Denkmalpflege Informationen Nr. 155 (Juli 2013) - Bayerisches ...
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Denkmalforschung<br />
Ostfassade nach August Brandes von 1903; Tempera (Staatliche Kunstsammlungen Augsburg)<br />
zianer Wolle im Orient, die im rechten Feld im Fondaco dei<br />
Tedeschi an deutsche Kaufleute weiterverkauft wird; das<br />
größere Mittelfeld zeigt eine Tuchgeschau. Die Intention ist<br />
zweifelsohne die Bekundung der internationalen Handelsgeflechte,<br />
der Verweis auf weitreichende Verbindungen und<br />
die ehemalige Rolle Augsburgs als Tor nach Italien. Auf der<br />
Westseite, deren Rekonstruktion heute verschollen ist, malte<br />
Kager die damals bekannten Erdteile und darüber eine Szene<br />
mit Bezug auf den Ursprung der Webkunst in Athen.<br />
Die zum Merkurbrunnen gerichtete Schmalseite führt im<br />
Giebelzwickel den Reichsadler und das darunter liegende<br />
Stadtwappen mit dem Pinienzapfen auf, welches von Auferstehungsszenen<br />
am Jüngsten Tag flankiert wird. Monumental<br />
in Szene gesetzt ist im Bildstreifen oberhalb der zweiten Etage<br />
die historische Schlacht auf dem Lechfeld im Jahre 955, in<br />
welcher der erste römisch-deutsche Kaiser, Otto I., gemeinsam<br />
mit Bischof Ulrich die Magyaren (Ungarn) besiegte und<br />
damit die stets wiederkehrenden Einfälle des östlichen Reitervolkes<br />
beendete. Das von links hereinpreschende kaiserliche<br />
Heer wird von einem Engel geleitet, hingegen schwebt über<br />
der fliehenden gegnerischen Seite ein Teufel. Dahinter steht<br />
die Vorstellung eines religiösen Dualismus, eines Kampfes<br />
zwischen Gut und Böse. Die abgebildete Gefechtsszene kann<br />
so im übertragenen Sinn auf den siegreichen Kampf des<br />
Christentums gegen die Heiden bezogen werden.<br />
Unter den Fenstern des zweiten Stockwerkes werden, von<br />
links nach rechts gelesen, der triumphale Einzug Ottos I. und<br />
Bischof Ulrichs in die Stadt und die anschließende Vergabe<br />
des Zunftwappens an die Weber – das mittig dazwischen<br />
platziert ist – geschildert. Die Verleihung des Zunftwappens<br />
aus Dank für die Unterstützung der Weber in der Schlacht,<br />
wie die Zunftchronik berichtet, ist allerdings nur eine Fiktion,<br />
da zu dieser Zeit weder die Weberzunft noch deren<br />
Wappen existiert hatten. Über dem Eingangsportal thront<br />
Iustitia, flankiert von den beiden Lokalheiligen, der frühchristlichen<br />
Märtyrerin Afra und dem erstmals von einem<br />
Papst konsekrierten Heiligen, Bischof Ulrich. Die Darstellungen<br />
auf der vertikalen Mittelachse einschließlich der drei<br />
Wappen könnte folgendermaßen gedeutet werden: Die Fresken<br />
zeigen die vergangene wie die gegenwärtige Situation<br />
unter dem Zeichen der Iustitia mit der von Gott an den Kaiser<br />
vergebenen Amtsgewalt, von der wiederum die Reichsstadt<br />
und damit auch die Zunft ihre Rechte erhielten. Mit der horizontal<br />
kreuzenden Lechfeldschlacht wird auf den in der Apokalypse<br />
erwähnten Kampf zwischen Gut und Böse mit dem<br />
anschließenden 1000 Jahre währenden (letzten) Reich angespielt,<br />
in dem das Böse samt seiner Heerschar vom Heer des<br />
„Königs der Könige“ (Apk. 19,16) besiegt und für 1000 Jahre<br />
gefangen gehalten wird, bis das Gute den endgültigen Sieg<br />
über den Satan erringt. Im Anschluss erfolgen das Jüngste<br />
Gericht mit der Auferstehung der Toten und der Trennung der<br />
Gerechten und Ungerechten und ihre Zuweisung an Himmel<br />
und Hölle. Die sog. Scheidung der „Schafe und Böcke“ (Mt.<br />
25,32) zur rechten und linken Seite des Herrn wird an der<br />
Fassade inhaltlich und kompositorisch mit Engel und Teufel,<br />
Christen und Heiden wie auf einer Weltgerichtsdarstellung<br />
vorweggenommen, während analog dazu die Posaunenengel<br />
eine (Zeit-)Ebene höher zur Auferstehung blasen. Die vergangenen<br />
realen bzw. fiktiven Ereignisse verschmelzen mit<br />
dem Blick in die Zukunft im Plan der Heilsgeschichte, als<br />
deren Teil sich die Weber präsentierten und der ihnen damit<br />
als Verfechter des Guten das Seelenheil garantierte.<br />
Die originale Fassadenmalerei des Weberhauses ging zwar<br />
vor hundert Jahren verloren, doch die überlieferten Darstellungen<br />
vermitteln uns noch heute das mehrschichtig zu<br />
lesende Bild einer selbstbewussten Handwerkszunft, welche<br />
ihren rechtlichen Status, ihre Verdienste am Reich und den<br />
Ursprung ihres traditionsreichen Handwerks stolz demonstrierte.<br />
Indem sie ihre mythologisch angereicherte Historie<br />
in den christlichen Heilsplan im Heiligen Römischen Reich<br />
bettete und dabei alle Zeiten zur Gleichzeitigkeit verwob,<br />
drückte sie auch die in der Inschrift der Zunftstube erwähnte<br />
Hoffnung aus: „Got las in guetem werden alt.“<br />
Markus Prummer<br />
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