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Denkmalpflege Informationen Nr. 155 (Juli 2013) - Bayerisches ...

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Aktuell<br />

ein Goldring wurden gefunden. Aus einer anderen Latrine<br />

direkt im Nachbarhaus stammen Funde des ausgehenden 15.<br />

Jahrhunderts (Plan S. 8, <strong>Nr</strong>. 1), die zur unteren und mittleren<br />

Bürgerschicht gehörten. Spardosen, ein Löffel, Teile eines<br />

Schnabelschuhs mit Lederresten sowie ein noch gefüllter<br />

Kochtopf können zum Beispiel einem der hier um 1480<br />

wohnenden 13 Steuerzahler mit ihren Familien zugeordnet<br />

werden, dem Schuster Jörg Rot. Aus dem Abfall lassen sich<br />

wichtige Erkenntnisse über soziale Stellung, Ernährung,<br />

Krankheiten und Haushalt gewinnen. An dieser Stelle – und<br />

das ist nicht die einzige auf der Fläche – ergibt sich die einmalige<br />

Möglichkeit, dem Münchner Bürger des Mittelalters<br />

so nah wie noch nie zu sein.<br />

Die frühe Stadtgeschichte<br />

Neben den Fragen zur Entwicklung des Viertels vor 1570,<br />

die völlig überraschende Ergebnisse gerade für das 14. und<br />

15. Jahrhundert ergaben, liefern Brunnen- und Latrinenanlagen<br />

des 13. Jahrhunderts Hinweise auf eine tiefgreifende<br />

Umgestaltung der Stadt in der Mitte des 13. Jahrhunderts.<br />

Hier zeigen sich Parallelen zu den Ergebnissen der Untersuchungen<br />

im Alten Hof, die eine solche Umstrukturierung des<br />

Münchner Innenstadtgefüges in den ersten Regierungsjahren<br />

Ludwigs des Strengen (1253–1294) offenbaren. Eine beindruckende<br />

hölzerne Brunnenanlage (1260/61 d) (Plan S. 8, <strong>Nr</strong>. 5),<br />

die extra muros lag (außerhalb der damaligen Stadtmauern),<br />

sowie ein Tuffsteinbrunnen der gleichen Zeitstellung (Plan<br />

S. 8, <strong>Nr</strong>. 11), welcher keinen Bezug auf spätere Parzelleneinteilung<br />

nimmt und exakt vor dem ersten Zugang des Alten<br />

Hofes liegt, werfen wichtige Fragen zur Stadtgestalt und -ausdehnung<br />

des hochmittelalterlichen München auf.<br />

Die Ergebnisse am Marienhof belegen wie viele andere kleinere<br />

Untersuchungen in der Stadt, dass man sich das München<br />

um 1200 größer vorzustellen hat, als das bisherige Bild<br />

der kleinen mauerumwehrten Heinrichsstadt vorgibt. Auch<br />

verdichten sich die Hinweise durch eine Vielzahl an Kleinfunden,<br />

dass die Besiedelung um 1100 bereits in vollem<br />

Gange war.<br />

Der Schacht 5, 1261 (d) als Brunnen erbaut und im 16. Jahrhundert als<br />

Latrine aufgegeben. In der Verfüllung ein bootsförmiger Fischkasten aus<br />

dem 13. Jahrhundert (Foto: Fa. ReVe, Bamberg)<br />

Schnitt durch 850 Jahre Geschichte: Der Stadtgraben des 12. Jahrhunderts<br />

mit seinen verschiedenen Ausbauphasen in 5 m Tiefe (Foto: Fa. ReVe,<br />

Bamberg)<br />

Durch die Zerstörung 1944 und den unterbliebenen Wiederaufbau haben<br />

sich alle Baustrukturen und Keller vollständig erhalten (Foto: Fa. ReVe,<br />

Bamberg)<br />

Archäologie der Neuzeit<br />

Bei der Freilegung der einzelnen Kellerräume wurde den<br />

geborgenen neuzeitlichen Gegenständen ebensoviel Aufmerksamkeit<br />

geschenkt wie den mittelalterlichen. Diese<br />

Umsicht war nicht nur nach dem Auftauchen von verbrannten<br />

Büchern – Reste der Stadtbibliothek, die in der<br />

Weinstraße 13 eine Dependance hatte – und Gerichtsakten<br />

geboten, sondern war vor allem auch dem Respekt vor den<br />

stummen Zeugen der letzten Kriegsmonate geschuldet. In<br />

fast allen Kellern hatten sich noch die Reste der ehemaligen<br />

Keller- und Hausinventare erhalten, zu denen die damaligen<br />

Besitzer bekannt sind. So war es möglich, einzigartige<br />

Momentaufnahmen einer Zeit wieder sichtbar zu machen<br />

und zu dokumentieren, an die die Erinnerung und Ermahnung<br />

unter dem Motto „Nie wieder Krieg“ wachgehalten<br />

werden kann. Als letzte Augenzeugen konnten die Archäologen<br />

Fundstücke bergen, deren Aussagekraft hoch genug<br />

ist, um emotional zu bewegen, so wie eine Krippenfigur<br />

aus der letzten Kriegsweihnacht, ein verschütteter Kinderschlitten<br />

oder durch die enorme Hitze zerschmolzene Likör-<br />

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