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BIOS Nationalparkzentrum Mallnitz<br />

Foto @ Haslacher<br />

Gamswild<br />

Leben auf der Kante<br />

Tagung des BIOS Nationalparkzentrum Mallnitz<br />

vom 18. bis 19. April 2013<br />

TAGUNGSBAND<br />

MIT UNTERSTÜTZUNG VON BUND, LAND UND EUROPÄISCHER UNION<br />

Europäischer Landwirtschaftsfonds<br />

für die Entwicklung des ländlichen<br />

Raums: Hier investiert Europa in<br />

die ländlichen Gebiete.


INHALT<br />

Gamswild<br />

Leben auf der Kante<br />

Seite<br />

3 Programm<br />

4 Gams – Verhalten, Bestandesdynamik, Kruckenwachstum<br />

8 Die Waldgams – Ökologie, Entwicklungstrends, Management<br />

14 Jahreszeitliche Anpassung der Alpengämse an harsche<br />

Umweltbedingungen und Störungen durch Aktivitäten des Menschen<br />

16 Freizeitaktivitäten im Lebensraum der Gämsen – Konflikte, Lösungen,<br />

Ergebnisse aus dem Projekt „Tourismus und Wild“ der Universität Bern<br />

20 Gamskrankheiten unter den Aspekten<br />

von Klimawandel und Lebensraumverlusten<br />

36 Gamswildbewirtschaftung in Kärnten<br />

38 Gamswild – Hauptwildart in den Hohen Tauern<br />

40 Jagddruck auf Gamswild<br />

Beispiele aus der Schweiz und Bayern<br />

42 Die Situation des Gamswildes in Vorarlberg<br />

GAMSWILD – LEBEN AUF DER KANTE 1


IMPRESSUM<br />

Herausgeber:<br />

Für den Inhalt<br />

verantwortlich:<br />

BIOS Nationalparkzentrum Mallnitz<br />

Mallnitz 36<br />

9822 Mallnitz<br />

Tel.: +43 (0) 4784 / 701<br />

E-Mail: bios@ktn.gv.at<br />

Die Autoren<br />

2


PROGRAMM<br />

Tagung des BIOS Nationalparkzentrum Mallnitz<br />

Donnerstag, 18. April 2013<br />

14.00 Uhr Eröffnung<br />

14.15 Uhr Gams – Verhalten, Bestandesdynamik, Kruckenwachstum<br />

Hubert Zeiler | Wildbiologe<br />

15. 00 Uhr Die Waldgams – Ökologie, Entwicklungstrends, Management<br />

Friedrich Reimoser | BOKU Wien<br />

15.45 Uhr Pause<br />

16.15 Uhr Jahreszeitliche Anpassung der Alpengämse an harsche<br />

Umweltbedingungen und Störungen durch Aktivitäten des Menschen<br />

Agnes Haymerle | Forschungsinstitut für Wildtierkunde und Ökologie, Wien<br />

17.00 Uhr Freizeitaktivitäten im Lebensraum der Gämsen – Konflikte, Lösungen,<br />

Ergebnisse aus dem Projekt„Tourismus und Wild“ der Universität Bern<br />

Paul Ingold | Universität Bern<br />

17.45 Uhr Gamskrankheiten unter den Aspekten von Klimawandel und Lebensraumverlusten<br />

Armin Deutz | Amtstierarzt Murau<br />

18.30 Uhr Buffet der Kärntner Jägerschaft<br />

Freitag, 19. April 2013<br />

9.30 Uhr Gamswildbewirtschaftung in Kärnten<br />

Gerald Muralt | Kärntner Jägerschaft<br />

9.45 Uhr Gamswild – die Hauptwildart des Nationalparks Hohe Tauern<br />

Klaus Eisank | Nationalpark Hohe Tauern - Kärnten<br />

10.25 Uhr Pause<br />

11.00 Uhr Jagddruck auf Gamswild – Beispiele aus Bayern und der Schweiz<br />

Peter Meile | Wildbiologe, Schwendi / Schweiz<br />

11.45 Uhr Die Situation des Gamswildes in Vorarlberg<br />

Hubert Schatz | Amt der Vorarlberger Landersregierung<br />

GAMSWILD – LEBEN AUF DER KANTE 3


Hubert Zeiler<br />

Gams – Verhalten, Bestandesdynamik, Kruckenwachstum<br />

Geht es um Faktoren, welche die Dynamik heimischer<br />

Wildtierbestände beeinflussen, dann beziehen wir uns in<br />

der Regel auf solche, die von außen auf den Bestand<br />

wirken. Beim Gamswild spielt die Witterung eine wichtige<br />

Rolle, Krankheiten sind ebenfalls immer wieder ein<br />

Thema. Raubfeinde, wie Luchs oder Adler kommen dann<br />

und wann zur Sprache, ebenso wie das Äsungsangebot,<br />

und natürlich ist heute auch die Jagd ein wichtiger<br />

bestandesregulierender Faktor. Neben diesen „extrin -<br />

sischen“ Faktoren wirken aber auch „intrinsische“.<br />

Das sind solche, die gleichsam von innen heraus die<br />

Entwicklung eines Wildtierbestandes beeinflussen. Dazu<br />

gehört die Bestandesstruktur – wobei besonders der<br />

Altersaufbau von Bedeutung ist. Damit wird aber nicht<br />

nur die dynamische Entwicklung beeinflusst, ein Spiegelbild<br />

von Altersstruktur oder Geschlechterverhältnis<br />

finden wir auch im Verhalten einer Wildart.<br />

Natürlich spielen Jagddruck, Störungen oder Witterung<br />

eine Rolle. Bleiben wir aber einmal bei den sozialen<br />

Kontakten, bei den Wechselbeziehungen zwischen den<br />

Tieren in einem Bestand und beim Raum-Zeitverhalten<br />

einzelner Altersgruppen. Ein Wildbestand ist keine anonyme<br />

Masse, die man schlicht über Zu- und Abgang<br />

aufhegt oder reduziert. Auch wenn solche Milch mäd -<br />

chenrechnungen auf der Suche nach schnellen Lösungen<br />

wieder mehr denn je in den Vordergrund gerückt werden.<br />

Über das Verhalten kann also gleichsam sichtbar werden<br />

wie sich ein Bestand zusammensetzt. Ob männlich oder<br />

weiblich, jung oder alt, jede Gruppe legt ein bestimmtes<br />

Verhalten an den Tag, und das ist besonders beim tag -<br />

aktiven Gamswild gut zu beobachten.<br />

Junge „Flegel“ benehmen sich eben anders als reife<br />

„Männer“, unerfahrene Geißen unterscheiden sich von<br />

führenden Müttern. Auch Untersuchungen zur Raum -<br />

nutzung belegen, dass Wildtiere je nach Altersgruppe<br />

oder Geschlecht ihre Lebensräume ganz unterschiedlich<br />

nutzen. Gams ist also nicht gleich Gams!<br />

Bevor wir auf einige Beispiele zum Verhalten eingehen,<br />

bleiben wir aber noch kurz bei der Bestandesstruktur und<br />

deren Auswirkung auf die Dynamik einer Population.<br />

Bestandesstruktur beeinflusst Dynamik<br />

Vereinfacht teilt man Wildtierbestände in Jugend-, Mittelund<br />

Altersklasse. Beim Gamswild gibt es die größten<br />

Ausfälle bei Kitzen, Jahrlingen und dann wieder bei den<br />

Senioren. Stabil ist dagegen die Mittelklasse der erwachsenen,<br />

reifen Tiere. Sie sind am widerstandsfähigsten.<br />

Hier ist die Ausfallrate gering.<br />

Je nachdem wie ein Bestand aufgebaut ist – ob viel<br />

Jugend, reife Tiere in der Mittelklasse oder Senioren –<br />

wird er unterschiedlich auf Umwelteinflüsse reagieren.<br />

Wenn es viel Jugend gibt, kommt mehr Dynamik in den<br />

Bestand, die Schwankungen sind größer. Das „Rückgrat“<br />

eines jeden Wildtierbestandes sind die reifen, erwachsenen<br />

Tiere in der Mittelklasse. Das heißt beim Gamswild,<br />

etwa jene Tiere vom dritten oder vierten bis zum zwölften<br />

Lebensjahr.<br />

Nun zeigen uns aber z.B. Überlebenskurven, die Wolfgang<br />

Schröder 1971 für Gams erstellt hat, dass bei den<br />

Böcken die Sterberaten ab dem vierten Lebensjahr bereits<br />

deutlich ansteigen, und sich damit signifikant von jenen<br />

der Geißen unterscheiden. Danach sollten also Gams -<br />

böcke deutlich geringere Lebenserwartungen haben als<br />

Geißen. Wie ist das zu erklären?<br />

Überlebenskurven bei Böcken und Geißen<br />

Hier bringt ein Blick auf die Herkunft der Datengrundlage<br />

etwas mehr Licht in die Sache. Schröder bezog seine<br />

Daten aus bejagten Gamsbeständen, und da werden<br />

Böcke in der Regel nicht wirklich alt. Neuere Unter -<br />

suchungen aus Schutzgebieten zeigen dagegen, dass dort,<br />

wo Gams nicht bejagt werden, die Lebenserwartung für<br />

Bock und Geiß in etwa gleich hoch ist. Der jagende<br />

Mensch verändert die Struktur von Wildtierbeständen.<br />

Beim Gams hat dies – wie bei vielen anderen Arten auch –<br />

dazu geführt, dass das Durchschnittsalter der meisten<br />

Vorkommen deutlich verringert wurde. Die Auswirkungen<br />

daraus werden von vielen Verantwortlichen nicht<br />

4


erkannt, weil man Wildtierbestände häufig nach schematisch<br />

einfachen Mustern behandelt. Dazu kommt, dass in<br />

einem Jagdsystem, welches besonders stark auf Trophäen<br />

ausgerichtet ist, wirtschaftliche Interessen und ökolo -<br />

gische Grundprinzipien immer wieder in Gegensatz<br />

zu einander geraten. Beim Gamswild tragen beide Geschlechter<br />

Trophäen, womit dieser Gegensatz oft noch<br />

stärker zu Tage tritt.<br />

Fest steht: Bestandesstruktur, Verhalten und Bestandesdynamik<br />

sind jedenfalls eng miteinander verbunden, und<br />

auch die Lebensraumnutzung steht in Zusammenhang<br />

mit der Struktur des Bestandes.<br />

Unterschiedliche Zuwachsraten je nach Vorkommen<br />

Für die Steiermark konnte nun aber auch nachgewiesen<br />

werden, dass die langjährig durchschnittlichen Zuwachsprozente<br />

je nach Lebensraum oder Gamsvorkommen<br />

deutlich unterschiedlich sind. In dem Bundesland werden<br />

die Abschussdaten seit 1992 mittels EDV erfasst. Somit<br />

stehen uns heute lange Datenreihen zur Verfügung.<br />

Beim Gams gibt es den Vorteil, dass sowohl vom männlichen<br />

als auch vom weiblichen Wild genaue Altersangaben<br />

vorliegen. Wer den Abgang über viele Jahre kennt,<br />

der kann damit auf den Setzjahrgang zurückrechnen und<br />

erhält somit über die Zeit jährliche Zuwachszahlen.<br />

Drei Beispiele machen deutlich wie weit Zuwachsraten<br />

beim Gams auseinander liegen können:<br />

Für das Gleinalmgebiet, einem sanften Mittelgebirgszug,<br />

der bis knapp 2.000 m Seehöhe reicht und durch hohen<br />

Waldanteil gekennzeichnet ist, haben wir ein Zuwachsprozent<br />

von über 23 % errechnet. Das ist ein sehr hoher<br />

Wert, in der Regel geht man beim Gamswild von einem<br />

wirksamen Zuwachs zwischen 10 und 20 % aus.<br />

Das Gesäuse ist ein Gamslebensraum in den Nördlichen<br />

Kalkalpen mit hohem Felsanteil und großen Schneemengen.<br />

Dort liegt die langjährig durchschnittliche Zuwachsrate<br />

nur bei 9,5 %!<br />

Für die Ybbstaler Alpen im Dreiländereck von Oberösterreich,<br />

Niederösterreich und Steiermark ergeben die Rückrechnungen<br />

einen durchschnittlichen Zuwachs von<br />

16,8 %, also genau das Mittel aus den anderen beiden<br />

Werten. Erfahrung spielt bei der Abschussplanung sicher<br />

eine Rolle, fundierte Grundlagen liefern aber hieb- und<br />

stichfeste Grundlagen für nachhaltige Jagd.<br />

Aktivitätsrhythmen von Bock und Geiß<br />

Geht es um Verhalten, dann verbinden wir damit in der<br />

Regel soziale Auseinandersetzungen und Ausdrucksformen.<br />

Verhalten kann aber auch über Aktivitätsrhythmen<br />

oder die Nutzung jährlicher Streifgebiete definiert werden.<br />

Der Vergleich eines achtjährigen Gamsbockes mit einer<br />

elfjährigen Geiß auf der Fölzalm zeigt wie unterschiedlich<br />

der Jahresrhythmus zweier erwachsener Gams in ein<br />

und demselben Revier verlaufen kann. Die Geiß zeigt<br />

über das gesamte Jahr höhere Aktivitätsraten als der<br />

Bock. Einzig zur Brunftzeit im November sind die Werte<br />

bei beiden Tieren in etwa gleich hoch; jedoch aus völlig<br />

unterschiedlichem Grund:<br />

Während die Geißen um diese Zeit fast ausschließlich<br />

äsen, geht es bei den reifen Böcken nun fast ausschließlich<br />

um die Fortpflanzung. Auch im Dezember suchen<br />

die Gams noch viel nach Äsung, im Jänner und Februar<br />

wird die Aktivität dann stark eingeschränkt, der Bock<br />

bewegt sich im Februar nur sehr wenig. Im März steigt<br />

die Aktivität dann stark an, sie erreicht beim Gamsbock<br />

im Mai ihren Jahresspitzenwert. Dies ist nicht nur mit<br />

dem erhöhten Nahrungsbedarf nach dem Winter, sondern<br />

auch mit territorialen Auseinandersetzungen im Frühjahr<br />

zu erklären. Im Juni lässt die Aktivität beim achtjährigen<br />

Bock bereits wieder nach während sie bei der Geiß von<br />

Mai über Juni und Juli andauernd beinahe gleich hoch<br />

bleibt. Setzen, Säugen, Haarwechsel erfordern reichlich<br />

Energie, die führende Geiß ist viel auf den Läufen um zu<br />

Äsen. Im Hochsommer verringern dann beide Tiere ihre<br />

Aktivität. Der Bock ist im August weniger aktiv als im<br />

Februar. Er zeigt nun die geringste Aktivität im gesamten<br />

Jahreslauf. Dies setzt sich im September und Oktober<br />

fort. Das ist die Zeit, wo ein erwachsener Gamsbock vor<br />

der Brunft richtig Feist ansetzt. Äseperioden wechseln<br />

über die gesamten 24 Stunden eines Tages mit Ruhe -<br />

phasen, während denen wiedergekäut wird. Womit wir<br />

bei einem Punkt sind, der für viele Gamsjäger wahrscheinlich<br />

neu ist.<br />

GAMSWILD – LEBEN AUF DER KANTE 5


GAMS – VERHALTEN, BESTANDESDYNAMIK, KRUCKENWACHSTUM<br />

Gamswild ist auch nachtaktiv<br />

Die Aktivitätsdaten aus dem ANLICK-Gamsprojekt zeigen,<br />

dass Gams zu allen Jahreszeiten auch nachtaktiv<br />

sind. Am wenigsten ist das im Februar der Fall, besonders<br />

stark ausgeprägt ist dies im Mai. Vom Hochsommer bis<br />

in den Herbst gibt es zwischen Tag und Nacht kaum<br />

Unterschiede im Aktivitätsmuster beim Bock, bei den<br />

Geißen fallen täglich zwei Aktivitätsgipfel in etwa mit<br />

den frühen Morgen- oder späten Nachmittagsstunden<br />

zusammen.<br />

Der erwähnte achtjährige Gamsbock von der Fölzalm<br />

zeigt zur Brunftzeit einen 24-Stundenrhythmus, bei dem<br />

es etwa um 18:00 Uhr einen steilen Abfall gibt, wo aber<br />

bereits nach rund zwei Stunden Ruhepause am Abend<br />

wieder hohe Aktivität bis über Mitternacht hinaus nachzuweisen<br />

ist. Erst von 04:00 Uhr bis 05:00 Uhr morgens<br />

ruht der Bock wieder mehr, von 06:00 Uhr auf 07:00 Uhr<br />

steigt dann die Aktivität aber bereits wieder steil an.<br />

Nachdem unsere Verhaltensbeobachtungen gezeigt<br />

haben, dass territoriale Platzböcke tagsüber während der<br />

Brunft kaum Äsung aufnehmen, sind wir aufgrund dieses<br />

Aktivtitätsmusters zunächst davon ausgegangen, dass der<br />

Bock vielleicht während der Nacht äst.<br />

Beobachtungen mit Nachtsichtgeräten und Wärmebildkameras<br />

aus der Schweiz belegen jedoch, dass die Gamsbrunft<br />

auch während der Nachtstunden weiter geht. Gams<br />

sind also ähnlich nachtaktiv wie anderes Schalenwild<br />

auch. Geht es nach unseren Auswertungen aus dem<br />

Rehwildprojekt vom Rosenkogel, würde ich behaupten,<br />

dass Gams vielleicht sogar noch stärker nachtaktiv als<br />

Rehe sind. Zumindest verteilt sich die Aktivität im Sommerhalbjahr<br />

über den gesamten 24-Stunden-Tag.<br />

Vielleicht ist dies auch eine Anpassung um den kurzen<br />

Bergsommer möglichst gut auszunützen.<br />

Vergleich der Streifgebiete von Wald- und Almgams<br />

Parallel zum Verhalten der Gams am Hochschwab wurden<br />

auch Aktivität und Streifgebietsgrößen von Waldgams<br />

im Höllgraben bei Stainz untersucht. Interessant ist<br />

hierbei der Vergleich der Lebensraumnutzung von Gamsgeißen<br />

im Wald und auf der Alm.<br />

Es geht um sechs Waldgamsgeißen und drei Geißen auf<br />

der Fölzalm. Die Größe der Streifgebiete kann man über<br />

zwei Methoden bestimmen. Nach dem Minimumkonvexpolygon<br />

(MCP) werden vereinfacht die äußeren Peilpunkte<br />

miteinander verbunden und die umschlossene<br />

Fläche berechnet. Damit erhält man recht große Streifgebiete.<br />

Lässt man jene Punkte weg, die in die äußersten<br />

Randbereiche fallen, und berechnet dann um jeden Peilpunkt<br />

eine Kernfläche (Kernel 95), dann werden die<br />

Streifgebiete viel kleiner, man erhält die Kernzonen der<br />

genutzten Lebensräume.<br />

Um es kurz zu machen:<br />

Die Waldgamsgeißen im Höllgraben nutzen viel größere<br />

Gesamtstreifgebiete (MCP - 114 ha) als die Geißen von<br />

der Fölzalm (MCP - 67 ha). Vergleicht man jedoch die<br />

Kerngebiete beider Gruppen (Kernel 95), dann sind diese<br />

bei den Waldgams mit 21 ha kleiner als bei den Geißen<br />

vom Hochschwab mit 24 ha.<br />

Das heißt: Die Waldgams streifen weiter umher, nutzen<br />

dann aber konzentriert kleine Flächen. Man sieht,es<br />

hilft wenig wenn wir alle Gams einfach nur über einen<br />

Kamm scheren.<br />

Reviersystem bei Gamsböcken<br />

Ein kurzer Blick auf das Raum-Zeitverhalten der Gamsböcke<br />

auf der Fölzalm zeigt, dass sich bei hohem Anteil<br />

an reifen Böcken auch beim männlichen Gamswild ein<br />

Reviersystem etablieren kann.<br />

Von Platzböcken ist seit jeher in der Fachliteratur die<br />

Rede, die Gamsböcke in unserem Untersuchungsgebiet<br />

verteidigen aber bereits im Frühjahr Reviere und zwar oft<br />

sehr heftig. Sie besetzen diese Reviere dann bis zum<br />

Ende der Brunftzeit. Damit fallen territoriale Auseinandersetzungen<br />

in eine Zeit, wo es ein reiches Nahrungsangebot<br />

gibt und wo die Witterung kaum noch ein<br />

ernsthaftes Risiko darstellt. Im Herbst zu Beginn der<br />

Gamsbrunft sind dann die Verhältnisse bereits klar geregelt,<br />

jeder kennt seinen Nachbarn. Junge Gamsböcke<br />

wissen um die Platzböcke, sie kommen während der<br />

Hauptbrunft so gut wie gar nicht zum Zug. Reviergrenzen<br />

verlaufen in der Regel entlang auffälliger Geländemarken<br />

wie Gräben, Runsen, Rücken oder Geländekanten.<br />

6


Kruckenwachstum<br />

Der Titel des Vortrages ist breit angelegt. Der Zusammenhang<br />

zwischen Kruckenwachstum und Bestandesdynamik<br />

scheint auf den ersten Blick wenig plausibel.<br />

Dennoch treten gerade beim Gamswild immer wieder<br />

Zusammenhänge zwischen Kruckenwachstum, Bestandesdynamik<br />

und Lebensraum zu Tage.<br />

Nachdem in Neuseeland Gams ausgesetzt wurden und<br />

die Wildart dann zum Problemfall geworden ist wurde<br />

dort auch viel über Gams geforscht. Beim Vergleich<br />

zwischen Randgebieten, wo sich die Wildart noch ausgebreitet<br />

hat, und Zentralgebieten, wo sich die Bestände<br />

schon stabilisiert haben, zeigte sich, dass der jährliche<br />

Hornzuwachs bei den Bockkrucken aus dem Randgebiet<br />

in Neuseeland während der ersten vier Jahre deutlich<br />

höher war als bei jenen im Zentralgebiet.<br />

Bei Geißen geht dieser Effekt aber bereits nach dem<br />

zweiten Lebensjahr wieder verloren weil sie sich in<br />

unbesiedelten Gebieten sehr früh an der Fortpflanzung<br />

beteiligen, und dann nicht mehr in Körperwachstum,<br />

sondern in den Nachwuchs investieren.<br />

Generell konnten Marco Rhugetti und Marco Festa-<br />

Bianchet (2011) jedoch einen positiven Zusammenhang<br />

zwischen dem Körpergewicht von jungen Geißen und der<br />

Fortpflanzung in sehr jungen und dann wieder den späten<br />

Lebensjahren herstellen.<br />

Auch am Hochschwab führte Wolfgang Schröder Messungen<br />

an Gamskrucken durch. Dabei stellte sich heraus,<br />

dass es bei den Böcken in zwei direkt aneinander grenzenden<br />

Gebieten unterschiedliche Wachstumsmuster gab.<br />

Auf der „Zeller Staritzen“ im Nordosten des Hochschwabmassives<br />

war das Hornwachstum in den ersten<br />

beiden Jahren größer.<br />

Das Gebiet ist etwa 1.400 bis 1.500 m hoch, es wechseln<br />

Almen, Fels und Wald. Klimatisch ist es weniger rau als<br />

die angrenzende „Aflenzer Staritzen“ mit zum Teil verkarsteten<br />

Plateaus, die auf 1.800 bis 2.000 m liegen,<br />

baumlos sind und wo es recht strenge Winter mit hohen<br />

Schneemengen gibt. Nachdem die Gamsböcke von der<br />

Aflenzer Staritzen die ersten beiden Jahre hinter sich<br />

haben, übertreffen sie jedoch im Hornzuwachs jene von<br />

der Zeller Staritzen.<br />

Nach Forschungsergebnissen von Marco Rhugetti steht<br />

frühes Hornwachstum in positivem Zusammenhang mit<br />

dem Gewicht des Jahrlings, aber nicht mehr mit dem des<br />

erwachsenen Stücks.<br />

Verschiedene Forschungsprojekte zeigen, dass Gams -<br />

böcke dort, wo die Wildart in neue Lebensräume gebracht<br />

wird, zunächst besonders gut entwickeln – wenig Konkurrenz<br />

und gutes Nahrungsangebot sind die Hauptgründe<br />

dafür. Gewicht, Krucken und Schädelmaße liefern<br />

hierfür eindeutige Belege.<br />

GAMSWILD – LEBEN AUF DER KANTE 7


Prof. DI Dr. Friedrich Reimoser<br />

Waldgams – Ökologie, Entwicklungstrends, Management<br />

Was sind Waldgams? Seit wann gibt es sie? Sind sie eine<br />

eigene Rasse? Für Forstleute sind sie oft ein Problem.<br />

Was ist neu an diesem Problem? Was kann getan werden?<br />

Diese und ähnliche Fragen werden immer wieder gestellt.<br />

Die Diskussion über das sogenannte „Waldgamsproblem“<br />

wurde in den letzten beiden Jahrzehnten deutlich heftiger.<br />

Grund dafür war vor allem die Zunahme der gamsbedingten<br />

Verbissschäden am Wald, insbesondere in Schutzwaldbereichen.<br />

Außerdem ist dieses Thema auch bei der<br />

Wildökologischen Raumplanung von grundsätzlicher<br />

Bedeutung für die Feststellung und Sicherung von Gamslebensräumen.<br />

Während vor 50 Jahren selbst Forstleute nicht selten<br />

daran zweifelten, dass Gamswild überhaupt Schäden am<br />

Wald verursachen könne, ist diese Wildart heute im<br />

Alpenraum vielerorts zur „Problemart“ schlechthin geworden.<br />

Auf die Begriffe Wald- und Gratgams wird in<br />

der Literatur oft eingegangen (z.B. Knaus und Schröder,<br />

1975). Studien über Waldgams sind jedoch selten (z.B.<br />

Baumann und Struch, 2000). Als Grundlage für eine<br />

möglichst sachliche Diskussionen und eine zweckmäßige<br />

Problemlösung werden einige Aspekte zum „Waldgamsproblem“<br />

kurz zusammen gefasst.<br />

Lebensraum des Gamswildes<br />

Gams sind anpassungsfähig. Sie wandern vor allem im<br />

Frühsommer mitunter weit, sind vereinzelt in tief gelegenen<br />

Tallagen weit abseits ihres sonstigen Aufenthaltsgebietes<br />

anzutreffen und können dadurch neue Gebiete<br />

besiedeln.<br />

Sie können in Weingärten und Maisanbaugebieten (z.B.<br />

Südsteiermark) ebenso überleben wie im Hochgebirge.<br />

Man trifft sie im Wald wie auch oberhalb der Waldgrenze.<br />

Die Frage ist jedoch, wo sie bei freier Wahl lieber leben<br />

würden, wo es sich also um optimale Gamsbiotope und<br />

wo um nur suboptimale Ausweichhabitate handelt.<br />

Ein vorübergehendes, witterungsbedingtes Aufsuchen<br />

des Waldes gehört in vielen Gebieten zum natürlichen<br />

Lebenswandel (Abbildung 1).<br />

In manchen Regionen (z.B. Niederösterreich) hält sich<br />

jedoch das meiste Gamswild ganzjährig unterhalb der<br />

Waldgrenze auf, ganz einfach deshalb, weil ausgedehnte<br />

Lebensräume oberhalb der Waldgrenze wegen der - im<br />

Vergleich zu den weiter westlich gelegenen Alpenregionen<br />

- weniger hohen Berge kaum vorhanden sind.<br />

Zweifellos war und ist das Gamswild in vielen dieser<br />

Waldreviere jagdlich erwünscht und wurde entsprechend<br />

gehegt. Soweit es sich nicht selbst von den Kerngebieten<br />

ausgebreitet hat, wurde das Gamswild auch ausgesetzt<br />

(Aussetzungen erfolgten dort angeblich schon im 19.<br />

Jahrhundert). Genetische Unterschiede zwischen so -<br />

genannten Wald- und Gratgams sind nicht bekannt.<br />

Abbildung 1:<br />

„Waldgams“ lassen sich im Hochgebirge von den oberhalb<br />

der Waldgrenze lebenden „Gratgams“ meist nicht als separate<br />

Population trennen. „Waldgams“ leben oft nur vorübergehend<br />

im Wald, vor allem im Winter. Gamsböcke stehen häufiger in<br />

bewaldeten Gebieten als Gamsgeißen und Jungtiere.<br />

8


Bei ihrer Raumnutzung (Habitatwahl) versuchen die<br />

Gams stets eine optimale Befriedigung ihrer Haupt -<br />

bedürfnisse: Sicherheit, Ruhe, Nahrungsaufnahme und<br />

Ausnützung günstiger lokalklimatischer Bedingungen.<br />

Bei einer entsprechenden Gelände- und Biotoptypen -<br />

vielfalt auf kleiner Fläche ist diese Optimierung am leichtesten<br />

möglich, weil dadurch der erforderliche Orts -<br />

wechsel und der Energieaufwand im Falle von<br />

Störungseinfluss, verändertem Nahrungsangebot oder<br />

veränderter Witterung minimiert werden kann. Lokale<br />

Konzentrationen größerer Gamsrudel in optimalen<br />

Habitaten sind insbesondere im Frühjahr (südexponierte<br />

Hänge) typisch für die Lebensweise dieser Wildart.<br />

Wichtig für eine hohe Habitatattraktivität für Gamswild<br />

ist, dass im Lebensraum auch steile Geländeteile mit Fels<br />

und felsbegleitender Gras- und Krautvegetation sowie<br />

übersichtliche Flächen mit guter Ausblickmöglichkeit für<br />

die Tiere vorhanden sind. Diese Anforderungen können<br />

auch im Wald weitgehend erfüllt sein, wenn dieser stark<br />

von Felsen durchsetzt ist und ausreichend offene Stellen<br />

enthält. Durch intensiven Verbiss aufkommender Gehölze,<br />

vor allem auf den für Gams attraktiven konvexen Geländeteilen<br />

(Kuppen, Rücken, Geländekanten), halten sich<br />

die Tiere diese Stellen möglichst lange offen.<br />

Aus forstlicher Sicht kann dies allerdings immer weniger<br />

toleriert werden, weil die Ansprüche an die verschiedenen<br />

Leistungen des Waldes, vor allem an seine Schutzfunktion,<br />

steigen. Geschlossene Waldgebiete ohne locker bewaldete<br />

Steilflächen und ohne Freiflächen sind für Gamswild<br />

wenig attraktiv.<br />

Bemerkenswert ist, dass Gamswild, das ausschließlich in<br />

Waldbereichen lebt bzw. dorthin abgedrängt worden ist,<br />

oft rehwildähnliche Verhaltensweisen annimmt.<br />

Rudel lösen sich in kleine Gruppen auf, das Wild wird<br />

standorttreuer, scheuer und teilweise stärker nachtaktiv.<br />

Sofern keine Überpopulation besteht und große Raubtiere<br />

(z.B. Luchs, Wolf) keinen Einfluss haben, nehmen die<br />

Fallwildverluste ab und die (jagdlich nutzbare) Zuwachsrate<br />

steigt.<br />

In Österreich finden sich nachhaltig hohe jährliche Abschussdichten<br />

in den typischen Waldgams gebieten am<br />

Ostrand der Alpen, wo kaum Lagen oberhalb der Waldgrenze<br />

vorhanden sind. In Waldbiotopen entstehen allerdings<br />

auch unabhängig von der Wildschadensproblematik<br />

leicht überhöhte Gamswildbestände, sodass die Nahrungsqualität<br />

verbissbedingt sinkt und das Wild vermehrt<br />

kümmert. Auch eine eventuell auftretende Gamsräude<br />

wird in Waldgamsgebieten meist besonders stark durch<br />

Ausfall von Tieren wirksam.<br />

Änderung der Gamswildverteilung<br />

Wenn es um die Vermeidung von Wildschäden geht, ist<br />

nicht nur die Höhe des Wildbestandes, sondern ebenso<br />

die räumliche und jahreszeitliche Verteilung des Wildes<br />

- seine Raumnutzung - entscheidend. Wenn beispielsweise<br />

100 Stück Gamswild ganzjährig oberhalb der<br />

Waldgrenze leben, so können sie keinen Schaden am<br />

Wald verursachen. Wenn aber dieselben 100 Stück nur<br />

wenige 100 Meter tiefer in den Wald abgedrängt werden,<br />

kann in kurzer Zeit untragbarer Verbissschaden entstehen.<br />

Dass derartig ungünstige Änderungen der Gamswildverteilung<br />

im Hochgebirge leicht entstehen können, wurde<br />

z.B. in der Schweiz durch Störversuche eindrucksvoll<br />

nachgewiesen (Ingold und Mitarbeiter, 1994).<br />

Ein wildökologisches Hauptproblem in unserer Kulturlandschaft<br />

besteht zweifellos darin, dass, bedingt durch<br />

die intensive Mehrfachnutzung der alpinen Landschaft<br />

durch den Menschen, Lebensräume des Gamswildes in<br />

Hochlagen weniger attraktiv werden oder völlig verloren<br />

gehen, während der Wald immer häufiger und längerfristig<br />

als Aufenthaltsort vom Gams genutzt wird. Dieser<br />

Prozess erfolgt schleichend und ist den Verursachern nur<br />

selten bewusst.<br />

Folgende Gründe dieser veränderten Raumnutzung des<br />

Gamswildes können angeführt werden:<br />

• Weniger Lebensraum oberhalb der Waldgrenze<br />

Eine Verschlechterung der Habitatqualität im waldfreien<br />

alpinen Gelände erfolgte vor allem durch die dort besonders<br />

großflächige Ausdehnung und Intensivierung sowohl<br />

der touristischen Aktivitäten im Sommer und Winter<br />

(verschiedene Formen des Schilaufs, Wandern, Bergsteigen,<br />

Fliegen mit Paragleitern und Drachen, Mountainbiken<br />

etc.) als auch des Jagddruckes (Gamsjagd<br />

außerhalb des Waldes interessanter und oft auch leichter).<br />

GAMSWILD – LEBEN AUF DER KANTE 9


WALDGAMS – ÖKOLOGIE, ENTWICKLUNGSTRENDS, MANAGEMENT<br />

Sowohl Tourismus als auch Jagd wurden in dieser<br />

Großflächigkeit und Intensität erst durch die starke Erschließung<br />

der Hochlagen möglich (Wege, Seilbahnen,<br />

Lifte). Auch der Abtransport von erlegtem Wild wurde<br />

dadurch erleichtert, was die jagdlichen Aktivitäten in<br />

diesen Lagen ankurbelte. Wesentlich erscheint auch der<br />

Hinweis, dass die offene Berglandschaft durch die sukzessive<br />

Wiederbewaldung vieler ehemals für Almzwecke<br />

gerodeter Waldflächen stark geschrumpft ist und ständig<br />

weiter an Fläche verliert.<br />

• Bessere Gamshabitate im Wald<br />

Durch vermehrten Forststraßenbau im steilen Gelände<br />

mit ausgeprägten Felsböschungen und durch Kahlschläge<br />

auch in ehemals unzugänglichen Wäldern hat sich die<br />

Habitatattraktivität für Gamswild im Wald, bedingt durch<br />

die Schaffung offener, übersichtlicher Flächen mit zusätzlichen<br />

steilen, felsigen Geländeformen vielerorts entscheidend<br />

erhöht.<br />

Das Wild wurde also einerseits - forstlich bedingt -<br />

unbewusst in den Wald herunter gelockt und andererseits<br />

- touristisch und jagdlich bedingt - ebenso unbewusst in<br />

den deckungsreicheren Wald hinunter abgedrängt. Beides<br />

erfolgte gleichzeitig innerhalb der letzten Jahrzehnte. Das<br />

Ergebnis kennen wir als „Waldgamsproblem“, das im<br />

Grunde eigentlich ein „Menschenproblem“ ist.<br />

Ähnlich wie im vorigen Jahrhundert beim Rotwild, das<br />

damals mehr und mehr von tieferen Lagen ganzjährig in<br />

den Bergwald zurückgedrängt wurde (was häufig als<br />

Argument für die Winterfütterung verwendet wird),<br />

scheint es sich nun beim Gamswild im Gebirge zu entwickeln<br />

(Bergwald als Dauerhabitat).<br />

An dieser Stelle ist noch zu erwähnen, dass die ehemals<br />

vorhandenen Großraubtiere Wolf, Luchs und Bär vor -<br />

wiegend im Waldbereich lebten und dadurch im Wald<br />

einen „Vertreibungseffekt“ auf Gamswild gehabt haben<br />

dürften, der heute weitgehend wegfällt.<br />

Feindvermeidung und Sicherheit spielen nicht nur beim<br />

Gamswild eine sehr maßgebliche Rolle im Hinblick auf<br />

die Raumnutzung der Tiere. Als „Feinde“ kommen<br />

grundsätzlich Mensch, Raubtiere, andere konkurrenzierende<br />

Wildarten, stärkere Artgenossen und Parasiten<br />

in Frage, im weiteren Sinne auch ungünstige Witterungsbedingungen.<br />

Einige Umweltfaktoren, die direkt oder indirekt mit<br />

dem „Waldgamsproblem“ zusammenhängen, wurden am<br />

Beispiel verfügbarer Vergleichsdaten für die Entwicklung<br />

in Österreich zusammengestellt (Tabelle).<br />

Die Auswahl der Einflussfaktoren betrifft die Bereiche<br />

Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Tourismus und Jagd<br />

(Partl, 1999). Für den Bereich Landwirtschaft ist vor<br />

allem die stark zunehmende Erschließung der rund<br />

12.000 österreichischen Almen mit LKW-befahrbaren<br />

Wegen und mit touristischen Einrichtungen (Zeitraum<br />

1974 bis 1986) interessant. Dadurch entstanden zahlreiche<br />

Beunruhigungsquellen für Gamswild in Hochlagen.<br />

Vergleichbare Daten für die Schafhaltung in Österreich<br />

können für die Jahre 1950, 1970, 1990 und 2012 gegenübergestellt<br />

werden.<br />

Sie lassen zuerst eine starke Abnahme bis 1979 und<br />

danach eine starke Zunahme der Schafanzahl erkennen.<br />

Der Großteil dieser Schafe wird im Sommer auf die<br />

Almen getrieben. Gams weichen den Schafen aus.<br />

Im Bereich Forstwirtschaft ist vor allem auf die Zunahme<br />

der Waldfläche, die sich vorwiegend aus dem Zuwachsen<br />

ehemaliger Almen ergibt, hinzuweisen, wodurch ehemalige<br />

Freiflächen nun als Wald dem Gamswild als Lebensraum<br />

dienen. Außerdem ist der Wald, meist aufgrund<br />

waldbaulicher Maßnahmen, weniger dicht und dadurch<br />

übersichtlicher geworden, die Forstwegedichte hat sich<br />

stark erhöht und im Jahr 1999 wird der Flächenverbrauch<br />

durch Forstwege (inklusive Nebenflächen wie Wegböschungen,<br />

Holzlagerplätze etc.) für Österreich mit rund<br />

1.230 km 2 angegeben (Tabelle).<br />

Durch diese Zunahme von offenen und übersichtlichen<br />

Flächen wurde der Wald für Gams wesentlich attraktiver.<br />

10


Einflussfaktor Einheit Zeitvergleich (Jahre) Daten (pro Jahr)<br />

Landwirtschaft<br />

Almerschließung LKW<br />

Almen mit Fremdenverkehr<br />

Anzahl Almen<br />

(von ca. 12.000)<br />

Anzahl Almen<br />

(von ca. 12.000)<br />

1974 zu 1986 3500 zu 6400<br />

1974 zu 1986 5400 zu 8500<br />

Schafhaltung Anzahl Schafe (x 1000)<br />

Forstwirtschaft<br />

1950 zu 1970<br />

zu 1990 zu 2012<br />

362 zu 113<br />

zu 309 zu 365<br />

Waldfläche km 2 1965 zu 2008 36.900 zu 40.000<br />

Walddichte (Beschirmung):<br />

gering (bis 50 %)<br />

dicht (90-100 %)<br />

Anteil der Waldfläche (%) 1965 zu 1988<br />

5,5 zu 12,2<br />

53 zu 29<br />

Forstwegedichte<br />

(LKW-befahrbar)<br />

lfm/ha 1975 zu 1994 32 zu 45<br />

Forstwege:<br />

Länge<br />

Flächenverbrauch<br />

Tourismus<br />

1999<br />

km<br />

km 2<br />

123.000<br />

492 (inkl. Nebenflächen<br />

1.230 km 2 )<br />

Nächtigungen<br />

Personen (in Mio)<br />

1957 zu 1977<br />

zu 1997 zu 2012<br />

36 zu 105<br />

zu 129 zu 131<br />

Aufstiegshilfen<br />

(Seilbahnen, Lifte)<br />

Anzahl<br />

1955 zu 1978<br />

zu 1996 zu 2012<br />

350 zu 3266<br />

zu 3269 zu 3034<br />

Förderkapazität Personen / h (in Mio) 1955 zu 1976 zu 1985<br />

0,09 zu 2,0 zu 2,4;<br />

weiter steigend<br />

Beförderungen Personen (Mio) 1969 zu 1999 zu 2006 68 zu 490 zu 630<br />

Pistenfläche ha 2012 rd. 25.000<br />

Jagd<br />

Gamsabschuss<br />

Stück<br />

1955 zu 1975<br />

zu 1995 zu 2011<br />

9.700 zu 22.000<br />

zu 26.800 zu 21.300<br />

Jäger Jahresjagdkarten (x 1000)<br />

1966 zu 1975<br />

zu 1995 zu 2011<br />

77 zu 95<br />

zu 110 zu 123<br />

GAMSWILD – LEBEN AUF DER KANTE 11


WALDGAMS – ÖKOLOGIE, ENTWICKLUNGSTRENDS, MANAGEMENT<br />

Im Bereich Tourismus ist die Zunahme der Gästeanzahl<br />

(Indikator „Nächtigungen in Österreich“), der Anzahl der<br />

Aufstiegshilfen (Seilbahnen und Lifte) und insbesondere<br />

der Förderkapazität dieser Aufstiegshilfen beträchtlich.<br />

Ehemals ruhige Gamslebensräume werden mehr und<br />

mehr touristisch genutzt, wodurch die Beunruhigung des<br />

Wildes und seine Abdrängung in den Wald steigt.<br />

Im Bereich Jagd sind die starke Zunahme der Gams -<br />

abschüsse sowie der Anzahl der Jäger (Indikator „ausgegebene<br />

Jahresjagdkarten in Österreich“; Tabelle) ein<br />

Hinweis auf den steigenden Jagddruck (jagdliche Beun -<br />

ruhigung des Wildes), der, sofern er auf Hochlagen<br />

oberhalb der Waldgrenze erfolgt, zur veränderten Raum -<br />

nutzung des Gamswildes zu Lasten der Waldvegetation<br />

entscheidend beitragen kann.<br />

Die langfristige Entwicklung der Gams-Abschusszahlen<br />

in Österreich zeigt einen sukzessiven, wellenförmigen<br />

Anstieg von etwa 10.000 Stück um 1955 auf nahezu<br />

30.000 Stück bis Anfang der 1990er Jahre, danach zeigt<br />

die Gamsstrecke rückläufige Tendenz. Derzeit liegt sie<br />

etwa auf dem Niveau von 1975 mit rund 20.000 Stück.<br />

Im Gegensatz zu allen anderen Schalenwildarten mit<br />

nach wie vor zunehmender Tendenz, ist Gamswild in<br />

Österreich die einzige Schalenwildart mit rückläufiger<br />

Abschussentwicklung in den letzten 20 Jahren.<br />

Dies hängt maßgeblich mit den Lebensraumraumver -<br />

änderungen, der stärkeren Verlagerung der Gams in<br />

attraktivere Waldhabitate und der vor allem im Wald<br />

intensivierten Gamsbejagung (Wildschadensvermeidung),<br />

vielerorts verbunden mit einer Bestandsreduktion,<br />

zusammen.<br />

Konsequenzen<br />

Waldbereiche gehören zumindest in einzelnen Jahres -<br />

zeiten mit zum natürlichen Lebensraum der meisten<br />

Gamspopulationen des Ostalpenraumes. Der Wald kann<br />

aber nicht die ständig schrumpfenden waldfreien Gamslebensräume<br />

ersetzen. Dadurch würde die Waldvegetation<br />

zu stark belastet und außerdem würde dies auch zu<br />

Lasten anderer im Wald lebender Wildwiederkäuer<br />

gehen, denen dann weniger Platz und Nahrung zur<br />

Verfügung stünden. Wir werden zwar in Zukunft mit<br />

einem vermehrten Vorkommen von Gamswild im Wald<br />

rechnen müssen, und wir werden damit teilweise auch<br />

leben können. Es wird aber nicht mehr soviel Gamswild<br />

im Alpenraum tragbar sein wie dies bisher oder noch vor<br />

einigen Jahrzehnten der Fall war.<br />

Um die negativen Auswirkungen auf Gams und Wald<br />

möglichst gering zu halten, sind Maßnahmen vor allem<br />

in folgenden Bereichen notwendig:<br />

• Lebensraumerhaltung in Hochlagen<br />

An einer Erhaltung des Gamswildes und zumindest eines<br />

Teiles seiner Lebensräume besteht nicht nur ein jagd -<br />

liches, sondern auch ein allgemeines landeskulturelles<br />

Interesse. In den Bundesländern mit einer gesetzlich verankerten<br />

Wildökologischen Raumplanung (Reimoser,<br />

1994, 1996) drückt sich dieses Interesse durch die Ausweisung<br />

von Gamswild-Kernzonen, in denen nun eine<br />

stärkere Rücksichtnahme auf die Lebensbedürfnisse<br />

dieser Wildart verlangt wird, dezidiert aus (Verordnung<br />

von Habitatschutzgebieten, Lenkung des Tourismus,<br />

revierübergreifende jagdliche Planung, Reduzierung des<br />

Jagddruckes vor allem in waldfreien Gebieten etc.).<br />

Winterfütterung zur Wildlenkung und Wildschadensvermeidung<br />

- wie beim Rotwild - sollte beim Gamswild<br />

nicht notwendig werden; ausreichend natürliche Lebensräume<br />

sind zu erhalten.<br />

Auch an die Erhaltung von Almflächen sollte in diesem<br />

Zusammenhang gedacht werden. Dabei kommt einer<br />

Rückbesinnung auf die alpine Tradition einer sich wechselseitig<br />

fördernden Mehrfachnutzung der Landschaft im<br />

Agrarbereich unter zusätzlicher Einbeziehung wildökologischer,<br />

jagdlicher und naturschutzrelevanter Zusammenhänge<br />

entscheidende Bedeutung zu (Machatschek,<br />

1997). Dies erfordert eine entsprechend integrale Regional-<br />

und Landesraumplanung.<br />

• Weniger Besiedlungsanreiz im Wald<br />

Die wildökologischen Auswirkungen forstlicher Maßnahmen<br />

sollten schon allein im forsteigenen Interesse<br />

unter den Förstern und Waldeigentümern stärker bewusst<br />

gemacht und zur Vermeidung von Wildschäden ent -<br />

sprechend berücksichtigt werden (weniger Kahlschläge,<br />

möglichst Steige statt Straßen in steilen Schutzwald lagen<br />

etc.).<br />

12


• Schwerpunktbejagung in Problemgebieten<br />

In speziellen Problemgebieten (z.B. Schutzwaldsanierung),<br />

wo trotz großflächig akzeptabler Wald-Wild-<br />

Situation lokal untragbare Wildschäden durch Gamswild<br />

auftreten oder unmittelbar bevorstehen, muss intensiv<br />

gejagt werden, nötigenfalls auch über Ausnahmegenehmigung<br />

durch Abschuss und Vertreibung in der Schonzeit.<br />

Je konsequenter die lokale Schwerpunktbejagung<br />

am richtigen Ort zur richtigen Zeit durchgeführt wird,<br />

desto weniger stark muss der Gamswildbestand groß -<br />

flächig reduziert werden, um waldbaulich tragbare Verhältnisse<br />

herzustellen.<br />

Dabei geht es stets um folgende Devise: „Dort löschen,<br />

wo´s brennt, und nicht wo gerade am meisten Wasser ist“,<br />

weil sonst nur der Wildbestand, nicht aber der Wild -<br />

schaden reduziert würde.<br />

Durch Schwerpunktbejagung kann die Wildverteilung<br />

ebenso günstig beeinflusst werden wie durch Jagddruckminderung<br />

anderenorts, durch Habitatschutzgebiete,<br />

Lenkung des Tourismus und zweckmäßige waldbauliche<br />

Maßnahmen. Obwohl die Schwerpunktbejagung einen<br />

hohen jagdlichen Aufwand erfordert, ist ihre konsequente<br />

Durchführung auf Gamswild oft mehr eine Frage des<br />

Wollens der Jäger und weniger eine Frage ihres Könnens.<br />

Dies lässt sich an erfolgreichen Fällen, z.B. in den<br />

FUST-Versuchsrevieren in Achenkirch (Tirol) und in<br />

verschiedenen anderen ehemaligen Problemgebieten gut<br />

beweisen.<br />

Literatur:<br />

Baumann, M., Struch, M., 2000: Waldgemsen. Wildbiologie in der<br />

Schweiz 6/31. Infodienst Wildbiologie & Oekologie, Zürich.<br />

Ingold, P., Schnidrig-Petrig, R., Marbacher, H., Pfister,U., 1994:<br />

Tourismus und Wild – Ein öko-ethologisches Projekt im<br />

Schweizerischen Alpenraum. Jagd+Hege 12(1): 6-11.<br />

Knaus, W., Schröder, W., 1975: Das Gamswild. Verlag Paul Parey, 234 S.<br />

Machatschek, M., 1997: Almwirtschaft und Wildtiere. Der Anblick (5):<br />

16-20.<br />

Partl, E., 1999: Wechselwirkungen zwischen Wald als Habitat und<br />

Wildtieren als Nutznießer/Betroffene bzw. als Standortfaktor. End -<br />

bericht FIW-Generalsynopse. Universität für Bodenkultur Wien. 211 S.<br />

Reimoser, F., 1994: Wildökologische Raumplanung für Schalenwild<br />

am Beispiel der Bundesländer Vorarlberg und Salzburg.<br />

In: Der Kärntner Jäger 23(92): 3-7.<br />

Reimoser, F., 1996: Wildökologische Raumplanung für Schalenwild -<br />

arten im Alpenraum. In: Sauteria, Salzburg, Bd. 8, 207-220.<br />

GAMSWILD – LEBEN AUF DER KANTE 13


Mag. vet. med. Agnes Haymerle<br />

Jahreszeitliche Anpassung der Alpengämse an harsche Umweltbedingungen<br />

und Störungen durch Aktivitäten des Menschen<br />

Im Winter müssen Gämsen alle Möglichkeiten zum<br />

Sparen von Energie nutzen, um den harten Lebensbe -<br />

dingungen im alpinen Lebensraum zu trotzen und in der<br />

bestmöglichen Kondition zu überleben. Dies spiegelt sich<br />

in der natürlichen Sterblichkeit wieder, die ihren jähr -<br />

lichen Höhepunkt im Spätwinter erreicht. Die Aufrechterhaltung<br />

einer hohen Körpertemperatur stellt in der<br />

Kälte dabei die größte energetische Herausforderung dar.<br />

Wildtiere haben im Wesentlichen vier Möglichkeiten<br />

diese Energiekosten gering zu halten:<br />

1. Eine gute Isolierung durch ein wärmendes Fell.<br />

Die schwarze Farbe lässt zudem vermuten, dass die<br />

Tiere dadurch auch die Sonneneinstrahlung vermehrt<br />

als Wärmequelle nutzen.<br />

2. Eine verringerte Durchblutung der äußeren Körperteile,<br />

was die Wärmeverluste an die Umgebung verringert.<br />

3. Eine Absenkung der Körperkerntemperatur.<br />

4. Neben diesen physiologischen Anpassungen, verän-dern<br />

die Tiere ihr Verhalten. Sie reduzieren die<br />

Aktivität auf ein Minimum. Weite Strecken im Schnee<br />

zur Nahrungssuche zu gehen zahlt sich nicht aus, da<br />

der Nährstoffgehalt in den Pflanzen überall sehr<br />

gering ist.<br />

Wie die Gämse mit den Bedingungen des Winters im<br />

Hochgebirge zurechtkommt, untersuchen wir derzeit in<br />

einem vom Oberösterreichischen Landesjagdverband<br />

geförderten wissenschaftlichen Projekt.<br />

Wir setzen für diese Studie ein am Forschungsinstitut für<br />

Wildtierkunde und Ökologie entwickeltes Telemetrie -<br />

system ein. Es besteht aus 2 Teilen: Einem Halsband und<br />

einer „intelligenten“ Magensonde, die im Netzmagen,<br />

auch Haube genannt, liegen bleibt und Körpertemperatur<br />

und Herzfrequenz misst. Die Herzschlagrate ist ein gutes<br />

Maß für den Energieverbrauch des Tieres. Die Sonde<br />

sendet diese Daten zu einem Empfänger im Halsband, in<br />

dem die Daten gespeichert werden. Die Aktivität des<br />

Tieres wird im Halsband selbst über einen Bewegungs -<br />

sensor gemessen und die Lokalisation bis zu neun Mal<br />

täglich mittels GPS bestimmt.<br />

Im Zuge dieser Studie wurden 16 Gämsen mit einem<br />

solchen Telemetriesystem ausgestattet. Dabei wurden die<br />

Tiere mittels Narkosegewehr auf eine Schussdistanz von<br />

bis zu 50 m narkotisiert. Innerhalb von 4 Minuten waren<br />

die ersten Anzeichen der Narkose deutlich erkennbar,<br />

aber erst nach ca. 20 Minuten ist eine Narkosetiefe<br />

erreicht, die ein Annähern und Hantieren des Tieres<br />

zulässt. Durch die Verabreichung eines Gegenmittels<br />

waren die Tiere innerhalb von rund 2 Minuten wieder auf<br />

den Beinen. In dieser Studie blieben die Halsbänder für<br />

1-1,5 Jahre auf den Tieren, danach öffnete sich ein<br />

programmierter Verschlussmechanismus und die Halsbänder<br />

fielen ab, anschließend wurden sie dann geortet<br />

und geborgen.<br />

Letzten Juni wurden die letzten Halsbänder in dieser<br />

Studie eingesammelt. So zeigen die ersten Erkenntnisse<br />

bisher Folgendes:<br />

Bei ruhenden Tieren liegt die mittlere Herzfrequenz pro<br />

Tag bei knapp über 80 Schlägen pro Minute im Sommer,<br />

während sie im Winter nur bei knapp über 40 Schlägen<br />

pro Minute liegt.<br />

Die Reduktion des Energieverbrauches wird unter anderem<br />

durch eine geringere Körpertemperatur ermöglicht,<br />

dadurch muss weniger Energie für die innere Wärme -<br />

produktion aufgewendet werden. Obwohl die Absenkung<br />

der Körperkerntemperatur nur gering ist, erlaubt sie eine<br />

enorme Energieersparnis. Allerdings ist davon auszugehen,<br />

dass die Temperatur in den äußeren Körperteilen viel<br />

stärker sinkt, als im Körperkern.<br />

14


Abb. 1: Der Verlauf der mittleren Herzfrequenz der Gämsen.<br />

Die Körpertemperatur folgt einem jahreszeitlichen und<br />

tageszeitlichen Rhythmus (Abb. 1 und Abb. 2). Ihren<br />

Tiefpunkt erreicht sie immer in den frühen Morgen -<br />

stunden. Zudem ist die nächtliche Absenkung im Winter<br />

ausgeprägter als im Sommer.<br />

Bei extrem tiefen Temperaturen (< ca. - 8 °C) steigt die<br />

Herzfrequenz allerdings wieder stark an. Dies lässt sich<br />

dadurch erklären, dass die Tiere Energie für die Wärmeproduktion<br />

aufwenden müssen, um die nötige Körpertemperatur<br />

zu halten.<br />

Eine weitere Strategie des Energiesparens stellt die stark<br />

reduzierte Bewegungsaktivität der Gämse im Winter dar.<br />

Eine Einschränkung der Bewegungsfähigkeit durch die<br />

Absenkung der Köpertemperatur ist für Fluchttiere/<br />

Pflanzenfresser wie die Gämse erstaunlich:<br />

Mit klammen Beinen würde man annehmen läuft es sich<br />

nicht so gut. Schließlich ist sie natürlicher Weise potenzielles<br />

Beutetier für Wolf und Luchs. Es ist zu vermuten,<br />

dass die Tiere dies nur wagen können, wenn sie sich<br />

sicher fühlen, z.B. in sehr steilem Gelände. Damit könnten<br />

menschliche Störungen im Winter zu einem viel<br />

ernsthafteren Problem für die Gämsen werden.<br />

Der Energieaufwand für Fluchten, die durch Störungen<br />

ausgelöst werden, wäre viel höher als bisher vermutet,<br />

wenn beunruhigte Gämsen den winterlichen „Energiesparmodus“<br />

nicht mehr in vollem Umfang einsetzen.<br />

Abb. 2: Die Körpertemperatur des Bockes Nr. 2 im Tagesverlauf im<br />

August und im Februar. Die senkrechten Linien sind ein Maß dafür,<br />

wie stark die einzelnen Messwerte um den Mittelwert streuen<br />

(Standardabweichung).<br />

Um diese Vermutung wissenschaftlich zu bestätigen<br />

wurden experimentelle Störversuche durchgeführt, mit<br />

denen der Effekt von Schitourengehern oder Schneeschuhwanderern<br />

nachgestellt wurde.<br />

Die besenderten Tiere wurden in den Morgenstunden von<br />

den Schneeschuhwanderern möglichst stark gestört, um<br />

möglichst starke Fluchtreaktionen auszulösen.<br />

Die Analysen werden erst zeigen, ob es in den folgenden<br />

24 Stunden zu Veränderungen der Aktivität, Körpertemperatur<br />

oder Herzfrequenz kommt.<br />

An dieser Stelle darf ich mich im Namen des gesamten<br />

wissenschaftlichen Teams der veterinärmedizinischen<br />

Universität sehr herzlich bei allen Revieren und Berufsjägern<br />

bedanken, da ein solches Projekt ohne eine gute<br />

Zusammenarbeit nicht möglich gewesen wäre.<br />

GAMSWILD – LEBEN AUF DER KANTE 15


Prof. Dr. em. Paul Ingold<br />

Freizeitaktivitäten im Lebensraum der Gämsen<br />

Konflikte, Lösungen, Ergebnisse aus dem Projekt „Tourismus und Wild“ der Universität Bern<br />

In den letzten Jahrzehnten hat die Vielfalt an Freizeit -<br />

aktivitäten sehr stark zugenommen. Zu den traditionellen<br />

Aktivitäten wie zum Beispiel Wandern und Tourenskifahren<br />

kamen laufend neue hinzu, die sich rasch ausgebreitet<br />

haben, wie das Mountainbiken, Snowboarden<br />

(Freeriden), Schneeschuhwandern und Hängegleiten<br />

(Fliegen mit Gleitschirmen und Deltas).<br />

Die Gebiete, in denen viele der Freizeitaktivitäten aus -<br />

geübt werden, sind gleichzeitig auch Lebensraum der<br />

Gämsen. Im Projekt „Tourismus und Wild“ (1989-2003)<br />

untersuchten wir in verschiedenen Gebieten der<br />

Schweizer Alpen unter anderem, wie Gämsen auf die<br />

Freizeitaktivitäten reagieren, von welchen Faktoren die<br />

Reaktionen abhängen und unter welchen Bedingungen<br />

weitergehende Folgen (zum Beispiel Lebensraumverlust)<br />

auftreten können. Damit wollten wir auch Grundlagen<br />

für Schutzmaßnahmen erarbeiten.<br />

Einerseits erfolgten die Studien in Situationen, wie wir<br />

sie vorfanden, andererseits führten wir Feldexperimente<br />

durch. Untersuchungsgebiete waren, das Augstmatthorn<br />

in der Region Interlaken, die Allmenalp bei Kandersteg<br />

und der Männlichen bei Wengen.<br />

1. Reaktionen der Tiere<br />

Nähern wir uns einem Tier, wird es plötzlich „aufmerken“.<br />

Bei weiterer Annäherung weicht es aus, rennt davon,<br />

flüchtet. Die Distanz zwischen uns und dem Tier im<br />

Augenblick des Fluchtbeginns bezeichnen wir als Fluchtdistanz<br />

(FD), die zurückgelegte Strecke als Fluchtstrecke.<br />

Gleichzeitig mit den sichtbaren Reaktionen treten in der<br />

Regel auch physiologische auf (Herzschlagfrequenz -<br />

änderungen, Ausschüttung von Stresshormonen).<br />

Die Fluchtdistanzen sind ein wichtiger Parameter, ein<br />

Maß für die Empfindlichkeit der Tiere gegenüber Freizeitaktivitäten.<br />

2. Faktoren, welche die Reaktionen beeinflussen<br />

Um die Wirkung einer Reihe von Faktoren zu prüfen,<br />

führten wir Experimente durch, in denen beispielsweise<br />

ein Wanderer simuliert wurde oder in denen ein Gleitschirmpilot<br />

auf vorbesprochener Route und in einem<br />

bestimmten Hangabstand Flüge durchführte.<br />

Freizeitaktivitäten<br />

Ort der Annäherung<br />

Gegenüber einer Person abseits im Gelände waren die<br />

FD der Gämsen wesentlich grösser (im Mittel 170 m),<br />

sie reagierten also empfindlicher, als gegenüber einer<br />

Person auf dem Weg (103 m).<br />

Position zu den Tieren<br />

Gegenüber einer Person oberhalb von ihnen reagierten<br />

die Gämsen deutlich empfindlicher (FD = 160 m) als<br />

gegenüber einer Person unterhalb von ihnen (FD = 105 m).<br />

Analoges gilt auch für die Reaktion gegenüber Gleitschirmen.<br />

Beim Überflug lagen die FD im Mittel bei<br />

600 m (!), beim Passierflug (gleiche Höhe oder etwas<br />

unter den Tieren) bei 240 m. Sowohl Personen, die oberhalb<br />

der Tiere durchgehen, als auch Gleitschirme, die<br />

über Ihnen auftauchen, wirken offensichtlich besonders<br />

bedrohlich.<br />

Mitführen eines Hundes<br />

Wenn ein Hund mitgeführt wurde, vergrößerten sich die<br />

FD erheblich. Hunde können den Tieren nachjagen.<br />

Deshalb ist es verständlich, dass diese sich rechtzeitig<br />

und auf große Distanz entfernen.<br />

Gegenüber folgenden Faktoren reagierten die Gämsen<br />

ebenfalls vergleichsweise empfindlich:<br />

Laute Stimmen, Direktes-auf-die-Tiere-Zugehen, Gruppen<br />

von Personen.<br />

16


Tiere und ihre Umgebung<br />

Geschlecht<br />

Weibliche Tiere hatten größere Fluchtdistanzen, reagierten<br />

also empfindlicher (waren scheuer) als männliche.<br />

Alter:<br />

Jüngere Tiere waren scheuer als ältere.<br />

Aktivität:<br />

Wenn Gämsen am Äsen waren, reagierten sie empfind -<br />

licher, als wenn sie ruhten und die Physiologie des<br />

Körpers auf Verdauung eingestellt war.<br />

Gruppe / Einzeltier<br />

Einzeltiere waren scheuer als Tiere in einer Gruppe.<br />

Abstand zum Rückzugsgebiet:<br />

Wenn sich die Gämsen in der Nähe von Felsen be fanden,<br />

ließen sie eine Person näher herankommen, bevor sie sich<br />

verzogen, als wenn sie sich weit entfernt von ihnen aufhielten.<br />

Analog verhielten sich die Tiere einem Gleitschirm<br />

gegenüber, wenn sie sich nahe beim Wald<br />

beziehungsweise weit von ihm entfernt aufhielten.<br />

Umgebung<br />

Entsprechend waren die Fluchtdistanzen in einem stark<br />

strukturierten Gebiet (Felsen, Sträucher, Wald) kleiner<br />

als in einem wenig strukturierten, offenen Gebiet.<br />

Jahreszeit<br />

Im Winter stellten wir kleinere FD fest als im Sommer.<br />

Das lässt sich durch die Strategie der Tiere im Winter<br />

erklären, sich möglichst wenig zu bewegen, um den<br />

Energieverbrauch zu minimieren.<br />

Für die Reaktionen der Gämsen sind also eine Reihe von<br />

Faktoren verantwortlich. Diese zu kennen, ist für Schutzmaßnahmen<br />

wichtig.<br />

3. Gewöhnung und Sensitivierung<br />

Wenn Aktivitäten regelmäßig auftreten (z.B. Wanderer<br />

auf einem Weg) ist am ehesten eine gewisse Gewöhnung<br />

(Abnahme der Empfindlichkeit) möglich, wiederholte<br />

bedrohliche Situationen können aber auch das Gegenteil<br />

zur Folge haben, indem die Tiere scheuer werden. Wenn<br />

also etwa Variantenfahrer und Freerider immer wieder in<br />

hohem Tempo auf die Tiere zufahren, muss mit einer<br />

Zunahme der Scheu gerechnet werden. Das bedeutet,<br />

dass die Tiere größere Fluchtdistanzen haben und damit<br />

häufiger flüchten müssen, falls sie sich unter solchen<br />

Bedingungen überhaupt noch im Gebiet aufhalten.<br />

4. Lebensraumverlust, Verlust durch Aktivitäten<br />

am Boden<br />

Beidseits von Wegen, Routen oder Loipen gibt es eine<br />

Zone, die Gämsen bei Betrieb nicht nutzen können. Bei<br />

einem dichten Netz von Wegen etc. können die Räume<br />

dazwischen zu klein sein, als dass sich da noch Tiere aufhalten<br />

können. Das bedeutet einen vorübergehenden oder<br />

auch länger andauernden Verlust an Lebensraum.<br />

Am Männlichen bei Wengen zum Beispiel nutzen weibliche<br />

Gämsen ein bestimmtes Gebiet nur im Winter, wenn<br />

die Wanderwege gesperrt sind. Die Böcke hingegen sind<br />

hier auch im Sommer anzutreffen, wenn die Wege offen<br />

und begangen sind. Die weiblichen Tiere halten sich in<br />

benachbarten Abschnitten ohne Wanderwege auf. Werden<br />

die Fluchtdistanzen der relativ scheuen Geißen mit Kitzen<br />

von den Wegen aus abgetragen so zeigt sich, dass sie<br />

nirgends unbehelligt bleiben würden. Offensichtlich meiden<br />

sie deshalb das Gebiet im Sommer.<br />

Gebiete mit ganzjährigem Betrieb, namentlich auch mit<br />

Betrieb abseits von Pisten, können Gämsen definitiv<br />

meiden (Beispiel Parsenngebiet, Region Davos).<br />

Verlust durch „kanalisierten“ Betrieb<br />

und durch Betrieb abseits im Gelände<br />

Im Vergleich bezüglich Äsflächenverlust haben schon wenige<br />

Menschen wie zum Beispiel Tourenskifahrer auf der<br />

Abfahrt, Variantenfahrer oder Freerider einen ungleich<br />

stärkeren Einfluss auf die Tiere als der ganze Betrieb auf<br />

einem Winterwanderweg, einer Route oder einer Loipe.<br />

Deshalb können die Aktivitäten in zwei Kategorien eingeteilt<br />

werden, in jene, die abseits im Gelände erfolgen<br />

und deshalb ein großes Einflusspotenzial haben und in<br />

die „kanalisierten“ mit einem relativ kleinen Einflusspotenzial.<br />

Bei Letzteren ist die Dichte eines Straßen-, Weg-,<br />

Routen- oder Loipennetzes entscheidend.<br />

GAMSWILD – LEBEN AUF DER KANTE 17


FREIZEITAKTIVITÄTEN IM LEBENSRAUM DER GÄMSEN<br />

Verlust durch das Hängegleiten<br />

Wenn sich Gämsen im Offenen weit oberhalb des<br />

Gebirgswaldes aufhalten, reagieren sie beim Auftauchen<br />

eines Gleitschirms oder Deltas vielfach mit Flucht über<br />

eine große Strecke und suchen dabei den Deckung<br />

bietenden Wald auf.<br />

Auf der Allmenalp bei Kandersteg blieben sie im Wald<br />

so lange Betrieb herrschte, oft den ganzen Tag. Das bedeutete<br />

eine starke Mindernutzung der an sich attraktiven<br />

Weiden.<br />

Am Augstmatthorn hatten an einem schönen Tag die<br />

wenigen vorbeifliegenden Gleitschirme wesentlich<br />

größere Äsflächenverluste zur Folge als der Wander -<br />

betrieb. Auch über den ganzen Sommer betrachtet bewirkten<br />

die vergleichsweise wenigen Gleitschirme (es<br />

kann nur bei guter Thermik geflogen werden) größere<br />

Äsflächenverluste als der Wanderbetrieb. Auch andere<br />

Luftfahrzeuge wie Segelflugzeuge, Helikopter oder<br />

Motorflugzeuge können heftige Fluchtreaktionen bewirken<br />

(große FD und Fluchtstrecken). Grundsätzlich sind<br />

die Luftfahrzeuge deshalb der Kategorie Aktivitäten mit<br />

einem großen Einflusspotenzial zuzuordnen.<br />

Es gibt allerdings auch Bedingungen, unter denen Gämsen<br />

mit Gleitschirmbetrieb zurechtkommen, wie wir am Männ -<br />

lichen bei Wengen (strukturiertes Gebiet, Wald relativ nah,<br />

stets gleicher Startplatz) festgestellt haben. Mit Beginn<br />

des Betriebs verzogen sich die Gämsen jeweils aus den<br />

Weiden zum Waldrand hinunter. Heftige Fluchten stellten<br />

wir dabei nicht fest. Im lockeren Waldrandbereich konnten<br />

die Tiere auch Nahrung aufnehmen. Der Aktivitätsverlauf<br />

über 24 Stunden war denn auch nicht verschieden von<br />

der Situation ohne Gleitschirm betrieb. Demzufolge gab<br />

es keine Hinweise auf nach teilige Folgen für die Tiere.<br />

Im Waldrandbereich waren jedoch die jungen Rottannen<br />

stark verbissen. Dazu trugen aber auch andere Faktoren<br />

wie zum Beispiel starker Wind bei, wegen denen die<br />

Gämsen ebenfalls den Waldrandbereich aufsuchten. Im<br />

Innern des Waldes war kaum Verbiss festzustellen<br />

5. Schutzmaßnahmen<br />

Maßnahmen zum Schutz der Tiere müssen verhindern,<br />

dass diese immer wieder die Flucht ergreifen müssen;<br />

Und sie sollen den Tieren ermöglichen, ihren bevorzugten<br />

Lebensraum möglichst unbehelligt zu nutzen.<br />

Von den Ergebnissen des Projekts her lässt sich eine<br />

Reihe von Schutzmaßnahmen ableiten:<br />

• Wildruhezonen schaffen, das heißt: Gebiete, die nicht<br />

begangen, befahren oder überflogen werden dürfen<br />

oder sollen (s. „Hängegleiten – Wildtiere“),<br />

• durch das Verlegen oder Aufheben eines Weges, einer<br />

Route oder Loipe genügend große ruhige Räume<br />

schaffen,<br />

• lenken des Betriebs durch Anbieten von „tiergerecht“<br />

angelegten markierten Wegen (z. B. Winterwanderwegen)<br />

und Routen (z. B. für Schneeschuhtouren) sowie<br />

weiterer Infrastruktur (z. B. Stellen zum Rasten/Feuern),<br />

damit die Menschen sich an den für die Tiere unbedenklichen<br />

Orten aufhalten,<br />

• Regeln propagieren oder entsprechende Gebote erlassen,<br />

z. B. sich an Wege und Routen halten, Hunde an der<br />

Leine führen, keinen Lärm machen.<br />

6. Zwei Beispiele für die Auswirkungen<br />

des Projekts in der Praxis<br />

Hängegleiten – Wildtiere<br />

In der Schweiz ist die Luftfahrt Sache des Bundes<br />

(Bundesgesetz über die Zivilluftfahrt). Für den Wildtierschutz<br />

gegenüber den Gleitschirmen konnte nichts unternommen<br />

werden, weil dies im Gesetz nicht vorgesehen<br />

war. Erst nachdem aufgrund unserer Erkenntnisse das<br />

Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft beim<br />

Bundesamt für Zivilluftfahrt einen entsprechenden Paragraphen<br />

mit Nachdruck gefordert hatte, konnten die<br />

Voraussetzungen für einen Schutz der Wildtiere geschaffen<br />

werden. Die Verordnung über die Infrastruktur der<br />

Luftfahrt wurde durch einen Artikel „Berücksichtigung<br />

des Naturschutzes“ sinngemäß wie folgt ergänzt:<br />

1. Es können freiwillige Betriebsregeln zum Schutz von<br />

Wildtieren realisiert werden.<br />

2. In genau bezeichneten Gebieten (gemeint sind vor<br />

allem Eidgenössische Jagdbanngebiete) können Start-,<br />

Lande- und Überflugbeschränkungen (Verbote) erlassen<br />

werden.<br />

Zusätzlich steht: „In erster Priorität sind Beschränkungen<br />

auf freiwilliger Basis in Form von Vereinbarungen<br />

mit Luftfahrtorganisationen auszuhandeln.“<br />

18


Wie gut dies funktioniert, wurde als erstes im „Pilotprojekt<br />

Augstmatthorn“ ausgetestet. In einer Arbeitsgruppe<br />

mit Vertretern aller Interessensgruppen wurde für die<br />

Eidgenössischen Jagdbanngebiete Augstmatthorn und<br />

Tannhorn (insgesamt rund 30 km 2 ) folgende Lösung<br />

erarbeitet, die 1997 in Kraft gesetzt wurde:<br />

• Keine Starts mehr im Gebiet.<br />

• Vom 1. April bis 30. Juni das Gebiet nicht überfliegen<br />

(später durch das Jagdinspektorat des Kantons Bern<br />

eingeschränkt auf Wochentage).<br />

• 300 m Abstand zum Adlerhorst, wenn er besetzt ist.<br />

Wenn der Adler nicht brütet, informiert der Wildhüter<br />

darüber.<br />

Am Anfang wurde vor allem die Überflugregelung nur<br />

schlecht eingehalten, unter anderem dank sozialer Kontrolle<br />

funktioniert es nun wesentlich besser. In der Folge<br />

wurden in der Schweiz in manchen Gebieten ähnliche<br />

Lösungen getroffen. Der Schweizerische Hängegleiter-<br />

Verband steht hinter gut begründeten Lösungen, die das<br />

Fliegen entsprechend einschränken. Er hat auch jüngst<br />

wieder im „Swiss Glider“ an die Piloten appelliert, sich<br />

an solche Regelungen zu halten: „Die mit den Amtsstellen<br />

getroffenen Vereinbarungen sind keine Alibiübung.<br />

Nur wenn wir uns an die Vorschriften halten, werden<br />

keine weitergehenden Einschränkungen erfolgen.“<br />

Informations- und Lenkungskonzept Lombachalp<br />

Die Lombachalp grenzt an das Augstmatthorn. Es ist ein<br />

an Naturwerten sehr reichhaltiges Gebiet mit u. a. dem<br />

Auerhuhn und einem guten Bestand des Birkhuhns.<br />

Als die Gemeinde Habkern, der das Gebiet gehört, hier<br />

den Wintertourismus etwas ausbauen wollte, wurde<br />

gleichzeitig ein Schutzkonzept entwickelt und realisiert.<br />

Dabei war es möglich, es unseren Erkenntnissen aus dem<br />

Projekt „Tourismus und Wild“ entsprechend zu gestalten.<br />

Das Konzept enthält folgende Elemente:<br />

• Wildruhezonen mit Weg- und Routengebot vom<br />

01. 12. bis 07. 08.,<br />

• Loipe auf der Straße; Sie darf nicht abseits durchs<br />

Gebiet geführt werden,<br />

• markierte, „tiergerecht“ angelegte Schneeschuhrouten,<br />

• Winterwanderwege weit außerhalb der Wildruhezonen,<br />

• Rastplätze mit Feuerstellen an Orten, welche von den<br />

Tieren her unbedenklich sind,<br />

• ein Informationszentrum,<br />

• Flyer für Sommer und Winter,<br />

• zwei Beobachtungswege und ein dazugehöriger Führer,<br />

um die Besucherinnen und Besucher des Gebietes<br />

für die Naturwerte zu sensibilisieren,<br />

• ein Ranger, der informiert, kontrolliert und Führungen<br />

anbietet.<br />

Bisher hat sich dieses Schutzkonzept bestens bewährt,<br />

nicht zuletzt, weil ein Ranger angestellt werden konnte.<br />

7. Schlussbetrachtung<br />

Der Boom der Freizeitaktivitäten hält unvermindert an.<br />

Immer mehr Aktivitäten werden abseits von Wegen,<br />

Routen und Pisten ausgeübt. Die Konflikte mit den Tieren<br />

werden noch zunehmen, wenn nicht mehr Rücksicht<br />

genommen wird, als dies heute der Fall ist.<br />

Die stark angewachsene Zahl von Menschen, welche sich<br />

in der Natur betätigen, und die touristische Infrastruktur<br />

(Wege, Straßen, Routen, Loipen, Pisten, Skilifte, Bahnen<br />

usw.) nehmen immer mehr Lebensraum der Tiere in<br />

Beschlag. Hinzu kommt, dass angesichts des Variantenreichtums<br />

der Freizeitaktivitäten und der Vielfalt ihrer<br />

Ausübung den Tieren die Möglichkeit, sich zu gewöhnen,<br />

eher erschwert denn erleichtert wird. Es muss befürchtet<br />

werden, dass zunehmend ein Maß erreicht wird, bei dem<br />

sich die Tiere aus den sie stark belastenden Teilen ihres<br />

Lebensraums verziehen. Zu verhindern, dass zunehmend<br />

Lebensraum verloren geht, wird ein Schlüssel zur Erhaltung<br />

der Bestände sein.<br />

Im Buch „Freizeitaktivitäten im Lebensraum der<br />

Alpentiere“ (Paul Ingold, Haupt, 2005; 516 S., 318 Abb.)<br />

wird die ganze Thematik in umfassender Weise behandelt.<br />

Das Buch kann beim Autor für den stark reduzierten<br />

Preis von EUR 27,-- (inkl. Verpackung und Porto) bestellt<br />

werden. E-Mail: paul.ingold@gmx.ch<br />

In der Broschüre „Freizeitaktivitäten und Wildtiere –<br />

Konflikte, Lösungen“ (Paul Ingold, 2006; 26 S., 15<br />

Abb.), wird die Thematik in Kurzform behandelt. Die Publikation<br />

kann beim Autor bestellt werden. Preis inkl.<br />

Porto 6,-- EURO. Sie ist ein Nachdruck aus den „Mitteilungen<br />

der Naturforschenden Gesellschaft in Bern“,<br />

Neue Folge, Band 63, 2006.<br />

GAMSWILD – LEBEN AUF DER KANTE 19


Univ. Doz. Dr. Armin Deutz<br />

Gamskrankheiten unter den Aspekten von<br />

Klimawandel und Lebensraumverlusten<br />

Gams- und Steinwild sind als gesellige Wildarten für eine<br />

rasche Ausbreitung von Infektionskrankheiten und Parasitosen<br />

innerhalb der Rudel anfällig. Obwohl der Winter<br />

im alpinen Lebensraum alljährlich eine Auslese schwachen<br />

Wildes bewirkt, sind Gams- und Steinwildkrank -<br />

heiten trotz der Anpassung dieser Wildarten an extreme<br />

Lebensräume relativ häufig.<br />

Bei Gamswild im Ostalpenraum treten häufig Räude und<br />

Gamsblindheit auf, weiters sind Gämsen relativ empfänglich<br />

für Lungen- und Bandwurmbefall. Einzelne schwere<br />

Erkrankungsfälle mit Moderhinke, Lippengrind oder<br />

Papillomatose demonstrieren ebenfalls die Krankheitsanfälligkeit<br />

dieser Wildart. Lokal hohe Wilddichten,<br />

Unruhe (wie Tourismus oder hoher Jagddruck bes. im<br />

Winter bei hohen Schneelagen) und für diese Wildarten<br />

ungeeignete oder suboptimale Lebensräume stellen<br />

ebenso wie auch der Klimawandel prädisponierende Faktoren<br />

für den Ausbruch von Krankheiten dar.<br />

Einteilung Einheit Krankheit / Erreger<br />

Erreger bedingte<br />

Erkrankungen<br />

Nichterreger -<br />

bedingte<br />

Erkrankungen<br />

Bakterielle<br />

Erkrankungen<br />

Parasitäre<br />

Erkrankungen<br />

Virusbedingte<br />

Erkrankungen<br />

Pilzinfektionen<br />

Organkrankheiten<br />

Tumore<br />

Missbildungen<br />

Gamsblindheit (Mycoplasma conjunctivae)<br />

*Tuberkulose (Mycobacterium spp.)<br />

Paratuberkulose (M. avium subsp. paratuberculosis)<br />

Bakt. Lungenentzündung (Mannheimia spp., Pasteurella spp.)<br />

*Dermatophilose (D. congolensis)<br />

*Brucellose (Brucella spp.)<br />

*Salmonellose (Salmonella spp.)<br />

*Räude (Sarcoptes rupicaprae)<br />

Befall mit Bandwürmern oder Finnen (mehrere Arten)<br />

Lungenwurmbefall (mehrere Arten)<br />

Befall mit Magen-Darmwürmern (mehrere Arten)<br />

Haarlings- und Lausfliegenbefall<br />

Seltenere: Kokzidiose (bes. bei Kitzen), Leberegel, Babesiose<br />

*Lippengrind<br />

Papillomatose<br />

Seltenere: *Tollwut, *Maul- und Klauenseuche, Border disease<br />

selten (außer bei Zootieren)<br />

Erkrankungen der Verdauungs-, Atmungs-, Harn-,<br />

Geschlechts- und Bewegungsorgane sowie des<br />

Herz-Kreislauf- und Immunsystems<br />

z.B. Leber-, Gallengangs- oder Hodentumore<br />

Schalenmissbildungen, angeborene Missbildungen<br />

Regelwidrigkeiten<br />

Hauthörner<br />

Tab. 1: Einteilung der wichtigsten Erkrankungen des Gamswildes im Alpenraum<br />

* Mögliche Infektionsgefahr für den Menschen<br />

20


In der überwiegenden Zahl der Fälle sind am Ausbruch<br />

schwerer Erkrankungen an Einzeltieren oder bei Massenerkrankungen<br />

negative Umweltfaktoren, prädisponierende<br />

Faktoren seitens der Wildtiere selbst oder<br />

Eigen schaften der Krankheitserreger beteiligt („Faktorenkrankheiten“).<br />

Die folgende Kurzbeschreibung soll das Erkennen von<br />

Krankheiten erleichtern, die Einsendung von Unter -<br />

suchungsmaterial in Zweifelsfällen fördern, einen Beitrag<br />

zur Wildbrethygiene leisten und auf mögliche Infektionsgefahren<br />

für den Jäger hinweisen.<br />

Weiters wird dadurch die Mitverantwortung der Jäger für<br />

die Gesunderhaltung der Wildtierbestände unterstrichen<br />

und damit auch ein Beitrag zu positiver Öffentlichkeitsarbeit<br />

der Jagd geliefert.<br />

Einflussfaktoren für die Entstehung von Krankheiten (Faktorenkrankheiten)<br />

Gamsräude<br />

Vor etwa hundert Jahren war die Räude auf die Gebirge<br />

von Kärnten, Salzburg und der Steiermark beschränkt.<br />

Ab den 1950er Jahren nahm das Verbreitungsgebiet der<br />

Räude ständig zu. In den letzten Jahrzehnten trat die<br />

Gamsräude massiv in Italien (Südtirol und Region Tarvis)<br />

sowie in Slowenien auf, wo sie bei Erstauftreten mit<br />

Ausfällen zwischen 82 % und 94 % bestandsgefährdende<br />

Züge annahm. Weiters wurde über massive Räudezüge<br />

in spanischen Gamspopulationen (Cantabrische Gämse,<br />

Rupicapra pyrenaica parva) berichtet.<br />

Erreger und Krankheitsbild<br />

Den Erreger der Gamsräude, die Grabmilbenart Sarcoptes<br />

rupicaprae, zeichnet eine hohe Vermehrungsrate aus.<br />

Die etwa 0,2 bis 0,4 mm großen Milbenweibchen graben<br />

Bohrgänge in die Haut, wo sie Eier ablegen. Die daraus<br />

schlüpfenden Larven wandern nach ein bis zwei Häutungen<br />

an die Hautoberfläche und paaren sich dort nach<br />

Erreichung der Geschlechtsreife, die bereits 18 bis 24<br />

Tage nach dem Schlüpfen aus den Eiern eintritt.<br />

Räude beginnt mit vermehrter Schuppenbildung am<br />

Haupt und Träger sowie an der Bauchdecke und den<br />

Beuge flächen der Läufe, sie befällt später in schweren<br />

Fällen den ganzen Körper und verläuft mit hochgradigem<br />

Juckreiz. In der Folge entstehen starke Hautverdickungen<br />

mit schwarzbraunen Krusten und Schuppenbildung, Haar -<br />

ausfall und eitrige Hautentzündungen durch bakterielle<br />

Sekundärinfektionen sowie Scheuerstellen und Hautverletzungen<br />

durch Kratzen an Felsen, Bäumen und anderen<br />

Gegenständen.<br />

Übertragung<br />

Die Übertragung erfolgt durch direkten Kontakt, wie<br />

Benützung derselben Lager, Geiß-Kitz-Kontakt und<br />

Kontakte in der Brunft. Der Befund, dass Geißen nach<br />

der Brunft meist am Rücken und Böcke meist am Bauch<br />

erkranken, weist auf die Übertragung während des Beschlagens<br />

hin. Zu ersten klinischen Erscheinungen<br />

kommt es zwei Monate nach der Ansteckung.<br />

Mitunter befallen Milben auch den Menschen, wo<br />

sie eine Scheinräude hervorrufen, die nach spätestens<br />

3 Wochen spontan abheilt, da Gamsräudemilben sich in<br />

der menschlichen Haut nicht vermehren.<br />

Außerhalb des Wirtstieres sind Räudemilben nur kurzfristig<br />

(max. 14 Tage bei 5 °C und hoher Feuchtigkeit,<br />

meist höchstens 1 Woche) überlebensfähig und sie<br />

entfernen sich auch nur max. 1 m vom toten Wirt, was<br />

„Verbrennungsaktionen“ bei Fallwild erübrigt.<br />

GAMSWILD – LEBEN AUF DER KANTE 21


GAMSKRANKHEITEN UNTER DEN ASPEKTEN VON KLIMAWANDEL UND LEBENSRAUMVERLUSTEN<br />

Beginnende Räude oder Befall mit anderen Ektoparasiten?<br />

G. Gressmann<br />

Hochgradige Gamsräude und Gamsräudemilbe<br />

Faktoren und Ausbreitung<br />

Die Mortalitätsrate bei erstmaligem Auftreten der Räude<br />

ist abhängig von der Gamsdichte. Dies konnte besonders<br />

bei dem südlichen Ausläufer der Räude beobachtet<br />

werden, als die Räude hier besonders in Waldgamspopulationen<br />

mit hohen Wilddichten Mortalitätsraten von über<br />

80 % verursachte. Unzweifelhaft haben sich im Untersuchungsgebiet<br />

und darüber hinausgehend im gesamten<br />

Alpenraum die Lebensbedingungen für Gamswild (Beun -<br />

ruhigung durch alpinen Massentourismus im Sommer<br />

und Winter, Abdrängen von Gamswild in Waldgebiete<br />

und suboptimale Lebensräume) insgesamt großteils verschlechtert.<br />

Neben einer möglichst frühzeitigen Erfüllung<br />

des Gamsabschusses ist es wichtig die sozialen Strukturen<br />

(Wilddichte, Altersklassenaufbau, Geschlechterverhältnis)<br />

in den Beständen zu berücksichtigen und jagdlich auf<br />

optimale Verhältnisse hinzuwirken. Ein unausgeglichenes<br />

Geschlechterverhältnis zugunsten der Geißen zieht beispielsweise<br />

die Brunft und damit die Belastung der Böcke<br />

und Beunruhigung der Rudel unnötig in die Länge.<br />

In einer italienischen Untersuchung wurde ein jährliches<br />

Fortschreiten der Räude um durchschnittlich 3,4 km<br />

beobachtet. Im Untersuchungsgebiet war bei der Ausbreitung<br />

der Räude in Richtung Süden in den Jahren 1980<br />

bis 1984 ein jährliches Fortschreiten um 15 bis 20 km<br />

festzustellen. Dies wird von den Autoren mit gleichzeitig<br />

auftretenden Fällen bei Steinwild, welches hier z. T. in<br />

suboptimalen Lebensräumen lebt, in Zusammenhang<br />

gebracht. Steinwild wäre hier als wesentlicher Vektor für<br />

Gamsräude zu nennen, weil es durch weiträumige<br />

Wanderungen – besonders der Böcke – die Räude in<br />

kurzer Zeit relativ weit verschleppen kann.<br />

Räude im Jahresverlauf<br />

Im Monatsverlauf der Räudefälle zeigten sich im Untersuchungsgebiet<br />

Steiermark ein Anstieg im August<br />

(Beginn der Jagdzeit) und ein weiteres deutliches Ansteigen<br />

in und nach der Brunft im November und Dezember.<br />

Danach ist ein starker Rückgang der gemeldeten Fälle<br />

von Jänner bis März zu erkennen, was nicht zuletzt mit<br />

der geringeren Beobachtung des Gamswildes in dieser<br />

Zeit zusammenhängen mag (Ende der Schusszeit im<br />

Dezember, hohe Schneelagen, Lawinengefahr).<br />

Eine größere Anzahl von Krankheitsfällen lässt sich wieder<br />

im April beobachten. Möglicherweise hängt dies nicht nur<br />

mit der wiederum ansteigenden Beobachtungsfrequenz<br />

im Frühjahr, sondern auch mit den häufig zu dieser Zeit<br />

noch auftretenden Nassschneefällen zusammen. Dadurch<br />

kann es bei den ohnedies durch den Winter geschwächten<br />

Tieren zu einem Krankheitsausbruch kommen.<br />

Räude wurde am häufigsten bei mittelalten und alten<br />

Tieren festgestellt, wobei Räudefälle bei mittelalten<br />

Tieren relativ konstant im Jahresverlauf auftreten, jene<br />

bei alten Stücken und Kitzen vorwiegend im November<br />

und Dezember. In der Jugendklasse (1-3 Jahre) ist ein<br />

Gipfel der Erkrankungsfälle im August zu beobachten.<br />

Auffallend ist, dass die Krankheitsfälle bei den Böcken<br />

zur Zeit der Brunft rapide ansteigen und dies bis in den<br />

Februar anhält. Dadurch wird deutlich, dass extreme körperliche<br />

Belastung, Stress und mangelnde Nahrungsaufnahme<br />

neben den in der Brunft natürlich häufigeren<br />

Körperkontakten prädisponierende Faktoren im Räudegeschehen<br />

darstellen können. Bei den Geißen fällt ein<br />

Gipfel der Erkrankungshäufigkeit im August (Zeit der<br />

Hochlaktation) auf.<br />

22


Räudefälle bei Gams- und Steinwild mit typischen<br />

Krankheitsgipfeln, Steiermark (1952-1998)<br />

Räudebekämpfung<br />

Erfahrungsgemäß sind die Ausfälle in Gebieten, wo die<br />

Räude erstmalig auftritt wesentlich dramatischer als in<br />

Gebieten, in denen sie schon längere Zeit vorkommt, was<br />

sicherlich auch auf immunologische Faktoren zurückzuführen<br />

ist. Bisher wurden weder über medikierte Lecksteine<br />

noch mittels strenger jagdlicher Maßnahmen<br />

(„Räudejäger“) wirkungsvolle Konzepte zur Räudebekämpfung<br />

gefunden, was durch die mannigfaltigen<br />

Faktoren, die im Räudegeschehen mitbestimmend sind,<br />

nicht verwundert. Jagdlich ist jedoch vorbeugend auf alle<br />

Fälle darauf zu achten, dass die Gamswild- bzw. Steinwilddichten<br />

den (Winter-) Lebensräumen angepasst sind<br />

und der Altersklassenaufbau sowie das Geschlechterverhältnis<br />

in der Norm liegen. In Räudegebieten darf das<br />

Wild – auch jagdlich – nicht zu stark beunruhigt werden,<br />

um ein Auswechseln von räudekranken Stücken zu verhindern.<br />

In umliegenden Gebieten, wo die Räude noch<br />

nicht auftritt, soll der Abschuss bei hohen Wilddichten<br />

erhöht sowie das Gams- und Steinwild genauestens<br />

beobachtet und im Zweifelsfall diagnostisches Material<br />

eingesandt werden.<br />

Hohe Gebirgszüge, breite Taleinschnitte oder große<br />

Flüsse halten die Ausbreitung der Räude nicht auf. Als<br />

effektive künstliche Barrieren konnten im Untersuchungsgebiet<br />

ein im Jahre 1922 errichteter Gamsräudeabwehrzaun<br />

sowie eine Autobahn mit Wildzaun erkannt<br />

werden. Da diese Barrieren selbstverständlich nicht überall<br />

aufgestellt werden können, führen nur konsequente,<br />

revierübergreifende Maßnahmen zum Ziel, einerseits in<br />

Räudegebieten die Prävalenz zu senken und andererseits<br />

ein weiteres Vordringen der Räude zu verhindern.<br />

Juckreiz durch weitere Ektoparasiten<br />

Weitere Erkrankungen, die ebenfalls mit einem bisweilen<br />

starken Juckreiz einhergehen und die mit Räude verwechselt<br />

werden können, sind der Befall mit Gamslausfliegen,<br />

Haarlingen, seltener Läusen oder den Larven von Herbstgrasmilben.<br />

Eine sichere Räudediagnose ist – außer in<br />

hochgradigen Fällen mit deutlicher Borkenbildung an den<br />

typischen Lokalisationen (Haupt, Träger, Bauchdecke,<br />

Beugeflächen der Läufe usw.) – durch die mikrosko -<br />

pische Untersuchung eines Hautgeschabsels zu stellen.<br />

Gamsblindheit – oft seuchenhaft auftretend<br />

Die infektiöse Keratokonjunktivitis (IKK, Keratokonjunktivitis<br />

= Lidbindehautentzündung) ist die häufigste<br />

Augenerkrankung der Haus- und Wildwiederkäuer.<br />

An IKK, die beim Schaf weltweit vorkommt, erkranken<br />

auch Gams- („Gamsblindheit“), Stein- und Muffelwild.<br />

Obwohl das Krankheitsbild seit über 200 Jahren bekannt<br />

ist, gelang der Erregernachweis (Mycoplasma conjunctivae,<br />

eine kleine Bakterienart) bei Schaf und Ziege erst vor<br />

rund 30 Jahren und für Gams- und Steinwild erst in den<br />

letzten drei Jahrzehnten.<br />

Als die Krankheit begünstigende und mit auslösende<br />

Faktoren werden Fliegen, Staub, intensives Sonnenlicht,<br />

hohe Tierdichten, sekundäre Infektionserreger und auch<br />

der Klimawandel angeführt.<br />

GAMSWILD – LEBEN AUF DER KANTE 23


GAMSKRANKHEITEN UNTER DEN ASPEKTEN VON KLIMAWANDEL UND LEBENSRAUMVERLUSTEN<br />

Symptome<br />

Die IKK, die meist beidseitig auftritt, kann klinisch in<br />

vier Stadien eingeteilt werden. Im ersten Stadium sind<br />

Tränen fluss, verstärktes Blinzeln, Lichtscheu und eine Lid -<br />

bindehautentzündung, die häufig spontan abheilt, charakteristisch.<br />

Das zweite Stadium ist durch eine begin nen de<br />

Hornhautentzündung und Einwanderung von Blut gefäßen<br />

in die Hornhaut gekennzeichnet. Im dritten Stadium sind<br />

eine eitrig-schleimige Lidbindehautentzündung, Trübung<br />

der Hornhaut und starker Tränenfluss („Sekretrinne“), die<br />

Ausbildung gelber Herde auf der Hornhaut und Vorwölbung<br />

der Hornhaut zu erkennen. Das vierte Stadium kann nach<br />

dem Aufbrechen von Hornhautgeschwüren und Ausrinnen<br />

des Kammerwassers zum Erblinden führen. In milderen<br />

Fällen klart die Hornhaut vom Rand ausgehend wieder<br />

auf, die Lidbindehautentzündung geht zurück, und es<br />

kann im Zuge der Selbstheilung wieder zur Erlangung<br />

der vollen Sehkraft kommen. Durch die Sehstörungen<br />

sind eine Einschränkung der Äsungsaufnahme sowie die<br />

Gefahr des Abstürzens gegeben.<br />

Gamsblindheit ist hoch ansteckend<br />

Die IKK ist innerhalb von Wildtierrudeln und Schaf -<br />

herden hoch ansteckend. Häufige und enge Kontakte zwischen<br />

Tieren scheinen die Voraussetzung für die rasche<br />

Ausbreitung zu sein. Der Erreger kann über Aerosole<br />

(z. B. Staub, Nebeltröpfchen), Augenbesuchende Insekten,<br />

aber auch zwischen verschiedenen Tierarten übertragen<br />

werden. Eine Verhaltensstudie ergab, dass Be geg -<br />

nun gen zwischen geweideten oder gealpten Schafen,<br />

Ziegen, Gams- und Steinwild in den Schweizer Alpen<br />

relativ häufig vorkommen. Haus- und Wildtiere können<br />

sich während längerer Zeit in unmittelbarer Nähe nebeneinander<br />

aufhalten, wo dann auch Fliegen bei der Übertragung<br />

des Erregers eine wesentliche Rolle spielen<br />

können. In diesem Zusammenhang ist auch der Klimawandel<br />

von Bedeutung. So waren im Zuge des Gamsblindheits-Seuchenzuges<br />

in den Niederen Tauern im Jahre<br />

2006 noch Ende November Fliegen in Seehöhen von<br />

über 1.800 m zu beobachten.<br />

IKK auf Menschen übertragbar?<br />

Nach einer internationalen Schafausstellung Ende<br />

Jänner/Anfang Februar 2003 in Westösterreich traten in<br />

zwei steirischen Schafbetrieben, die an dieser Ausstellung<br />

mit insgesamt 7 Tieren teilnahmen, zahlreiche Fälle von<br />

Stadium I: Tränenfluss<br />

Stadium II: Hornhautentzündung<br />

Stadium III: Eitrige Lidbindehautentzündung<br />

Stadium IV: Hornhautgeschwür<br />

24


IKK auf. Nach erfolglosen Behandlungsversuchen wurden<br />

von insgesamt 16 Schafen Augentupfer entnommen und<br />

zur bakteriologischen Untersuchung versandt.<br />

Zwei Kinder aus einem dieser Betriebe erkrankten in un -<br />

mittelbarem zeitlichen Zusammenhang ebenfalls an Lidbindehautentzündung,<br />

aus Augentupfern war M. conjunctivae<br />

vom selben Stamm wie bei den Schafen nachzuweisen.<br />

Bisher existierten in der Literatur aber keine<br />

Hinweise, dass IKK auf Menschen übertragbar sei.<br />

Da die Empfindlichkeit von Kindern, immungeschwächten<br />

und alten Personen gegenüber Infektionen höher ist, kann<br />

in diesen Fällen von einer Übertragung Schaf – Mensch<br />

ausgegangen werden. Hinsichtlich der möglichen Übertragbarkeit<br />

der IKK auf den Menschen ist der Kontakt<br />

von Kindern zu erkrankten Schafen / Gämsen zu verhindern<br />

und es wird empfohlen, im Umgang mit erkrankten Tieren<br />

Schutzhandschuhe zu tragen sowie übliche Hygieneregeln<br />

(Vermeidung von Schmierinfektionen usw.) einzuhalten.<br />

Vorbeuge- und Bekämpfungsmaßnahmen<br />

Vorbeugemaßnahmen hinsichtlich der Übertragung und<br />

Einschleppung der IKK in Schafbetriebe sind Ankaufsuntersuchungen<br />

und Quarantänemaßnahmen bei Zukauftieren<br />

sowie Auftriebsuntersuchungen bei der Weide -<br />

haltung auf Gemeinschaftsweiden.<br />

Solche Untersuchungen bieten auch einen gewissen<br />

Schutz vor der Übertragung von IKK von Hausschafen<br />

auf Gams- oder Steinwildpopulationen, obwohl in Schafherden<br />

nicht alle infizierten Tiere auffallen. Falls in einer<br />

Herde einzelne Fälle auftreten, gilt demnach der gesamte<br />

Bestand als „infiziert“. Auftriebsuntersuchungen von gealpten<br />

Schafen und Ziegen werden in Westösterreich freiwillig<br />

durchgeführt und sind in einigen Schweizer<br />

Kantonen vorgeschrieben. Die IKK beim Hausschaf ist<br />

heilbar.<br />

Treten in einem Gebiet Fälle von „Gamsblindheit“ bei<br />

Gams- oder Steinwild auf, so sind schwer erkrankte<br />

Stücke (Stadium III und IV) möglichst ohne Beunruhigung<br />

und Versprengung des Restbestandes zu erlegen.<br />

Da Fälle im Stadium I und II in vermutlich einem hohen<br />

Prozentsatz selbst ausheilen und sich damit eine Bestandsimmunität<br />

aufbauen kann, sind Abschüsse in<br />

diesen Fällen umstritten, obwohl natürlich sämtliche<br />

erkrankten Stücke auch Infektionsquellen für noch<br />

gesunde Stücke darstellen.<br />

Paratuberkulose – häufiger als vermutet!<br />

Aus Österreich lagen bis ins Jahr 2002 Berichte über das<br />

Auftreten von Paratuberkulose bei Rindern, Schafen und<br />

Ziegen und bei Wildtieren aus Gatterhaltung sowie vereinzelt<br />

aus freier Wildbahn bei Rotwild vor. Ab dem Jahr<br />

2002 häuften sich Fälle bei Wild in freier Wildbahn.<br />

Paratuberkulose ist eine weltweit verbreitete, ansteckende,<br />

chronische Darmerkrankung besonders der<br />

Wiederkäuer, die durch Mycobacterium avium subsp.<br />

paratuberculosis (Kurzform: M.a.p.) hervorgerufen wird.<br />

Das Wirtsspektrum der Paratuberkulose umfasst außer<br />

Haus- und Wildwiederkäuern auch Pferd, Hund, Schwein,<br />

Esel, Geflügel, Primaten, Fuchs, Dachs, Großes und<br />

Kleines Wiesel, Hasen, Kaninchen, Rabenvögel, Ratten<br />

und Waldmäuse, die jedoch i. d. R. nicht klinisch erkranken,<br />

sondern vor allem als Ausscheider auftreten.<br />

Beim Menschen wurde M.a.p. bei Morbus Crohn (chronische<br />

Darmentzündung) isoliert, ein Zusammenhang<br />

zwischen Paratuberkulose und Morbus Crohn konnte<br />

aber bislang noch nicht schlüssig bewiesen werden.<br />

Hohe Ausscheidungsmengen!<br />

Der Erreger wird vorwiegend über Kot (bis 100 Mio.<br />

Erreger pro Gramm Kot/Losung!) ausgeschieden, die<br />

Infektion erfolgt vor allem durch orale Aufnahme der<br />

Erreger meist schon in den ersten Lebenswochen.<br />

Die Infektionsdosis, die zu einer Infektion führt, ist bei<br />

jungen Tieren vermutlich sehr gering, zudem kann der<br />

Erreger in der Umwelt über ein Jahr überleben. Die Inkubationszeit<br />

(Zeitraum von der Infektion bis zum Ausbruch<br />

von Krankheitserscheinungen) beträgt beim Rind<br />

mindestens 2 Jahre, kann aber bis zu 10 Jahre dauern.<br />

Bei Wildtieren dürfte nach unseren bisherigen Erfahrungen<br />

die Inkubationszeit kürzer sein. Bei den von uns<br />

untersuchten Wildtieren waren auch Erkrankungsfälle bei<br />

4 bis 6-monatigen Kitzen und Kälbern von Reh-, Gamsund<br />

Rotwild zu beobachten, die vermutlich auch auf<br />

einen hohen Infektionsdruck hindeuten.<br />

GAMSWILD – LEBEN AUF DER KANTE 25


GAMSKRANKHEITEN UNTER DEN ASPEKTEN VON KLIMAWANDEL UND LEBENSRAUMVERLUSTEN<br />

Krankheitsbild<br />

Folgende Symptome konnten bei erkrankten Tieren festgestellt<br />

werden: Abmagerung, vergrößerte Darmlymphknoten,<br />

Hinweise auf Durchfall (wie Losungs-/Kotspuren<br />

um After/Weidloch und an den Sprunggelenken) in ca.<br />

15 % der Fälle, verzögerter Haarwechsel, verspätetes<br />

Verfegen, abnormer Geruch bei frisch verendeten oder mittels<br />

Fangschuss erlegten Tieren, Lebergranulome (steck -<br />

nadel kopfgroße Abszesse), Lungenveränderung, Ödeme<br />

im Bereich des Darmtraktes sowie Bauchwassersucht.<br />

Die für das Rind typische hochgradige („hirnwindungsähnliche“)<br />

Verdickung und Faltenbildung der Darmwand<br />

ist bei Wildtieren nicht oder nur in gering gradiger Ausprägung<br />

zu beobachten. In einem Fall wurde bei Rotwild<br />

beobachtet, dass gesunde Tiere einem erkrankten Stück<br />

möglicherweise wegen des abnormen Geruches drei Tage<br />

lang auswichen. Es war auch festzustellen, dass Jagdhunde<br />

den näheren Kontakt zu erlegten/verendeten kranken<br />

Stücken weitgehend mieden. Zusätzlich wurden bei<br />

drei einjährigen Stücken Rotwild Gelenksentzündungen<br />

beobachtet, ein Zusammenhang mit Paratuberkulose<br />

konnte jedoch noch nicht verifiziert werden.<br />

Erstmalig gelang der Nachweis der intrauterinen Übertragung<br />

(Infektion der noch ungeborenen Kälber/Kitze)<br />

von M. paratuberculosis bei Rot- (3 Fälle) und Gamswild<br />

(1 Fall) sowie die bei Wildtieren bislang nicht beschriebene<br />

Isolierung des Erregers aus Leber, Lunge und<br />

Unterhautabszessen (DEUTZ et al., 2005).<br />

Paratuberkulose bei einem 8-jährigen Steinbock (35 kg unaufgebrochen)<br />

und einer Gamsgeiß<br />

Sektionsbefunde Paratuberkulose: Gamsherz ohne Fett in den Herzfurchen (links), vergrößerte Darmlymphknoten und Gamswild (rechts).<br />

Aus den Darmlymphknoten können auch die Erreger nachgewiesen werden.<br />

26


Vermutete Ursachen<br />

Als Ursachen für die Häufung klinischer Fälle ab dem<br />

Jahre 2002 werden allgemein Fütterungen (Massierung<br />

von Tieren), Mängel in der Fütterungshygiene (wie<br />

Bodenvorlage von Futtermitteln), die Rotwildhaltung in<br />

Wintergattern und der Zukauf von (Gatter-)Wild sowie<br />

die starke Zunahme der Mutterkuhhaltung und Rinderimporte<br />

mit einer Anreicherung der Erreger in der Umwelt<br />

vermutet. In Mutterkuh- und Fleisch rinder zucht betrieben<br />

stellt Paratuberkulose auch in der Steiermark seit zumindest<br />

Anfang der 1990er Jahre ein klinisches Problem dar. Ein<br />

nicht zu vernachlässigendes Risiko ergibt sich aus der<br />

zunehmenden Ausbringung von Gülle. Zu untersuchen<br />

wäre auch, ob durch milde, feuchte Winter die Überlebensfähigkeit<br />

der Erreger auf Weide-/Äsungsflächen<br />

erhöht wird und ob Hitzestress und Wasser mangel (wie<br />

im Jahre 2003) oder auch chronische Pansenübersäuerungen<br />

durch Fütterungsfehler (Getreideschrot- und Maisfütterung)<br />

und schwere Parasitosen bei Wildwiederkäuern<br />

zusätzliche prädisponierende Faktoren für das Auftreten<br />

von Paratuberkulose sein können.<br />

Wildtiere können nicht nur von Hauswiederkäuern mit<br />

Paratuberkulose infiziert werden, sondern tragen offensichtlich<br />

selbst zur Verbreitung des Erregers bei. In Versuchen<br />

in Schottland gelang es, Rinder mit von aus<br />

Wildkaninchen isolierten Paratuberkulose-Erregern<br />

zu infizieren.<br />

Übertragung Rind - Wildtier<br />

In einem Gebiet mit massiven Paratuberkulose-Problemen<br />

bei Rindern konnten wir die Erkrankung auch bei abgemagerten<br />

Rehen nachweisen. Daraufhin wurden Erregerstämme<br />

von Haus- und Wildtieren genetisch verglichen<br />

und dabei in 3 Regionen der Steiermark drei eigenständige<br />

Stämme bei Haus- und Wildtieren festgestellt, die<br />

die gegenseitige Übertragbarkeit der Paratuberkulose untermauern.<br />

Pavlik (2000) vermutete importierte Rinder<br />

(Limousin, Holstein) als Infektionsquelle für Reh- und<br />

Damwild in der Tschechischen Republik, wo er ebenfalls<br />

idente Stämme bei Wildtieren und Rindern nachgewiesen<br />

hat. Er fand Paratuberkulose bei Rot-, Reh-, Muffel- und<br />

Damwild in freier Wildbahn, Wildtiergehegen bzw. Jagdgattern,<br />

wobei der Anteil positiver Proben mit 7 % bei<br />

Rotwild, 2 % bei Rehen und 4 % bei Dam- und Muffelwild<br />

unter den Ergebnissen der eigenen Untersuchung liegt.<br />

Vorbeuge- und Bekämpfungsmaßnahmen<br />

1. Bei der Bekämpfung von Paratuberkulose muss neben<br />

der hohen Überlebensfähigkeit des Erregers in der<br />

Umwelt auch die intrauterine Übertragung (Infektion<br />

noch Ungeborener) beachtet werden. Der Erreger kann<br />

bis ein Jahr auf Äsungs-/Weideflächen infektionsfähig<br />

bleiben und damit auch den Winter überdauern.<br />

Insgesamt begünstigen niedrige Temperaturen, Feuchtigkeit<br />

und fehlende Sonneneinstrahlung das Über -<br />

leben des Erregers. Weiterhin scheint der pH-Wert des<br />

Bodens einen Einfluss zu haben, da nach Literatur -<br />

berichten Paratuberkulose verstärkt in Gebieten mit<br />

saurem Boden (niedriger pH-Wert) vorkommt. Eigene<br />

Beobachtungen, wonach rund 40 % der Nachweise<br />

von Paratuberkulose bei Wildtieren und drei der vier<br />

beschriebenen Fälle intrauteriner Übertragung im Kalk -<br />

gebirge auftraten, relativieren hingegen die Aussagen<br />

bezüglich des Einflusses des pH-Wertes des Bodens.<br />

2. Jagdliche Maßnahmen: Zuerst sind die Jäger über<br />

diese Krankheit zu informieren, um ihr Verständnis<br />

und ihre Mitarbeit für langfristige und großräumige<br />

jagdliche Entscheidungen zu sichern. Der Abschuss<br />

und die Untersuchung aller krankheitsverdächtigen<br />

Stücke (zu jeder Jahreszeit, natürlich Kitze und Kälber<br />

vor erkrankten Muttertieren), die regionale Reduktion<br />

von Wildbeständen nach Häufung von Krankheits -<br />

fällen und eine möglichst frühzeitige Abschusser -<br />

füllung mit stark reduziertem Jagddruck ab November<br />

sind konkrete jagdliche Maßnahmen zur Senkung des<br />

Infektionsdruckes. Eine Anpassung der Wildbestände<br />

an den jeweiligen Lebensraum, lebensraumver bes sernde<br />

Maßnahmen, die eine Massierung von Wild verhindern<br />

und erhöhter Jagddruck im Bereich von kontaminierten<br />

Weidegebieten/Äsungsflächen (Lenkungs effekt!), wo<br />

Rinder aus Paratuberkulose-positiven Betrieben aufgetrieben<br />

werden, sind zusätzlich notwendig.<br />

3. Weitere Maßnahmen: Kranke und krankheitsverdächtige<br />

Tiere und Aufbrüche müssen seuchensicher entsorgt<br />

werden. Die Abklärung sämtlicher Verdachtsfälle, ein<br />

flächendeckendes Paratuber kulose-Monitoring unter<br />

Einbindung unverdächtiger Stücke sowie die Untersuchung<br />

von Indikatortieren (z. B. Fuchs) und die<br />

Erfassung von Erregerreservoiren (Nagetiere, Vögel<br />

GAMSWILD – LEBEN AUF DER KANTE 27


GAMSKRANKHEITEN UNTER DEN ASPEKTEN VON KLIMAWANDEL UND LEBENSRAUMVERLUSTEN<br />

usw.) würden über die regionale Verbreitung der<br />

Paratuberkulose bei Wildtieren Aufschluss geben und<br />

könnten in ein Informa tionssystem über Wildtierkrankheiten<br />

einfließen. Eine Behandlungsmöglichkeit<br />

gegen Paratuberkulose gibt es nicht.<br />

Eine Bekämpfung der Paratuberkulose bei Wildtieren<br />

wird erst nach einer Eindämmung der Paratuberkulose<br />

bei Rindern Wirkung zeigen. Der zunehmende Nachweis<br />

von M. paratuberculosis bei Wildtieren muss als Indikator<br />

für eine steigende Prävalenz von Paratuberkulose in<br />

Rinderbetrieben gewertet werden. Momentan kann die<br />

Paratuberkulose beim Rind lediglich in Grenzen gehalten<br />

werden, zur praxistauglichen Sanierung von Betrieben<br />

fehlen noch entsprechend aussagekräftige Tests auf Einzeltierebene,<br />

ein in Bezug auf Paratuberkulose kontrollierter<br />

Tierverkehr und nicht zuletzt eine entsprechende<br />

Bewusstseinsbildung in verantwortlichen Kreisen der<br />

Veterinärmedizin, Landwirtschaft und auch Jägerschaft.<br />

Seit 2006 ist die Paratuberkulose bei Rindern, Schafen,<br />

Ziegen und bei Farmwild eine in Österreich anzeigepflichtige<br />

Tierseuche.<br />

(Harschschnee, extreme Witterung, Äsungsknappheit,<br />

Beunruhigung usw.), die zum Angehen dieser Erkrankung<br />

führen, hindeutet. Im Frühjahr kommt es durch die<br />

verbesserten Lebensbedingungen nicht selten zu Selbstheilungen.<br />

In abgefallenen Hautkrusten kann der Erreger<br />

mehrere Jahre überleben und infektiös bleiben.<br />

Beim Menschen können nach Kontakt mit an Lippen -<br />

grind erkrankten Tieren Erreger über Hautwunden eindringen,<br />

die nach 3 bis 7 Tagen vorwiegend an Händen,<br />

Armen, Hals sowie im Gesicht oder Nacken Bläschen,<br />

Pusteln und Krusten hervorrufen. Diese Veränderungen<br />

heilen i.d.R. innerhalb weniger Wochen komplikationslos<br />

ab. Daneben werden vereinzelt Fieber, Lymphknotenschwellungen<br />

oder Gelenksschmerzen beobachtet.<br />

Erkrankte Stücke sind möglichst ohne starke Beunruhigung<br />

des restlichen Bestandes zu erlegen sowie bei<br />

Auftreten mehrerer Fälle die Salzlecken (häufige Ansteckungsquelle)<br />

zu entfernen.<br />

Lippengrind (Z!)<br />

(Ecthyma contagiosum) [Z! … Zoonose!]<br />

Lippengrind ist eine virusbedingte Infektionskrankheit<br />

(Parapockenviren), die bei Wildtieren fast ausschließlich<br />

bei Gams- und Steinwild (seltener Rotwild) und darüber<br />

hinaus bei Hausschafen und -ziegen sowie nach Kontakt<br />

mit erkrankten Tieren auch beim Menschen auftritt.<br />

Die Erkrankung verläuft meist ohne deutliche Beeinträchtigung<br />

der infizierten Tiere, weiters ist die Selbstheilungsrate<br />

relativ hoch. Die Erreger dringen über Hautoder<br />

Schleimhautverletzungen (Äser, Lecker, Läufe) ein<br />

und verursachen blasenartige Veränderungen und später<br />

geschwürige Entzündungen an Äser, Lippen, Gaumen,<br />

Lecker und seltener an den Extremitäten-Enden.<br />

Durch die Veränderungen im Äserbereich wird bei Komplikationen<br />

in hochgradigen Fällen die Äsungsaufnahme<br />

erschwert bis unmöglich, was Todesfälle infolge Entkräftung<br />

und Verhungerns hervorruft. Lippengrind kommt<br />

fast nur im Winter und hauptsächlich bei jungen oder<br />

schwachen Stücken vor, was auf zusätzliche Faktoren<br />

Lippengrind, Gamsgeiß<br />

F. Kemeter<br />

28


auch in Europa, bei über 30 Tierarten, wie z. B. Rindern,<br />

Pferden, Ziegen, Schafen, Fleischfressern, Schweinen,<br />

Nagetieren, Marderartigen, sowie gelegentlich beim<br />

Menschen vor. International wird eine Ausbreitung dieser<br />

Erkrankung beobachtet. In Österreich wurde 1998 vom<br />

Autor gemeinsam mit der Bundesanstalt für veterinärmedizinische<br />

Untersuchungen in Graz das Vorkommen der<br />

Dermatophilose bei Rind, Pferd und Gamswild erstmalig<br />

nachgewiesen (DEUTZ u. HINTERDORFER, 1997).<br />

Bislang war die Dermatophilose bei Gamswild nur in der<br />

Schweiz beschrieben worden.<br />

Papillomatose, Gamskitz<br />

Papillomatose<br />

G. Gressmann<br />

Die durch Papovaviren verursachte Papillomatose mit erhabenen,<br />

warzenartigen Veränderungen (bei Lippengrind<br />

meist eingesenkte Geschwüre) an den Schleimhäuten der<br />

Verdauungsorgane oder der Haut (besonders an den<br />

Läufen) wurde bisher bei Gams- Stein-, seltener bei Rot-,<br />

Dam- und Rehwild sowie Hasen und Wildkaninchen<br />

nachgewiesen. Die Übertragung erfolgt über kleine<br />

Wunden, Insektenstiche, direkten Kontakt oder auch bei<br />

Salzlecken. Krankheitserscheinungen treten hauptsächlich<br />

im Winter auf, können die Nahrungsaufnahme<br />

behindern (Papillomatose im Äserbereich, an der Zunge,<br />

in der Speiseröhre oder im Vormagensystem) oder zu<br />

Bewegungsstörungen (Papillomatose an den Läufen)<br />

führen. Im Frühjahr heilt die Papillomatose in den überwiegenden<br />

Fällen wieder ab.<br />

Die Ansteckung erfolgt über Hautverletzungen und<br />

Ektoparasiten, während dem direkten Tierkontakt<br />

geringere Bedeutung zuzukommen scheint. Begünstigend<br />

für das Auftreten sind längere Regenperioden<br />

(Aufweichung der oberen Hautschichten), intensive<br />

Sonnenbestrahlung, andere Hautinfektionen oder<br />

Zeckenbisse.<br />

Dermatophilose beginnt mit dem Aufrichten einzelner<br />

Haarbüschel und Krustenbildung. Innerhalb einiger<br />

Wochen entwickeln sich haarhaltige, schwer entfernbare<br />

Borken ohne Juckreiz (Unterschied zur Räude!).<br />

Diese Veränderungen können sowohl mit Räude als auch<br />

mit Lippengrind verwechselt werden. Das Wildbret von<br />

an Dermatophilose erkrankten Gämsen ist nach Entfernung<br />

veränderter Stellen verwertbar, sofern das Stück<br />

nicht abgemagert ist oder weitere Auffälligkeiten zeigt,<br />

die eine Verwertung ausschließen.<br />

Dermatophilose (Z!)<br />

Eine erst selten nachgewiesene, aber sicherlich häufiger<br />

vorkommende Hauterkrankung beim Gamswild ist die<br />

Dermatophilose. Dabei handelt es sich um eine durch<br />

die Bakterienspezies Dermatophilus congolensis verursachte,<br />

akut bis chronisch verlaufende, übertragbare<br />

Hautkrankheit. Es überwiegen milde Verlaufsformen, bei<br />

denen nach Wegfall hautschädigender Einflüsse Selbstheilungen<br />

vorkommen. In generalisierten Fällen kann sie<br />

jedoch zum Tode führen. Die Dermatophilose kommt<br />

vorwiegend in wärmeren Klimazonen, vereinzelt aber<br />

Beginnende Dermatophilose am Nasenrücken eines Gamskitzes<br />

GAMSWILD – LEBEN AUF DER KANTE 29


GAMSKRANKHEITEN UNTER DEN ASPEKTEN VON KLIMAWANDEL UND LEBENSRAUMVERLUSTEN<br />

Brucellose (Z!)<br />

Weiters von Bedeutung sind serologische Befunde von<br />

Brucellose bei freilebendem Gams-, Stein- und Muffelwild<br />

in Frankreich. Es ist durchaus anzunehmen, dass<br />

Brucellose auch im Ostalpenraum beim Gamswild<br />

vorkommt. Gebiete mit einem hohen Anteil sog. „Geltgeißen“<br />

sind verdächtig. An gegenseitige Ansteckungen<br />

zwischen Schafen/Ziegen und Gams-/Steinwild muss<br />

gedacht werden.<br />

Eine ein- oder beidseitige Vergrößerung der Brunftkugeln<br />

bei Gamsböcken liefert einen Hinweis auf Brucellose und<br />

sollte diagnostisch abgeklärt werden, zumal auch eine<br />

Infektionsgefahr für den Menschen besteht.<br />

Salmonellose (Z!)<br />

Einige Fälle von Salmonellose bei Gamswild traten<br />

in den Jahren 1998 und 1999 auf Almen in Tirol auf<br />

(GLAWISCHNIG et al., 2000).<br />

Erkrankte Stücke (hauptsächlich ältere Gamsböcke in<br />

ihren tieferliegenden Sommereinständen) verendeten innerhalb<br />

weniger Tage an einem akuten septikämischen<br />

Durchfallgeschehen. Als Infektionsquellen konnten<br />

Salmonellen-ausscheidende Rinder identifiziert werden,<br />

die besonders Tränkeplätze, aus denen auch Gämsen<br />

schöpften, mit Erregern kontaminierten.<br />

Endoparasiten<br />

Unter den Endoparasitosen sind bei Gams- und Steinwild<br />

besonders Lungenwürmer, Bandwürmer und Magen-<br />

Darmwürmer von größerer Bedeutung. Gleich wie die<br />

Ektoparasitosen treten auch Endoparasitosen als Faktorenkrankheiten<br />

massiver bei negativen Umweltfaktoren<br />

(Stress, Überbesatz, suboptimale Lebensräume usw.) auf.<br />

Einige Endoparasiten sind auch zwischen Gams- und<br />

Steinwild bzw. auch zwischen diesen und Schafen und<br />

Ziegen wechselseitig übertragbar, überwiegend trägt<br />

jedoch jede Art ihre eigene Parasitenfauna. In den letzen<br />

Jahren sind hochgradige Parasitosen bereits in immer<br />

höheren Lagen feststellbar, was auf die steigenden<br />

Jahresdurchschnittstemperaturen zurückgeführt wird.<br />

Grundsätzliche Bekämpfungsmaßnahmen<br />

gegen Gamskrankheiten<br />

Grundsätzliche Bekämpfungsmaßnahmen gegen Gamsund<br />

Steinwildkrankheiten sind:<br />

• Etablierung eines effektiven Informationssystems<br />

über Gams- und Steinwildbestände, auftretende<br />

Krankheiten und jagdliche Eingriffe,<br />

• verstärkte Untersuchung von erkrankten und<br />

verdächtigen Stücken,<br />

• Anpassung der Wildbestände an den jeweiligen<br />

(Winter-)Lebensraum,<br />

• die Bejagung von erkrankten Tieren sollte möglichst<br />

wenig Unruhe im Revier verbreiten,<br />

• möglichst frühzeitige Abschusserfüllung, reduzierter<br />

Jagddruck ab November<br />

Krankheiten und Klimawandel<br />

Der Hitzesommer 2003 war sowohl für Haus- als auch<br />

für Wildtiere ein enormer Stressfaktor. Besonders für<br />

territorial lebende Wildwiederkäuer (z.B. Rehwild) war<br />

es nahezu unmöglich adäquate Wasserquellen zu erreichen,<br />

was auch an deutlich verringerten Durchschnittsgewichten<br />

ablesbar war. Damit verbunden war vermutlich<br />

auch eine höhere Krankheitsanfälligkeit (z.B. Paratuberkulose,<br />

Endoparasitosen). Klimaforscher gehen davon<br />

aus, dass derartige Hitzesommer häufiger auftreten werden.<br />

Wenn auch 2005 ein eher kühler Sommer vorherrschte,<br />

Anfang Juli manche Berge schneebedeckt waren und ein<br />

strenger Winter folgte, ist eine Phase der Klimaerwärmung<br />

in den letzten beiden Jahrzehnten nicht wegzuleugnen.<br />

Auswirkungen dieses Klimawandels sind bereits<br />

unter anderem das Auftreten von für Mitteleuropa neuen<br />

Krankheitserregern sowie von Veränderungen im Lebensraum.<br />

Der Einfluss des Klimawandels auf die Verbreitung von<br />

Krankheitserregern kann direkt erfolgen, indem Krankheitserreger<br />

bei höheren Jahresdurchschnittstemperaturen<br />

in der Umwelt länger überleben und auch höhere Keimzahlen<br />

aufweisen oder auch indirekt bei jenen Krankheitserregern,<br />

die über Vektoren (z.B. Zecken, Stech -<br />

mücken) übertragen werden bzw. sich in tierischen<br />

Reservoiren halten, und wo deren Verbreitungsgebiet<br />

bzw. Populationsgrößen klimatisch beeinflusst werden.<br />

30


Erregerhältige Zecken (z.B. mit Babesien) und Stechmücken<br />

sind auch bereits in größeren Seehöhen nachweisbar<br />

als noch vor zwei Jahrzehnten. So wurde der<br />

Erreger der Babesiose mittlerweile schon in Zecken und<br />

Gamswild auf über 1.400 m Seehöhe oder Infektionen<br />

mit dem Schmallenberg-Virus ebenfalls in diesen Höhenlagen<br />

nachgewiesen. Weiters können sich bei Krankheitserregern,<br />

die in ihrem Auftreten eine jahreszeitliche<br />

Periodik aufweisen, Zeiträume mit höherem Infektionsrisiko<br />

verlängern. Auch Parasiteneier und -larven sowie<br />

Zwischenwirte von Parasiten sind bereits in größeren<br />

Höhen nachweisbar bzw. profitieren von höheren Jahres -<br />

durchschnittstemperaturen. In diesem Zusammenhang<br />

finden wir vermehrt eitrige Lungenentzündungen bei<br />

Gamswild in der Folge des Befalles mit Kleinen Lungen -<br />

würmern.<br />

Im Zuge langer, heißer Sommer ist es auch möglich, dass<br />

Vektoren wie Zecken darunter leiden, dafür aber z.B.<br />

Mücken arten – auch Arten, die bislang in Mitteleuropa<br />

nicht vorgekommen sind – davon profitieren. Ein Beispiel<br />

dafür ist die Blauzungenkrankheit (Bluetongue), eine<br />

meist akut verlaufende, seuchenhaft auftretende Erkrankung<br />

bei Schafen, seltener bei Rindern, Ziegen und Wildwiederkäuern.<br />

Das im Blut infizierter Tiere zirkulierende<br />

Virus wird von Stechmücken der Gattung Culicoides und<br />

Zecken von Tier zu Tier übertragen. Die Krankheit wurde<br />

in Südafrika erstbeschrieben und von dort in andere Teile<br />

Afrikas verschleppt. Die ersten europäischen Fälle ereigneten<br />

sich 1998 in Spanien. Danach trat die Blauzungenkrankheit<br />

in vielen Ländern Südeuropas auf, wobei ein<br />

Fortschreiten in Richtung Norden festzustellen war; ab<br />

2006 ereigneten sich zahlreiche Ausbrüche in Mittel- und<br />

Nordeuropa. Das saisonale Auftreten dieser Erkrankung<br />

hängt eng mit der Flugzeit weniger Mückenarten zusammen.<br />

Als Virusreservoir gelten vor allem Rinder und<br />

Wildwiederkäuer, in denen der Erreger bis über 200 Tage<br />

im Blut zirkulieren – also auch überwintern – kann.<br />

Güllen – ein Hygienerisiko?<br />

Prinzipiell kann eine intensive Almbewirtschaftung mit<br />

Düngung einige Vorteile für Wildtiere bringen, dennoch<br />

sollten dabei mögliche Nachteile sowie Hygienerisiken<br />

nicht völlig übersehen werden. Da sich Vor- und Nachteile<br />

einer intensive Almbewirtschaftung mit Düngung<br />

für Wildtiere nicht scharf trennen lassen bzw. auch regional<br />

sowie abhängig von Pflanzenbeständen, Bodenverhältnissen<br />

oder betroffenen Wild- und Haustierarten auch<br />

unterschiedlich verhalten können, werden im Folgenden<br />

einige Aspekte aufgezeigt, die aus veterinärmedizinischer<br />

und wildbiologischer Sicht in einer derartigen Diskussion<br />

nicht übersehen werden sollten.<br />

Düngung und Geruchssinn von Wildtieren<br />

Eine wesentliche Frage betreffend die geruchliche Beein -<br />

trächtigung von Wildtieren bzw. der Äsung durch<br />

Dung/Gülle ist der Zeitpunkt des Almauftriebes und<br />

Abtriebes bzw. der Zeitpunkt der Düngung. Auf vielen<br />

Almen Österreichs finden sowohl der Auftrieb als auch<br />

der Abtrieb zu spät statt. Bei einem zu späten Abtrieb ist<br />

der noch folgende Aufwuchs nur mehr spärlich bzw. sind<br />

Geruchs- und Geschmacksbelastungen durch Düngung<br />

zu lange wirksam, sodass diese Äsung möglicherweise<br />

nicht mehr genutzt wird. Bei Gülle-Düngung mit starken<br />

Druckfässern können gegenüber der Festmistdüngung<br />

noch dazu wesentlich größere Flächen im Gelände<br />

gedüngt werden, was über eine Zeitraum vom mehreren<br />

Wochen eine verminderte Akzeptanz dieser Flächen nach<br />

sich zieht. Für den Geruch der Gülle sind u.a. Ammoniak,<br />

Schwefelwasserstoff, Putrescin und Cadaverin verantwortlich,<br />

wobei ein Teil dieser Komponenten flüchtig ist.<br />

Düngung und Pflanzenbestände<br />

Im Zusammenhang mit Düngungsfragen sollte auch der<br />

natürliche Nährstoffeintrag auf beweideten und beästen<br />

Almflächen (Kot, Losung, Harn), besonders an sensiblen<br />

Standorten (z.B. Kalkmagerrasen), nicht unberücksichtigt<br />

bleiben. Aus wildbiologischer Sicht ist ein Aspekt,<br />

nämlich jener der Artenverschiebung oder -verarmung<br />

nicht zu vernachlässigen, der aber Schalenwildarten<br />

– abhängig von ihrem Äsungsverhalten – unterschiedlich<br />

trifft. Am stärksten betroffen von einer Verarmung wäre<br />

als „Konzentratselektierer“ das Rehwild, gefolgt von den<br />

„Mischtypen“ Gams- und Rotwild. Rot- und Gamswild<br />

passen sich recht opportunistisch an die jeweiligen<br />

Äsungsverhältnisse an, wobei Gamswild im Sommerhalbjahr<br />

recht selektiv Äsung aussuchen kann.<br />

„Grasfresser“ wie Muffelwild wären, abgesehen von<br />

einer Geruchsbelastung am wenigsten durch eine Abnahme<br />

von Kräutern und Leguminosen beeinträchtigt.<br />

GAMSWILD – LEBEN AUF DER KANTE 31


GAMSKRANKHEITEN UNTER DEN ASPEKTEN VON KLIMAWANDEL UND LEBENSRAUMVERLUSTEN<br />

Gesundheitliche Wechselwirkungen<br />

zwischen Wild- und Nutztieren<br />

Im Zuge der Nutzung gemeinsamer Äsungs-/Weide flächen<br />

kann es zu gesundheitlichen Wechselwirkungen zwischen<br />

Wildtieren und landwirtschaftlichen Nutztieren kommen.<br />

Krankheitsübertragungen erfolgen seltener durch direkten<br />

Kontakt, häufiger durch Losung/Kot (z.B. Parasitosen,<br />

Paratuberkulose), Vektoren wie Fliegen (z.B. Gamsblindheit)<br />

oder die gemeinsame Annahme von Salzlecken<br />

(z.B. Moderhinke). Ein Restrisiko resultiert auch aus der<br />

Düngung mit organischem Dünger.<br />

Bei der Ausbringung von Gülle sind neben klassischen<br />

Düngungsfragen auch hygienische Mindeststandards zu<br />

beachten. Nicht erst seit der „EHEC-Krise“ in Deutschland,<br />

als vorerst u.a. Gurken und auch Gülledünger unter Verdacht<br />

standen, wird der Ausbringung von Stalldünger besonderes<br />

Augenmerk geschenkt. Im Winter 2011/12 ereigneten sich<br />

in Österreich 4 Rückrufaktionen bei 4 verschiedenen Herstellern<br />

von Wild-Rohwürste, in denen EHEC/STEC nachgewiesen<br />

wurden. Auch im Zusammenhang mit der Zunahme<br />

von (chronischem) Botulismus sowie von Listeriose (Silage!)<br />

oder dem Auftreten Antibiotika-resistenter Keime selbst<br />

bei Wildtieren werden Fragen der Düngung diskutiert. Ebenso<br />

tauchen diese Fragen bei der Bekämpfung von Tuberkulose<br />

und Paratuberkulose oder vom Großen Leberegel auf.<br />

Selbsthygienisierung<br />

Die Zahl der in der Gülle nachgewiesenen Krankheits erreger<br />

ist in der Regel auf Grund der antagonistischen Wirkungen<br />

der Gülle selbst gering. So werden etwa vorhandene Salmonellen,<br />

Yersinien, enteropathogenen E. coli und Staphylococcus<br />

aureus innerhalb eines Monats zu über 90 % eliminiert. Die<br />

Reduktion von Krankheitserregern in der Gülle liegt im<br />

hohen pH-Wert der Gülle sowie in der Bildung von<br />

Fettsäuren durch die natürliche Bakterienflora der Gülle<br />

begründet. Dazu kommt die Unfähigkeit z. B. von Salmonellen,<br />

mit der natürlich vorhandenen Bakterienflora der<br />

Gülle um Nährstoffe zu konkurrieren, was letztlich auch<br />

zum Absterben der Erreger führt. Daraus ergibt sich, dass<br />

allein während der Lagerung eine weitgehende Reduktion<br />

des Erregerbesatzes stattfindet, sofern in der Frischgülle<br />

überhaupt infektiöse Erreger vorhanden waren. Darüber<br />

hinaus vermindert eine Verdünnung der Gülle mit Wasser,<br />

die auch zur Verringerung der Geruchsbelästigung, Futterverschmutzung<br />

sowie der Verluste von Ammoniakstickstoff<br />

sinnvoll ist, zusätzlich das hygienische Restrisiko.<br />

UV-Einstrahlung und Austrocknung<br />

Neben antagonistischen Hygienisierungsvorgängen in<br />

der Gülle selbst treten nach der Ausbringung noch<br />

weitere Faktoren auf, die das Überleben von Krankheitserregern<br />

beeinträchtigen. Dazu zählen die hygienisierenden<br />

Wirkungen innerhalb der Bodenkrume sowie der<br />

Abbau auf den Pflanzen selbst infolge der Sonneneinstrahlung<br />

(UV-Strahlung). Die Eliminierung von Keimen<br />

auf der Pflanze steht mit der UV-Einstrahlung in direktem<br />

Zusammenhang. So überleben coliforme Bakterien bei<br />

Sonneneinstrahlung im Sommer auf grünen Pflanzen nur<br />

zehn Stunden, bei kalter und feuchter Witterung hingegen<br />

bis zu 28 Stunden. Auch Salmonellen überleben bei der<br />

Ausbringung von nicht hygienisiertem Klärschlamm auf<br />

Gras nur 15 Tage. Selbst die Höhe des Pflanzenaufwuchses<br />

hat Einfluss auf das Überleben von Bakterien.<br />

Während etwa Salmonella dublin auf Weideland in einer<br />

Höhe von 7,5 cm über dem Boden 19 Tage lang isoliert<br />

werden konnte, wurden in den oberen Pflanzenteilen die<br />

Salmonellen nur zehn Tage lang nachgewiesen. An der<br />

Pflanzenspitze verschwanden die Keime sogar noch am<br />

Tag der Düngung. Salmonella dublin wurde in Tirol aus<br />

verendeten Gämsen isoliert, die Infektion war von einem<br />

infizierten Rinderbestand ausgegangen. Die Erreger der<br />

Paratuberkulose und Tuberkulose sind gegenüber Umwelteinflüssen<br />

durch ihren spezifischen Zellwandaufbau<br />

deutlich widerstandsfähiger als andere Keime.<br />

Biofilter Boden<br />

Das Überleben von beispielsweise Salmonellen im<br />

Boden hängt von vielen Faktoren wie der Ausgangs -<br />

keimzahl, der aufgebrachten Düngermenge, der Bodentemperatur,<br />

dem pH-Wert und dem Humusgehalt, dem<br />

Sauerstoff- und Wassergehalt des Bodens, der Korn -<br />

größenverteilung etc. ab.<br />

Grundsätzlich aktiviert eine bedarfsgerechte Gülle -<br />

düngung die biologische Bodenaktivität und damit auch<br />

die Vermehrung der gegenüber pathogenen Keimen antagonistisch<br />

vorhandenen Mikroflora im Boden. Je höher<br />

der Humusgehalt im Boden, desto rascher erfolgt auch<br />

die Inaktivierung von möglicherweise vorhandenen<br />

Krankheitserregern. Die biologische Aktivität bei der<br />

Eliminierung pathogener Erreger beschränkt sich im<br />

Wesentlichen auf die oberste belebte Bodenschicht.<br />

32


EU-Guidelines für die Gülleanwendung<br />

Die von der EU-Expertenkommission erarbeiteten Richtlinien<br />

für die Gülleanwendung dienen dazu, das hygienische<br />

Restrisiko zu minimieren, und sind daher unbedingt<br />

einzuhalten. Grundsätzlich gilt Gülle so lange als<br />

hygienisch unbedenklich, solange im Bestand keine anzeigepflichtigen<br />

Seuchen wie Brucellose, Tuberkulose, Para -<br />

tuberkulose, Maul- und Klauenseuche, Schweinepest etc.<br />

auftreten. In solchen Fällen muss unter Anweisung und<br />

Überwachung des Amtstierarztes eine Desinfektion der<br />

Gülle oder Jauche durchgeführt werden, wobei es für<br />

einzelne Seuchenerreger spezifische Anweisungen und<br />

Desinfektionsmittel gibt.<br />

„Interim Minimum Guidelines“ für Gülleanwendung<br />

in der EU<br />

• Anwendung bei Ackerfrüchten --> immer möglich<br />

(Ausnahme: zum Rohverzehr bestimmte Früchte)<br />

• Bei Anwendung auf Grünland für Heu bzw. Silage -<br />

bereitung --> immer möglich<br />

• auf Weideland: vor Ausbringung mindestens 60 Tage<br />

Lagerung der Gülle im Sommer bzw. 90 Tage im Winter<br />

• nach Ausbringung 30 Tage Schutzfrist vor<br />

der Beweidung mit Tiere einhalten*<br />

• Gülleanwendung soll den Bedürfnissen der Pflanzenernährung<br />

entsprechen (Regeln der guten landwirtschaftlichen<br />

Praxis einhalten)<br />

* Anmerkung: diese „30 Tage Schutzfrist vor der Beweidung mit Tieren“ kann<br />

natürlich auf das unkontrollierte Beäsen dieser gedüngten Flächen durch Wildtiere<br />

nicht kontrolliert bzw. eingehalten werden und birgt daher, besonders wenn<br />

die Gülle zu kurz gelagert wurde, ein entsprechendes Restrisiko z.B. für eine<br />

Übertragung von Paratuberkulose.<br />

Klimawandel und Lebensraumverluste<br />

Wildtierarten wie Schnee- und Birkhuhn oder Gams- und<br />

Steinwild haben sich im Laufe ihrer Evolution perfekt an<br />

das Leben in alpinen Regionen angepasst und sind somit<br />

Teile dieses sehr empfindlichen Ökosystems geworden.<br />

Bei einem allgemeinen Ansteigen der Waldgrenze aufgrund<br />

der Klimaerwärmung und regionalem Rückgang<br />

der Almbewirtschaftung verringert sich der Lebensraum<br />

dieser Wildtierarten massiv. Durch das Entstehen sub -<br />

optimaler Lebensräume kommt es bei diesen Wildtieren<br />

zu Abnahme und Verschwinden einzelner Populationen,<br />

Verarmung genetischer Ressourcen, Schwächung der<br />

Abwehrlage und damit auch vermehrt zu Infektionskrankheiten<br />

und Parasitosen.<br />

Als Grundlage für die Ermittlung der Veränderungen<br />

wurde die Temperaturentwicklung der vergangenen<br />

50 Jahre in einem Projektgebiet in den Niederen Tauern<br />

genauer betrachtet sowie das Klimamodell MM5 für eine<br />

Abschätzung der zukünftigen Erwärmung herangezogen.<br />

Das Klimamodell prognostiziert für die nächsten 50 Jahre<br />

eine Erwärmung von ca. 2,2 °C für das Untersuchungsgebiet.<br />

Das Baumwachstum ist sehr stark von der<br />

Temperatur abhängig und eine hohe Korrelation zwischen<br />

der Wachstumsgrenze von Bäumen und der 10 °C<br />

Juli-Isotherme bzw. mit der 6,9 °C Mai-Oktober Isotherme<br />

wurde nachgewiesen. Das Klimamodell MM5<br />

zeigt für die nächsten 50 Jahre einen prognostizierten<br />

Anstieg der Isothermen um ca. 450 Höhenmeter.<br />

Das bedeutet für die Niederen Tauern, dass eine temperaturbedingte<br />

Wachstumsgrenze für Bäume zukünftig nahezu<br />

verschwinden kann.<br />

6,9 °C Mai-Oktober Isothermen der Dekade 1990 bis 2000 und der Dekade 2040 bis 2050 mit kartierten Waldflächen von GALLAUN et al. (2006);<br />

Gebiet südöstl. von Schladming<br />

GAMSWILD – LEBEN AUF DER KANTE 33


GAMSKRANKHEITEN UNTER DEN ASPEKTEN VON KLIMAWANDEL UND LEBENSRAUMVERLUSTEN<br />

Folgen suboptimaler Lebensräume<br />

Ein längerer Verbleib in suboptimalen Lebensräumen ist<br />

für Gams- wie auch Steinwild problematisch und führt<br />

zur Abnahme der Stückzahlen in einzelnen Populationen,<br />

zu einer erhöhten Krankheitsanfälligkeit (z.B. Endoparasitosen,<br />

Räude, Gamsblindheit) sowie zur Ausbildung<br />

kleinerer Rudel in bewaldeten Gebieten mit dem Nebeneffekt<br />

einer verlängerten Brunft und damit einer zusätzlichen<br />

Schwächung vor allem der Böcke. Weiters wird es<br />

zu einem möglichen Absinken mancher Populationen<br />

unter die sog. „kritische Bestandsgröße“ kommen und<br />

damit zu einer kurz- bis mittelfristigen Auflösung von<br />

Beständen sowie möglicherweise zu einer Inzuchtdepression<br />

infolge der „Verinselung“ von Populationen.<br />

Beispielhaft für einen u.a. mit Klimafaktoren zusammenhängenden<br />

Krankheitsausbruch sei ein aktueller Seuchenzug<br />

von Gamsblindheit (Infektiöse Keratokonjunktivitis)<br />

in den Niederen Tauern angeführt. Im Jahre 2006<br />

ereignete sich ein Seuchenzug in den Bezirken Murau,<br />

Judenburg und Liezen mit über 80 gemeldeten Fällen.<br />

Wenn man berücksichtigt, dass die Gamsblindheit überwiegend<br />

durch Fliegen übertragen wird und dass noch<br />

bis Ende November/Anfang Dezember 2006 Insekten<br />

selbst in höheren Regionen beobachtbar waren, wird klar,<br />

dass die infektionsgefährdete Zeit klimatisch bedingt<br />

deutlich verlängert war.<br />

Vorbeuge und Kontrolle<br />

Gemäß dem Spruch „Vorbeugen ist besser als Heilen“<br />

ist es möglich das Infektionsrisiko und den Infektionsdruck<br />

innerhalb von Wildtierpopulationen durch Verbesserung<br />

des Lebensraumes, Anpassung des Wildstandes<br />

an den Lebensraum und durch seuchensicheres Entfernen<br />

krankheitsverdächtiger oder kranker Tiere zu senken.<br />

Eine laufende Kontrolle der Wildtiergesundheit sollte<br />

über die regelmäßige Untersuchung von Fallwild und<br />

auch durch Stichprobenuntersuchungen bei Stücken ohne<br />

auffällige Krankheitssymptome erfolgen.<br />

Ebenfalls anzuraten wäre das Anlegen von Serumbanken.<br />

Eine intensive und fachkundige Auseinandersetzung der<br />

Jäger mit den Themen „Wildtiergesundheit“ sowie eine<br />

entsprechende Verantwortung für Wildpopulationen wird<br />

zukünftig eines der Hauptargumente für die Aufrechterhaltung<br />

der Jagd in annähernd gewohnter Art und Weise<br />

darstellen.<br />

Weitere Gründe für Lebensraumverluste<br />

Als weitere Gründe für Lebensraumverluste, besonders<br />

von Winterlebensräumen von Gamswild, sind Alm -<br />

erschließungen mit Wegenetzen, Jagddruck besonders in<br />

Wintereinständen, diverse Wintersportarten bei Tag und<br />

Nacht sowie auch die Konkurrenz zu anderen Wildarten<br />

(wie Stein- und Rotwild) zu nennen.<br />

Lebensraumverluste könnten sich regional auch aus dem<br />

Fehlen von alten Stücken (Geißen!) und damit Erfahrungsträgern<br />

ergeben, die in Beständen mit guter Altersstruktur<br />

Rudel sehr gezielt in geeignete Sommer- und<br />

Wintereinstände führen.<br />

Anschrift des Verfassers:<br />

OVR Univ. Doz. Dr. Armin Deutz, Bezirkshauptmannschaft<br />

Murau – Veterinärreferat, Bahnhofviertel 7,<br />

8850 Murau; E-Mail: armin.deutz@stmk.gv.at<br />

Verwendete Literatur:<br />

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34


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Fachgespräche, 30. Mai, Innsbruck, S. 3-4.<br />

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Ökologie, Krankheiten und Management. In: Z. Jagdwiss. 45, 148-149.<br />

Buchtipp:<br />

ISBN 978-3-7020-1331-8, Armin Deutz / Uschi<br />

Deutz: WILDKRANKHEITEN, HUNDEKRANK-<br />

HEITEN, ZOONOSEN – Erkennen, Vermeiden,<br />

(Be)Handeln; Leopold Stocker Verlag, Graz-<br />

Stuttgart, 264 Seiten, zahlreiche Farbabbildungen,<br />

16,5 x 22 cm, Hardcover; Preis: € 26,90<br />

GAMSWILD – LEBEN AUF DER KANTE 35


Mag. Gerald Muralt<br />

Gamswildbewirtschaftung in Kärnten<br />

Gamswild kommt in den gebir -<br />

gigen Regionen Kärntens flächendeckend<br />

vor. Die Tallagen und Tieflandbereiche<br />

beheimaten kein Gamswild.<br />

Die Jagdzeit dauert für alle<br />

Gamswildklassen (siehe Tab. 1.)<br />

von 1. August - 31. Dezember. Da<br />

die Kitzbejagung in Kärnten eine<br />

untergeordnete Rolle spielt, wird<br />

in weiterer Folge nicht näher darauf<br />

eingegangen.<br />

Die Entnahmezahlen von Gamswild<br />

stiegen – wie auch bei Reh- und<br />

Rotwild – bis Mitte der 70-er Jahre<br />

stark an, schwanken seitdem allerdings<br />

auf einem Niveau zwischen<br />

2500 und 3500 Stück (Abb.1.).<br />

Geschlecht<br />

Böcke<br />

Geißen<br />

Alter Jahre<br />

Kitz 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 ...<br />

Tab.1. Ersichtlich ist die Wildklassenzuteilung nach Geschlecht und Alter. blau = Kitzklasse,<br />

gelb = Klasse III (Jugendklasse), rot = Klasse II (Mittelklasse), grün = Klasse I (Ernteklasse).<br />

Abb.1. Ersichtlich sind die kärntenweiten jährlichen Gamswildabschüsse von 1951 – 2012.<br />

Analysiert man die Gamsabschussplanung wird deutlich,<br />

dass die Abschussplanzahlen seit dem Jahre 2003 kontinuierlich<br />

reduziert wurden, ohne dass dies direkte Auswirkungen<br />

auf die Abschusszahlen bzw. Erfüllung in den<br />

einzelnen Planperioden hatte. Die Abschussplanerfüllung<br />

lag in diesen Planperioden – mit Ausnahme der Planperiode<br />

9 (2011/2012), in der eine Abschussplanerfüllung<br />

von 83 % erreicht wurde – zwischen 60 % und 70 %.<br />

Bei eingehender Betrachtung der letzten 6 Jahre zeigt<br />

sich, dass in diesem Zeitraum rund 55 % aller erlegten<br />

Gamsböcke auf die Klasse III entfallen. Böcke der Klasse<br />

II machen in Summe 27 % aller erlegten Stücke aus. In<br />

die Klasse I fallen etwa 18 %. Nur circa 2 % aller erlegten<br />

Böcke erreichen ein Alter von mehr als 10 Jahren. Analysiert<br />

man das Abschussverhältnis von II-er zu I-er Böcken,<br />

zeigt sich, dass sich dieses von ursprünglich rund<br />

2:1 auf etwa 1,2:1 verbessert hat. Die Entnahmevorgaben<br />

der Abschussrichtlinie, 40 % III-er, 20 % II-er und 40 %<br />

I-er Böcke zu entnehmen, werden derzeit nicht erfüllt.<br />

Die Situation der Gamsgeißbewirtschaftung ist ähnlich:<br />

in den letzten 6 Jahren wurden rund 54,5 % III-er, 24 %<br />

II-er und 21,5 % I-er Stücke erlegt. Mit Einführung der<br />

Gamsgeißenklasse im Jahr 2007 konnte das Abschussverhältnis<br />

der II-er und I-er Geißen von fast 3:1 auf nahezu<br />

1,1:1 verbessert werden.<br />

Die Zuwachsrate des Gamswildes liegt – je nach Umweltsituation<br />

– bei etwa 10 – 20 % des Gesamtbestandes<br />

und damit weit unter dem Zuwachs von beispielsweise<br />

Rehwild (Zeiler, 2012). Ergeben sich hohe Bestandsverluste<br />

durch Räude, strenge Winter oder ähnliches, so<br />

muss die jagdliche Bewirtschaftung – sofern der Gamsbestand<br />

nicht dezimiert werden soll – entsprechend angepasst<br />

und die Bejagungsintensität zurückgenommen<br />

werden. Intensive Jagd kann nach Jahren mit hoher<br />

natürlicher Mortalität einen starken zusätzlichen populationsdezimierenden<br />

Faktor darstellen, der sich über<br />

mehrere Jahre negativ auswirken kann.<br />

36


Derzeit ist der Altersklassenaufbau – auf Grund des Fehlens<br />

einer entsprechenden Anzahl an älteren Stücken –<br />

sowohl bei Geißen vor allem aber bei Böcken aus wildbiologischer<br />

Sicht unbefriedigend. Gründe dafür sind<br />

unter anderem die starken jagdlichen Eingriffe in Jugendund<br />

Mittelklasse.<br />

Ältere Literatur geht von einer geringeren Lebenserwartung<br />

der Böcke aus (Schröder, 1971). Dieses Missverhältnis<br />

dürfte rein auf die jagdliche Bewirtschaftung –<br />

mit all ihren Konsequenzen – zurückzuführen sein.<br />

Mittlerweile belegen aktuelle Zählungen und Fallwild -<br />

daten aus unbejagten Beständen, zum Beispiel im<br />

Schweizer Nationalpark oder im Pyrenäen Nationalpark,<br />

dass sowohl das Geschlechterverhältnis als auch das Alter<br />

von Böcken und Geißen ausgeglichen ist (Corlatti et al,<br />

2012; Loison et al, 1999; Gonzalez & Crampe, 2001).<br />

Fehlen alte Böcke in einer Population bzw. ist der Bockanteil<br />

generell gering, nehmen junge Böcke verstärkt an<br />

der Brunft teil. Diesen Tieren fehlt oftmals der körper -<br />

liche Reifezustand. Damit kann die Brunft sie so stark<br />

schwächen, dass sie den Winter gar nicht überleben oder<br />

krankheitsanfälliger werden (Fuchs et al, 2000).<br />

Eine geringe Bockanzahl kann zudem die direkte Krankheitsübertragung<br />

erhöhen, da ein Bock eine höhere Anzahl<br />

an Geißen belegen muss und damit beispielsweise<br />

zu einer stärkeren Verbreitung von Räudemilben beitragen<br />

kann. Zudem kann die Brunft bei geringer Bock- und<br />

hoher Geißanzahl, durch Nachbrunft, in die Länge gezogen<br />

werden und sich damit noch energieaufwendiger<br />

gestalten (Fuchs et al, 2000). Durch diese – vor allem bei<br />

Beständen mit geringem Durchschnittsalter zum Tragen<br />

kommende Faktoren – ergibt sich eine negative Rückkoppelung<br />

in Bezug auf den Bestandsaufbau, wenn jagdlich<br />

stark in Jugend und Mittelklasse eingegriffen wird und<br />

durch Bejagung zusätzlich auch noch der, von Haus aus<br />

geringe, Anteil an alten Böcken dezimiert wird.<br />

Ein positives Beispiel einer erfolgreichen Gamswildbewirtschaftung<br />

in Kärnten stellt die Gamswildbewirtschaftungsgemeinschaft<br />

Petzen dar. Diese wurde 1997<br />

gegründet und umfasst die Nordseite des Petzenstockes<br />

mit einer Fläche von rund 9.500 ha. Seit 12 Jahren wird<br />

dort auf freiwilliger Basis kein II-er Gamsbock mehr frei<br />

gegeben und nimmt die jagdliche Bewirtschaftung auf<br />

die aktuelle Umweltsituation Rücksicht, wie beispielsweise<br />

im Jahr 2009, als, nach dem vorhergehenden strengen<br />

Winter, die Entnahme auf die Hälfte reduziert wurde.<br />

Das Ergebnis ist eine deutliche Zunahme alter Stücken.<br />

18-jährige Gamsgeißen oder 12 jährige I-er Böcke sind<br />

am Petzenstock mittlerweile keine Ausnahme mehr.<br />

Aus fachlicher Sicht sollte das Ziel der Gamswildbewirtschaftung<br />

in Kärnten eine Erhöhung des Gamsdurchschnittsalters<br />

sein. Dazu erscheinen folgende Punkte<br />

fachlich sinnvoll:<br />

1. In Bereichen, in denen es keine Wildschadensproblematik<br />

gibt, sollte die Entnahme der aktuellen Umweltsituation<br />

angepasst werden und in der Jugendklasse<br />

geringer ausfallen.<br />

2. Die Entnahme in der Mittelklasse muss reduziert werden.<br />

3. Hegegemeinschaften sind wichtige Instrumente für<br />

eine nachhaltige, großräumige Gamswildbewirtschaftung,<br />

da Abschussplanung auf Revierebene viel leichter<br />

zu einer Bestandsübernutzung führen kann.<br />

4. Der „Zusätzliche Abschuss“ ist ein hilfreiches Instrument<br />

für die nachhaltige Gamswildbewirtschaftung.<br />

Er darf allerdings nicht dazu dienen, generell verstärkt<br />

in die Jugendklasse einzugreifen. Durch den „Topf“<br />

kann in Jahren, in denen die Zuwachsraten hoch ausfallen,<br />

bei restriktiver Planung zusätzlich jagdlich eingegriffen<br />

werden.<br />

Literatur:<br />

A. Bocci, G. Canavese, S. Lovari, 2010, Even mortality patterns of<br />

the two sexes in a polygynous, near-monomorphic species: is there<br />

a flaw, J. Zool. Lond., 280, pp. 379–386<br />

K. Fuchs, A. Deutz & G. Gressmann, 2000, Detection of space-time<br />

clusters and epidemiological examinations of scabies in chamois,<br />

Veterinary Parasitology 92, pp. 63–73<br />

G. Gonzalez, J.-P. Crampe, 2001, Mortality patterns in a protected population<br />

of isards (Rupicapra pyrenaica), Can. J. Zool., 79, pp. 2072-2079<br />

A. Loison, M. Festa-Bianchet, J.-M. Gaillard, J.T. Jorgenson, J.-M. Jullien,<br />

1999, Age-specific survival in five populations of ungulates: evidence<br />

of senescence, Ecology, 80, pp. 2539–2554<br />

W. Schröder, 1971, Untersuchungen zur Ökologie des Gamswildes<br />

(Rupicapra rupicapra) in einem Vorkommen der Alpen, Z. f. Jagdwissensch.,<br />

17, pp. 114–166<br />

H. Zeiler, 2012, Gams, Österreichischer Jagd und Fischerei Verlag<br />

GAMSWILD – LEBEN AUF DER KANTE 37


Klaus Eisank<br />

Gamswild – Hauptwildart in den Hohen Tauern<br />

Bestandszahlen von Wildtieren unterliegen meist einer<br />

groben Schätzung oder beruhen auf einer Hochrechnung<br />

von Abschusszahlen. Schwierig ist eine Angabe genauer<br />

Bestandszahlen jedenfalls. Nur langjährige Zählungen,<br />

die einen ganzen Gebirgsstock umfassen, führen zum<br />

Erfolg und zu mehr oder weniger genauen Zahlen.<br />

Ich schätze den Gamsbestand im Schutzgebiet des<br />

Nationalparks auf Kärntner Seite mit ca. 3.000 Tieren.<br />

In den vom Kärntner Nationalparkfonds gepachteten<br />

Revieren kann ich den Bestand unseren Zählungen zufolge<br />

mit 1.200 Stück beziffern.<br />

Eine der längsten Datenreihen haben wir für das Revier<br />

„Lassacher Alpe“ im Mallnitzer Seebachtal. Seit 1994<br />

werden jedes Jahr um die gleiche Zeit (Anfang Juli) und<br />

mit enormen Aufwand Gams gezählt. Dabei wird das<br />

2.250 ha große Revier in 5 Zählbereiche geteilt, um<br />

Doppel zählungen zu vermeiden. Für jeden Bereich<br />

braucht es ein Zählteam bestehend aus 2 Personen,<br />

wovon eine gut im „Ansprechen“ von Gamswild sein<br />

muss. Gezählt wird immer am 1. Tag nachmittags und<br />

am 2. Tag vormittags. Die Unterscheidung in Böcke,<br />

Geißen, Jahrlinge und Kitze ist wichtig.<br />

Wind und Wetter können das Zählergebnis stark beeinflussen,<br />

ebenso wie Wanderer, die die hochalpinen Steige<br />

benützen. Da es sich bei dem Revier um einen Talschluss<br />

handelt, weicht das Gamswild manchmal über die Grate<br />

auf die andere Seite des Gebirgsstockes aus. Lästig sind<br />

auch die großen Latschenfelder, die an heißen Tagen die<br />

Zählung beeinflussen. Wichtig ist die Festlegung des<br />

Zähltermins immer vor dem Auftrieb der Schafe und<br />

Ziegen durch die Almbauern.<br />

Aus langjährigen Datenreihen lassen sich Trends sehr gut<br />

erkennen und gleichen die Probleme bei den Bestandszählungen<br />

aus. Allein die Vergleiche zwischen dem diesjährigen<br />

Kitzbestand und nächstjährigen Jahrlingsbestand<br />

zeigen die Mortalitätsrate der Kitze im ersten Jahr. Wenn<br />

man auch die Wetterdaten einfließen lässt, weiß man, was<br />

ein langer, kalter und schneereicher Winter anrichten<br />

kann. Vergleicht man die Geißenzahl mit den Kitzzahlen,<br />

erfährt man viel über die Geburtenraten und wie viel Prozent<br />

des Geißenbestandes für Nachwuchs sorgt. Auch das<br />

Geschlechterverhältnis lässt sich aus den Datenreihen ablesen,<br />

obwohl die Bockzahlen vielfach unter jenen der<br />

Geißen liegen. Böcke sind zum Zähltermin Anfang Juli<br />

schon sehr heimlich und verlassen ihre Einstände in den<br />

Latschenfeldern sehr selten.<br />

38


Ein Trend ist aber unschwer zu erkennen: Die Bestandszahlen<br />

sind seit 6 Jahren rückläufig, obwohl im Revier<br />

der Abschuss von 40 Stück Gamswild pro Jahr auf<br />

6 Stück reduziert wurde und dieser Abschuss nur mehr<br />

auf 10 % der Revierfläche getätigt wird. Das Warum lässt<br />

sich nur vermuten – eventuell die strengen Winter in den<br />

letzten Jahren, eventuell eine Übersättigung des Lebensraums,<br />

der mit 17 Stück Gamswild pro 100 ha voll ist,<br />

eventuell verlassen junge Böcke das Revier infolge eines<br />

geänderten Altersaufbaus. Aber die Zahlen zeigen den<br />

Bestandsrückgang eindeutig. Ob dieser Trend anhält,<br />

wird die Zukunft weisen.<br />

Was den Wildhütern durch die geänderten Bedingungen<br />

im Nationalparkrevier noch aufgefallen ist:<br />

• Die Verteilung der Gams im Revier hat sich geändert.<br />

Wurden noch in den 1990er Jahren viele Tiere im hintersten<br />

Seebachtal angetroffen – ein karger aber sicherer<br />

Lebensraum unterhalb des Gletschers – findet man<br />

sie heute dort sehr selten. Sie nutzen viel mehr die<br />

optimalen Gamsbiotope in den großen Karen „Trom“,<br />

„Pleschischg“ und „Noisternig“.<br />

• Die Rudelgröße hat sich verkleinert. Zählte man früher<br />

bis zu 180 Stück Gams im Rudel, sind heute nur mehr<br />

50 Stück zu sehen, die sich die optimalen Lebensräume<br />

im Revier aufteilen.<br />

• Die Fluchtdistanz ist nach wie vor über 300 m und hat<br />

sich gegenüber früheren Zeiten nicht geändert. Die<br />

Beobachtbarkeit von Gamswild hat aber zugenommen,<br />

da die extremen Lebensräume, welche auch für den<br />

Menschen schwer zu erreichen sind, nicht mehr beansprucht<br />

werden.<br />

• Typische Bockreviere durch das Vorhandensein von<br />

alten, reifen Gamsböcken können in der Brunft wieder<br />

beobachtet werden. Auch das Brunftgeschehen ist<br />

damit sehr viel ruhiger und entspannter, denn die atemberaubenden<br />

Hetzjagden zwischen den gleichaltrigen<br />

Böcken sind nur mehr selten zu beobachten.<br />

Die Kärntner Nationalparkreviere sind prädestiniert für<br />

Forschungsprojekte und Langzeitbeobachtungen, denn<br />

sie werden von hauptberuflichen Wildhütern betreut und<br />

unterliegen keinem wirtschaftlichen Druck. Auch funktioniert<br />

die Zusammenarbeit mit der örtlichen Jägerschaft<br />

bestens, weshalb ein Pilotprojekt „Gams“ im Hegering<br />

Heiligenblut gestartet werden soll, das erstens den Gamsbestand<br />

im gesamten Hegering erheben wird, auch<br />

außerhalb der Nationalparkreviere, und zweitens das<br />

Raumverhalten des Gamswildes beleuchten soll. Allein<br />

für die Zählung des Gamsbestandes müssen alle Jäger<br />

und Jägerinnen im Hegering Heiligenblut mitarbeiten um<br />

die gesamte Fläche von über 19.000 ha zu erfassen.<br />

Spannend werden die nächsten 4 Jahre in Heiligenblut<br />

allemal!<br />

GAMSWILD – LEBEN AUF DER KANTE 39


Dr. Peter Meile<br />

Jagddruck auf Gamswild<br />

Beispiele aus der Schweiz und Bayern<br />

Gams sind eine langlebige Wildart mit einer verzögerten<br />

Jugendentwicklung bei den Böcken. Die Lang -<br />

lebigkeit ist eine Strategie, um allfällige Verluste in der<br />

harten Umwelt (z.B. langer Winter, hoher Schnee und<br />

Harsch, besonders nasser oder trockener Sommer,<br />

Seuchen) durch erfolgreichere spätere Kitzjahrgänge<br />

wettzumachen.<br />

Bevor die Böcke – bei einem halbwegs naturnahen Bestandesaufbau<br />

– erfolgreich an der Brunft teilnehmen,<br />

beweisen sie fünf oder sechs Jahre lang ihre Über -<br />

lebensfähigkeit und entwickeln „Umgangsformen“, die<br />

nicht bei jeder Auseinandersetzung unter Rivalen zu<br />

einem Beschädigungskampf führen. Sie brauchen also<br />

Zeit, um körperlich, physiologisch und auch psychisch<br />

heranzureifen. Unsere Arbeiten aus den 70-er Jahren<br />

haben die Bedeutung einer artgemäßen sozialen Organisation<br />

deutlich aufgezeigt (MEILE & BUBENIK).<br />

Heute, wo die Verhältnisse und Unterschiede zwischen<br />

Mensch und Tier schon aus eigenem Interesse immer<br />

gründlicher in Frage gestellt werden, haben wir auch<br />

zu beantworten, warum es erlaubt sein sollte, in ge -<br />

wissen Gamspopulationen kaum mehr einen Bock von<br />

mehr als 6 Jahren überleben zu lassen, obwohl Böcke<br />

doch leicht bis ins Alter von 14 Jahren aktiv an der<br />

Reproduktion teilnehmen können und auch 17 oder gar<br />

18 Jahre alt werden könnten.<br />

Graubünden<br />

Auch in Graubünden so wie eigentlich in allen Alpenländern<br />

herrschte das traditionelle Bild des „Gamsbock-Jägers“<br />

über lange Zeit vor. Der Abschuss von<br />

Jährlingen und Junggams war teils verpönt, teils verboten.<br />

Es zählte nur der Gamsbock.<br />

Die Konsequenzen waren:<br />

• hohe, wachsende, aber unstabile Bestände<br />

• schwaches Wild<br />

• kaum noch mittelalte Böcke<br />

• Regulation der Bestände nicht mehr möglich<br />

• Wildschäden<br />

1990 wurde durch das Amt für Jagd schrittweise ein<br />

neues Bejagungskonzept eingeführt, das sich auf<br />

gründ lich erhobene Zahlen stützte: Streckenanalyse,<br />

Wildzählung und Wildverteilung.<br />

Durch die Forderung „Geiß vor dem Bock erlegen“ und<br />

durch eine Feinabstimmung der Lenkung des Jagd -<br />

druckes auf schwächeres Wild und auf Wild, das ganzjährig<br />

im Waldbereich unter einer bestimmten<br />

Höhenlinie lebt, wurden in wenigen Jahren erstaunliche<br />

Verbesserungen erreicht.<br />

Die Altersstrukturen und das Zahlenverhältnis der<br />

Geschlechter wurden sehr naturnah, es gibt genügend<br />

ältere, erfahrene Tiere in beiden Geschlechtern, die<br />

Anzahl alter und sehr starker Trophäenträger hat<br />

gleichzeitig über Erwarten zugenommen, was zwar<br />

nicht dem Biologen, aber dem Jäger umso wichtiger ist.<br />

St. Gallen<br />

Das Argument, solche Erfolge ließen sich nur in einem<br />

staatlich stark kontrollierten Lizenzjagdsystem erzielen,<br />

wird durch die Erfahrungen mit einer 1989 auf<br />

privater Basis gegründeten Gams-Hegegemeinschaft<br />

von drei Jagdrevieren widerlegt.<br />

Hier standen wir vor denselben Problemen wie in<br />

Graubünden. Die getroffenen Maßnahmen gelten für<br />

eine zusammenhängende Gamspopulation auf 3000 ha.<br />

Anfänglich weitestgehender Schutz der Böcke, sehr<br />

starke Eingriffe in die Jugendklasse, leichte Reduktion.<br />

Jeden August wurden die Gams in allen Gelände -<br />

kammern gleichzeitig gezählt und dabei zu etwa 80 bis<br />

85 % erfasst. Es wurde ein gemeinsamer Abschussplan<br />

erstellt und alle Trophäen im Winter an einem gemeinsamen<br />

Anlass vorgestellt (Streckenanalyse).<br />

Nach dem verlustreichen Winter 1999 haben einerseits<br />

Seuchenzüge (Blindheit, Pasteurellose) und wiederholte<br />

strenge Winter den Bestand viel stärker beeinflusst,<br />

als die Jagd. Dennoch wird der Abschuss<br />

schwachen Jungwildes und der Schutz mittelalter Tiere<br />

40


weiter gepflegt, und es werden jedes Jahr eine erstaunlich<br />

hohe Zahl an sehr alten Böcken, aber auch Geißen<br />

erlegt. Die Körpergewichte sind höher. Die Brunft ist<br />

Ende November vorbei, dann äsen die Böcke friedlich<br />

und gemeinsam.<br />

Bayern<br />

Aus dem Landkreis Garmisch-Partenkirchen werden<br />

die Abschusszahlen von zwei Gebieten vorgeführt:<br />

die Reviere der Bayerischen Staatsforste einerseits, und<br />

die Privatreviere (Jagdgenossenschaften und Eigenjagden)<br />

andererseits.<br />

Hier wird sehr großer Wert auf die zeitnahe Verjüngung<br />

der Bergwälder gelegt, die auch hier hohe Schutzfunktionen<br />

zu erfüllen haben. Eine Wildzählung erfolgt<br />

nirgends, eine Streckenanalyse auch nicht. Es werden<br />

in beiden Gebieten sehr viel mehr Böcke als Geißen<br />

erlegt (Staatsforste: doppelt so viele; Privatreviere<br />

1,5-mal so viele), dementsprechend ist die Lebenserwartung<br />

der Böcke sehr viel geringer und liegt fast<br />

immer unter dem vollen Erwachsenen-Alter.<br />

Die wichtige Funktion reifer Böcke, die Brunft-, bzw.<br />

Winterrudel in kleinere Einheiten aufzuteilen, fällt aus.<br />

Die Reproduktion und die Besiedelung tieferer Lagen<br />

sind ungebremst. Der Jagdbehörde, den Revieren wie<br />

auch den Bayerischen Staatsforsten fehlt eine Unterstützung<br />

und Kontrolle durch Wildtierbiologen mit<br />

Erfahrung im Umgang mit Mensch und Gams.<br />

Schluss<br />

Das Gamswild kann mithilfe ganz gewöhnlicher Jagdausübender<br />

wildbiologisch und ethisch korrekt reguliert<br />

werden, ohne dass die soziale Organisation, das<br />

Geschlechterverhältnis und der Altersaufbau darunter<br />

leiden. Dies ist sowohl im Lizenz- wie auch im Revierjagdsystem<br />

möglich. Ein der Revierstruktur angepasstes<br />

Zählverfahren und eine alljährliche Streckenanalyse<br />

sind Voraussetzung.<br />

Mit einfachen Regeln ist es möglich, den Jagddruck auf<br />

bestimmte Waldgebiete und auf schwächere Tiere zu<br />

lenken und die Ausbreitung der Gams im reinen Waldbereich<br />

zu begrenzen. Die Jagd soll aber kurz sein, vertrautes<br />

Wild lässt sich besser überwachen und erfassen<br />

und es macht weniger Schaden.<br />

Im selben Sinne wirkt eine Regelung des Touristen -<br />

stromes in den Gamslebensräumen. Die bisherigen<br />

positiven Erfahrungen einer wildbiologisch ausgerichteten<br />

Gamsjagd in vielen Teilen der Alpen könnten<br />

immerhin als Hilfe dienen für alle jene Gebiete und<br />

Bezirke, in welchen die Verminderung des Verbiss -<br />

druckes durch Gams ernsthaft ein Anliegen ist, während<br />

ihre einseitige – und gewiss auch ethisch zu<br />

hinterfragende – Bockbejagung die Verhältnisse verschlimmert,<br />

statt verbessert.<br />

GAMSWILD – LEBEN AUF DER KANTE 41


Hubert Schatz<br />

Die Situation des Gamswildes in Vorarlberg<br />

Der Gams gehört zu den ältesten und ursprünglichsten<br />

Wildarten Vorarlbergs. Der hohe Gebirgsanteil, steile<br />

von Fels durchsetzte Bergwälder sowie urige Tobel und<br />

Schluchten entlang der Gebirgsflüsse bieten dieser<br />

Wildart grundsätzlich günstige Lebensraumvoraussetzungen<br />

im Land. Die Schutzwaldproblematik und<br />

damit zusammenhängenden Sanierungsmaßnahmen,<br />

Lawinenverbauungen in den Zentren der Gamsbiotope<br />

sowie die stets wachsende Nachfrage zur Nutzung<br />

alpiner Gebiete aus Tourismus und Freizeit und nicht<br />

zuletzt die zunehmende Technisierung der Jagd bringen<br />

den Gams jedoch immer mehr in Bedrängnis.<br />

Vorarlberg umfasst eine Größe von ca. 2.600 km² und<br />

erstreckt sich von 397m bis 3.312m Seehöhe. 41 % der<br />

Landesfläche liegen über 1.500m Seehöhe, lediglich<br />

16 % über 2.000m.<br />

Auf Grund der für Vorarlberg typischen 3-Stufenbeweidung<br />

in der Viehwirtschaft herrscht jedoch eine auffallende<br />

Verzahnung von Hochlagen, Weideflächen und<br />

Wald vor, so dass lediglich 37 % des Landes Wald sind.<br />

Den Schwerpunkt des Gamsvorkommens stellen landschaftsbedingt<br />

die mittleren und südlichen Landesteile<br />

dar. Jahresniederschläge von bis zu 2.500 mm, Schneehöhen<br />

von mehreren Metern, kaum freigewehte Flächen<br />

in den Hochlagen sowie eine lang anhaltende<br />

Schneedeckendauer bringen die Bedeutung bzw.<br />

Attraktivität des Gebirgswaldes bzw. der Waldkrone als<br />

unverzichtbarer Überlebensraum für das Gamswild<br />

während extremer Witterungsverhältnisse im Winter in<br />

vielen Regionen des Landes klar zum Ausdruck.<br />

Schutzwald und Gams<br />

Dieser Tatsache stehen die Forderungen zur starken<br />

Reduktion des Gamswildaufenthaltes im Wald von<br />

Forstbehörde sowie Wildbach- und Lawinenverbauung<br />

oft widersprüchlich gegenüber. Neben der Erhöhung<br />

der Mindestabschüsse in den betroffenen Jagdrevieren<br />

müssen zur Unterstützung der waldbaulichen Maß -<br />

nahmen in den Schutzwaldgebieten Abschussaufträge,<br />

Aufhebung von Schonzeiten und Altersklassen oder die<br />

Freihaltung von Gamswild als gesetzliche Schwerpunktbejagung<br />

von der Behörde verordnet werden.<br />

Ca. 1/3 des landesweiten Gamsabschusses erfolgt als<br />

sogenannter Schadwildabschuss.<br />

6.000 ha Wildruhezonen<br />

Während diese Sondermaßnahmen dem Gams im Wald<br />

ans Leben gehen, beeinflussen Tourismus und Freizeitaktivitäten<br />

in den Hochlagen die Lebensqualität des<br />

Gamswildes immer mehr.<br />

Die jährlichen Tourismuskennzahlen, wie 8 Millionen<br />

Nächtigungen, 100 Millionen Personenhöhenmeter<br />

Aufstiegskapazität der Seilbahnen sowie ein zusätz -<br />

lich intensiver Tagesausflugsverkehr von Schitourengehern,<br />

Wanderern, Paragleitern etc. verdeutlichen den<br />

mensch lichen Druck auf den Gamslebensraum.<br />

Beispielsweise wäre das Paragleiten und Drachen -<br />

fliegen ohne Seilbahnen, wenn überhaupt, wohl nur in<br />

sehr begrenztem Ausmaß vorhanden. Hingegen werden<br />

gegenwärtig zahlreiche Gamsregionen auch weit abseits<br />

von Aufstiegshilfen in Folge sich stets ausweitender<br />

Aktionsradien der Gleiter als auch von neuen<br />

Trend- und Outdoor Sportarten, wie Freeriding und<br />

Singlecross negativ beeinflusst. Ein Ausweichen der<br />

Tiere in den schutzbietenden Wald ist häufig die Folge.<br />

Gesetzlich angeordnete Wildruhezonen nach dem Jagdgesetz,<br />

Naturschutzgebiete mit Wegegebot sowie die<br />

Aufklärungs- und Informationskampagne „Respektiere<br />

deine Grenzen“ stehen als Lenkungs- und somit<br />

Schutzmaßnahmen für das Wild zur Verfügung.<br />

Neben zahlreichen freiwilligen Ruhegebieten sind<br />

derzeit ca. 6.000 ha als behördliche Schutzzonen<br />

ausgewiesen.<br />

42


Gamswildräume als großräumige<br />

Bewirtschaftungseinheiten<br />

Neben Tourismus, Freizeit und Erholung spielt die Jagd<br />

als Ausfluss von Besitz an Grund und Boden (Reviersystem)<br />

eine maßgebliche Rolle im Umgang mit dem<br />

Gamswild. Mindestens 115 ha zusammenhängende<br />

Eigentumsfläche sind für die Erlangung des Eigenjagdstatus<br />

sowie 300 ha für die Ausweisung als Genossenschaftsjagd<br />

notwendig.<br />

Auf Grund der vorherrschende Kleinbesitzstruktur<br />

sowie traditionellen Landbewirtschaftung überwiegen<br />

bei den insgesamt 490 Jagdrevieren im Land kleine<br />

Eigenjagden, die sich hauptsächlich in den Hochlagen<br />

und somit in den bevorzugten Lebensräumen der Gams<br />

befinden, was für die Bewirtschaftung dieser Wildart<br />

nicht gerade förderlich ist.<br />

Durch die räumliche Festlegung von Gamswildräumen<br />

wird versucht, die Bewirtschaftung des Gamswildes<br />

großräumig bzw. revierübergreifend durchzuführen.<br />

Als Basis für die räumliche Abgrenzung der 13 im<br />

Land ausgeschiedenen Gamsräume dienten Gebirgs -<br />

stöcke mit zusammenhängenden Gamsbeständen.<br />

Bestandeserhebungen auf Populationsebene<br />

Die Gamswildräume gelten als großräumige Planungs-,<br />

Bewirtschaftungs- und Kontrolleinheiten im heimischen<br />

Wildtiermanagement. So werden beispielsweise<br />

Populationserhebungen lediglich auf Ebene des Gamswildraumes<br />

durchgeführt. Die erhobenen Zahlen in den<br />

einzelnen Revieren bzw. Zählgebieten haben keine<br />

Bedeutung für die Abschusszuteilung auf die Jagd -<br />

gebiete, was zur Objektivierung der Zählergebnisse<br />

beiträgt. Die Gamszählungen erfolgen in der Regel<br />

Mitte Oktober. In Waldgebieten werden keine Erhebungen<br />

durchgeführt. Die sehr einfache Zählmethode<br />

unterteilt nach Kitz, Jährling, Bock, Geiß und un -<br />

bestimmbares Stück hat sich dabei sehr bewährt.<br />

Entgegen zahlreichen Vermutungen hat die Bestandserhebung<br />

im Herbst 2012 mit einer Gesamtzahl von<br />

11.951 Stücken eine Zunahme des landesweiten Gamswildbestandes<br />

von mehr als 700 Stücken gegenüber der<br />

letzten Vollerhebung im Jahr 2007 ergeben, was vor<br />

allem auf die schonende Bejagung in den vergangenen<br />

Jahren zurückzuführen ist.<br />

Abschussentwicklung, Abschussstruktur<br />

Neben der Populationsdichte wird bei der Abschussplanung<br />

vor allem der langjährigen Entwicklung der<br />

Abschussstruktur (Höhe, Geschlecht, Altersverteilung)<br />

in den einzelnen Gamswildräumen eine maßgebliche<br />

Bedeutung beigemessen.<br />

Die Abschusskurve zeigt seit 1988 einen wellenförmigen,<br />

aber kontinuierlich abnehmenden Verlauf. Die Waldsterbensdebatte<br />

in den 1980er Jahren, das Inkrafttreten<br />

des Jagdgesetzes 1988 mit den neuen Instrumenten<br />

Mindestabschuss, Abschussauftrag und Freihaltung<br />

sowie die bewusste Einschränkung von Abschuss -<br />

freigaben in den vergangenen 10 Jahren sind dabei klar<br />

ersichtlich.<br />

Auf die Abschussstruktur wirken sich die schutzwaldbedingten<br />

Anordnungen von Freihaltungen und Abschussaufträge<br />

besonders aus. So wurden in den<br />

vergangenen 6 Jahren 23 % der Geißenabschüsse und<br />

51 % aller Bockabschüsse als sogenannte „Schadwildabschüsse“<br />

gemeldet. Gerade bei den Böcken resultiert<br />

daraus ein starker Eingriff in die Jugend- und Mittelklasse,<br />

was den Anteil von Böcken der Klasse I von<br />

durchschnittlich 50 % aus Normalabschüssen auf 33 %<br />

der Gesamtabschüsse reduziert.<br />

Diese intensiven Eingriffe in die jungen Altersklassen<br />

machen sich im Laufe der Jahre in der Altersentwicklung<br />

stark bemerkbar. So konnten bei den heurigen<br />

Hegeschauen nur 20 Bock-, hingegen 112 Geißtrophäen<br />

mit einem Alter von mindestens 12 Jahren beurteilt<br />

werden.<br />

GAMSWILD – LEBEN AUF DER KANTE 43


DIE SITUATION DES GAMSWILDES IN VORARLBERG<br />

Großreviere als Gamsreservoire<br />

Sowohl die quantitative als auch qualitative Beurteilung<br />

der Gamsabschüsse im Land Vorarlberg lassen<br />

einen recht deutlichen Zusammenhang zwischen<br />

Reviergröße und Vorkommen bzw. jagdliche Nutzung<br />

anderer Schalenwildarten erkennen.<br />

Dabei zeigt sich, dass große Reviere mit höheren Rotwilddichten<br />

trotz überwiegend guter Gamsbestände<br />

eine zahlenmäßig wesentlich geringere Abschöpfungsquote<br />

erfüllen als viele Kleinreviere. Den großen Jagdgebieten<br />

kommt somit eine wichtige Reservefunktion<br />

zur Kompensation der teilweise extrem hohen und vor<br />

allem qualitativ unausgewogenen Abschüssen in den<br />

Schutzwaldgebieten zu.<br />

Gesundes Gamswild<br />

Bezüglich des Gesundheitszustandes vom Gamswild in<br />

Vorarlberg ist zu erwähnen, dass mit Ausnahme der<br />

Gamsblindheit (IKK), welche in den 1990er Jahren<br />

einige Gamsräume seuchenhaft erfasst hat und seither<br />

endemisch in einzelnen Populationen verblieben ist,<br />

kein Auftreten von schwerwiegenden Krankheiten<br />

gegeben ist. Gottlob blieb das Land bis heute auch frei<br />

von Räude.<br />

In diesem Zusammenhang muss aber erwähnt werden,<br />

dass wir über kein permanentes bzw. systematisches<br />

Gesundheitserhebungssystem beim Gamswild verfügen.<br />

Beispielsweise ist das Vorkommen des Lungenwurmes<br />

aus einigen Gebieten bekannt. Eine dies bezügliche Verbreitungskarte<br />

oder Verbreitungsentwicklung liegt<br />

leider nicht vor.<br />

Ausblick<br />

Die Zukunft des Gamswildes wird in Vorarlberg im<br />

Wesentlichen davon abhängig sein, welchen Stellenwert<br />

bzw. biologische Bedeutung wir dieser Wildart in<br />

unserem Gebirgsökosystem, trotz Schutzwaldbewirtschaftung,<br />

Tourismus und Freizeitwirtschaft künftig<br />

entgegenbringen werden.<br />

Eine artgerechte Gamswildbejagung ist nur möglich,<br />

wenn wir dieser Wildart eine entsprechende Toleranz<br />

in seiner natürlichen Raumnutzung zugestehen. Ein<br />

großes Fragezeichen stellt die Entwicklung und Einstellung<br />

der Jagd bzw. des Jägers zum Gams selbst dar.<br />

Rascher Jagderfolg unter höchst möglichen Einsatz von<br />

Technik, insbesondere in Bezug auf die permanente<br />

Erreichbarkeit der Hochlagenreviere mit hochmodernen<br />

Gelände- und Schneefahrzeugen sowie die weitere<br />

Perfektionierung von Weitschusswaffen lassen keine<br />

gedeihliche Aussichten erwarten.<br />

Lediglich durch das umfassende Begreifen, dass es sich<br />

beim Gams um ein schützenswertes „Naturgut“ bzw.<br />

„Naturerbe“ handelt, dürfte ein entsprechendes Umdenken<br />

in den Köpfen von statten gehen.<br />

Bis dahin wird aber mit Sicherheit noch viel Wasser<br />

in den Bodensee rinnen und so mancher Gams zur<br />

Förderung des Schutzwaldes gestreckt werden.<br />

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