Tagungsband
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BIOS Nationalparkzentrum Mallnitz<br />
Foto @ Haslacher<br />
Gamswild<br />
Leben auf der Kante<br />
Tagung des BIOS Nationalparkzentrum Mallnitz<br />
vom 18. bis 19. April 2013<br />
TAGUNGSBAND<br />
MIT UNTERSTÜTZUNG VON BUND, LAND UND EUROPÄISCHER UNION<br />
Europäischer Landwirtschaftsfonds<br />
für die Entwicklung des ländlichen<br />
Raums: Hier investiert Europa in<br />
die ländlichen Gebiete.
INHALT<br />
Gamswild<br />
Leben auf der Kante<br />
Seite<br />
3 Programm<br />
4 Gams – Verhalten, Bestandesdynamik, Kruckenwachstum<br />
8 Die Waldgams – Ökologie, Entwicklungstrends, Management<br />
14 Jahreszeitliche Anpassung der Alpengämse an harsche<br />
Umweltbedingungen und Störungen durch Aktivitäten des Menschen<br />
16 Freizeitaktivitäten im Lebensraum der Gämsen – Konflikte, Lösungen,<br />
Ergebnisse aus dem Projekt „Tourismus und Wild“ der Universität Bern<br />
20 Gamskrankheiten unter den Aspekten<br />
von Klimawandel und Lebensraumverlusten<br />
36 Gamswildbewirtschaftung in Kärnten<br />
38 Gamswild – Hauptwildart in den Hohen Tauern<br />
40 Jagddruck auf Gamswild<br />
Beispiele aus der Schweiz und Bayern<br />
42 Die Situation des Gamswildes in Vorarlberg<br />
GAMSWILD – LEBEN AUF DER KANTE 1
IMPRESSUM<br />
Herausgeber:<br />
Für den Inhalt<br />
verantwortlich:<br />
BIOS Nationalparkzentrum Mallnitz<br />
Mallnitz 36<br />
9822 Mallnitz<br />
Tel.: +43 (0) 4784 / 701<br />
E-Mail: bios@ktn.gv.at<br />
Die Autoren<br />
2
PROGRAMM<br />
Tagung des BIOS Nationalparkzentrum Mallnitz<br />
Donnerstag, 18. April 2013<br />
14.00 Uhr Eröffnung<br />
14.15 Uhr Gams – Verhalten, Bestandesdynamik, Kruckenwachstum<br />
Hubert Zeiler | Wildbiologe<br />
15. 00 Uhr Die Waldgams – Ökologie, Entwicklungstrends, Management<br />
Friedrich Reimoser | BOKU Wien<br />
15.45 Uhr Pause<br />
16.15 Uhr Jahreszeitliche Anpassung der Alpengämse an harsche<br />
Umweltbedingungen und Störungen durch Aktivitäten des Menschen<br />
Agnes Haymerle | Forschungsinstitut für Wildtierkunde und Ökologie, Wien<br />
17.00 Uhr Freizeitaktivitäten im Lebensraum der Gämsen – Konflikte, Lösungen,<br />
Ergebnisse aus dem Projekt„Tourismus und Wild“ der Universität Bern<br />
Paul Ingold | Universität Bern<br />
17.45 Uhr Gamskrankheiten unter den Aspekten von Klimawandel und Lebensraumverlusten<br />
Armin Deutz | Amtstierarzt Murau<br />
18.30 Uhr Buffet der Kärntner Jägerschaft<br />
Freitag, 19. April 2013<br />
9.30 Uhr Gamswildbewirtschaftung in Kärnten<br />
Gerald Muralt | Kärntner Jägerschaft<br />
9.45 Uhr Gamswild – die Hauptwildart des Nationalparks Hohe Tauern<br />
Klaus Eisank | Nationalpark Hohe Tauern - Kärnten<br />
10.25 Uhr Pause<br />
11.00 Uhr Jagddruck auf Gamswild – Beispiele aus Bayern und der Schweiz<br />
Peter Meile | Wildbiologe, Schwendi / Schweiz<br />
11.45 Uhr Die Situation des Gamswildes in Vorarlberg<br />
Hubert Schatz | Amt der Vorarlberger Landersregierung<br />
GAMSWILD – LEBEN AUF DER KANTE 3
Hubert Zeiler<br />
Gams – Verhalten, Bestandesdynamik, Kruckenwachstum<br />
Geht es um Faktoren, welche die Dynamik heimischer<br />
Wildtierbestände beeinflussen, dann beziehen wir uns in<br />
der Regel auf solche, die von außen auf den Bestand<br />
wirken. Beim Gamswild spielt die Witterung eine wichtige<br />
Rolle, Krankheiten sind ebenfalls immer wieder ein<br />
Thema. Raubfeinde, wie Luchs oder Adler kommen dann<br />
und wann zur Sprache, ebenso wie das Äsungsangebot,<br />
und natürlich ist heute auch die Jagd ein wichtiger<br />
bestandesregulierender Faktor. Neben diesen „extrin -<br />
sischen“ Faktoren wirken aber auch „intrinsische“.<br />
Das sind solche, die gleichsam von innen heraus die<br />
Entwicklung eines Wildtierbestandes beeinflussen. Dazu<br />
gehört die Bestandesstruktur – wobei besonders der<br />
Altersaufbau von Bedeutung ist. Damit wird aber nicht<br />
nur die dynamische Entwicklung beeinflusst, ein Spiegelbild<br />
von Altersstruktur oder Geschlechterverhältnis<br />
finden wir auch im Verhalten einer Wildart.<br />
Natürlich spielen Jagddruck, Störungen oder Witterung<br />
eine Rolle. Bleiben wir aber einmal bei den sozialen<br />
Kontakten, bei den Wechselbeziehungen zwischen den<br />
Tieren in einem Bestand und beim Raum-Zeitverhalten<br />
einzelner Altersgruppen. Ein Wildbestand ist keine anonyme<br />
Masse, die man schlicht über Zu- und Abgang<br />
aufhegt oder reduziert. Auch wenn solche Milch mäd -<br />
chenrechnungen auf der Suche nach schnellen Lösungen<br />
wieder mehr denn je in den Vordergrund gerückt werden.<br />
Über das Verhalten kann also gleichsam sichtbar werden<br />
wie sich ein Bestand zusammensetzt. Ob männlich oder<br />
weiblich, jung oder alt, jede Gruppe legt ein bestimmtes<br />
Verhalten an den Tag, und das ist besonders beim tag -<br />
aktiven Gamswild gut zu beobachten.<br />
Junge „Flegel“ benehmen sich eben anders als reife<br />
„Männer“, unerfahrene Geißen unterscheiden sich von<br />
führenden Müttern. Auch Untersuchungen zur Raum -<br />
nutzung belegen, dass Wildtiere je nach Altersgruppe<br />
oder Geschlecht ihre Lebensräume ganz unterschiedlich<br />
nutzen. Gams ist also nicht gleich Gams!<br />
Bevor wir auf einige Beispiele zum Verhalten eingehen,<br />
bleiben wir aber noch kurz bei der Bestandesstruktur und<br />
deren Auswirkung auf die Dynamik einer Population.<br />
Bestandesstruktur beeinflusst Dynamik<br />
Vereinfacht teilt man Wildtierbestände in Jugend-, Mittelund<br />
Altersklasse. Beim Gamswild gibt es die größten<br />
Ausfälle bei Kitzen, Jahrlingen und dann wieder bei den<br />
Senioren. Stabil ist dagegen die Mittelklasse der erwachsenen,<br />
reifen Tiere. Sie sind am widerstandsfähigsten.<br />
Hier ist die Ausfallrate gering.<br />
Je nachdem wie ein Bestand aufgebaut ist – ob viel<br />
Jugend, reife Tiere in der Mittelklasse oder Senioren –<br />
wird er unterschiedlich auf Umwelteinflüsse reagieren.<br />
Wenn es viel Jugend gibt, kommt mehr Dynamik in den<br />
Bestand, die Schwankungen sind größer. Das „Rückgrat“<br />
eines jeden Wildtierbestandes sind die reifen, erwachsenen<br />
Tiere in der Mittelklasse. Das heißt beim Gamswild,<br />
etwa jene Tiere vom dritten oder vierten bis zum zwölften<br />
Lebensjahr.<br />
Nun zeigen uns aber z.B. Überlebenskurven, die Wolfgang<br />
Schröder 1971 für Gams erstellt hat, dass bei den<br />
Böcken die Sterberaten ab dem vierten Lebensjahr bereits<br />
deutlich ansteigen, und sich damit signifikant von jenen<br />
der Geißen unterscheiden. Danach sollten also Gams -<br />
böcke deutlich geringere Lebenserwartungen haben als<br />
Geißen. Wie ist das zu erklären?<br />
Überlebenskurven bei Böcken und Geißen<br />
Hier bringt ein Blick auf die Herkunft der Datengrundlage<br />
etwas mehr Licht in die Sache. Schröder bezog seine<br />
Daten aus bejagten Gamsbeständen, und da werden<br />
Böcke in der Regel nicht wirklich alt. Neuere Unter -<br />
suchungen aus Schutzgebieten zeigen dagegen, dass dort,<br />
wo Gams nicht bejagt werden, die Lebenserwartung für<br />
Bock und Geiß in etwa gleich hoch ist. Der jagende<br />
Mensch verändert die Struktur von Wildtierbeständen.<br />
Beim Gams hat dies – wie bei vielen anderen Arten auch –<br />
dazu geführt, dass das Durchschnittsalter der meisten<br />
Vorkommen deutlich verringert wurde. Die Auswirkungen<br />
daraus werden von vielen Verantwortlichen nicht<br />
4
erkannt, weil man Wildtierbestände häufig nach schematisch<br />
einfachen Mustern behandelt. Dazu kommt, dass in<br />
einem Jagdsystem, welches besonders stark auf Trophäen<br />
ausgerichtet ist, wirtschaftliche Interessen und ökolo -<br />
gische Grundprinzipien immer wieder in Gegensatz<br />
zu einander geraten. Beim Gamswild tragen beide Geschlechter<br />
Trophäen, womit dieser Gegensatz oft noch<br />
stärker zu Tage tritt.<br />
Fest steht: Bestandesstruktur, Verhalten und Bestandesdynamik<br />
sind jedenfalls eng miteinander verbunden, und<br />
auch die Lebensraumnutzung steht in Zusammenhang<br />
mit der Struktur des Bestandes.<br />
Unterschiedliche Zuwachsraten je nach Vorkommen<br />
Für die Steiermark konnte nun aber auch nachgewiesen<br />
werden, dass die langjährig durchschnittlichen Zuwachsprozente<br />
je nach Lebensraum oder Gamsvorkommen<br />
deutlich unterschiedlich sind. In dem Bundesland werden<br />
die Abschussdaten seit 1992 mittels EDV erfasst. Somit<br />
stehen uns heute lange Datenreihen zur Verfügung.<br />
Beim Gams gibt es den Vorteil, dass sowohl vom männlichen<br />
als auch vom weiblichen Wild genaue Altersangaben<br />
vorliegen. Wer den Abgang über viele Jahre kennt,<br />
der kann damit auf den Setzjahrgang zurückrechnen und<br />
erhält somit über die Zeit jährliche Zuwachszahlen.<br />
Drei Beispiele machen deutlich wie weit Zuwachsraten<br />
beim Gams auseinander liegen können:<br />
Für das Gleinalmgebiet, einem sanften Mittelgebirgszug,<br />
der bis knapp 2.000 m Seehöhe reicht und durch hohen<br />
Waldanteil gekennzeichnet ist, haben wir ein Zuwachsprozent<br />
von über 23 % errechnet. Das ist ein sehr hoher<br />
Wert, in der Regel geht man beim Gamswild von einem<br />
wirksamen Zuwachs zwischen 10 und 20 % aus.<br />
Das Gesäuse ist ein Gamslebensraum in den Nördlichen<br />
Kalkalpen mit hohem Felsanteil und großen Schneemengen.<br />
Dort liegt die langjährig durchschnittliche Zuwachsrate<br />
nur bei 9,5 %!<br />
Für die Ybbstaler Alpen im Dreiländereck von Oberösterreich,<br />
Niederösterreich und Steiermark ergeben die Rückrechnungen<br />
einen durchschnittlichen Zuwachs von<br />
16,8 %, also genau das Mittel aus den anderen beiden<br />
Werten. Erfahrung spielt bei der Abschussplanung sicher<br />
eine Rolle, fundierte Grundlagen liefern aber hieb- und<br />
stichfeste Grundlagen für nachhaltige Jagd.<br />
Aktivitätsrhythmen von Bock und Geiß<br />
Geht es um Verhalten, dann verbinden wir damit in der<br />
Regel soziale Auseinandersetzungen und Ausdrucksformen.<br />
Verhalten kann aber auch über Aktivitätsrhythmen<br />
oder die Nutzung jährlicher Streifgebiete definiert werden.<br />
Der Vergleich eines achtjährigen Gamsbockes mit einer<br />
elfjährigen Geiß auf der Fölzalm zeigt wie unterschiedlich<br />
der Jahresrhythmus zweier erwachsener Gams in ein<br />
und demselben Revier verlaufen kann. Die Geiß zeigt<br />
über das gesamte Jahr höhere Aktivitätsraten als der<br />
Bock. Einzig zur Brunftzeit im November sind die Werte<br />
bei beiden Tieren in etwa gleich hoch; jedoch aus völlig<br />
unterschiedlichem Grund:<br />
Während die Geißen um diese Zeit fast ausschließlich<br />
äsen, geht es bei den reifen Böcken nun fast ausschließlich<br />
um die Fortpflanzung. Auch im Dezember suchen<br />
die Gams noch viel nach Äsung, im Jänner und Februar<br />
wird die Aktivität dann stark eingeschränkt, der Bock<br />
bewegt sich im Februar nur sehr wenig. Im März steigt<br />
die Aktivität dann stark an, sie erreicht beim Gamsbock<br />
im Mai ihren Jahresspitzenwert. Dies ist nicht nur mit<br />
dem erhöhten Nahrungsbedarf nach dem Winter, sondern<br />
auch mit territorialen Auseinandersetzungen im Frühjahr<br />
zu erklären. Im Juni lässt die Aktivität beim achtjährigen<br />
Bock bereits wieder nach während sie bei der Geiß von<br />
Mai über Juni und Juli andauernd beinahe gleich hoch<br />
bleibt. Setzen, Säugen, Haarwechsel erfordern reichlich<br />
Energie, die führende Geiß ist viel auf den Läufen um zu<br />
Äsen. Im Hochsommer verringern dann beide Tiere ihre<br />
Aktivität. Der Bock ist im August weniger aktiv als im<br />
Februar. Er zeigt nun die geringste Aktivität im gesamten<br />
Jahreslauf. Dies setzt sich im September und Oktober<br />
fort. Das ist die Zeit, wo ein erwachsener Gamsbock vor<br />
der Brunft richtig Feist ansetzt. Äseperioden wechseln<br />
über die gesamten 24 Stunden eines Tages mit Ruhe -<br />
phasen, während denen wiedergekäut wird. Womit wir<br />
bei einem Punkt sind, der für viele Gamsjäger wahrscheinlich<br />
neu ist.<br />
GAMSWILD – LEBEN AUF DER KANTE 5
GAMS – VERHALTEN, BESTANDESDYNAMIK, KRUCKENWACHSTUM<br />
Gamswild ist auch nachtaktiv<br />
Die Aktivitätsdaten aus dem ANLICK-Gamsprojekt zeigen,<br />
dass Gams zu allen Jahreszeiten auch nachtaktiv<br />
sind. Am wenigsten ist das im Februar der Fall, besonders<br />
stark ausgeprägt ist dies im Mai. Vom Hochsommer bis<br />
in den Herbst gibt es zwischen Tag und Nacht kaum<br />
Unterschiede im Aktivitätsmuster beim Bock, bei den<br />
Geißen fallen täglich zwei Aktivitätsgipfel in etwa mit<br />
den frühen Morgen- oder späten Nachmittagsstunden<br />
zusammen.<br />
Der erwähnte achtjährige Gamsbock von der Fölzalm<br />
zeigt zur Brunftzeit einen 24-Stundenrhythmus, bei dem<br />
es etwa um 18:00 Uhr einen steilen Abfall gibt, wo aber<br />
bereits nach rund zwei Stunden Ruhepause am Abend<br />
wieder hohe Aktivität bis über Mitternacht hinaus nachzuweisen<br />
ist. Erst von 04:00 Uhr bis 05:00 Uhr morgens<br />
ruht der Bock wieder mehr, von 06:00 Uhr auf 07:00 Uhr<br />
steigt dann die Aktivität aber bereits wieder steil an.<br />
Nachdem unsere Verhaltensbeobachtungen gezeigt<br />
haben, dass territoriale Platzböcke tagsüber während der<br />
Brunft kaum Äsung aufnehmen, sind wir aufgrund dieses<br />
Aktivtitätsmusters zunächst davon ausgegangen, dass der<br />
Bock vielleicht während der Nacht äst.<br />
Beobachtungen mit Nachtsichtgeräten und Wärmebildkameras<br />
aus der Schweiz belegen jedoch, dass die Gamsbrunft<br />
auch während der Nachtstunden weiter geht. Gams<br />
sind also ähnlich nachtaktiv wie anderes Schalenwild<br />
auch. Geht es nach unseren Auswertungen aus dem<br />
Rehwildprojekt vom Rosenkogel, würde ich behaupten,<br />
dass Gams vielleicht sogar noch stärker nachtaktiv als<br />
Rehe sind. Zumindest verteilt sich die Aktivität im Sommerhalbjahr<br />
über den gesamten 24-Stunden-Tag.<br />
Vielleicht ist dies auch eine Anpassung um den kurzen<br />
Bergsommer möglichst gut auszunützen.<br />
Vergleich der Streifgebiete von Wald- und Almgams<br />
Parallel zum Verhalten der Gams am Hochschwab wurden<br />
auch Aktivität und Streifgebietsgrößen von Waldgams<br />
im Höllgraben bei Stainz untersucht. Interessant ist<br />
hierbei der Vergleich der Lebensraumnutzung von Gamsgeißen<br />
im Wald und auf der Alm.<br />
Es geht um sechs Waldgamsgeißen und drei Geißen auf<br />
der Fölzalm. Die Größe der Streifgebiete kann man über<br />
zwei Methoden bestimmen. Nach dem Minimumkonvexpolygon<br />
(MCP) werden vereinfacht die äußeren Peilpunkte<br />
miteinander verbunden und die umschlossene<br />
Fläche berechnet. Damit erhält man recht große Streifgebiete.<br />
Lässt man jene Punkte weg, die in die äußersten<br />
Randbereiche fallen, und berechnet dann um jeden Peilpunkt<br />
eine Kernfläche (Kernel 95), dann werden die<br />
Streifgebiete viel kleiner, man erhält die Kernzonen der<br />
genutzten Lebensräume.<br />
Um es kurz zu machen:<br />
Die Waldgamsgeißen im Höllgraben nutzen viel größere<br />
Gesamtstreifgebiete (MCP - 114 ha) als die Geißen von<br />
der Fölzalm (MCP - 67 ha). Vergleicht man jedoch die<br />
Kerngebiete beider Gruppen (Kernel 95), dann sind diese<br />
bei den Waldgams mit 21 ha kleiner als bei den Geißen<br />
vom Hochschwab mit 24 ha.<br />
Das heißt: Die Waldgams streifen weiter umher, nutzen<br />
dann aber konzentriert kleine Flächen. Man sieht,es<br />
hilft wenig wenn wir alle Gams einfach nur über einen<br />
Kamm scheren.<br />
Reviersystem bei Gamsböcken<br />
Ein kurzer Blick auf das Raum-Zeitverhalten der Gamsböcke<br />
auf der Fölzalm zeigt, dass sich bei hohem Anteil<br />
an reifen Böcken auch beim männlichen Gamswild ein<br />
Reviersystem etablieren kann.<br />
Von Platzböcken ist seit jeher in der Fachliteratur die<br />
Rede, die Gamsböcke in unserem Untersuchungsgebiet<br />
verteidigen aber bereits im Frühjahr Reviere und zwar oft<br />
sehr heftig. Sie besetzen diese Reviere dann bis zum<br />
Ende der Brunftzeit. Damit fallen territoriale Auseinandersetzungen<br />
in eine Zeit, wo es ein reiches Nahrungsangebot<br />
gibt und wo die Witterung kaum noch ein<br />
ernsthaftes Risiko darstellt. Im Herbst zu Beginn der<br />
Gamsbrunft sind dann die Verhältnisse bereits klar geregelt,<br />
jeder kennt seinen Nachbarn. Junge Gamsböcke<br />
wissen um die Platzböcke, sie kommen während der<br />
Hauptbrunft so gut wie gar nicht zum Zug. Reviergrenzen<br />
verlaufen in der Regel entlang auffälliger Geländemarken<br />
wie Gräben, Runsen, Rücken oder Geländekanten.<br />
6
Kruckenwachstum<br />
Der Titel des Vortrages ist breit angelegt. Der Zusammenhang<br />
zwischen Kruckenwachstum und Bestandesdynamik<br />
scheint auf den ersten Blick wenig plausibel.<br />
Dennoch treten gerade beim Gamswild immer wieder<br />
Zusammenhänge zwischen Kruckenwachstum, Bestandesdynamik<br />
und Lebensraum zu Tage.<br />
Nachdem in Neuseeland Gams ausgesetzt wurden und<br />
die Wildart dann zum Problemfall geworden ist wurde<br />
dort auch viel über Gams geforscht. Beim Vergleich<br />
zwischen Randgebieten, wo sich die Wildart noch ausgebreitet<br />
hat, und Zentralgebieten, wo sich die Bestände<br />
schon stabilisiert haben, zeigte sich, dass der jährliche<br />
Hornzuwachs bei den Bockkrucken aus dem Randgebiet<br />
in Neuseeland während der ersten vier Jahre deutlich<br />
höher war als bei jenen im Zentralgebiet.<br />
Bei Geißen geht dieser Effekt aber bereits nach dem<br />
zweiten Lebensjahr wieder verloren weil sie sich in<br />
unbesiedelten Gebieten sehr früh an der Fortpflanzung<br />
beteiligen, und dann nicht mehr in Körperwachstum,<br />
sondern in den Nachwuchs investieren.<br />
Generell konnten Marco Rhugetti und Marco Festa-<br />
Bianchet (2011) jedoch einen positiven Zusammenhang<br />
zwischen dem Körpergewicht von jungen Geißen und der<br />
Fortpflanzung in sehr jungen und dann wieder den späten<br />
Lebensjahren herstellen.<br />
Auch am Hochschwab führte Wolfgang Schröder Messungen<br />
an Gamskrucken durch. Dabei stellte sich heraus,<br />
dass es bei den Böcken in zwei direkt aneinander grenzenden<br />
Gebieten unterschiedliche Wachstumsmuster gab.<br />
Auf der „Zeller Staritzen“ im Nordosten des Hochschwabmassives<br />
war das Hornwachstum in den ersten<br />
beiden Jahren größer.<br />
Das Gebiet ist etwa 1.400 bis 1.500 m hoch, es wechseln<br />
Almen, Fels und Wald. Klimatisch ist es weniger rau als<br />
die angrenzende „Aflenzer Staritzen“ mit zum Teil verkarsteten<br />
Plateaus, die auf 1.800 bis 2.000 m liegen,<br />
baumlos sind und wo es recht strenge Winter mit hohen<br />
Schneemengen gibt. Nachdem die Gamsböcke von der<br />
Aflenzer Staritzen die ersten beiden Jahre hinter sich<br />
haben, übertreffen sie jedoch im Hornzuwachs jene von<br />
der Zeller Staritzen.<br />
Nach Forschungsergebnissen von Marco Rhugetti steht<br />
frühes Hornwachstum in positivem Zusammenhang mit<br />
dem Gewicht des Jahrlings, aber nicht mehr mit dem des<br />
erwachsenen Stücks.<br />
Verschiedene Forschungsprojekte zeigen, dass Gams -<br />
böcke dort, wo die Wildart in neue Lebensräume gebracht<br />
wird, zunächst besonders gut entwickeln – wenig Konkurrenz<br />
und gutes Nahrungsangebot sind die Hauptgründe<br />
dafür. Gewicht, Krucken und Schädelmaße liefern<br />
hierfür eindeutige Belege.<br />
GAMSWILD – LEBEN AUF DER KANTE 7
Prof. DI Dr. Friedrich Reimoser<br />
Waldgams – Ökologie, Entwicklungstrends, Management<br />
Was sind Waldgams? Seit wann gibt es sie? Sind sie eine<br />
eigene Rasse? Für Forstleute sind sie oft ein Problem.<br />
Was ist neu an diesem Problem? Was kann getan werden?<br />
Diese und ähnliche Fragen werden immer wieder gestellt.<br />
Die Diskussion über das sogenannte „Waldgamsproblem“<br />
wurde in den letzten beiden Jahrzehnten deutlich heftiger.<br />
Grund dafür war vor allem die Zunahme der gamsbedingten<br />
Verbissschäden am Wald, insbesondere in Schutzwaldbereichen.<br />
Außerdem ist dieses Thema auch bei der<br />
Wildökologischen Raumplanung von grundsätzlicher<br />
Bedeutung für die Feststellung und Sicherung von Gamslebensräumen.<br />
Während vor 50 Jahren selbst Forstleute nicht selten<br />
daran zweifelten, dass Gamswild überhaupt Schäden am<br />
Wald verursachen könne, ist diese Wildart heute im<br />
Alpenraum vielerorts zur „Problemart“ schlechthin geworden.<br />
Auf die Begriffe Wald- und Gratgams wird in<br />
der Literatur oft eingegangen (z.B. Knaus und Schröder,<br />
1975). Studien über Waldgams sind jedoch selten (z.B.<br />
Baumann und Struch, 2000). Als Grundlage für eine<br />
möglichst sachliche Diskussionen und eine zweckmäßige<br />
Problemlösung werden einige Aspekte zum „Waldgamsproblem“<br />
kurz zusammen gefasst.<br />
Lebensraum des Gamswildes<br />
Gams sind anpassungsfähig. Sie wandern vor allem im<br />
Frühsommer mitunter weit, sind vereinzelt in tief gelegenen<br />
Tallagen weit abseits ihres sonstigen Aufenthaltsgebietes<br />
anzutreffen und können dadurch neue Gebiete<br />
besiedeln.<br />
Sie können in Weingärten und Maisanbaugebieten (z.B.<br />
Südsteiermark) ebenso überleben wie im Hochgebirge.<br />
Man trifft sie im Wald wie auch oberhalb der Waldgrenze.<br />
Die Frage ist jedoch, wo sie bei freier Wahl lieber leben<br />
würden, wo es sich also um optimale Gamsbiotope und<br />
wo um nur suboptimale Ausweichhabitate handelt.<br />
Ein vorübergehendes, witterungsbedingtes Aufsuchen<br />
des Waldes gehört in vielen Gebieten zum natürlichen<br />
Lebenswandel (Abbildung 1).<br />
In manchen Regionen (z.B. Niederösterreich) hält sich<br />
jedoch das meiste Gamswild ganzjährig unterhalb der<br />
Waldgrenze auf, ganz einfach deshalb, weil ausgedehnte<br />
Lebensräume oberhalb der Waldgrenze wegen der - im<br />
Vergleich zu den weiter westlich gelegenen Alpenregionen<br />
- weniger hohen Berge kaum vorhanden sind.<br />
Zweifellos war und ist das Gamswild in vielen dieser<br />
Waldreviere jagdlich erwünscht und wurde entsprechend<br />
gehegt. Soweit es sich nicht selbst von den Kerngebieten<br />
ausgebreitet hat, wurde das Gamswild auch ausgesetzt<br />
(Aussetzungen erfolgten dort angeblich schon im 19.<br />
Jahrhundert). Genetische Unterschiede zwischen so -<br />
genannten Wald- und Gratgams sind nicht bekannt.<br />
Abbildung 1:<br />
„Waldgams“ lassen sich im Hochgebirge von den oberhalb<br />
der Waldgrenze lebenden „Gratgams“ meist nicht als separate<br />
Population trennen. „Waldgams“ leben oft nur vorübergehend<br />
im Wald, vor allem im Winter. Gamsböcke stehen häufiger in<br />
bewaldeten Gebieten als Gamsgeißen und Jungtiere.<br />
8
Bei ihrer Raumnutzung (Habitatwahl) versuchen die<br />
Gams stets eine optimale Befriedigung ihrer Haupt -<br />
bedürfnisse: Sicherheit, Ruhe, Nahrungsaufnahme und<br />
Ausnützung günstiger lokalklimatischer Bedingungen.<br />
Bei einer entsprechenden Gelände- und Biotoptypen -<br />
vielfalt auf kleiner Fläche ist diese Optimierung am leichtesten<br />
möglich, weil dadurch der erforderliche Orts -<br />
wechsel und der Energieaufwand im Falle von<br />
Störungseinfluss, verändertem Nahrungsangebot oder<br />
veränderter Witterung minimiert werden kann. Lokale<br />
Konzentrationen größerer Gamsrudel in optimalen<br />
Habitaten sind insbesondere im Frühjahr (südexponierte<br />
Hänge) typisch für die Lebensweise dieser Wildart.<br />
Wichtig für eine hohe Habitatattraktivität für Gamswild<br />
ist, dass im Lebensraum auch steile Geländeteile mit Fels<br />
und felsbegleitender Gras- und Krautvegetation sowie<br />
übersichtliche Flächen mit guter Ausblickmöglichkeit für<br />
die Tiere vorhanden sind. Diese Anforderungen können<br />
auch im Wald weitgehend erfüllt sein, wenn dieser stark<br />
von Felsen durchsetzt ist und ausreichend offene Stellen<br />
enthält. Durch intensiven Verbiss aufkommender Gehölze,<br />
vor allem auf den für Gams attraktiven konvexen Geländeteilen<br />
(Kuppen, Rücken, Geländekanten), halten sich<br />
die Tiere diese Stellen möglichst lange offen.<br />
Aus forstlicher Sicht kann dies allerdings immer weniger<br />
toleriert werden, weil die Ansprüche an die verschiedenen<br />
Leistungen des Waldes, vor allem an seine Schutzfunktion,<br />
steigen. Geschlossene Waldgebiete ohne locker bewaldete<br />
Steilflächen und ohne Freiflächen sind für Gamswild<br />
wenig attraktiv.<br />
Bemerkenswert ist, dass Gamswild, das ausschließlich in<br />
Waldbereichen lebt bzw. dorthin abgedrängt worden ist,<br />
oft rehwildähnliche Verhaltensweisen annimmt.<br />
Rudel lösen sich in kleine Gruppen auf, das Wild wird<br />
standorttreuer, scheuer und teilweise stärker nachtaktiv.<br />
Sofern keine Überpopulation besteht und große Raubtiere<br />
(z.B. Luchs, Wolf) keinen Einfluss haben, nehmen die<br />
Fallwildverluste ab und die (jagdlich nutzbare) Zuwachsrate<br />
steigt.<br />
In Österreich finden sich nachhaltig hohe jährliche Abschussdichten<br />
in den typischen Waldgams gebieten am<br />
Ostrand der Alpen, wo kaum Lagen oberhalb der Waldgrenze<br />
vorhanden sind. In Waldbiotopen entstehen allerdings<br />
auch unabhängig von der Wildschadensproblematik<br />
leicht überhöhte Gamswildbestände, sodass die Nahrungsqualität<br />
verbissbedingt sinkt und das Wild vermehrt<br />
kümmert. Auch eine eventuell auftretende Gamsräude<br />
wird in Waldgamsgebieten meist besonders stark durch<br />
Ausfall von Tieren wirksam.<br />
Änderung der Gamswildverteilung<br />
Wenn es um die Vermeidung von Wildschäden geht, ist<br />
nicht nur die Höhe des Wildbestandes, sondern ebenso<br />
die räumliche und jahreszeitliche Verteilung des Wildes<br />
- seine Raumnutzung - entscheidend. Wenn beispielsweise<br />
100 Stück Gamswild ganzjährig oberhalb der<br />
Waldgrenze leben, so können sie keinen Schaden am<br />
Wald verursachen. Wenn aber dieselben 100 Stück nur<br />
wenige 100 Meter tiefer in den Wald abgedrängt werden,<br />
kann in kurzer Zeit untragbarer Verbissschaden entstehen.<br />
Dass derartig ungünstige Änderungen der Gamswildverteilung<br />
im Hochgebirge leicht entstehen können, wurde<br />
z.B. in der Schweiz durch Störversuche eindrucksvoll<br />
nachgewiesen (Ingold und Mitarbeiter, 1994).<br />
Ein wildökologisches Hauptproblem in unserer Kulturlandschaft<br />
besteht zweifellos darin, dass, bedingt durch<br />
die intensive Mehrfachnutzung der alpinen Landschaft<br />
durch den Menschen, Lebensräume des Gamswildes in<br />
Hochlagen weniger attraktiv werden oder völlig verloren<br />
gehen, während der Wald immer häufiger und längerfristig<br />
als Aufenthaltsort vom Gams genutzt wird. Dieser<br />
Prozess erfolgt schleichend und ist den Verursachern nur<br />
selten bewusst.<br />
Folgende Gründe dieser veränderten Raumnutzung des<br />
Gamswildes können angeführt werden:<br />
• Weniger Lebensraum oberhalb der Waldgrenze<br />
Eine Verschlechterung der Habitatqualität im waldfreien<br />
alpinen Gelände erfolgte vor allem durch die dort besonders<br />
großflächige Ausdehnung und Intensivierung sowohl<br />
der touristischen Aktivitäten im Sommer und Winter<br />
(verschiedene Formen des Schilaufs, Wandern, Bergsteigen,<br />
Fliegen mit Paragleitern und Drachen, Mountainbiken<br />
etc.) als auch des Jagddruckes (Gamsjagd<br />
außerhalb des Waldes interessanter und oft auch leichter).<br />
GAMSWILD – LEBEN AUF DER KANTE 9
WALDGAMS – ÖKOLOGIE, ENTWICKLUNGSTRENDS, MANAGEMENT<br />
Sowohl Tourismus als auch Jagd wurden in dieser<br />
Großflächigkeit und Intensität erst durch die starke Erschließung<br />
der Hochlagen möglich (Wege, Seilbahnen,<br />
Lifte). Auch der Abtransport von erlegtem Wild wurde<br />
dadurch erleichtert, was die jagdlichen Aktivitäten in<br />
diesen Lagen ankurbelte. Wesentlich erscheint auch der<br />
Hinweis, dass die offene Berglandschaft durch die sukzessive<br />
Wiederbewaldung vieler ehemals für Almzwecke<br />
gerodeter Waldflächen stark geschrumpft ist und ständig<br />
weiter an Fläche verliert.<br />
• Bessere Gamshabitate im Wald<br />
Durch vermehrten Forststraßenbau im steilen Gelände<br />
mit ausgeprägten Felsböschungen und durch Kahlschläge<br />
auch in ehemals unzugänglichen Wäldern hat sich die<br />
Habitatattraktivität für Gamswild im Wald, bedingt durch<br />
die Schaffung offener, übersichtlicher Flächen mit zusätzlichen<br />
steilen, felsigen Geländeformen vielerorts entscheidend<br />
erhöht.<br />
Das Wild wurde also einerseits - forstlich bedingt -<br />
unbewusst in den Wald herunter gelockt und andererseits<br />
- touristisch und jagdlich bedingt - ebenso unbewusst in<br />
den deckungsreicheren Wald hinunter abgedrängt. Beides<br />
erfolgte gleichzeitig innerhalb der letzten Jahrzehnte. Das<br />
Ergebnis kennen wir als „Waldgamsproblem“, das im<br />
Grunde eigentlich ein „Menschenproblem“ ist.<br />
Ähnlich wie im vorigen Jahrhundert beim Rotwild, das<br />
damals mehr und mehr von tieferen Lagen ganzjährig in<br />
den Bergwald zurückgedrängt wurde (was häufig als<br />
Argument für die Winterfütterung verwendet wird),<br />
scheint es sich nun beim Gamswild im Gebirge zu entwickeln<br />
(Bergwald als Dauerhabitat).<br />
An dieser Stelle ist noch zu erwähnen, dass die ehemals<br />
vorhandenen Großraubtiere Wolf, Luchs und Bär vor -<br />
wiegend im Waldbereich lebten und dadurch im Wald<br />
einen „Vertreibungseffekt“ auf Gamswild gehabt haben<br />
dürften, der heute weitgehend wegfällt.<br />
Feindvermeidung und Sicherheit spielen nicht nur beim<br />
Gamswild eine sehr maßgebliche Rolle im Hinblick auf<br />
die Raumnutzung der Tiere. Als „Feinde“ kommen<br />
grundsätzlich Mensch, Raubtiere, andere konkurrenzierende<br />
Wildarten, stärkere Artgenossen und Parasiten<br />
in Frage, im weiteren Sinne auch ungünstige Witterungsbedingungen.<br />
Einige Umweltfaktoren, die direkt oder indirekt mit<br />
dem „Waldgamsproblem“ zusammenhängen, wurden am<br />
Beispiel verfügbarer Vergleichsdaten für die Entwicklung<br />
in Österreich zusammengestellt (Tabelle).<br />
Die Auswahl der Einflussfaktoren betrifft die Bereiche<br />
Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Tourismus und Jagd<br />
(Partl, 1999). Für den Bereich Landwirtschaft ist vor<br />
allem die stark zunehmende Erschließung der rund<br />
12.000 österreichischen Almen mit LKW-befahrbaren<br />
Wegen und mit touristischen Einrichtungen (Zeitraum<br />
1974 bis 1986) interessant. Dadurch entstanden zahlreiche<br />
Beunruhigungsquellen für Gamswild in Hochlagen.<br />
Vergleichbare Daten für die Schafhaltung in Österreich<br />
können für die Jahre 1950, 1970, 1990 und 2012 gegenübergestellt<br />
werden.<br />
Sie lassen zuerst eine starke Abnahme bis 1979 und<br />
danach eine starke Zunahme der Schafanzahl erkennen.<br />
Der Großteil dieser Schafe wird im Sommer auf die<br />
Almen getrieben. Gams weichen den Schafen aus.<br />
Im Bereich Forstwirtschaft ist vor allem auf die Zunahme<br />
der Waldfläche, die sich vorwiegend aus dem Zuwachsen<br />
ehemaliger Almen ergibt, hinzuweisen, wodurch ehemalige<br />
Freiflächen nun als Wald dem Gamswild als Lebensraum<br />
dienen. Außerdem ist der Wald, meist aufgrund<br />
waldbaulicher Maßnahmen, weniger dicht und dadurch<br />
übersichtlicher geworden, die Forstwegedichte hat sich<br />
stark erhöht und im Jahr 1999 wird der Flächenverbrauch<br />
durch Forstwege (inklusive Nebenflächen wie Wegböschungen,<br />
Holzlagerplätze etc.) für Österreich mit rund<br />
1.230 km 2 angegeben (Tabelle).<br />
Durch diese Zunahme von offenen und übersichtlichen<br />
Flächen wurde der Wald für Gams wesentlich attraktiver.<br />
10
Einflussfaktor Einheit Zeitvergleich (Jahre) Daten (pro Jahr)<br />
Landwirtschaft<br />
Almerschließung LKW<br />
Almen mit Fremdenverkehr<br />
Anzahl Almen<br />
(von ca. 12.000)<br />
Anzahl Almen<br />
(von ca. 12.000)<br />
1974 zu 1986 3500 zu 6400<br />
1974 zu 1986 5400 zu 8500<br />
Schafhaltung Anzahl Schafe (x 1000)<br />
Forstwirtschaft<br />
1950 zu 1970<br />
zu 1990 zu 2012<br />
362 zu 113<br />
zu 309 zu 365<br />
Waldfläche km 2 1965 zu 2008 36.900 zu 40.000<br />
Walddichte (Beschirmung):<br />
gering (bis 50 %)<br />
dicht (90-100 %)<br />
Anteil der Waldfläche (%) 1965 zu 1988<br />
5,5 zu 12,2<br />
53 zu 29<br />
Forstwegedichte<br />
(LKW-befahrbar)<br />
lfm/ha 1975 zu 1994 32 zu 45<br />
Forstwege:<br />
Länge<br />
Flächenverbrauch<br />
Tourismus<br />
1999<br />
km<br />
km 2<br />
123.000<br />
492 (inkl. Nebenflächen<br />
1.230 km 2 )<br />
Nächtigungen<br />
Personen (in Mio)<br />
1957 zu 1977<br />
zu 1997 zu 2012<br />
36 zu 105<br />
zu 129 zu 131<br />
Aufstiegshilfen<br />
(Seilbahnen, Lifte)<br />
Anzahl<br />
1955 zu 1978<br />
zu 1996 zu 2012<br />
350 zu 3266<br />
zu 3269 zu 3034<br />
Förderkapazität Personen / h (in Mio) 1955 zu 1976 zu 1985<br />
0,09 zu 2,0 zu 2,4;<br />
weiter steigend<br />
Beförderungen Personen (Mio) 1969 zu 1999 zu 2006 68 zu 490 zu 630<br />
Pistenfläche ha 2012 rd. 25.000<br />
Jagd<br />
Gamsabschuss<br />
Stück<br />
1955 zu 1975<br />
zu 1995 zu 2011<br />
9.700 zu 22.000<br />
zu 26.800 zu 21.300<br />
Jäger Jahresjagdkarten (x 1000)<br />
1966 zu 1975<br />
zu 1995 zu 2011<br />
77 zu 95<br />
zu 110 zu 123<br />
GAMSWILD – LEBEN AUF DER KANTE 11
WALDGAMS – ÖKOLOGIE, ENTWICKLUNGSTRENDS, MANAGEMENT<br />
Im Bereich Tourismus ist die Zunahme der Gästeanzahl<br />
(Indikator „Nächtigungen in Österreich“), der Anzahl der<br />
Aufstiegshilfen (Seilbahnen und Lifte) und insbesondere<br />
der Förderkapazität dieser Aufstiegshilfen beträchtlich.<br />
Ehemals ruhige Gamslebensräume werden mehr und<br />
mehr touristisch genutzt, wodurch die Beunruhigung des<br />
Wildes und seine Abdrängung in den Wald steigt.<br />
Im Bereich Jagd sind die starke Zunahme der Gams -<br />
abschüsse sowie der Anzahl der Jäger (Indikator „ausgegebene<br />
Jahresjagdkarten in Österreich“; Tabelle) ein<br />
Hinweis auf den steigenden Jagddruck (jagdliche Beun -<br />
ruhigung des Wildes), der, sofern er auf Hochlagen<br />
oberhalb der Waldgrenze erfolgt, zur veränderten Raum -<br />
nutzung des Gamswildes zu Lasten der Waldvegetation<br />
entscheidend beitragen kann.<br />
Die langfristige Entwicklung der Gams-Abschusszahlen<br />
in Österreich zeigt einen sukzessiven, wellenförmigen<br />
Anstieg von etwa 10.000 Stück um 1955 auf nahezu<br />
30.000 Stück bis Anfang der 1990er Jahre, danach zeigt<br />
die Gamsstrecke rückläufige Tendenz. Derzeit liegt sie<br />
etwa auf dem Niveau von 1975 mit rund 20.000 Stück.<br />
Im Gegensatz zu allen anderen Schalenwildarten mit<br />
nach wie vor zunehmender Tendenz, ist Gamswild in<br />
Österreich die einzige Schalenwildart mit rückläufiger<br />
Abschussentwicklung in den letzten 20 Jahren.<br />
Dies hängt maßgeblich mit den Lebensraumraumver -<br />
änderungen, der stärkeren Verlagerung der Gams in<br />
attraktivere Waldhabitate und der vor allem im Wald<br />
intensivierten Gamsbejagung (Wildschadensvermeidung),<br />
vielerorts verbunden mit einer Bestandsreduktion,<br />
zusammen.<br />
Konsequenzen<br />
Waldbereiche gehören zumindest in einzelnen Jahres -<br />
zeiten mit zum natürlichen Lebensraum der meisten<br />
Gamspopulationen des Ostalpenraumes. Der Wald kann<br />
aber nicht die ständig schrumpfenden waldfreien Gamslebensräume<br />
ersetzen. Dadurch würde die Waldvegetation<br />
zu stark belastet und außerdem würde dies auch zu<br />
Lasten anderer im Wald lebender Wildwiederkäuer<br />
gehen, denen dann weniger Platz und Nahrung zur<br />
Verfügung stünden. Wir werden zwar in Zukunft mit<br />
einem vermehrten Vorkommen von Gamswild im Wald<br />
rechnen müssen, und wir werden damit teilweise auch<br />
leben können. Es wird aber nicht mehr soviel Gamswild<br />
im Alpenraum tragbar sein wie dies bisher oder noch vor<br />
einigen Jahrzehnten der Fall war.<br />
Um die negativen Auswirkungen auf Gams und Wald<br />
möglichst gering zu halten, sind Maßnahmen vor allem<br />
in folgenden Bereichen notwendig:<br />
• Lebensraumerhaltung in Hochlagen<br />
An einer Erhaltung des Gamswildes und zumindest eines<br />
Teiles seiner Lebensräume besteht nicht nur ein jagd -<br />
liches, sondern auch ein allgemeines landeskulturelles<br />
Interesse. In den Bundesländern mit einer gesetzlich verankerten<br />
Wildökologischen Raumplanung (Reimoser,<br />
1994, 1996) drückt sich dieses Interesse durch die Ausweisung<br />
von Gamswild-Kernzonen, in denen nun eine<br />
stärkere Rücksichtnahme auf die Lebensbedürfnisse<br />
dieser Wildart verlangt wird, dezidiert aus (Verordnung<br />
von Habitatschutzgebieten, Lenkung des Tourismus,<br />
revierübergreifende jagdliche Planung, Reduzierung des<br />
Jagddruckes vor allem in waldfreien Gebieten etc.).<br />
Winterfütterung zur Wildlenkung und Wildschadensvermeidung<br />
- wie beim Rotwild - sollte beim Gamswild<br />
nicht notwendig werden; ausreichend natürliche Lebensräume<br />
sind zu erhalten.<br />
Auch an die Erhaltung von Almflächen sollte in diesem<br />
Zusammenhang gedacht werden. Dabei kommt einer<br />
Rückbesinnung auf die alpine Tradition einer sich wechselseitig<br />
fördernden Mehrfachnutzung der Landschaft im<br />
Agrarbereich unter zusätzlicher Einbeziehung wildökologischer,<br />
jagdlicher und naturschutzrelevanter Zusammenhänge<br />
entscheidende Bedeutung zu (Machatschek,<br />
1997). Dies erfordert eine entsprechend integrale Regional-<br />
und Landesraumplanung.<br />
• Weniger Besiedlungsanreiz im Wald<br />
Die wildökologischen Auswirkungen forstlicher Maßnahmen<br />
sollten schon allein im forsteigenen Interesse<br />
unter den Förstern und Waldeigentümern stärker bewusst<br />
gemacht und zur Vermeidung von Wildschäden ent -<br />
sprechend berücksichtigt werden (weniger Kahlschläge,<br />
möglichst Steige statt Straßen in steilen Schutzwald lagen<br />
etc.).<br />
12
• Schwerpunktbejagung in Problemgebieten<br />
In speziellen Problemgebieten (z.B. Schutzwaldsanierung),<br />
wo trotz großflächig akzeptabler Wald-Wild-<br />
Situation lokal untragbare Wildschäden durch Gamswild<br />
auftreten oder unmittelbar bevorstehen, muss intensiv<br />
gejagt werden, nötigenfalls auch über Ausnahmegenehmigung<br />
durch Abschuss und Vertreibung in der Schonzeit.<br />
Je konsequenter die lokale Schwerpunktbejagung<br />
am richtigen Ort zur richtigen Zeit durchgeführt wird,<br />
desto weniger stark muss der Gamswildbestand groß -<br />
flächig reduziert werden, um waldbaulich tragbare Verhältnisse<br />
herzustellen.<br />
Dabei geht es stets um folgende Devise: „Dort löschen,<br />
wo´s brennt, und nicht wo gerade am meisten Wasser ist“,<br />
weil sonst nur der Wildbestand, nicht aber der Wild -<br />
schaden reduziert würde.<br />
Durch Schwerpunktbejagung kann die Wildverteilung<br />
ebenso günstig beeinflusst werden wie durch Jagddruckminderung<br />
anderenorts, durch Habitatschutzgebiete,<br />
Lenkung des Tourismus und zweckmäßige waldbauliche<br />
Maßnahmen. Obwohl die Schwerpunktbejagung einen<br />
hohen jagdlichen Aufwand erfordert, ist ihre konsequente<br />
Durchführung auf Gamswild oft mehr eine Frage des<br />
Wollens der Jäger und weniger eine Frage ihres Könnens.<br />
Dies lässt sich an erfolgreichen Fällen, z.B. in den<br />
FUST-Versuchsrevieren in Achenkirch (Tirol) und in<br />
verschiedenen anderen ehemaligen Problemgebieten gut<br />
beweisen.<br />
Literatur:<br />
Baumann, M., Struch, M., 2000: Waldgemsen. Wildbiologie in der<br />
Schweiz 6/31. Infodienst Wildbiologie & Oekologie, Zürich.<br />
Ingold, P., Schnidrig-Petrig, R., Marbacher, H., Pfister,U., 1994:<br />
Tourismus und Wild – Ein öko-ethologisches Projekt im<br />
Schweizerischen Alpenraum. Jagd+Hege 12(1): 6-11.<br />
Knaus, W., Schröder, W., 1975: Das Gamswild. Verlag Paul Parey, 234 S.<br />
Machatschek, M., 1997: Almwirtschaft und Wildtiere. Der Anblick (5):<br />
16-20.<br />
Partl, E., 1999: Wechselwirkungen zwischen Wald als Habitat und<br />
Wildtieren als Nutznießer/Betroffene bzw. als Standortfaktor. End -<br />
bericht FIW-Generalsynopse. Universität für Bodenkultur Wien. 211 S.<br />
Reimoser, F., 1994: Wildökologische Raumplanung für Schalenwild<br />
am Beispiel der Bundesländer Vorarlberg und Salzburg.<br />
In: Der Kärntner Jäger 23(92): 3-7.<br />
Reimoser, F., 1996: Wildökologische Raumplanung für Schalenwild -<br />
arten im Alpenraum. In: Sauteria, Salzburg, Bd. 8, 207-220.<br />
GAMSWILD – LEBEN AUF DER KANTE 13
Mag. vet. med. Agnes Haymerle<br />
Jahreszeitliche Anpassung der Alpengämse an harsche Umweltbedingungen<br />
und Störungen durch Aktivitäten des Menschen<br />
Im Winter müssen Gämsen alle Möglichkeiten zum<br />
Sparen von Energie nutzen, um den harten Lebensbe -<br />
dingungen im alpinen Lebensraum zu trotzen und in der<br />
bestmöglichen Kondition zu überleben. Dies spiegelt sich<br />
in der natürlichen Sterblichkeit wieder, die ihren jähr -<br />
lichen Höhepunkt im Spätwinter erreicht. Die Aufrechterhaltung<br />
einer hohen Körpertemperatur stellt in der<br />
Kälte dabei die größte energetische Herausforderung dar.<br />
Wildtiere haben im Wesentlichen vier Möglichkeiten<br />
diese Energiekosten gering zu halten:<br />
1. Eine gute Isolierung durch ein wärmendes Fell.<br />
Die schwarze Farbe lässt zudem vermuten, dass die<br />
Tiere dadurch auch die Sonneneinstrahlung vermehrt<br />
als Wärmequelle nutzen.<br />
2. Eine verringerte Durchblutung der äußeren Körperteile,<br />
was die Wärmeverluste an die Umgebung verringert.<br />
3. Eine Absenkung der Körperkerntemperatur.<br />
4. Neben diesen physiologischen Anpassungen, verän-dern<br />
die Tiere ihr Verhalten. Sie reduzieren die<br />
Aktivität auf ein Minimum. Weite Strecken im Schnee<br />
zur Nahrungssuche zu gehen zahlt sich nicht aus, da<br />
der Nährstoffgehalt in den Pflanzen überall sehr<br />
gering ist.<br />
Wie die Gämse mit den Bedingungen des Winters im<br />
Hochgebirge zurechtkommt, untersuchen wir derzeit in<br />
einem vom Oberösterreichischen Landesjagdverband<br />
geförderten wissenschaftlichen Projekt.<br />
Wir setzen für diese Studie ein am Forschungsinstitut für<br />
Wildtierkunde und Ökologie entwickeltes Telemetrie -<br />
system ein. Es besteht aus 2 Teilen: Einem Halsband und<br />
einer „intelligenten“ Magensonde, die im Netzmagen,<br />
auch Haube genannt, liegen bleibt und Körpertemperatur<br />
und Herzfrequenz misst. Die Herzschlagrate ist ein gutes<br />
Maß für den Energieverbrauch des Tieres. Die Sonde<br />
sendet diese Daten zu einem Empfänger im Halsband, in<br />
dem die Daten gespeichert werden. Die Aktivität des<br />
Tieres wird im Halsband selbst über einen Bewegungs -<br />
sensor gemessen und die Lokalisation bis zu neun Mal<br />
täglich mittels GPS bestimmt.<br />
Im Zuge dieser Studie wurden 16 Gämsen mit einem<br />
solchen Telemetriesystem ausgestattet. Dabei wurden die<br />
Tiere mittels Narkosegewehr auf eine Schussdistanz von<br />
bis zu 50 m narkotisiert. Innerhalb von 4 Minuten waren<br />
die ersten Anzeichen der Narkose deutlich erkennbar,<br />
aber erst nach ca. 20 Minuten ist eine Narkosetiefe<br />
erreicht, die ein Annähern und Hantieren des Tieres<br />
zulässt. Durch die Verabreichung eines Gegenmittels<br />
waren die Tiere innerhalb von rund 2 Minuten wieder auf<br />
den Beinen. In dieser Studie blieben die Halsbänder für<br />
1-1,5 Jahre auf den Tieren, danach öffnete sich ein<br />
programmierter Verschlussmechanismus und die Halsbänder<br />
fielen ab, anschließend wurden sie dann geortet<br />
und geborgen.<br />
Letzten Juni wurden die letzten Halsbänder in dieser<br />
Studie eingesammelt. So zeigen die ersten Erkenntnisse<br />
bisher Folgendes:<br />
Bei ruhenden Tieren liegt die mittlere Herzfrequenz pro<br />
Tag bei knapp über 80 Schlägen pro Minute im Sommer,<br />
während sie im Winter nur bei knapp über 40 Schlägen<br />
pro Minute liegt.<br />
Die Reduktion des Energieverbrauches wird unter anderem<br />
durch eine geringere Körpertemperatur ermöglicht,<br />
dadurch muss weniger Energie für die innere Wärme -<br />
produktion aufgewendet werden. Obwohl die Absenkung<br />
der Körperkerntemperatur nur gering ist, erlaubt sie eine<br />
enorme Energieersparnis. Allerdings ist davon auszugehen,<br />
dass die Temperatur in den äußeren Körperteilen viel<br />
stärker sinkt, als im Körperkern.<br />
14
Abb. 1: Der Verlauf der mittleren Herzfrequenz der Gämsen.<br />
Die Körpertemperatur folgt einem jahreszeitlichen und<br />
tageszeitlichen Rhythmus (Abb. 1 und Abb. 2). Ihren<br />
Tiefpunkt erreicht sie immer in den frühen Morgen -<br />
stunden. Zudem ist die nächtliche Absenkung im Winter<br />
ausgeprägter als im Sommer.<br />
Bei extrem tiefen Temperaturen (< ca. - 8 °C) steigt die<br />
Herzfrequenz allerdings wieder stark an. Dies lässt sich<br />
dadurch erklären, dass die Tiere Energie für die Wärmeproduktion<br />
aufwenden müssen, um die nötige Körpertemperatur<br />
zu halten.<br />
Eine weitere Strategie des Energiesparens stellt die stark<br />
reduzierte Bewegungsaktivität der Gämse im Winter dar.<br />
Eine Einschränkung der Bewegungsfähigkeit durch die<br />
Absenkung der Köpertemperatur ist für Fluchttiere/<br />
Pflanzenfresser wie die Gämse erstaunlich:<br />
Mit klammen Beinen würde man annehmen läuft es sich<br />
nicht so gut. Schließlich ist sie natürlicher Weise potenzielles<br />
Beutetier für Wolf und Luchs. Es ist zu vermuten,<br />
dass die Tiere dies nur wagen können, wenn sie sich<br />
sicher fühlen, z.B. in sehr steilem Gelände. Damit könnten<br />
menschliche Störungen im Winter zu einem viel<br />
ernsthafteren Problem für die Gämsen werden.<br />
Der Energieaufwand für Fluchten, die durch Störungen<br />
ausgelöst werden, wäre viel höher als bisher vermutet,<br />
wenn beunruhigte Gämsen den winterlichen „Energiesparmodus“<br />
nicht mehr in vollem Umfang einsetzen.<br />
Abb. 2: Die Körpertemperatur des Bockes Nr. 2 im Tagesverlauf im<br />
August und im Februar. Die senkrechten Linien sind ein Maß dafür,<br />
wie stark die einzelnen Messwerte um den Mittelwert streuen<br />
(Standardabweichung).<br />
Um diese Vermutung wissenschaftlich zu bestätigen<br />
wurden experimentelle Störversuche durchgeführt, mit<br />
denen der Effekt von Schitourengehern oder Schneeschuhwanderern<br />
nachgestellt wurde.<br />
Die besenderten Tiere wurden in den Morgenstunden von<br />
den Schneeschuhwanderern möglichst stark gestört, um<br />
möglichst starke Fluchtreaktionen auszulösen.<br />
Die Analysen werden erst zeigen, ob es in den folgenden<br />
24 Stunden zu Veränderungen der Aktivität, Körpertemperatur<br />
oder Herzfrequenz kommt.<br />
An dieser Stelle darf ich mich im Namen des gesamten<br />
wissenschaftlichen Teams der veterinärmedizinischen<br />
Universität sehr herzlich bei allen Revieren und Berufsjägern<br />
bedanken, da ein solches Projekt ohne eine gute<br />
Zusammenarbeit nicht möglich gewesen wäre.<br />
GAMSWILD – LEBEN AUF DER KANTE 15
Prof. Dr. em. Paul Ingold<br />
Freizeitaktivitäten im Lebensraum der Gämsen<br />
Konflikte, Lösungen, Ergebnisse aus dem Projekt „Tourismus und Wild“ der Universität Bern<br />
In den letzten Jahrzehnten hat die Vielfalt an Freizeit -<br />
aktivitäten sehr stark zugenommen. Zu den traditionellen<br />
Aktivitäten wie zum Beispiel Wandern und Tourenskifahren<br />
kamen laufend neue hinzu, die sich rasch ausgebreitet<br />
haben, wie das Mountainbiken, Snowboarden<br />
(Freeriden), Schneeschuhwandern und Hängegleiten<br />
(Fliegen mit Gleitschirmen und Deltas).<br />
Die Gebiete, in denen viele der Freizeitaktivitäten aus -<br />
geübt werden, sind gleichzeitig auch Lebensraum der<br />
Gämsen. Im Projekt „Tourismus und Wild“ (1989-2003)<br />
untersuchten wir in verschiedenen Gebieten der<br />
Schweizer Alpen unter anderem, wie Gämsen auf die<br />
Freizeitaktivitäten reagieren, von welchen Faktoren die<br />
Reaktionen abhängen und unter welchen Bedingungen<br />
weitergehende Folgen (zum Beispiel Lebensraumverlust)<br />
auftreten können. Damit wollten wir auch Grundlagen<br />
für Schutzmaßnahmen erarbeiten.<br />
Einerseits erfolgten die Studien in Situationen, wie wir<br />
sie vorfanden, andererseits führten wir Feldexperimente<br />
durch. Untersuchungsgebiete waren, das Augstmatthorn<br />
in der Region Interlaken, die Allmenalp bei Kandersteg<br />
und der Männlichen bei Wengen.<br />
1. Reaktionen der Tiere<br />
Nähern wir uns einem Tier, wird es plötzlich „aufmerken“.<br />
Bei weiterer Annäherung weicht es aus, rennt davon,<br />
flüchtet. Die Distanz zwischen uns und dem Tier im<br />
Augenblick des Fluchtbeginns bezeichnen wir als Fluchtdistanz<br />
(FD), die zurückgelegte Strecke als Fluchtstrecke.<br />
Gleichzeitig mit den sichtbaren Reaktionen treten in der<br />
Regel auch physiologische auf (Herzschlagfrequenz -<br />
änderungen, Ausschüttung von Stresshormonen).<br />
Die Fluchtdistanzen sind ein wichtiger Parameter, ein<br />
Maß für die Empfindlichkeit der Tiere gegenüber Freizeitaktivitäten.<br />
2. Faktoren, welche die Reaktionen beeinflussen<br />
Um die Wirkung einer Reihe von Faktoren zu prüfen,<br />
führten wir Experimente durch, in denen beispielsweise<br />
ein Wanderer simuliert wurde oder in denen ein Gleitschirmpilot<br />
auf vorbesprochener Route und in einem<br />
bestimmten Hangabstand Flüge durchführte.<br />
Freizeitaktivitäten<br />
Ort der Annäherung<br />
Gegenüber einer Person abseits im Gelände waren die<br />
FD der Gämsen wesentlich grösser (im Mittel 170 m),<br />
sie reagierten also empfindlicher, als gegenüber einer<br />
Person auf dem Weg (103 m).<br />
Position zu den Tieren<br />
Gegenüber einer Person oberhalb von ihnen reagierten<br />
die Gämsen deutlich empfindlicher (FD = 160 m) als<br />
gegenüber einer Person unterhalb von ihnen (FD = 105 m).<br />
Analoges gilt auch für die Reaktion gegenüber Gleitschirmen.<br />
Beim Überflug lagen die FD im Mittel bei<br />
600 m (!), beim Passierflug (gleiche Höhe oder etwas<br />
unter den Tieren) bei 240 m. Sowohl Personen, die oberhalb<br />
der Tiere durchgehen, als auch Gleitschirme, die<br />
über Ihnen auftauchen, wirken offensichtlich besonders<br />
bedrohlich.<br />
Mitführen eines Hundes<br />
Wenn ein Hund mitgeführt wurde, vergrößerten sich die<br />
FD erheblich. Hunde können den Tieren nachjagen.<br />
Deshalb ist es verständlich, dass diese sich rechtzeitig<br />
und auf große Distanz entfernen.<br />
Gegenüber folgenden Faktoren reagierten die Gämsen<br />
ebenfalls vergleichsweise empfindlich:<br />
Laute Stimmen, Direktes-auf-die-Tiere-Zugehen, Gruppen<br />
von Personen.<br />
16
Tiere und ihre Umgebung<br />
Geschlecht<br />
Weibliche Tiere hatten größere Fluchtdistanzen, reagierten<br />
also empfindlicher (waren scheuer) als männliche.<br />
Alter:<br />
Jüngere Tiere waren scheuer als ältere.<br />
Aktivität:<br />
Wenn Gämsen am Äsen waren, reagierten sie empfind -<br />
licher, als wenn sie ruhten und die Physiologie des<br />
Körpers auf Verdauung eingestellt war.<br />
Gruppe / Einzeltier<br />
Einzeltiere waren scheuer als Tiere in einer Gruppe.<br />
Abstand zum Rückzugsgebiet:<br />
Wenn sich die Gämsen in der Nähe von Felsen be fanden,<br />
ließen sie eine Person näher herankommen, bevor sie sich<br />
verzogen, als wenn sie sich weit entfernt von ihnen aufhielten.<br />
Analog verhielten sich die Tiere einem Gleitschirm<br />
gegenüber, wenn sie sich nahe beim Wald<br />
beziehungsweise weit von ihm entfernt aufhielten.<br />
Umgebung<br />
Entsprechend waren die Fluchtdistanzen in einem stark<br />
strukturierten Gebiet (Felsen, Sträucher, Wald) kleiner<br />
als in einem wenig strukturierten, offenen Gebiet.<br />
Jahreszeit<br />
Im Winter stellten wir kleinere FD fest als im Sommer.<br />
Das lässt sich durch die Strategie der Tiere im Winter<br />
erklären, sich möglichst wenig zu bewegen, um den<br />
Energieverbrauch zu minimieren.<br />
Für die Reaktionen der Gämsen sind also eine Reihe von<br />
Faktoren verantwortlich. Diese zu kennen, ist für Schutzmaßnahmen<br />
wichtig.<br />
3. Gewöhnung und Sensitivierung<br />
Wenn Aktivitäten regelmäßig auftreten (z.B. Wanderer<br />
auf einem Weg) ist am ehesten eine gewisse Gewöhnung<br />
(Abnahme der Empfindlichkeit) möglich, wiederholte<br />
bedrohliche Situationen können aber auch das Gegenteil<br />
zur Folge haben, indem die Tiere scheuer werden. Wenn<br />
also etwa Variantenfahrer und Freerider immer wieder in<br />
hohem Tempo auf die Tiere zufahren, muss mit einer<br />
Zunahme der Scheu gerechnet werden. Das bedeutet,<br />
dass die Tiere größere Fluchtdistanzen haben und damit<br />
häufiger flüchten müssen, falls sie sich unter solchen<br />
Bedingungen überhaupt noch im Gebiet aufhalten.<br />
4. Lebensraumverlust, Verlust durch Aktivitäten<br />
am Boden<br />
Beidseits von Wegen, Routen oder Loipen gibt es eine<br />
Zone, die Gämsen bei Betrieb nicht nutzen können. Bei<br />
einem dichten Netz von Wegen etc. können die Räume<br />
dazwischen zu klein sein, als dass sich da noch Tiere aufhalten<br />
können. Das bedeutet einen vorübergehenden oder<br />
auch länger andauernden Verlust an Lebensraum.<br />
Am Männlichen bei Wengen zum Beispiel nutzen weibliche<br />
Gämsen ein bestimmtes Gebiet nur im Winter, wenn<br />
die Wanderwege gesperrt sind. Die Böcke hingegen sind<br />
hier auch im Sommer anzutreffen, wenn die Wege offen<br />
und begangen sind. Die weiblichen Tiere halten sich in<br />
benachbarten Abschnitten ohne Wanderwege auf. Werden<br />
die Fluchtdistanzen der relativ scheuen Geißen mit Kitzen<br />
von den Wegen aus abgetragen so zeigt sich, dass sie<br />
nirgends unbehelligt bleiben würden. Offensichtlich meiden<br />
sie deshalb das Gebiet im Sommer.<br />
Gebiete mit ganzjährigem Betrieb, namentlich auch mit<br />
Betrieb abseits von Pisten, können Gämsen definitiv<br />
meiden (Beispiel Parsenngebiet, Region Davos).<br />
Verlust durch „kanalisierten“ Betrieb<br />
und durch Betrieb abseits im Gelände<br />
Im Vergleich bezüglich Äsflächenverlust haben schon wenige<br />
Menschen wie zum Beispiel Tourenskifahrer auf der<br />
Abfahrt, Variantenfahrer oder Freerider einen ungleich<br />
stärkeren Einfluss auf die Tiere als der ganze Betrieb auf<br />
einem Winterwanderweg, einer Route oder einer Loipe.<br />
Deshalb können die Aktivitäten in zwei Kategorien eingeteilt<br />
werden, in jene, die abseits im Gelände erfolgen<br />
und deshalb ein großes Einflusspotenzial haben und in<br />
die „kanalisierten“ mit einem relativ kleinen Einflusspotenzial.<br />
Bei Letzteren ist die Dichte eines Straßen-, Weg-,<br />
Routen- oder Loipennetzes entscheidend.<br />
GAMSWILD – LEBEN AUF DER KANTE 17
FREIZEITAKTIVITÄTEN IM LEBENSRAUM DER GÄMSEN<br />
Verlust durch das Hängegleiten<br />
Wenn sich Gämsen im Offenen weit oberhalb des<br />
Gebirgswaldes aufhalten, reagieren sie beim Auftauchen<br />
eines Gleitschirms oder Deltas vielfach mit Flucht über<br />
eine große Strecke und suchen dabei den Deckung<br />
bietenden Wald auf.<br />
Auf der Allmenalp bei Kandersteg blieben sie im Wald<br />
so lange Betrieb herrschte, oft den ganzen Tag. Das bedeutete<br />
eine starke Mindernutzung der an sich attraktiven<br />
Weiden.<br />
Am Augstmatthorn hatten an einem schönen Tag die<br />
wenigen vorbeifliegenden Gleitschirme wesentlich<br />
größere Äsflächenverluste zur Folge als der Wander -<br />
betrieb. Auch über den ganzen Sommer betrachtet bewirkten<br />
die vergleichsweise wenigen Gleitschirme (es<br />
kann nur bei guter Thermik geflogen werden) größere<br />
Äsflächenverluste als der Wanderbetrieb. Auch andere<br />
Luftfahrzeuge wie Segelflugzeuge, Helikopter oder<br />
Motorflugzeuge können heftige Fluchtreaktionen bewirken<br />
(große FD und Fluchtstrecken). Grundsätzlich sind<br />
die Luftfahrzeuge deshalb der Kategorie Aktivitäten mit<br />
einem großen Einflusspotenzial zuzuordnen.<br />
Es gibt allerdings auch Bedingungen, unter denen Gämsen<br />
mit Gleitschirmbetrieb zurechtkommen, wie wir am Männ -<br />
lichen bei Wengen (strukturiertes Gebiet, Wald relativ nah,<br />
stets gleicher Startplatz) festgestellt haben. Mit Beginn<br />
des Betriebs verzogen sich die Gämsen jeweils aus den<br />
Weiden zum Waldrand hinunter. Heftige Fluchten stellten<br />
wir dabei nicht fest. Im lockeren Waldrandbereich konnten<br />
die Tiere auch Nahrung aufnehmen. Der Aktivitätsverlauf<br />
über 24 Stunden war denn auch nicht verschieden von<br />
der Situation ohne Gleitschirm betrieb. Demzufolge gab<br />
es keine Hinweise auf nach teilige Folgen für die Tiere.<br />
Im Waldrandbereich waren jedoch die jungen Rottannen<br />
stark verbissen. Dazu trugen aber auch andere Faktoren<br />
wie zum Beispiel starker Wind bei, wegen denen die<br />
Gämsen ebenfalls den Waldrandbereich aufsuchten. Im<br />
Innern des Waldes war kaum Verbiss festzustellen<br />
5. Schutzmaßnahmen<br />
Maßnahmen zum Schutz der Tiere müssen verhindern,<br />
dass diese immer wieder die Flucht ergreifen müssen;<br />
Und sie sollen den Tieren ermöglichen, ihren bevorzugten<br />
Lebensraum möglichst unbehelligt zu nutzen.<br />
Von den Ergebnissen des Projekts her lässt sich eine<br />
Reihe von Schutzmaßnahmen ableiten:<br />
• Wildruhezonen schaffen, das heißt: Gebiete, die nicht<br />
begangen, befahren oder überflogen werden dürfen<br />
oder sollen (s. „Hängegleiten – Wildtiere“),<br />
• durch das Verlegen oder Aufheben eines Weges, einer<br />
Route oder Loipe genügend große ruhige Räume<br />
schaffen,<br />
• lenken des Betriebs durch Anbieten von „tiergerecht“<br />
angelegten markierten Wegen (z. B. Winterwanderwegen)<br />
und Routen (z. B. für Schneeschuhtouren) sowie<br />
weiterer Infrastruktur (z. B. Stellen zum Rasten/Feuern),<br />
damit die Menschen sich an den für die Tiere unbedenklichen<br />
Orten aufhalten,<br />
• Regeln propagieren oder entsprechende Gebote erlassen,<br />
z. B. sich an Wege und Routen halten, Hunde an der<br />
Leine führen, keinen Lärm machen.<br />
6. Zwei Beispiele für die Auswirkungen<br />
des Projekts in der Praxis<br />
Hängegleiten – Wildtiere<br />
In der Schweiz ist die Luftfahrt Sache des Bundes<br />
(Bundesgesetz über die Zivilluftfahrt). Für den Wildtierschutz<br />
gegenüber den Gleitschirmen konnte nichts unternommen<br />
werden, weil dies im Gesetz nicht vorgesehen<br />
war. Erst nachdem aufgrund unserer Erkenntnisse das<br />
Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft beim<br />
Bundesamt für Zivilluftfahrt einen entsprechenden Paragraphen<br />
mit Nachdruck gefordert hatte, konnten die<br />
Voraussetzungen für einen Schutz der Wildtiere geschaffen<br />
werden. Die Verordnung über die Infrastruktur der<br />
Luftfahrt wurde durch einen Artikel „Berücksichtigung<br />
des Naturschutzes“ sinngemäß wie folgt ergänzt:<br />
1. Es können freiwillige Betriebsregeln zum Schutz von<br />
Wildtieren realisiert werden.<br />
2. In genau bezeichneten Gebieten (gemeint sind vor<br />
allem Eidgenössische Jagdbanngebiete) können Start-,<br />
Lande- und Überflugbeschränkungen (Verbote) erlassen<br />
werden.<br />
Zusätzlich steht: „In erster Priorität sind Beschränkungen<br />
auf freiwilliger Basis in Form von Vereinbarungen<br />
mit Luftfahrtorganisationen auszuhandeln.“<br />
18
Wie gut dies funktioniert, wurde als erstes im „Pilotprojekt<br />
Augstmatthorn“ ausgetestet. In einer Arbeitsgruppe<br />
mit Vertretern aller Interessensgruppen wurde für die<br />
Eidgenössischen Jagdbanngebiete Augstmatthorn und<br />
Tannhorn (insgesamt rund 30 km 2 ) folgende Lösung<br />
erarbeitet, die 1997 in Kraft gesetzt wurde:<br />
• Keine Starts mehr im Gebiet.<br />
• Vom 1. April bis 30. Juni das Gebiet nicht überfliegen<br />
(später durch das Jagdinspektorat des Kantons Bern<br />
eingeschränkt auf Wochentage).<br />
• 300 m Abstand zum Adlerhorst, wenn er besetzt ist.<br />
Wenn der Adler nicht brütet, informiert der Wildhüter<br />
darüber.<br />
Am Anfang wurde vor allem die Überflugregelung nur<br />
schlecht eingehalten, unter anderem dank sozialer Kontrolle<br />
funktioniert es nun wesentlich besser. In der Folge<br />
wurden in der Schweiz in manchen Gebieten ähnliche<br />
Lösungen getroffen. Der Schweizerische Hängegleiter-<br />
Verband steht hinter gut begründeten Lösungen, die das<br />
Fliegen entsprechend einschränken. Er hat auch jüngst<br />
wieder im „Swiss Glider“ an die Piloten appelliert, sich<br />
an solche Regelungen zu halten: „Die mit den Amtsstellen<br />
getroffenen Vereinbarungen sind keine Alibiübung.<br />
Nur wenn wir uns an die Vorschriften halten, werden<br />
keine weitergehenden Einschränkungen erfolgen.“<br />
Informations- und Lenkungskonzept Lombachalp<br />
Die Lombachalp grenzt an das Augstmatthorn. Es ist ein<br />
an Naturwerten sehr reichhaltiges Gebiet mit u. a. dem<br />
Auerhuhn und einem guten Bestand des Birkhuhns.<br />
Als die Gemeinde Habkern, der das Gebiet gehört, hier<br />
den Wintertourismus etwas ausbauen wollte, wurde<br />
gleichzeitig ein Schutzkonzept entwickelt und realisiert.<br />
Dabei war es möglich, es unseren Erkenntnissen aus dem<br />
Projekt „Tourismus und Wild“ entsprechend zu gestalten.<br />
Das Konzept enthält folgende Elemente:<br />
• Wildruhezonen mit Weg- und Routengebot vom<br />
01. 12. bis 07. 08.,<br />
• Loipe auf der Straße; Sie darf nicht abseits durchs<br />
Gebiet geführt werden,<br />
• markierte, „tiergerecht“ angelegte Schneeschuhrouten,<br />
• Winterwanderwege weit außerhalb der Wildruhezonen,<br />
• Rastplätze mit Feuerstellen an Orten, welche von den<br />
Tieren her unbedenklich sind,<br />
• ein Informationszentrum,<br />
• Flyer für Sommer und Winter,<br />
• zwei Beobachtungswege und ein dazugehöriger Führer,<br />
um die Besucherinnen und Besucher des Gebietes<br />
für die Naturwerte zu sensibilisieren,<br />
• ein Ranger, der informiert, kontrolliert und Führungen<br />
anbietet.<br />
Bisher hat sich dieses Schutzkonzept bestens bewährt,<br />
nicht zuletzt, weil ein Ranger angestellt werden konnte.<br />
7. Schlussbetrachtung<br />
Der Boom der Freizeitaktivitäten hält unvermindert an.<br />
Immer mehr Aktivitäten werden abseits von Wegen,<br />
Routen und Pisten ausgeübt. Die Konflikte mit den Tieren<br />
werden noch zunehmen, wenn nicht mehr Rücksicht<br />
genommen wird, als dies heute der Fall ist.<br />
Die stark angewachsene Zahl von Menschen, welche sich<br />
in der Natur betätigen, und die touristische Infrastruktur<br />
(Wege, Straßen, Routen, Loipen, Pisten, Skilifte, Bahnen<br />
usw.) nehmen immer mehr Lebensraum der Tiere in<br />
Beschlag. Hinzu kommt, dass angesichts des Variantenreichtums<br />
der Freizeitaktivitäten und der Vielfalt ihrer<br />
Ausübung den Tieren die Möglichkeit, sich zu gewöhnen,<br />
eher erschwert denn erleichtert wird. Es muss befürchtet<br />
werden, dass zunehmend ein Maß erreicht wird, bei dem<br />
sich die Tiere aus den sie stark belastenden Teilen ihres<br />
Lebensraums verziehen. Zu verhindern, dass zunehmend<br />
Lebensraum verloren geht, wird ein Schlüssel zur Erhaltung<br />
der Bestände sein.<br />
Im Buch „Freizeitaktivitäten im Lebensraum der<br />
Alpentiere“ (Paul Ingold, Haupt, 2005; 516 S., 318 Abb.)<br />
wird die ganze Thematik in umfassender Weise behandelt.<br />
Das Buch kann beim Autor für den stark reduzierten<br />
Preis von EUR 27,-- (inkl. Verpackung und Porto) bestellt<br />
werden. E-Mail: paul.ingold@gmx.ch<br />
In der Broschüre „Freizeitaktivitäten und Wildtiere –<br />
Konflikte, Lösungen“ (Paul Ingold, 2006; 26 S., 15<br />
Abb.), wird die Thematik in Kurzform behandelt. Die Publikation<br />
kann beim Autor bestellt werden. Preis inkl.<br />
Porto 6,-- EURO. Sie ist ein Nachdruck aus den „Mitteilungen<br />
der Naturforschenden Gesellschaft in Bern“,<br />
Neue Folge, Band 63, 2006.<br />
GAMSWILD – LEBEN AUF DER KANTE 19
Univ. Doz. Dr. Armin Deutz<br />
Gamskrankheiten unter den Aspekten von<br />
Klimawandel und Lebensraumverlusten<br />
Gams- und Steinwild sind als gesellige Wildarten für eine<br />
rasche Ausbreitung von Infektionskrankheiten und Parasitosen<br />
innerhalb der Rudel anfällig. Obwohl der Winter<br />
im alpinen Lebensraum alljährlich eine Auslese schwachen<br />
Wildes bewirkt, sind Gams- und Steinwildkrank -<br />
heiten trotz der Anpassung dieser Wildarten an extreme<br />
Lebensräume relativ häufig.<br />
Bei Gamswild im Ostalpenraum treten häufig Räude und<br />
Gamsblindheit auf, weiters sind Gämsen relativ empfänglich<br />
für Lungen- und Bandwurmbefall. Einzelne schwere<br />
Erkrankungsfälle mit Moderhinke, Lippengrind oder<br />
Papillomatose demonstrieren ebenfalls die Krankheitsanfälligkeit<br />
dieser Wildart. Lokal hohe Wilddichten,<br />
Unruhe (wie Tourismus oder hoher Jagddruck bes. im<br />
Winter bei hohen Schneelagen) und für diese Wildarten<br />
ungeeignete oder suboptimale Lebensräume stellen<br />
ebenso wie auch der Klimawandel prädisponierende Faktoren<br />
für den Ausbruch von Krankheiten dar.<br />
Einteilung Einheit Krankheit / Erreger<br />
Erreger bedingte<br />
Erkrankungen<br />
Nichterreger -<br />
bedingte<br />
Erkrankungen<br />
Bakterielle<br />
Erkrankungen<br />
Parasitäre<br />
Erkrankungen<br />
Virusbedingte<br />
Erkrankungen<br />
Pilzinfektionen<br />
Organkrankheiten<br />
Tumore<br />
Missbildungen<br />
Gamsblindheit (Mycoplasma conjunctivae)<br />
*Tuberkulose (Mycobacterium spp.)<br />
Paratuberkulose (M. avium subsp. paratuberculosis)<br />
Bakt. Lungenentzündung (Mannheimia spp., Pasteurella spp.)<br />
*Dermatophilose (D. congolensis)<br />
*Brucellose (Brucella spp.)<br />
*Salmonellose (Salmonella spp.)<br />
*Räude (Sarcoptes rupicaprae)<br />
Befall mit Bandwürmern oder Finnen (mehrere Arten)<br />
Lungenwurmbefall (mehrere Arten)<br />
Befall mit Magen-Darmwürmern (mehrere Arten)<br />
Haarlings- und Lausfliegenbefall<br />
Seltenere: Kokzidiose (bes. bei Kitzen), Leberegel, Babesiose<br />
*Lippengrind<br />
Papillomatose<br />
Seltenere: *Tollwut, *Maul- und Klauenseuche, Border disease<br />
selten (außer bei Zootieren)<br />
Erkrankungen der Verdauungs-, Atmungs-, Harn-,<br />
Geschlechts- und Bewegungsorgane sowie des<br />
Herz-Kreislauf- und Immunsystems<br />
z.B. Leber-, Gallengangs- oder Hodentumore<br />
Schalenmissbildungen, angeborene Missbildungen<br />
Regelwidrigkeiten<br />
Hauthörner<br />
Tab. 1: Einteilung der wichtigsten Erkrankungen des Gamswildes im Alpenraum<br />
* Mögliche Infektionsgefahr für den Menschen<br />
20
In der überwiegenden Zahl der Fälle sind am Ausbruch<br />
schwerer Erkrankungen an Einzeltieren oder bei Massenerkrankungen<br />
negative Umweltfaktoren, prädisponierende<br />
Faktoren seitens der Wildtiere selbst oder<br />
Eigen schaften der Krankheitserreger beteiligt („Faktorenkrankheiten“).<br />
Die folgende Kurzbeschreibung soll das Erkennen von<br />
Krankheiten erleichtern, die Einsendung von Unter -<br />
suchungsmaterial in Zweifelsfällen fördern, einen Beitrag<br />
zur Wildbrethygiene leisten und auf mögliche Infektionsgefahren<br />
für den Jäger hinweisen.<br />
Weiters wird dadurch die Mitverantwortung der Jäger für<br />
die Gesunderhaltung der Wildtierbestände unterstrichen<br />
und damit auch ein Beitrag zu positiver Öffentlichkeitsarbeit<br />
der Jagd geliefert.<br />
Einflussfaktoren für die Entstehung von Krankheiten (Faktorenkrankheiten)<br />
Gamsräude<br />
Vor etwa hundert Jahren war die Räude auf die Gebirge<br />
von Kärnten, Salzburg und der Steiermark beschränkt.<br />
Ab den 1950er Jahren nahm das Verbreitungsgebiet der<br />
Räude ständig zu. In den letzten Jahrzehnten trat die<br />
Gamsräude massiv in Italien (Südtirol und Region Tarvis)<br />
sowie in Slowenien auf, wo sie bei Erstauftreten mit<br />
Ausfällen zwischen 82 % und 94 % bestandsgefährdende<br />
Züge annahm. Weiters wurde über massive Räudezüge<br />
in spanischen Gamspopulationen (Cantabrische Gämse,<br />
Rupicapra pyrenaica parva) berichtet.<br />
Erreger und Krankheitsbild<br />
Den Erreger der Gamsräude, die Grabmilbenart Sarcoptes<br />
rupicaprae, zeichnet eine hohe Vermehrungsrate aus.<br />
Die etwa 0,2 bis 0,4 mm großen Milbenweibchen graben<br />
Bohrgänge in die Haut, wo sie Eier ablegen. Die daraus<br />
schlüpfenden Larven wandern nach ein bis zwei Häutungen<br />
an die Hautoberfläche und paaren sich dort nach<br />
Erreichung der Geschlechtsreife, die bereits 18 bis 24<br />
Tage nach dem Schlüpfen aus den Eiern eintritt.<br />
Räude beginnt mit vermehrter Schuppenbildung am<br />
Haupt und Träger sowie an der Bauchdecke und den<br />
Beuge flächen der Läufe, sie befällt später in schweren<br />
Fällen den ganzen Körper und verläuft mit hochgradigem<br />
Juckreiz. In der Folge entstehen starke Hautverdickungen<br />
mit schwarzbraunen Krusten und Schuppenbildung, Haar -<br />
ausfall und eitrige Hautentzündungen durch bakterielle<br />
Sekundärinfektionen sowie Scheuerstellen und Hautverletzungen<br />
durch Kratzen an Felsen, Bäumen und anderen<br />
Gegenständen.<br />
Übertragung<br />
Die Übertragung erfolgt durch direkten Kontakt, wie<br />
Benützung derselben Lager, Geiß-Kitz-Kontakt und<br />
Kontakte in der Brunft. Der Befund, dass Geißen nach<br />
der Brunft meist am Rücken und Böcke meist am Bauch<br />
erkranken, weist auf die Übertragung während des Beschlagens<br />
hin. Zu ersten klinischen Erscheinungen<br />
kommt es zwei Monate nach der Ansteckung.<br />
Mitunter befallen Milben auch den Menschen, wo<br />
sie eine Scheinräude hervorrufen, die nach spätestens<br />
3 Wochen spontan abheilt, da Gamsräudemilben sich in<br />
der menschlichen Haut nicht vermehren.<br />
Außerhalb des Wirtstieres sind Räudemilben nur kurzfristig<br />
(max. 14 Tage bei 5 °C und hoher Feuchtigkeit,<br />
meist höchstens 1 Woche) überlebensfähig und sie<br />
entfernen sich auch nur max. 1 m vom toten Wirt, was<br />
„Verbrennungsaktionen“ bei Fallwild erübrigt.<br />
GAMSWILD – LEBEN AUF DER KANTE 21
GAMSKRANKHEITEN UNTER DEN ASPEKTEN VON KLIMAWANDEL UND LEBENSRAUMVERLUSTEN<br />
Beginnende Räude oder Befall mit anderen Ektoparasiten?<br />
G. Gressmann<br />
Hochgradige Gamsräude und Gamsräudemilbe<br />
Faktoren und Ausbreitung<br />
Die Mortalitätsrate bei erstmaligem Auftreten der Räude<br />
ist abhängig von der Gamsdichte. Dies konnte besonders<br />
bei dem südlichen Ausläufer der Räude beobachtet<br />
werden, als die Räude hier besonders in Waldgamspopulationen<br />
mit hohen Wilddichten Mortalitätsraten von über<br />
80 % verursachte. Unzweifelhaft haben sich im Untersuchungsgebiet<br />
und darüber hinausgehend im gesamten<br />
Alpenraum die Lebensbedingungen für Gamswild (Beun -<br />
ruhigung durch alpinen Massentourismus im Sommer<br />
und Winter, Abdrängen von Gamswild in Waldgebiete<br />
und suboptimale Lebensräume) insgesamt großteils verschlechtert.<br />
Neben einer möglichst frühzeitigen Erfüllung<br />
des Gamsabschusses ist es wichtig die sozialen Strukturen<br />
(Wilddichte, Altersklassenaufbau, Geschlechterverhältnis)<br />
in den Beständen zu berücksichtigen und jagdlich auf<br />
optimale Verhältnisse hinzuwirken. Ein unausgeglichenes<br />
Geschlechterverhältnis zugunsten der Geißen zieht beispielsweise<br />
die Brunft und damit die Belastung der Böcke<br />
und Beunruhigung der Rudel unnötig in die Länge.<br />
In einer italienischen Untersuchung wurde ein jährliches<br />
Fortschreiten der Räude um durchschnittlich 3,4 km<br />
beobachtet. Im Untersuchungsgebiet war bei der Ausbreitung<br />
der Räude in Richtung Süden in den Jahren 1980<br />
bis 1984 ein jährliches Fortschreiten um 15 bis 20 km<br />
festzustellen. Dies wird von den Autoren mit gleichzeitig<br />
auftretenden Fällen bei Steinwild, welches hier z. T. in<br />
suboptimalen Lebensräumen lebt, in Zusammenhang<br />
gebracht. Steinwild wäre hier als wesentlicher Vektor für<br />
Gamsräude zu nennen, weil es durch weiträumige<br />
Wanderungen – besonders der Böcke – die Räude in<br />
kurzer Zeit relativ weit verschleppen kann.<br />
Räude im Jahresverlauf<br />
Im Monatsverlauf der Räudefälle zeigten sich im Untersuchungsgebiet<br />
Steiermark ein Anstieg im August<br />
(Beginn der Jagdzeit) und ein weiteres deutliches Ansteigen<br />
in und nach der Brunft im November und Dezember.<br />
Danach ist ein starker Rückgang der gemeldeten Fälle<br />
von Jänner bis März zu erkennen, was nicht zuletzt mit<br />
der geringeren Beobachtung des Gamswildes in dieser<br />
Zeit zusammenhängen mag (Ende der Schusszeit im<br />
Dezember, hohe Schneelagen, Lawinengefahr).<br />
Eine größere Anzahl von Krankheitsfällen lässt sich wieder<br />
im April beobachten. Möglicherweise hängt dies nicht nur<br />
mit der wiederum ansteigenden Beobachtungsfrequenz<br />
im Frühjahr, sondern auch mit den häufig zu dieser Zeit<br />
noch auftretenden Nassschneefällen zusammen. Dadurch<br />
kann es bei den ohnedies durch den Winter geschwächten<br />
Tieren zu einem Krankheitsausbruch kommen.<br />
Räude wurde am häufigsten bei mittelalten und alten<br />
Tieren festgestellt, wobei Räudefälle bei mittelalten<br />
Tieren relativ konstant im Jahresverlauf auftreten, jene<br />
bei alten Stücken und Kitzen vorwiegend im November<br />
und Dezember. In der Jugendklasse (1-3 Jahre) ist ein<br />
Gipfel der Erkrankungsfälle im August zu beobachten.<br />
Auffallend ist, dass die Krankheitsfälle bei den Böcken<br />
zur Zeit der Brunft rapide ansteigen und dies bis in den<br />
Februar anhält. Dadurch wird deutlich, dass extreme körperliche<br />
Belastung, Stress und mangelnde Nahrungsaufnahme<br />
neben den in der Brunft natürlich häufigeren<br />
Körperkontakten prädisponierende Faktoren im Räudegeschehen<br />
darstellen können. Bei den Geißen fällt ein<br />
Gipfel der Erkrankungshäufigkeit im August (Zeit der<br />
Hochlaktation) auf.<br />
22
Räudefälle bei Gams- und Steinwild mit typischen<br />
Krankheitsgipfeln, Steiermark (1952-1998)<br />
Räudebekämpfung<br />
Erfahrungsgemäß sind die Ausfälle in Gebieten, wo die<br />
Räude erstmalig auftritt wesentlich dramatischer als in<br />
Gebieten, in denen sie schon längere Zeit vorkommt, was<br />
sicherlich auch auf immunologische Faktoren zurückzuführen<br />
ist. Bisher wurden weder über medikierte Lecksteine<br />
noch mittels strenger jagdlicher Maßnahmen<br />
(„Räudejäger“) wirkungsvolle Konzepte zur Räudebekämpfung<br />
gefunden, was durch die mannigfaltigen<br />
Faktoren, die im Räudegeschehen mitbestimmend sind,<br />
nicht verwundert. Jagdlich ist jedoch vorbeugend auf alle<br />
Fälle darauf zu achten, dass die Gamswild- bzw. Steinwilddichten<br />
den (Winter-) Lebensräumen angepasst sind<br />
und der Altersklassenaufbau sowie das Geschlechterverhältnis<br />
in der Norm liegen. In Räudegebieten darf das<br />
Wild – auch jagdlich – nicht zu stark beunruhigt werden,<br />
um ein Auswechseln von räudekranken Stücken zu verhindern.<br />
In umliegenden Gebieten, wo die Räude noch<br />
nicht auftritt, soll der Abschuss bei hohen Wilddichten<br />
erhöht sowie das Gams- und Steinwild genauestens<br />
beobachtet und im Zweifelsfall diagnostisches Material<br />
eingesandt werden.<br />
Hohe Gebirgszüge, breite Taleinschnitte oder große<br />
Flüsse halten die Ausbreitung der Räude nicht auf. Als<br />
effektive künstliche Barrieren konnten im Untersuchungsgebiet<br />
ein im Jahre 1922 errichteter Gamsräudeabwehrzaun<br />
sowie eine Autobahn mit Wildzaun erkannt<br />
werden. Da diese Barrieren selbstverständlich nicht überall<br />
aufgestellt werden können, führen nur konsequente,<br />
revierübergreifende Maßnahmen zum Ziel, einerseits in<br />
Räudegebieten die Prävalenz zu senken und andererseits<br />
ein weiteres Vordringen der Räude zu verhindern.<br />
Juckreiz durch weitere Ektoparasiten<br />
Weitere Erkrankungen, die ebenfalls mit einem bisweilen<br />
starken Juckreiz einhergehen und die mit Räude verwechselt<br />
werden können, sind der Befall mit Gamslausfliegen,<br />
Haarlingen, seltener Läusen oder den Larven von Herbstgrasmilben.<br />
Eine sichere Räudediagnose ist – außer in<br />
hochgradigen Fällen mit deutlicher Borkenbildung an den<br />
typischen Lokalisationen (Haupt, Träger, Bauchdecke,<br />
Beugeflächen der Läufe usw.) – durch die mikrosko -<br />
pische Untersuchung eines Hautgeschabsels zu stellen.<br />
Gamsblindheit – oft seuchenhaft auftretend<br />
Die infektiöse Keratokonjunktivitis (IKK, Keratokonjunktivitis<br />
= Lidbindehautentzündung) ist die häufigste<br />
Augenerkrankung der Haus- und Wildwiederkäuer.<br />
An IKK, die beim Schaf weltweit vorkommt, erkranken<br />
auch Gams- („Gamsblindheit“), Stein- und Muffelwild.<br />
Obwohl das Krankheitsbild seit über 200 Jahren bekannt<br />
ist, gelang der Erregernachweis (Mycoplasma conjunctivae,<br />
eine kleine Bakterienart) bei Schaf und Ziege erst vor<br />
rund 30 Jahren und für Gams- und Steinwild erst in den<br />
letzten drei Jahrzehnten.<br />
Als die Krankheit begünstigende und mit auslösende<br />
Faktoren werden Fliegen, Staub, intensives Sonnenlicht,<br />
hohe Tierdichten, sekundäre Infektionserreger und auch<br />
der Klimawandel angeführt.<br />
GAMSWILD – LEBEN AUF DER KANTE 23
GAMSKRANKHEITEN UNTER DEN ASPEKTEN VON KLIMAWANDEL UND LEBENSRAUMVERLUSTEN<br />
Symptome<br />
Die IKK, die meist beidseitig auftritt, kann klinisch in<br />
vier Stadien eingeteilt werden. Im ersten Stadium sind<br />
Tränen fluss, verstärktes Blinzeln, Lichtscheu und eine Lid -<br />
bindehautentzündung, die häufig spontan abheilt, charakteristisch.<br />
Das zweite Stadium ist durch eine begin nen de<br />
Hornhautentzündung und Einwanderung von Blut gefäßen<br />
in die Hornhaut gekennzeichnet. Im dritten Stadium sind<br />
eine eitrig-schleimige Lidbindehautentzündung, Trübung<br />
der Hornhaut und starker Tränenfluss („Sekretrinne“), die<br />
Ausbildung gelber Herde auf der Hornhaut und Vorwölbung<br />
der Hornhaut zu erkennen. Das vierte Stadium kann nach<br />
dem Aufbrechen von Hornhautgeschwüren und Ausrinnen<br />
des Kammerwassers zum Erblinden führen. In milderen<br />
Fällen klart die Hornhaut vom Rand ausgehend wieder<br />
auf, die Lidbindehautentzündung geht zurück, und es<br />
kann im Zuge der Selbstheilung wieder zur Erlangung<br />
der vollen Sehkraft kommen. Durch die Sehstörungen<br />
sind eine Einschränkung der Äsungsaufnahme sowie die<br />
Gefahr des Abstürzens gegeben.<br />
Gamsblindheit ist hoch ansteckend<br />
Die IKK ist innerhalb von Wildtierrudeln und Schaf -<br />
herden hoch ansteckend. Häufige und enge Kontakte zwischen<br />
Tieren scheinen die Voraussetzung für die rasche<br />
Ausbreitung zu sein. Der Erreger kann über Aerosole<br />
(z. B. Staub, Nebeltröpfchen), Augenbesuchende Insekten,<br />
aber auch zwischen verschiedenen Tierarten übertragen<br />
werden. Eine Verhaltensstudie ergab, dass Be geg -<br />
nun gen zwischen geweideten oder gealpten Schafen,<br />
Ziegen, Gams- und Steinwild in den Schweizer Alpen<br />
relativ häufig vorkommen. Haus- und Wildtiere können<br />
sich während längerer Zeit in unmittelbarer Nähe nebeneinander<br />
aufhalten, wo dann auch Fliegen bei der Übertragung<br />
des Erregers eine wesentliche Rolle spielen<br />
können. In diesem Zusammenhang ist auch der Klimawandel<br />
von Bedeutung. So waren im Zuge des Gamsblindheits-Seuchenzuges<br />
in den Niederen Tauern im Jahre<br />
2006 noch Ende November Fliegen in Seehöhen von<br />
über 1.800 m zu beobachten.<br />
IKK auf Menschen übertragbar?<br />
Nach einer internationalen Schafausstellung Ende<br />
Jänner/Anfang Februar 2003 in Westösterreich traten in<br />
zwei steirischen Schafbetrieben, die an dieser Ausstellung<br />
mit insgesamt 7 Tieren teilnahmen, zahlreiche Fälle von<br />
Stadium I: Tränenfluss<br />
Stadium II: Hornhautentzündung<br />
Stadium III: Eitrige Lidbindehautentzündung<br />
Stadium IV: Hornhautgeschwür<br />
24
IKK auf. Nach erfolglosen Behandlungsversuchen wurden<br />
von insgesamt 16 Schafen Augentupfer entnommen und<br />
zur bakteriologischen Untersuchung versandt.<br />
Zwei Kinder aus einem dieser Betriebe erkrankten in un -<br />
mittelbarem zeitlichen Zusammenhang ebenfalls an Lidbindehautentzündung,<br />
aus Augentupfern war M. conjunctivae<br />
vom selben Stamm wie bei den Schafen nachzuweisen.<br />
Bisher existierten in der Literatur aber keine<br />
Hinweise, dass IKK auf Menschen übertragbar sei.<br />
Da die Empfindlichkeit von Kindern, immungeschwächten<br />
und alten Personen gegenüber Infektionen höher ist, kann<br />
in diesen Fällen von einer Übertragung Schaf – Mensch<br />
ausgegangen werden. Hinsichtlich der möglichen Übertragbarkeit<br />
der IKK auf den Menschen ist der Kontakt<br />
von Kindern zu erkrankten Schafen / Gämsen zu verhindern<br />
und es wird empfohlen, im Umgang mit erkrankten Tieren<br />
Schutzhandschuhe zu tragen sowie übliche Hygieneregeln<br />
(Vermeidung von Schmierinfektionen usw.) einzuhalten.<br />
Vorbeuge- und Bekämpfungsmaßnahmen<br />
Vorbeugemaßnahmen hinsichtlich der Übertragung und<br />
Einschleppung der IKK in Schafbetriebe sind Ankaufsuntersuchungen<br />
und Quarantänemaßnahmen bei Zukauftieren<br />
sowie Auftriebsuntersuchungen bei der Weide -<br />
haltung auf Gemeinschaftsweiden.<br />
Solche Untersuchungen bieten auch einen gewissen<br />
Schutz vor der Übertragung von IKK von Hausschafen<br />
auf Gams- oder Steinwildpopulationen, obwohl in Schafherden<br />
nicht alle infizierten Tiere auffallen. Falls in einer<br />
Herde einzelne Fälle auftreten, gilt demnach der gesamte<br />
Bestand als „infiziert“. Auftriebsuntersuchungen von gealpten<br />
Schafen und Ziegen werden in Westösterreich freiwillig<br />
durchgeführt und sind in einigen Schweizer<br />
Kantonen vorgeschrieben. Die IKK beim Hausschaf ist<br />
heilbar.<br />
Treten in einem Gebiet Fälle von „Gamsblindheit“ bei<br />
Gams- oder Steinwild auf, so sind schwer erkrankte<br />
Stücke (Stadium III und IV) möglichst ohne Beunruhigung<br />
und Versprengung des Restbestandes zu erlegen.<br />
Da Fälle im Stadium I und II in vermutlich einem hohen<br />
Prozentsatz selbst ausheilen und sich damit eine Bestandsimmunität<br />
aufbauen kann, sind Abschüsse in<br />
diesen Fällen umstritten, obwohl natürlich sämtliche<br />
erkrankten Stücke auch Infektionsquellen für noch<br />
gesunde Stücke darstellen.<br />
Paratuberkulose – häufiger als vermutet!<br />
Aus Österreich lagen bis ins Jahr 2002 Berichte über das<br />
Auftreten von Paratuberkulose bei Rindern, Schafen und<br />
Ziegen und bei Wildtieren aus Gatterhaltung sowie vereinzelt<br />
aus freier Wildbahn bei Rotwild vor. Ab dem Jahr<br />
2002 häuften sich Fälle bei Wild in freier Wildbahn.<br />
Paratuberkulose ist eine weltweit verbreitete, ansteckende,<br />
chronische Darmerkrankung besonders der<br />
Wiederkäuer, die durch Mycobacterium avium subsp.<br />
paratuberculosis (Kurzform: M.a.p.) hervorgerufen wird.<br />
Das Wirtsspektrum der Paratuberkulose umfasst außer<br />
Haus- und Wildwiederkäuern auch Pferd, Hund, Schwein,<br />
Esel, Geflügel, Primaten, Fuchs, Dachs, Großes und<br />
Kleines Wiesel, Hasen, Kaninchen, Rabenvögel, Ratten<br />
und Waldmäuse, die jedoch i. d. R. nicht klinisch erkranken,<br />
sondern vor allem als Ausscheider auftreten.<br />
Beim Menschen wurde M.a.p. bei Morbus Crohn (chronische<br />
Darmentzündung) isoliert, ein Zusammenhang<br />
zwischen Paratuberkulose und Morbus Crohn konnte<br />
aber bislang noch nicht schlüssig bewiesen werden.<br />
Hohe Ausscheidungsmengen!<br />
Der Erreger wird vorwiegend über Kot (bis 100 Mio.<br />
Erreger pro Gramm Kot/Losung!) ausgeschieden, die<br />
Infektion erfolgt vor allem durch orale Aufnahme der<br />
Erreger meist schon in den ersten Lebenswochen.<br />
Die Infektionsdosis, die zu einer Infektion führt, ist bei<br />
jungen Tieren vermutlich sehr gering, zudem kann der<br />
Erreger in der Umwelt über ein Jahr überleben. Die Inkubationszeit<br />
(Zeitraum von der Infektion bis zum Ausbruch<br />
von Krankheitserscheinungen) beträgt beim Rind<br />
mindestens 2 Jahre, kann aber bis zu 10 Jahre dauern.<br />
Bei Wildtieren dürfte nach unseren bisherigen Erfahrungen<br />
die Inkubationszeit kürzer sein. Bei den von uns<br />
untersuchten Wildtieren waren auch Erkrankungsfälle bei<br />
4 bis 6-monatigen Kitzen und Kälbern von Reh-, Gamsund<br />
Rotwild zu beobachten, die vermutlich auch auf<br />
einen hohen Infektionsdruck hindeuten.<br />
GAMSWILD – LEBEN AUF DER KANTE 25
GAMSKRANKHEITEN UNTER DEN ASPEKTEN VON KLIMAWANDEL UND LEBENSRAUMVERLUSTEN<br />
Krankheitsbild<br />
Folgende Symptome konnten bei erkrankten Tieren festgestellt<br />
werden: Abmagerung, vergrößerte Darmlymphknoten,<br />
Hinweise auf Durchfall (wie Losungs-/Kotspuren<br />
um After/Weidloch und an den Sprunggelenken) in ca.<br />
15 % der Fälle, verzögerter Haarwechsel, verspätetes<br />
Verfegen, abnormer Geruch bei frisch verendeten oder mittels<br />
Fangschuss erlegten Tieren, Lebergranulome (steck -<br />
nadel kopfgroße Abszesse), Lungenveränderung, Ödeme<br />
im Bereich des Darmtraktes sowie Bauchwassersucht.<br />
Die für das Rind typische hochgradige („hirnwindungsähnliche“)<br />
Verdickung und Faltenbildung der Darmwand<br />
ist bei Wildtieren nicht oder nur in gering gradiger Ausprägung<br />
zu beobachten. In einem Fall wurde bei Rotwild<br />
beobachtet, dass gesunde Tiere einem erkrankten Stück<br />
möglicherweise wegen des abnormen Geruches drei Tage<br />
lang auswichen. Es war auch festzustellen, dass Jagdhunde<br />
den näheren Kontakt zu erlegten/verendeten kranken<br />
Stücken weitgehend mieden. Zusätzlich wurden bei<br />
drei einjährigen Stücken Rotwild Gelenksentzündungen<br />
beobachtet, ein Zusammenhang mit Paratuberkulose<br />
konnte jedoch noch nicht verifiziert werden.<br />
Erstmalig gelang der Nachweis der intrauterinen Übertragung<br />
(Infektion der noch ungeborenen Kälber/Kitze)<br />
von M. paratuberculosis bei Rot- (3 Fälle) und Gamswild<br />
(1 Fall) sowie die bei Wildtieren bislang nicht beschriebene<br />
Isolierung des Erregers aus Leber, Lunge und<br />
Unterhautabszessen (DEUTZ et al., 2005).<br />
Paratuberkulose bei einem 8-jährigen Steinbock (35 kg unaufgebrochen)<br />
und einer Gamsgeiß<br />
Sektionsbefunde Paratuberkulose: Gamsherz ohne Fett in den Herzfurchen (links), vergrößerte Darmlymphknoten und Gamswild (rechts).<br />
Aus den Darmlymphknoten können auch die Erreger nachgewiesen werden.<br />
26
Vermutete Ursachen<br />
Als Ursachen für die Häufung klinischer Fälle ab dem<br />
Jahre 2002 werden allgemein Fütterungen (Massierung<br />
von Tieren), Mängel in der Fütterungshygiene (wie<br />
Bodenvorlage von Futtermitteln), die Rotwildhaltung in<br />
Wintergattern und der Zukauf von (Gatter-)Wild sowie<br />
die starke Zunahme der Mutterkuhhaltung und Rinderimporte<br />
mit einer Anreicherung der Erreger in der Umwelt<br />
vermutet. In Mutterkuh- und Fleisch rinder zucht betrieben<br />
stellt Paratuberkulose auch in der Steiermark seit zumindest<br />
Anfang der 1990er Jahre ein klinisches Problem dar. Ein<br />
nicht zu vernachlässigendes Risiko ergibt sich aus der<br />
zunehmenden Ausbringung von Gülle. Zu untersuchen<br />
wäre auch, ob durch milde, feuchte Winter die Überlebensfähigkeit<br />
der Erreger auf Weide-/Äsungsflächen<br />
erhöht wird und ob Hitzestress und Wasser mangel (wie<br />
im Jahre 2003) oder auch chronische Pansenübersäuerungen<br />
durch Fütterungsfehler (Getreideschrot- und Maisfütterung)<br />
und schwere Parasitosen bei Wildwiederkäuern<br />
zusätzliche prädisponierende Faktoren für das Auftreten<br />
von Paratuberkulose sein können.<br />
Wildtiere können nicht nur von Hauswiederkäuern mit<br />
Paratuberkulose infiziert werden, sondern tragen offensichtlich<br />
selbst zur Verbreitung des Erregers bei. In Versuchen<br />
in Schottland gelang es, Rinder mit von aus<br />
Wildkaninchen isolierten Paratuberkulose-Erregern<br />
zu infizieren.<br />
Übertragung Rind - Wildtier<br />
In einem Gebiet mit massiven Paratuberkulose-Problemen<br />
bei Rindern konnten wir die Erkrankung auch bei abgemagerten<br />
Rehen nachweisen. Daraufhin wurden Erregerstämme<br />
von Haus- und Wildtieren genetisch verglichen<br />
und dabei in 3 Regionen der Steiermark drei eigenständige<br />
Stämme bei Haus- und Wildtieren festgestellt, die<br />
die gegenseitige Übertragbarkeit der Paratuberkulose untermauern.<br />
Pavlik (2000) vermutete importierte Rinder<br />
(Limousin, Holstein) als Infektionsquelle für Reh- und<br />
Damwild in der Tschechischen Republik, wo er ebenfalls<br />
idente Stämme bei Wildtieren und Rindern nachgewiesen<br />
hat. Er fand Paratuberkulose bei Rot-, Reh-, Muffel- und<br />
Damwild in freier Wildbahn, Wildtiergehegen bzw. Jagdgattern,<br />
wobei der Anteil positiver Proben mit 7 % bei<br />
Rotwild, 2 % bei Rehen und 4 % bei Dam- und Muffelwild<br />
unter den Ergebnissen der eigenen Untersuchung liegt.<br />
Vorbeuge- und Bekämpfungsmaßnahmen<br />
1. Bei der Bekämpfung von Paratuberkulose muss neben<br />
der hohen Überlebensfähigkeit des Erregers in der<br />
Umwelt auch die intrauterine Übertragung (Infektion<br />
noch Ungeborener) beachtet werden. Der Erreger kann<br />
bis ein Jahr auf Äsungs-/Weideflächen infektionsfähig<br />
bleiben und damit auch den Winter überdauern.<br />
Insgesamt begünstigen niedrige Temperaturen, Feuchtigkeit<br />
und fehlende Sonneneinstrahlung das Über -<br />
leben des Erregers. Weiterhin scheint der pH-Wert des<br />
Bodens einen Einfluss zu haben, da nach Literatur -<br />
berichten Paratuberkulose verstärkt in Gebieten mit<br />
saurem Boden (niedriger pH-Wert) vorkommt. Eigene<br />
Beobachtungen, wonach rund 40 % der Nachweise<br />
von Paratuberkulose bei Wildtieren und drei der vier<br />
beschriebenen Fälle intrauteriner Übertragung im Kalk -<br />
gebirge auftraten, relativieren hingegen die Aussagen<br />
bezüglich des Einflusses des pH-Wertes des Bodens.<br />
2. Jagdliche Maßnahmen: Zuerst sind die Jäger über<br />
diese Krankheit zu informieren, um ihr Verständnis<br />
und ihre Mitarbeit für langfristige und großräumige<br />
jagdliche Entscheidungen zu sichern. Der Abschuss<br />
und die Untersuchung aller krankheitsverdächtigen<br />
Stücke (zu jeder Jahreszeit, natürlich Kitze und Kälber<br />
vor erkrankten Muttertieren), die regionale Reduktion<br />
von Wildbeständen nach Häufung von Krankheits -<br />
fällen und eine möglichst frühzeitige Abschusser -<br />
füllung mit stark reduziertem Jagddruck ab November<br />
sind konkrete jagdliche Maßnahmen zur Senkung des<br />
Infektionsdruckes. Eine Anpassung der Wildbestände<br />
an den jeweiligen Lebensraum, lebensraumver bes sernde<br />
Maßnahmen, die eine Massierung von Wild verhindern<br />
und erhöhter Jagddruck im Bereich von kontaminierten<br />
Weidegebieten/Äsungsflächen (Lenkungs effekt!), wo<br />
Rinder aus Paratuberkulose-positiven Betrieben aufgetrieben<br />
werden, sind zusätzlich notwendig.<br />
3. Weitere Maßnahmen: Kranke und krankheitsverdächtige<br />
Tiere und Aufbrüche müssen seuchensicher entsorgt<br />
werden. Die Abklärung sämtlicher Verdachtsfälle, ein<br />
flächendeckendes Paratuber kulose-Monitoring unter<br />
Einbindung unverdächtiger Stücke sowie die Untersuchung<br />
von Indikatortieren (z. B. Fuchs) und die<br />
Erfassung von Erregerreservoiren (Nagetiere, Vögel<br />
GAMSWILD – LEBEN AUF DER KANTE 27
GAMSKRANKHEITEN UNTER DEN ASPEKTEN VON KLIMAWANDEL UND LEBENSRAUMVERLUSTEN<br />
usw.) würden über die regionale Verbreitung der<br />
Paratuberkulose bei Wildtieren Aufschluss geben und<br />
könnten in ein Informa tionssystem über Wildtierkrankheiten<br />
einfließen. Eine Behandlungsmöglichkeit<br />
gegen Paratuberkulose gibt es nicht.<br />
Eine Bekämpfung der Paratuberkulose bei Wildtieren<br />
wird erst nach einer Eindämmung der Paratuberkulose<br />
bei Rindern Wirkung zeigen. Der zunehmende Nachweis<br />
von M. paratuberculosis bei Wildtieren muss als Indikator<br />
für eine steigende Prävalenz von Paratuberkulose in<br />
Rinderbetrieben gewertet werden. Momentan kann die<br />
Paratuberkulose beim Rind lediglich in Grenzen gehalten<br />
werden, zur praxistauglichen Sanierung von Betrieben<br />
fehlen noch entsprechend aussagekräftige Tests auf Einzeltierebene,<br />
ein in Bezug auf Paratuberkulose kontrollierter<br />
Tierverkehr und nicht zuletzt eine entsprechende<br />
Bewusstseinsbildung in verantwortlichen Kreisen der<br />
Veterinärmedizin, Landwirtschaft und auch Jägerschaft.<br />
Seit 2006 ist die Paratuberkulose bei Rindern, Schafen,<br />
Ziegen und bei Farmwild eine in Österreich anzeigepflichtige<br />
Tierseuche.<br />
(Harschschnee, extreme Witterung, Äsungsknappheit,<br />
Beunruhigung usw.), die zum Angehen dieser Erkrankung<br />
führen, hindeutet. Im Frühjahr kommt es durch die<br />
verbesserten Lebensbedingungen nicht selten zu Selbstheilungen.<br />
In abgefallenen Hautkrusten kann der Erreger<br />
mehrere Jahre überleben und infektiös bleiben.<br />
Beim Menschen können nach Kontakt mit an Lippen -<br />
grind erkrankten Tieren Erreger über Hautwunden eindringen,<br />
die nach 3 bis 7 Tagen vorwiegend an Händen,<br />
Armen, Hals sowie im Gesicht oder Nacken Bläschen,<br />
Pusteln und Krusten hervorrufen. Diese Veränderungen<br />
heilen i.d.R. innerhalb weniger Wochen komplikationslos<br />
ab. Daneben werden vereinzelt Fieber, Lymphknotenschwellungen<br />
oder Gelenksschmerzen beobachtet.<br />
Erkrankte Stücke sind möglichst ohne starke Beunruhigung<br />
des restlichen Bestandes zu erlegen sowie bei<br />
Auftreten mehrerer Fälle die Salzlecken (häufige Ansteckungsquelle)<br />
zu entfernen.<br />
Lippengrind (Z!)<br />
(Ecthyma contagiosum) [Z! … Zoonose!]<br />
Lippengrind ist eine virusbedingte Infektionskrankheit<br />
(Parapockenviren), die bei Wildtieren fast ausschließlich<br />
bei Gams- und Steinwild (seltener Rotwild) und darüber<br />
hinaus bei Hausschafen und -ziegen sowie nach Kontakt<br />
mit erkrankten Tieren auch beim Menschen auftritt.<br />
Die Erkrankung verläuft meist ohne deutliche Beeinträchtigung<br />
der infizierten Tiere, weiters ist die Selbstheilungsrate<br />
relativ hoch. Die Erreger dringen über Hautoder<br />
Schleimhautverletzungen (Äser, Lecker, Läufe) ein<br />
und verursachen blasenartige Veränderungen und später<br />
geschwürige Entzündungen an Äser, Lippen, Gaumen,<br />
Lecker und seltener an den Extremitäten-Enden.<br />
Durch die Veränderungen im Äserbereich wird bei Komplikationen<br />
in hochgradigen Fällen die Äsungsaufnahme<br />
erschwert bis unmöglich, was Todesfälle infolge Entkräftung<br />
und Verhungerns hervorruft. Lippengrind kommt<br />
fast nur im Winter und hauptsächlich bei jungen oder<br />
schwachen Stücken vor, was auf zusätzliche Faktoren<br />
Lippengrind, Gamsgeiß<br />
F. Kemeter<br />
28
auch in Europa, bei über 30 Tierarten, wie z. B. Rindern,<br />
Pferden, Ziegen, Schafen, Fleischfressern, Schweinen,<br />
Nagetieren, Marderartigen, sowie gelegentlich beim<br />
Menschen vor. International wird eine Ausbreitung dieser<br />
Erkrankung beobachtet. In Österreich wurde 1998 vom<br />
Autor gemeinsam mit der Bundesanstalt für veterinärmedizinische<br />
Untersuchungen in Graz das Vorkommen der<br />
Dermatophilose bei Rind, Pferd und Gamswild erstmalig<br />
nachgewiesen (DEUTZ u. HINTERDORFER, 1997).<br />
Bislang war die Dermatophilose bei Gamswild nur in der<br />
Schweiz beschrieben worden.<br />
Papillomatose, Gamskitz<br />
Papillomatose<br />
G. Gressmann<br />
Die durch Papovaviren verursachte Papillomatose mit erhabenen,<br />
warzenartigen Veränderungen (bei Lippengrind<br />
meist eingesenkte Geschwüre) an den Schleimhäuten der<br />
Verdauungsorgane oder der Haut (besonders an den<br />
Läufen) wurde bisher bei Gams- Stein-, seltener bei Rot-,<br />
Dam- und Rehwild sowie Hasen und Wildkaninchen<br />
nachgewiesen. Die Übertragung erfolgt über kleine<br />
Wunden, Insektenstiche, direkten Kontakt oder auch bei<br />
Salzlecken. Krankheitserscheinungen treten hauptsächlich<br />
im Winter auf, können die Nahrungsaufnahme<br />
behindern (Papillomatose im Äserbereich, an der Zunge,<br />
in der Speiseröhre oder im Vormagensystem) oder zu<br />
Bewegungsstörungen (Papillomatose an den Läufen)<br />
führen. Im Frühjahr heilt die Papillomatose in den überwiegenden<br />
Fällen wieder ab.<br />
Die Ansteckung erfolgt über Hautverletzungen und<br />
Ektoparasiten, während dem direkten Tierkontakt<br />
geringere Bedeutung zuzukommen scheint. Begünstigend<br />
für das Auftreten sind längere Regenperioden<br />
(Aufweichung der oberen Hautschichten), intensive<br />
Sonnenbestrahlung, andere Hautinfektionen oder<br />
Zeckenbisse.<br />
Dermatophilose beginnt mit dem Aufrichten einzelner<br />
Haarbüschel und Krustenbildung. Innerhalb einiger<br />
Wochen entwickeln sich haarhaltige, schwer entfernbare<br />
Borken ohne Juckreiz (Unterschied zur Räude!).<br />
Diese Veränderungen können sowohl mit Räude als auch<br />
mit Lippengrind verwechselt werden. Das Wildbret von<br />
an Dermatophilose erkrankten Gämsen ist nach Entfernung<br />
veränderter Stellen verwertbar, sofern das Stück<br />
nicht abgemagert ist oder weitere Auffälligkeiten zeigt,<br />
die eine Verwertung ausschließen.<br />
Dermatophilose (Z!)<br />
Eine erst selten nachgewiesene, aber sicherlich häufiger<br />
vorkommende Hauterkrankung beim Gamswild ist die<br />
Dermatophilose. Dabei handelt es sich um eine durch<br />
die Bakterienspezies Dermatophilus congolensis verursachte,<br />
akut bis chronisch verlaufende, übertragbare<br />
Hautkrankheit. Es überwiegen milde Verlaufsformen, bei<br />
denen nach Wegfall hautschädigender Einflüsse Selbstheilungen<br />
vorkommen. In generalisierten Fällen kann sie<br />
jedoch zum Tode führen. Die Dermatophilose kommt<br />
vorwiegend in wärmeren Klimazonen, vereinzelt aber<br />
Beginnende Dermatophilose am Nasenrücken eines Gamskitzes<br />
GAMSWILD – LEBEN AUF DER KANTE 29
GAMSKRANKHEITEN UNTER DEN ASPEKTEN VON KLIMAWANDEL UND LEBENSRAUMVERLUSTEN<br />
Brucellose (Z!)<br />
Weiters von Bedeutung sind serologische Befunde von<br />
Brucellose bei freilebendem Gams-, Stein- und Muffelwild<br />
in Frankreich. Es ist durchaus anzunehmen, dass<br />
Brucellose auch im Ostalpenraum beim Gamswild<br />
vorkommt. Gebiete mit einem hohen Anteil sog. „Geltgeißen“<br />
sind verdächtig. An gegenseitige Ansteckungen<br />
zwischen Schafen/Ziegen und Gams-/Steinwild muss<br />
gedacht werden.<br />
Eine ein- oder beidseitige Vergrößerung der Brunftkugeln<br />
bei Gamsböcken liefert einen Hinweis auf Brucellose und<br />
sollte diagnostisch abgeklärt werden, zumal auch eine<br />
Infektionsgefahr für den Menschen besteht.<br />
Salmonellose (Z!)<br />
Einige Fälle von Salmonellose bei Gamswild traten<br />
in den Jahren 1998 und 1999 auf Almen in Tirol auf<br />
(GLAWISCHNIG et al., 2000).<br />
Erkrankte Stücke (hauptsächlich ältere Gamsböcke in<br />
ihren tieferliegenden Sommereinständen) verendeten innerhalb<br />
weniger Tage an einem akuten septikämischen<br />
Durchfallgeschehen. Als Infektionsquellen konnten<br />
Salmonellen-ausscheidende Rinder identifiziert werden,<br />
die besonders Tränkeplätze, aus denen auch Gämsen<br />
schöpften, mit Erregern kontaminierten.<br />
Endoparasiten<br />
Unter den Endoparasitosen sind bei Gams- und Steinwild<br />
besonders Lungenwürmer, Bandwürmer und Magen-<br />
Darmwürmer von größerer Bedeutung. Gleich wie die<br />
Ektoparasitosen treten auch Endoparasitosen als Faktorenkrankheiten<br />
massiver bei negativen Umweltfaktoren<br />
(Stress, Überbesatz, suboptimale Lebensräume usw.) auf.<br />
Einige Endoparasiten sind auch zwischen Gams- und<br />
Steinwild bzw. auch zwischen diesen und Schafen und<br />
Ziegen wechselseitig übertragbar, überwiegend trägt<br />
jedoch jede Art ihre eigene Parasitenfauna. In den letzen<br />
Jahren sind hochgradige Parasitosen bereits in immer<br />
höheren Lagen feststellbar, was auf die steigenden<br />
Jahresdurchschnittstemperaturen zurückgeführt wird.<br />
Grundsätzliche Bekämpfungsmaßnahmen<br />
gegen Gamskrankheiten<br />
Grundsätzliche Bekämpfungsmaßnahmen gegen Gamsund<br />
Steinwildkrankheiten sind:<br />
• Etablierung eines effektiven Informationssystems<br />
über Gams- und Steinwildbestände, auftretende<br />
Krankheiten und jagdliche Eingriffe,<br />
• verstärkte Untersuchung von erkrankten und<br />
verdächtigen Stücken,<br />
• Anpassung der Wildbestände an den jeweiligen<br />
(Winter-)Lebensraum,<br />
• die Bejagung von erkrankten Tieren sollte möglichst<br />
wenig Unruhe im Revier verbreiten,<br />
• möglichst frühzeitige Abschusserfüllung, reduzierter<br />
Jagddruck ab November<br />
Krankheiten und Klimawandel<br />
Der Hitzesommer 2003 war sowohl für Haus- als auch<br />
für Wildtiere ein enormer Stressfaktor. Besonders für<br />
territorial lebende Wildwiederkäuer (z.B. Rehwild) war<br />
es nahezu unmöglich adäquate Wasserquellen zu erreichen,<br />
was auch an deutlich verringerten Durchschnittsgewichten<br />
ablesbar war. Damit verbunden war vermutlich<br />
auch eine höhere Krankheitsanfälligkeit (z.B. Paratuberkulose,<br />
Endoparasitosen). Klimaforscher gehen davon<br />
aus, dass derartige Hitzesommer häufiger auftreten werden.<br />
Wenn auch 2005 ein eher kühler Sommer vorherrschte,<br />
Anfang Juli manche Berge schneebedeckt waren und ein<br />
strenger Winter folgte, ist eine Phase der Klimaerwärmung<br />
in den letzten beiden Jahrzehnten nicht wegzuleugnen.<br />
Auswirkungen dieses Klimawandels sind bereits<br />
unter anderem das Auftreten von für Mitteleuropa neuen<br />
Krankheitserregern sowie von Veränderungen im Lebensraum.<br />
Der Einfluss des Klimawandels auf die Verbreitung von<br />
Krankheitserregern kann direkt erfolgen, indem Krankheitserreger<br />
bei höheren Jahresdurchschnittstemperaturen<br />
in der Umwelt länger überleben und auch höhere Keimzahlen<br />
aufweisen oder auch indirekt bei jenen Krankheitserregern,<br />
die über Vektoren (z.B. Zecken, Stech -<br />
mücken) übertragen werden bzw. sich in tierischen<br />
Reservoiren halten, und wo deren Verbreitungsgebiet<br />
bzw. Populationsgrößen klimatisch beeinflusst werden.<br />
30
Erregerhältige Zecken (z.B. mit Babesien) und Stechmücken<br />
sind auch bereits in größeren Seehöhen nachweisbar<br />
als noch vor zwei Jahrzehnten. So wurde der<br />
Erreger der Babesiose mittlerweile schon in Zecken und<br />
Gamswild auf über 1.400 m Seehöhe oder Infektionen<br />
mit dem Schmallenberg-Virus ebenfalls in diesen Höhenlagen<br />
nachgewiesen. Weiters können sich bei Krankheitserregern,<br />
die in ihrem Auftreten eine jahreszeitliche<br />
Periodik aufweisen, Zeiträume mit höherem Infektionsrisiko<br />
verlängern. Auch Parasiteneier und -larven sowie<br />
Zwischenwirte von Parasiten sind bereits in größeren<br />
Höhen nachweisbar bzw. profitieren von höheren Jahres -<br />
durchschnittstemperaturen. In diesem Zusammenhang<br />
finden wir vermehrt eitrige Lungenentzündungen bei<br />
Gamswild in der Folge des Befalles mit Kleinen Lungen -<br />
würmern.<br />
Im Zuge langer, heißer Sommer ist es auch möglich, dass<br />
Vektoren wie Zecken darunter leiden, dafür aber z.B.<br />
Mücken arten – auch Arten, die bislang in Mitteleuropa<br />
nicht vorgekommen sind – davon profitieren. Ein Beispiel<br />
dafür ist die Blauzungenkrankheit (Bluetongue), eine<br />
meist akut verlaufende, seuchenhaft auftretende Erkrankung<br />
bei Schafen, seltener bei Rindern, Ziegen und Wildwiederkäuern.<br />
Das im Blut infizierter Tiere zirkulierende<br />
Virus wird von Stechmücken der Gattung Culicoides und<br />
Zecken von Tier zu Tier übertragen. Die Krankheit wurde<br />
in Südafrika erstbeschrieben und von dort in andere Teile<br />
Afrikas verschleppt. Die ersten europäischen Fälle ereigneten<br />
sich 1998 in Spanien. Danach trat die Blauzungenkrankheit<br />
in vielen Ländern Südeuropas auf, wobei ein<br />
Fortschreiten in Richtung Norden festzustellen war; ab<br />
2006 ereigneten sich zahlreiche Ausbrüche in Mittel- und<br />
Nordeuropa. Das saisonale Auftreten dieser Erkrankung<br />
hängt eng mit der Flugzeit weniger Mückenarten zusammen.<br />
Als Virusreservoir gelten vor allem Rinder und<br />
Wildwiederkäuer, in denen der Erreger bis über 200 Tage<br />
im Blut zirkulieren – also auch überwintern – kann.<br />
Güllen – ein Hygienerisiko?<br />
Prinzipiell kann eine intensive Almbewirtschaftung mit<br />
Düngung einige Vorteile für Wildtiere bringen, dennoch<br />
sollten dabei mögliche Nachteile sowie Hygienerisiken<br />
nicht völlig übersehen werden. Da sich Vor- und Nachteile<br />
einer intensive Almbewirtschaftung mit Düngung<br />
für Wildtiere nicht scharf trennen lassen bzw. auch regional<br />
sowie abhängig von Pflanzenbeständen, Bodenverhältnissen<br />
oder betroffenen Wild- und Haustierarten auch<br />
unterschiedlich verhalten können, werden im Folgenden<br />
einige Aspekte aufgezeigt, die aus veterinärmedizinischer<br />
und wildbiologischer Sicht in einer derartigen Diskussion<br />
nicht übersehen werden sollten.<br />
Düngung und Geruchssinn von Wildtieren<br />
Eine wesentliche Frage betreffend die geruchliche Beein -<br />
trächtigung von Wildtieren bzw. der Äsung durch<br />
Dung/Gülle ist der Zeitpunkt des Almauftriebes und<br />
Abtriebes bzw. der Zeitpunkt der Düngung. Auf vielen<br />
Almen Österreichs finden sowohl der Auftrieb als auch<br />
der Abtrieb zu spät statt. Bei einem zu späten Abtrieb ist<br />
der noch folgende Aufwuchs nur mehr spärlich bzw. sind<br />
Geruchs- und Geschmacksbelastungen durch Düngung<br />
zu lange wirksam, sodass diese Äsung möglicherweise<br />
nicht mehr genutzt wird. Bei Gülle-Düngung mit starken<br />
Druckfässern können gegenüber der Festmistdüngung<br />
noch dazu wesentlich größere Flächen im Gelände<br />
gedüngt werden, was über eine Zeitraum vom mehreren<br />
Wochen eine verminderte Akzeptanz dieser Flächen nach<br />
sich zieht. Für den Geruch der Gülle sind u.a. Ammoniak,<br />
Schwefelwasserstoff, Putrescin und Cadaverin verantwortlich,<br />
wobei ein Teil dieser Komponenten flüchtig ist.<br />
Düngung und Pflanzenbestände<br />
Im Zusammenhang mit Düngungsfragen sollte auch der<br />
natürliche Nährstoffeintrag auf beweideten und beästen<br />
Almflächen (Kot, Losung, Harn), besonders an sensiblen<br />
Standorten (z.B. Kalkmagerrasen), nicht unberücksichtigt<br />
bleiben. Aus wildbiologischer Sicht ist ein Aspekt,<br />
nämlich jener der Artenverschiebung oder -verarmung<br />
nicht zu vernachlässigen, der aber Schalenwildarten<br />
– abhängig von ihrem Äsungsverhalten – unterschiedlich<br />
trifft. Am stärksten betroffen von einer Verarmung wäre<br />
als „Konzentratselektierer“ das Rehwild, gefolgt von den<br />
„Mischtypen“ Gams- und Rotwild. Rot- und Gamswild<br />
passen sich recht opportunistisch an die jeweiligen<br />
Äsungsverhältnisse an, wobei Gamswild im Sommerhalbjahr<br />
recht selektiv Äsung aussuchen kann.<br />
„Grasfresser“ wie Muffelwild wären, abgesehen von<br />
einer Geruchsbelastung am wenigsten durch eine Abnahme<br />
von Kräutern und Leguminosen beeinträchtigt.<br />
GAMSWILD – LEBEN AUF DER KANTE 31
GAMSKRANKHEITEN UNTER DEN ASPEKTEN VON KLIMAWANDEL UND LEBENSRAUMVERLUSTEN<br />
Gesundheitliche Wechselwirkungen<br />
zwischen Wild- und Nutztieren<br />
Im Zuge der Nutzung gemeinsamer Äsungs-/Weide flächen<br />
kann es zu gesundheitlichen Wechselwirkungen zwischen<br />
Wildtieren und landwirtschaftlichen Nutztieren kommen.<br />
Krankheitsübertragungen erfolgen seltener durch direkten<br />
Kontakt, häufiger durch Losung/Kot (z.B. Parasitosen,<br />
Paratuberkulose), Vektoren wie Fliegen (z.B. Gamsblindheit)<br />
oder die gemeinsame Annahme von Salzlecken<br />
(z.B. Moderhinke). Ein Restrisiko resultiert auch aus der<br />
Düngung mit organischem Dünger.<br />
Bei der Ausbringung von Gülle sind neben klassischen<br />
Düngungsfragen auch hygienische Mindeststandards zu<br />
beachten. Nicht erst seit der „EHEC-Krise“ in Deutschland,<br />
als vorerst u.a. Gurken und auch Gülledünger unter Verdacht<br />
standen, wird der Ausbringung von Stalldünger besonderes<br />
Augenmerk geschenkt. Im Winter 2011/12 ereigneten sich<br />
in Österreich 4 Rückrufaktionen bei 4 verschiedenen Herstellern<br />
von Wild-Rohwürste, in denen EHEC/STEC nachgewiesen<br />
wurden. Auch im Zusammenhang mit der Zunahme<br />
von (chronischem) Botulismus sowie von Listeriose (Silage!)<br />
oder dem Auftreten Antibiotika-resistenter Keime selbst<br />
bei Wildtieren werden Fragen der Düngung diskutiert. Ebenso<br />
tauchen diese Fragen bei der Bekämpfung von Tuberkulose<br />
und Paratuberkulose oder vom Großen Leberegel auf.<br />
Selbsthygienisierung<br />
Die Zahl der in der Gülle nachgewiesenen Krankheits erreger<br />
ist in der Regel auf Grund der antagonistischen Wirkungen<br />
der Gülle selbst gering. So werden etwa vorhandene Salmonellen,<br />
Yersinien, enteropathogenen E. coli und Staphylococcus<br />
aureus innerhalb eines Monats zu über 90 % eliminiert. Die<br />
Reduktion von Krankheitserregern in der Gülle liegt im<br />
hohen pH-Wert der Gülle sowie in der Bildung von<br />
Fettsäuren durch die natürliche Bakterienflora der Gülle<br />
begründet. Dazu kommt die Unfähigkeit z. B. von Salmonellen,<br />
mit der natürlich vorhandenen Bakterienflora der<br />
Gülle um Nährstoffe zu konkurrieren, was letztlich auch<br />
zum Absterben der Erreger führt. Daraus ergibt sich, dass<br />
allein während der Lagerung eine weitgehende Reduktion<br />
des Erregerbesatzes stattfindet, sofern in der Frischgülle<br />
überhaupt infektiöse Erreger vorhanden waren. Darüber<br />
hinaus vermindert eine Verdünnung der Gülle mit Wasser,<br />
die auch zur Verringerung der Geruchsbelästigung, Futterverschmutzung<br />
sowie der Verluste von Ammoniakstickstoff<br />
sinnvoll ist, zusätzlich das hygienische Restrisiko.<br />
UV-Einstrahlung und Austrocknung<br />
Neben antagonistischen Hygienisierungsvorgängen in<br />
der Gülle selbst treten nach der Ausbringung noch<br />
weitere Faktoren auf, die das Überleben von Krankheitserregern<br />
beeinträchtigen. Dazu zählen die hygienisierenden<br />
Wirkungen innerhalb der Bodenkrume sowie der<br />
Abbau auf den Pflanzen selbst infolge der Sonneneinstrahlung<br />
(UV-Strahlung). Die Eliminierung von Keimen<br />
auf der Pflanze steht mit der UV-Einstrahlung in direktem<br />
Zusammenhang. So überleben coliforme Bakterien bei<br />
Sonneneinstrahlung im Sommer auf grünen Pflanzen nur<br />
zehn Stunden, bei kalter und feuchter Witterung hingegen<br />
bis zu 28 Stunden. Auch Salmonellen überleben bei der<br />
Ausbringung von nicht hygienisiertem Klärschlamm auf<br />
Gras nur 15 Tage. Selbst die Höhe des Pflanzenaufwuchses<br />
hat Einfluss auf das Überleben von Bakterien.<br />
Während etwa Salmonella dublin auf Weideland in einer<br />
Höhe von 7,5 cm über dem Boden 19 Tage lang isoliert<br />
werden konnte, wurden in den oberen Pflanzenteilen die<br />
Salmonellen nur zehn Tage lang nachgewiesen. An der<br />
Pflanzenspitze verschwanden die Keime sogar noch am<br />
Tag der Düngung. Salmonella dublin wurde in Tirol aus<br />
verendeten Gämsen isoliert, die Infektion war von einem<br />
infizierten Rinderbestand ausgegangen. Die Erreger der<br />
Paratuberkulose und Tuberkulose sind gegenüber Umwelteinflüssen<br />
durch ihren spezifischen Zellwandaufbau<br />
deutlich widerstandsfähiger als andere Keime.<br />
Biofilter Boden<br />
Das Überleben von beispielsweise Salmonellen im<br />
Boden hängt von vielen Faktoren wie der Ausgangs -<br />
keimzahl, der aufgebrachten Düngermenge, der Bodentemperatur,<br />
dem pH-Wert und dem Humusgehalt, dem<br />
Sauerstoff- und Wassergehalt des Bodens, der Korn -<br />
größenverteilung etc. ab.<br />
Grundsätzlich aktiviert eine bedarfsgerechte Gülle -<br />
düngung die biologische Bodenaktivität und damit auch<br />
die Vermehrung der gegenüber pathogenen Keimen antagonistisch<br />
vorhandenen Mikroflora im Boden. Je höher<br />
der Humusgehalt im Boden, desto rascher erfolgt auch<br />
die Inaktivierung von möglicherweise vorhandenen<br />
Krankheitserregern. Die biologische Aktivität bei der<br />
Eliminierung pathogener Erreger beschränkt sich im<br />
Wesentlichen auf die oberste belebte Bodenschicht.<br />
32
EU-Guidelines für die Gülleanwendung<br />
Die von der EU-Expertenkommission erarbeiteten Richtlinien<br />
für die Gülleanwendung dienen dazu, das hygienische<br />
Restrisiko zu minimieren, und sind daher unbedingt<br />
einzuhalten. Grundsätzlich gilt Gülle so lange als<br />
hygienisch unbedenklich, solange im Bestand keine anzeigepflichtigen<br />
Seuchen wie Brucellose, Tuberkulose, Para -<br />
tuberkulose, Maul- und Klauenseuche, Schweinepest etc.<br />
auftreten. In solchen Fällen muss unter Anweisung und<br />
Überwachung des Amtstierarztes eine Desinfektion der<br />
Gülle oder Jauche durchgeführt werden, wobei es für<br />
einzelne Seuchenerreger spezifische Anweisungen und<br />
Desinfektionsmittel gibt.<br />
„Interim Minimum Guidelines“ für Gülleanwendung<br />
in der EU<br />
• Anwendung bei Ackerfrüchten --> immer möglich<br />
(Ausnahme: zum Rohverzehr bestimmte Früchte)<br />
• Bei Anwendung auf Grünland für Heu bzw. Silage -<br />
bereitung --> immer möglich<br />
• auf Weideland: vor Ausbringung mindestens 60 Tage<br />
Lagerung der Gülle im Sommer bzw. 90 Tage im Winter<br />
• nach Ausbringung 30 Tage Schutzfrist vor<br />
der Beweidung mit Tiere einhalten*<br />
• Gülleanwendung soll den Bedürfnissen der Pflanzenernährung<br />
entsprechen (Regeln der guten landwirtschaftlichen<br />
Praxis einhalten)<br />
* Anmerkung: diese „30 Tage Schutzfrist vor der Beweidung mit Tieren“ kann<br />
natürlich auf das unkontrollierte Beäsen dieser gedüngten Flächen durch Wildtiere<br />
nicht kontrolliert bzw. eingehalten werden und birgt daher, besonders wenn<br />
die Gülle zu kurz gelagert wurde, ein entsprechendes Restrisiko z.B. für eine<br />
Übertragung von Paratuberkulose.<br />
Klimawandel und Lebensraumverluste<br />
Wildtierarten wie Schnee- und Birkhuhn oder Gams- und<br />
Steinwild haben sich im Laufe ihrer Evolution perfekt an<br />
das Leben in alpinen Regionen angepasst und sind somit<br />
Teile dieses sehr empfindlichen Ökosystems geworden.<br />
Bei einem allgemeinen Ansteigen der Waldgrenze aufgrund<br />
der Klimaerwärmung und regionalem Rückgang<br />
der Almbewirtschaftung verringert sich der Lebensraum<br />
dieser Wildtierarten massiv. Durch das Entstehen sub -<br />
optimaler Lebensräume kommt es bei diesen Wildtieren<br />
zu Abnahme und Verschwinden einzelner Populationen,<br />
Verarmung genetischer Ressourcen, Schwächung der<br />
Abwehrlage und damit auch vermehrt zu Infektionskrankheiten<br />
und Parasitosen.<br />
Als Grundlage für die Ermittlung der Veränderungen<br />
wurde die Temperaturentwicklung der vergangenen<br />
50 Jahre in einem Projektgebiet in den Niederen Tauern<br />
genauer betrachtet sowie das Klimamodell MM5 für eine<br />
Abschätzung der zukünftigen Erwärmung herangezogen.<br />
Das Klimamodell prognostiziert für die nächsten 50 Jahre<br />
eine Erwärmung von ca. 2,2 °C für das Untersuchungsgebiet.<br />
Das Baumwachstum ist sehr stark von der<br />
Temperatur abhängig und eine hohe Korrelation zwischen<br />
der Wachstumsgrenze von Bäumen und der 10 °C<br />
Juli-Isotherme bzw. mit der 6,9 °C Mai-Oktober Isotherme<br />
wurde nachgewiesen. Das Klimamodell MM5<br />
zeigt für die nächsten 50 Jahre einen prognostizierten<br />
Anstieg der Isothermen um ca. 450 Höhenmeter.<br />
Das bedeutet für die Niederen Tauern, dass eine temperaturbedingte<br />
Wachstumsgrenze für Bäume zukünftig nahezu<br />
verschwinden kann.<br />
6,9 °C Mai-Oktober Isothermen der Dekade 1990 bis 2000 und der Dekade 2040 bis 2050 mit kartierten Waldflächen von GALLAUN et al. (2006);<br />
Gebiet südöstl. von Schladming<br />
GAMSWILD – LEBEN AUF DER KANTE 33
GAMSKRANKHEITEN UNTER DEN ASPEKTEN VON KLIMAWANDEL UND LEBENSRAUMVERLUSTEN<br />
Folgen suboptimaler Lebensräume<br />
Ein längerer Verbleib in suboptimalen Lebensräumen ist<br />
für Gams- wie auch Steinwild problematisch und führt<br />
zur Abnahme der Stückzahlen in einzelnen Populationen,<br />
zu einer erhöhten Krankheitsanfälligkeit (z.B. Endoparasitosen,<br />
Räude, Gamsblindheit) sowie zur Ausbildung<br />
kleinerer Rudel in bewaldeten Gebieten mit dem Nebeneffekt<br />
einer verlängerten Brunft und damit einer zusätzlichen<br />
Schwächung vor allem der Böcke. Weiters wird es<br />
zu einem möglichen Absinken mancher Populationen<br />
unter die sog. „kritische Bestandsgröße“ kommen und<br />
damit zu einer kurz- bis mittelfristigen Auflösung von<br />
Beständen sowie möglicherweise zu einer Inzuchtdepression<br />
infolge der „Verinselung“ von Populationen.<br />
Beispielhaft für einen u.a. mit Klimafaktoren zusammenhängenden<br />
Krankheitsausbruch sei ein aktueller Seuchenzug<br />
von Gamsblindheit (Infektiöse Keratokonjunktivitis)<br />
in den Niederen Tauern angeführt. Im Jahre 2006<br />
ereignete sich ein Seuchenzug in den Bezirken Murau,<br />
Judenburg und Liezen mit über 80 gemeldeten Fällen.<br />
Wenn man berücksichtigt, dass die Gamsblindheit überwiegend<br />
durch Fliegen übertragen wird und dass noch<br />
bis Ende November/Anfang Dezember 2006 Insekten<br />
selbst in höheren Regionen beobachtbar waren, wird klar,<br />
dass die infektionsgefährdete Zeit klimatisch bedingt<br />
deutlich verlängert war.<br />
Vorbeuge und Kontrolle<br />
Gemäß dem Spruch „Vorbeugen ist besser als Heilen“<br />
ist es möglich das Infektionsrisiko und den Infektionsdruck<br />
innerhalb von Wildtierpopulationen durch Verbesserung<br />
des Lebensraumes, Anpassung des Wildstandes<br />
an den Lebensraum und durch seuchensicheres Entfernen<br />
krankheitsverdächtiger oder kranker Tiere zu senken.<br />
Eine laufende Kontrolle der Wildtiergesundheit sollte<br />
über die regelmäßige Untersuchung von Fallwild und<br />
auch durch Stichprobenuntersuchungen bei Stücken ohne<br />
auffällige Krankheitssymptome erfolgen.<br />
Ebenfalls anzuraten wäre das Anlegen von Serumbanken.<br />
Eine intensive und fachkundige Auseinandersetzung der<br />
Jäger mit den Themen „Wildtiergesundheit“ sowie eine<br />
entsprechende Verantwortung für Wildpopulationen wird<br />
zukünftig eines der Hauptargumente für die Aufrechterhaltung<br />
der Jagd in annähernd gewohnter Art und Weise<br />
darstellen.<br />
Weitere Gründe für Lebensraumverluste<br />
Als weitere Gründe für Lebensraumverluste, besonders<br />
von Winterlebensräumen von Gamswild, sind Alm -<br />
erschließungen mit Wegenetzen, Jagddruck besonders in<br />
Wintereinständen, diverse Wintersportarten bei Tag und<br />
Nacht sowie auch die Konkurrenz zu anderen Wildarten<br />
(wie Stein- und Rotwild) zu nennen.<br />
Lebensraumverluste könnten sich regional auch aus dem<br />
Fehlen von alten Stücken (Geißen!) und damit Erfahrungsträgern<br />
ergeben, die in Beständen mit guter Altersstruktur<br />
Rudel sehr gezielt in geeignete Sommer- und<br />
Wintereinstände führen.<br />
Anschrift des Verfassers:<br />
OVR Univ. Doz. Dr. Armin Deutz, Bezirkshauptmannschaft<br />
Murau – Veterinärreferat, Bahnhofviertel 7,<br />
8850 Murau; E-Mail: armin.deutz@stmk.gv.at<br />
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Deutz: WILDKRANKHEITEN, HUNDEKRANK-<br />
HEITEN, ZOONOSEN – Erkennen, Vermeiden,<br />
(Be)Handeln; Leopold Stocker Verlag, Graz-<br />
Stuttgart, 264 Seiten, zahlreiche Farbabbildungen,<br />
16,5 x 22 cm, Hardcover; Preis: € 26,90<br />
GAMSWILD – LEBEN AUF DER KANTE 35
Mag. Gerald Muralt<br />
Gamswildbewirtschaftung in Kärnten<br />
Gamswild kommt in den gebir -<br />
gigen Regionen Kärntens flächendeckend<br />
vor. Die Tallagen und Tieflandbereiche<br />
beheimaten kein Gamswild.<br />
Die Jagdzeit dauert für alle<br />
Gamswildklassen (siehe Tab. 1.)<br />
von 1. August - 31. Dezember. Da<br />
die Kitzbejagung in Kärnten eine<br />
untergeordnete Rolle spielt, wird<br />
in weiterer Folge nicht näher darauf<br />
eingegangen.<br />
Die Entnahmezahlen von Gamswild<br />
stiegen – wie auch bei Reh- und<br />
Rotwild – bis Mitte der 70-er Jahre<br />
stark an, schwanken seitdem allerdings<br />
auf einem Niveau zwischen<br />
2500 und 3500 Stück (Abb.1.).<br />
Geschlecht<br />
Böcke<br />
Geißen<br />
Alter Jahre<br />
Kitz 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 ...<br />
Tab.1. Ersichtlich ist die Wildklassenzuteilung nach Geschlecht und Alter. blau = Kitzklasse,<br />
gelb = Klasse III (Jugendklasse), rot = Klasse II (Mittelklasse), grün = Klasse I (Ernteklasse).<br />
Abb.1. Ersichtlich sind die kärntenweiten jährlichen Gamswildabschüsse von 1951 – 2012.<br />
Analysiert man die Gamsabschussplanung wird deutlich,<br />
dass die Abschussplanzahlen seit dem Jahre 2003 kontinuierlich<br />
reduziert wurden, ohne dass dies direkte Auswirkungen<br />
auf die Abschusszahlen bzw. Erfüllung in den<br />
einzelnen Planperioden hatte. Die Abschussplanerfüllung<br />
lag in diesen Planperioden – mit Ausnahme der Planperiode<br />
9 (2011/2012), in der eine Abschussplanerfüllung<br />
von 83 % erreicht wurde – zwischen 60 % und 70 %.<br />
Bei eingehender Betrachtung der letzten 6 Jahre zeigt<br />
sich, dass in diesem Zeitraum rund 55 % aller erlegten<br />
Gamsböcke auf die Klasse III entfallen. Böcke der Klasse<br />
II machen in Summe 27 % aller erlegten Stücke aus. In<br />
die Klasse I fallen etwa 18 %. Nur circa 2 % aller erlegten<br />
Böcke erreichen ein Alter von mehr als 10 Jahren. Analysiert<br />
man das Abschussverhältnis von II-er zu I-er Böcken,<br />
zeigt sich, dass sich dieses von ursprünglich rund<br />
2:1 auf etwa 1,2:1 verbessert hat. Die Entnahmevorgaben<br />
der Abschussrichtlinie, 40 % III-er, 20 % II-er und 40 %<br />
I-er Böcke zu entnehmen, werden derzeit nicht erfüllt.<br />
Die Situation der Gamsgeißbewirtschaftung ist ähnlich:<br />
in den letzten 6 Jahren wurden rund 54,5 % III-er, 24 %<br />
II-er und 21,5 % I-er Stücke erlegt. Mit Einführung der<br />
Gamsgeißenklasse im Jahr 2007 konnte das Abschussverhältnis<br />
der II-er und I-er Geißen von fast 3:1 auf nahezu<br />
1,1:1 verbessert werden.<br />
Die Zuwachsrate des Gamswildes liegt – je nach Umweltsituation<br />
– bei etwa 10 – 20 % des Gesamtbestandes<br />
und damit weit unter dem Zuwachs von beispielsweise<br />
Rehwild (Zeiler, 2012). Ergeben sich hohe Bestandsverluste<br />
durch Räude, strenge Winter oder ähnliches, so<br />
muss die jagdliche Bewirtschaftung – sofern der Gamsbestand<br />
nicht dezimiert werden soll – entsprechend angepasst<br />
und die Bejagungsintensität zurückgenommen<br />
werden. Intensive Jagd kann nach Jahren mit hoher<br />
natürlicher Mortalität einen starken zusätzlichen populationsdezimierenden<br />
Faktor darstellen, der sich über<br />
mehrere Jahre negativ auswirken kann.<br />
36
Derzeit ist der Altersklassenaufbau – auf Grund des Fehlens<br />
einer entsprechenden Anzahl an älteren Stücken –<br />
sowohl bei Geißen vor allem aber bei Böcken aus wildbiologischer<br />
Sicht unbefriedigend. Gründe dafür sind<br />
unter anderem die starken jagdlichen Eingriffe in Jugendund<br />
Mittelklasse.<br />
Ältere Literatur geht von einer geringeren Lebenserwartung<br />
der Böcke aus (Schröder, 1971). Dieses Missverhältnis<br />
dürfte rein auf die jagdliche Bewirtschaftung –<br />
mit all ihren Konsequenzen – zurückzuführen sein.<br />
Mittlerweile belegen aktuelle Zählungen und Fallwild -<br />
daten aus unbejagten Beständen, zum Beispiel im<br />
Schweizer Nationalpark oder im Pyrenäen Nationalpark,<br />
dass sowohl das Geschlechterverhältnis als auch das Alter<br />
von Böcken und Geißen ausgeglichen ist (Corlatti et al,<br />
2012; Loison et al, 1999; Gonzalez & Crampe, 2001).<br />
Fehlen alte Böcke in einer Population bzw. ist der Bockanteil<br />
generell gering, nehmen junge Böcke verstärkt an<br />
der Brunft teil. Diesen Tieren fehlt oftmals der körper -<br />
liche Reifezustand. Damit kann die Brunft sie so stark<br />
schwächen, dass sie den Winter gar nicht überleben oder<br />
krankheitsanfälliger werden (Fuchs et al, 2000).<br />
Eine geringe Bockanzahl kann zudem die direkte Krankheitsübertragung<br />
erhöhen, da ein Bock eine höhere Anzahl<br />
an Geißen belegen muss und damit beispielsweise<br />
zu einer stärkeren Verbreitung von Räudemilben beitragen<br />
kann. Zudem kann die Brunft bei geringer Bock- und<br />
hoher Geißanzahl, durch Nachbrunft, in die Länge gezogen<br />
werden und sich damit noch energieaufwendiger<br />
gestalten (Fuchs et al, 2000). Durch diese – vor allem bei<br />
Beständen mit geringem Durchschnittsalter zum Tragen<br />
kommende Faktoren – ergibt sich eine negative Rückkoppelung<br />
in Bezug auf den Bestandsaufbau, wenn jagdlich<br />
stark in Jugend und Mittelklasse eingegriffen wird und<br />
durch Bejagung zusätzlich auch noch der, von Haus aus<br />
geringe, Anteil an alten Böcken dezimiert wird.<br />
Ein positives Beispiel einer erfolgreichen Gamswildbewirtschaftung<br />
in Kärnten stellt die Gamswildbewirtschaftungsgemeinschaft<br />
Petzen dar. Diese wurde 1997<br />
gegründet und umfasst die Nordseite des Petzenstockes<br />
mit einer Fläche von rund 9.500 ha. Seit 12 Jahren wird<br />
dort auf freiwilliger Basis kein II-er Gamsbock mehr frei<br />
gegeben und nimmt die jagdliche Bewirtschaftung auf<br />
die aktuelle Umweltsituation Rücksicht, wie beispielsweise<br />
im Jahr 2009, als, nach dem vorhergehenden strengen<br />
Winter, die Entnahme auf die Hälfte reduziert wurde.<br />
Das Ergebnis ist eine deutliche Zunahme alter Stücken.<br />
18-jährige Gamsgeißen oder 12 jährige I-er Böcke sind<br />
am Petzenstock mittlerweile keine Ausnahme mehr.<br />
Aus fachlicher Sicht sollte das Ziel der Gamswildbewirtschaftung<br />
in Kärnten eine Erhöhung des Gamsdurchschnittsalters<br />
sein. Dazu erscheinen folgende Punkte<br />
fachlich sinnvoll:<br />
1. In Bereichen, in denen es keine Wildschadensproblematik<br />
gibt, sollte die Entnahme der aktuellen Umweltsituation<br />
angepasst werden und in der Jugendklasse<br />
geringer ausfallen.<br />
2. Die Entnahme in der Mittelklasse muss reduziert werden.<br />
3. Hegegemeinschaften sind wichtige Instrumente für<br />
eine nachhaltige, großräumige Gamswildbewirtschaftung,<br />
da Abschussplanung auf Revierebene viel leichter<br />
zu einer Bestandsübernutzung führen kann.<br />
4. Der „Zusätzliche Abschuss“ ist ein hilfreiches Instrument<br />
für die nachhaltige Gamswildbewirtschaftung.<br />
Er darf allerdings nicht dazu dienen, generell verstärkt<br />
in die Jugendklasse einzugreifen. Durch den „Topf“<br />
kann in Jahren, in denen die Zuwachsraten hoch ausfallen,<br />
bei restriktiver Planung zusätzlich jagdlich eingegriffen<br />
werden.<br />
Literatur:<br />
A. Bocci, G. Canavese, S. Lovari, 2010, Even mortality patterns of<br />
the two sexes in a polygynous, near-monomorphic species: is there<br />
a flaw, J. Zool. Lond., 280, pp. 379–386<br />
K. Fuchs, A. Deutz & G. Gressmann, 2000, Detection of space-time<br />
clusters and epidemiological examinations of scabies in chamois,<br />
Veterinary Parasitology 92, pp. 63–73<br />
G. Gonzalez, J.-P. Crampe, 2001, Mortality patterns in a protected population<br />
of isards (Rupicapra pyrenaica), Can. J. Zool., 79, pp. 2072-2079<br />
A. Loison, M. Festa-Bianchet, J.-M. Gaillard, J.T. Jorgenson, J.-M. Jullien,<br />
1999, Age-specific survival in five populations of ungulates: evidence<br />
of senescence, Ecology, 80, pp. 2539–2554<br />
W. Schröder, 1971, Untersuchungen zur Ökologie des Gamswildes<br />
(Rupicapra rupicapra) in einem Vorkommen der Alpen, Z. f. Jagdwissensch.,<br />
17, pp. 114–166<br />
H. Zeiler, 2012, Gams, Österreichischer Jagd und Fischerei Verlag<br />
GAMSWILD – LEBEN AUF DER KANTE 37
Klaus Eisank<br />
Gamswild – Hauptwildart in den Hohen Tauern<br />
Bestandszahlen von Wildtieren unterliegen meist einer<br />
groben Schätzung oder beruhen auf einer Hochrechnung<br />
von Abschusszahlen. Schwierig ist eine Angabe genauer<br />
Bestandszahlen jedenfalls. Nur langjährige Zählungen,<br />
die einen ganzen Gebirgsstock umfassen, führen zum<br />
Erfolg und zu mehr oder weniger genauen Zahlen.<br />
Ich schätze den Gamsbestand im Schutzgebiet des<br />
Nationalparks auf Kärntner Seite mit ca. 3.000 Tieren.<br />
In den vom Kärntner Nationalparkfonds gepachteten<br />
Revieren kann ich den Bestand unseren Zählungen zufolge<br />
mit 1.200 Stück beziffern.<br />
Eine der längsten Datenreihen haben wir für das Revier<br />
„Lassacher Alpe“ im Mallnitzer Seebachtal. Seit 1994<br />
werden jedes Jahr um die gleiche Zeit (Anfang Juli) und<br />
mit enormen Aufwand Gams gezählt. Dabei wird das<br />
2.250 ha große Revier in 5 Zählbereiche geteilt, um<br />
Doppel zählungen zu vermeiden. Für jeden Bereich<br />
braucht es ein Zählteam bestehend aus 2 Personen,<br />
wovon eine gut im „Ansprechen“ von Gamswild sein<br />
muss. Gezählt wird immer am 1. Tag nachmittags und<br />
am 2. Tag vormittags. Die Unterscheidung in Böcke,<br />
Geißen, Jahrlinge und Kitze ist wichtig.<br />
Wind und Wetter können das Zählergebnis stark beeinflussen,<br />
ebenso wie Wanderer, die die hochalpinen Steige<br />
benützen. Da es sich bei dem Revier um einen Talschluss<br />
handelt, weicht das Gamswild manchmal über die Grate<br />
auf die andere Seite des Gebirgsstockes aus. Lästig sind<br />
auch die großen Latschenfelder, die an heißen Tagen die<br />
Zählung beeinflussen. Wichtig ist die Festlegung des<br />
Zähltermins immer vor dem Auftrieb der Schafe und<br />
Ziegen durch die Almbauern.<br />
Aus langjährigen Datenreihen lassen sich Trends sehr gut<br />
erkennen und gleichen die Probleme bei den Bestandszählungen<br />
aus. Allein die Vergleiche zwischen dem diesjährigen<br />
Kitzbestand und nächstjährigen Jahrlingsbestand<br />
zeigen die Mortalitätsrate der Kitze im ersten Jahr. Wenn<br />
man auch die Wetterdaten einfließen lässt, weiß man, was<br />
ein langer, kalter und schneereicher Winter anrichten<br />
kann. Vergleicht man die Geißenzahl mit den Kitzzahlen,<br />
erfährt man viel über die Geburtenraten und wie viel Prozent<br />
des Geißenbestandes für Nachwuchs sorgt. Auch das<br />
Geschlechterverhältnis lässt sich aus den Datenreihen ablesen,<br />
obwohl die Bockzahlen vielfach unter jenen der<br />
Geißen liegen. Böcke sind zum Zähltermin Anfang Juli<br />
schon sehr heimlich und verlassen ihre Einstände in den<br />
Latschenfeldern sehr selten.<br />
38
Ein Trend ist aber unschwer zu erkennen: Die Bestandszahlen<br />
sind seit 6 Jahren rückläufig, obwohl im Revier<br />
der Abschuss von 40 Stück Gamswild pro Jahr auf<br />
6 Stück reduziert wurde und dieser Abschuss nur mehr<br />
auf 10 % der Revierfläche getätigt wird. Das Warum lässt<br />
sich nur vermuten – eventuell die strengen Winter in den<br />
letzten Jahren, eventuell eine Übersättigung des Lebensraums,<br />
der mit 17 Stück Gamswild pro 100 ha voll ist,<br />
eventuell verlassen junge Böcke das Revier infolge eines<br />
geänderten Altersaufbaus. Aber die Zahlen zeigen den<br />
Bestandsrückgang eindeutig. Ob dieser Trend anhält,<br />
wird die Zukunft weisen.<br />
Was den Wildhütern durch die geänderten Bedingungen<br />
im Nationalparkrevier noch aufgefallen ist:<br />
• Die Verteilung der Gams im Revier hat sich geändert.<br />
Wurden noch in den 1990er Jahren viele Tiere im hintersten<br />
Seebachtal angetroffen – ein karger aber sicherer<br />
Lebensraum unterhalb des Gletschers – findet man<br />
sie heute dort sehr selten. Sie nutzen viel mehr die<br />
optimalen Gamsbiotope in den großen Karen „Trom“,<br />
„Pleschischg“ und „Noisternig“.<br />
• Die Rudelgröße hat sich verkleinert. Zählte man früher<br />
bis zu 180 Stück Gams im Rudel, sind heute nur mehr<br />
50 Stück zu sehen, die sich die optimalen Lebensräume<br />
im Revier aufteilen.<br />
• Die Fluchtdistanz ist nach wie vor über 300 m und hat<br />
sich gegenüber früheren Zeiten nicht geändert. Die<br />
Beobachtbarkeit von Gamswild hat aber zugenommen,<br />
da die extremen Lebensräume, welche auch für den<br />
Menschen schwer zu erreichen sind, nicht mehr beansprucht<br />
werden.<br />
• Typische Bockreviere durch das Vorhandensein von<br />
alten, reifen Gamsböcken können in der Brunft wieder<br />
beobachtet werden. Auch das Brunftgeschehen ist<br />
damit sehr viel ruhiger und entspannter, denn die atemberaubenden<br />
Hetzjagden zwischen den gleichaltrigen<br />
Böcken sind nur mehr selten zu beobachten.<br />
Die Kärntner Nationalparkreviere sind prädestiniert für<br />
Forschungsprojekte und Langzeitbeobachtungen, denn<br />
sie werden von hauptberuflichen Wildhütern betreut und<br />
unterliegen keinem wirtschaftlichen Druck. Auch funktioniert<br />
die Zusammenarbeit mit der örtlichen Jägerschaft<br />
bestens, weshalb ein Pilotprojekt „Gams“ im Hegering<br />
Heiligenblut gestartet werden soll, das erstens den Gamsbestand<br />
im gesamten Hegering erheben wird, auch<br />
außerhalb der Nationalparkreviere, und zweitens das<br />
Raumverhalten des Gamswildes beleuchten soll. Allein<br />
für die Zählung des Gamsbestandes müssen alle Jäger<br />
und Jägerinnen im Hegering Heiligenblut mitarbeiten um<br />
die gesamte Fläche von über 19.000 ha zu erfassen.<br />
Spannend werden die nächsten 4 Jahre in Heiligenblut<br />
allemal!<br />
GAMSWILD – LEBEN AUF DER KANTE 39
Dr. Peter Meile<br />
Jagddruck auf Gamswild<br />
Beispiele aus der Schweiz und Bayern<br />
Gams sind eine langlebige Wildart mit einer verzögerten<br />
Jugendentwicklung bei den Böcken. Die Lang -<br />
lebigkeit ist eine Strategie, um allfällige Verluste in der<br />
harten Umwelt (z.B. langer Winter, hoher Schnee und<br />
Harsch, besonders nasser oder trockener Sommer,<br />
Seuchen) durch erfolgreichere spätere Kitzjahrgänge<br />
wettzumachen.<br />
Bevor die Böcke – bei einem halbwegs naturnahen Bestandesaufbau<br />
– erfolgreich an der Brunft teilnehmen,<br />
beweisen sie fünf oder sechs Jahre lang ihre Über -<br />
lebensfähigkeit und entwickeln „Umgangsformen“, die<br />
nicht bei jeder Auseinandersetzung unter Rivalen zu<br />
einem Beschädigungskampf führen. Sie brauchen also<br />
Zeit, um körperlich, physiologisch und auch psychisch<br />
heranzureifen. Unsere Arbeiten aus den 70-er Jahren<br />
haben die Bedeutung einer artgemäßen sozialen Organisation<br />
deutlich aufgezeigt (MEILE & BUBENIK).<br />
Heute, wo die Verhältnisse und Unterschiede zwischen<br />
Mensch und Tier schon aus eigenem Interesse immer<br />
gründlicher in Frage gestellt werden, haben wir auch<br />
zu beantworten, warum es erlaubt sein sollte, in ge -<br />
wissen Gamspopulationen kaum mehr einen Bock von<br />
mehr als 6 Jahren überleben zu lassen, obwohl Böcke<br />
doch leicht bis ins Alter von 14 Jahren aktiv an der<br />
Reproduktion teilnehmen können und auch 17 oder gar<br />
18 Jahre alt werden könnten.<br />
Graubünden<br />
Auch in Graubünden so wie eigentlich in allen Alpenländern<br />
herrschte das traditionelle Bild des „Gamsbock-Jägers“<br />
über lange Zeit vor. Der Abschuss von<br />
Jährlingen und Junggams war teils verpönt, teils verboten.<br />
Es zählte nur der Gamsbock.<br />
Die Konsequenzen waren:<br />
• hohe, wachsende, aber unstabile Bestände<br />
• schwaches Wild<br />
• kaum noch mittelalte Böcke<br />
• Regulation der Bestände nicht mehr möglich<br />
• Wildschäden<br />
1990 wurde durch das Amt für Jagd schrittweise ein<br />
neues Bejagungskonzept eingeführt, das sich auf<br />
gründ lich erhobene Zahlen stützte: Streckenanalyse,<br />
Wildzählung und Wildverteilung.<br />
Durch die Forderung „Geiß vor dem Bock erlegen“ und<br />
durch eine Feinabstimmung der Lenkung des Jagd -<br />
druckes auf schwächeres Wild und auf Wild, das ganzjährig<br />
im Waldbereich unter einer bestimmten<br />
Höhenlinie lebt, wurden in wenigen Jahren erstaunliche<br />
Verbesserungen erreicht.<br />
Die Altersstrukturen und das Zahlenverhältnis der<br />
Geschlechter wurden sehr naturnah, es gibt genügend<br />
ältere, erfahrene Tiere in beiden Geschlechtern, die<br />
Anzahl alter und sehr starker Trophäenträger hat<br />
gleichzeitig über Erwarten zugenommen, was zwar<br />
nicht dem Biologen, aber dem Jäger umso wichtiger ist.<br />
St. Gallen<br />
Das Argument, solche Erfolge ließen sich nur in einem<br />
staatlich stark kontrollierten Lizenzjagdsystem erzielen,<br />
wird durch die Erfahrungen mit einer 1989 auf<br />
privater Basis gegründeten Gams-Hegegemeinschaft<br />
von drei Jagdrevieren widerlegt.<br />
Hier standen wir vor denselben Problemen wie in<br />
Graubünden. Die getroffenen Maßnahmen gelten für<br />
eine zusammenhängende Gamspopulation auf 3000 ha.<br />
Anfänglich weitestgehender Schutz der Böcke, sehr<br />
starke Eingriffe in die Jugendklasse, leichte Reduktion.<br />
Jeden August wurden die Gams in allen Gelände -<br />
kammern gleichzeitig gezählt und dabei zu etwa 80 bis<br />
85 % erfasst. Es wurde ein gemeinsamer Abschussplan<br />
erstellt und alle Trophäen im Winter an einem gemeinsamen<br />
Anlass vorgestellt (Streckenanalyse).<br />
Nach dem verlustreichen Winter 1999 haben einerseits<br />
Seuchenzüge (Blindheit, Pasteurellose) und wiederholte<br />
strenge Winter den Bestand viel stärker beeinflusst,<br />
als die Jagd. Dennoch wird der Abschuss<br />
schwachen Jungwildes und der Schutz mittelalter Tiere<br />
40
weiter gepflegt, und es werden jedes Jahr eine erstaunlich<br />
hohe Zahl an sehr alten Böcken, aber auch Geißen<br />
erlegt. Die Körpergewichte sind höher. Die Brunft ist<br />
Ende November vorbei, dann äsen die Böcke friedlich<br />
und gemeinsam.<br />
Bayern<br />
Aus dem Landkreis Garmisch-Partenkirchen werden<br />
die Abschusszahlen von zwei Gebieten vorgeführt:<br />
die Reviere der Bayerischen Staatsforste einerseits, und<br />
die Privatreviere (Jagdgenossenschaften und Eigenjagden)<br />
andererseits.<br />
Hier wird sehr großer Wert auf die zeitnahe Verjüngung<br />
der Bergwälder gelegt, die auch hier hohe Schutzfunktionen<br />
zu erfüllen haben. Eine Wildzählung erfolgt<br />
nirgends, eine Streckenanalyse auch nicht. Es werden<br />
in beiden Gebieten sehr viel mehr Böcke als Geißen<br />
erlegt (Staatsforste: doppelt so viele; Privatreviere<br />
1,5-mal so viele), dementsprechend ist die Lebenserwartung<br />
der Böcke sehr viel geringer und liegt fast<br />
immer unter dem vollen Erwachsenen-Alter.<br />
Die wichtige Funktion reifer Böcke, die Brunft-, bzw.<br />
Winterrudel in kleinere Einheiten aufzuteilen, fällt aus.<br />
Die Reproduktion und die Besiedelung tieferer Lagen<br />
sind ungebremst. Der Jagdbehörde, den Revieren wie<br />
auch den Bayerischen Staatsforsten fehlt eine Unterstützung<br />
und Kontrolle durch Wildtierbiologen mit<br />
Erfahrung im Umgang mit Mensch und Gams.<br />
Schluss<br />
Das Gamswild kann mithilfe ganz gewöhnlicher Jagdausübender<br />
wildbiologisch und ethisch korrekt reguliert<br />
werden, ohne dass die soziale Organisation, das<br />
Geschlechterverhältnis und der Altersaufbau darunter<br />
leiden. Dies ist sowohl im Lizenz- wie auch im Revierjagdsystem<br />
möglich. Ein der Revierstruktur angepasstes<br />
Zählverfahren und eine alljährliche Streckenanalyse<br />
sind Voraussetzung.<br />
Mit einfachen Regeln ist es möglich, den Jagddruck auf<br />
bestimmte Waldgebiete und auf schwächere Tiere zu<br />
lenken und die Ausbreitung der Gams im reinen Waldbereich<br />
zu begrenzen. Die Jagd soll aber kurz sein, vertrautes<br />
Wild lässt sich besser überwachen und erfassen<br />
und es macht weniger Schaden.<br />
Im selben Sinne wirkt eine Regelung des Touristen -<br />
stromes in den Gamslebensräumen. Die bisherigen<br />
positiven Erfahrungen einer wildbiologisch ausgerichteten<br />
Gamsjagd in vielen Teilen der Alpen könnten<br />
immerhin als Hilfe dienen für alle jene Gebiete und<br />
Bezirke, in welchen die Verminderung des Verbiss -<br />
druckes durch Gams ernsthaft ein Anliegen ist, während<br />
ihre einseitige – und gewiss auch ethisch zu<br />
hinterfragende – Bockbejagung die Verhältnisse verschlimmert,<br />
statt verbessert.<br />
GAMSWILD – LEBEN AUF DER KANTE 41
Hubert Schatz<br />
Die Situation des Gamswildes in Vorarlberg<br />
Der Gams gehört zu den ältesten und ursprünglichsten<br />
Wildarten Vorarlbergs. Der hohe Gebirgsanteil, steile<br />
von Fels durchsetzte Bergwälder sowie urige Tobel und<br />
Schluchten entlang der Gebirgsflüsse bieten dieser<br />
Wildart grundsätzlich günstige Lebensraumvoraussetzungen<br />
im Land. Die Schutzwaldproblematik und<br />
damit zusammenhängenden Sanierungsmaßnahmen,<br />
Lawinenverbauungen in den Zentren der Gamsbiotope<br />
sowie die stets wachsende Nachfrage zur Nutzung<br />
alpiner Gebiete aus Tourismus und Freizeit und nicht<br />
zuletzt die zunehmende Technisierung der Jagd bringen<br />
den Gams jedoch immer mehr in Bedrängnis.<br />
Vorarlberg umfasst eine Größe von ca. 2.600 km² und<br />
erstreckt sich von 397m bis 3.312m Seehöhe. 41 % der<br />
Landesfläche liegen über 1.500m Seehöhe, lediglich<br />
16 % über 2.000m.<br />
Auf Grund der für Vorarlberg typischen 3-Stufenbeweidung<br />
in der Viehwirtschaft herrscht jedoch eine auffallende<br />
Verzahnung von Hochlagen, Weideflächen und<br />
Wald vor, so dass lediglich 37 % des Landes Wald sind.<br />
Den Schwerpunkt des Gamsvorkommens stellen landschaftsbedingt<br />
die mittleren und südlichen Landesteile<br />
dar. Jahresniederschläge von bis zu 2.500 mm, Schneehöhen<br />
von mehreren Metern, kaum freigewehte Flächen<br />
in den Hochlagen sowie eine lang anhaltende<br />
Schneedeckendauer bringen die Bedeutung bzw.<br />
Attraktivität des Gebirgswaldes bzw. der Waldkrone als<br />
unverzichtbarer Überlebensraum für das Gamswild<br />
während extremer Witterungsverhältnisse im Winter in<br />
vielen Regionen des Landes klar zum Ausdruck.<br />
Schutzwald und Gams<br />
Dieser Tatsache stehen die Forderungen zur starken<br />
Reduktion des Gamswildaufenthaltes im Wald von<br />
Forstbehörde sowie Wildbach- und Lawinenverbauung<br />
oft widersprüchlich gegenüber. Neben der Erhöhung<br />
der Mindestabschüsse in den betroffenen Jagdrevieren<br />
müssen zur Unterstützung der waldbaulichen Maß -<br />
nahmen in den Schutzwaldgebieten Abschussaufträge,<br />
Aufhebung von Schonzeiten und Altersklassen oder die<br />
Freihaltung von Gamswild als gesetzliche Schwerpunktbejagung<br />
von der Behörde verordnet werden.<br />
Ca. 1/3 des landesweiten Gamsabschusses erfolgt als<br />
sogenannter Schadwildabschuss.<br />
6.000 ha Wildruhezonen<br />
Während diese Sondermaßnahmen dem Gams im Wald<br />
ans Leben gehen, beeinflussen Tourismus und Freizeitaktivitäten<br />
in den Hochlagen die Lebensqualität des<br />
Gamswildes immer mehr.<br />
Die jährlichen Tourismuskennzahlen, wie 8 Millionen<br />
Nächtigungen, 100 Millionen Personenhöhenmeter<br />
Aufstiegskapazität der Seilbahnen sowie ein zusätz -<br />
lich intensiver Tagesausflugsverkehr von Schitourengehern,<br />
Wanderern, Paragleitern etc. verdeutlichen den<br />
mensch lichen Druck auf den Gamslebensraum.<br />
Beispielsweise wäre das Paragleiten und Drachen -<br />
fliegen ohne Seilbahnen, wenn überhaupt, wohl nur in<br />
sehr begrenztem Ausmaß vorhanden. Hingegen werden<br />
gegenwärtig zahlreiche Gamsregionen auch weit abseits<br />
von Aufstiegshilfen in Folge sich stets ausweitender<br />
Aktionsradien der Gleiter als auch von neuen<br />
Trend- und Outdoor Sportarten, wie Freeriding und<br />
Singlecross negativ beeinflusst. Ein Ausweichen der<br />
Tiere in den schutzbietenden Wald ist häufig die Folge.<br />
Gesetzlich angeordnete Wildruhezonen nach dem Jagdgesetz,<br />
Naturschutzgebiete mit Wegegebot sowie die<br />
Aufklärungs- und Informationskampagne „Respektiere<br />
deine Grenzen“ stehen als Lenkungs- und somit<br />
Schutzmaßnahmen für das Wild zur Verfügung.<br />
Neben zahlreichen freiwilligen Ruhegebieten sind<br />
derzeit ca. 6.000 ha als behördliche Schutzzonen<br />
ausgewiesen.<br />
42
Gamswildräume als großräumige<br />
Bewirtschaftungseinheiten<br />
Neben Tourismus, Freizeit und Erholung spielt die Jagd<br />
als Ausfluss von Besitz an Grund und Boden (Reviersystem)<br />
eine maßgebliche Rolle im Umgang mit dem<br />
Gamswild. Mindestens 115 ha zusammenhängende<br />
Eigentumsfläche sind für die Erlangung des Eigenjagdstatus<br />
sowie 300 ha für die Ausweisung als Genossenschaftsjagd<br />
notwendig.<br />
Auf Grund der vorherrschende Kleinbesitzstruktur<br />
sowie traditionellen Landbewirtschaftung überwiegen<br />
bei den insgesamt 490 Jagdrevieren im Land kleine<br />
Eigenjagden, die sich hauptsächlich in den Hochlagen<br />
und somit in den bevorzugten Lebensräumen der Gams<br />
befinden, was für die Bewirtschaftung dieser Wildart<br />
nicht gerade förderlich ist.<br />
Durch die räumliche Festlegung von Gamswildräumen<br />
wird versucht, die Bewirtschaftung des Gamswildes<br />
großräumig bzw. revierübergreifend durchzuführen.<br />
Als Basis für die räumliche Abgrenzung der 13 im<br />
Land ausgeschiedenen Gamsräume dienten Gebirgs -<br />
stöcke mit zusammenhängenden Gamsbeständen.<br />
Bestandeserhebungen auf Populationsebene<br />
Die Gamswildräume gelten als großräumige Planungs-,<br />
Bewirtschaftungs- und Kontrolleinheiten im heimischen<br />
Wildtiermanagement. So werden beispielsweise<br />
Populationserhebungen lediglich auf Ebene des Gamswildraumes<br />
durchgeführt. Die erhobenen Zahlen in den<br />
einzelnen Revieren bzw. Zählgebieten haben keine<br />
Bedeutung für die Abschusszuteilung auf die Jagd -<br />
gebiete, was zur Objektivierung der Zählergebnisse<br />
beiträgt. Die Gamszählungen erfolgen in der Regel<br />
Mitte Oktober. In Waldgebieten werden keine Erhebungen<br />
durchgeführt. Die sehr einfache Zählmethode<br />
unterteilt nach Kitz, Jährling, Bock, Geiß und un -<br />
bestimmbares Stück hat sich dabei sehr bewährt.<br />
Entgegen zahlreichen Vermutungen hat die Bestandserhebung<br />
im Herbst 2012 mit einer Gesamtzahl von<br />
11.951 Stücken eine Zunahme des landesweiten Gamswildbestandes<br />
von mehr als 700 Stücken gegenüber der<br />
letzten Vollerhebung im Jahr 2007 ergeben, was vor<br />
allem auf die schonende Bejagung in den vergangenen<br />
Jahren zurückzuführen ist.<br />
Abschussentwicklung, Abschussstruktur<br />
Neben der Populationsdichte wird bei der Abschussplanung<br />
vor allem der langjährigen Entwicklung der<br />
Abschussstruktur (Höhe, Geschlecht, Altersverteilung)<br />
in den einzelnen Gamswildräumen eine maßgebliche<br />
Bedeutung beigemessen.<br />
Die Abschusskurve zeigt seit 1988 einen wellenförmigen,<br />
aber kontinuierlich abnehmenden Verlauf. Die Waldsterbensdebatte<br />
in den 1980er Jahren, das Inkrafttreten<br />
des Jagdgesetzes 1988 mit den neuen Instrumenten<br />
Mindestabschuss, Abschussauftrag und Freihaltung<br />
sowie die bewusste Einschränkung von Abschuss -<br />
freigaben in den vergangenen 10 Jahren sind dabei klar<br />
ersichtlich.<br />
Auf die Abschussstruktur wirken sich die schutzwaldbedingten<br />
Anordnungen von Freihaltungen und Abschussaufträge<br />
besonders aus. So wurden in den<br />
vergangenen 6 Jahren 23 % der Geißenabschüsse und<br />
51 % aller Bockabschüsse als sogenannte „Schadwildabschüsse“<br />
gemeldet. Gerade bei den Böcken resultiert<br />
daraus ein starker Eingriff in die Jugend- und Mittelklasse,<br />
was den Anteil von Böcken der Klasse I von<br />
durchschnittlich 50 % aus Normalabschüssen auf 33 %<br />
der Gesamtabschüsse reduziert.<br />
Diese intensiven Eingriffe in die jungen Altersklassen<br />
machen sich im Laufe der Jahre in der Altersentwicklung<br />
stark bemerkbar. So konnten bei den heurigen<br />
Hegeschauen nur 20 Bock-, hingegen 112 Geißtrophäen<br />
mit einem Alter von mindestens 12 Jahren beurteilt<br />
werden.<br />
GAMSWILD – LEBEN AUF DER KANTE 43
DIE SITUATION DES GAMSWILDES IN VORARLBERG<br />
Großreviere als Gamsreservoire<br />
Sowohl die quantitative als auch qualitative Beurteilung<br />
der Gamsabschüsse im Land Vorarlberg lassen<br />
einen recht deutlichen Zusammenhang zwischen<br />
Reviergröße und Vorkommen bzw. jagdliche Nutzung<br />
anderer Schalenwildarten erkennen.<br />
Dabei zeigt sich, dass große Reviere mit höheren Rotwilddichten<br />
trotz überwiegend guter Gamsbestände<br />
eine zahlenmäßig wesentlich geringere Abschöpfungsquote<br />
erfüllen als viele Kleinreviere. Den großen Jagdgebieten<br />
kommt somit eine wichtige Reservefunktion<br />
zur Kompensation der teilweise extrem hohen und vor<br />
allem qualitativ unausgewogenen Abschüssen in den<br />
Schutzwaldgebieten zu.<br />
Gesundes Gamswild<br />
Bezüglich des Gesundheitszustandes vom Gamswild in<br />
Vorarlberg ist zu erwähnen, dass mit Ausnahme der<br />
Gamsblindheit (IKK), welche in den 1990er Jahren<br />
einige Gamsräume seuchenhaft erfasst hat und seither<br />
endemisch in einzelnen Populationen verblieben ist,<br />
kein Auftreten von schwerwiegenden Krankheiten<br />
gegeben ist. Gottlob blieb das Land bis heute auch frei<br />
von Räude.<br />
In diesem Zusammenhang muss aber erwähnt werden,<br />
dass wir über kein permanentes bzw. systematisches<br />
Gesundheitserhebungssystem beim Gamswild verfügen.<br />
Beispielsweise ist das Vorkommen des Lungenwurmes<br />
aus einigen Gebieten bekannt. Eine dies bezügliche Verbreitungskarte<br />
oder Verbreitungsentwicklung liegt<br />
leider nicht vor.<br />
Ausblick<br />
Die Zukunft des Gamswildes wird in Vorarlberg im<br />
Wesentlichen davon abhängig sein, welchen Stellenwert<br />
bzw. biologische Bedeutung wir dieser Wildart in<br />
unserem Gebirgsökosystem, trotz Schutzwaldbewirtschaftung,<br />
Tourismus und Freizeitwirtschaft künftig<br />
entgegenbringen werden.<br />
Eine artgerechte Gamswildbejagung ist nur möglich,<br />
wenn wir dieser Wildart eine entsprechende Toleranz<br />
in seiner natürlichen Raumnutzung zugestehen. Ein<br />
großes Fragezeichen stellt die Entwicklung und Einstellung<br />
der Jagd bzw. des Jägers zum Gams selbst dar.<br />
Rascher Jagderfolg unter höchst möglichen Einsatz von<br />
Technik, insbesondere in Bezug auf die permanente<br />
Erreichbarkeit der Hochlagenreviere mit hochmodernen<br />
Gelände- und Schneefahrzeugen sowie die weitere<br />
Perfektionierung von Weitschusswaffen lassen keine<br />
gedeihliche Aussichten erwarten.<br />
Lediglich durch das umfassende Begreifen, dass es sich<br />
beim Gams um ein schützenswertes „Naturgut“ bzw.<br />
„Naturerbe“ handelt, dürfte ein entsprechendes Umdenken<br />
in den Köpfen von statten gehen.<br />
Bis dahin wird aber mit Sicherheit noch viel Wasser<br />
in den Bodensee rinnen und so mancher Gams zur<br />
Förderung des Schutzwaldes gestreckt werden.<br />
44