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Aufsatz Stefan Grohe, TEIL I

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502 <strong>Stefan</strong> Grone<br />

hundert in Griechenland erfunden wurde. Doch schon mit dieser Aussage st<br />

Clarks Definition an ihre Grenzen und verweist auf ein zentrales Problem au<br />

dieses Vortrags: Den Akt als eine Kunstform zu definieren, die die Geschic<br />

der Kunst seit ihren Anfängen in der Hochzeit der Klassik begleitet, setzt<br />

Geschichtsbild voraus, welches die Perspektive des ausgehenden 19. Jahrh<br />

derts verabsolutiert. Die Einteilung des Stoffes, die Clark vorgenommen<br />

spricht in dieser Hinsicht eine eindeutige Sprache: er unterlässt jegliche Form<br />

Periodisierung, da ihm die Geschichte der Aktdarstellung die Geschichte<br />

Versuches ist, die schon in ihrem Beginn ideale Form des nackten Körpers in<br />

klassischen Antike wiederzugewinnen. Apollo und Venus, energeia, pathos u<br />

ekstasis sind die Kategorien, nach denen der Akt auch in den folgenden<br />

Jahrhunderten zu klassifizieren ist, und was nicht in dieses rigide Klassifikatio<br />

Schema passt, wird kurzerhand zur 'alternative Convention' erklärt, darunter<br />

gesamte Mittelalter, die nordeuropäische Renaissance mit Dürer und Cra<br />

und die Moderne mit Rodin.<br />

Ab der Mitte der siebziger Jahre rückte die Aktdarstellung verstärkt in<br />

Fokus einer neuen, von einer Neubewertung der Geschlechterrollen angeregt<br />

kunsthistorischen Sichtweise, die in ihrer Konzentration auf die geschlechts<br />

zifisch konditionierte Verfassung des Blicks Erkenntnisse und Interpretatio<br />

hervorbrachte, die die Wahrnehmung des Aktes in ein ganz neues Licht gerür<br />

haben (vgl. Der nackte Mensch 1989).<br />

Clarks Position und diejenige der feministischen Autoren wie Nead (198<br />

Pointon (1990) und Nochlin (1988), so unterschiedlich sie in ihrem methodisch<br />

Zuschnitt auch sein mögen, sind jedoch in einem entscheidenden Punkt mit"-<br />

der verwandt: Clark erkennt nur die antike Skulptur als ästhetische Konstant<br />

und misst alle folgenden Phänomene an diesem Maßstab. Demgegenüber<br />

Geschlechtergeschichte den Akt nicht anders als aus der Perspektive einer<br />

thropologischen Konstante des männlichen Blickes selber in den Blick ne'<br />

Beide Ansätze zeichnen sich also trotz aller Gegensätzlichkeit durch ein<br />

gehen aus, das die historischen Wandlungen, denen die Aktdarstellung seit<br />

Renaissance offensichtlich unterworfen ist, nicht hinreichend wahrnehmen k<br />

Ich möchte als Alternative vorschlagen, die Geschichte der Gattung mit<br />

einer historischen Typologie zu schreiben und zu beschreiben. Eine solche<br />

logie müsste m.E. die historisch je verschiedenen Aufgaben, die die Kunst bei'<br />

Darstellung des nackten menschlichen Körpers zu bewältigen hatte, berück<br />

tigen; die historische Typologie wäre also zugleich eine funktionale Typolo<br />

Es ergibt sich daraus ein Modell, welches die Entstehung bestimmter Typen<br />

Aktdarstellung erfässt und ebenso ihre Beständigkeit wie ihr Verhältnis zu hl<br />

risch jüngeren Typen beschreibt.<br />

Dass der deutsche Begriff Akt sich vom lateinischen actus herleitet und B<br />

gung, Handlung meint, mutet angesichts der häufig bewegungslos stehenden'<br />

Nacktheit und Aktbild seit der Renaissance 503<br />

liegenden Akte unangemessen an. Die anderen europäischen Sprachen kennen -<br />

wie bereits gesagt - diese Festlegung der Bildform nicht und benutzen nur die<br />

Form nackt Allerdings ist im deutschen Begriff des Aktes noch seine Bedeutung<br />

an den Akademien bewahrt, als er vor allem dem Studium von Gebärden und<br />

Posen diente; denn schließlich findet der Begriff in dieser ursprünglichen Wortbedeutung<br />

erst im 19. Jahrhundert Eingang in den Sprachgebrauch (im<br />

Grimmschen Wörterbuch ist er nicht verzeichnet) und werden seine Konnotationen<br />

erst danach unter tätiger Mithilfe der Kunstgeschichte auf nahezu jede<br />

Darstellung des nackten Körpers erweitert. In einem strengen Sinne dürfte demnach<br />

nur die Zeichnung nach dem posierenden nackten Modell Akt genannt werden;<br />

da es diese Einschränkung aber nur im Deutschen gibt und um einen tauglicheren<br />

analytischen Begriff zu gewinnen, möchte ich als Akt oder Aktdarstellung<br />

alle diejenigen Darstellungen bezeichnen, in denen der nackte menschliche Körper<br />

vorrangiges Darstellungsinteresse ist.<br />

II.<br />

Der Akt ist eine Kunst- und damit eine Aussageform, die in der Regel mit der<br />

Wirklichkeit nichts zu tun hat. So kann man davon ausgehen, dass Frauen im<br />

Mittelalter nicht durchgängig gerundete Bäuche hatten, die Menschen in Dürers<br />

Umgebung nicht so proportioniert waren wie sein Adam und seine Eva, und<br />

Ingres für die Grande Odalisque kein Modell mit einer anatomischen Deformation<br />

saß, die ihr drei Rückenwirbel zu viel bescherte (s.u.). Es ist wichtig, auf diese<br />

so selbstverständlich wirkenden Tatsachen hinzuweisen, denn wie mit einem<br />

großen Teil der Kunstgeschichte überhaupt, so wird vor allen Dingen für den Akt<br />

sehr häufig angenommen, er gebe die Realität wieder. Mit den von mir vorgeschlagenen<br />

Typen sollte diese simplifizierende Verbindung zwischen Kunstwerk<br />

und Realität ein Korrektiv erhalten, das Repräsentation als Konstruktion<br />

von Wirklichkeit begreifbar macht.<br />

Es hat Versuche gegeben, Aktdarstellungen nach ikonographischen Gesichtspunkten<br />

zu klassifizieren, so z.B. in der bedeutsamen, aber eher seltenen Gattung<br />

des Aktporträts (vgl. Chapeaurouge 1969), zu dem die Darstellung des Genueser<br />

Admirals Andrea Doria als Neptun durch Agnolo Bronzino ebenso zu zählen ist<br />

wie Antonio Canovas Studie des nackten George Washington. Eine weitere, gerne<br />

benutzte Kategorie ist der sogenannte heroische Akt, der insbesondere in der<br />

Skulptur vom frühen 16. Jahrhundert an große Beliebtheit genoss und im 20.<br />

Jahrhundert vor allem in der Staatskunst weite Verbreitung fand (vgl. Wolbert<br />

1982). Die Kategorie des heroischen Aktes stellt also schon den Versuch einer<br />

typologischen Einordnung von Aktdarstellungen dar, der aber bisher weitgehend<br />

isoliert geblieben und historisch nicht fruchtbar gemacht worden ist.

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