Denkmalpflege Informationen Nr. 155 (Juli 2013) - Bayerisches ...
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Denkmalforschung<br />
und psychischer Folter. Ab 1941 waren hier unter anderem<br />
„Sonderhäftlinge“ interniert: hochstehende Militärangehörige<br />
wie General Charles Delestraint (franz. Résistance),<br />
Mitglieder des deutschen Widerstandes wie die Geistlichen<br />
Martin Niemöller und Johannes Neuhäusler, Politiker wie<br />
Kurt Schumacher (ehem. Reichstagsabgeordneter der SPD)<br />
oder der Attentäter Georg Elser (Bürgerbräukeller).<br />
Die Außenlager<br />
94 Außenkommandos und 46 Außenlager mit bis zu 70 600<br />
Zwangsarbeitern gehörten ebenfalls zum Dachauer Konzentrationslager.<br />
Zwangsarbeiter konnten ab 1943 von Firmen<br />
angefordert werden. Die meisten wurden in der Rüstungs- und<br />
Kriegsindustrie eingesetzt. Außenlager und Arbeitskommandos<br />
existierten auch in München, in den Stadtteilen Allach,<br />
Karlsfeld, Schleißheim, Freimann, Oberföhring, Riem, Ottobrunn,<br />
Moosach, Giesing, Sendling, Schwabing, in der Bergmannschule<br />
Schwanenthalerhöhe und an anderen Stellen.<br />
Einige Einsatzkommandos waren so klein, dass die Arbeiter<br />
nachts wieder in ihr Stammlager zurückgebracht wurden.<br />
Einer der häufig tödlichen Einsätze von Zwangsarbeitern in<br />
München war die Blindgängerbeseitigung. Es kamen täglich<br />
bis zu 15 Gefangene zu Tode. Die Häftlinge dieser Gruppe<br />
bezeichneten sich selbst als „Himmelfahrtskommando“.<br />
Befreiung und Folgezeit<br />
Wegen der vorrückenden Alliierten begannen die Nationalsozialisten<br />
ihre KZs zu räumen. Ab dem 17. April fanden in<br />
Dachau erste Verlegungen statt. Gerüchte, dass kein Häftling<br />
lebend in die Hände des Feindes fallen dürfe, machten<br />
sich im Lager breit. Wenig später setzte sich ein Evakuierungs-,<br />
vielmehr Todesmarsch Richtung Süden in Bewegung.<br />
1000 bis 3000 Menschen kamen dabei ums Leben.<br />
Am 29. April befreiten amerikanische Truppen die verbliebenen<br />
32 335 Gefangenen.<br />
Die Alliierten nutzten das Lager in der Folgezeit, um ihrerseits<br />
Kriegsverbrecher zu internieren. 1948 wieder unter<br />
bayerischer Verwaltung, wurden Flüchtlinge in den Baracken<br />
untergebracht. 15 Jahre bestand diese „Wohnsiedlung<br />
Dachau-Ost“.<br />
1955 erlangte das Lager dank eines Antrags des aus Dachau<br />
stammenden CSU-Landtagsabgeordneten und späteren<br />
bayerischen Staatsministers des Inneren, Heinrich Junker,<br />
weltweiten Bekanntheitsgrad: Er hatte vorgeschlagen, die<br />
Krematorien abreißen zu lassen. Bestehende internationale<br />
Abkommen und öffentliche Empörung konnten es verhindern.<br />
Und das Interesse wuchs weiter: Allein 1962 besuchten<br />
300 000 Menschen das Konzentrationslager.<br />
Stätten der Erinnerung<br />
David führt mich weiter über die breite, mit Pappeln<br />
gesäumte Lagerstraße in den hinteren Bereich. Schon von<br />
Weitem erblicken wir die gleich einem mächtigen Turm<br />
hoch aufragende katholische „Todesangst-Christi-Kapelle“<br />
(Architekt: Josef Wiedemann). Ihren Bau hatte der Weihbischof<br />
von München und ehemalige Häftling Johannes Neuhäusler<br />
1960 organisiert. Eine Seite des Turmes ist offen<br />
einsichtig und damit zugleich Zeichen der Befreiung.<br />
Hinter der Kapelle gelangen wir durch einen Mauerdurchbruch<br />
in das „Heilig Blut“-Kloster der Schwestern des Karmeliterordens.<br />
Wir besuchen ebenfalls die in den 1960er<br />
Jahren entstandene, formal außergewöhnliche evangelische<br />
Versöhnungskirche des Architekten Helmut Striffler. Stufen<br />
führen unter Tage in einen von Betonoberflächen beherrschten,<br />
enger werdenden und beklemmend wirkenden Gang, der<br />
in einem sich wieder dem Himmel und damit dem Licht öffnenden<br />
Hof mündet. Dahinter schließt der Kirchenraum an.<br />
In der Nähe der ehemaligen Desinfektionsbaracke hatte<br />
sich seit 1961 die Gaststätte „Zum Krematorium“ befunden,<br />
welche die Bewohner der Siedlung mit deftigen Speisen<br />
bewirtete. Erst nach ihrem Abriss konnte eine jüdische<br />
Gedenkstätte (Architekt: Hermann Zvi Guttmann) errichtet<br />
werden. Der Besucher wird hier ebenfalls „hinabgeführt“:<br />
Dort im Dunkeln spendet das „Ner Tamid“ ewiges Licht.<br />
Wir verlassen das Häftlingslager über die Würm und gehen<br />
Richtung Krematorium. Links steht die russisch-orthodoxe<br />
Auferstehungskapelle, welche, 1994/95 erbaut, an<br />
die unzähligen russischen Kriegsgefangenen erinnert. Das<br />
achteckige Fundament ruht auf russischer Heimaterde.<br />
Ein Stück weiter und wir befinden uns inmitten eines fast<br />
schon idyllisch anmutenden Parks. Zwischen den Bäumen<br />
und Büschen steht das frühere Krematorium, das erst 1940<br />
mit Anstieg der Todesrate gebaut wurde; bis dahin hatte<br />
man die Leichen noch im Münchener Ostfriedhof verbrannt.<br />
Neues (links) und altes Krematorium (rechts) des ehemaligen Konzentrationslagers (SS-Lager) (Fotos: BLfD, Ina Hofmann)<br />
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