höhenfeuerwerk über der<br />
Weser. Vom Bibliotheksplatz werden<br />
die Feuerspuren zur Waterfront ziehen<br />
und dort vom Gröpelinger Feuerwerker<br />
Norbert Holzapfel empfangen, der auf<br />
der alten Vogelinsel ein atemberaubendes<br />
Feuerwerk zünden wird.<br />
39
Feuerspuren 08<br />
Das internationale Erzählfestival<br />
7./8. November 2008 / Bremen-Gröpelingen<br />
Feuerspuren 08 –<br />
Die lange Nacht der Erzählungen<br />
7. November 2008<br />
19 Uhr bis Mitternacht<br />
LICHTHAUS, Hermann Prüser Straße 4<br />
Feuerspuren 08 –<br />
Das Erzählfestival<br />
8. November 2008, 15 bis 19 Uhr<br />
Lindenhofstraße<br />
Aktuelle Informationen:<br />
www.kultur-vor-ort.com<br />
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