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Moje Weer<br />

Pomyślnych wiatrów<br />

+++ Das Gröpelinger Magazin +++ Nr. 33 +++ Oktober 2008 +++<br />

+++ Themen: Polnisches Leben in Bremen +++ Gröpelinger Feuerspuren 2008 +++<br />

Videostill aus „Strafe und Verbrechen“ von Katarzyna Kozyra<br />

1


gröpelinger querschau<br />

Als Gott die Welt erschuf<br />

Andrzej Mleczko [www.mleczko.interia.pl]<br />

... spielte er den Polen einen Streich und platzierte das Land<br />

zwischen den Russen und den Deutschen. So jedenfalls sieht<br />

der bekannte polnische Cartoonist Andrzej Mleczko die besondere<br />

kulturelle und politische Situation Polens.<br />

Seit jeher ist die polnische Geschichte eng mit der deutschen<br />

verwoben und polnische Einwanderer prägen seit<br />

über 150 Jahren das Gesicht deutscher Städte.<br />

Für das Gröpelinger Magazin MOJE WEER ist es deshalb ein<br />

lang gehegter Plan, den Spuren polnischen Lebens im Stadtteil<br />

nachzugehen.<br />

Die in diesem Jahr erstmals stattfindenden polnischen Wochen<br />

sind der Anlass, sich endlich einmal dem polnischen<br />

Leben in Bremen zu widmen. Unter dem Motto „Polen sehen“<br />

haben viele Akteure ein umfangreiches Programm zusammen<br />

getragen, um die „unsichtbare“ polnische Community<br />

sichtbar zu machen. Gemeinsam mit der deutsch-polnischen<br />

<strong>Kultur</strong>initiative agitPolska werfen wir in dieser Moje<br />

Weer einen Blick auf POLNISCHES LEBEN IN BREMEN, auf aktuelle<br />

Kunst aus Polen und auf eine schwierige deutsch-polnische<br />

Geschichte.<br />

Das umfangreiche Programm der POLNISCHEN TAGE finden<br />

Sie ebenfalls in diesem Heft.<br />

Moje Weer wird herausgegeben von <strong>Kultur</strong> <strong>Vor</strong> <strong>Ort</strong> e.V., einer<br />

<strong>Kultur</strong>- und Bildungsinitiative aus Bremen-Gröpelingen.<br />

Diese Ausgabe wird freundlich unterstützt von<br />

der Landeszentrale für politische Bildung und<br />

dem Generalkonsulat der Republik Polen Hamburg.<br />

Die Cartoons Mleczkos in diesem Heft drucken wir mit<br />

freundlicher Genehmigung des Autors. Mehr von ihm unter<br />

www.mleczko.interia.pl oder in der Warschauer Galerie auf<br />

der Marszalkowska 140 oder in Krakau, nl. Sw Jana 14.<br />

„Moje Weer“ (auf polnisch pomyślnych wiatrόw) ist<br />

ein alter friesischer Seemannsgruß und bedeutet<br />

so viel wie „Gutes Wetter! Gute Fahrt“<br />

„Moje Weer“ wünschen wir Gröpelingen insbesondere<br />

für die diesjährigen FEUERSPUREN, die <strong>Kultur</strong><br />

<strong>Vor</strong> <strong>Ort</strong> erneut mit dem Bürgerhaus Oslebshausen<br />

in den letzten Herbsttagen durchführen wird. Wie<br />

schon 2007 werden wieder Tausende aus Bremen<br />

und dem Umland in den Bremer Westen kommen,<br />

um dieses besondere Erzählfestival zu<br />

erleben.<br />

Am 7. November startet zum Auftakt<br />

die LANGE NACHT DER ERZÄHLUNGEN und am<br />

Samstag, den 8. November sind an 14 besonderen<br />

<strong>Ort</strong>en entlang der Lindenhofstraße über 60 Erzählungen<br />

aus aller Welt und in vielen Sprachen zu hören<br />

- und auf der Straße gibt es tolle Feuershows..<br />

<strong>Kultur</strong> <strong>Vor</strong> <strong>Ort</strong> lädt auch in diesem Herbst zu zahlreichen<br />

Ausstellungen ins ATELIERHAUS ROTER<br />

HAHN. Insbesondere die Projekte des Kinder- und<br />

Jugendateliers sind ein großer Erfolg und zeigen<br />

die wertvollen künstlerischen Potentiale vieler jungen<br />

Leute im Stadtteil. Mit Kunst kann man zu<br />

einem ganzen Menschen werden und dies können<br />

Sie bei den Ausstellungen der Arbeiten von Kindern<br />

und Jugendlichen immer wieder erleben.<br />

Anlässe für einen Besuch in Gröpelingen bietet<br />

der Herbst mehr als genug. Seien Sie herzlich willkommen.<br />

Bestellen Sie den Newsletter unter:<br />

www.kultur-vor-ort.com<br />

Impressum<br />

Moje Weer, herausgegeben von <strong>Kultur</strong> <strong>Vor</strong> <strong>Ort</strong> e.V.<br />

Liegnitzstraße 63, 28237 Bremen, Tel. 0421-6197727<br />

e-mail: info@kultur-vor-ort.com, www.kultur-vor-ort.com<br />

Konto Sparkasse Bremen BLZ 290 501 01, Kto.-Nr. 108 79 56<br />

Anzeigen Claudia Ruthard, 0421-6169438<br />

Redaktion Eike Hemmer (V.i.S.d.P.),<br />

Claudia Ruthard, Claus Pöllen, Heinfried Becker, Thomas<br />

Berger, Lutz Liffers<br />

Mitarbeit für diese Ausgabe Iwona Bigos (agitPolska e.V.)<br />

2<br />

Öko in Gröpelingen?<br />

Kein Problem!<br />

Blockhaus Walle liefert auch nach Gröpelingen – alles was das Öko-Herz begehrt<br />

Naturkost frei Haus ab 30 Euro<br />

Tel. 39 45 20


kultur vor ort<br />

Ein Projekt von <strong>Kultur</strong> <strong>Vor</strong> <strong>Ort</strong> e.V.<br />

Gröpelinger Heerstraße 226<br />

Talente brauchen Förderer<br />

Angebote für Kids<br />

Zwischen Himmel und Erde<br />

Kunstwerkstatt für Kinder ab 5 Jahre<br />

Kinder interessieren sich für die wichtigen Fragen<br />

des Lebens: Warum müssen wir sterben? Wovon<br />

träumen Spinnen? Wie alt sind die Steine?<br />

In der Werkstatt entstehen Riechbücher, Kellerkisten,<br />

Drahtinsekten, Tonbauten, Steinmännchen<br />

und Lichtschalen.<br />

In Kooperation mit der Volkshochschule Bremen West.<br />

Donnerstags ab 4.9. jeweils 16:30-18:00 (für Kinder ab 7 Jahre)<br />

Donnerstags ab 30.10. jeweils 14.30h- 16.00h (für Kinder ab 5<br />

Jahre)<br />

Kinder- und Jugendatelier<br />

Atelierhaus Roter Hahn, Gröpelinger Heerstr. 226<br />

Mobiles Atelier MOKU<br />

Unterwegs in Gröpelingen<br />

An drei Nachmittagen ist das Mobile Atelier von<br />

<strong>Kultur</strong> <strong>Vor</strong> <strong>Ort</strong> und FH Ottersberg in Gröpelingen<br />

unterwegs.<br />

Mit Farben und Staffeleien, Ton und Ytong und<br />

vielen weiteren interessanten Materialien und<br />

Werkzeugen können die Kinder ihr Können erproben.<br />

Das Angebot ist kostenlos.<br />

In Kooperation mit dem Gesundheitstreffpunkt<br />

West und dem Amt für soziale Dienste.<br />

Kinder- und Jugendatelier Roter Hahn sucht KinderKunstPaten<br />

In Bremen-Gröpelingen gibt es nur wenige Möglichkeiten für junge<br />

Leute in direkter Nachbarschaft zu Schule und Familie ihre gestalterischen,<br />

kreativen und musischen Stärken zu entwickeln. <strong>Kultur</strong> <strong>Vor</strong><br />

<strong>Ort</strong> e.V. ermöglicht Kindern und Jugendlichen in einem modernen<br />

Atelier ihre Talente zu entdecken und zu entwickeln.<br />

Im Atelierhaus Roter Hahn können sie mit Unterstützung von<br />

Künstlern und Kunstpädagogen an frei gewählten Themen mit unterschiedlichen<br />

Materialien arbeiten.<br />

Die Kinder und Jugendlichen lernen einerseits den Umgang mit<br />

Materialien wie Farbe, Ton, Ytong und andererseits mit Werkzeugen<br />

wie Bohrmaschinen und Pinsel, Sägen und Schweißgeräten.<br />

Kunst ermöglicht Veränderung<br />

Für diese Arbeit suchen wir KinderKunstPaten. Mit Ihrer Patenschaft<br />

geben Sie jungen Leuten am Stadtrand neue Chancen und helfen,<br />

das Gesicht der <strong>Vor</strong>städte zu verändern.<br />

Das Kinder- und Jugendatelier im Stiftungsdorf Gröpelingen ist dabei<br />

Teil der vielfältigen Bemühungen von <strong>Kultur</strong> <strong>Vor</strong> <strong>Ort</strong>, junge Leute<br />

in Kontakt mit Kunst zu bringen.<br />

Alle Projekte werden von ausgebildeten KunstpädagogInnen, KünstlerInnen<br />

und KunsttherapeutInnen begleitet.<br />

KinderKunstPaten unterstützen die Arbeit im offenen Kinder- und<br />

Jugendatelier im Atelierhaus Roter Hahn. Mit Ihrer regelmäßigen<br />

Spende ermöglichen Sie offene Angebote und Intensivkurse für besonders<br />

talentierte Kinder und Jugendliche. Sie helfen beim Aufbau<br />

einer künstlerischen Produktionsstätte für Kinder in einem Stadtteil<br />

mit schwacher kultureller Infrastruktur.<br />

Dienstags: Schulhof Fischerhuder Straße ab 15h<br />

Donnerstags: Bibliotheksplatz, Lindenhofstraße ab 15h<br />

Samstags: Marienwerderstraße ab 15h<br />

www.kultur-vor-ort.com<br />

Informationen: <strong>Kultur</strong> <strong>Vor</strong> <strong>Ort</strong><br />

Liegnitzstr. 63, 28237 Bremen<br />

T 0421-6197727, info@kultur-vor-ort.com<br />

3


<strong>Kultur</strong> <strong>Vor</strong> <strong>Ort</strong><br />

Tandem<br />

Junge Talente der Johann-Heinrich-Pestalozzi-Schule und<br />

Gesamtschule West (Gröpelingen) haben gemeinsam mit<br />

den bildenden Künstlern des Jugendateliers Gröpelingen<br />

über mehrere Monate an Bildhauerobjekten für den öffentlichen<br />

Raum gearbeitet. Die Jugendlichen haben sich mit<br />

ihren Wünschen und der Frage, was sie der Öffentlichkeit<br />

mitteilen möchten, auseinandergesetzt. Nun werden die<br />

Skulpturen an verschiedenen <strong>Ort</strong>en aufgestellt um so eine<br />

Spur durch Gröpelingen zu legen.<br />

Ausstellungseröffnung: Mi., 8.10., 17 h<br />

Rundgang durch den öffentlichen Raum<br />

Treffpunkt unter www.kultur-vor-ort.com<br />

Gefördert vom Fonds Soziokultur<br />

Ina Raschke – Zwei Bäume<br />

Bäume gehören zum festen symbolischen Vokabular der<br />

Menschheit. Wurzel, Stamm und Krone spielen eine große<br />

Rolle in den Mythen vieler <strong>Kultur</strong>en. Ina Raschke arbeitet mit<br />

diesem inhaltlichen Potenzial und verbindet in ihrer Ausstellung<br />

in Gröpelingen zwei Baumstämme so miteinander,<br />

dass die Wurzeln jeweils zur Krone der gegenüberliegenden<br />

Wurzeln werden. Daraus entsteht ein gleichzeitig absurdes<br />

und poetisches Bild von gegenseitiger Verwurzelung, das<br />

durchaus symbolisch interpretiert werden sollte.<br />

Ausstellungseröffnung Do. 9.10., 19 h<br />

9.10. bis 7.11., Öffnungszeiten Mo-Fr. 8-18 h<br />

Atelierhaus Roter Hahn, Gröpelinger Heerstr. 226<br />

In Kooperation mit dem Gerhard-Marcks-Haus<br />

Die verflixte Dreizehn<br />

und die Unendlichkeit<br />

Mathematisch-philosophische<br />

Kunstwerkstatt<br />

Preisträger im Bundeswettbewerb „Mathe<br />

erleben!“ zum Jahr der Mathematik<br />

Über 40 Kinder aus den KITAS Pastorenweg,<br />

Kinder leben e.V., St. Nikolaus und<br />

dem Spielkreis Danziger Straße starten<br />

am 8. September in ein neues Kunstprojekt<br />

im Kinder- und Jugendatelier<br />

von <strong>Kultur</strong> <strong>Vor</strong> <strong>Ort</strong>.<br />

Aus Anlass des Jahres der Mathematik<br />

bauen und gestalten die Kinder ein<br />

eigenes Mathe-Buch, in dem es um<br />

solche Fragen geht wie:<br />

- Warum gibt es Zahlen und wer hat<br />

sie erfunden?<br />

- Gibt es unterschiedliche Zahlen in<br />

unterschiedlichen Ländern?<br />

- Gibt es auch Pechzahlen?<br />

- Welche Zahlen hat mein Körper?<br />

- Was ist unendlich?<br />

- Und haben Tiere auch etwas mit<br />

Zahlen zu tun?<br />

Mit Zeichnungen, Collagen, unterschiedlichen<br />

Hochdruckverfahren und<br />

einer Fotoralley philosophieren und<br />

rechnen die Kinder rund um mathematische<br />

Grundfragen.<br />

Zum Ende des Projektes lernen die<br />

Kinder, wie man ein Buch bindet und<br />

produzieren so ihr erstes, eigenes<br />

Mathe-Buch.<br />

Ausstellungseröffnung: Sa., 11.10., 11 h<br />

Stadtbibliothek Bremen-West, Lindenhofstr. 53<br />

11.10.-25.10.2008<br />

Mo 13-18 h, Di+Do 11-18 h, Fr 11-17 h, Sa 10-13 h<br />

Mehr zum Jahr der Mathematik unter:<br />

www.jahr-der-mathematik.de<br />

Die verflixte 13: Kinder aus sechs verschiedenen<br />

Kitas sind dabei.<br />

4


+++ Thema in der Moje Weer +++<br />

Polnisches Leben in Bremen<br />

+++ Alltag, Kunst, Geschichte +++<br />

Polen bilden eine der größten Einwanderergruppen in Bremen.<br />

Doch über ihre <strong>Kultur</strong>, ihre Sprache, ihr Leben, ihre Ansichten und<br />

ihren Alltag wissen die wenigsten Bremer etwas.<br />

Das Meinen über Polen erschöpft sich meist in Schlagzeilen über<br />

angeblich marode politische Zustände oder polnische Konkurrenz<br />

auf dem Spargelarbeitsmarkt.<br />

Moje Weer spürt in dieser Ausgabe dem polnischen Leben in Bremen<br />

nach:. Was denken polnische Einwanderer über das Leben in<br />

Deutschland? Wie ist die Geschichte der polnischen Einwanderung<br />

mit der Geschichte der deutschen Industrialisierung verwoben?<br />

Vielleicht erfährt man am meisten über Polen, wenn man sich mit<br />

zeitgenössischer polnischer Kunst beschäftigt. Wir bieten Streiflichter.<br />

Wer mehr wissen will und die Begegnung sucht, sei auf das umfangreiche<br />

Programm des Festivals POLEN SEHEN verwiesen oder<br />

aber auch auf die Feuerspuren, wo agitPolska mit einer eigenen Erzählstation<br />

tief in die polnische Seele blicken lässt.<br />

Festivalprogramm ab Seite 31<br />

5


thema<br />

Polnische Einwanderung<br />

nach Bremen<br />

Ein fast vergessener Beitrag zur Stadtentwicklung<br />

Die Geschichte der polnischen Einwanderung<br />

nach Bremen ist eng verknüpft<br />

mit der beginnenden Industrialisierung<br />

Bremens seit den 70er Jahren<br />

des 19. Jahrhunderts auf der einen Seite<br />

und auch mit der schwierigen deutschpolnischen<br />

Beziehungsgeschichte der<br />

letzten 150 Jahre auf der anderen Seite.<br />

Letzteres trägt wesentlich mit dazu<br />

bei, dass der Anteil der Polen an der Bremischen<br />

Industriegeschichte heute nur<br />

wenig bekannt ist und die Polen als traditionelle<br />

und älteste Einwanderungsgruppe<br />

in der jüngeren Geschichte Bremens<br />

kaum wahrgenommen werden.<br />

Ihre Integration gilt für die Zeit vor 1945<br />

als gelungen, so dass ihr Verschwinden<br />

nach 1945 nicht weiter verwundert.<br />

Als klassische Gastarbeiter tauchen<br />

seit den 60er Jahren nur Türken,<br />

Italiener, Griechen und andere Südeuropäer<br />

auf, obgleich es auch nach Bremen<br />

seit der zweiten Hälfte der fünfziger<br />

Jahre einen steten, wenn auch nicht<br />

sehr starken Zufluss von Menschen aus<br />

Polen nach Bremen gab. Es handelte<br />

sich dabei um deutsche Spätaussiedler,<br />

doch in den siebziger und achtziger Jahren<br />

nahm die polnische Prägung dieser<br />

6<br />

Menschen stark zu, und vor allem durch<br />

neue Migranten aus Polen in den neunziger<br />

Jahren stellen Polen im Jahre 2007<br />

mit rund 6.800 Menschen die drittgrößte<br />

Ausländergruppe nach Türken<br />

und Menschen aus dem ehemaligen Jugoslawien<br />

in Bremen, 1 wobei die Dunkelziffer<br />

und die Anzahl der Menschen<br />

mit einem deutsch-polnischen Hintergrund<br />

bzw. einem polnischen <strong>Kultur</strong>hintergrund<br />

aber deutschen Papieren deutlich<br />

höher sein dürfte - ähnlich wie auch<br />

bei den Menschen aus der früheren Sowjetunion.<br />

Ziel dieses kurzen Beitrages ist es, einen<br />

kurzen Überblick über die Geschichte<br />

der polnischen Migration nach Bremen,<br />

ihre Besonderheiten und ihren Beitrag<br />

zur Stadtentwicklung zu geben. Dabei<br />

erfolgt eine Konzentration vor allem auf<br />

die Zeit bis 1918 (I), bevor in weiteren Abschnitten<br />

auf die Zwischenkriegszeit (II),<br />

die Nachkriegszeit (III) und die Periode<br />

ab 1989 (IV) Bezug genommen wird. Das<br />

III. Reich und die Ausbeutung von Polen<br />

als Zwangsarbeiter in Bremen, z.B. beim<br />

Bau des U-Boot-Bunkers Valentin verdient<br />

eine eigene Betrachtung und wird<br />

hier daher ausgeklammert.<br />

Aufgrund der ungenügenden Literaturlage<br />

und des Umstandes, dass intensivere<br />

Archivstudien nicht möglich waren<br />

und zudem kaum polnische Quellen,<br />

d.h. Materialien zur Binnenperspektive<br />

der polnischen Migranten vorliegen,<br />

kann der vorliegende Beitrag nur ein<br />

knapper, essayistischer Auftakt zu ei-<br />

1 Siehe www.statistik.bremen.de/sixcms/media.<br />

php/13biz2008.pdf<br />

Für die polnischen Einwanderer wurde 1898<br />

die katholische Kirche St. Marien in Walle<br />

gebaut. [Foto: Geschichtskontor / <strong>Kultur</strong>haus<br />

Walle Brodelpott]<br />

ner gründlicheren Erforschung der polnischen<br />

Migrationsgeschichte in der historischen<br />

Längsachse in Bremen sein.<br />

I. Von WanderarbeiterInnen zu<br />

MitbürgerInnen: Die Anfänge der<br />

polnischen Migration<br />

Mit prägend für die Industrialisierung<br />

Bremens waren neben Schifffahrt und<br />

Häfen sowie der Metallindustrie auch<br />

die Textilindustrie. Die Gründung der<br />

Bremer Wollwäscherei in Lesum 1872,<br />

der Bremer Wollkämmerei und der<br />

Norddeutschen Wollkämmerei und<br />

Kammgarnspinnerei, der sog. Nordwolle<br />

in Delmenhorst 1883/84, der Bremer<br />

Jutespinnerei und –weberei in Bremen-<br />

Hemelingen 1873, der Jutespinnerei und<br />

–weberei Bremen im Westen der Stadt<br />

und der Hanseatischen Jutespinnerei<br />

und –weberei 1870 in Delmenhorst sowie<br />

die Gründung weiterer Industriebetriebe<br />

bedingten die Anwerbung und<br />

den Zuzug von Tausenden von Arbeitern<br />

aus Schlesien, Polen und Böhmen, für die<br />

nach englischem <strong>Vor</strong>bild Arbeiterhäuser<br />

errichtet wurden. 2 Im Bremer Norden<br />

war es vor allem die Bremer Wollkämmerei<br />

(BWK), die sich schnell zum<br />

größten Betrieb ihrer Art in Deutschland<br />

entwickeln sollte. Mit zu diesem<br />

Erfolg trugen auch polnische Arbeiter<br />

bei, von denen im Februar 1886 die ersten<br />

in der BWK eingestellt wurden. Von<br />

den etwas mehr als 2.300 Arbeitern im<br />

Jahr 1899 waren nach einem Bericht der<br />

Regierung fast die Hälfte Polen. In Blumenthal,<br />

Rönnebeck und Lüssum, kleine<br />

Dörfer, die vor Gründung der BWK vom<br />

Niedergang von Handwerk und Schifffahrt<br />

betroffen waren, war mehr als ein<br />

2 Vgl. die knappe Darstellung bei Herbert<br />

Schwarzwälder, Geschichte der Freien Hansestadt<br />

Bremen. Bd. II. Von der Franzosenzeit bis<br />

zum Ersten Weltkrieg (1810-1918), erw. u. verb.<br />

Aufl. Bremen 1995, S. 342ff.


Polnische Einwanderinnen<br />

in Berlin auf<br />

dem Weg zum Bahnhof,<br />

von wo aus sie in die<br />

Landwirtschafts- und<br />

Industriegebiete des<br />

Deutschen Reiches<br />

verschickt wurden.<br />

[Foto: Doku Blumenthal]<br />

Drittel der Bevölkerung aus Polen, etwas<br />

mehr als 2.000 Menschen. Aber<br />

auch diese Zahlen geben den ganzen<br />

Umfang der Migration nicht wieder, da<br />

viele Polen zunächst als Saisonarbeiter<br />

angeworben wurden, sie sich aber bald<br />

durch Familiennachzug in Bremen sesshaft<br />

machten. 3 Auf dem Höhepunkt der<br />

Ansiedlung der polnischen Bevölkerung<br />

wurden 1912 im Kreis Blumenthal 7.000<br />

Polen gezählt, im <strong>Ort</strong> Blumenthal rund<br />

33% der Bevölkerung. 4<br />

Ein weiterer Betrieb, der aufgrund der<br />

niedrigeren Löhne auf die Anwerbung<br />

polnischer Arbeiter setzte, war die Bremer<br />

Jutespinnerei und –weberei in Bremen-Hemelingen.<br />

Wenn man sogenannte<br />

Inlandspolen aus dem Posener<br />

Gebiet und andere Polen zusammenzählt,<br />

waren im Jahr 1900 von den rund<br />

1.000 Arbeitern mehr als 75% ausländische<br />

Beschäftigte, d.h. überwiegend<br />

polnische Frauen. Auch die Delmenhorster<br />

Hanseatische Jutespinnerei und<br />

–weberei, 1871 gegründet, und die bereits<br />

erwähnte Nordwolle deckten weit<br />

mehr als die Hälfte ihres Arbeitskräftebedarfs<br />

mit ausländischen Arbeitskräften,<br />

überwiegend Polen, aber im Fall<br />

der Nordwolle auch Menschen aus Böh-<br />

3 Vgl. Friedrich Jerchow, 1883-1983. Die Geschichte<br />

der Bremer Woll-Kämmerei zu Blumenthal.<br />

Ein Jahrhundert im Dienst der Textilwirtschaft,<br />

Bremen 1983, S. 31ff.<br />

4 Vgl. Diethelm Knauf, Blumenthal 1860-1945,<br />

Bremen 1998, S. 17.<br />

men und Kroatien. 5 Ein wichtiger Zweig<br />

der Bremischen Industrialisierung wurde<br />

demnach mit Hilfe polnischer Frauen<br />

und Männer vorangetrieben, die nicht<br />

nur die ethnische, sondern auch die<br />

konfessionelle Zusammensetzung vormals<br />

kleiner Dörfer änderten. Dennoch<br />

scheint der Zusammenhalt auf der Arbeit<br />

trotz dieser Unterschiede funktioniert<br />

zu haben. Darauf deuten zumindest<br />

gemeinsame Streiks in der Bremer<br />

Jutespinnerei und auch in der Delmenhorster<br />

Nordwolle hin, wo polnische,<br />

böhmische und deutsche Arbeiter in der<br />

Zeit vor dem Ersten Weltkrieg gemeinsam<br />

für bessere Arbeitsbedingungen<br />

mehrfach streikten. Auch der gewerkschaftliche<br />

Organisationsgrad war trotz<br />

der genannten Heterogenität hoch und<br />

erreichte z.B. 1913 in Hemelingen über<br />

50%. 6<br />

Sowohl im Bremer Norden als auch im<br />

Bremer Westen entstanden mit der St.<br />

Marien-Kirche in Blumenthal und der St.<br />

Marien-Kirche in Walle 1892 bzw. 1898<br />

neue Gotteshäuser für die stark gestiegene<br />

Anzahl an Katholiken. Polnische<br />

Pfarrer, die mehrfach für einige Wochen<br />

in dieser Zeit nach Blumenthal kamen,<br />

wie auch das Engagement einheimischer<br />

Seelsorger trugen zur Verwur-<br />

5 Vgl. Marlene Ellerkamp, Industriearbeit,<br />

Krankheit und Geschlecht. Zu den sozialen Kosten<br />

der Industrialisierung: Bremer Textilarbeiterinnen<br />

1870-1914, Göttingen 1991, S. 30ff.<br />

6 Vgl. ebd., S. 227ff.<br />

zelung der Polen bei, zumal es auch damals<br />

polnische Gottesdienste gab. 7<br />

Die Industrialisierung zog natürlich<br />

nicht nur durch die Textilindustrie, sondern<br />

besonders auch im Baugewerbe<br />

und in der Metallindustrie ausländische<br />

Arbeiter und hier vor allem Polen nach<br />

Bremen und ins Umland.<br />

Insgesamt waren nach der Statistik des<br />

Deutschen Reiches im Jahr 1907 in Bremen<br />

rund 1.300 Personen aus dem Posener<br />

Gebiet, 1.000 aus Pommern, rund<br />

1.700 aus Schlesien, 2.500 aus West- und<br />

Ostpreußen beschäftigt. Hinzu kommen<br />

noch rund 6.500 Menschen aus<br />

dem Ausland. Dabei gab es auch spezifische<br />

Verteilungen auf die einzelnen<br />

Branchen. So waren in der Textilindustrie<br />

zum damaligen Zeitraum 27% aus<br />

dem Posener Gebiet (10%) bzw. aus dem<br />

Ausland, wobei letztere auch in starkem<br />

Maße Menschen aus Böhmen betraf. 8<br />

7 Vgl. für die Entwicklung der beiden Gemeinden<br />

St.-Marien 100 Jahre St. Marien. Erlebte Geschichte<br />

einer-Gemeinde Bremen (Hrsg.), Kirchengemeinde<br />

im Bremer Westen 1898-1998,<br />

Bremen 1998; sowie Kath. Kirchengemeinde St.<br />

Marien in Blumenthal (Hrsg.), 1854-2004. Der<br />

Weg einer Diasporagemeinde. Chronik St. Marien<br />

Blumenthal, Bremen 2004.<br />

8 Vgl. für die Zahlen Karl Marten Barfuss, Gastarbeiter<br />

in Nordwestdeutschland 1884-1918,<br />

Bremen 1985, S. 247.<br />

7


Arbeiterinnen auf der Jute in Walle. [Foto: Geschichtskontor / <strong>Kultur</strong>haus Walle Brodelpott]<br />

Hinzu kommen natürlich noch Familienangehörige.<br />

Siedlungsschwerpunkte<br />

der polnischen Bevölkerung waren die<br />

Gebiete mit entsprechenden Industrieansiedlungen,<br />

also vor allem Bremen-<br />

Nord, Walle und Hemelingen.<br />

II. Zwischen Rückkehroption,<br />

Integration und Assimilation in den<br />

zwanziger Jahren<br />

Die Wiederentstehung des polnischen<br />

Staates nach 1918 brachte für die Polen<br />

in Bremen wie auch in ganz Deutschland<br />

einschneidende Veränderungen,<br />

da sich nun eine Rückkehroption in einen<br />

eigenen Staat anbot, eine Möglichkeit<br />

von der rund ein Drittel der Polen<br />

in Deutschland Gebrauch machten.<br />

Viele wanderten auch in die Kohlegebiete<br />

Frankreichs oder in die USA weiter.<br />

Aus Blumenthal kehrte gleichfalls rund<br />

ein Drittel der Polen in ihre alte Heimat<br />

zurück. 9 Für die Verbliebenen Polen bedeutete<br />

dies einen stärkeren Assimilierungsdruck,<br />

wenngleich nach offiziellen<br />

Zahlen trotz des deutlichen Rückgangs<br />

1933 noch ca. 440.000 polnisch<br />

sprechende Menschen in Deutschland<br />

wohnten. 10 Nach statistischen Angaben<br />

waren in Bremen 1925 noch rund 1.100<br />

Menschen mit polnischer Staatsangehörigkeit<br />

gemeldet, nach den Personen<br />

9 Vgl. Knauf, Blumenthal, a.a.O., S. 19.<br />

10 Vgl. Zdzisław Krasnodębski, Die polnische<br />

Minderheit in Deutschland als Forschungsobjekt,<br />

in: Ders. / Nele Krampen (Hrsg.), Polen in<br />

Bremen. Eine unsichtbare Minderheit?, Bremen<br />

2001, S. 13-25, hier S. 20.<br />

8<br />

mit tschechoslowakischer Staatsangehörigkeit<br />

(1.821) die zweitgrößte Gruppe<br />

von Ausländern. Im Jahr 1933 lebten<br />

dann noch 882 Menschen mit polnischer<br />

Staatsangehörigkeit in Bremen, wobei<br />

der Ausländeranteil an der Wohnbevölkerung<br />

von 3% im Jahr 1910 auf 1,1% im<br />

Jahr 1933 zurückgegangen war. 11 Nicht<br />

erfasst werden von diesen Zahlen aber<br />

Menschen mit einem polnischen kulturellen<br />

Hintergrund, so dass die eigentliche<br />

Polonia etwas größer gewesen<br />

sein dürfte.<br />

Unter diesen veränderten Bedingungen<br />

wurde der Zusammenhalt der Polen<br />

in der Weimarer Zeit vor allem durch<br />

die Gemeinschaft am Arbeitsplatz und<br />

durch die katholische Konfession begründet.<br />

Hier konstituierte sich Gemeinschaft,<br />

fand ein Engagement in katholischen<br />

Arbeitervereinen, christlichen<br />

Gewerkschaften oder katholischen Jugendgruppen<br />

statt. 12 Der Druck der Nationalsozialisten<br />

auf die Kirchen und ihre<br />

Organisationen und schließlich auch<br />

der Zweite Weltkrieg selber zerschlugen<br />

dann diese Gemeinschaft. Die für die katholischen<br />

Polen wichtigen Bekenntnisschulen<br />

wurden Ende der dreißiger Jahre<br />

in Bremen aufgelöst, wenngleich die<br />

katholische Kirche weiterhin Anlaufstation<br />

für viele Polen war und in der Waller<br />

St. Marienkirche auch noch im Krieg<br />

11 Vgl. Barfuß, Gastarbeiter, a.a.O., S. 255.<br />

12 Vgl. für das Waller Juteviertel Gerda Krüger,<br />

Leben im Juteviertel in Walle 1910-1933, in: Arbeiterbewegung<br />

und Sozialgeschichte, Bd. 5,<br />

2000, S. 18-30.<br />

Beichten auf Polnisch abgenommen<br />

wurden. Durch polnische Zwangsarbeiter<br />

im Krieg wurde die Nachfrage nach<br />

katholischer Seelsorge zudem größer,<br />

wenngleich der Gottesdienstbesuch für<br />

sie ab 1941 offiziell verboten war. 13 Zweifellos<br />

kamen die polnischen Zwangsarbeiter,<br />

die in der Textilindustrie eingesetzt<br />

wurden, auch mit den dortigen<br />

polnisch stämmigen Arbeitern in Berührung,<br />

aber hierfür liegen leider keine<br />

Erkenntnisse oder autobiographische<br />

Ausführungen vor. Dabei war die Zahl<br />

der Zwangsarbeiter in Bremen bzw. im<br />

Gau Weser-Ems erheblich und wurde<br />

von der Deutschen Arbeitsfront (DAF)<br />

für das Jahr 1943 auf etwa 100.000 geschätzt,<br />

davon zu diesem Zeitpunkt etwa<br />

30.000 in Bremen. Im Sommer 1941<br />

waren rund 7.300 polnische Zwangsarbeiter<br />

in Bremen und ihre Zahl dürfte<br />

zunächst noch weiter gestiegen sein. 14<br />

Allein beim Bau des U-Boot-Bunkers Valentin<br />

in Bremen-Farge kamen deutlich<br />

über 100 Polen ums Leben, wobei die<br />

endgültigen Opferzahlen wahrscheinlich<br />

nie in Erfahrung zu bringen sein<br />

werden. 15<br />

III. Nachkriegszeit<br />

Das Kriegsende brachte für die polnischen<br />

Zwangsarbeiter die Freiheit<br />

und damit auch die Rückkehr der katholischen<br />

Seelsorge. Die Chronik der Pfarrgemeinde<br />

St. Marien in Blumenthal berichtet<br />

von massenhaften polnischen<br />

Trauungen nach dem Kriege, 16 was dafür<br />

spricht, dass eine große Zahl der<br />

Zwangsarbeiter zunächst in Bremen<br />

blieb. Wie viele sich davon dauerhaft in<br />

Bremen niederließen ist leider nicht zu<br />

ermitteln. Allerdings bestimmten nach<br />

1945 vor allem die Vertriebenen als Binnenmigranten<br />

die Zuwanderung und<br />

nicht mehr Polen oder Tschechen. Mit<br />

den Polen hatten sie oft die alte Heimat<br />

gemeinsam und ihre Zahl nahm in den<br />

13 Vgl. 100 Jahre St. Marien, a.a.O., S. 56.<br />

14 Vgl. Herbert Schwarzwälder, Geschichte der<br />

Freien Hansestadt Bremen. IV Bremen in der<br />

NS-Zeit (1933-1945), Bremen erw. u. verb. Aufl.<br />

1995, S. 502ff.<br />

15 Zur Diskussion der Opferzahlen vgl. Heiko<br />

Kania, Neue Erkenntnisse zu Opferzahlen und<br />

Lagern im Zusammenhang mit dem Bau des<br />

Bunkers Valentin, in: Arbeiterbewegung und Sozialgeschichte,<br />

Bd. 10, 2003, S. 7-31.<br />

16 Vgl. 100 Jahre St. Marien, a.a.O., S. 53f.


Moje Weer 115x60 Phase 3:Layout 2 19/8/08 15:19 Page 1<br />

ersten 15 Jahren nach dem Krieg beständig<br />

zu, von ca. 32.000 Vertriebene im<br />

Jahr 1949 auf mehr als 84.000 im Jahr<br />

1959. Deutlich ablesbar ist in den Statistiken<br />

auch die politische Konjunktur<br />

zwischen Ost und West. So stieg die Zahl<br />

der Zuzüge aus den ehemaligen Ostgebieten<br />

des Deutschen Reiches in den<br />

Jahren 1957 und 1958 kurzfristig auf 1210<br />

bzw. 2901, um dann wieder auf einige<br />

Hundert bzw. nur einige Dutzend in den<br />

sechziger Jahren zurückzugehen. 17 Ähnlich<br />

wie in den fünfziger Jahren kam es<br />

auch Mitte der siebziger Jahre zu einem<br />

kurzfristigen Anstieg der Zuzugszahlen,<br />

in beiden Fällen aufgrund von Regierungsvereinbarungen<br />

über die Familienzusammenführung.<br />

Je später allerdings<br />

der Zuzug aus den ehemaligen deutschen<br />

Ostgebieten erfolgte, desto stärker<br />

war bei den Spätaussiedlern auch eine<br />

kulturell polnische Identität vorhanden<br />

und mit der Verschlechterung der<br />

ökonomischen Situation in der Volksrepublik<br />

Polen ab Mitte der siebziger Jahre<br />

und dann vor allem nach der Verhängung<br />

des Kriegsrechts am 13. Dezember<br />

1981 kamen mehr und mehr Polen<br />

wieder nach Bremen, teils indem sie eine<br />

deutsche Abstammung geltend machen<br />

konnten, teils als politische Flüchtlinge.<br />

Ökonomische Motive und der<br />

Wunsch, Lebenschancen in Deutschland<br />

zu suchen, spielten bei vielen sicherlich<br />

auch eine nachvollziehbare Rolle – ähnlich<br />

wie bei den ersten polnischen Zuwanderern<br />

100 Jahre zuvor.<br />

IV. Gemeinsames Europa: Rückkehr<br />

der polnischen Minderheit?<br />

Der politische Wandel in Polen 1989 bedeutete<br />

auch für die Migration von Polen<br />

nach Deutschland einschneidende<br />

Veränderungen. Die Berufung auf politisches<br />

Asyl oder auf deutsche <strong>Vor</strong>fahren<br />

fielen als Begründungen für die<br />

Migrationsentscheidung nun weg und<br />

auch Arbeitserlaubnisse für polnische<br />

Arbeitnehmer sind bis heute nur in bestimmten<br />

Branchen zu erhalten. Dennoch<br />

wird die Freizügigkeit von Au-pair-<br />

Mädchen und von Studierenden genutzt.<br />

17 Vgl. Statistisches Handbuch für das Land<br />

Freie Hansestadt Bremen 1950-1960, Bremen<br />

1961, S. 16 u. S. 30.<br />

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Hinzu kommt, dass ein Teil der in den<br />

achtziger Jahren nach Bremen gekommenen<br />

Polen in der Stadt geblieben ist<br />

und sich nun wieder stärker einer polnischen<br />

Identität zuwendet.<br />

Verändert hat sich nach 1989 auch die<br />

Binnenstruktur der Gruppe und ihr Auftreten<br />

nach außen. Viele der Spätaussiedler<br />

aus den 80er Jahren behielten<br />

mit ihrem polnischen Pass 18 auch einen<br />

Teil ihrer kulturell polnischen Identität,<br />

wenn sie sich in der Öffentlichkeit<br />

auch oft nicht dazu bekannten. Durch<br />

den Zuzug neuer Migranten aus Polen<br />

nach 1989 und das sich allmählich verbessernde<br />

Image Polens als eines demokratischen<br />

Staates sollte sich das ändern.<br />

Man hört wieder Polnisch in den<br />

Straßenbahnen, vor den katholischen<br />

Kirchen oder auch an den Universitäten<br />

des Landes. Polnische <strong>Kultur</strong>vereine<br />

machen mit Lesungen, polnischem<br />

Kino und Theater auf sich aufmerksam<br />

und präsentieren das Nachbarland interessant<br />

und kulturell kreativ. Die Spannungen<br />

zwischen „progressiven“ Bremer<br />

Katholiken und „konservativen“<br />

polnischen Katholiken, die in manchen<br />

18 Vgl. die Angaben von Christoph Pallaske,<br />

Migrationen aus Polen in die Bundesrepublik<br />

Deutschland in den 1980er und 1990er Jahren.<br />

Migrationsverläufe und Eingliederungsprozesse<br />

in sozialgeschichtlicher Perspektive, Münster,<br />

New York, Berlin 2002, S. 39 u. 56f.<br />

www.waterfront-bremen.de<br />

Bremer Gemeinden für Unruhe gesorgt<br />

haben, 19 scheinen der Vergangenheit<br />

anzugehören. Aufschlussreicher sind<br />

da schon die unterschiedlichen Traditionen<br />

innerhalb der polnischen Gruppe<br />

in Bremen, zwischen Arbeitsmigranten<br />

und einem kleinen intellektuellen Milieu<br />

von sehr gut ausgebildeten Polen,<br />

die ihr Land nicht mehr nur nach traditionellen<br />

Mustern vertreten, sondern<br />

als modernes europäisches Land. Unabhängig<br />

davon, was die Politik heute<br />

feststellt oder wie der rechtliche Status<br />

definiert ist, kann heute demnach wieder<br />

von einer polnischen Minderheit in<br />

Bremen gesprochen werden. Allerdings<br />

sind heute die <strong>Vor</strong>aussetzungen für eine<br />

Integration unter Beibehaltung der kulturellen<br />

Identität der Polen in Bremen<br />

besser als vor 100 Jahren.<br />

Dr. Stefan Garsztecki<br />

Universität Bremen<br />

19 Ausführlicher dazu Nele Krampen, Zuwanderung<br />

aus Polen und die katholische Kirche in<br />

Bremen. Migration und Religion in der modernen<br />

Gesellschaft, Hamburg 2005.<br />

9


thema<br />

Zwischen Polenstolz und europäischer<br />

Gespräch mit drei polnischen Einwanderern über Identitäten<br />

und das schwierige Verhältnis zu Deutschland<br />

Fühlen Sie sich mehr als Pole (Polin) oder<br />

als Deutscher (Deutsche) oder spielt das<br />

für sie keine Rolle?<br />

Magda Ziomek-Beims Ich fühle mich<br />

mehr als Polin. Ich spreche mit meiner<br />

Familie polnisch, mit meinen Freunden<br />

polnisch und Deutsch (wenn ich kann,<br />

bevorzuge ich es Polnisch zu sprechen).<br />

Aber es ist alles gemischt.<br />

Polnisch ist praktisch um einen bissigen<br />

Kommentar zu machen, den nur Deine<br />

Freundin verstehen soll. Ich spreche<br />

auch oft polnisch zu Polen, auch wenn<br />

sie Deutsch sprechen und auch wenn<br />

es mehrere Leute im Raum gibt, die<br />

kein Polnisch verstehen. Ich nehme mir<br />

einfach das Recht, Polnisch zu sprechen,<br />

obwohl das bestimmt manchem unhöflich<br />

vorkommt.<br />

Urszula Wöltjen Ich habe nur einen<br />

einzigen Pass und der ist polnisch. Um<br />

10<br />

Gotteswillen, ich fühle mich überhaupt<br />

nicht als Deutsche. Ich kann mir das gar<br />

nicht vorstellen. Ich fühle mich absolut<br />

wie eine Polin, zu hundert Prozent.<br />

Piotr Sudol Ich fühle mich als Europäer.<br />

Ich war auch der einzige, der bei der Fußball-Europameisterschaft<br />

eine EU-Flagge<br />

am Auto hatte. Ich spreche mit meinen<br />

Freunden teils polnisch, teils deutsch.<br />

Mit meinen Eltern polnisch, mit meiner<br />

Freundin, die auch Polin ist, deutsch.<br />

Haben Sie enge Beziehungen zu Polen?<br />

Magda Ziomek-Beims Ich habe sehr<br />

enge Beziehung zu Polen. Mit meiner<br />

Mutter telefoniere ich sehr oft, ich bin<br />

auch oft dort. Sowohl beruflich, als<br />

auch im Urlaub oder um meine Eltern<br />

zu besuchen. Ich habe dort Freunde, mit<br />

denen ich in Kontakt bleibe,<br />

Urszula Wöltjen Ich bin sehr glücklich<br />

verheiratet mit einem deutschen Mann,<br />

einem Bremer, Feuerwehrmann. Wir haben<br />

auch eine 17jährige Tochter. Ich habe<br />

einen deutschen Mann, aber das hat<br />

keinen Einfluss auf meine Identität. In<br />

der Familie spreche ich beides, deutsch<br />

und polnisch. Mit meiner Tochter von<br />

Anfang an fast nur polnisch. Mein<br />

Mann unterstützt das sehr stark. Maria<br />

ist zweisprachig aufgewachsen. Mein<br />

Mann versteht sehr viel auf polnisch. Ich<br />

habe weiter enge Beziehungen nach Polen.<br />

Meine ganze Familie lebt dort. Wir<br />

machen immer Urlaub in Polen. Auch<br />

damit Marias Sprachkenntnisse weiter<br />

verbessert werden. Das ist ein großer<br />

Gewinn für unsere Tochter. Sie hat dort<br />

Freunde und viele Kontakte.<br />

Piotr Sudol Ich bin so vier bis fünfmal<br />

im Jahr in Polen, aber seltener auf Familienbesuch,<br />

sondern eher geschäftlich<br />

für irgendwelche Projekte.


Vision<br />

Pflegen Sie in Deutschland die polnische<br />

<strong>Kultur</strong>, Sitten und Gebräuche?<br />

Magda Ziomek-Beims Mich interessieren<br />

neue Bücher, Musik und Film. Ich<br />

lese manchmal polnische Zeitungen<br />

(aber nicht die von hier wie Agora oder<br />

andere Schmierblätter, wenn dann Internet).<br />

In erster Linie aber bin ich eine<br />

Europäerin.<br />

Ich pflege in Deutschland polnische <strong>Kultur</strong>.<br />

Ich sehe das als meine Arbeit. Mit<br />

ein Paar Freundinnen haben wir den<br />

Verein agitPolska gegründet. Es macht<br />

wirklich Spaß, im <strong>Kultur</strong>austausch aktiv<br />

zu sein. Pflege ich polnische Sitten und<br />

Gebräuche? Eher nicht. Manchmal<br />

koche ich was polnisches, aber extrem<br />

selten.<br />

Piotr Sudol Für mich persönlich sind<br />

die polnischen Sitten eher fremd.<br />

Aber meine Eltern bringen das mit.<br />

Weihnachtsfeiern z.B. werden immer<br />

noch streng polnisch gehandhabt. Nur<br />

den schönen polnischen Aberglauben,<br />

den habe ich mir von meiner Mutter<br />

bewahrt. Der ist in Polen ohne Ende<br />

verbreitet. Wenn man etwa aus dem<br />

Hause geht und zurückkommt, weil<br />

man etwas vergessen hat, muss man<br />

sich kurz hinsetzen. Sonst bringt es<br />

Unglück. Ich bin eigentlich ein Mensch,<br />

der an so etwas nicht glaubt, aber in<br />

meinem Kopf ist das so gespeichert,<br />

dass, wenn ich zurückkomme – auch<br />

wenn keiner da ist – denke: ‚setz Dich<br />

hin. Schaden kann´s ja nicht’.<br />

Urszula Wöltjen Der Begriff ‚Europäisierung’,<br />

den man heutzutage so<br />

oft benutzt, ist soziologisch, politisch<br />

und vielleicht auch kulturell unentbehrlich.<br />

Für mich aber ist der Begriff<br />

„Europäisierung“, „Europäer“ oder<br />

„Pazifist“ oder „Mensch der Welt“ ohne<br />

Bedeutung. Ich bin überall zu Hause.<br />

Ich bin offen für alle Menschen, ich<br />

lebe gerne, ich liebe die Menschen. Für<br />

mich spielen solche Begriffe keine Rolle.<br />

Heute lebe ich in Deutschland, Wenn<br />

ich in Frankreich ein Angebot bekommen<br />

hätte, hätte ich ohne zu überlegen<br />

zugegriffen.<br />

Welche Rolle spielt die Religion für Sie?<br />

Magda Ziomek-Beims Ich bin Atheistin.<br />

Religion spielt für mich keine Rolle.<br />

Urszula Wöltjen Die Religion ist wichtig<br />

für mich. Ich bin katholisch. Nicht alle<br />

Polen sind katholisch. Jeden Sonntag um<br />

13 Uhr besuche ich den Gottesdienst.<br />

Das ist ein fester Punkt in unserer Familie.<br />

Mein Mann ist evangelisch, der bleibt<br />

dann zu Hause. Er kocht.<br />

Piotr Sudol Die Religion spielt für mich<br />

keine Rolle. Außer bei den Familienfeiern.<br />

Da zieht man immer fleißig mit.<br />

Wenn man in Polen ist und es gibt<br />

einen religiösen Anlass, will man auch<br />

nicht der Außenseiter sein. Da wird<br />

extrem drauf geachtet. Wenn ich in der<br />

Familie sagen würde, ich bin Heide und<br />

mach da nicht mit - oha dann brauchte<br />

ich gar nicht nach Polen zu fahren.<br />

Wie beurteilen Sie das Verhältnis zwischen<br />

Zuwanderern aus Polen und den<br />

Deutschen?<br />

Magda Ziomek-Beims Das Verhältnis<br />

ist verschieden. Je nach Mensch, je nach<br />

Ausbildung, je nach Persönlichkeit.<br />

Manche können in deutschen Gewässern<br />

schwimmen, die anderen vermissen<br />

nur Polen.<br />

11


Piotr Sudol Mein Gefühl ist seit Jahren,<br />

dass sich das Verhältnis zwischen<br />

Deutschen und Polen bessert. Durch<br />

die Grenzöffnung entstehen immer<br />

mehr Verbindungen. Wenn man früher<br />

durch Frankfurt/Oder fuhr, gab es<br />

immer zwei Gruppen. Man merkte<br />

sofort, wer Pole ist und wer Deutscher.<br />

Jetzt vermischt sich das immer mehr.<br />

Das finde ich herrlich. Damals hat man<br />

immer noch eine Art – Feindseligkeit ist<br />

übertrieben – Differenz bemerkt. Mir<br />

fällt auf, dass in Polen Deutsche immer<br />

mehr akzeptiert werden. Früher stand<br />

der Deutsche auf einer anderen Stufe,<br />

verdiente besser. Das war die allgemeine<br />

Einstellung. Die existiert fast gar<br />

nicht mehr. Das Selbstbewusstsein der<br />

Polen hat sich enorm gesteigert. Wenn<br />

man Anfang der 90er Jahre nach Polen<br />

gefahren ist, wurde man behandelt,<br />

wie aus einem UFO gestiegen, wie<br />

ein Außerirdischer mit genug „Kohle“.<br />

Dadurch, dass immer mehr Polen<br />

hier arbeiten, auch legal arbeiten mit<br />

eigenen Firmen, wissen die, dass es hier<br />

auch nicht so rosig aussieht. Das macht<br />

die Menschen gleicher.<br />

Es spielt auch eine Rolle, dass es in<br />

Polen inzwischen eine gut ausgebildete<br />

Schicht gibt, die für sich Aufstiegschancen<br />

sehen. Was fehlt, sind die Handwerker,<br />

die sind weg. Die Hochschulabsolventen<br />

sind noch im Land, aber die<br />

Handwerker sind weg. Man versucht<br />

Urszula Wöltjen, geboren in Łόdź, Zentralpolen, Industriestadt,<br />

zweitgrößte Stadt Polens, 50 Jahre alt. Gründerin<br />

einer deutsch-polnische consulting-Firma. Arbeitet vor<br />

allem im <strong>Kultur</strong>bereich, organisiert Ausstellungen und<br />

Veranstaltungen in Polen wie in Deutschland. Verheiratet<br />

mit einem Deutschen, eine Tochter.<br />

„Ich kam im Januar vor 19 Jahren nach Bremen. Aus meiner<br />

Familie gab es vorher keine Zuwanderer nach Deutschland.<br />

Meine Schwester ist nach Kanada emigriert. Ich habe<br />

hier meinen Ehemann kennen gelernt und damit fiel die<br />

Entscheidung, in Deutschland zu bleiben. Zwei, drei Jahre später habe ich ein<br />

Studium an der Universität aufgenommen. Ich hatte vorher schon ein Studium in<br />

Slawistik in Zagreb (Kroatien, damals noch Jugoslawien) absolviert. Hier konnte<br />

ich damit nicht viel anfangen. Dann habe ich in Bremen <strong>Kultur</strong>geschichte Südosteuropas<br />

studiert, als Nebenfächer Soziologie und Polonistik. Nach Beendigung<br />

meines Studiums suchte ich Arbeit, habe aber nichts für mich gefunden. Deswegen<br />

habe ich mich entschieden, mich selbständig zu machen.“<br />

mit allen Mitteln, sie wieder ins Land<br />

zu holen. Beispiel ist mein Cousin, der<br />

Bergbau studiert hat. Der arbeitet bei<br />

Kattowitz, hat eine supergute Stelle auf<br />

dem Gebiet des Umweltschutzes. Ich<br />

habe letzte Woche mit ihm telefoniert<br />

und da kam wieder die alte Schiene:<br />

‚Bei Euch gehts wieder besser. Ihr habt<br />

Bei der Durchsicht des<br />

Haushaltsetats: „Leider<br />

können wir uns in unser<br />

gegenwärtigen Lage nur<br />

ein gestohlenes Auto<br />

leisten.“<br />

Anspielung auf das vor<br />

allem auch in Deutschland<br />

verbreitete <strong>Vor</strong>urteil,<br />

dass viele Autos von<br />

Polen gestohlen würden.<br />

Cartoon von<br />

Andrzej Mleczko<br />

doch sowieso alle Arbeit. Da läuft alles<br />

super’. Dabei verdient er gutes Geld,<br />

hat ein Haus, ein dickes Auto, drei<br />

Kinder, eigentlich ein perfekt eingelebter<br />

Mensch – aber trotzdem stellt<br />

er mir Fragen, wo ich denke: Wenn Du<br />

mal herkommen würdest und mich<br />

für 8 Euro die Stunde arbeiten sehen<br />

würdest, dann wüsstest du, in Polen ist<br />

es für dich besser.<br />

Urszula Wöltjen Die Polen, die hierher<br />

gekommen sind, sind eine sehr heterogene<br />

Gruppe, sie unterscheiden sich.<br />

Und so unterschiedlich reagieren auf<br />

sie die Deutschen.<br />

Es gibt Polen, die sind zufrieden, dass<br />

sie hier sind. Es gibt welche, die seit 20,<br />

30 Jahren hier leben, immer unzufrieden<br />

sind und trotzdem hier bleiben. In<br />

den ersten Jahren, als ich nach Bremen<br />

kam, war die Atmosphäre etwas anders<br />

gegenüber Ausländern als heute.<br />

Offener, etwas menschlicher. Heute stehen<br />

soziale, finanzielle oder kulturelle<br />

Probleme mehr im <strong>Vor</strong>dergrund. Als ich<br />

vor 20 Jahren kam, fühlte ich mich hier,<br />

von der Bevölkerung (nicht von den<br />

Beamten) willkommen.<br />

12


Spüren Sie von Seiten der Deutschen<br />

<strong>Vor</strong>urteile oder Diskriminierung?<br />

Magda Ziomek-Beims Es ist nicht<br />

einfach nach Deutschland zu kommen,<br />

sich hier heimisch zu fühlen. Meine<br />

Anfänge waren auch eher brutal. Klar<br />

habe ich schwarz gearbeitet und habe<br />

das heilige deutsche Gesetz damit gebrochen.<br />

Aber das Gefühl, dass es nicht<br />

so viele deutschen Freiwillige gibt, die<br />

um vier Uhr morgens aufstehen um die<br />

Büros für damals 10 DM zu putzen, hat<br />

mich bis jetzt nicht verlassen.<br />

Piotr Sudol, geboren am 31.3.1976 in Szczecin (Stettin)<br />

Student der Freizeitwissenschaften, wohnt in Gröpelingen.<br />

Piotr (von den meisten Peter genannt) kam 1985 aus<br />

wirtschaftlichen Gründen nach Bremen. Seine Eltern bewirtschafteten<br />

einen kleinen Laden, im kommunistischen<br />

Staat keine einfache Sache.<br />

„Es reichte zum Leben. Aber meine Eltern wollten mir eine<br />

bessere Zukunft sichern und sahen sie eher hier als in<br />

Polen. Sie haben alles stehen lassen - den Laden konnte<br />

man nicht verkaufen - und sind erst einmal ohne mich<br />

gefahren. Ich bin ein Jahr später nachgekommen. Das<br />

war nicht so einfach. Ich bin quasi illegal über die Grenze gekommen, ohne die<br />

nötigen Papiere.“<br />

Piotrs Eltern bekamen eine Aufenthaltsgenehmigung, weil seine Großmutter<br />

lange in Nazi-Deutschland als Zwangsarbeiterin bei einem Bauern in der Nähe<br />

von Hannover gearbeitet hatte. Sie konnte immer noch etwas deutsch. Das hat<br />

die Aufenthaltsgenehmigung für seine Eltern erleichtert. „Merkwürdigerweise<br />

hat das für mich nicht geklappt. Deshalb musste ich hinten auf der Ladefläche<br />

eines LKW nach Deutschland einreisen.<br />

Urszula Wöltjen Als ich mit meiner<br />

kleinen Tochter in der Straßenbahn saß<br />

und mit ihr polnisch redete, sprachen<br />

mich öfters ältere Damen an: „Was für<br />

eine Sprache sprechen Sie?“ „Polnisch,<br />

ach so. Und sagen Sie, sind Sie schon<br />

lange hier?“ Einfach ältere Damen, die<br />

sich gerne unterhalten wollten. Und oft<br />

kam die Frage: „Sind Sie hier zufrieden<br />

oder glücklich? Haben Sie einen deutschen<br />

Mann?“ oder „Wie sehen Ihre<br />

Schwiegereltern das?“ Dann habe ich<br />

immer gedacht: was sollen die Fragen?<br />

Was soll ich antworten? Ich habe einen<br />

lieben Ehemann, eine gesunde Tochter,<br />

wir sind alle gesund, wir haben keine<br />

finanziellen Probleme, haben ein Haus,<br />

fahren in Urlaub, warum soll es mir hier<br />

schlecht gehen?<br />

Wenn sie mich in Polen gefragt hätten,<br />

wie geht es mir in Polen, wenn mein<br />

Mann arbeitslos wäre, meine Tochter<br />

krank, dann würde ich sagen: mir geht<br />

es schlecht. Also es ist nicht so, dass es<br />

mir hier gut geht, weil die Deutschen<br />

gut oder schlecht sind. Ich lebe hier<br />

zufrieden, nicht weil ich Deutschland<br />

als Land so toll empfinde, sondern weil<br />

ich privat glücklich bin.<br />

Ich bin hier zufrieden, aber das heißt<br />

nicht, dass ich nicht sehe, dass es viele<br />

Probleme zwischen Polen und Deutschen<br />

gibt. Ich denke, es funktioniert<br />

immer weniger. Im europäischen<br />

Kontext, laut Medien, funktioniert<br />

die Integration immer besser. Aber im<br />

deutsch-polnischen Verhältnis passieren<br />

Sachen, die wirklich nicht gut<br />

sind. Und sie werden nicht nur durch<br />

die Medien immer wieder angespitzt.<br />

Gleich was in Polen auf der deutschpolnischen<br />

Ebene passiert, wird gerne<br />

als antideutsch gesehen. Es genügt ein<br />

einziger Pressebericht, z.B. im Express,<br />

einer Zeitung, die ich nie im Leben auf<br />

die Idee käme zu kaufen, so wie hier die<br />

Bildzeitung.<br />

Spielt die schmerzliche Vergangenheit<br />

zwischen den beiden Völkern für Sie eine<br />

Rolle?<br />

Magda Ziomek-Beims Die Vergangenheit?<br />

Meinen ersten Streit mit meinem<br />

Mann hatte ich nach dem wir „Die<br />

letzten Tage der Menschheit“ gesehen<br />

haben. Ich war so wütend, als am<br />

Ende der deutsche Wehrmachtsoldat<br />

auf weißem Pferd, nackig, vor sich hin<br />

jammert: ‚Wir waren nur Soldaten, wir<br />

haben das alles nicht gewollt’. Ich hätte<br />

den erwürgen können. Mein Mann hatte<br />

aber die gleiche Meinung wie dieser<br />

Soldat. Wir haben uns vier Stunden<br />

lang nur angeschrieen.<br />

Ja, die Vergangenheit spielt weiter für<br />

uns Polen eine große Rolle<br />

Piotr Sudol Die frühere Geschichte<br />

hat für mich keine Bedeutung, für viele<br />

Polen aber immer noch eine. Die ältere<br />

Generation oder Leute vom Land hängen<br />

noch an der Vergangenheit. Aber<br />

mein Bekanntenkreis ist mit einer offenen<br />

Weltauffassung groß geworden.<br />

Urszula Wöltjen Die deutsch-polnische<br />

Geschichte ist nicht einfach<br />

gewesen und sie ist heute sehr kompliziert.<br />

Es sind von Anfang an Fragen<br />

und Probleme nicht aufgearbeitet und<br />

nicht aufgeräumt worden. In dem Kontext<br />

ist die europäische Vereinigung,<br />

EU mit der gemeinsamen Verfassung<br />

ein Kitsch, ein Versöhnungskitsch.<br />

Noch vor einigen Jahren haben die<br />

Deutschen das Gefühl gehabt oder nur<br />

die Meinung vertreten, dass sie in der<br />

Geschichte versagt haben und dass sie<br />

noch viel gutzumachen haben. Heute<br />

ist es nicht mehr so.<br />

Nach der Wende überwog das Gefühl<br />

uns bei dem EU Beitritt zu helfen.<br />

Ist auch ok. Nun, die Hilfe soll allgemein,<br />

nicht in Form der Belehrung<br />

von dem deutschen Besserwisser zu<br />

uns kommen. Als die Kaczynskis an<br />

die Regierung kamen, oder wie man<br />

es hier abwertend nannte „Kartoffel-<br />

Regierung“, habe ich oft gehört, dass<br />

wir Polen, die diese Regierung selbst<br />

gewählt haben, vor der „Zwillingsdiktatur“<br />

gerettet werden müssen, und am<br />

besten von den Deutschen. Man muss<br />

den Polen beibringen, was Demokratie<br />

ist. Warum müssen sie uns das beibringen?<br />

Wir bringen uns selbst bei, was die<br />

Demokratie ist. Wir gehen unseren polnischen<br />

demokratischen Weg. Vielleicht<br />

ist das ein Umweg und dauert etwas<br />

länger. Deutschland hat 50 Jahre De-<br />

13


mokratie gelernt und ausgeübt, und….<br />

sind hier alle glücklich? Dieses ständige<br />

Gefühl der deutschen Überlegenheit.<br />

Das ist etwas, was ich noch vor einigen<br />

Jahren nicht so stark gefühlt habe,<br />

denn die Beziehung der Deutschen<br />

zu sich selbst war anders. Da gab es<br />

zwischen den Deutschen das Gefühl<br />

des schlechten Gewissens und das hat<br />

den Kopf der Deutschen etwas gebeugt.<br />

In den letzten Jahren hat sich in<br />

dieser Sicht sehr viel verändert, in der<br />

Selbstfindung der Deutschen. Heute<br />

hört man, dass die Deutschen auch<br />

Opfer des Krieges sind, dass sie sich als<br />

Opfer des Krieges und der Vertreibung<br />

fühlen. <strong>Vor</strong> 10, 15 Jahren hörte man das<br />

Wort „Vertreibung“ nicht. Das waren<br />

doch „Flüchtlinge“.<br />

Können nach Ihrer Ansicht die Zuwanderer<br />

aus Polen eine Brücke zwischen den<br />

beiden Völkern bilden und hat für die Veränderung<br />

im Verhältnis der Menschen der<br />

Beitritt Polens zur EU eine Rolle gespielt?<br />

Magda Ziomek-Beims Wir von agit-<br />

Polska sind das beste Beispiel für einen<br />

solchen Brückenschlag.<br />

Piotr Sudol Die Zuwanderer aus Polen<br />

spielen die Rolle einer Brücke eher<br />

nicht. Für mein Gefühl haben diese Rolle<br />

eher die Deutschen, die nach Polen<br />

gehen. Polen gab es schon immer hier.<br />

Sie haben nicht wirklich eine Brücke<br />

gebildet im Sinne von kulturellen Verbindungen<br />

oder gemeinsamen Aktivitäten.<br />

Ich glaube, dass Deutsche, die<br />

nach Polen gehen, sei es zum Arbeiten<br />

oder zum Studieren, eher eine Brücke<br />

schlagen können.<br />

Spüren Sie persönlich Diskriminierung?<br />

Urszula Wöltjen Ich habe nach Beendigung<br />

meines Studiums Arbeit im<br />

öffentlichen Dienst gesucht. Ich dachte<br />

als man über die europäische Vereinigung<br />

sprach und den Beitritt Polens zur<br />

EU, man brauche Menschen mit einer<br />

derartigen Ausbildung und Sprachkenntnissen<br />

(Südslawistische Studien<br />

in Jugoslawien <strong>Kultur</strong>geschichte Ost<br />

–Mitteleuropas, Polonistik, Soziologie<br />

an der Uni Bremen). Aber immer wieder<br />

stieß ich auf das Argument, dass ich<br />

keine deutsche Staatsangehörigkeit<br />

besitze. Wenn ich einen Antrag schrieb,<br />

habe ich immer wieder eine negative<br />

Antwort bekommen. Eine Bekannte aus<br />

diesem Bereich sagte: ‚Die Situation ist<br />

wie sie ist. Wenn wir auf den Tisch 15<br />

Bewerbungen auf eine Stelle bekommen<br />

und wenn da drei ausländische<br />

Namen sind, dann finde ich meinen<br />

Kandidaten unter den Zwölf, die anderen<br />

mach ich nicht mal auf’. Ich fühlte<br />

den Atem des Geistes, der hier in der<br />

Bremer Jutefabrik im 19 Jh. geherrscht<br />

hat, wo die Polen abgestempelt waren<br />

als Ausländer, als Wanderer, ebenso<br />

Magdalena Ziomek-Beims, 34, Kunsthistorikerin, <strong>Kultur</strong>schaffende,<br />

Mitbegründerin agitPolska e.V., Tresenkraft,<br />

gelegentlich Übersetzerin, zur Zeit angestellt beim<br />

<strong>Ort</strong>samt Mitte / Östliche <strong>Vor</strong>stadt, geboren in Białogard.<br />

„Ich habe mit 26 in Posen meinen Mann kennengelernt.<br />

Er machte zusammen mit seiner Schwester in Posen Urlaub.<br />

Sie hat polnisch gesprochen, da sie mit 16 ein Jahr in<br />

Polen als Austauschschülerin verbracht hat. Ich habe mich<br />

mit ihren Bruder auf Englisch unterhalten. Das war Liebe<br />

auf den ersten Blick.<br />

Nach zwei Tagen bin ich mit den beiden nach Bremen gefahren.<br />

Es lag auf dem Weg nach Lingen, wo ich auch wegen meiner Dienstreise<br />

sein musste (ich habe für Cordes Greaf in Polen gearbeitet).<br />

Ich habe mich in Bremen auch auf den ersten Blick verliebt und entschieden hierher<br />

zurück zu kommen. Nach einem halben Jahr habe ich meine Arbeit in Polen<br />

gekündigt und bin in Bremen gelandet.“<br />

wie später die Spanier, Türken oder<br />

Griechen: einsetzbar nur für bestimmte<br />

Arbeiten, aber wenn es um etwas mehr<br />

geht, dann spielt die Staatsangehörigkeit<br />

eine wichtige Rolle.<br />

Ich habe vor kurzem eine Veranstaltung<br />

gemacht, eine Veranstaltung mit<br />

einem Konzert über Arthur Rubinstein,<br />

und ein paar Monate später eine große<br />

Ausstellung über die polnische Buchkunst.<br />

Für kurzfristige Projekte, die ich<br />

selbst schaffe, bin ich schon gefragt,<br />

aber dass ich eine feste Stelle in diesem<br />

Bereich bekomme, das gibt es leider<br />

nicht.<br />

Ich habe mal gehört, wie eine deutsche<br />

Sozialarbeiterin, die in Osterholz Tenever<br />

für internationale Integrationsprojekte<br />

der hiesigen Ausländer zuständig<br />

ist, sagte, was für tolle Projekte sie dort<br />

machen. Aber als ich sie gefragt habe,<br />

wie viele Ausländer beruflich dabei<br />

tätig sind, sagte sie: keine. Wo gibt es<br />

das, dass man Projekte über Ausländer<br />

ohne Ausländer realisiert.<br />

Da sieht man, das Gerede von den deutschen<br />

Bemühungen um die Integration<br />

der Zuwanderer ist nur Rhetorik. Ich<br />

glaube daran nicht. Wenn ich komme<br />

mit meiner polnischen Herkunft und<br />

dazu meine Meinung anders ist als die<br />

deutsche Meinung - und die liegt ab<br />

und zu quer – das wird hier nie als eine<br />

Bereicherung oder Herausforderung<br />

gesehen. Wozu sollen die Ausländer die<br />

deutsche Geschichte oder die deutsche<br />

Demokratie und die deutsche Sprache<br />

lernen, wenn man sie in Wirklichkeit<br />

nicht hören möchte.<br />

Magda Ziomek-Beims Diskriminierung?<br />

Ich finde das lustig, wenn Leute<br />

enttäuscht sind, dass ich aus Polen<br />

komme. Sie finden polnische Abstammung<br />

so banal…<br />

Seit dem EU-Eintritt muss man nicht<br />

mehr mit der Ausländerbehörde was zu<br />

tun haben. Was jeder Mensch bestimmt<br />

begrüßt. Ich habe mich nie so elendig<br />

gefühlt wir dort. Mein Pass wurde von<br />

eine Beamtin auf den Fußboden geworfen<br />

usw. Ich habe mich wie Dreck gefühlt<br />

und geheult, schon, als ich wusste,<br />

dass ich dorthin musste. Werden die<br />

Leute, die in Ausländeramt arbeiten in<br />

Psychoterror geschult?<br />

14


Piotr Sudol Der EU-Beitritt war sehr<br />

wichtig. Es gibt allerdings in Polen<br />

noch stärkere nationale Strömungen<br />

als hier. Ich hatte hier nie Probleme<br />

mit Rechtsextremisten, mit nationalistischer<br />

Gewalt. Aber in Polen spürt man<br />

das schon in manchen Gegenden, besonders<br />

in ländlichen Gebieten, wenn<br />

Leute mitkriegen, man ist Deutscher,<br />

kann es schon problematisch werden.<br />

Allerdings habe ich persönlich keine<br />

Gewalttätigkeiten erlebt.<br />

In Polen gab es lange Zeit eine Geschichtssicht,<br />

die die Polen ausschließlich als Opfer,<br />

die Deutschen als die Bösen sah. Gibt<br />

es da neue Entwicklungen?<br />

Piotr Sudol Ich kann natürlich nur<br />

aus meinem Bekanntenkreis sprechen.<br />

Da sind alle schon so weit offen für die<br />

Einsicht, dass auch von Polen schlimme<br />

Sachen verübt wurden. Sie waren nicht<br />

nur Opfer sondern auch Täter gegenüber<br />

den Juden. Das ist natürlich meine<br />

Altersklasse. Wenn ich das meiner<br />

Oma erzählen würde, die geriete völlig<br />

aus dem Häuschen. Da gibt es jetzt<br />

richtige Spannungen in Polen. Es gibt<br />

immer mehr Bücher über Gewalttaten<br />

von Polen an Juden, was bisher ein<br />

Tabuthema war. Einer der bekannten<br />

Autoren hat zahlreiche Morddrohungen<br />

erhalten. Dieser Nationalismus und der<br />

Opfermythos spielt immer noch eine<br />

große Rolle. Es gibt immer Menschen,<br />

die große Angst haben davor, dass die<br />

Deutschen wiederkommen und uns<br />

unser Land wegnehmen. Das ist natürlich<br />

auch eine Masche, um bei der EU<br />

Geld einzufordern. Aber ich meine, dass<br />

die Menschen, die heute hier arbeiten,<br />

nicht mehr die Untaten der Nazis auftischen<br />

sollen. Ich bin kein Verfechter<br />

davon, dass die Vergangenheit unter<br />

den Tisch gekehrt wird. Denkmäler und<br />

die Behandlung der Nazizeit im Geschichtsunterricht<br />

muss es geben. Aber<br />

mit finanziellen Zahlungen dafür muss<br />

mal Schluss sein. Man muss selbst die<br />

Fähigkeit und den Stolz haben, etwas<br />

aufzubauen.<br />

Das Schweigen<br />

Es muss die Hölle für das kleine Mädchen gewesen<br />

sein, in der Schule und von den Kindern im<br />

Viertel als „Polackin“ verhöhnt und ausgegrenzt<br />

zu werden. Wenn Marianne Schneider aus der<br />

Bromberger Straße in Gröpelingen von ihrer polnischen<br />

Mutter erzählt, begreift man, warum die<br />

Geschichte der frühen Einwanderer aus Polen nahezu<br />

vergessen ist.<br />

Ihr Großvater, Stanislaus Kuzmin, wurde am 15.<br />

Februar 1889 in Hutka/Tschenstochau geboren.<br />

Stanislaus Kuzmin war arm. Auf der Suche nach<br />

Arbeit kam er 1914 nach Bremen. Er arbeitete auf<br />

der Norddeutschen Hütte wie viele seiner Landsleute.<br />

1914 bestand die Hälfte der Belegschaft aus<br />

polnisch sprechenden Arbeitern.<br />

Seine Tochter, Kasimira wurde 1920 geboren. Sie hat sich immer als Außenseiterin<br />

gefühlt, berichtet Marianne Schneider. Sie schämte sich, Polin zu sein und versuchte<br />

ihre Herkunft mit allen Mitteln zu verbergen. Kasimira ließ sich „Else“ nennen.<br />

Eine Heirat mit ihrer großen Jugendliebe verschmähte sie. Denn ihr Liebster<br />

hieß Wenzel Krupczak und war ebenfalls Pole. Stattdessen ehelichte sie einen<br />

Deutschen. Die Ehe wurde später geschieden. Erst als sie 60 Jahre alt wurde, und<br />

ihre alte Liebe mit einem großen Rosenstrauß wieder auftauchte, haben beide zusammengefunden.<br />

Mutter, Tochter und Großvater<br />

wohnten gemeinsam in<br />

der Bromberger Straße. Aber<br />

über die polnische Herkunft<br />

wurde in der Familie wie im<br />

Verwandten- oder Bekanntenkreis<br />

nicht gesprochen.<br />

„Ich habe mich auch nicht dafür<br />

interessiert, weil das alles<br />

so negativ besetzt war,“ sagt<br />

Marianne Schneider. Es fanden<br />

sich auch nur ganz wenige<br />

Dokumente aus dem Leben ihres Großvaters. Ein Entlassungsschein der Norddeutschen<br />

Hütte vom 31. Dezember 1954. Laut diesem Dokument war Stanislaus Kozmin<br />

41 Jahre als Kokereiarbeiter mit der gefährlichen und schmutzigen Arbeit an<br />

den Koksöfen beschäftigt.<br />

Ein 1970 ausgestellter Fremdenpass ist noch vorhanden. Stanislaus Kozmin ist nie<br />

deutscher Staatsangehöriger geworden. Sonst existiert kein Foto, kein schriftliches<br />

Zeugnis. Stanislaus Kozmin konnte weder lesen noch schreiben. So ist dieser Teil<br />

der Familienbiographie untergegangen. Ebenso wie viele deutsch-polnische Familiengeschichten,<br />

die nie erzählt wurden, weil unter dem Diskriminierungsdruck der<br />

Mehrheitsgesellschaft die ehemaligen polnischen Einwanderer sich ihrer Herkunft<br />

schämten.<br />

Eike Hemmer<br />

Die Fragen stellten<br />

Iwona Bigos und Eike Hemmer<br />

Abbildungen: Spärliche Erinnerungsstücke an Stanislaus Kozmin: der Fremdenpass, in dem<br />

alle zwei Jahre die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis bescheinigt wurde, der Entlassungsschein<br />

der Norddeutschen Hütte nach 41 Jahren Arbeit als Kokereiarbeiter und die<br />

Todesanzeige des Werkes mit dem Dank für „treue Dienste“.<br />

15


thema<br />

Abb. rechts: Rafał Jakubowicz „Arbeitsdisziplin“,<br />

aus der Ausstellung „Nachbarn. Deutsche Motive<br />

in der polnischen Gegenwartskunst.“<br />

Keine schöne Überraschung<br />

Nachbar Deutschland in der jungen polnischen Kunst<br />

Im Sommer 2007 präsentierte agitPolska<br />

e.V. während des Festivals der <strong>Kultur</strong>en<br />

altonale9 in Hamburg die Ausstellung<br />

„Nachbarn. Deutsche Motive in<br />

der polnischen Gegenwartskunst“. Die<br />

Ausstellung wurde von Jarosław Lubiak<br />

und Kamil Kuskowski kuratiert. Das<br />

Thema erschien uns aufgrund der damaligen<br />

angespannten politischen Lage<br />

zwischen Polen und Deutschland sehr<br />

aktuell.<br />

Ich wusste allerdings nicht, wie sehr sich<br />

meine <strong>Vor</strong>stellung über dieses Thema,<br />

ich bin eine seit Jahren in Deutschland<br />

lebenden Polin, von der tatsächlichen<br />

künstlerischen Wirklichkeit unterscheidet.<br />

Die Kuratoren wählten Arbeiten<br />

bekannter polnischer Künstler aus, die<br />

sich in ihren Werken mit dem Thema<br />

„deutsch“ und „Deutschland“ beschäftigt<br />

haben. Dabei griffen sie nicht auf<br />

die gegenwärtig gängigen Themen zurück,<br />

sondern setzten sich vor allem mit<br />

der deutschen Vergangenheit, Nationalsozialismus<br />

und Krieg, auseinander.<br />

Die präsentierten Arbeiten wurden<br />

nicht gezielt für die Ausstellung angefertigt,<br />

sondern nur durch die Kuratoren<br />

dafür ausgewählt. Mit der Ausnahme<br />

von Józef Robakowski sind es Arbeiten<br />

von Künstlern der jüngeren Generation,<br />

die von dem Kriegstrauma nicht direkt<br />

berührt wurden. Desto überraschender<br />

war, dass „Das Deutschtum“ überwiegend<br />

mit dem Nationalsozialismus und<br />

dem Holocaust gleichgesetzt wurde.<br />

Wenn man die Auswahl der Werke als<br />

repräsentativ für die wichtigsten deutschen<br />

Motive in der polnischen Gegenwartskunst<br />

betrachtet, stellt sich die<br />

Frage warum überwiegend das Faschistische<br />

Deutschland?<br />

Ist weiterhin das Bild des Deutschen im<br />

polnischen Bewusstein dem Mann in<br />

SS-Uniform gleichzusetzen?<br />

Warum kommt beim Anblick des Stacheldrahts<br />

in der Arbeit von<br />

Rafał Jakubowicz (siehe Abbildung<br />

oben) sofort die Assoziation<br />

mit dem Konzentrationslager<br />

auf?<br />

Warum sind solche Gedankenverknüpfungen<br />

noch 60<br />

Jahre nach dem Krieg weiterhin<br />

so präsent?<br />

Sind dies die Folgen unserer<br />

antideutschen Erziehung,<br />

angefangen mit der Legende<br />

über die Wanda, die den<br />

Deutschen nicht wollte,<br />

über die populären Witze<br />

aus der Reihe „Pole, Russe und der Deutsche“,<br />

bis zu beliebten Kinderserien wie<br />

„Vier Panzerfahrer und ein Hund“ oder<br />

„Oberst Kloss“.<br />

Oder sind diese Arbeiten, die sich mit<br />

dem Motiv der Shoa auseinandersetzen,<br />

ein Teil des gegenwärtigen Trends der<br />

letzen Jahre? In denen der Holocaust<br />

wieder in der Kunst, nicht nur in Polen<br />

sondern auch in anderen Ländern des<br />

Westens modern wurde?<br />

Mit Sicherheit zwingen die berühmten<br />

Arbeiten von Zbigniew Libera „Die Einwohner“<br />

und „Radfahrer“, oder die seitenverkehrte,<br />

geknebelte Swastika von<br />

Leszek Knaflewski zu einer tiefen Reflexion<br />

über diese so wichtige Zeit der<br />

deutschen Geschichte. Sie hinterließen<br />

bei den Ausstellungsbesuchern einen<br />

enormen Eindruck, so enorm und tiefgreifend,<br />

dass einige erschütterte Gäste<br />

die Vernissage nach wenigen Minuten<br />

verließen, ohne den kleinsten Versuch<br />

zu starten sich auf eine künstlerische<br />

Diskussion einzulassen.<br />

Iwona Bigos<br />

agitPolska e.V.<br />

Teilnehmende Künstler:<br />

Tomasz Bajer / Marcin Berdyszak / Arti Grabowski<br />

/ Rafał Jakubowicz / Paweł Jarodzki /<br />

Łódż Kaliska / Grzegorz Klaman / Leszek Knaflewski<br />

/ Kamil Kuskowski / Leszek Lewandowski<br />

/ Zbigniew Libera / Robert Maciejuk / Monika<br />

Kowalska, Grzegorz Kowalski Zbigniew Sejwa<br />

/ Aleksandra Polisiewicz / Józef Robakowski<br />

/ Przemysław Truściński / Wunderteam<br />

Abb. links: Leszek Knaflewski, Good mit uns, 2004<br />

16


Strafe und Verbrechen<br />

Oben: Videostill aus: Strafe und Verbrechen<br />

Ausstellung von Katarzyna Kozyra<br />

10.10.2008-16.11.2008<br />

Neues Museum Weserburg<br />

Eröffnung: Freitag, 10.10.2008 um 19 Uhr<br />

Die 45-jährige polnische Künstlerin Katarzyna Kozyra eckt wie kaum eine andere Künstlerin an. Mediale Berühmtheit<br />

erlangte sie durch ihre Diplomarbeit Tierpyramide (1993), inspiriert durch das Märchen Die vier Stadtmusikanten<br />

der Gebrüder Grimm. Das Kunstobjekt besteht aus aufeinander gestellten toten, ausgestopften Tieren - einem Pferd,<br />

einem Hund, einer Katze und einem Hahn. Im Jahr 1995 hat sie eine Serie großformatiger Fotos mit dem Titel „Blood<br />

Ties“ kreiert, die nackte Menschen vor dem Hintergrund religiöser Symbole inszeniert. Nun ist sie mit einer aktuellen<br />

Arbeit im Neuen Museum Weserburg zu sehen.<br />

Die Videoinstallation von Katarzyna Kozyra<br />

- Strafe und Verbrechen, die 2003<br />

zum ersten Mal in New York präsentiert<br />

wurde, basiert auf unterschiedlichen Widersprüchen:<br />

Zwischen dem, was wir erwarten<br />

und dem, was wir tatsächlich bekommen.<br />

Zwischen dem, was wir sehen<br />

möchten und dem, was wir wahrnehmen<br />

können. Zwischen dem, was wir sehen<br />

und dem, was wir wissen. Zwischen<br />

dem was wir wissen, und dem, was wir<br />

lesen. Zwischen dem, was wir lesen und<br />

dem, was wir erwarten zu lesen. Schon<br />

der Titel „Strafe und Verbrechen“ ist<br />

ein Spiegelbild des Titels eines anderen<br />

Werkes, das immer im Bewusstsein des<br />

durchschnittlichen Lesers präsent ist. Es<br />

erscheint uns als ein Fehler, als ein Widersinn<br />

zu unseren Gewohnheiten und<br />

der Logik. Warum zuerst die Strafe und<br />

dann das Verbrechen? Und welches Verbrechen?<br />

Das Verbrechen erkennt man<br />

sofort in den letzen Filmszenen auf der<br />

großen Leinwand. Und es ist kein happy<br />

end, die Protagonisten brechen nicht in<br />

Richtung der untergehenden Sonne auf.<br />

Und auch wenn die Sonnenstrahlen die<br />

Räume zwischen den Baumzweigen beleuchten,<br />

bestrahlen sie auch die an ihnen<br />

schwebenden Gestalten der Aufgehängten.<br />

Die Strafe sieht und hört<br />

man auf der zweiten großen Leinwand.<br />

Der Kurzfilm, komponiert wie ein Trailer,<br />

zeigt nur starke Akzente, den zersprengten<br />

Schuppen, den in die Luft gehenden<br />

Wagen, die Explosion, das Feuer,<br />

die Patronengürtel der Maschinengewehre<br />

und die Flammenwerfer. Die Protagonisten<br />

tragen gleiche pin up girl –<br />

Masken, Perücken und die Patronengürtel<br />

wie Halscolliers. Von Zeit zur Zeit bei<br />

verlangsamten Lauf des Filmes nimmt<br />

man die Schönheit der zerstörerischen<br />

Aktivitäten wahr.<br />

Man kann versuchen den Sinn dieser<br />

Taten zu verstehen, indem man die auf<br />

fünf Fernsehern laufenden Filme sich<br />

ansieht. Jeder Film ist eine zweistündige<br />

Aufzeichnung der Tätigkeiten: Detonationen,<br />

Explosionen und Schüsse, die<br />

in den gezeigten Trailern benutzt wurden.<br />

Die Konstruktion (das Aufstellen<br />

des Schuppens, <strong>Vor</strong>bereitung des Autos)<br />

führt zu der Destruktion – Zerstörung.<br />

Was ist die Wirklichkeit und was ist der<br />

Film? Was ist Dokument, was ist die Phantasie?<br />

Welches Geschlecht haben die<br />

Protagonisten und wozu tragen sie diese<br />

niedlichen Frauenmasken? Das weibliche<br />

Grundelement mischt sich mit dem<br />

männlichen. Wo ist die Wahrheit, und wo<br />

das Falsche? Und ist dieses Feuerwerk eine<br />

Mystifikation oder ist es das wirkliche<br />

Dynamit?<br />

In ihren Arbeiten bewegt sie sich im Bereich<br />

kultureller Tabus und nimmt Bezug<br />

auf die körperliche Natur des Menschen,<br />

die Stereotypen und Verhaltensweisen<br />

im sozialen Kontext. Sie hinterfragt<br />

und überwindet sie, in dem sie Kontroversen<br />

entfacht und sich (gewöhnlich)<br />

selbst der Kritik der empörten Kritiker<br />

stellt. Sie zwingt uns zum Überdenken<br />

und Überprüfen der festgelegten Wertordnungen<br />

durch die Enthüllung der Realität.<br />

Hanna Wróblewska<br />

Übersetzung: Iwona Bigos<br />

www.katarzynakozyra.com.pl<br />

17


Licht(h)aus<br />

Ausstellung im LICHTHAUS<br />

Hermann Prüser Str. 4<br />

Bremen-Gröpelingen<br />

26.09.2008-12.10.2008<br />

Eröffnung: Freitag 26.09.2008,<br />

20.30 Uhr<br />

geöffnet: Dienstags - Sonntags<br />

20.30-23.00 Uhr<br />

Licht(h)aus<br />

Aktuelle Kunst aus Polen und Bremen in Gröpelingen<br />

Die von agitPolska e.V. kuratierte Ausstellung<br />

„Licht(h)aus“ führt ausgewählte<br />

künstlerische Werke aus Bremen und<br />

der Partnerstadt Danzig zusammen, die<br />

sich mit dem Thema Licht auseinandersetzen.<br />

Bei „Licht(h)aus“ geht es um<br />

Licht als Quelle künstlerischer Ideen,<br />

als Ausgangspunkt differenzierter<br />

Empfindungen und als technische<br />

<strong>Vor</strong>aussetzung zur Erschaffung neuer<br />

Wirklichkeiten.<br />

Angefangen mit dem Licht als Helligkeitsquelle<br />

in der Installation von<br />

Dominika Skutnik, über Fotografien<br />

von Anna Solecka als Dokumentation<br />

eines Lichtmomentes oder von Jan<br />

Meier als Ablichtung der Wirklichkeit,<br />

die einerseits reale <strong>Ort</strong>e darstellen,<br />

anderseits als Film-Location fungieren.<br />

Gezeigt wird auch die andere Seite des<br />

Lichts, als Mittel zur Erschaffung der<br />

beindruckenden Schatteninstallationen<br />

von Constantin Jaxy und weiter<br />

als Ausgangspunkt für ein interaktives<br />

Lichtobjekt von Dorota Walentynowicz.<br />

An die Metapher des Wortes „Licht aus“<br />

knüpft die Videoinstallation sterbender<br />

Einkaufspassagen des Künstlerinnenpaares<br />

Karska&Went an.<br />

Der ideale <strong>Ort</strong> dieser Ausstellung ist<br />

das Lichthaus in Bremen, das ehemalige<br />

„Arbeiteramt“ der A.G. „Weser“,<br />

welches nicht nur Pate für den Namen<br />

der Veranstaltung ist, sondern mit<br />

seinen besonderen Lichtverhältnissen<br />

auch inhaltlich zum Thema der Ausstellung<br />

wird.<br />

Die Ausstellung wird nur nach Sonnenuntergang<br />

präsentiert.<br />

Teilnehmende Künstler<br />

Constantin Jaxy (Bremen), Jan Meier (Bremen),<br />

Alicja Karska und Aleksandra Went (Danzig), Dominika<br />

Skutnik (Danzig), Anna Solecka (Bremen),<br />

Dorota Walentynowicz (Danzig)<br />

Eine Ausstellung von agitPolska e.V. – die Polnisch-Deutsche<br />

Initiative für <strong>Kultur</strong>kooperation.<br />

Mit freundlicher Unterstützung<br />

der Stiftung für Deutsch-Polnische Zusammenarbeit,<br />

des Generalkonsulats der Republik Polen in<br />

Hamburg,<br />

der Stadt Danzig<br />

des Senators für <strong>Kultur</strong> Bremen<br />

Nordmedia<br />

und der Lichthaus Verwaltungsgesellschaft mbH<br />

Unser besonderer Dank gilt der Bremischen<br />

Bürgerschaft und der Bremer Heimstiftung, den<br />

Ausrichtern des Bremer Kunststipendiums.<br />

18


Ein ständiges Abenteuer<br />

Der Verein agitPolska e.V. vermittelt zwischen deutscher und polnischer <strong>Kultur</strong><br />

Ein persönlicher Blick in die Arbeit des jungen Teams<br />

Die Gründer von agitPolska e.V. kommen aus Polen, haben aber Deutschland als ihre Lebensmitte gewählt. Sie haben<br />

sowohl einen lebendigen Kontakt zu ihrem Herkunftsland als auch einen geschärften Blick für die kulturellen<br />

Phänomene in ihrer Wahlheimat. Sie gehen als Kunsthistoriker, Polonisten und Theaterwissenschaftler die Fragen<br />

einer internationalen Begegnung individuell und unterschiedlich an. Dennoch sind sie sich darin einig, dass die Begegnung<br />

zwischen Deutschland und Polen über den Weg der Kunst und <strong>Kultur</strong> intensiviert werden kann.<br />

Da war ich also: Hermann Prüser Straße<br />

Nummer 4 – das Lichthaus. Glücklicherweise<br />

hatte Iwona mir im <strong>Vor</strong>feld eine<br />

Wegbeschreibung gegeben, denn sonst<br />

hätte ich es wahrscheinlich nie gefunden,<br />

so weit außerhalb von der Innenstadt.<br />

Nun musste ich in diesem Haus<br />

das Büro von agitPolska finden. Ich hatte<br />

mir ein großes, helles Zimmer vorgestellt.<br />

Das agitPolska-Büro entsprach<br />

dem nicht ganz. Zunächst einmal befindet<br />

sich das Büro im Keller des Lichthauses.<br />

Ganz hell ist es auch nicht, denn<br />

Licht fällt nur durch Oberlichter herein.<br />

Es ist immer noch sehr ungewohnt für<br />

mich, wenn Menschen an unseren Bürofenstern<br />

vorbeigehen - denn ich kann<br />

nur ihre Füße sehen! Aber das alles sind<br />

Dinge, die unseren Büroalltag nur lustiger<br />

machen. Ich werde nie den Gesichtsausdruck<br />

eines verwirrten Besuchers<br />

vergessen, als er uns beim Hereinkommen<br />

erblickte. Während draußen<br />

die Sonne schien und das Thermometer<br />

30 Grad im Schatten zeigte, saßen<br />

wir in Pullovern, mit heißem Tee in<br />

der Hand vor unseren Computern. Denn<br />

in so einem Kellerbüro bleibt es einfach<br />

kalt, egal wie warm es draußen ist.<br />

Gearbeitet wird unter hohem Druck.<br />

Gestresst sind wir am meisten, wenn<br />

die Projekte endlich stattfinden. Man<br />

möchte sich am liebsten in mehrere<br />

Teile teilen, um überall sein zu können,<br />

denn man wird überall gebraucht. Aber<br />

das alles macht uns nichts aus, denn<br />

wir wissen, wofür wir das alles tun. Wir<br />

möchten die polnische <strong>Kultur</strong> den Deutschen<br />

näherbringen und andersrum,<br />

<strong>Vor</strong>urteile und Stereotypen abschaffen<br />

und die Menschen für die ausländische<br />

<strong>Kultur</strong> begeistern.<br />

Wir arbeiten für die <strong>Kultur</strong>verständigung<br />

zwischen Deutschland und Polen,<br />

indem wir Feste, Ausstellungen, Lesungen<br />

etc. organisieren. Anfang 2006<br />

fand eine Veranstaltungsreihe unter<br />

dem Titel „Junges Polen“ im Rahmen<br />

des deutsch-polnischen Jahres und der<br />

Städtepartnerschaft zwischen Bremen<br />

und Danzig, statt. In Kooperation mit<br />

anderen Organisationen wurden eine<br />

Ausstellung „comics nach polnischer<br />

art. komiksy po polsku“, ein Hip-Hop-<br />

Konzert, ein polnisches Kurzfilmfestival<br />

und ein Jazz-Konzert organisiert.<br />

Im Juni 2007 organisierte agitPolska eine<br />

große Ausstellung unter dem Titel<br />

„Nachbarn. Sąsiedzi.“ Die Ausstellung<br />

zeigte die Verarbeitung von Deutschlandbildern<br />

in der polnischen Gegenwartskunst.<br />

Ein Projekt, das jährlich organisiert wird<br />

und grossen Zuspruch beim Publikum<br />

findet, ist die „Jazzbridge“. Hier findet<br />

ein <strong>Kultur</strong>austausch zwischen Musikern<br />

aus Bremen und Danzig statt. Dieses<br />

Jahr kamen zwei weitere deutsche Städte<br />

dazu: Hamburg und Berlin.<br />

Das nächste Projekt, das bereits in den<br />

Startlöchern steht, ist „POLEN SEHEN“<br />

in Bremen, ein <strong>Kultur</strong>festival vom 5. bis<br />

12. Oktober. Bei keinem anderen Projekt<br />

wird für die Bremer so viel Polen geboten:<br />

Konzerte, Lesungen, Ausstellungen,<br />

polnische Küche, Fußballspiele und noch<br />

vieles mehr. Und nicht zu vergessen die<br />

imponierende Ausstellung im LICHT-<br />

HAUS, dem Sitz von agitPolska.<br />

Olga Rudi<br />

Mehr über agitPolska unter: www.agit-polska.de<br />

Kleines Team, effektive Strukturen<br />

Meine wichtigsten Ansprechpartner<br />

während meines Praktikums sind die<br />

beiden <strong>Vor</strong>sitzenden Magdalena Ziomek-Beims<br />

und Iwona Bigos, und die<br />

Schatzmeisterin Camilla Kloß. Die meisten<br />

Büroalltage laufen ähnlich ab, Milla,<br />

Iwona, ich und Iwonas Hund Cudna<br />

sind im Büro und mit unseren Aufgaben<br />

beschäftigt. Gegen Mittag kommt Magda,<br />

die am frühen Morgen meist schon<br />

wichtige Telefonate erledigt und wichtige<br />

Partner getroffen hat.<br />

Der <strong>Vor</strong>stand von agitPolska, v.l.n.r.: Iwona Bigos, Camilla Kloß, Magdalena Ziomek-Beims<br />

19


Interview mit Pfarrer Zdzisław Turek<br />

Polnische Katholische Mission<br />

Eine eigene polnische Kirche<br />

wäre ein Traum<br />

Jedes Wochenende besuchen in Bremen über 1.000 polnischsprachige<br />

Katholiken die drei polnischen Messen, die in Bremen gefeiert<br />

werden. Die polnische Mission zählt mit ihren mehr als 4.500<br />

offiziellen Gemeindemitgliedern zu der mit Abstand größten ausländischen<br />

Gruppe von Katholiken in Bremen. Aber die geschätzte<br />

Zahl von Katholiken, die einen polnischen Hintergrund haben,<br />

geht weit darüber hinaus. Prof. Krasnodębski spricht von 10.000 -<br />

30.000 Menschen in Bremen mit einem polnischen Hintergrund.<br />

Wie viele dieser Menschen zu den 62 581 katholischen Einwohnern<br />

in Bremen gezählt werden, bleibt Spekulation. Schaut<br />

man sich die Namen in den katholischen Gemeinden in Bremen<br />

an, sieht man jedoch deutlich, dass der polnische Hintergrund<br />

sich nicht nur auf die Mitglieder der Polnischen Mission<br />

beschränkt.<br />

Die katholische Kirche in Bremen ist durchgängig von der Zuwanderung<br />

aus diesen Gebieten geprägt. Bereits die zweite Kirche<br />

in unserer Stadt, die St. Marien Kirche in Walle wurde 1898<br />

auf Grund der Zuwanderung von polnischen Textilarbeitern<br />

und -arbeiterinnen in der Bremer Jute und im Hafen gebaut.<br />

Die historischen Wurzeln der Mission beziehen sich direkt auf<br />

die Nachkriegszeit, als ehemalige polnische Zwangsarbeiter<br />

als Displaced Persons in Lagern untergebracht wurden und die<br />

Pfarrer, die sich unter diesen Menschen befanden, ihren Schicksalgefährten<br />

die Sakramente auf Polnisch ermöglichten. Erst<br />

nach 1949 werden polnische Messen auch außerhalb der Lager<br />

gefeiert.<br />

1977 wurde die heutige Polnische Katholische Mission offiziell<br />

gegründet. Durch die Zuwanderungswellen in den achtziger<br />

Jahren wuchs die Gemeinde auf ihre heutige Stärke. Seit 2006<br />

wird sie von dem Pfarrer Zdzisław Turek betreut.<br />

Zdzisław Turek war von 2001-03 in der Polnischen Katholischen<br />

Mission in Hannover als Kaplan tätig und von 2004-06 als Sekretär<br />

in der Delegatur der deutschen Bischofskonferenz unter der<br />

Leitung vom Delegaten Pfarrer Stanisław Budyń, dem Vertreter<br />

der deutschen Bischofskonferenz für die polnischsprachige Seelsorge<br />

in Deutschland. Er kam als Nachfolger von Pfarrer Kownacki<br />

nach Bremen.<br />

Sie sind vor zwei Jahren von Hannover nach Bremen<br />

gekommen. Nehmen Sie Unterschiede wahr?<br />

Zu meiner wichtigsten Aufgabe in der Katholischen<br />

Mission zählt die Seelsorge. Die Betreuung,<br />

die Katechese sowie die Sakramentenvorbereitung<br />

der Gemeindemitglieder. Diese Aufgaben<br />

sind in jeder Gemeinde sehr wichtig und ähneln<br />

sich auch. Die <strong>Vor</strong>bereitung der Kinder zur<br />

Kommunion, Firmung. Eheschließungen, Taufen,<br />

Begräbnisse.<br />

Wie groß ist Ihre Gemeinde?<br />

Über 4.000 Gemeindemitglieder mit polnischem<br />

Pass. Ca. 4.000 Leute aus der Diözese Osnabrück<br />

und 700 bis 800 aus der Diözese Hildesheim, die<br />

wir auch betreuen. Insgesamt sind in Bremen also<br />

mehr als 4.500 Katholiken mit polnischem Pass.<br />

Aber zu den Hl. Messen kommen neben ihnen<br />

auch Menschen mit doppelter Staatsbürgerschaft,<br />

oder solche, die auch nur einen deutschen Pass<br />

haben. In die Kirche kommen alle, die das Bedürfnis<br />

haben auf Polnisch zu beten. Auch Ostpreußen<br />

und Schlesier.<br />

Wie viele Menschen nehmen an den Gottesdiensten<br />

teil?<br />

Ca. 1000 Menschen. Dann gibt es noch die Katechese,<br />

zu der sich die Kinder um 12.00 Uhr im<br />

Gemeindehaus auf der Domsheide und in der St.<br />

Johannisschule treffen und im Anschluss mit den<br />

Katecheten um 13.00 Uhr in die Kirche kommen.<br />

Wir feiern drei Gottesdienste in Bremen: St.<br />

Johann, St. Elisabeth (die Kirche gehört nach der<br />

Neuordnung jetzt zur Gemeinde St. Johann, und<br />

seit kurzem in der St. Nikolaus Kirche in Gröpelingen.<br />

Wir freuen uns, dass wir dort die Hl. Messe<br />

feiern können.<br />

20


Bei so einem aktiven Gemeindeleben,<br />

gibt es da nicht den Wunsch nach einer<br />

eigenen Kirche?<br />

Das ist ein Traum. So ist es ja normalerweise<br />

in einer Gemeinde, dass man<br />

einen <strong>Ort</strong> hat. Zurzeit sind wir eine<br />

Personalgemeinde, die sich aus vielen<br />

Menschen aus dem gesamten Stadtgebiet<br />

zusammensetzt. Wir freuen uns<br />

sehr, dass wir Gäste in den Gemeinden<br />

sein dürfen, aber es wäre natürlich<br />

wünschenswert, wenn wir eine eigene<br />

Kirche hätten. Das ist ja ganz normal,<br />

dass eine Gemeinde einen <strong>Ort</strong> haben<br />

möchte.<br />

Gibt es Beispiele von polnischen Missionen<br />

mit einer eigenen Kirche?<br />

Ja, die gibt es. In Hannover wurde z.B.<br />

nach dem Krieg eine Kapelle von ehemaligen<br />

polnischen Zwangsarbeitern<br />

gebaut. Nachdem das Lager aufgelöst<br />

und in der Nähe eine neue Kirche<br />

erbaut wurde, erhielten die polnischen<br />

Gläubigen eine eigene Kapelle. Später<br />

wurde auch ein Pfarrheim erbaut, was<br />

nachträglich wesentlich vergrößert<br />

wurde und in dem sich bis heute das<br />

Gemeindeleben der polnischen Mission<br />

abspielt.<br />

<strong>Vor</strong> dem Hintergrund, dass es in den letzten<br />

Jahren keine großen Zuwanderungswellen<br />

mehr gegeben hat, wie sehen sie<br />

die Zukunft der Gemeinde?<br />

Bislang sind es nicht weniger Gemeindemitglieder<br />

geworden. Es kommen<br />

auch immer noch neue Gemeindemitglieder<br />

dazu. Zum Beispiel halte ich von<br />

Mai bis August einen Gottesdienst für<br />

die polnischen Saisonarbeiter in Sulingen<br />

60 Kilometer von hier, der von 60<br />

bis 200 Gläubigen besucht wird.<br />

Oben: Polnische Frömmigkeit: symbolischer Besuch des Grabes jesu vor Ostern.<br />

Unten: Katholischer Gottesdienst in polnischer Sprache - immer gut besucht.<br />

[Fotos: Polnische Katholische Mission]<br />

Welche Funktion hat die polnische Mission<br />

in Bremen. Ist sie eine dauerhafte Einrichtung<br />

oder ein Instrument des Übergangs?<br />

Hier geht es um die Frage von Integration<br />

oder Assimilation. Die polnischsprachigen<br />

Leute sind sehr gut integriert.<br />

Sie haben sich nicht abgeschottet und<br />

sprechen auch sehr gut deutsch. Aber<br />

sie möchten auf Polnisch beten. Die<br />

polnische Messe „schmeckt“ ihnen<br />

einfach besser. Das ist auch so, wenn<br />

21


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sich das, was man als dritten Wert<br />

die freuen sich, wenn sie auf Deutsch<br />

beten können.<br />

bezeichnet. Sie bleiben loyal gegenüber<br />

dem Land, in dem sie leben und<br />

Und wie steht es dann mit der nächsten arbeiten. So bereichert es nicht nur das<br />

Generation, die in Deutschland geboren Individuum, sondern die ganze Gesellschaft.<br />

wird und aufwächst?<br />

Auch die zweite Generation gräbt in Die Polnische Mission ist ein <strong>Ort</strong> an<br />

den kulturellen Schätzen der eigenen dem das Kirchliche und das kulturell<br />

Herkunft. Sie nehmen das Gute aus Polnische eine Verbindung eingehen.<br />

der Herkunftsgesellschaft und der Wie der Schlussstein in einem go-<br />

BLG_2008-09-06_Nachwuchs_MW_sw:_ 04.09.2008 15:51 Uhr Seite 1<br />

tischen Gewölbe verbindet sie beides.<br />

Das Kirchliche aber auch die polnischen<br />

Feste, Speisensegnung, polnische<br />

Traditionen und polnisches Liedgut. Wir<br />

haben in diesem Jahr zum ersten Mal<br />

„Grab Gottes“ durchgeführt. Neben der<br />

Speisesegnung am Samstag vor Ostern<br />

ist es auch in jeder Kirche Polens üblich,<br />

symbolisch das Grab Jesu zu besuchen.<br />

Fast 5.000 Mitglieder der polnischen Mission<br />

und 1.000 Besucher der polnischen<br />

Messen am Wochenende - verwischt diese<br />

große Anzahl nicht das Profil der katholischen<br />

Kirche in Bremen?<br />

Die Katholische Kirche ist eine einzige.<br />

Sie ist nicht deutsch. Sie ist nicht<br />

polnisch. Außerdem kann man das<br />

auch mal historisch betrachten: Woher<br />

kommen die Katholiken in Bremen? Aus<br />

Oberschlesien oder aus Posen. Nach<br />

dem Zweiten Weltkrieg, aber auch<br />

schon früher. Die Migration bringt ihre<br />

<strong>Kultur</strong> mit. In Bremen hat die Migration<br />

die katholische Kirche mitgebracht.<br />

Schauen sie sich die Namen in den<br />

katholischen Gemeinden an. Das sind<br />

Menschen aus der ganzen Welt und vor<br />

allem aus Schlesien und Danzig.<br />

Ich habe gehört, dass auch die St. Marienkirche<br />

hier in Walle auf Grund der<br />

Zuwanderung gebaut wurde. Schon im<br />

19. Jahrhundert, weil in der Waller Jute<br />

viele zugewanderte Katholiken auch<br />

aus Polen arbeiteten. <strong>Vor</strong> dem zweiten<br />

Weltkrieg gab es in dieser Region Dörfer<br />

mit nur zwei katholischen Familien<br />

und ähnliches. Das hat sich durch die<br />

Migrationsströme nach dem Zweiten<br />

Weltkrieg verändert. Und jetzt hat mir<br />

der Pfarrer von Gröpelingen „Herzlich<br />

Willkommen“ gesagt, weil durch die<br />

polnischen Gottesdienste in Gröpelingen<br />

das Christentum deutlich präsenter<br />

ist. In dieser Tradition sieht man, dass<br />

die Polnische Mission kein Ghetto ist,<br />

keine Unterkirche sondern eine Brücke.<br />

Prof. Krasnodębski schätzt, dass es in Bremen<br />

etwa 30.000 Menschen aus Polen gibt ?<br />

30.000! Das mobilisiert mich zur<br />

seelsorgischen Tätigkeit, und zeigt uns<br />

wie sehr wir als Polnische Katholische<br />

Mission in Bremen für die Gläubigen,<br />

gebraucht werden.<br />

22


Er spricht von einer unsichtbaren Minderheit<br />

und einem spezifischen Anpassungsdruck.<br />

Hat das Auswirkungen z.B. auf die Polnischkenntnisse<br />

der zweiten Generation?<br />

Die Kinder sprechen deutsch. Es ist ja<br />

auch normal, dass es ihre erste Sprache<br />

ist. Aber viele verstehen noch polnisch.<br />

Familienfeiern und Feste<br />

Tagungs- und Seminarräume<br />

Empfänge und Präsentationen<br />

Ist das nicht schwierig für die Polnische<br />

Mission, wenn die nachwachsende Generation<br />

kein polnisch mehr spricht?<br />

Nicht nur für die Kirche. Es ist auch<br />

wichtig für die Familien. Wie ist denn<br />

das, wenn die Kinder nach Polen fahren<br />

und nicht mit ihren Großeltern sprechen<br />

können. Deshalb sage ich immer,<br />

die Kinder sollen beide Sprachen lernen.<br />

Jede Sprache ist ein Schatz. Wenn man<br />

schon zu Hause zwei Sprachen gelernt<br />

hat und dazu die Sprachen, die in den<br />

Schulen gelehrt werden, gewinnt man<br />

dazu. Goethe hat schon gesagt, „wer<br />

fremde Sprachen nicht kennt, weiß<br />

nichts von seiner eigenen.“ Mit jeder<br />

Sprache gewinnt man ein Land dazu.<br />

Kann sein, dass diese Gesellschaft polnisch<br />

nicht so anerkennt. Der Osten ist<br />

immer schlecht angesehen im Vergleich<br />

zu den USA oder Spanien. Das macht es<br />

für polnische Zuwanderer schwerer sich<br />

offen zur Herkunftskultur zu bekennen.<br />

Aber das ändert sich zurzeit.<br />

Die Frage: Wer bin ich? ist eine schwierige<br />

Frage. Das ist auch schwer für die<br />

Kinder. Aber das ist etwas anderes als<br />

Glauben und Beten.<br />

Beim Beten ist es manchmal eine reine<br />

Geschmackssache. Die Gebete kennt<br />

man aus der Kindheit. Sie können vielleicht<br />

sogar auf Deutsch beten, aber ein<br />

bestimmtes Gefühl stellt sich nicht ein.<br />

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Die Gottesdienste bei den Deutschen sind<br />

ja auch nüchterner.<br />

Ich kritisiere nicht die eine oder andere<br />

Form. Es ist einfach anders. Und da<br />

gibt es ein Bedürfnis, nach bestimmten<br />

Weihnachtsliedern. Oder es kommt<br />

Besuch aus Polen und dann kommt die<br />

ganze Familie in den polnischen Gottesdienst.<br />

Es ist einfach ein Bedürfnis,<br />

dem die Kirche nachkommt.<br />

Aber Gott versteht alle Sprachen. Und<br />

das ist das Wichtigste.<br />

Das Gespräch führte Nele Krampen<br />

23


Arbeiterinnen auf der Jute [l.]<br />

In der Jutefabrik (r.)<br />

Geschichte<br />

Auf der Jute<br />

wurde polnisch gesprochen<br />

Die Jute-Spinnerei und -weberei AG – Frühe Arbeitsmigranten im Bremer Westen<br />

öffnet. Da sich im zollfreien Gelände<br />

keine verarbeitende Industrie ansiedeln<br />

durfte, wurde wenig später der Holzund<br />

Fabrikenhafen gebaut, an dem<br />

sich u. a. die Großmühlen „Roland“ und<br />

„Hansa“ ansiedelten. Hier konnte das<br />

mit dem Schiff gelieferte Korn sofort zu<br />

Mehl verarbeitet, verpackt und mit der<br />

Bahn abtransportiert werden. Als größtes<br />

Industrieunternehmen wurde mit<br />

dem Hafenausbau schon 1888 die „Jute-<br />

Spinnnerei und -weberei AG Bremen“<br />

gegründet. Das Gelände der „Jute“ lag<br />

in Nähe des Europahafens zur Nordstraße<br />

hin, ungefähr auf der Höhe zwischen<br />

Elisabeth- u. Grenzstraße, direkt neben<br />

dem „Heimatviertel“, das damals – auch<br />

1888 – vom gemeinnützigen Bremer<br />

Bauverein gebaut wurde.<br />

Unter den ersten Aktionären der „Jute“<br />

befanden sich bekannte Bremer und<br />

Waller Namen wie Bernhard Loose, Senator<br />

Achelis, Stefan Lührmann und Ed.<br />

Wätjen.<br />

Die ersten 636 Arbeiterinnen und Arbeiter<br />

begannen an Spinnmaschinen und<br />

240 Webstühlen den Rohstoff Jute zu<br />

verarbeiten, der aus dem damaligen Britisch<br />

Indien mit Schiffen der Hansalinie<br />

„Unsere Schule liegt in einer <strong>Vor</strong>stadt,<br />

im Arbeiterviertel. Nicht weit davon sind<br />

die Häfen. Die Fabriken mit ihren großen<br />

Schornsteinen qualmen über die Häuser<br />

dahin. Da liegen z.B. die Jutespinnerei,<br />

die Hansa- und Rolandmühle, Kaffee<br />

Hag, die Bremen-Besigheimer Ölfabrik,<br />

die Ölfabrik Groß-Gerau, die Union-Brauerei,<br />

die Betriebe der Konsum-Genossenschaft<br />

<strong>Vor</strong>wärts, der Lokomotivschuppen<br />

der Reichsbahn. Das Wahrzeichen für unseren<br />

Stadtteil ist der Wasserturm, der<br />

mit seinen 61 Metern alle Häuser überragt,<br />

nur nicht die Rolandmühle, die noch<br />

zehn Meter höher ist.“(1) So haben Schüler<br />

der Versuchsschule an der Helgolander<br />

Straße 1927 ihren Stadtteil Walle gesehen.<br />

Was für sie schon Alltag war, entstand<br />

erst 40 Jahre vorher mit der Industrialisierung<br />

und dem Hafenausbau:<br />

ein ganzes Viertel zwischen Nordstraße,<br />

Lloydstraße und Steffensweg, in<br />

dem viele Industriearbeiter, Hafenarbeiter,<br />

Handwerker und Gewerbetreibende<br />

wohnten.<br />

Nachdem sich Bremen dem deutschen<br />

Zollgebiet angeschlossen hat, wurde<br />

1888 der Freihafen auf dem ehemaligen<br />

Gelände der Stephanikirchenweide ernach<br />

Bremen gebracht und im Hafen gelöscht<br />

wurde. Acht Jahre nach der Gründung<br />

vergrößerte sich der Betrieb um<br />

das Doppelte. Um die Jahrhundertwende<br />

waren schon 2.000 Arbeiterinnen<br />

und Arbeiter auf der „Jute“ beschäftigt.<br />

Die Erzeugnisse bestanden aus Säcken,<br />

Seilen und Linoleumgewebe. Abnehmer<br />

des Garnes waren z. B. Kabelfabriken,<br />

Seifereien, Teppichfabriken.<br />

Trotz der Wirtschaftskrisen (1924, 1929),<br />

die auch die „Jute“ zu spüren bekam, florierte<br />

das Unternehmen weiter. 1931 fusionierte<br />

die Jutespinnerei mit der Hanseat-Jutespinnerei<br />

und –weberei Delmenhorst.<br />

1938 erzeugten beispielsweise<br />

2.400 Arbeiterinnen pro Tag 60.000<br />

kg Garn und 45.000 kg Gewebe. Im II.<br />

Weltkrieg wurde das Bremer Werk an der<br />

Nordstraße stark zerstört, wurde nach<br />

dem Krieg aber noch bis in die 50er Jahre<br />

vor <strong>Ort</strong> weiter geführt und dann vollständig<br />

nach Delmenhorst verlagert.<br />

„Komm Matga, die Jute pfeift!“<br />

Auf der „Jute“ gab es im Gegensatz zu<br />

anderen Industriebetrieben einige Besonderheiten:<br />

Ca. 70 % der Beschäf-<br />

24


tigten waren Frauen, überwiegend verheiratet.<br />

Der größte Teil wanderte seit<br />

der Gründung der „Jute“ aus Böhmen,<br />

Mähren, Galizien und dem Eichsfeld<br />

ein. In diesen überwiegend ländlichen<br />

Gebieten mit zum Teil alten Webereizentren<br />

war die Bevölkerung sehr verarmt<br />

und die „Jute“ suchte hier gezielt<br />

nach neuen Arbeitskräften. Der Werbung<br />

folgten viele Familien auf der Suche<br />

nach besseren Lebensverhältnissen.<br />

Auf der einen Seite war ihnen die Technik<br />

des Webens bekannt, auf der anderen<br />

Seite galten sie dennoch als ungelernte<br />

Arbeitskräfte und erhielten wenig<br />

Lohn, sogar weniger als ihre einheimischen<br />

Kolleginnen.<br />

So wurde auf der „Jute“ und im Wohngebiet<br />

um die „Jute“ herum überwiegend<br />

polnisch gesprochen. Die Arbeitsbedingungen<br />

waren hart und belasteten die<br />

Gesundheit, die Wohnverhältnisse eng,<br />

aber dennoch waren die Lebensbedingungen<br />

für viele Eingewanderte besser<br />

als in ihrer alten Heimat.<br />

Die „Jute“ baute werkseigene Wohnungen<br />

und Straßenzüge, so die Fabrikenstraße<br />

(später umbenannt in Albert-Hasemann<br />

Straße) und Am Syndikushof,<br />

wo ausschließlich auf der „Jute“<br />

Beschäftigte wohnten. Und in den angrenzenden<br />

Straßen ( Wormser-, Gerhard-Rolfs-,<br />

Gutenberg- und Gabelsberger<br />

Straße) waren viele „Jute“ Familien<br />

zu Hause.<br />

In einer Untersuchung von 1907 galt<br />

das Wohngebiet um die „Jute“ als das<br />

dicht besiedelste in ganz Bremen. Die<br />

Wohnungen waren überbelegt, da außer<br />

den Familien noch „Schlafgänger“<br />

und Logierer“ untergebracht wurden,<br />

d.h. es wurden zusätzlich Zimmer oder<br />

einzelne Betten für wenig Geld vermietet,<br />

meistens an Arbeiter der Jute. Für<br />

„Jute“-ArbeiterInnen war es kaum möglich<br />

Eigentum zu erwerben; sie wohnten<br />

vergünstigt in den werkseigenen Wohnungen,<br />

erhielten wenig Lohn, und zählten<br />

innerhalb der Arbeiterschaft zur untersten<br />

„Kaste“.<br />

So grenzte man sich als Hafenarbeiter<br />

oder Handwerker auch von den auf der<br />

„Jute“ Beschäftigten ab. Nicht nur die<br />

Sprache und der soziale Status waren eine<br />

Barriere, auch die Religion spielte um<br />

die Jahrhundertwende eine große Rolle:<br />

Viele der „Jute“-Familien waren katholisch,<br />

so dass sich schon 1898 die katholische<br />

Gemeinde in Bremen zum Bau der<br />

St. Mariengemeinde in Walle am Steffensweg<br />

entschied, um den Bedarf der<br />

wachsenden katholischen Bevölkerung<br />

im Westen zu decken. Hier wurde der eigenen<br />

kulturellen Identität Raum gegeben,<br />

hier wurde geheiratet, gefeiert und<br />

getrauert, und sogar die Gottesdienste<br />

fanden mehrsprachig statt. (Man muss<br />

sich vergegenwärtigen, dass es damals<br />

nicht denkbar war, dass Katholiken und<br />

Evangelen z.B. heirateten.). Zur St. Mariengemeinde<br />

gehörten auch Kinderheim<br />

und Schule. (Die St. Mariengemeinde<br />

baute trotz der starken Zerstörung nach<br />

1945 auf dem gleichen Gelände am Steffenweg<br />

ihre Kirche und Gemeindehäuser<br />

wieder auf.)<br />

Kinder- und Säuglingsheim der „Jute“<br />

Da die Lebensbedingungen im Fabrikviertel<br />

um die „Jute“ ausgesprochen<br />

schlecht waren und da viele Frauen, die<br />

auf der „Jute“ beschäftigt waren, etliche<br />

Kinder hatten, die kaum beaufsichtigt<br />

werden konnten, wurde 1907 ein großzügig<br />

angelegtes Kinderheim der „Jute“<br />

eröffnet: Das Heim, direkt an der Nordstraße<br />

gelegen, war modern eingerich-<br />

25


„Gruß aus Bremen“ Postkarte mit Motiven der<br />

Waller Jute<br />

tet mit einer Säuglingsstation, Stillstube,<br />

einer Spiel- und Warteschule, einem<br />

Jungen- und Mädchenhort für schulpflichtige<br />

Kinder bis zum 14. Lebensjahr<br />

und stand ausschließlich den Kindern<br />

der „Jute“-Arbeiterinnen zur Verfügung.<br />

Es hatte offiziell 250 Plätze, war aber in<br />

der Regel überbelegt. Für die Frauen der<br />

„Jute“ war das Kinderheim sicherlich<br />

eine große Entlastung, waren die Kinder<br />

doch nun besser als vorher untergebracht,<br />

auch das Säuglingsheim trug<br />

zum Rückgang von Kindersterblichkeit<br />

und Krankheiten bei. Gleichzeitig bedeutete<br />

diese soziale Versorgung auch<br />

eine starke Bindung der Familien an die<br />

Fabrik und sicherte dem Unternehmen<br />

eine verlässliche Arbeiterschaft. Mehrere<br />

Generationen von „Jute“-ArbeiterInnen<br />

wuchsen so fast auf dem Werksgelände<br />

auf. Es kam häufiger vor, dass<br />

über mehrere Generationen hinweg Eltern<br />

und Großeltern und Urgroßeltern<br />

auf der „Jute“ beschäftigt waren.<br />

„Unsere Jute“?<br />

Trotz eines 10-Stunden Tages, trotz der<br />

schweren Industriearbeit (hohe Luftfeuchtigkeit,<br />

Lärm etc.) und auch trotz<br />

stattfindender Streiks für die Verbesserung<br />

der Arbeitsbedingungen und für<br />

Lohnerhöhungen, haben ehemalige JutearbeiterInnen<br />

erzählt, dass es „ihr“<br />

Betrieb war, und wenn zum Geburtstag<br />

niemand von der „Jute“ mit dem Präsentkorb<br />

kam, dann war es kein richtiger<br />

Geburtstag…<br />

Die Einwanderungswelle zum Ende des<br />

vorletzten Jahrhunderts hatte wirtschaftliche<br />

Gründe. Nach dem 1.Weltkrieg<br />

1919 gab es polnische Familien,<br />

die mit der Gründung des polnischen<br />

Staates zurück in ihre Heimat gingen; es<br />

wurde berichtet, dass diese Rückwanderung<br />

sogar in den Waller Schulen deutlich<br />

spürbar war. Manch einer kam enttäuscht<br />

wieder zurück. Andere blieben<br />

und in alten Adressbüchern erinnern<br />

Namen wie Urbanski, Drabinski oder<br />

Kratky an ihre kulturellen Wurzeln.<br />

Und so kommt es heute noch vor, dass<br />

Kinder oder Enkelkinder fast zufällig bei<br />

der Beschäftigung mit ihrer Familiengeschichte<br />

auf Groß- oder Urgroßeltern<br />

stoßen, die damals der „Jute“ nach Bremen<br />

folgten.<br />

Cecilie Eckler-von Gleich,<br />

Geschichtskontor <strong>Kultur</strong>haus Walle Brodelpott<br />

Literatur<br />

– Unsere Schule, Schülerzeitung der Versuchsschule<br />

an der Helgolander Straße, VI.Jahrgang,<br />

Nummer 3, Bremen März 1927<br />

Marlene Ellerkamp und Brigitte Jungmann:<br />

Frauen in der „Jute“, in: Beiträge zur Sozialgeschichte<br />

Bremens, Heft 6, Universität Bremen<br />

Elke Reining: Arbeitsbedingungen und Arbeitskämpfe<br />

in der Bremer Jute 1924-1933, in: Beiträge<br />

zur Sozialgeschichte Bremens, Heft 6, Universität<br />

Bremen<br />

Bildnachweise<br />

Alle Abbildungen: Geschichtskontor / <strong>Kultur</strong>haus<br />

Walle Brodelpott, Bildarchiv (Tel.3887078)<br />

26


Aus den „Polenberichten“ des Blumenthaler Landrats Berthold<br />

„Mit einem Schlage waren<br />

unleidliche Verhältnisse eingetreten“<br />

Polnisch, katholisch und schlecht bezahlt –<br />

mit der Ankunft polnischer Arbeitskräfte auf<br />

der Blumenthaler Wollkämmerei begann ein<br />

schwieriges Kapitel Migrationsgeschichte<br />

[Foto: Doku Blumenthal]<br />

„Das Boot ist voll“, mit dieser Begründung<br />

rechtfertigte die Schweiz in den<br />

1940er Jahren einst die Übergabe jüdischer<br />

Flüchtlinge an deutsche Grenzer.<br />

Heute findet die Parole eine neue<br />

Verwendung bei der Abwehr europäischer<br />

Migration. In der Bremer Industrialisierung<br />

um 1900 gab aber es eine<br />

Wanderung von Arbeitskräften, die zudem<br />

noch mit einem komplizierten Nationalitätenkonflikt<br />

verquickt war.<br />

Als die Bremer Textilindustrie vor 1900<br />

ihre Arbeitskräfte rund um Posen zu rekrutieren<br />

begann, kamen damals keine<br />

„Ausländer“. Seit der polnischen Aufteilung<br />

an die derzeitigen Großmächte<br />

gab es schon über 100 Jahre keinen<br />

polnischen Staat mehr, die Zuwanderer<br />

waren inzwischen waschechte preußische<br />

Staatsbürger. Und die Industrie<br />

in Bremen-Nord, mit Ausnahme Vegesacks<br />

damals zum preußischen Landkreis<br />

Bumenthal gehörig, bediente sich<br />

mit <strong>Vor</strong>liebe der billigen Arbeitskraft<br />

aus den polnischen Dörfern. Rund um<br />

den Grohner Industriebezirk und die<br />

Blumenthaler Wollkämmerei stammte<br />

plötzlich jeder vierte Einwohner aus den<br />

polnischen Gebieten.<br />

Für den beschaulichen Kahnschiffer-<strong>Ort</strong><br />

war das eine Verkehrung der bisher geordneten<br />

Verhältnisse. Landrat Paul Berthold<br />

berichtete an seine Stader Bezirksregierung<br />

vom „Entsetzen“ der Alteingesessenen:<br />

„Viele Ankömmlinge galten<br />

als eine Art von Halbwilden, weil<br />

sie weder <strong>Vor</strong>hänge an die Fenster, noch<br />

Blumenstöcke auf die Fensterbretter taten,<br />

die hier sonst selbst im Armenhause<br />

nicht fehlten.“ Die Arbeiterhäuser der<br />

Fabrik erschienen den Blumenthalern<br />

derartig exotisch, daß ihre Siedlung vom<br />

Volksmund „Klein-Kamerun“ getauft<br />

wurde. Das größte Ärgernis bildeten<br />

Liebschaften, die als „Einbürgerung der<br />

wilden Ehe“ verpönt waren. Andererseits<br />

verstanden sich die Blumenthaler<br />

aber auch zu arrangieren, der Mangel<br />

an geeigneten Wohnungen führte<br />

zu einem rasanten Anstieg der Mieten.<br />

„Was hier an Raum in den vorhandenen<br />

Gebäuden überhaupt verfügbar war, die<br />

elendesten und ungesundesten Gelasse,<br />

nackte Bodenräume, alle nur irgendwie<br />

entbehrlichen Ställe oder Scheunen,<br />

notdürftig zu Wohnzwecken hergerichtet,<br />

wurde bis auf den letzten Winkel<br />

[...] ausgenutzt“, klagte der Landrat. Mit<br />

einem Wort: „Unleidliche Verhältnisse.“<br />

Als 1905 die überwiegend polnische Belegschaft<br />

der Wollkämmerei eine Lohnerhöhung<br />

forderte und in den Streik<br />

trat, war das für den Landrat Auftakt zu<br />

einer Serie von alljährlichen „Polenberichten“,<br />

die ein Schlaglicht auf die sozialen<br />

Spannungen zwischen Arbeiterbewegung,<br />

Nationalitäten, Kirchen und<br />

der Staatsmacht werfen. Als Vertreter<br />

von Ruhe und Ordnung kritisiert er vor<br />

allem das „völlig unbegreifliche“ Verhalten<br />

des BWK-Chefs, Kommerzienrat Ullrich.<br />

Der hatte seiner Meinung nach eine<br />

„gerechtfertigte Arbeitszeitverkürzung<br />

und Lohnerhöhung“ verweigert.<br />

So waren plötzlich über 1000 Arbeiter<br />

27


und vor allem Arbeiterinnen in die sozialdemokratische<br />

Gewerkschaft eingetreten.<br />

Die in großem Umfang mit Polinnen<br />

arbeitenden Bremer Textilfirmen<br />

galten bis dahin stets als das „Schmerzenskind“<br />

der Gewerkschaften. Die SPD-<br />

Zeitung urteilte: „Die Herren der Wollkämmerei<br />

halten es lieber mit der sozialen<br />

Rückständigkeit des Krautjunkers,<br />

der im Reichstag rief: ‚Die dümmsten Arbeiter<br />

sind uns am liebsten!‘ Darum ziehen<br />

sie ihre Arbeitssklaven aus dem wilden<br />

Osten heran, aus dem Schlaraffenland<br />

der Ausbeuterei, aus den schwärzesten<br />

Winkeln des Aberglaubens.“<br />

Saal-Freiheit für Polen<br />

Trotz solcher Attacken traten die BWK-<br />

Arbeiterinnen jetzt in die Gewerkschaft<br />

ein – damit begann auch die Suche nach<br />

Versammlungsräumen. Auf Betreiben<br />

des Landrats weigerten sich die beiden<br />

Blumenthaler Wirte aber, ihre Säle für<br />

solche Veranstaltungen zu öffnen. Sie<br />

bauten auf die Zusage des Landrats, die<br />

BWK werde den Verdienstausfall ausgleichen.<br />

Als die Arbeiter die Gaststätten<br />

aber über mehr als drei Monate boykottiert<br />

hatten, knickte der Kommerzienrat<br />

von der BWK ein. Besorgt über die<br />

Erbitterung, mit der seine Belegschaft<br />

den Boykott durchführte und interessiert<br />

an der Wiederherstellung des Betriebsfriedens<br />

widerrief er seine Zusage<br />

und ließ damit den Landrat im Regen<br />

stehen. Landrat Berthold musste die<br />

„Saal-Freiheit“ für die Polen anerkennen,<br />

in seinem Bericht kann er nur diagnostizieren,<br />

Ullrich sei „nervös überreizt“.<br />

Alle Jahre wieder bis zum Ersten Weltkrieg,<br />

und nicht nur auf die BWK bezogen,<br />

kritisiert er das Verhalten der<br />

Unternehmer seines Kreises. Angeblich<br />

würden sie ihren Belegschaften zu<br />

nachgiebig gegenüber treten. Bei jeder<br />

Konjunkturflaute moniert er, jetzt<br />

sei die Gelegenheit gekommen, die „Rädelsführer“<br />

aus den Betrieben zu entfernen.<br />

Letztendlich geht es ihm darum,<br />

jegliche organisatorische und politische<br />

Eigenständigkeit mit polnischem<br />

Einschlag zu verhindern. Auch Konflikte<br />

zwischen den katholischen Polen und<br />

ihren deutschen Geistlichen um die Rituale<br />

im Gottesdienst tauchen in seinen<br />

Berichten auf. Die national orientierten<br />

polnischen Sokόł-Turnvereine werden<br />

Objekt seiner Kontrolle und eine Polenfreundliche<br />

Wahlrede eines Sozialdemokraten<br />

empfindet er als Landesverrat.<br />

Einen Auftritt des späteren Reichpräsidenten<br />

Ebert kommentiert er mit<br />

den Worten, dieser habe „in geradezu<br />

ehrloser Weise um die polnischen Stimmen<br />

gebuhlt.“<br />

Polnischer Nationalismus gegen<br />

Germanisierungspolitik<br />

Diese Wahrnehmung ist jedoch keine<br />

Marotte eines beliebigen preußischen<br />

Landrats. Als die Polen 1906 eine eigene<br />

Bremer Zeitung gründen, berichtet das<br />

Osterholzer Kreisblatt: Ihr Ziel bestünde<br />

darin, „die in der Bremer Gegend lebenden<br />

Polen vor der Germanisierung zu<br />

schützen und sie im katholischen Glauben<br />

zu erhalten.“ Tatsächlich dachten<br />

auch polnische Vereinsgründer nicht nur<br />

an die Pflege von heimischen Liedgut<br />

und Volkstänzen. Inzwischen regierte<br />

das Zeitalter von Kolonialismus und Nationalismus.<br />

Damit entbrannte ein Nationalitätenkonflikt<br />

mit den über 2,5 Millionen<br />

Polen im preußischen Osten.<br />

Preußen steuerte tatsächlich einen Kurs<br />

der „Germanisierung“, es verbannte<br />

die polnische Sprache aus den Schulen,<br />

Briefe mit polnischer Adresse mußten<br />

nicht zugestellt werden und mit<br />

immensen Summen versuchte es, polnischen<br />

Grund und Boden in deutsche<br />

Hand zu bringen. Der polnische „Schulkinderstreik“<br />

für den Unterricht in der<br />

polnischen Muttersprache erhitzte das<br />

politische Klima und zahlreiche Vereine<br />

auch im Westen Deutschlands hielten<br />

den Wunsch nach einem eigenen Staat<br />

lebendig. Die preußischen Polizeipräsidenten<br />

unterhielten ein Übersetzungsbüro,<br />

um den Inhalt polnischer Zeitungen<br />

zu überwachen. Wenn der Bochumer<br />

Verein „Wiarus Polski“ seine<br />

„Zehn Gebote für Polen“ veröffentlichte,<br />

bekamen die Landräte die Übersetzung<br />

zugeschickt. Dort las dann Landrat Berthold<br />

neben der Aufforderung, nur polnische<br />

Produkte zu kaufen, auch das religiös<br />

eingefärbte Erste Gebot „Du sollst<br />

kein anderes Vaterland haben neben<br />

mir. Du sollst kein fremdes Land mehr<br />

lieben als mich.“<br />

Aus preußischer und Reichsperspektive<br />

bekamen die polnischen Bestrebungen<br />

damit den Charakter einer Sezessionsbewegung.<br />

Geschürte Ängste<br />

Germanisierungspolitik und polnischer<br />

Nationalismus schaukelten sich gegenseitig<br />

hoch. So kommentierte das Osterholzer<br />

Kreisblatt die polnische Zeitungsgründung<br />

in Bremen auch prompt: „Für<br />

die Unverfrorenheit der polnischen<br />

Propaganda ist diese Zeitungsgründung<br />

sehr bezeichnend.“ Und der Blumenthaler<br />

Landrat sah in der polnischen<br />

Nationalbewegung, die zudem noch<br />

mit der Sozialdemokratie liebäugelte,<br />

die „größte Gefahr“ für seinen industriell<br />

geprägten Landkreis: „Wird dieser<br />

Fremdkörper, der mehr als 10 % der Bewohner<br />

des Kreises umfasst, mehr und<br />

mehr auf gefährliche Bahnen geleitet<br />

[...], so kann im gegebenen Moment eine<br />

ganz verhängnisvolle Explosion herbeigeführt<br />

werden.“<br />

Der tatsächliche Verlauf der Geschichte<br />

zeigt, die preußischen Ängste beruhten<br />

auf Einbildung. Mit dem Ende des<br />

Ersten Weltkrieges entstand wieder<br />

ein polnischer Staat, die Polen im Bremer<br />

Norden aber blieben. Sie hatten ein<br />

besseres Leben fern ihrer armen Dörfer<br />

gesucht und gefunden. Zwei, drei Generationen<br />

nach der Ankunft bei ihrer<br />

BWK gehörten sie genauso zu den Blumenthalern<br />

wie die Arbeitskräfte, die<br />

einst aus Ostfriesland oder anderen Regionen<br />

zu den neuen Arbeitsplätzen gewandert<br />

waren.<br />

Achim Saur<br />

Die „Polenberichte“ des Landrats und zahlreiche<br />

andere Unterlagen zur Geschichte der Industrialisierung<br />

in Bremen Nord findet man im Dokumentationszentrum<br />

Blumenthal, Heidbleek 10.<br />

Anfragen unter 603 90 79.<br />

28


Zur Arbeit nach Bremen verschleppt<br />

Polnische Zwangsarbeiterinnen und –arbeiter<br />

in Bremer Betrieben während der Nazizeit<br />

„Mein Vater arbeitete als Zwangsarbeiter<br />

auf einem Bauernhof in Hamburg-<br />

Wedel. Er ist geflohen und hat es geschafft<br />

nach Hause zurück zu kommen.“<br />

So wie Urszula Wöltjen berichten ausnahmslos<br />

alle unsere polnischen Gesprächspartner<br />

dieser Moje Weer-Ausgabe<br />

von Eltern, Großeltern oder Verwandten,<br />

die die Nazis nach der Besetzung<br />

Polens nach Deutschland verschleppten.<br />

Wer blieb, musste ebenfalls<br />

damit rechnen, für die Besatzer arbeiten<br />

zu müssen. Urszula Wöltjen berichtet<br />

vom Schicksal ihrer Mutter, „die auch ihren<br />

Weg durch die deutsche Hölle gemacht<br />

hat“. Zunächst als Zwangsarbeiterin<br />

einer Fabrik. Dann wurde sie als<br />

Mitglied einer Untergrundorganisation,<br />

die falsche Dokumente für englische<br />

Fallschirmspringer fabrizierte, verhaftet,<br />

ins Gefängnis und später ins Lager<br />

eingesperrt.<br />

2 Millionen Zwangsarbeiter aus Polen<br />

Etwa zwei Millionen Polen wurden während<br />

des Krieges ins Deutsche Reich verschleppt.<br />

Ab Oktober 1939 vermittelten<br />

die Landesarbeitsämter über Bremen<br />

zivile landwirtschaftliche Arbeitskräfte<br />

aus Polen zumeist an Bauern im Bremer<br />

Umland. Im Herbst arbeiteten aber<br />

auch schon Polen in der Industrie. Ausländische<br />

Arbeitskräfte mussten zunehmend<br />

die Lücken füllen, die durch die<br />

Einziehung deutscher Arbeiter an die<br />

Front in den Betrieben entstanden. Ein<br />

Bericht der Deutschen Arbeitsfront geht<br />

für Sommer 1943 von 41 000 „Fremdarbeitern“<br />

im Bremer Stadtgebiet aus.<br />

1942 betrug ihr Anteil bei der Deschimag<br />

AG „Weser“ 12,7 Prozent der Belegschaft,<br />

bei Weserflug und Borgward mehr als<br />

30 Prozent. Alle, auch die kleinsten Betriebe<br />

wie Handwerker und Bäcker beschäftigten<br />

ausländische Arbeiter. Man<br />

vermutet, dass 1945 jeder vierte bis fünfte<br />

Einwohner der Stadt Ausländer war.<br />

Die Nationalsozialisten behandelten<br />

Aushang von vollzogenen Bestrafungen im<br />

Betrieb<br />

Arbeiter aus den besetzten westlichen<br />

Gebieten weitaus besser als Polen und<br />

„Ostarbeiter“ aus der Sowjetunion.<br />

Während die ersteren in der Regel deutschen<br />

Arbeitern gleichgestellt waren,<br />

erhielten Polen und „Ostarbeiter“ nur<br />

ein Taschengeld.<br />

Für die Polen bestand Kennzeichnungspflicht.<br />

Sie mussten sichtbar das Abzeichen<br />

P auf der Kleidung tragen, ein violettes<br />

P auf gelbem Grund. Wer das Abzeichen<br />

verdeckte oder gar entfernte,<br />

wurde bestraft. Alle <strong>Vor</strong>schriften zielten<br />

darauf ab, die polnischen Menschen von<br />

den Deutschen zu separieren und sie als<br />

minderwertige Rasse zu diskriminieren.<br />

Dazu gehörten Ausgehverbote, Verbot<br />

des Kirchgangs, der Benutzung öffentlicher<br />

Grünanlagen bis zum Verbot, Friseurgeschäfte<br />

zu betreten.<br />

In Polen entwickelten die Nazis die ersten<br />

Umrisse eines gigantischen Umsiedlungs-<br />

und Vernichtungsplan in den<br />

eroberten Ostgebieten. Im Kern sah der<br />

so genannte „Generalplan Ost“ die Deportierung<br />

von 31 Millionen „Fremdvölkischen“<br />

nach Osten und deren Vernichtung<br />

vor. In den annektierten Gebieten<br />

sollten einige Millionen Deutsche angesiedelt<br />

werden. Namhafte deutsche<br />

Wissenschaftler hatten bereits in den<br />

1920er Jahren die Grundlagen für die<br />

„Germanisierungspolitik“ des Ostens<br />

geliefert. Ein Bestandteil dieser Sammlung<br />

„deutschen Blutes“ war es auch, in<br />

den unterworfenen Gebieten die Menschen<br />

herauszufiltern, die nach den rassischen<br />

Kategorien der Nazis „eindeutschungsfähig“<br />

waren.<br />

Rassitisch und Frauenverachtend<br />

In ihrem rassistischen Wahn verfolgten<br />

die Nazibehörden unter drakonischen<br />

Strafandrohungen geschlechtliche Beziehungen<br />

zwischen polnischen und<br />

Ostarbeitern und deutschen Frauen. In<br />

einer vertraulichen Anordnung an die<br />

Landesarbeitsämter warnt der Reichsarbeitsminister<br />

im November 1939: „Der<br />

Einsatz volksfremder Arbeitskräfte und<br />

die Unterbringung der großen Massen<br />

polnischer Gefangener in Deutschland<br />

erfordern eine intensive Aufklärung<br />

des Volkes über die Gefahr einer<br />

Vermischung mit Fremdvölkischen. Die<br />

Reinerhaltung deutschen Blutes ist nationalsozialistisches<br />

Gebot. Wer sich dagegen<br />

versündigt, verliert Ehre und Achtung.“<br />

Über eine Hinrichtung berichtet<br />

Christoph Schminck-Gustavus: Ein<br />

polnischer Landarbeiter starb auf der<br />

Bahrsplate am Galgen, weil er etwas<br />

mit einem deutschen Mädchen gehabt<br />

haben soll. Das Mädchen musste bei der<br />

Exekution mit kahl rasiertem Kopf daneben<br />

stehen 1 .<br />

Die polnischen Zwangsarbeiter sperrte<br />

man zum größten Teil in Lager. Für das<br />

Jahr 1944 ist die Existenz von 200 Bremer<br />

Lagern bezeugt, die über das gesamte<br />

Stadtgebiet verteilt lagen. In<br />

der Nachkriegszeit wurde das Schicksal<br />

der Menschen aus diesen Lagern weitgehend<br />

verdrängt. Viele Firmen, die<br />

Zwangsarbeiter beschäftigt hatten, be-<br />

29


Auch auf der Norddeutschen Hütte, den Stahlwerken in Gröpelingen, arbeiteten Zwangsarbeiter<br />

aus Polen<br />

haupteten, dass die Unterlagen darüber<br />

verschwunden seien.<br />

Durch einen glücklichen Zufall wurde<br />

beim Nachfolgebetrieb der Norddeutschen<br />

Hütte, den Bremer Stahlwerken,<br />

eine Kartei der Zwangsarbeiter entdeckt,<br />

die genauere Angaben über Zusammensetzung<br />

und Lebensumstände<br />

der ausländischen Arbeiter während der<br />

Nazizeit erlaubt. 2<br />

437 polnische Arbeiterinnen und Arbeiter<br />

arbeiteten zwischen 1939 und 1945<br />

auf der Norddeutschen Hütte bei der<br />

Koks- Eisen- und Zementherstellung. Sie<br />

stellten das größte Kontingent ausländischer<br />

Arbeiter. Nur 34 von ihnen konnten<br />

bei Privatleuten wohnen, die anderen<br />

waren in verschiedenen Lagern, entweder<br />

auf dem Gelände der Hütte oder<br />

an der Grambkermoorer Landstraße untergebracht.<br />

Die Lager waren eingezäunt<br />

und wurden bewacht.<br />

Die Verpflegung war trotz der schweren<br />

Arbeit auf der Hütte äußerst mangelhaft.<br />

Essen für Polen und Ostarbeiter<br />

wurde zwar ebenfalls in der Werkskantine,<br />

aber gesondert von dem der Deutschen<br />

und Westarbeiter gekocht. Ein<br />

deutscher Augenzeuge berichtet über<br />

das Essen: „Da war Spinat, unzerkleinert<br />

in langen Stängeln, und so schlecht gekocht,<br />

dass es nicht die Schweine fressen<br />

würden.“ Die Polen und Ostarbeiter<br />

waren deshalb immer auf der Suche<br />

nach etwas Essbaren, versuchten Kartoffeln<br />

oder Rüben aus der Küche oder<br />

von den Äckern der Bauern mitzunehmen,<br />

um sie nachts im Lager zu kochen.<br />

Wer erwischt wurde, erhielt empfindliche<br />

Geldstrafen. Diese betrieblichen<br />

Strafen wurden zur Abschreckung im<br />

Betrieb ausgehängt. Unter Umständen<br />

aber wurde auch die Gestapo eingeschaltet.<br />

So erging es dem ukrainischen<br />

Arbeiter Alexej Ponomarjow. Er zapfte<br />

sich auf dem Weg von der Arbeitsstelle<br />

ins Lager aus der Milchkanne eines Bauern<br />

etwas Milch ab, wurde erwischt und<br />

von der Gestapo ins KZ Neuengamme<br />

eingewiesen.<br />

„Arbeitserziehungslager“ für<br />

Flüchtlinge<br />

Wer die bitteren Lebensumstände nicht<br />

mehr aushielt oder von Heimweh ergriffen<br />

versuchte nach Hause zu kommen,<br />

wurde ebenfalls von der Gestapo<br />

verfolgt. Die Zwangsarbeiterkartei<br />

der Norddeutschen Hütte enthält bei<br />

97 polnischen Arbeitern den Vermerk<br />

„Bummeln“, bei 34 den Hinweis „abgerückt“<br />

und bei weiteren 24 die Eintragung<br />

„über Urlaub“. In all diesen Fällen<br />

verschwanden die Betreffenden von der<br />

Arbeitsstelle oder kamen aus einem Urlaub<br />

nicht nach Bremen zurück. Wurden<br />

sie erwischt, kamen die Unglücklichen<br />

in der Regel in ein Arbeitserziehungslager.<br />

Wer nach einigen Wochen in den<br />

Betrieb zurück überwiesen wurde, war<br />

häufig vollkommen abgemagert und<br />

zerschlagen. Auch Haft ist in einigen<br />

Fällen von den Personalbearbeitern der<br />

Hütte vermerkt worden. Drei Karteikarten<br />

tragen die Bemerkung „Gestapo“, 24<br />

den Vermerk „in Haft“.<br />

Die Nazi-Behörden verschleppten auch<br />

ganze Familien nach Deutschland. Im<br />

Dezember 1939 hatten die Besatzungsbehörden<br />

in Polen die Arbeitspflicht<br />

auch für vierzehnjährige Kinder festgelegt.<br />

In der Kartei der Norddeutschen<br />

Hütte findet sich der Name von Terese<br />

Ludkowski aus Marianova, Kreis Konin<br />

in der Nähe von Poznan. Sie war 14 Jahre<br />

alt, als man sie mit ihren Eltern zur Arbeit<br />

auf der Hütte zwang. Alle Drei fingen<br />

am 6. Juli 1944 im Betrieb an und<br />

wohnten im Lager auf dem Hüttengelände.<br />

Sie verließen den Betrieb, als die<br />

britischen Truppen am 27. April 1945 Bremen<br />

besetzten. Wo die jüngeren Geschwister<br />

von Terese, Josef und Kasimir,<br />

damals acht und drei Jahre alt geblieben<br />

sind, ist auf den Karteikarten nicht<br />

vermerkt. Lebten sie im Lager, waren sie<br />

in Polen zurückgeblieben?<br />

Eine erhebliche Zahl polnischer Arbeiterinnen<br />

und Arbeiter sahen die Heimat<br />

nicht wieder. Die Kartei der Hütte verzeichnet<br />

15 Todesfälle. Bei einigen notierten<br />

die Personalsachbearbeiter auch<br />

die Todesursache: gestorben durch Arbeitsunfälle<br />

oder durch Fliegerbomben.<br />

Eine unbekannte Zahl starb in Haft oder<br />

wurde hingerichtet, so wie der 16jährige<br />

Walerjan Wróbel, der aus Heimweh<br />

den Hof des Bauern anzündete, bei dem<br />

er arbeiten musste, in der naiven Hoffnung,<br />

dann nach Hause abgeschoben<br />

zu werden. Er wurde zum Tode verurteilt<br />

und hingerichtet. Christoph Schminck-<br />

Gustavus hat ihm in dem Buch „Das<br />

Heimweh des Walerjan Wróbel“ eine<br />

bewegende Erinnerung gewidmet.<br />

Eike Hemmer<br />

Anmerkungen<br />

1 Christoph Schminck-Gustavus, Hungern für<br />

Hitler, Erinnerungen polnischer Zwangsarbeiter<br />

im Deutschen Reich 1940-1945<br />

2 Vgl. Hemmer/Milbradt, Bei Bummeln drohte<br />

Gestapohaft, Zwangsarbeit auf der Norddeutschen<br />

Hütte während der NS-Herrschaft<br />

30


POLEN SEHEN<br />

Polnische Kunst und <strong>Kultur</strong> aus Polen und Bremen<br />

5.–12. Oktober 2008 - Das Programm<br />

31


5.–12. Oktober 2008 - Das Programm<br />

Sonntag, 05.10.2008<br />

Eröffnung der Polnischen Tage<br />

16:00 Uhr<br />

Performance Bremer Stadtmusikanten<br />

Dienstag, 07.10.2008<br />

11:00 - 11:45, 14:00 – 14:45, 17:00 – 17:45 Uhr<br />

Folklore – Musik „Die Kowalski´s”<br />

Bühne Rathausplatz<br />

17:30 Uhr<br />

Offizielle Eröffnung in der Oberen Rathaushalle<br />

¬- Tymon Tymański Yass Ensemble<br />

Jazzkonzert<br />

19:00 Uhr<br />

Richtig Polen!<br />

Schallplatten aus Polen aufgelegt von Tomek<br />

Woźniakowski auf dem Marktplatz<br />

ab 21:00 Uhr<br />

Visualisierung - Videokunstpräsentation „playtime.<br />

s and 2 zeros“ von Dorota Walentynowicz<br />

am Marktplatz<br />

ab 16:00 Uhr<br />

Informationsbörse und Kulinarische Präsentation<br />

am Marktplatz<br />

18:00 Uhr<br />

Mikołaj Trzaska Trio<br />

Jazzkonzert<br />

Kunsthalle/Cage-Raum, Am Wall 207, 28195<br />

Bremen<br />

19:00 – 22:00 Uhr<br />

Hevelius Brass, Gdańsk<br />

Dixie – Musik<br />

Bühne Marktplatz<br />

20:00 Uhr<br />

„Herr Cogito - Alchemist der Halluzinationen“<br />

Zbigniew Herbert Abend mit Teatr Okazjonalny<br />

und Erik Roßbander<br />

Lesung und Tanzperformance<br />

Concordia Theater, Schwachhauser Heerstraße<br />

17, 28203 Bremen<br />

20:00 Uhr<br />

„Aktion“<br />

Tanzperformance des polnischen Tanztheaterkollektivs<br />

Good Girl Killer nach einem Stück von<br />

Sam Shepard<br />

Schwankhalle Bremen, Buntentorsteinweg 112,<br />

28201 Bremen<br />

Mittwoch, 08.10.2008<br />

10:00 - 20:00 Uhr<br />

Revitalisierung postindustrieller Areale - Erfahrungen<br />

in Gdańsk und Bremen<br />

Tagung<br />

Speicher XI in der Überseestadt, Roter Salon<br />

Am Speicher XI, 28217 Bremen<br />

11:00 - 11:45, 14:00 – 14:45, 17:00 – 17:45 Uhr<br />

Folklore – Musik „Die Kowalski´s”<br />

Bühne Marktplatz<br />

16:00 – 16:35 Uhr<br />

Jugendchor Bremen<br />

Polnische Lieder<br />

Bühne Marktplatz<br />

19:00 Uhr<br />

Polnische Literatur von Mikołaj Rej bis Dorota<br />

Masłowska<br />

Literaturabend<br />

Zentralbibliothek, Am Wall 201, Wall-Saal, 28195<br />

Bremen<br />

19:00 – 22:00 Uhr<br />

Hevelius Brass<br />

Dixie – Musik<br />

Bühne Marktplatz<br />

Montag, 06.10.2008<br />

11:00 - 11:45, 14:00 – 14:45, 17:00 – 17:45 Uhr<br />

Folklore – Musik „Die Kowalski´s”<br />

Bühne Rathausplatz<br />

21:00 Uhr<br />

„Ijon Tichy: der Raumpilot“ frei nach „Sterntagebücher“<br />

von Stanisław Lem<br />

Filmvorführung, anwesend Regisseur und<br />

Hauptdarsteller Oliver Jahn und Regisseur Denis<br />

Jacobson<br />

zakk klubraum Sielpfad 11, 28203 Bremen<br />

16:30 Uhr<br />

Eröffnung der Ausstellung von Olga Szubartowicz<br />

„… dem Schicksal kann man sich widersetzen…“<br />

06.10.2008-19.10.2008<br />

Roland Klinik, Ambulantes Zentrum, Niedersachsendamm<br />

72/74, 28201 Bremen<br />

Polnische Animations- und Spielfilme unter dem<br />

Motto „Die Polen und der Patriotismus“<br />

18:00 Uhr<br />

1.Teil der Anthologie des Animationsfilms<br />

20:00 Uhr<br />

Spielfilm „Langes Wochenende“ (Regie: Robert<br />

Gliński, 2004)<br />

Kino Schauburg, <strong>Vor</strong> dem Steintor 114, 28203<br />

Bremen<br />

32


Donnerstag, 09.10.2008<br />

11:00 - 11:45, 14:00 – 14:45, 17:00 – 17:45 Uhr<br />

Folklore – Musik „Die Kowalski´s”<br />

Bühne Marktplatz<br />

16:00 – 16:35 Uhr<br />

Jugendchor Bremen<br />

Polnische Lieder<br />

Bühne Marktplatz<br />

16:00 - 19:00 Uhr<br />

Der polnische (Personal) Markt<br />

<strong>Vor</strong>träge und Erfahrungsberichte<br />

Handelskammer Bremen, Am Markt 13, Haus<br />

Schütting, 28195 Bremen<br />

19:00 – 22:00 Uhr<br />

Hevelius Brass<br />

Dixie – Musik<br />

Bühne Marktplatz<br />

Im Reisebüro: Wir wollen in ein nettes Land ohne Lustration<br />

Andrzej Mleczko<br />

20:30 Uhr<br />

Filmland Polen<br />

Spielfilm „Tricks“ (Regie: Andrzej Jakimowski,<br />

2007)<br />

Kino 46, Waller Heerstr. 46, 28217 Bremen<br />

22:30 Uhr<br />

Piotr Lemańczyk International Quartet<br />

Jazzkonzert<br />

Schwankhalle Bremen, Alter Saal, Buntentorsteinweg<br />

112, 28201 Bremen<br />

Freitag, 10.10.2008<br />

Lustration meint die Praxis in Postkommunistischen Staaten, Menschen, die mit dem früheren Regime<br />

zusammenarbeiteten, zu entlarven und von öffentlichen Ämtern auszuschließen. In Polen wurde<br />

das Thema im Jahre 2005 erneut angeheizt, als ein Journalist eine Liste mit 160 000 Namen aus<br />

dem Institut für Nationale Erinnerung veröffentlichte. Das Institut ist eine ähnliche Einrichtung wie<br />

die Bundesbehörde für die Stasi-Unterlagen in Deutschland. Zu denen, die in der jüngsten Kampagne<br />

verdächtigt werden, mit der Staatssicherheit des kommunistischen Regimes zusammengearbeitet zu<br />

haben, gehören auch zwei frühere Staatspräsidenten: Aleksander Kwaśniewski und Lech Wałésa.<br />

17:00 Uhr<br />

Sportlicher Vergleich von Junioren und Juniorinnen-Mannschaften<br />

Fußball<br />

Sportanlage am Weserstadion, Platz 12, 28205<br />

Bremen<br />

19:00 Uhr<br />

„Städtebilder: Bremen-Danzig-Riga“<br />

Buchpräsentation<br />

Janusz-Korczak-Haus, Osterdeich 6, 28203 Bremen<br />

11:00 - 11:45, 14:00 – 14:45, 17:00 – 17:45 Uhr<br />

Folklore – Musik „Die Kowalski´s”<br />

Bühne Marktplatz<br />

14:00 - 17:00 Uhr<br />

Von der Solidarność zur III. Republik - unabhängige<br />

politische Satire und politische Opposition in<br />

den achtziger Jahren<br />

Filmprojektion, <strong>Vor</strong>trag, Eröffnung der Ausstellung:<br />

15.30 Uhr Forschungsstelle Osteuropa<br />

14:30 Uhr<br />

Verleihung des Preises des Generalkonsuls der<br />

Republik Polen Andrzej Osiak für die beste Abschlussarbeit<br />

über Polen<br />

Forschungsstelle Osteuropa, Osteuropagebäude<br />

der Universität Bremen, Klagefurterstrasse 3,<br />

28359 Bremen<br />

17:00<br />

„Kochen wie ein Pole“<br />

Kochkurs polnische Küche<br />

Bühne Marktplatz<br />

19:00 Uhr<br />

Adam Gusowski und Piotr Mordel Leutnant-<br />

Show<br />

Show mit dem „Club der Polnischen Versager“<br />

aus Berlin<br />

<strong>Kultur</strong>zentrum Schlachthof, Findorffstr. 51,<br />

28215 Bremen<br />

19:00 – 22:00 Uhr<br />

Hevelius Brass<br />

Dixie – Musik<br />

Bühne Marktplatz<br />

19:00 Uhr<br />

Eröffnung der Ausstellung Katarzyna Kozyra<br />

„Strafe und Verbrechen“<br />

11.10.2008 bis 16.11.2008<br />

Neues Museum Weserburg, Teerhof 20, 28199<br />

Bremen<br />

20:00 Uhr<br />

“Galaktisches Gewitter - Galaktyczna Burza“<br />

Buchpräsentation<br />

Janusz-Korczak-Haus, Osterdeich 6, 28203 Bremen<br />

20:30 Uhr<br />

Music Bridges präsentiert:<br />

Radio Bagdad (Gdańsk) und urban noise discount<br />

(Bremen)<br />

Konzert<br />

Lila Eule, Bernhardstr. 10, 28203 Bremen<br />

16:00 – 16:35 Uhr<br />

Jugendchor Bremen<br />

Polnische Lieder<br />

Bühne Marktplatz<br />

22:00 Uhr<br />

Jackpot Entertainment Amon & Alako und<br />

Friends spielen ihre Tracks<br />

Konzert<br />

<strong>Kultur</strong>zentrum Schlachthof, Findorffstr. 51,<br />

28215 Bremen<br />

33


5.–12. Oktober 2008 - Das Programm<br />

Sonntag, 12.10.2008<br />

11:00 - 11:45, 14:00 – 14:45, 17:00 – 17:45 Uhr<br />

Folklore – Musik „Die Kowalski´s”<br />

Bühne Rathausplatz<br />

17:00<br />

„Kochen wie ein Pole“<br />

Kochkurs polnische Küche<br />

Bühne Rathausplatz<br />

Montag, 13.10.2008<br />

Polnische Animations- und Spielfilme unter dem<br />

Motto „Die Polen und der Patriotismus“<br />

18:00 Uhr<br />

2. Teil der Anthologie des Animationsfilms<br />

Samstag, 11.10.2008<br />

11:00 - 12:00 oder 12.00 - 13:00 Uhr<br />

Volksgruppe Polonia<br />

Bühne Marktplatz<br />

14:00 – 14:45, 17:00 – 17:45 Uhr<br />

Folklore – Musik „Die Kowalski´s”<br />

Bühne Marktplatz<br />

16:00 Uhr<br />

Bremer Leselust: Polnische Märchen mit Olga<br />

Rudi<br />

Märchen Lesung<br />

Böttcherstraße, Kunst&GeschichtenLaden, Sieben-Faulen-Hof,<br />

28195 Bremen<br />

20:00 Uhr<br />

Spielfilm: „Morgen gehen wir ins Kino“ (Regie:<br />

Michał Kwieciński, 2007)<br />

Kino Schauburg, <strong>Vor</strong> dem Steintor 114, 28203<br />

Bremen<br />

Sonntag, 19.10.2008<br />

11:00 Uhr<br />

Małgorzata Walentynowicz<br />

Klavierkonzert<br />

12:00 Uhr<br />

„Polnischer Spaziergang durch das Focke-Museum“<br />

Schwachhauser Heerstraße 240, 28213 Bremen<br />

Montag, 20.10.2008<br />

Polnische Animations- und Spielfilme unter dem<br />

Motto „Die Polen und der Patriotismus“<br />

18:00 Uhr<br />

3. Teil der Anthologie des Animationsfilms<br />

20:00 Uhr<br />

Spielfilm „Die Ulanen kommen“ (Regie: Sylwester<br />

Chęciński, 2005)<br />

Kino Schauburg, <strong>Vor</strong> dem Steintor 114, 28203<br />

Bremen<br />

16:00 – 16:35 Uhr<br />

Siegerehrung des Fußballspiels Vergleich von<br />

Junioren und Juniorinnen-Mannschaften<br />

Bühne Marktplatz<br />

19:00 Uhr<br />

Katarzyna Sowula „Auftrieb“<br />

Lesung in polnischer und in deutscher Sprache<br />

Böttcherstraße, Kunst&GeschichtenLaden, Sieben-Faulen-Hof,<br />

28195 Bremen<br />

19:00 - 20:00 Uhr<br />

Volksgruppe Polonia<br />

Bühne Marktplatz<br />

23:00 Uhr<br />

Music Bridges präsentiert:<br />

Konzert: Skinny Patrini (Gdańsk), Goldfish und<br />

der Dulz, Karolin Mueller (Hi Freaks, Bremen)<br />

Videoperformance: „Cavalleris“ von Maciej Szupica<br />

(Gdańsk)<br />

Tanzperformance: „Verwucherter Verstand“ von<br />

Leon Dziemaszkiewicz (Gdańsk)<br />

Spedition am Güterbahnhof, 28195 Bremen<br />

34


Ausstellungen:<br />

Licht(h)aus<br />

Ausstellung - Licht und „umzu“<br />

26.09.2008-12.10.2008<br />

Eröffnung: Freitag, 26.09.2008 um 20:30 Uhr<br />

Lichthaus, Hermann Prüser Strasse 4, 28237<br />

Bremen, Gröpelingen<br />

Von der Solidarność zur III. Republik – unabhängige<br />

politische Satire und politische Opposition in<br />

den achtziger Jahren<br />

10.10.2008-31.10.2008<br />

Eröffnung: Freitag, 10.10.2008 um 15:30<br />

Forschungstelle Osteuropa<br />

Osteuropagebäude der Universität Bremen, Klagefurterstrasse<br />

3, 28359 Bremen<br />

„Gemeinsam aber getrennt“<br />

Kunstausstellung<br />

27.09.2008 – 12.10.2008<br />

Postamt 5, An der Weide 50, 3.OG<br />

Eröffnung : Samstag, 27.09.2008 um 17:00 Uhr<br />

„Strafe und Verbrechen“<br />

Ausstellung von Katarzyna Kozyra<br />

10.10.2008-16.11.2008<br />

Eröffnung: Freitag, 10.10.2008 um 19:00 Uhr<br />

Neues Museum Weserburg, Teerhof 20, 28199<br />

Bremen<br />

Weiteres:<br />

Kulinarische Woche „Polnische Küche“<br />

06.10.2008– 12.10.2008<br />

Chopin das Restaurant<br />

Dammweg 1, 28211 Bremen<br />

Weitere Informationen:<br />

www.polen-sehen.de<br />

Licht(h)aus, Ausstellung - Licht und „umzu“<br />

26.09.2008-12.10.2008<br />

„Tor zur Welt. Die Häfen Danzig und Gdynia in<br />

der polnischen Malerei des 20. Jahrhunderts.“<br />

Eine Gemäldeausstellung in Kooperation mit<br />

dem Zentralen Meeresmuseum Danzig<br />

28.09.2008 bis 26.10.2008<br />

Eröffnung: Sonntag, 28.09.08 um 11:00 Uhr<br />

Hafenmuseum Speicher XI; Roter Saal 3.OG, Am<br />

Speicher XI 1, 28217 Bremen<br />

Olga Szubartowicz<br />

Ausstellung<br />

06.10.2008- 19.10. 2008<br />

Eröffnung: Montag, 06.10.2008 um 16:30 Uhr<br />

durch Olga Szubartowicz.<br />

Öffnungszeiten: Montag bis Freitag, 08:00 Uhr<br />

bis 17:00 Uhr<br />

Roland Klinik, Ambulantes Zentrum, Niedersachsendamm<br />

72/74, 28201 Bremen<br />

35


Feuerspuren 08<br />

„Ihr braucht keine Angst mehr zu<br />

Ab heute entscheidet Ihr<br />

Am 8. November steht Gröpelingen wieder ganz im Zeichen der Erzählkunst<br />

An 14 besonderen <strong>Ort</strong>en erwarten über 30 Erzählerinnen und Erzähler ihr Publikum.<br />

Zu hören sind Geschichten für Kinder und Erwachsene in vielen verschiedenen Sprachen.<br />

Schon immer versammelten sich<br />

Menschen in den dunklen Winterwochen<br />

am Feuer, um sich Geschichten zu<br />

erzählen.<br />

Im flackernden Schein brachten die<br />

Erzähler ihre Zuhörer zu sehnsuchtsvollem<br />

Seufzen, lautem Gelächter oder<br />

atemlosen Schaudern.<br />

Heute ist diese Kunst des freien Erzählens<br />

fast verloren gegangen. Bei den<br />

Feuerspuren 08, dem Erzählfestival von<br />

<strong>Kultur</strong> <strong>Vor</strong> <strong>Ort</strong> und dem Bürgerhaus<br />

Oslebshausen lebt dieses großartige<br />

alte Mundwerk wieder neu auf.<br />

Kaum ein anderer Stadtteil eignet sich<br />

für ein Erzählfestival so gut wie Gröpelingen<br />

im Bremer Westen. Menschen<br />

aus über 120 Nationen leben hier, mehr<br />

als 40 Sprachen werden hier gesprochen.<br />

Am 7. und 8. November 2008 wird diese<br />

Vielfalt zum Klingen gebracht. Als<br />

Abschlussveranstaltung des Mundwerk<br />

Erzählfestivals heizen auf der<br />

Straße Feuerkünstler ihrem Publikum<br />

ein, während sich die Zuhörer in der<br />

Moschee über die Weisheiten des Nasreddin<br />

Hoça amüsieren, im Copy-Shop<br />

Greutsch gesprochen wird und man<br />

bei Bauer Gäbel Geschichten aus dem<br />

Schweinestall hört.<br />

Entlang der Lindenhofstraße, der alten<br />

Dorfstraße des Quartiers, sind gemeinsam<br />

mit Initiativen und Einzelhändlern<br />

14 besondere <strong>Ort</strong>e entstanden, an<br />

denen im 45-minütigem Rhythmus<br />

Geschichten erzählt werden.<br />

Das Besondere an Feuerspuren ist die<br />

Zusammenarbeit von Profierzählern<br />

aus dem deutschsprachigen Raum mit<br />

begeisterten Erzählern aus dem Quartier.<br />

Unter der künstlerischen Leitung<br />

von Stefanie Becker mit Unterstützung<br />

der Volkshochschule Bremen-West haben<br />

im <strong>Vor</strong>feld verschiedene Aktivisten<br />

ihre eigenen Stories und Geschichten<br />

erarbeitet, mit denen sie sich während<br />

der Feuerspuren präsentieren.<br />

Feuerspuren 08<br />

36<br />

Das internationale Erzählfestival in Gröpelingen


haben.<br />

selbst, wen ich fresse ...“<br />

<strong>Kultur</strong> <strong>Vor</strong> <strong>Ort</strong> hat auch Schulklassen<br />

die Möglichkeit gegeben, in Workshops<br />

ein Programm für die Feuerspuren zu<br />

erarbeiten. Die Kinder verschiedener<br />

Gröpelinger Schulen werden in diesem<br />

Jahr im Balance-Restaurant ihre Bühne<br />

haben.<br />

Auch auf der Straße wird erzählt. Kurze<br />

Geschichten im <strong>Vor</strong>übergehen sind<br />

zu hören, während allerlei seltsame<br />

Gestalten die Straße bevölkern oder die<br />

Feuerkünstler ihr bestes geben.<br />

Am Juchtershof laden die Bewohnerinnen<br />

wieder zum gemütlichen Tee am<br />

Lagerfeuer ein und wer hier spontan<br />

selbst eine Geschichte erzählen will, ist<br />

herzlich willkommen .<br />

Das umfangreiche Programmheft mit<br />

dem markanten Design der Gruppe für<br />

Gestaltung dient als Wegweiser durch<br />

das vielseitige Erzählprogramm. So<br />

kann man sich schon im <strong>Vor</strong>feld sein<br />

ganz persönliches Programm zusammenstellen.<br />

Im Programmheft finden<br />

sich auch Hinweise darauf, welche Erzählorte<br />

besonders für kleinere Kinder<br />

geeignet sind.<br />

Wer einfach spontan über die Lindenhofstraße<br />

flaniert, erkennt die Erzählorte<br />

an den auffälligen bunten Stelen,<br />

die jeweils den Eingang markieren.<br />

Ein wichtiger Anlaufpunkt für Kinder<br />

ist der Bibliotheksplatz. Hier erwartet<br />

das Mobile Atelier von <strong>Kultur</strong> <strong>Vor</strong> <strong>Ort</strong><br />

die jüngsten Feuerspurenbesucher.<br />

Gemeinsam mit den Künstlerinnen des<br />

Ateliers verwandeln die Kinder die alte<br />

Kastanie in einen glitzernden Feuervogel.<br />

(siehe Seite 39)<br />

Schon am <strong>Vor</strong>abend zum Straßenfestival<br />

werden in der Langen Nacht des<br />

Erzählens die Besten der Zunft im Saal<br />

des LICHTHAUS zu hören sein. (siehe<br />

Seite 38)<br />

Das HörBuch zum Festival<br />

Feuerspuren<br />

Die Welt zu Hause in Bremen –<br />

Geschichten und Musik<br />

Die besten Geschichten der Gröpelinger<br />

Feuerspuren hat <strong>Kultur</strong> <strong>Vor</strong> <strong>Ort</strong> für<br />

dieses Hörbuch zusammengestellt:<br />

Melonen im Space-Park, Geschichten<br />

von kleinen Teufelchen und polnischen<br />

Prinzessinnen, vom Kochkessel,<br />

der ein Kind bekam und die<br />

Antwort auf die Frage, warum überall<br />

in der Welt ein bisschen Weisheit<br />

anzutreffen ist.<br />

Mit Julia Klein, Marco Holmer, Magdalena<br />

Ziomek-Beims, Willy Schwarz<br />

u.v.a.<br />

Erhältlich während des Festivals zum <strong>Vor</strong>zugspreis<br />

von 5 Euro.<br />

Aktuelle Informationen:<br />

www.kultur-vor-ort.com<br />

www.mundwerk-nordwest.de<br />

Gefördert vom Senator für <strong>Kultur</strong><br />

Dieses Projekt wird<br />

von der Europäischen<br />

Union kofinanziert<br />

37


Freitag, 7. November, 19-24 Uhr, Auftakt zu den Feuerspuren 08<br />

Die lange Nacht des Erzählens<br />

Martin Ellrodt (Nürnberg) ist in der<br />

Welt zu Hause. Der polyglotte Geschichtensammler<br />

und Erzähler entdeckt<br />

überall kleine und große Themen<br />

und wechselt in atemberaubenden<br />

Tempo zwischen Sprachen und Situationen,<br />

zwischen uralten Erzählstoffen<br />

und postmodernen Storys.<br />

Mehmet Dalkiliç (Engerwitzdorf) ist<br />

gebürtiger Türke und lebt in Österreich.<br />

Womöglich ist es diese Verbindung, die<br />

die traditionellen Nasreddin-Hoça-Geschichten<br />

der Türkei aus seinem Munde<br />

zu einem wunderbar erfrischenden<br />

Erlebnis werden lassen: Wenn Mehmet<br />

zwischen breitem oberösterreichisch<br />

und türkisch hin und her wechselt, ist<br />

er schon fast selbst ein witziger und<br />

überaus moderner Nasreddin.<br />

Tormenta Jorbateh (München) wurde in<br />

Gambia von der alten Griot-Familie Jorbateh<br />

adoptiert. Griots sind die Musiker<br />

und Geschichtenerzähler Westafrikas<br />

und Tormenta reist seitdem als bisher<br />

einziger weißer Griot um die Welt. Er<br />

erzählt in Deutsch und manchmal auch<br />

in Madinka und begleitet sich dabei<br />

selbst auf der Kora, einer 21-saitigen<br />

Harfenlaute.<br />

Julia Klein (Bremen) ist dem Bremer<br />

Publikum als Geschichtenhändlerin<br />

Amalia bestens bekannt. Sie betritt den<br />

Raum mit einem charmanten Lächeln<br />

und einem Anglersitz, in dem sich alles<br />

befindet, was sie zum Erzählen braucht.<br />

Bald ist der Raum erfüllt von abgründigen<br />

oder witzigen, alten und noch nie<br />

erzählten Geschichten.<br />

Wenn der italo-amerikanische Sänger<br />

und Komponist Willy Schwarz die Bühne<br />

betritt, dann bringt er eine Menge<br />

Instrumente aus aller Welt mit. Willy<br />

Schwarz erzählt in seinen Balladen und<br />

Songs von den vielen Begegnungen, die<br />

er auf seinen musikalischen Expeditionen<br />

um die Welt erleben konnte. Und<br />

so blitzen in seiner Musik die Spuren<br />

unterschiedlichster Menschen an unterschiedlichen<br />

<strong>Ort</strong>en auf – alles andere<br />

als gefällige Mainstream-Weltmusik.<br />

Ausklang an der Feuerspuren-Lounge<br />

LICHTHAUS, Hermann Prüser Straße<br />

Eintritt: 8 Euro, ermäßigt 4 Euro.<br />

Familienkarte: Zwei Erwachsene + Kinder: 10<br />

Euro<br />

Kartenvorverkauf: <strong>Kultur</strong> <strong>Vor</strong> <strong>Ort</strong><br />

T. 0421-6197727<br />

38


Feuerspuren auf der Straße<br />

Feuerwerk am Winterhimmel<br />

Samstag, 8. November, 15-19 Uhr<br />

Feuervögel und Lichtermeer<br />

Auf der gesamten Lindenhofstraße<br />

dreht sich am 8. November alles ums<br />

Feuer. Während in den Erzählstationen<br />

das Publikum bei mollig-warmen Temperaturen<br />

gebannt den Geschichten<br />

lauscht, verwandelt sich die Straße in<br />

einen feurigen Parcour: Flammende<br />

Walking Acts, nervöse Feuerwehrleute,<br />

jahreszeitbedingte Engel und Zwerge,<br />

Stegreifgeschichten aus dem Hinterhalt<br />

und Tee und Geschichten am Lagerfeuer<br />

im Juchtershof.<br />

An der Stadtbibliothek West verwandeln<br />

Kinder gemeinsam mit dem<br />

Mobilen Atelier MOKU die alte Kastanie<br />

in einen riesigen Feuervogel und grillen<br />

zwischendurch ein Stockbrot am wärmenden<br />

Feuer.<br />

Feuerkunst am dunklen<br />

Winterhimmel<br />

Höhepunkt auf der Straße sind die<br />

Feuershows, die in den Pausen zwischen<br />

den Erzählacts stattfinden:<br />

Feuerbälle an Ketten wirbeln durch die<br />

Luft und malen flammende Bilder in<br />

den dunklen Nachthimmel. Brennende<br />

Seile durchschneiden wie Schwerter die<br />

eiskalte Luft.<br />

Aber die zwölfköpfige Crew von<br />

FLAMBAL OLEK kann noch mehr: Überraschend<br />

entsteht aus den Feuerperformances<br />

eine Geschichte, poetischsinnliche<br />

Bilder wechseln mit gewitzter<br />

Interaktion und das Publikum ist<br />

plötzlich mittendrin in einer komischen,<br />

überraschungsvollen Geschichte voller<br />

Rhythmus und Slapstick.<br />

Unterstützt wird Flambal Olek durch<br />

Künstler der Gruppen ZENIT und<br />

LENN FEI, die schon während der vergangenen<br />

Feuerspuren ihr Publikum<br />

mit poetischen Shows verzauberten.<br />

Höhenfeuerwerk zum Finale<br />

Mit Unterstützung der WATERFRONT<br />

enden die Feuerspuren 08 mit einem<br />

grandiosen Höhenfeuerwerk über der<br />

Weser. Vom Bibliotheksplatz werden<br />

die Feuerspuren zur Waterfront ziehen<br />

und dort vom Gröpelinger Feuerwerker<br />

Norbert Holzapfel empfangen, der auf<br />

der alten Vogelinsel ein atemberaubendes<br />

Feuerwerk zünden wird.<br />

39


Feuerspuren 08<br />

Das internationale Erzählfestival<br />

7./8. November 2008 / Bremen-Gröpelingen<br />

Feuerspuren 08 –<br />

Die lange Nacht der Erzählungen<br />

7. November 2008<br />

19 Uhr bis Mitternacht<br />

LICHTHAUS, Hermann Prüser Straße 4<br />

Feuerspuren 08 –<br />

Das Erzählfestival<br />

8. November 2008, 15 bis 19 Uhr<br />

Lindenhofstraße<br />

Aktuelle Informationen:<br />

www.kultur-vor-ort.com<br />

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