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<strong>Lilienberg</strong> –<br />

Die Zeitschrift für lebendiges<br />

Unternehmertum<br />

Nummer 36 / Januar 2014


3<br />

PRäsidial<br />

4 Dr. h.c. Walter Reist: Mein Symbol<br />

als Organisationsdarstellung im<br />

Vergleich mit einem Organigramm<br />

Gedanken<br />

6 Christoph Vollenweider:<br />

<strong>Lilienberg</strong> intensiviert Beziehungen<br />

zum süddeutschen Raum<br />

7 Daniel Anderes: Das Gestern ist<br />

fort – das Morgen noch nicht da<br />

8 Ständerätin Brigitte Häberli-Koller:<br />

Politik zwischen Anmassung und<br />

Anpassung<br />

Begegnung<br />

10 Junge Weissrussin verzaubert das<br />

Publikum am Konzertflügel<br />

Gespräch<br />

12 Bundesrat Dr. Alain Berset:<br />

«Nur Gesamtpakete finden<br />

Mehrheiten im Volk»<br />

16 Dr. Rolf Soiron: «Viele Firmenchefs<br />

sind unsicherer, als man meint»<br />

18 Andreas Meyer: Immer mehr<br />

Pendler: Die SBB stehen vor<br />

grossen Herausforderungen<br />

20 Cyberwar – eine Bedrohung für<br />

Wirtschaft und Gesellschaft<br />

22 Verschlüsselung schützt vor<br />

Datenspionage<br />

24 Die vielfältigen Perspektiven einer<br />

«10-Millionen-Schweiz»<br />

28 Sorge um die Unabhängigkeit der<br />

Europäischen Zentralbank<br />

30 Kultur überwindet Grenzen<br />

32 Genossenschaften – die heimliche<br />

Macht im Land<br />

34 Die Schweiz ist mit dem starken<br />

Bevölkerungswachstum überfordert<br />

36 Jugend 2030: leistungsbereit<br />

im Beruf, aber auch aktiv in der<br />

Freizeit<br />

38 Die Wirtschaft verlangt nach<br />

immer höher qualifizierten<br />

Berufsleuten<br />

Bildung<br />

40 Der Politik fehlt das Auge<br />

für globale Zusammenhänge<br />

In eigener Sache<br />

42 <strong>Lilienberg</strong>: eine doppelt offene<br />

Institution<br />

<strong>Lilienberg</strong> –<br />

Die Zeitschrift für lebendiges<br />

Unternehmertum<br />

Nummer 36 / Januar 2014<br />

© Stiftung <strong>Lilienberg</strong> Unternehmerforum, Ermatingen<br />

Herausgeberin<br />

Stiftung <strong>Lilienberg</strong><br />

Unternehmerforum<br />

CH-8272 Ermatingen<br />

Telefon +41 71 663 23 23<br />

Fax +41 71 663 23 24<br />

info@lilienberg.ch<br />

www.lilienberg.ch<br />

Redaktion Stefan Bachofen<br />

Bilder Andreas Burkhard,<br />

Michael Burkhard, Bruno Fuchs<br />

Angela Schiavone.<br />

Layout Alinéa AG, Wetzikon<br />

Druck pmc, Oetwil am See


4<br />

Präsidial<br />

Von Walter Reist*<br />

Mein Symbol als Organisationsdarstellung<br />

im Vergleich mit einem Organigramm<br />

In der letzten Ausgabe der «<strong>Lilienberg</strong><br />

Zeitschrift» habe ich über den Aufbau<br />

meiner <strong>Lilienberg</strong> Gesprächstage geschrieben.<br />

Auf der gegenüberliegenden<br />

Seite wurde oberhalb der Darstellung des<br />

Unternehmertums leider ein falsches Bild<br />

eingepflegt. Denn an jener Stelle hätte<br />

eigentlich das Symbol abgebildet werden<br />

sollen. Demzufolge präsentiere ich Ihnen<br />

heute nun die gesamte Darstellung, inklusive<br />

Symbol. Nach dem Symbol sind<br />

bekanntlich auch die vier unternehmerischen<br />

Fragen (Was macht Sinn?, Was<br />

macht Spass?, Was macht stark?, Was<br />

lohnt sich?) ausgerichtet, die ich in meinem<br />

Artikel in der letzten Ausgabe der<br />

«<strong>Lilienberg</strong> Zeitschrift» im Detail beschrieben<br />

hatte.<br />

Entscheide, beeinflusst aus allen unternehmerischen<br />

Richtungen, wobei die<br />

Ziele in menschlicher, sachlicher und wirtschaftlicher<br />

Hinsicht festgelegt werden.<br />

Der Reifen, der das Führungsteam darstellt,<br />

ist dafür verantwortlich, dass die<br />

formulierten Ziele erreicht werden. Die<br />

Ziele sind dabei als konkrete Aufgaben<br />

formuliert. Dem Ring sind die Ausführenden,<br />

also die Mitarbeitenden, zugeordnet,<br />

welche die Entscheidungen in die Tat<br />

umsetzen. Das heisst, dass der einzelne<br />

Mitarbeiter nicht einfach das unterste<br />

Viereck wie in einem Organigramm ist.<br />

Vielmehr fühlt sich der Mitarbeiter gemäss<br />

der Darstellung mit meinem Symbol<br />

als wichtiges Glied in der Organisation<br />

des Unternehmens.<br />

Interesse am <strong>Lilienberg</strong><br />

Unternehmertum wecken<br />

In der nebenstehenden Beschreibung<br />

zum Symbol sind die Fragestellungen und<br />

Klarstellungen des Unternehmertums<br />

und des unternehmerischen Wirkens dargestellt.Mit<br />

diesem revidierten Überblick<br />

wünsche ich mir von Ihnen ein gutes Verständnis<br />

und Einfühlungsvermögen für<br />

das <strong>Lilienberg</strong> Unternehmertum. Zugleich<br />

möchte ich Ihr Interesse wecken, an unternehmerischen<br />

Gesprächen, an bildenden<br />

Gesprächen und an <strong>Lilienberg</strong> Gesprächstagen<br />

teilzunehmen. Ich bin<br />

überzeugt: Sie werden alle begeistert<br />

sein.<br />

Mit froher Zuversicht<br />

Ihr Walter Reist<br />

Von innen nach aussen<br />

statt von oben nach unten<br />

Im Symbol werden nach technischer Darstellung<br />

die organisatorischen Belange<br />

von innen nach aussen statt wie in einem<br />

Organigramm von oben nach unten abgebildet.<br />

Das Symbol gilt es nicht als Rad<br />

zu bezeichnen, sondern als technischen<br />

Ausdruck: Die Kugel in der Mitte verkörpert<br />

die Führung und Verantwortung<br />

eines Unternehmens, einer Institution<br />

oder einer Organisation. Hier fallen die<br />

*Dr. h.c. Walter Reist ist Gründer<br />

und Präsident der Stiftung <strong>Lilienberg</strong><br />

Unternehmerforum


Unternehmertum ist unternehmerisches Wirken<br />

mit Fühlen, Denken, Handeln<br />

durch Fordern, Fördern, Finden<br />

für Ziel, Zeit Zuversicht<br />

zur unternehmerischen Eigenständigkeit<br />

© Dr. h. c. Walter Reist<br />

ganzheitlich Reist-Symbol<br />

Führung Markt Produkt<br />

Was macht Sinn?<br />

Was macht Spass?<br />

Was macht stark?<br />

UNTERNEHMERtum<br />

FÜHLEN<br />

ENTSCHEIDEN<br />

FORDERN<br />

MENSCH<br />

ZIEL<br />

FÜHREN<br />

DENKEN<br />

BEGLEITEN<br />

FÖRDERN<br />

ARBEIT<br />

ZEIT<br />

VERKAUFEN<br />

HANDELN<br />

DURCHSETZEN<br />

FINDEN<br />

ERFOLG<br />

ZUVERSICHT<br />

GESTALTEN<br />

wirtschaftlich sachlich menschlich<br />

schöpferisch<br />

kreativ<br />

konstruktiv<br />

UNTERNEHMERISCH<br />

Begegnung Gespräch Bildung<br />

Was lohnt sich?<br />

• Das ganzheitlich unternehmerische Wirken zu erkennen<br />

• Das Unternehmertum mit den <strong>Lilienberg</strong> eigenen vier Fragen zu hinterfragen


6<br />

Gedanken<br />

Von Christoph Vollenweider*<br />

<strong>Lilienberg</strong> intensiviert Beziehungen<br />

zum süddeutschen Raum<br />

Christoph Vollenweider<br />

Seit ihrer Gründung pflegt unsere Stiftung<br />

gute Beziehungen mit Unternehmerinnen<br />

und Unternehmern sowie verschiedenen<br />

Institutionen im süddeutschen<br />

Raum, vorab im Landkreis Konstanz. Zudem<br />

wirken und wirkten in verschiedenen<br />

<strong>Lilienberg</strong> Gremien einflussreiche<br />

Persönlichkeiten aus Konstanz mit, so der<br />

emeritierte Rektor der Universität Konstanz,<br />

Prof. Dr. Bernd Rüthers, und der<br />

leider sehr früh verstorbene ehemalige<br />

Chefredakteur des «Südkurier», Werner<br />

Schwarzwälder. Von Seiten der Schweiz<br />

setzte sich der ebenfalls verstorbene frühere<br />

Nationalrat Ernst Mühlemann dafür<br />

ein, das <strong>Lilienberg</strong> Unternehmerforum für<br />

die Pflege guter Beziehungen zwischen<br />

der Schweiz und den deutschen Nachbarn<br />

zu nutzen. Unsere Anlässe werden<br />

denn auch oft von Freunden aus Deutschland<br />

besucht.<br />

Dass das <strong>Lilienberg</strong> Unternehmerforum<br />

auch über Rhein und Untersee schaut<br />

und wirkt, liegt nahe: Einerseits blickt<br />

man vom <strong>Lilienberg</strong> in die Weiten Süddeutschlands<br />

hinaus, andererseits verbinden<br />

sehr viele Gemeinsamkeiten die<br />

Menschen, auch die Unternehmerinnen<br />

und Unternehmer auf beiden Seiten der<br />

Grenze: Die gemeinsame allemannische<br />

Herkunft und der früher einmal über das<br />

Bistum Konstanz verbundene Raum haben<br />

hüben wie drüben einen Menschenschlag<br />

hervorgebracht, der ähnlich denkt<br />

und wirkt, vor allem im unternehmerischen<br />

Bereich. Beidseits der Grenze sorgen<br />

mittelständische Unternehmen für<br />

eine florierende Wirtschaft mit Wohlstandsgewinn<br />

für die ganze Bevölkerung.<br />

Das <strong>Lilienberg</strong> Unternehmerforum ist<br />

jetzt daran, seine Beziehungen zum<br />

Raum Konstanz nicht nur zu erneuern,<br />

sondern auch auszubauen. Mit verschiedenen<br />

wichtigen Institutionen wurde<br />

eine verstärkte Zusammenarbeit vereinbart,<br />

die in diesem Jahr konkretisiert wird.<br />

Geplant wird eine Plattform für einen<br />

regelmässigen Gedankenaustausch im<br />

Sinne eines offenen und fairen Wettbewerbs<br />

der Ideen sowie für unternehmerische<br />

Gespräche für alle Menschen, die<br />

auf beiden Seiten der Grenze in der Verantwortung<br />

stehen, sei es in Unternehmen<br />

oder in gesellschaftlichen Institutionen<br />

aller Art.<br />

Zu diesem Zweck richtet die Stiftung <strong>Lilienberg</strong><br />

ein neues Aktionsfeld unter dem<br />

vorläufigen Titel «Beziehungswelt Nachbarstaaten»<br />

ein. Weiter wird in Konstanz<br />

die dortige <strong>Lilienberg</strong> Regionalgruppe<br />

reaktiviert. Sie wird geleitet von Thorsten<br />

Leupold, CEO der Bodensee Standort<br />

Marketing GmbH, der in vielen wichtigen<br />

Gremien aktiv ist. Der Aufbau dieser<br />

Regionalgruppe wird lilienbergseits von<br />

Rositha Noebel, Bereichsleiterin Begegnung,<br />

Gespräch und Bildung, begleitet<br />

und unterstützt. Sie pflegt auch die Beziehungen<br />

zwischen <strong>Lilienberg</strong> und den<br />

anderen Regionalgruppen.<br />

Wir sind überzeugt, dass wir mit unseren<br />

gleichgesinnten deutschen Freunden<br />

eine Reihe von wertvollen Aktivitäten<br />

entfalten können, die nicht nur das Unternehmertum<br />

beidseits der Grenze bereichern<br />

dürften, sondern auch dazu beitragen<br />

werden, die durch übergeordnete<br />

politische Instanzen hervorgerufenen<br />

Irritationen zu mildern. Wir wollen damit<br />

auch den Raum Bodensee stärken – zum<br />

Wohle aller hier lebenden Menschen.<br />

*Christoph Vollenweider ist Leiter<br />

Unternehmertum bei der Stiftung<br />

<strong>Lilienberg</strong> Unternehmerforum.<br />

Er verantwortet die Umsetzung des<br />

Stiftungsgedankens.


7<br />

Gedanken<br />

Von Daniel Anderes*<br />

Das Gestern ist fort –<br />

das Morgen noch nicht da<br />

Daniel Anderes<br />

Vorbei sind sie, die Tage der Ruhe und<br />

Besinnlichkeit. Verschwunden sind die<br />

unzähligen Lichter und Kerzen in den<br />

Fenstern. Weg ist der Duft von Zimt und<br />

Glühwein. Das Tagesgeschäft hat uns<br />

wieder fest im Griff! Und schon ist es<br />

wieder da, das Gefühl, Besinnlichkeit sei<br />

ein Luxus, den wir uns eigentlich nicht<br />

mehr leisten können. Leider vermittelte<br />

die zurückliegende Adventszeit auch wieder<br />

den Eindruck, dass sich Festtage nicht<br />

mehr einfach erleben lassen, sondern<br />

generalstabsmässig organisiert werden<br />

müssen.<br />

Wie wir mit diesen Eindrücken und Gefühlen<br />

umgehen, liegt aber an uns selber:<br />

Es gilt immer wieder, Achtsamkeit zu<br />

pflegen, statt sich dem Zeitstress zu unterwerfen.<br />

Dazu gehört auch, sich Zeit<br />

für musische Stunden, für gepflegte Gespräche<br />

und vertiefte Auseinandersetzungen<br />

zu nehmen. Im vergangenen Jahr<br />

boten sich auf <strong>Lilienberg</strong> unzählige solcher<br />

Gelegenheiten. Acht Persönlichkeiten<br />

konnten an einem <strong>Lilienberg</strong> Gespräch<br />

hautnah erlebt werden. In drei<br />

Foren wurden wichtige Themen fachkundig<br />

mit ausgewiesenen Persönlichkeiten<br />

erörtert, und in unseren Aktionsfeldern<br />

wurden neun verschiedene Herausforderungen<br />

für die Zukunft differenziert und<br />

ganzheitlich (menschlich, sachlich und<br />

wirtschaftlich) behandelt. Daraus resultierten<br />

fünf «<strong>Lilienberg</strong> Gedanken», in<br />

denen die gewonnenen Erkenntnisse zusammengefasst<br />

und publiziert wurden.<br />

Aber auch im Bereich Bildung erfolgte in<br />

den Fachgesprächen ein Know-how-<br />

Transfer ganz nach dem Motto: «Aus der<br />

Praxis, für die Praxis.» Dabei gelang es,<br />

neue Teilnehmerkreise anzusprechen.<br />

Konsequent handeln wir weiter nach<br />

dem Motto von Theodor Fontane: «Alles<br />

Alte, soweit es den Anspruch darauf verdient<br />

hat, sollen wir lieben; aber für das<br />

Neue sollen wir eigentlich leben.»<br />

Ganz im Sinne eines befristeten Kennenlernangebotes<br />

kann der Status Interessent<br />

künftig nur noch für ein Jahr erworben<br />

werden. Unseren bisherigen<br />

Interessenten wurde die Erneuerung im<br />

Frühling 2013 letztmals offeriert. Wir<br />

freuen uns, wenn Sie sich künftig für die<br />

Mitgliedschaft Freund entscheiden. Es<br />

lohnt sich. Denn ausschliesslich unseren<br />

Freunden bieten wir neu, neben dem bisherigen<br />

Angebot, ein exklusives Erlebnis:<br />

Geniessen Sie ein privates Wochenende<br />

im <strong>Lilienberg</strong> Unternehmerforum. Lassen<br />

Sie sich verwöhnen und stärken Sie sich<br />

für den Alltag. Schlendern Sie durch den<br />

Park und lassen Sie sich von der Natur<br />

oder den verborgenen Kunstobjekten inspirieren.<br />

Entspannen Sie sich im Whirlpool<br />

oder schwimmen Sie gegen den<br />

Strom. Geniessen Sie erlesene Weine und<br />

regionale Leckerbissen aus der Ostschweiz.<br />

In Musse und Gelassenheit.<br />

Keine Änderung erfahren unsere Veranstaltungen.<br />

Im Gegenteil, das noch junge<br />

Jahr bietet Ihnen wieder zahlreiche Gelegenheiten,<br />

auf <strong>Lilienberg</strong> hochkarätigen<br />

Persönlichkeiten zu begegnen.<br />

Auf ein genussvolles 2014 mit genügend<br />

Zeit zum Nachdenken und gepflegten<br />

Gesprächen auf <strong>Lilienberg</strong>.<br />

*Daniel Anderes ist Leiter <strong>Lilienberg</strong><br />

Unternehmerforum. Er verantwortet<br />

die Bereiche Finanzen und Verwaltung<br />

der Stiftung und hat die operative Leitung<br />

des Unternehmerforums in Ermatingen.


8<br />

Gedanken<br />

Von Ständerätin Brigitte Häberli-Koller*<br />

Politik zwischen<br />

Anmassung und Anpassung<br />

Brigitte Häberli-Koller<br />

Ist die Politik besser als ihr Ruf? Auf jeden<br />

Fall beschränkter in ihren Möglichkeiten,<br />

als jene denken, die ihr ganz spezielles<br />

Anliegen durchsetzen wollen. Denn politische<br />

Arbeit findet im Spannungsfeld<br />

von Fakten, Meinungen und Interessen<br />

statt. Auch die Wirtschaft tut gut daran,<br />

hellhörig zu bleiben, wenn jemand behauptet,<br />

«reine Sachpolitik» zu betreiben.<br />

Bei näherem Hinsehen entpuppt<br />

sich solche schon mal als Etikettenschwindel,<br />

denn in der Politik geht es<br />

meistens um «Interessenpolitik». Ein<br />

Heer von Lobbyisten und Einflüsterern<br />

nimmt auf Meinungen und Haltungen<br />

von Parlamentarierinnen und Parlamentariern<br />

Einfluss. Ihre Methoden sind so<br />

bunt wie durchsichtig und reichen vom<br />

beiläufig zugesteckten Handzettel in den<br />

Vorzimmern der Parlamente bis hin zu<br />

ausgewachsenen Präsentationen samt<br />

Dinner im Nobelhotel gleich neben dem<br />

Bundeshaus.<br />

Doch nicht alles, was auf den ersten Blick<br />

nach einseitiger Manipulation ausschaut,<br />

ist schlecht. Die persönliche Meinungsfindung<br />

verträgt solche Einflussnahme<br />

schadlos und schärft das Bewusstsein für<br />

widerstrebende Interessen. Wer für seine<br />

Anliegen Mehrheiten sucht – und das<br />

trifft auf den gesamten Politik-Betrieb zu<br />

– muss die ganze Spannweite an Fakten,<br />

Interessen und Haltungen kennen und<br />

ins Kalkül ziehen.<br />

Seine Haltung offen<br />

in die Diskussion hineintragen<br />

Fakten hin – Interessen her: Entscheidend<br />

für einen Politiker sind letztlich seine Haltung<br />

und sein Stil. Beides prägt die Berechenbarkeit<br />

und schärft das Profil – egal,<br />

ob man damit Freunde gewinnt. Haltung<br />

ist untrennbar mit Wahrhaftigkeit verknüpft.<br />

Sie nimmt nicht Mass am vorherrschenden<br />

Zeitgeist einer aufgeregten<br />

Debatte, an Partei- und anderen Parolen<br />

oder den Erwartungen einer wie auch<br />

immer gearteten Klientel. Haltung kann<br />

ich also nicht wie meinen Wintermantel<br />

an den zahllosen Garderoben meiner<br />

Gastgeber abgeben. Ich muss sie offen<br />

und nachvollziehbar in die Diskussion<br />

hineintragen und mit gutem Stil vertreten.<br />

Dabei besteht guter Stil nicht nur in<br />

Anstand und Respekt. Er betrifft auch<br />

das Talent, die Balance zwischen Zuhören<br />

und dem Reden zu finden. Wer mit lauter<br />

Stimme in Säle und Mikrofone hineinruft,<br />

ist selten imstande, leise zu denken.<br />

Halbwahrheiten werden weder durch<br />

stetes Wiederholen noch durch kantige<br />

Wortwahl wahrer, und Polemik sagt oft<br />

mehr über den Absender als über die<br />

Sache aus.<br />

Wer mit seinem Poltern auf Schlagzeilen<br />

schielt, sucht den kurzfristigen politischen<br />

Erfolg. Politische Ethik verlangt<br />

derweil nach dem Gegenteil: nach der<br />

Vernunft des Ganzen. Auch darum ist für<br />

mich nicht jeder Andersdenkende ein<br />

Gegner – und längst nicht jeder Befürworter<br />

ein Freund. Schliesslich lohnt es<br />

sich, auch beim Applaus genauer hinzuhören.<br />

Politik und Wirtschaft<br />

haben viele Gemeinsamkeiten<br />

Was können Politik und Wirtschaft voneinander<br />

lernen? Das ist schwierig zu<br />

beantworten. Denn es gibt weder «die»<br />

Politik noch gibt es «die» Wirtschaft.<br />

Beide gehorchen den Prinzipien menschlicher<br />

Denk- und Handlungsweise und<br />

beide sind letztlich zum Tageswert zu<br />

nehmen. Fantasie, Kreativität, Beweglichkeit,<br />

Zielstrebigkeit und Effizienz –<br />

gepaart mit einer gesunden Portion<br />

Wille zum Wettbewerb, das alles wohnt<br />

sowohl der Politik wie der Wirtschaft<br />

inne. Zuweilen trifft man auf den<br />

Teppichetagen unserer Unternehmen<br />

auf mehr Beamtentum als in den Amts-


9<br />

stuben unserer Verwaltung. Nicht selten<br />

liegen den Vorhaben der öffentlichen<br />

Hand nämlich Businesspläne zugrunde.<br />

Die Regeln des Marktes, die Reviere der<br />

Politik und die Rituale von Unternehmern<br />

und Politikern liegen bei näherem Hinsehen<br />

nicht so weit auseinander wie einige<br />

Zeitgenossen glauben machen wollen.<br />

Darum macht es auch wenig Sinn, Politik<br />

und Wirtschaft als Gegensätze zu begreifen.<br />

Ob sie künftig stärker als Partner<br />

in Erscheinung treten, hängt allerdings<br />

vom gegenseitigen Willen ab, konsequent<br />

zwischen «Relevanz» und «Resonanz»<br />

zu unterscheiden.<br />

Die Frage nach einer zukunftsfähigen<br />

Politik mündet in jene zwischen «Anmassung<br />

und Anpassung» der Politiker aus.<br />

Führen wir in unserer politischen Agenda<br />

– oder neudeutsch «Roadmap» – die<br />

tatsächlich relevanten Themen? Oder<br />

zimmern wir Politiker die Probleme so<br />

zurecht, dass sie lösbar werden? Gewinnen<br />

politische Themen nur noch durch<br />

mediensekundierte Volksinitiativen auf<br />

Verfassungsstufe an Gewicht, oder wäre<br />

es oftmals hilfreicher, diese im politischen<br />

Dialog zu klären? Wie viel «mehr<br />

Staat» ist nötig – und wie viel «weniger<br />

Regulierung» möglich? Gibt es für eine<br />

Hochleistungs-Gesellschaft neben den<br />

üblichen Komfortproblemen auch solche,<br />

die wichtiger wären, aber nicht aufs<br />

Tapet kommen, weil sie unbequem und<br />

schwer zu vermitteln sind? Wo liegen die<br />

Grenzen zwischen verantwortlichem<br />

Handeln und dem Streben nach Schlagzeilen?<br />

Zumal dann, wenn jene, die das<br />

Gras wachsen hören, es praktischerweise<br />

gleich selber gesät haben?<br />

Respekt vor den Anliegen<br />

der Gesellschaft<br />

Verantwortliches Politisieren gelingt nur<br />

auf der Grundlage einer klaren persönlichen<br />

Haltung. Noch wichtiger als Fakten<br />

sind im politischen Wettbewerb nämlich<br />

die Ansichten über Fakten. Beides – Fakten<br />

und Ansichten – muss der Politiker in<br />

seine Haltung einbeziehen. Dabei sind<br />

die Grenzen zu Populismus und Beliebigkeit<br />

oft fliessend. Hier zeigt sich, ob ein<br />

Politiker zu klein fürs Grosse oder zu<br />

gross fürs Kleine ist. Augenhöhe mit dem<br />

Gegenüber und Respekt vor den Anliegen<br />

der Gesellschaft bleiben entscheidend<br />

für zielführende Lösungen. Dabei<br />

reicht der Blick in die Zukunft nur so weit,<br />

wie der Blick zurück auf die eigene Erfahrung.<br />

Was ich war und was ich sein<br />

werde, ist das Eine. Was ich selber bin<br />

und denke, das Entscheidende.<br />

*Brigitte Häberli-Koller ist CVP-Ständerätin<br />

aus Bichelsee TG. Sie ist Mitglied des<br />

<strong>Lilienberg</strong>rates.


10<br />

Begegnung<br />

Von der Stiftung <strong>Lilienberg</strong> Unternehmerforum<br />

Junge Weissrussin verzaubert<br />

das Publikum am Konzertflügel<br />

Nachdem an den beiden Sommer-Rezitals eher unbekannte Werke und teils moderne<br />

und damit gewöhnungsbedürftige Kompositionen zur Aufführung gelangt waren,<br />

erlebten die geladenen Gäste des Konzertes vom 5. November drei überaus populäre<br />

Klavierstücke. Die junge weissrussische Pianistin Nadezda Filippova begeisterte im<br />

<strong>Lilienberg</strong> Zentrum mit einem erstklassigen Konzert. Ihre aussergewöhnliche Begabung<br />

war unüberhörbar. Kurzum: ein Klavierabend der Superlative.<br />

Seit ihrem sechsten Lebensjahr spielt die Amsterdam das Master-Studium, und sie<br />

heute 24-jährige Nadezda Filippova übt neben ihren Konzertauftritten eine<br />

Klavier. «Ich wollte schon als kleines eigene Lehrtätigkeit aus.<br />

Mädchen Pianistin werden», offenbarte<br />

sie der Moderatorin Eva Oertle-Zippelius. «Wohltemperiertes Klavier»:<br />

Aufgrund ihrer grossen Begabung wurde<br />

sie an einem Konservatorium in St. Mit anspruchsvollen und facettenreichen<br />

ein Hörgenuss<br />

Petersburg aufgenommen und besuchte Werken brachte Nadezda Filippova auf<br />

eine Klasse für Hochbegabte, erzählte <strong>Lilienberg</strong> eindrucksvoll ihr ganzes Können<br />

zum Vorschein und bescherte den<br />

Eva Oertle-Zippelius aus der Biographie<br />

der Pianistin. Bereits mit neun Jahren gab über 120 Musikfreunden einen Hörgenuss<br />

der ganz speziellen Art. Bereits nach<br />

die Weissrussin Konzerte in der Schweiz,<br />

in Deutschland und Frankreich. Sie spielte<br />

im Schloss Nymphenburg, in der Berrierten<br />

Klavier» von Johann Sebastian<br />

den ersten Tönen aus dem «wohltempeliner<br />

Gedächtniskirche und auf der Insel Bach, einer Sammlung, die insgesamt 24<br />

Mainau, sie trat als Solistin mit dem Kammerorchester<br />

in der St. Petersburger dass Filippova ihre gestalterischen Ideen<br />

Präludien und Fugen umfasst, war klar,<br />

Philharmonie auf und gewann mehrere mit ihrem Talent in absoluter Vollkommenheit<br />

umzusetzen vermag. Bachs<br />

Preise, zum Beispiel den Förderpreis<br />

beim Schnabel Klavierwettbewerb in «wohltemperiertes Klavier» nimmt in der<br />

Berlin. Filippova studierte an der Universität<br />

der Künste in Berlin; dieses Studium und ragt wie ein Denkmal über alles hin-<br />

Klavierliteratur eine Sonderstellung ein<br />

schloss sie im vergangenen Februar mit aus, was auf diesem Gebiet geschaffen<br />

Auszeichnung ab. Heute absolviert sie in wurde. So galt das Werk nicht nur als<br />

Lehrbuch der Fugenkompositionen, sondern<br />

bei anderen Komponisten auch als<br />

musikalische Bibel und als Evangelium für<br />

jeden ernsthaften Künstler, der nach Höherem<br />

strebt. Nadezda Filippova, die<br />

Bach als einen ihrer Lieblingskomponisten<br />

nennt, zeigte, dass in diesen Stücken<br />

trotz aller theoretischen Grundlagen<br />

auch sehr viel Originalität und Gefühl<br />

enthalten sind.<br />

Stilsicher, sauber und virtuos<br />

Bachs Sammlung von Fugen und Präludien<br />

hatte Einfluss auf die nachfolgenden<br />

Komponistengenerationen, so auch<br />

auf Claude Debussy, ein Meister der<br />

Klangfarben. Hochkonzentriert liess die<br />

Pianistin beim Auszug aus Debussys<br />

Präludien, passend zu deren stimmungsvollen<br />

Überschriften, alle Emotionen<br />

in ihre Finger fliessen, so dass ihr<br />

Spiel gleichermassen temperamentvoll<br />

und melancholisch zu beeindrucken<br />

wusste, stets stilsicher, sauber und virtuos<br />

dargebracht. «Ein richtiges Feuerwerk»,<br />

wie es Moderatorin Eva Oertle-<br />

Zippelius treffend formulierte. Filippova<br />

liess die Farben der impressionistischen<br />

Musik aufleuchten. Sie verstand es, die<br />

Inhalte der Präludien nachvollziehbar<br />

darzustellen.


Pianistin Nadezda Filippova begeisterte<br />

am <strong>Lilienberg</strong> Rezital mit einem<br />

erstklassigen Konzert.<br />

Chopins berühmteste Klaviersonate<br />

Die Künstlerin erwies sich auch bei<br />

Frédéric Chopins Klaviersonate Nummer<br />

3 in h-Moll, bekannt unter dem Namen<br />

«Konzert ohne Orchester», als eine<br />

Meisterin des Tempos und der vielfach<br />

variierten Anschlagskunst. Mit enormer<br />

Ausdrucksbreite gab sie sich während fast<br />

einer halben Stunde den Stimmungen der<br />

Musik hin. Chopins dritte Klaviersonate<br />

zählt zu den bedeutendsten und farbenreichsten<br />

Werken des Polen. Im Gegensatz<br />

zur ersten und zweiten Sonate richtete<br />

Chopin in dieser, seiner letzten<br />

Sonate das Augenmerk stärker auf die<br />

klassische Sonatenform. Ihr Aufbau erinnert<br />

sehr an die Werke seiner Vorbilder<br />

Haydn, Mozart und Beethoven. Doch<br />

Chopin lotete zugleich die Grenzen der<br />

Sonatenform neu aus: Da, wo sonst ein<br />

langsamer Satz kommt, nämlich an<br />

zweiter Stelle nach dem Allegro maestoso,<br />

findet sich bei Chopin ein lebendigbewegtes<br />

Scherzo.<br />

Das überdurchschnittliche Talent der<br />

Pianistin war für die Konzertbesucher<br />

unüberhörbar: Chopins dritte Klaviersonate<br />

brennt vor romantischem Pathos.<br />

Ernste musikalische Figuren und zarte<br />

Melodielinien erzeugen eine geradezu<br />

meditative Stimmung. Doch am Ende<br />

lichtet sich die Schwermütigkeit dann<br />

doch: Im Finale mündet die Sonate in<br />

einen schier ungezügelten, rauschhaften<br />

Ausbruch. Brillant und vielseitig verknüpfte<br />

Filippova leidenschaftliche Fassungen<br />

mit Melancholie. Stets gelang es<br />

ihr, die gänzlich ohne Noten, also aus<br />

dem Gedächtnis heraus spielte, sich<br />

selbst in den Hintergrund zu stellen, um<br />

die Musik allein wirken zu lassen.<br />

Fazit von Gastgeberin Susanne Rau-Reist<br />

und wohl auch aller Zuhörerinnen und<br />

Zuhörer: Nadezda Filippova verzauberte<br />

mit ihrem musikalischen Feuerwerk,<br />

ihrem leidenschaftlichen Spiel am Konzertflügel<br />

das Publikum. Das galt übri-<br />

gens auch für die spontane Zugabe, eine<br />

Etude in f-Moll des österreichisch-ungarischen<br />

Komponisten und Klaviervirtuosen<br />

Frank Liszt. Soviel Wohlklang und<br />

Harmonie wie an diesem ersten November-Dienstag<br />

gibt es im <strong>Lilienberg</strong> Zentrum<br />

sonst nur sehr selten zu hören.<br />

<strong>Lilienberg</strong> Rezital vom 5. November 2013<br />

mit Nadezda Filippova (Klavier); Gastgeberin:<br />

Stiftung <strong>Lilienberg</strong> Unternehmerforum,<br />

vertreten durch Susanne Rau-<br />

Reist; Moderation: Eva Oertle-Zippelius;<br />

Zusammenfassung: Stefan Bachofen.


12<br />

Gespräch<br />

Aus dem Aktionsfeld Politik & Gesellschaft<br />

«Nur Gesamtpakete finden Mehrheiten im Volk»<br />

125. <strong>Lilienberg</strong> Gespräch mit Bundesrat Dr. Alain Berset, Vorsteher des Eidgenössischen Departementes des Innern<br />

Tieferer Umwandlungssatz für Renten, höheres Rentenalter für Frauen und höhere Mehrwertsteuer.<br />

Diese Massnahmen will Bundesrat Alain Berset bis ins Jahr 2020 umsetzen,<br />

um die Altersvorsorge zu reformieren. Auch in der Gesundheitspolitik strotzt Berset vor<br />

Reformeifer. Im Rahmen eines <strong>Lilienberg</strong> Gesprächs konkretisierte der Innenminister<br />

seine langfristigen Pläne. Dabei machte er deutlich, dass er alle seine Reformen als<br />

Gesamtpakete sieht, «denn nur Gesamtpakete finden Mehrheiten im Volk.»<br />

Bundesrats-Besuche haben auf <strong>Lilienberg</strong><br />

Tradition. Mit Dr. Alain Berset (SP) worte die Globalisierung und das Interplexer»,<br />

sagte er und nannte als Stich-<br />

war dieses Jahr der jüngste Vertreter der net. Die Informationsflut sieht Berset<br />

Schweizer Landesregierung Gast am sodann vor allem als Herausforderung<br />

Untersee. Dem Umstand, dass Berset ein und als Chance, «denn die Bürgerinnen<br />

begeisterter Jazzmusiker ist, trug die und Bürger werden immer kritischer und<br />

Stiftung <strong>Lilienberg</strong> Unternehmerforum wollen stets noch besser informiert<br />

ebenfalls Rechnung: Die vierköpfige Jazz- sein.» Das gesamte Wissen zu brauchbaren<br />

Informationen zu verdichten, er-<br />

band von Stiftungsratsmitglied Stephan<br />

Illi eröffnete die Veranstaltung vom 10. achtet er als die wichtigste Aufgabe der<br />

Oktober speziell für den Bundesrat mit politischen Führung in einer komplexen<br />

dem Bossa-Nova-Stück Corcovado des Welt. Am liebsten mache er dies persönlich,<br />

im direkten Dialog mit den Men-<br />

Brasilianers Carlos Jobim, das sich auf den<br />

gleichnamigen Berg in Rio de Janeiro schen – so wie bei seinem Besuch auf<br />

bezieht – zur grossen Freude von Berset, <strong>Lilienberg</strong>.<br />

der diese Komposition selbst auch schon<br />

gespielt hat.<br />

Transparent zu informieren – das gelte<br />

es auch im Zusammenhang mit den beiden<br />

grössten Baustellen in seinem eige-<br />

Altersvorsorge 2020:<br />

Rentenniveau beibehalten<br />

nen Departement, den Reformen der<br />

Sein anschliessendes Referat stellte Alain Altersvorsorge und im Gesundheitswesen.<br />

Seine Reform der ersten und zwei-<br />

Berset unter den Titel «Politische Führung<br />

in einer komplexen Welt». «Unsere ten Säule, bekannt unter dem Begriff<br />

Welt ist komplex und wird immer kom-<br />

«Altersvorsorge 2020», sieht er als Gesamtpaket,<br />

das ohne Rentenkürzungen<br />

auskommen soll. «Ziel ist es, das heutige<br />

Rentenniveau insgesamt zu erhalten»,<br />

sagte Berset. Es sei wichtig, «bereits<br />

heute alles auf den Tisch zu bringen, was<br />

die Reform bringt und was sie kostet.»<br />

Isolierte Reform-Massnahmen hätten es<br />

schwer. Berset erwähnte das wuchtige<br />

Nein des Schweizervolks zur Senkung<br />

des Umwandlungssatzes bei den Pensionskassen<br />

im Frühling 2010, das Scheitern<br />

der 11. AHV-Revision im Parlament<br />

sowie die kürzliche Ablehnung der IV-<br />

Revision 6b, ebenfalls im Parlament.<br />

Die Reform der Altersvorsorge müsse<br />

deshalb auf jeden Fall ganzheitlich angegangen<br />

werden. «Es ist mein Ziel, eine<br />

Vorlage zu präsentieren, die Mehrheiten<br />

nicht nur im Parlament, sondern auch im<br />

Volk findet. Die Reform der Altersvorsorge<br />

muss dringend Erfolg haben, so<br />

dass wir nicht mit unrealistischen Vorschlägen<br />

Zeit verlieren können. Ab 2020<br />

wird die AHV sonst Defizite in Milliardenhöhe<br />

schreiben.»<br />

Das langfristige Projekt Altersvorsorge<br />

2020 steht laut Berset erst am Anfang<br />

der Debatte. Es gelte, transparent über<br />

das Gesamtpaket zu informieren und die<br />

Vielzahl von Massnahmen in ein ver-


Bundesrat Alain Berset<br />

nünftiges Gleichgewicht zu bringen.<br />

Dazu gehörten die Senkung des Umwandlungssatzes<br />

in der zweiten Säule<br />

sowie – um das Rentenniveau zu erhalten<br />

– eine Stärkung der ersten, staatlichen<br />

Säule, etwa durch die Erhöhung<br />

der Mehrwertsteuer zugunsten der AHV<br />

sowie die etappenweise Erhöhung des<br />

Rentenalters für Frauen und damit die<br />

konsequente Gleichstellung der Geschlechter<br />

in der Altersvorsorge.<br />

Gesundheitsdebatte<br />

ganzheitlich führen<br />

Auch die Gesundheitsreform will Bundesrat<br />

Alain Berset ganzheitlich angehen.<br />

Die Schweiz verfügt heute laut<br />

Berset über ein qualitativ sehr hohes<br />

Gesundheitssystem. Fakt ist jedoch<br />

auch, dass die Krankenversicherung<br />

mittlerweile zu den grössten Posten in<br />

vielen Familienbudgets gehört. Weil die<br />

Bevölkerung immer älter wird und die<br />

Zahl der chronisch kranken Menschen<br />

stetig steigt, führt dies automatisch zu<br />

noch höheren Gesundheitskosten und<br />

zu unaufhaltsam steigenden Prämien.<br />

Die Debatten zur Gesundheitsreform<br />

will Bundesrat Berset ebenfalls offen und<br />

transparent führen. Dazu gehören im<br />

Bereich der Krankenkassen als mögliche<br />

Massnahmen die strikte Trennung der<br />

Grund- und der gewinnorientierten Zusatzversicherung<br />

sowie die Verbesserung<br />

des Risikoausgleichs unter den<br />

Kassen in der Grundversicherung. Weiter<br />

will Berset bei den ambulanten Spitalkosten,<br />

die die Prämienzahler stärker<br />

belasten als stationäre Behandlungen,<br />

die Kantone zur Kasse bitten, «was für<br />

die Kantone allerdings kostenneutral<br />

passieren soll», wie der Gesundheitsminister<br />

auf eine Frage des Thurgauer<br />

Finanzdirektors, Regierungsratspräsident<br />

Bernhard Koch, versicherte. Wichtig ist<br />

für Bundesrat Berset, dass bei allen<br />

Massnahmen im Zuge der Gesundheitsreform<br />

«der Mensch und sein Wohlbefinden<br />

im Vordergrund steht.»


Gesamthaft gesehen erachtet es Berset<br />

keinesfalls als unlösbare Aufgabe, die<br />

Bürgerinnen und Bürger von seinen Projekten<br />

wie die Altersvorsorge 2020 oder<br />

die Reform im Gesundheitswesen zu<br />

überzeugen. «Es ist normal, dass diese<br />

Themen die Menschen bewegen, denn<br />

sie betreffen uns alle sehr direkt», so<br />

Berset. Das Gesundheitswesen und die<br />

Altersvorsorge erforderten eine solidarische<br />

Gesellschaft. Der Bundesrat<br />

sprach sich deshalb auf eine entsprechende<br />

Publikumsfrage auch klar gegen<br />

die Kürzung des Leistungsangebotes<br />

der Krankenkassen als mögliche Massnahme<br />

zur Senkung der Prämien aus.<br />

«Die hohe Solidarität in der Gesellschaft<br />

ist ein Grund für die wirtschaftliche<br />

Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz.»<br />

Von links: Gastgeber Dr. h. c. Walter Reist, Ständerätin Brigitte Häberli-Koller und<br />

Bundesrat Alain Berset.<br />

125. <strong>Lilienberg</strong> Gespräch vom 10. Oktober<br />

2013 mit Bundesrat Dr. Alain Berset;<br />

Gastgeber: Dr. h.c. Walter Reist, Präsident<br />

des Stiftungsrates der Stiftung <strong>Lilienberg</strong><br />

Unternehmerforum; Moderation: Ständerätin<br />

Brigitte Häberli-Koller; Zusammenfassung:<br />

Stefan Bachofen.<br />

Für die musikalische Umrahmung des Anlasses sorgte die Jazzband von <strong>Lilienberg</strong><br />

Stiftungsratsmitglied Stephan Illi (links, am Schlagzeug).


15<br />

Mehr Hausärzte in der Schweiz ausbilden<br />

Im Anschluss an das Referat von Bundesrat Alain Berset<br />

sprach Ständerätin Brigitte Häberli-Koller, Mitglied des<br />

<strong>Lilienberg</strong>rates, den Magistraten auf den Mangel an Ärzten<br />

in der Schweiz an. «Wäre es klug, den Numerus Clausus<br />

für Studierende der Medizin an sämtlichen Universitäten<br />

abzuschaffen, um wieder vermehrt junge Ärzte,<br />

insbesondere Hausärzte, in der Schweiz auszubilden?»,<br />

wollte die Moderatorin des <strong>Lilienberg</strong> Gesprächs wissen.<br />

In der Tat: «Zwei Drittel der heute in der Schweiz zugelassenen<br />

Ärzte sind im Ausland ausgebildet worden und<br />

würden so gesehen importiert, insbesondere aus Deutschland.<br />

Nur ein Drittel der Ärzte erlangten ihre Ausbildung in<br />

der Schweiz. Letztes Jahr waren es 900, die in der Schweiz<br />

diplomiert wurden», sagte Berset. Im August 2012 habe<br />

der Bundesrat entschieden, mehr Ärzte im eigenen Land<br />

auszubilden, nämlich 1300 pro Jahr. Spezialisten gebe es<br />

allerdings in den meisten Fachbereichen genug.<br />

Anders sehe es bei den Allgemeinmedizinern und den<br />

Kinderärzten aus. Mehr Hausärzte in der Schweiz auszubilden,<br />

die Förderung der Hausarztmedizin an den Universitäten<br />

und die Stärkung der Position der Hausärzte,<br />

laute denn auch eines der wichtigsten Ziele der Gesundheitspolitik<br />

2020. Allerdings seien die Kantone gefordert,<br />

im Gegenzug auch mehr Ausbildungsplätze anzubieten.<br />

Bis der Entscheid des Bundesrates umgesetzt sei, daure es<br />

deshalb noch Jahre, so Berset.<br />

Zur Person Alain Berset<br />

Der Fribourger Dr. Alain Berset ist das jüngste Mitglied der<br />

Schweizer Landesregierung. Der 41-jährige SP-Magistrat<br />

wurde im Dezember 2011 als Nachfolger von Micheline<br />

Calmy-Rey in den Bundesrat gewählt. Er führt das Eidgenössische<br />

Departement des Innern (EDI). Das EDI umfasst<br />

unter anderem die Bundesämter für Gesundheit, Sozialversicherungen<br />

und Kultur.<br />

Vor seiner Wahl in den Bundesrat gehörte Alain Berset während<br />

acht Jahren dem Ständerat an, den er 2008/2009 auch<br />

präsidierte. Die politische Karriere startete er vor 13 Jahren,<br />

im Jahr 2000 als Mitglied des Verfassungsrats des Kantons<br />

Fribourg. Er stammt aus einer sozialdemokratischen Familie.<br />

Bereits sein Grossvater und auch seine Mutter politisierten<br />

auf kantonaler Ebene für die Sozialdemokratische<br />

Partei.<br />

Alain Berset studierte an der Universität Neuenburg zuerst<br />

Politikwissenschaft und schloss das Studium 1996 mit<br />

dem Lizentiat ab. Anschliessend absolvierte er ein Studium<br />

in Wirtschaftswissenschaft und erwarb 2005 den<br />

Doktortitel. Beruflich wirkte er von 1996 bis 2000 als<br />

Assistent und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Uni<br />

Neuenburg und danach bis 2001 als Gastforscher am<br />

HWWA-Institut für Wirtschaftsforschung in Hamburg. Ab<br />

2006 war er als selbständiger Strategie- und Kommunikationsberater<br />

tätig.<br />

Der Gesundheitsminister betonte weiter, dass immer mehr<br />

Ärztinnen und Ärzte ein Teilzeitpensum wünschen, weil sie<br />

mehr Gewicht auf die Vereinbarkeit von Beruf und Familie<br />

legen als in früheren Jahren. Der Hausärztemangel sei<br />

also nicht ausschliesslich ein Problem der fehlenden Ausbildungsmöglichkeiten.<br />

Alain Berset ist verheiratet und Vater von drei Kindern. Ein<br />

wichtiger Teil seines Privatlebens ist die Musik: Zur Entspannung<br />

spielt er gerne Jazzmusik am Piano. Eine weitere<br />

Leidenschaft von Alain Berset ist der Sport, namentlich<br />

die Leichtathletik. Er war früher Westschweizer Meister im<br />

800-Meter-Lauf.


16<br />

Gespräch<br />

Aus dem Aktionsfeld Wirtschaft & Industrie<br />

«Viele Firmenchefs sind unsicherer, als man meint»<br />

126. <strong>Lilienberg</strong> Gespräch mit Dr. Rolf Soiron, Verwaltungsratspräsident Holcim und Lonza<br />

Humane Werte, Intelligenz, Erfahrung<br />

und Humor zeichnen Dr. Rolf Soiron aus.<br />

Bemerkenswert offen, aber auch fundiert<br />

ging er auf die Fragen der beiden<br />

Moderatoren ein. So sieht er die Zukunft<br />

nicht allzu pessimistisch, schöpft neue<br />

Energien als «einsamer Langstreckenwanderer»<br />

und findet, dass Unternehmensführer<br />

aus einer Position der Mitte<br />

agieren müssten.<br />

Dr. Rolf Soiron gehört als Verwaltungsratspräsident<br />

von Holcim und Lonza zu<br />

den bedeutendsten Wirtschaftsführern<br />

der Schweiz. Im gut besuchten <strong>Lilienberg</strong><br />

Gespräch gab er den Moderatoren<br />

Anton Bucher und Dr. Max Becker vom<br />

Aktionsfeld Wirtschaft & Industrie Antworten,<br />

die aufhorchen liessen, speziell<br />

wenn es um Führung, persönliche Regeneration<br />

und die Zukunft der Schweiz<br />

ging. Zum Beispiel wollte Anton Bucher<br />

von ihm wissen, wie geradlinig sein Weg<br />

an die Spitze eines Unternehmens gewesen<br />

sei. Soiron verblüffte mit der<br />

Antwort: Er habe diese Positionen gar<br />

nicht gesucht. Im Gegenteil, er redete<br />

nicht von einer Spitzenposition, die er<br />

einnimmt, sondern von einer Position<br />

der Mitte. Laut Soiron, auch Stiftungsratsmitglied<br />

der Denkfabrik Avenir Su-<br />

isse, sprechen zu viele Wirtschaftsführer<br />

von der Spitzenposition, die sie in einem<br />

Unternehmen innehaben. In der anschliessenden<br />

Diskussion wurde Rolf<br />

Soiron in diesem Punkt noch deutlicher,<br />

indem er sagte: «Wir laufen Gefahr, im<br />

Mittelpunkt zu stehen – wir gehören<br />

aber nicht in den Mittelpunkt.»<br />

Chefs kompensieren Unsicherheit<br />

mit Arroganz<br />

Bei dieser Sichtweise von Rolf Soiron,<br />

der ausserdem Mitglied des Vorstandsausschusses<br />

des Wirtschaftsdachverbandes<br />

Economiesuisse ist,<br />

verwundert es nicht, dass er sich in<br />

seiner Funktion nicht einsam fühlt, weil<br />

er von der Mitte aus operiert. Laut<br />

Soiron sind viele Chefs von Unternehmen<br />

unsicherer, als man meint. Oft<br />

werde dieser Mangel mit Arroganz<br />

kompensiert, was als Stärke empfunden<br />

wird. Kraftfelder in Unternehmen<br />

funktionieren gemäss dem Basler anders,<br />

als dies das Betriebsorganigramm<br />

aufzeigt. Damit die Unternehmensführung<br />

jedoch gelingt, sieht er drei zentrale<br />

Faktoren: Unterstützen, Fordern<br />

und Kontrollieren. Der Wechsel vom<br />

einen Punkt zum anderen sei extrem<br />

schwierig, meinte er.<br />

Einem sagen, wenn man<br />

auf dem falschen Dampfer ist<br />

Soirons Antwort auf die Frage, was es<br />

denn für eine Karriere alles brauche,<br />

passt ganz zu seiner Führungsphilosophie.<br />

«Man braucht Menschen, die einem<br />

sagen, du bist auf dem falschen<br />

Dampfer.» Es sei aber auch eine Ehefrau<br />

nötig, die einem das Leben nicht einfach<br />

mache, sagte er augenzwinkernd. Allein<br />

das genügt jedoch nicht. Laut Soiron<br />

benötigt man für eine Karriere den Ehrgeiz<br />

zu prüfen, was vernünftig ist und<br />

die Einsicht, dass die Präsenz in einer<br />

Position nur endlich ist. «Ehrgeizige<br />

Menschen sollten sehen, wie unwahrscheinlich<br />

schön und einmalig das Leben<br />

ist», sagte er und blickte in die Runde.<br />

Dass der 68-Jährige noch derart vor<br />

Lebensenergie sprüht, hängt damit zusammen,<br />

dass er immer wieder aktiv<br />

regeneriert. Der «einsame Langstreckenwanderer»<br />

pilgert von Unterkunft<br />

zu Unterkunft, legt sich im Massenschlag<br />

neben «normale Leute» und sinniert<br />

mit diesen über den Sinn des<br />

Lebens. Dort höre er, wie das Leben<br />

auch noch sein kann. Jede freie Minute<br />

verbringt er mit seiner Frau und seinen<br />

Enkelkindern.


17<br />

Dr. Max Becker, Dr. Rolf Soiron und Anton Bucher (von links) führten ein offenes und interessantes Gespräch über Unternehmensführung,<br />

die Zukunft und sie beleuchteten, was es für eine Unternehmer-Karriere alles braucht.<br />

Lösen der wichtigsten globalen<br />

und nationalen Probleme<br />

Immer wieder wurde Rolf Soiron nach<br />

der Zukunft gefragt. Er sei kein Prophet,<br />

meinte er. Dann dämpfte er die Erwartungen<br />

an ihn mit dem Satz, es komme<br />

immer anders, als man denke. Schliesslich<br />

zeigte er sich optimistisch. Man könne<br />

global das Hungerproblem, die Energiewende<br />

und die Umweltprobleme<br />

lösen. Er hege einen tiefen, langfristigen<br />

Optimismus.<br />

Auf die Schweiz sieht Soiron einige zentrale<br />

Herausforderungen zukommen. So<br />

sollten nicht nur Akademiker ausgebildet<br />

werden, sondern auch gute Fachleute,<br />

die bereit sind, sich ständig weiterzubilden.<br />

Auch die Altersfrage erwähnte<br />

er. Heute leben Menschen, die im Alter<br />

von 60 Jahren sagen können, dass sie<br />

noch 30 Jahre vor sich haben. Für diese<br />

Perspektive braucht es einen neuen<br />

Lebensentwurf. Man muss dem Leben<br />

nochmals einen Sinn geben. Soiron zeigte<br />

sich auch bescheiden, wenn er sagte:<br />

«Wir leben in einer Zeit, wo alle nach<br />

grossen Würfen suchen. Wir sollten wieder<br />

kleine Gemeinschaften organisieren<br />

und den Föderalismus in der Gemeinde<br />

neu definieren.» Der CVP-Politiker ist<br />

zwar gegen masslose Gehälter, kämpfte<br />

aber nicht für die 1:12-Initiative. Der<br />

Staat könne keine Anpassung der hohen<br />

und tiefen Gehälter regeln. Das müsse<br />

firmenintern geschehen.<br />

So bleibt noch die Frage offen, wie denn<br />

Rolf Soirons persönliche Zukunft aussieht.<br />

«Mir wird es sicher nicht langweilig.<br />

Ich habe zwei Kinder und Enkelkinder<br />

und mit ihnen will ich noch einiges unternehmen.»<br />

Tiefenpsychologie, asiatische<br />

Sprachen und Politik sind Gebiete,<br />

die ihn interessieren und mit denen er<br />

sich beschäftigen will.<br />

126. <strong>Lilienberg</strong> Gespräch vom 29. Oktober<br />

2013 mit Dr. Rolf Soiron, Verwaltungsratspräsident<br />

von Holcim und Lonza<br />

Group; Moderation: Dr. Max Becker und<br />

Anton Bucher (Aktionsfeld Wirtschaft<br />

& Industrie); Zusammenfassung: Bruno<br />

Fuchs.<br />

Zur Person Rolf Soiron<br />

Dr. Rolf Soiron wuchs als gebürtiger<br />

Belgier in Riehen bei Basel auf.<br />

Kurz vor der Rekrutenschule nahm<br />

er die schweizerische Staatsbürgerschaft<br />

an. Er studierte Geschichte<br />

und bereits 1970 arbeitete er für<br />

das Chemieunternehmen Sandoz.<br />

Von 1983 bis 1987 wirkte er als<br />

Geschäftsführer der Orthopädiefirma<br />

Protek, ehe er wieder zu Sandoz<br />

zurückkehrte. 1992 und 1993<br />

leitete er die Pharmasparte der<br />

Sandoz, überwarf sich später mit<br />

dem Verwaltungsratspräsidenten<br />

Marc Moret, den er auf <strong>Lilienberg</strong><br />

als «seinen Ziehvater» bezeichnete.<br />

Heute ist Soiron VR-Präsident des<br />

Zementkonzerns Holcim und der<br />

Lonza Group.<br />

Seit 2009 präsidiert er den Stiftungsrat<br />

der Denkfabrik Avenir<br />

Suisse. Soiron war für die CVP in<br />

der Exekutive der Gemeinde Riehen<br />

und im Grossen Rat des Kantons<br />

Basel-Stadt.


18<br />

Gespräch<br />

Aus dem Aktionsfeld Wirtschaft & Industrie<br />

Immer mehr Pendler:<br />

Die SBB stehen vor grossen Herausfordungen<br />

Eine Million Passagiere pro Tag, und es werden in Zukunft wohl noch mehr sein. Die<br />

ständig «wachsende Schweiz» stellt auch grösste Anforderungen an die SBB. Deren<br />

oberster Chef, Andreas Meyer, war im November Gast eines <strong>Lilienberg</strong> Gesprächs. Fazit<br />

der Veranstaltung: Es gibt in der Schweiz wohl kaum eine andere Aufgabe, die mit so<br />

vielen Herausforderungen unterschiedlichster Art verbunden ist wie jene des SBB-CEO.<br />

Andreas Meyer hat die SBB nicht erst bei Anlagenbau in Oberhausen und Bitterfeld<br />

seiner Amtsübernahme als deren oberster einen massgebenden Beitrag zu einer<br />

Chef am 1. Januar 2007 erfahren: Schon grundlegenden Transformation zu leisten.<br />

sein Vater war Visiteur bei der Bahn, er Von 1997 bis 2006 arbeitete Meyer in verschiedenen<br />

Funktionen bei der Deutschen<br />

selbst hat sich in seiner Jugend ein Zubrot<br />

als SBB-Wagenwascher verdient, bevor er Bahn (DB): Zunächst bei der DB Energie,<br />

das Jus-Studium in Angriff nahm. Nach ab 2004 als Vorsitzender der Geschäftsführung<br />

von DB Stadtverkehr, ab 2005 als<br />

seinem Rechtsanwaltspatent wollte er<br />

aber als Jurist «etwas Greifbares und Mitglied der DB-Konzernleitung, bevor er<br />

Handfestes» erleben und heuerte bei der bei der Direktion Personenverkehr der<br />

ABB als Mitarbeiter im Rechtsdienst an. Deutschen Bahn eine neue Herausforderung<br />

annahm.<br />

Hier konnte er seine Affinität zur Technik<br />

ausleben und ausserdem die Geschäftswelt<br />

auch im Ausland erleben: Harte Vertragsverhandlungen<br />

in Europa und Über-<br />

– eine Tätigkeit, die wohl wie wenige an-<br />

2007 wurde er zum CEO der SBB berufen<br />

see waren ein ausgezeichnetes Lernumfeld, dere Aufgaben im Lande mit Herausforderungen<br />

vielfältigster Art verbunden ist.<br />

und erfahrene ABB-Manager brachten<br />

ihm das professionelle Einmaleins geschickter<br />

Verhandlungsführung bei.<br />

nen ist mit klar artikulierten Forderungen<br />

Die Unternehmensleitung der Bundesbah-<br />

von «Stakeholders» konfrontiert: Die Kundinnen<br />

und Kunden wollen einen perfek-<br />

Direktor Personenverkehr<br />

bei der Deutschen Bahn<br />

ten Service: Pünktlichkeit, Sicherheit,<br />

Andreas Meyer wollte aber mehr: Bei der Komfort (und dies bei möglichst tiefen<br />

deutschen Babcock Borsig bot sich ihm Preisen). Die Politik und die Verwaltung<br />

die Chance, in einer Unternehmung im machen ihre Eigentümerrechte bei diesem<br />

klassischen Service public geltend, die Lieferanten<br />

fordern profitable Preise für Produkte<br />

und Dienstleistungen und auf der<br />

Sozialpartnerseite wird (siehe Streiks im<br />

SBB-Werk in Bellinzona) mit harten Bandagen<br />

gefochten.<br />

Gleichzeitig gilt es zu wissen, dass die SBB<br />

nicht «Alleinherrscherinnen» auf der<br />

Schiene (mit einem Streckennetz von 3138<br />

Kilometer Länge) sind: Die Regionen und<br />

Kantone stellen hohe Ansprüche an dichte<br />

Fahrpläne auch in weniger bevölkerten<br />

Regionen. Und wenn aufgrund sorgfältiger<br />

Analysen jedes Jahr die Preise für die<br />

Transportleistungen festgelegt werden,<br />

muss auch der Preisüberwacher sein<br />

Plazet erteilen. Das Gespräch mit Andreas<br />

Meyer förderte klar zutage, dass diese<br />

spezielle Ausprägung des Regulators für<br />

die Führung der SBB nicht dem Wunschbild<br />

des Unternehmers entspricht.<br />

Erstmals weg von den roten Zahlen<br />

Die Bundesbahnen sind nicht nur ein unbestrittenes<br />

Stück schweizerischer Identität<br />

und Markenbildung, sie sehen sich mit<br />

Blick in die Zukunft einer wachsenden Zahl<br />

von Herausforderungen gegenüber: Mobilität<br />

ist – in Relation zu der zur Verfügung<br />

stehenden Einkommen – in der Schweiz


Andreas Meyer, «oberster Lokführer<br />

der Schweiz» will mit der SBB auch in<br />

Zukunft Spitzenleistungen erbringen.<br />

billig und die heutige Form der Preispolitik<br />

(mit dem Generalabonnement «à discretion»)<br />

fördert zusätzliche Passagierkilometer<br />

ohne zusätzliche Erträge. Der Güterverkehr<br />

mit 175 000 Tonnen trans portierter<br />

Güter pro Tag ist seit langer Zeit defizitär,<br />

scheint aber kurz vor der Trendwende zu<br />

stehen: 2013 sollte das erste Jahr «ausserhalb<br />

der roten Zahlen» werden. Die Finanzierung<br />

grösserer Rollmaterialbestellungen<br />

und Infrastrukturprojekte ist Gegenstand<br />

andauernder Verteilkämpfe – die<br />

Volksabstimmung im Februar 2014 über<br />

die Finanzierung des öffentlichen Verkehrs<br />

wird eine wichtige Weichenstellung sein.<br />

Andreas Meyer ist dem Gebot der Transparenz<br />

verpflichtet: Unangenehme Themen<br />

– auch Tabuthemen – wie zum Beispiel<br />

die politische Verquickung bei der<br />

Besetzung von Führungspositionen geht<br />

er mit offenem Visier an. Seine Funktion<br />

bringt es mit sich, dass er sich andauernder<br />

Kritik stellen muss und sachlich darauf eingeht.<br />

Neue Technologien finden ihre Anwendung<br />

nicht nur für die Sicherheit im<br />

Bahnverkehr und für den Komfort der<br />

Passagiere. Vielmehr wendet der SBB-<br />

Chef sie auch im täglichen Leben «im rollenden<br />

Büro» an – und fordert das auch<br />

von seiner Umgebung. Zwar besteht die<br />

Wahrnehmung von «vielen Chefs für Meyer»,<br />

vom Parlament mit den Kommissionen<br />

und der Departements-Vorsteherin bis hin<br />

zum zuständigen Amtsdirektor, aber Meyers<br />

Ausrichtung ist klar: Der Verwaltungsrat<br />

der SBB AG gibt die strategischen Ziele<br />

vor, und Andreas Meyer sowie 29 000<br />

Mitarbeitende sind der Qualität der Dienstleistung<br />

für die Kundschaft verpflichtet.<br />

Lauter SBB-Spezialisten<br />

In der Diskussion auf <strong>Lilienberg</strong> trat zutage,<br />

was wir alle wissen: Jede und jeder ist ein<br />

Spezialist für Fragen der SBB – und gleichzeitig<br />

wissen wir alle, wie anspruchsvoll die<br />

Leitung des äusserst komplexen Räderwerks<br />

SBB ist. Am Tag des <strong>Lilienberg</strong> Gesprächs<br />

ist Andreas Meyer mit der SBB von<br />

Bern nach Genf und anschliessend von<br />

Genf nach Ermatingen und wieder zurück<br />

nach Bern gefahren: Nicht nur das System<br />

SBB, auch dessen Leiter geht bisweilen an<br />

die Grenzen.<br />

127. <strong>Lilienberg</strong> Gespräch vom 19. November<br />

2013 mit Andreas Meyer, Vorsitzender<br />

der Konzernleitung der SBB;<br />

Moderation: Dr. Max Becker und Anton<br />

Bucher (Aktionsfeld Wirtschaft & Industrie);<br />

Zusammenfassung: Dr. Max Becker.


20<br />

Gespräch<br />

Aus dem Aktionsfeld Sicherheit & Armee<br />

Cyberwar – eine Bedrohung<br />

für Wirtschaft und Gesellschaft<br />

Cyber-Risiken betreffen nicht primär die<br />

Armee, sondern unsere gesamten Wirtschafts-<br />

und Gesellschaftsstrukturen<br />

und somit jeden einzelnen Bürger. Dies<br />

ist eine der zentralen Erkenntnisse des<br />

Kolloquiums «Cyber-Risiken – was unternimmt<br />

die Schweiz?» im Aktionsfeld<br />

Sicherheit & Armee.<br />

Der Zyklus «Die strategischen Interessen<br />

der Schweiz und deren Auswirkungen<br />

auf die Sicherheitspolitik» behandelt die<br />

Bedrohungen der Schweiz ausserhalb<br />

der konventionellen militärischen Landesverteidigung.<br />

Eine dieser neuen Bedrohungsformen<br />

ist der sogenannte Cyberwar.<br />

Der Begriff ist in aller Munde<br />

und beinahe in jeder Tageszeitung präsent.<br />

Cyberwar ist quasi die Fortsetzung<br />

der Rüstungsentwicklung von der Hellebarde<br />

über den Spiess zu den Schusswaffen,<br />

der Artillerie und den Flugzeugen<br />

und Raketen.<br />

Oder man kann ihn als neue Dimension<br />

eines Kriegsschauplatzes sehen: also<br />

die Weiterentwicklung von Erdkampf,<br />

Luftkampf hin zum Kampf im elektronischen<br />

Raum oder im Cyber-Raum. Dabei<br />

beginnt der Cyber-Raum beim Smartphone<br />

in der Hosentasche und umfasst<br />

letztlich die ganze Welt.<br />

«Krieg ist die Fortsetzung der Politik mit<br />

anderen Mitteln», sagte der Militärtheoretiker<br />

Carl von Clausewitz einst. Heute<br />

würde er vielleicht sagen: Cyberwar ist<br />

die Fortsetzung konventioneller Bedrohungen<br />

mit elektronischen Mitteln.<br />

Energieversorgung<br />

und Zahlungsverkehr in Gefahr<br />

Cyberwar ist ein typisch asymmetrischer<br />

Krieg. Mit wenig Geld und ohne viel Aufwand<br />

können wenige Personen aus grosser<br />

Distanz aktiv sein. Es braucht dazu<br />

weder einen Staat, ein eigenes Territorium<br />

noch teure Waffen. PC und Internetanschluss<br />

genügen.<br />

Allerdings ist Cyberwar nicht exakt der<br />

richtige Begriff. Es geht dabei nicht um<br />

eine zeitlich begrenzte, physische Attacke<br />

durch einen Staat gegen einen anderen<br />

Staat, sondern um permanente<br />

Bedrohungen, welche auch von nichtstaatlichen<br />

oder kriminellen Organisationen<br />

stammen können. Zudem ist die<br />

militärische Komponente der Bedrohung<br />

nur ein Teilbereich, auch wenn die Folgen<br />

einer Lahmlegung von Waffensystemen<br />

durch elektronische Einflüsse im Ernstfall<br />

natürlich gravierend sind. Es geht um den<br />

Schutz aller kritischer Infrastrukturen einer<br />

Gesellschaft und einer Wirtschaft.<br />

Erwähnt seien etwa Kommunikationsnetze,<br />

die Energieversorgung, der Zahlungsverkehr,<br />

die Verwaltung oder die<br />

Logistikdienste von funktionierenden Informatikanwendungen<br />

sind. Cyber-Angriffe<br />

auf kritische Infrastrukturen können<br />

gravierende Folgen haben, weil sie<br />

lebenswichtige Funktionen beeinträchtigen<br />

oder fatale Kettenreaktionen auslösen<br />

können. Den (oft privaten) Betreibern<br />

solcher Infrastrukturen kommt deshalb<br />

eine besondere Bedeutung zu. Behörden<br />

und Verwaltungen aller Ebenen können<br />

ebenfalls Opfer von Cyber-Angriffen sein<br />

und damit beeinträchtigt werden. Cyber-<br />

Risiken betreffen letztlich aber alle individuellen<br />

Nutzer privater und beruflicher<br />

Informations- und Kommunikationssysteme<br />

sowie kritischer Infrastrukturen.<br />

Informatiktechnologien können böswillig<br />

verwendet werden im Dienste der<br />

staatlichen Spionage, als Werkzeug des<br />

organisierten Verbrechens, der wirtschaftlichen<br />

Konkurrenz oder als taktische<br />

Option im Kriegsfall. Alle Anwendungen<br />

sind bereits Realität.<br />

Schweiz setzt auf Grundprinzip<br />

der Eigenverantwortung<br />

Die Schweizer Behörden verwenden vorzugsweise<br />

die Bezeichnung Cyber-Risi-


Die Fachreferenten zum Thema<br />

Cyber-Risiken (von links):<br />

Stephan Fahrni, Dr. Stefanie Frey<br />

und Max Klaus<br />

ken, denn der Begriff Krieg ist im völkerrechtlichen<br />

Sinn definiert, und ein<br />

Kriegsausbruch hat einschneidende juristische<br />

Folgen. Cyber-Risiken betreffen<br />

zudem nicht primär die Armee, sondern<br />

unsere gesamten Wirtschafts- und Gesellschaftsstrukturen<br />

und jeden einzelnen.<br />

Diese Erkenntnis zeigt sich auch in<br />

den Verantwortlichkeiten auf Stufe Bund:<br />

Die Federführung ist kürzlich vom Verteidigungsdepartement<br />

ins Finanzdepartement<br />

übergegangen.<br />

Das Informatiksteuerungsorgan des<br />

Bundes (ISB) koordiniert und vernetzt die<br />

Aktivitäten einer Vielzahl von Akteuren<br />

und ist daran, eine nationale Strategie<br />

zum Schutz vor Cyber-Risiken (NCS) umzusetzen.<br />

Massgeblich daran beteiligt ist<br />

auch der Nachrichtendienst des Bundes<br />

(NDB). Dabei werden jedoch keine Abwehrzentren<br />

oder Cyber-Armeen wie in<br />

anderen Staaten geschaffen. Die Schweiz<br />

setzt primär auf das Grundprinzip der<br />

Eigenverantwortung. Informationssicherung<br />

ist ein kontinuierlicher Risikomanagementprozess,<br />

der alle Unternehmensbereiche<br />

umfassen muss. Es handelt<br />

sich um eine Aufgabe, die in der Verantwortung<br />

des Managements und nicht<br />

nur einer Unterstützungseinheit steht.<br />

Der Staat erbringt dazu subsidiäre Leistungen<br />

zum Schutz vor Cyber-Risiken,<br />

etwa durch Informationsaustausch oder<br />

nachrichtendienstliche Erkenntnisse. In<br />

diesem Sinn muss die Armee ihre wichtigen<br />

Infrastrukturen also genau so selbst<br />

schützen wie etwa die Banken oder andere<br />

Akteure der Wirtschaft.<br />

Eine wichtige Rolle bei der Abwehr von<br />

Cyber-Bedrohungen spielt die Meldeund<br />

Analysestelle Informationssicherung<br />

MELANI. Seit bald zehn Jahren betreibt<br />

sie ein eidgenössisches Lagezentrum zum<br />

Schutz kritischer Infrastrukturen und unterstützt<br />

die Betreiber kritischer Infrastrukturen.<br />

Dabei ist sie vernetzt mit einer<br />

Vielzahl von nationalen und internationalen<br />

Quellen aus den Bereichen Nachrichtendienste,<br />

Ermittlungsbehörden und<br />

Computer Emergency Response Teams.<br />

Dies ist notwendig, um gegen Attacken<br />

gerüstet zu sein. Für EDV-Nutzer ist der<br />

regelmässige Newsletter der MELANI zu<br />

empfehlen, der kostenlos abonniert werden<br />

kann unter www.melani.admin.ch.<br />

Auch Kleinbetriebe sind gefordert<br />

Nicht vergessen werden darf, dass bei<br />

Cyber-Risiken nebst den technischen Gefahren<br />

immer auch der Mensch, also das<br />

Verhalten der EDV-Nutzer, ein bedeutendes<br />

Risiko darstellt. In diesem Sinn ist jede<br />

Behörde und jedes Unternehmen gefordert,<br />

eine umfassende Risikoanalyse unter<br />

Beurteilung der zu schützenden Werte,<br />

der Prozesse und der IT-Strukturen<br />

vorzunehmen. Dies gilt nicht nur für mittlere<br />

und grosse Unternehmen, sondern<br />

besonders auch für Kleinbetriebe wie<br />

Arztpraxen, Beratungsfirmen oder Gewerbetreibende.<br />

Zyklus «Die strategischen Interessen der<br />

Schweiz und deren Auswirkungen auf<br />

die Sicherheitspolitik»; Kolloquium vom<br />

23. September 2013, «Cyber-Risiken –<br />

was unternimmt die Schweiz?», mit Max<br />

Klaus, stv. Leiter MELANI, Dr. Stefanie<br />

Frey, Koordinatorin Umsetzung NCS,<br />

und Stephan Fahrni, Mindcom GmbH,<br />

Lyss; Moderation und Zusammenfassung:<br />

Andreas Widmer (Aktionsfeld Sicherheit<br />

& Armee); Redaktion: Stefan Bachofen.


22<br />

Gespräch<br />

Aus dem Aktionsfeld Sicherheit & Armee<br />

Verschlüsselung schützt vor Datenspionage<br />

Die Kolloquiumsreihe «Die strategischen Interessen der Schweiz und deren Auswirkungen<br />

auf die Sicherheitspolitik» behandelt die Bedrohungen der Schweiz ausserhalb<br />

der konventionellen militärischen Landesverteidigung. Nachdem am ersten Anlass das<br />

Thema Cyber-Bedrohungen im Überblick behandelt worden war, ging es am 28. Oktober<br />

konkret um die Möglichkeiten des Abhorchens und der Sicherheit des elektronischen<br />

Datenverkehrs.<br />

Nicht nur der Aktualität des Themas, Aufstrebende Technologie<br />

sondern insbesondere Prof. Dr. Ueli Gleich zu Beginn machte Professor Maurer<br />

klar, dass die Informationstechnologie<br />

Maurer von der ETH Zürich, führender<br />

Experte auf dem Gebiet der Kryptographie,<br />

war es zuzuschreiben, dass die nologie ist, welche andere Gebiete wie<br />

aus seiner Sicht die aufstrebende Tech-<br />

Veranstaltung von Ende Oktober sehr etwa die Nukleartechnologie oder die<br />

gut besucht war.<br />

Gentechnik an Brisanz in den Schatten<br />

stellt. Der vielleicht grundlegendste Paradigmenwechsel,<br />

in dem wir uns befin-<br />

Dabei zeigte sich im einführenden Gespräch<br />

mit Moderator Andreas Widmer, den, ist die Tatsache, dass Informationen<br />

dass auch die Arbeit eines hochkarätigen<br />

Mathematikprofessors letztlich auf ce der Wirtschaft und der Gesellschaft<br />

zur wichtigsten und treibenden Ressour-<br />

ethischen Werten basiert. Auch für ihn schlechthin werden. Da die digitalen Objekte<br />

die physischen Gegenstände in ihrer<br />

sind der Rückhalt in der privaten Umgebung<br />

und die Rekreation bei anderen Bedeutung zunehmend ablösen, kommt<br />

Freizeitaktivitäten wichtig für die erfolgreiche<br />

Forschungstätigkeit.<br />

her Stellenwert zu. Ihre Charakteristik<br />

ihren besonderen Eigenschaften ein ho-<br />

Persönlich pflegt er einen zurückhaltenden<br />

Umgang mit elektronischen wand kopiert, mit Lichtgeschwindigkeit<br />

besteht darin, dass sie mit wenig Auf-<br />

Kommunikationsmöglichkeiten, dies jedoch<br />

nicht primär aufgrund von Sicher-<br />

werden können. Sie sind andererseits<br />

übermittelt und ohne Spuren zerstört<br />

heitsüberlegungen, sondern insbesondere<br />

zum Schutz seiner zeitlichen All dies stellt neue Herausforderungen an<br />

absolut stabil und nutzen sich nicht ab.<br />

Ressourcen.<br />

den Schutz der Privatsphäre und des geistigen<br />

Eigentums. Die Informationssicherheit<br />

ist deshalb von entscheidender Bedeutung<br />

für die Entwicklung unserer<br />

Informationsgesellschaft.<br />

Sichere Verschlüsselungsmethoden<br />

Datenspionage gehört mittlerweile zum<br />

Kerngeschäft jedes Geheimdienstes.<br />

Mithilfe von frei zugänglicher und erschwinglicher<br />

Spionagesoftware bieten<br />

sich mittlerweile aber auch jeder Privatperson<br />

entsprechende Abhörmöglichkeiten<br />

bei der Nutzung von PC oder<br />

Mobiltelefon. Die Verschlüsselungstechniken<br />

werden deshalb immer wichtiger.<br />

Mittels anschaulicher Beispiele erläuterte<br />

Professor Maurer eindrücklich, dass<br />

es mittlerweile absolut sichere Verschlüsselungsmethoden<br />

gibt, welche<br />

auch mit unendlich grossen Rechenleistungen<br />

nicht zu knacken sind. Die Anwendung<br />

derartiger kryptographischer<br />

Methoden nützt letztlich aber nur etwas,<br />

wenn auch die verwendete Hardware<br />

sicher ist. Dazu gehört, dass auch<br />

die einzelnen elektronischen Bausteine<br />

von Computern oder Mobiltelefonen<br />

sicher gebaut sein müssen.<br />

Einen weiteren Schwachpunkt bilden<br />

die gängigen Softwareprodukte, die ex-


Moderator Andreas Widmer (rechts)<br />

und Prof. Dr. Ueli Maurer von der ETH<br />

Zürich.<br />

trem komplex aufgebaut sind und somit<br />

genügend Möglichkeiten für (gezielte)<br />

Hintertüren der Datenschnüffler offen<br />

lassen. Da die USA in diesen Bereichen<br />

eine weltweite Monopolstellung einnehmen,<br />

wäre es naiv zu glauben, dass die<br />

entsprechenden Möglichkeiten nicht<br />

ausgenützt werden. Wenn Softwaregiganten<br />

und Telecomunternehmen mit<br />

den Geheimdiensten kooperieren, hat<br />

der einzelne Bürger trotz Kryptographie<br />

schlechte Karten im Kampf gegen die<br />

Ausforschung seiner persönlichen Daten.<br />

Auch eine Frage der Werte<br />

«Big Brother is watching you»: Mit der<br />

flächendeckenden Überwachung von<br />

Telefon- und Internetdaten durch den<br />

US-Geheimdienst NSA sind wir einem<br />

allmächtigen Überwachungsstaat, wie er<br />

von George Orwell in seinem Roman<br />

entworfen wurde, bereits sehr nahe gekommen.<br />

Selbstverursachte Datenspuren,<br />

etwa durch die Nutzung von Kreditkarten,<br />

Social Media, Mobiltelefon etc.<br />

führen zusammen mit neuen Technologien<br />

wie Gesichtserkennung, digitalen<br />

Signaturen oder fotografischer Erfassung<br />

der ganzen Welt unweigerlich dazu, dass<br />

sich das Identitätsverständnis des einzelnen<br />

Individuums ändern wird.<br />

Über die technische Komponente hinaus<br />

geht es also um eine Frage der Werte,<br />

welche in einer gesellschaftlichen<br />

Diskussion im Vordergrund stehen<br />

muss. Es geht nicht mehr um die Frage,<br />

welche Daten gesammelt werden<br />

können, sondern ob dies gemacht werden<br />

darf und welche wirksamen Kontrollmechanismen<br />

dabei bestehen. In<br />

diesem Sinn haben wir vermutlich erst<br />

die Spitze des Eisbergs der ganzen<br />

Thematik erlebt.<br />

«Die strategischen Interessen der<br />

Schweiz und deren Auswirkungen auf<br />

die Sicherheitspolitik»; Unternehmerisches<br />

Gespräch vom 28. Oktober 2013,<br />

«Datenspionage und Gegenmassnahmen»,<br />

mit Prof. Dr. Ueli Maurer, ordentlicher<br />

Professor für Informatik an der ETH<br />

Zürich und Leiter der Forschungsgruppe<br />

für Informationssicherheit und Kryptographie;<br />

Moderation und Zusammenfassung:<br />

Andreas Widmer (Aktionsfeld<br />

Sicherheit & Armee); Redaktion: Stefan<br />

Bachofen.


24<br />

Gespräch<br />

Aus dem Aktionsfeld Wirtschaft & Industrie<br />

Die vielfältigen Perspektiven<br />

einer «10-Millionen-Schweiz»<br />

Beim heutigen Bevölkerungswachstum wird die 10-Millionen-Schweiz in 20 bis 30 Jahren<br />

Realität sein. Ist das eine Chance oder doch eher ein Risiko? Was können wir im einen<br />

Falle dafür oder im andern Falle dagegen tun? An der Tagung des Aktionsfeldes Wirtschaft<br />

& Industrie zum Abschluss des Zyklus zur «10-Millionen-Schweiz» wurden Fragestellungen<br />

und Lösungsansätze formuliert und diskutiert.<br />

Eines ist klar: Unsere Zukunft kommt, bildung und Arbeitslosigkeit beziehungsweise<br />

auch wenn wir sie nicht wollen. Aber<br />

Armutsquote eine hohe Korrelati-<br />

welche Zukunft wollen wir denn überhaupt?<br />

on aufweisen.<br />

Welche Bevölkerungsentwickon<br />

lung benötigt das gesellschaftliche und Das Potenzial der Zugewanderten muss<br />

wirtschaftliche Erfolgsmodell Schweiz? durch die Integration in den Arbeitsmarkt,<br />

Wie können die knapper werdenden<br />

in das Bildungssystem und in das<br />

Räume richtig genutzt werden? Soll die Sozialsystem genutzt und verbessert<br />

Landwirtschaft von der Produktion zur werden. Hochqualifizierte «wandern»<br />

Landschaftspflege mutieren? Und überhaupt:<br />

leichter. Darum sind die Rahmenbedinwicklungsmodell?<br />

Ist Wachstum ein überholtes Entgungen<br />

für diese Bevölkerungsgruppe<br />

attraktiv zu gestalten. Nieder- und<br />

Nichtqualifizierte bleiben. Für sie sind die<br />

Potenzial der Zugewanderten<br />

Integrationsstrategien auf die Verbesserung<br />

nutzen und verbessern<br />

ihrer Qualifikation und die<br />

Für das gesellschaftliche und wirtschaftliche<br />

Ausbildung ihres Nachwuchses zu fokusrung<br />

Erfolgsmodell Schweiz ist die Sichesieren.<br />

Fehlende Integration führt letzt-<br />

der Qualität der Arbeitskräfte wichtiger<br />

lich zu einer Belastung des Sozialsystems.<br />

als die einseitige Optik auf die Höhe Konkret braucht es für Migrationsfamililich<br />

der Einwohnerzahl. Wir brauchen die en verbindliche Gespräche, Entwicklungsvereinbarungen<br />

richtige Bevölkerung. Die Zuwanderung<br />

und den obligato-<br />

als Hauptursache des Bevölkerungswachstums<br />

rischen Spracherwerb. Fördern, aber<br />

bringt uns einerseits qualifi-<br />

auch Fordern muss das Ziel sein. Flankierischen<br />

ziertes Fachpersonal und andererseits rend bleiben auch Lohnschutzmassnahmen<br />

soziale Probleme. Fakt ist, dass Berufs-<br />

wichtig. Die Schweiz in der Mitte<br />

der EU wird im Migrationsbereich noch<br />

einige Fragen zu lösen haben.<br />

Ein vordergründiges Anliegen bleibt die<br />

Ausbildung ganz generell. Das duale Berufsbildungssystem<br />

muss weiterentwickelt<br />

werden. Es darf keine Ausbildung<br />

ohne Anschlussbildung mehr geben.<br />

Allerdings ist der Fachkräftemangel zum<br />

Teil auch hausgemacht. Beispielsweise<br />

werden doppelt so viele Geisteswissenschaftler<br />

wie Naturwissenschaftler und<br />

Ingenieure ausgebildet. Die Steuerung<br />

der Arbeitskräfte soll über die Arbeitsmarktbedingungen<br />

und die Ausbildung<br />

sichergestellt werden. Die Zusammenfassung<br />

dieser beiden Grundbedingungen<br />

im Volkswirtschaftsdepartement ist<br />

somit folgerichtig.<br />

Chancen, aber auch Ängste<br />

Direkt betroffen vom Bevölkerungszuwachs<br />

ist die Raumentwicklung, konkret<br />

der Raumbedarf. Positive Faktoren sind<br />

die Wohlstandsentwicklung, die Fiskalbilanz,<br />

die Sonderkonjunktur und die demografische<br />

Verjüngung unseres Landes.<br />

Negativ zu Buche schlagen der «empfundene»<br />

Dichtestress, der Landschaftsverbrauch,<br />

die Immobilienkosten sowie die<br />

Überfremdungsangst.


Von links: Anton Bucher, Dr. Rudolf Strahm, Dr. Ion Karagounis, Nationalrat Markus Hausammann und Dr. Max Becker<br />

Konkret: Die Projektion einer 10-Millionen-Schweiz<br />

aus räumlicher Sicht wird im<br />

positiven Sinn in Zusammenhang gebracht<br />

mit einer Wohlstandsgesellschaft,<br />

einer verzögerten demografischen Alterung,<br />

einer heterogenen Gesellschaft<br />

und einer Stadtlandschaft mit den grossmetropolitanen<br />

Regionen Zürich, Basel<br />

und Genf und den Agglomerationen im<br />

Mittelland, aber auch mit einer zunehmenden<br />

Raumdynamik und in der Folge<br />

mit Reformen in der föderalistischen<br />

Raumorganisation.<br />

Um die zuvor negativen Auswirkungen<br />

im Raumbereich in den Griff zu bekommen,<br />

gibt es verschiedenste Ansätze.<br />

Etwa im Bereich der Bauzonen: Diese sind<br />

insgesamt zu gross und liegen oft am<br />

falschen Ort. Ohne Korrektur stehen<br />

riesige Infrastrukturkosten mit wenig<br />

Effizienz bevor. Im Bereich des Wohnungsmarktes:<br />

Hier sind Verdichtungsstrategien<br />

und zusätzliches Wohnungsangebot<br />

in den Städten dringlich. Im<br />

Bereich der funktionalen Räume: Diese<br />

sind überregional zu planen und zu<br />

koordinieren mit entsprechenden Programmen<br />

für Agglomerationen und<br />

Städte. Im Bereich der Landwirtschaft:<br />

Diskutiert werden landschaftspflegende<br />

Massnahmen als Gegenleistung für<br />

Direktzahlungen. Wenn die Schweiz zur<br />

Stadt wird, muss die Landschaft zum Park<br />

werden. Schliesslich gilt es Probleme im<br />

Bereich des Verkehrs und der Verkehrspolitik<br />

im Zusammenhang mit dem Bevölkerungswachstum<br />

zu lösen. Erwähnt<br />

seien der heute zu tiefe Eigenfinanzierungsgrad<br />

des öffentlichen Verkehrs, die<br />

Fehl-Allokation von Mitteln durch Investitionen<br />

in den Randregionen und im<br />

Mittelland statt in den Städten und Agglomerationen,<br />

aber auch die Umschichtung<br />

der individuellen und staatlichen<br />

Verkehrsfinanzierung, Stichwort Kostenwahrheit.<br />

Bessere Rahmenbedingungen<br />

für die Landwirtschaft<br />

Aus der Sicht der Landwirtschaft werden<br />

die Akzente differenzierter gesetzt. Die<br />

besten Agrarflächen stehen im Mittelland,<br />

also in einem Spannungsfeld zu


Kam auf dem Podium richtig in Fahrt: Regierungsrat Dr. Jakob Stark (links) zusammen mit Moderator Anton Bucher vom<br />

Aktionsfeld Wirtschaft & Industrie<br />

industriellen, gewerblichen und wohnräumlichen<br />

Ansprüchen. Die Landwirtschaft<br />

versteht sich als Modell einer harmonischen,<br />

intelligenten und effizienten<br />

Nutzung des Bodens. Die Nahrungsmittelproduktion<br />

soll in Harmonie mit der<br />

Ökologie und der Landschaftspflege verstanden<br />

und auch künftig sichergestellt<br />

werden. Kein Zukunftsmodell für den<br />

Bauernstand ist die extensive Produktion.<br />

Allerdings benötigt der Markt für die<br />

landwirtschaftlichen Produkte auch Rahmenbedingungen,<br />

die eine gedeihliche<br />

Zukunft der Landwirtschaft in unserem<br />

Lande ermöglichen.<br />

Ressourcen werden knapp<br />

Schliesslich stellte sich die Grundsatzfrage<br />

zum Spannungsfeld Wachstum und/<br />

oder Nachhaltigkeit. Ganz sachlich kann<br />

der ökologische Fussabdruck der Schweiz<br />

kaum Nachahmung als globaler Massstab<br />

finden. Nachhaltigkeit und Umweltschutz<br />

sind nationale und globale Herausforderungen<br />

im gigantischen Ausmass:<br />

Klimawandel, Verlust von Biodiversität,<br />

Ausbeutung von Ressourcen, Wasserknappheit,<br />

Landverlust, Energieverbrauch.<br />

Hier besteht ein Handlungsauftrag.<br />

Wenn die Schweiz 10 Millionen und<br />

die Erde 9 Milliarden Einwohner haben<br />

wird, werden wichtige Ressourcen<br />

knapp. Und dies erst noch bei einer im<br />

Vergleich zu heute drei- bis viermal höheren<br />

Wirtschaftsleistung und einem<br />

verdoppelten Energieverbrauch. Massnahmen<br />

liegen einerseits im technischen<br />

Bereich mit einer generellen Effizienzsteigerung<br />

um den Faktor 5 bis 10 und<br />

einer konsequenten Recyclingwirtschaft<br />

mit Vermeiden, Wiederverwerten und<br />

richtig Entsorgen, andererseits im gesellschaftlichen<br />

Bereich mit gesetzlichen Regeln<br />

und einer Veränderung des Verhaltens<br />

zwischen Konsum und Verzicht.<br />

Regierungsrat Dr. Jakob Stark beleuchtet<br />

die Perspektiven einer «10-Millionen-<br />

Schweiz» aus Sicht des Kantons Thurgau.


27<br />

Charme von «Mostindien» soll erhalten bleiben<br />

Der Kanton Thurgau kann sich diesen Entwicklungen nicht entziehen. Allerdings<br />

liegt die Fokussierung laut Regierungsrat Dr. Jakob Stark, Vorsteher des Departementes<br />

für Bau und Umwelt, weniger in einer grossmetropolitanen Zukunft,<br />

sondern in einem harmonischen Nebeneinander und Miteinander von Wirtschaft,<br />

Landschaft und Bevölkerung. Die Raumentwicklung ist entsprechend den unterschiedlichen<br />

Räumen im Kanton differenziert zu betrachten. Allerdings bleiben<br />

viele Problemstellungen, die auch dem schweizerischen Durchschnitt entsprechen,<br />

wie die Gestaltung und Finanzierung der Infrastruktur, der Kultur-, Wirtschafts-<br />

und Erholungsräume, der Bevölkerungsentwicklung mit den notwendigen<br />

und richtigen Arbeitskräften. Der Charme von «Mostindien» soll aber<br />

erhalten bleiben.<br />

Zyklus «Die 10-Millionen-Schweiz: auf<br />

dem Weg zu neuen Herausforderungen<br />

– und neuen Realitäten?»; <strong>Lilienberg</strong><br />

Tagung vom 22. Oktober 2013, «Szenarien<br />

einer 10-Millionen-Schweiz», mit<br />

Dr. h.c. Rudolf Strahm, Ökonom, alt Nationalrat<br />

und ehemaliger Preisüberwacher,<br />

Herrenschwanden, Nationalrat Markus<br />

Hausammann, Langrickenbach, Dr. Daniel<br />

Müller-Jentsch, Projektleiter und Mitglied<br />

des Kaders Avenir Suisse, Zürich, und Dr.<br />

Ion Karagounis, Mitglied der Geschäftsleitung<br />

WWF Schweiz, Zürich; Moderation:<br />

Dr. Max Becker und Anton Bucher<br />

(Aktionsfeld Wirtschaft & Industrie).<br />

Ausserordentliches Gespräch vom 22.<br />

Oktober 2013 «Der Kanton Thurgau im<br />

Rahmen einer 10-Millionen-Schweiz», mit<br />

Regierungsrat Dr. Jakob Stark, Departement<br />

für Bau und Umwelt, Frauenfeld;<br />

Moderation: Dr. Max Becker und Anton<br />

Bucher (Aktionsfeld Wirtschaft & Industrie);<br />

Zusammenfassung: Anton Bucher;<br />

Redaktion: Stefan Bachofen.


28<br />

Gespräch<br />

Aus dem Aktionsfeld Wirtschaft & Industrie<br />

Sorge um die Unabhängigkeit<br />

der Europäischen Zentralbank<br />

Über die langfristigen ökonomischen, sozialen<br />

und ökologischen Effekte zu diskutieren<br />

und Szenarien für eine nachhaltige<br />

Geldpolitik zu skizzieren, war das Ziel der<br />

Tagung «Geldpolitik 2020». Entscheidungsträger<br />

aus Wirtschaft, Politik, Medien<br />

und Wissenschaft nahmen teil – doch<br />

endgültige Lösungen wurden nicht gefunden.<br />

Geldpolitik hat weitreichende Auswirkungen<br />

auf unsere Wirtschaft und Gesellschaft.<br />

Das zeigte die Tagung «Geldpolitik<br />

2020 – Grundlagen und Szenarien,<br />

wie müsste eine nachhaltige Geldpolitik<br />

aussehen?» Die Entscheide von Zentralbanken<br />

in Bezug auf Zinsniveaus, Inflationsziele<br />

und Wechselkurse sind zentrale<br />

Grössen für Konsum und Investitionen<br />

sowie die Verteilung von Einkommen und<br />

Vermögen. Sie haben signifikante Bedeutung<br />

für soziale Sicherungssysteme und<br />

die Preisentwicklung von Vermögenswerten.<br />

Sie wirken sich unterschiedlich in<br />

Bezug auf Region und Sektoren aus und<br />

bringen damit weitere ökonomische,<br />

soziale und ökologische Implikationen<br />

mit sich.<br />

Den Referenten ging es darum, die geldpolitische<br />

Entwicklung der letzten Jahr-<br />

zehnte zu beleuchten. Zudem analysierten<br />

sie die wirtschaftlichen, gesellschaftlichen<br />

und ökologischen Effekte der aktuellen<br />

Massnahmen der Zentralbank. Die Tagung<br />

bot eine Plattform, um alternative Szenarien<br />

für eine Geldpolitik im Jahr 2020 zu<br />

skizzieren.<br />

Politik und Notenbank<br />

nähern sich an<br />

Aus einer Finanzkrise, die sich zu einer<br />

ausgedehnten Wirtschaftskrise gewandelt<br />

habe, sei durch ein «Herbeireden<br />

einer Eurokrise» eine Staatenkrise geworden,<br />

sagte Prof. Dr. Dirk Niepelt. Mehr<br />

und mehr wurden die Staaten handlungsunfähig<br />

und die Europäische Zentralbank<br />

(EZB) sprang ein. Dieser Schritt führte zu<br />

einer Verschiebung der Kompetenzen<br />

und Erwartungen. Niepelt warf die Frage<br />

auf, ob das grössere Aufgabenfeld nicht<br />

zu problematischen Zielkonflikten führt<br />

und somit dem Ziel der Preisstabilität abträglich<br />

sei. Bereits könne eine Annäherung<br />

zwischen Politik und Notenbank<br />

beobachtet werden.<br />

Auf diesem Hintergrund wächst in der<br />

Schweiz die Sorge, dass die Unabhängigkeit<br />

der EZB ausgehöhlt werden könnte.<br />

Eine zu starke Politisierung der EZB birgt<br />

Gefahren für die Stabilität des Währungsraums.<br />

Weil die Probleme in Europa<br />

nicht gelöst sind, sei die Schweiz in der<br />

Situation gefangen, meinte Prof. Dr. Rudolf<br />

Minsch in der Podiumsdiskussion.<br />

Er leitet bei Economiesuisse den Bereich<br />

«Allgemeine Wirtschaftpolitik und Bildung»<br />

und hat kürzlich interimistisch den<br />

Vorsitz der Geschäftsleitung übernommen.<br />

Auch Dr. Rudolf Walser sieht die Schweiz<br />

und deren Nationalbank in einem Dilemma,<br />

aus dem sie nicht gleich wieder<br />

herausfinden wird. Er denkt, dass die<br />

Notenbank gefordert ist. Ob die Politik<br />

aber in die gleiche Richtung wie die Bank<br />

gehen wird, sei unklar, sagte der Senior<br />

Consultant der Denkfabrik Avenir Suisse.<br />

Walser schlug vor, der Schweizerischen<br />

Nationalbank (SNB) mehr Instrumente an<br />

die Hand zu geben, um unangenehme<br />

Nebeneffekte ihrer Geldpolitik abfedern<br />

zu können. Diesen Schritt begrüsste Dr.<br />

Katrin Assenmacher, die stellvertretende<br />

Direktorin bei der SNB ist und die Verantwortung<br />

für den Bereich geldpolitische<br />

Analysen trägt. Sie wies darauf hin,<br />

dass die Notenbank ein staatlicher<br />

Apparat ist und die Unabhängigkeit nur<br />

über ein klares Mandat geht.


Hochkarätiges Podium mit Prof. Dr.<br />

Bernhard Herz, Prof. Dr. Rudolf Minsch,<br />

«NZZ»-Redaktor Dr. Beat Gygi,<br />

Dr. Katrin Assenmacher und Dr. Rudolf<br />

Walser (von links).<br />

Wissenschaft und Politik<br />

kooperieren immer weniger<br />

Kleinere Staaten haben tendenziell stabilere<br />

Währungen als grössere, sagte Prof.<br />

em. Dr. Peter Bernholz. Die Hyperinflationen<br />

dienten immer der Reichtumssteigerung<br />

der Regierungen oder Herrscher.<br />

Mit Blick auf die heutigen Krisen warnte<br />

er vor dem Aufweichen der geldpolitischen<br />

Unabhängigkeit. Laut Martin Neff,<br />

Chefökonom von Raiffeisen, ist das Bankensystem<br />

noch immer sehr instabil. Das<br />

sei eine Folge der Liberalisierung der<br />

Finanzmärkte, die seither exorbitant gewachsen<br />

seien.<br />

Ein Wundermittel zur Gewährleistung der<br />

Finanzsystemstabilität wurde auf <strong>Lilienberg</strong><br />

nicht gefunden. Daran konnten<br />

auch Wissenschafter nichts ändern. Prof.<br />

Dr. Bernhard Herz hielt fest, dass die<br />

Wissenschaft Ideen entwickelt. Sie könne<br />

eine Orientierung geben, aber sie könne<br />

der Notenbank nicht sagen, was sie zu<br />

tun habe. Herz sieht auch immer weniger<br />

Felder, wo Wissenschaft und Politik zusammenarbeiten.<br />

Diese Diskussion dürfte,<br />

so der Tenor der Veranstaltung, nicht<br />

so schnell abgeschlossen sein.<br />

Referenten und ihre Themen<br />

Referate und Diskussionen prägten die Tagung, am späteren Nachmittag folgte<br />

eine Podiumsdiskussion. Prof. em. Dr. Peter Bernholz eröffnete den Anlass und<br />

machte einen Rückblick der Geldpolitik bis zum Jahr 2000. Bernholz ist emeritierter<br />

Professor für Nationalökonomie an der Universität Basel. Er ist ein Kenner der<br />

Geschichte der Währung, Geldpolitik und Inflation. Danach folgte Prof. Dr. Dirk<br />

Niepelt, Direktor des Studienzentrums Gerzensee und Professor an der Universität<br />

Bern. Seine Forschungsinteressen liegen in den Bereichen Makroökonomie, International<br />

Finance, politische Ökonomie und Public Finance.<br />

Über Geldpolitik und Nachhaltigkeit referierten Dr. Pierre Monnin, Dr. Frank<br />

Somogyi und Martin Neff. Monnin arbeitet als Fellow des Council on Economic<br />

Policies. Zuvor war er bei der Schweizerischen Nationalbank. Somogyi ist bei der<br />

Deutschen Volksbank als Volkswirt tätig. Er befasst sich mit der Analyse globaler<br />

Rohstoffmärkte und der Konjunkturanalyse der Industrieländer ausserhalb der<br />

Eurozone. Neff ist Chefökonom von Raiffeisen Schweiz.<br />

Am Nachmittag gab es Referate von Prof. Dr. Christoph Schaltegger, Katharina<br />

Serafimova, Dr. Yves Schneider und Dr. Marc Zahner. Zahner arbeitet als Ökonom<br />

in der Sektion Währung und Finanzstabilität im Staatssekretariat für internationale<br />

Finanzfragen im Eidgenössischen Finanzdepartement. Schaltegger leitet den Lehrstuhl<br />

für politische Ökonomie an der Universität Luzern. Sie, wie auch Katharina<br />

Serafimova vom WWF und Yves Schneider von der Beratungsfirma Polynomics,<br />

referierten über geldpolitische Alternativen für die Zukunft.<br />

Tagung vom 4. Oktober 2013 «Geldpolitik<br />

2020 – Grundlagen und Szenarien»: Geldpolitische Analysen Schweizerische<br />

und Dr. Katrin Assenmacher, Leiterin<br />

Podiumsdiskussion mit Prof. Dr. Rudolf Nationalbank; Moderation: Dr. Beat Gygi,<br />

Minsch, Geschäftsleiter a.i., Chefökonom<br />

Economiesuisse, Dr. Rudolf Walser, fassung: Bruno Fuchs.<br />

Wirtschaftsredaktor «NZZ»; Zusammen-<br />

Senior Consultant Avenir Suisse, Prof.<br />

Dr. Bernhard Herz, Universität Bayreuth,


30<br />

Gespräch<br />

Aus dem Aktionsfeld Politik & Gesellschaft<br />

Kultur überwindet Grenzen<br />

Nützen Kunst und Kultur der Wirtschaft<br />

am Bodensee? Dieser Frage ist ein Kolloquium<br />

des Aktionsfeldes Politik & Gesellschaft<br />

im Rahmen des Zyklus «Herausforderung<br />

Grenze» nachgegangen. Die<br />

Impulse der Referenten werden an einer<br />

Tagung Ende Januar vertieft.<br />

Die Frage ist alt: Lohnt sich Kunst, zahlt<br />

sich Kultur aus – und für wen? Die Antworten<br />

aber, die die vier Referenten aKol-<br />

Die Frage ist alt: Lohnt sich Kunst, zahlt<br />

sich Kultur aus – und für wen? Die Antworten<br />

aber, die die vier Referenten am<br />

Kolloquium vom 27. August auf <strong>Lilienberg</strong><br />

gegeben haben, sind erfrischend,<br />

denken wortwörtlich über Grenzen hinweg,<br />

nicht nur über den trennenden See.<br />

Denn um die «Herausforderung Grenze»<br />

geht es dem Aktionsfeld Politik & Gesellschaft,<br />

das sich mit dem Bodenseeraum<br />

und seinen vier Anrainerstaaten auseinandersetzt.<br />

Zu wenig Austausch<br />

Kunst als Wirtschaftsfaktor also in einem<br />

Raum, der einst eine kulturelle Einheit bildete<br />

und heute von politischen Grenzen<br />

und solchen in den Köpfen behindert<br />

wird. Der <strong>Lilienberg</strong> wolle den Bodenseeraum<br />

besser vernetzen, sagte Hans-<br />

Peter Wüthrich, Leiter des Aktionsfeldes<br />

und Moderator. Er vermisse den fächerübergreifenden<br />

Austausch angesichts von<br />

gut 1600 Organisationen mit diesem Ziel.<br />

Grenzen wegdenken also. Und Grenzen<br />

sichtbar machen – mit Kunst. Denkwürdiges<br />

Beispiel ist Johannes Dörflingers<br />

Kunstgrenze zwischen Kreuzlingen und<br />

Konstanz – weltweit die erste und bislang<br />

einzige.<br />

Eine verbindende Grenze<br />

Bettina Rosenburg von der Johannes-<br />

Dörflinger-Stiftung fasste die Geschichte<br />

der Kunstgrenze zusammen, von der öffentlichen<br />

Diskussion und den politischen<br />

und rechtlichen Hürden seit 2004 über<br />

die Öffnung des Grenzzauns in Klein-<br />

Venedig mit einem Volksfest 2006 bis zur<br />

Einweihung im April 2007. «Ein immenser<br />

Schritt» sei es gewesen, über die Wirkung<br />

einer Grenze zu reden und ihr eine<br />

Bedeutung zu geben mit einem Kunstwerk,<br />

das auch politisch zu verstehen ist;<br />

deren 22 Skulpturen keine Vor- und keine<br />

Rückseite hätten, also für die Gleichberechtigung<br />

der Länder stünden. Aus einer<br />

trennenden sei eine verbindende Grenze<br />

geworden, bei der sich verweilen lasse,<br />

statt sie hinter sich zu bringen. Dörflingers<br />

Kunstgrenze stelle den «Aufbruch<br />

zu einer neuen Grenzkultur» dar, hatte<br />

die damalige Schweizer Bundeskanzlerin<br />

Annemarie Huber-Hotz bei der Einweihung<br />

gesagt.<br />

Grenzen bedeuteten Randlagen, sagte<br />

Rosenburg, doch das «Wahrzeichen<br />

beider Städte» sei zum Zeichen einer<br />

möglichen Zentrumslage geworden. Im<br />

März vorigen Jahres ist die Kunstgrenze<br />

im Europarat in Strassburg vorgestellt<br />

worden – das hatte Folgen: Publikationen<br />

und Broschüren, der Freundeskreis<br />

Kunstgrenze, die Musikfreunde um den<br />

Thurgauer Frédéric Bolli. Und Hans-<br />

Peter Wüthrich fügte hinzu: «Wir sind<br />

nicht randständig, wir sind keine randständige<br />

Region, sondern liegen im<br />

Zentrum Europas.»<br />

Grenze: mental und physisch<br />

David Lang aus Mammern ist Sänger,<br />

Pianist und Dirigent. Mit einem Meisterkurs<br />

hat er 2011 begonnen, jetzt stemmen<br />

er und ein Verein das dritte Mammern<br />

Classics. Ein «noch kleines Festival»<br />

nennt er es, das morgen beginnt und fünf<br />

sinfonische und zwei Solokonzerte umfasst.<br />

«Ich habe jedesmal eine mentale<br />

Grenze überwinden müssen», sagte


Diskutierten Kunst und Kultur als<br />

Wirtschaftsfaktor im Bodenseeraum<br />

(von links): Bettina Rosenburg,<br />

David Lang, Monique Würtz,<br />

Prof. Dr. Rainer Vollkommer und<br />

Hans-Peter Wüthrich vom Aktionsfeld<br />

Politik & Gesellschaft.<br />

Lang. Die geografische Grenze trenne:<br />

«Wo und wie werbe ich in Deutschland?»<br />

Ebenso die wirtschaftliche: «Im Raum<br />

Zürich gibt es mehr potenzielle Sponsoren.»<br />

Und ohne Sponsoren gehe gar<br />

nichts, auch wenn die Akquisition einfacher<br />

werde, sobald man bekannt sei:<br />

«Sponsoren vertrauen dir blind – oder gar<br />

nicht.» Lang nutzt auch Synergien, vermietet<br />

das Konzertzelt an andere Veranstalter.<br />

Und glaubt an seine Vision: das<br />

Festival in der Schweiz oder gar Europa<br />

zu etablieren.<br />

Monique Würtz, Chefredaktorin von<br />

«Kultur am Bodensee», sagte in ihrem<br />

Referat: «Es gilt als unkeusch, Kultur und<br />

Wirtschaft zu verbinden.» Und zeigte sich<br />

erstaunt, dass an den Hochschulen nicht<br />

über Wertschöpfung geforscht werde.<br />

Rainer Vollkommer setzt beim Liechtensteinischen<br />

Landesmuseum ganz auf<br />

Marke und Kommunikation samt Social<br />

Media, und er will, «dass wir in Regionen<br />

denken, nicht in Städten».<br />

Gegenseitiges Vertrauen<br />

Vertrauen zwischen Künstler und Unternehmer<br />

also, betonte Marianne Rosenburg<br />

abschliessend; der Künstler dürfe<br />

jedoch nie eingeengt werden, ergänzte<br />

Hans-Peter Wüthrich. Und mit Blick auf<br />

das Konzil-Jubiläum 2014: «Wir müssen<br />

hingehen und sagen: Museen sind nicht<br />

verstaubt, denn wir können aus der Geschichte<br />

lernen.»<br />

Zyklus «Herausforderung Grenze»;<br />

<strong>Lilienberg</strong> Kolloquium vom 27. August<br />

2013, «Kultur/Kunst als Wirtschaftsfaktor,<br />

Einblicke in das Kunstschaffen rund<br />

um den Bodensee», mit David Lang, Direktor<br />

Festival Mammern Classics, Bettina<br />

Rosenburg, Präsidentin Johannes-<br />

Dörflinger-Stiftung, Kreuzlingen, Prof.<br />

Dr. Rainer Vollkommer, Direktor Liechtensteinisches<br />

Landesmuseum, Vaduz,<br />

und Monique Würtz, Chefredaktorin,<br />

SW ArtManagement, Kultur am Bodensee,<br />

Konstanz; Moderation: Hans-Peter<br />

Wüthrich (Aktionsfeld Politik & Gesellschaft);<br />

Zusammenfassung: Dieter Langhart,<br />

«Thurgauer Zeitung». http://www.<br />

thurgauerzeitung.ch/archiv/


32<br />

Gespräch<br />

Aus dem Aktionsfeld Politik & Gesellschaft<br />

Genossenschaften –<br />

die heimliche Macht im Land<br />

Unter dem Titel «Genossenschaften – Dienst an allen?» organisierte das Aktionsfeld<br />

Politik & Gesellschaft den ersten Anlass im Zyklus «Genossenschaften – alte Idee mit<br />

einer grossen Zukunft». Beleuchtet wurde in partizipativem Stil, worum es bei dieser<br />

oft etwas in den Schatten geratenen Wirtschaftsform geht. In der Schweiz gibt es 9600<br />

Genossenschaften. Sie sind erfolgreich und die heimliche Macht im Land. <strong>Lilienberg</strong><br />

schaut näher hin.<br />

Zum Kolloquium vom 14. November ten bis hin zur Einkaufsgenossenschaft für<br />

«Genossenschaften – Dienst an allen?» Metzger und alternative Währungsformen.<br />

Eine reichhaltige Expertenrunde tat<br />

waren zwei Referenten und eine Referentin<br />

eingeladen: Dr. Barbara Meili, Präsidentin<br />

der Radio- und Fernsehgenossenrenz<br />

der Genossenschaften eintrat und<br />

sich auf, die grundsätzlich für die Transpaschaft<br />

Zürich-Schaffhausen (SRG), Urs diesen Wert als nachhaltig einstufte.<br />

Fischer, langjähriger Stadtpräsident von<br />

Wetzikon und Generalagent der Mobiliar, Krisenresistenz getestet<br />

und Dr. Hilmar Gernet, Direktionsmitglied Die Krisenjahre 2008 und 2009 schienen<br />

Raiffeisen Schweiz Genossenschaft. Sie fast spurlos an den Genossenschaften<br />

vertraten zwei grosse – fast in Holdingstrukturen<br />

umgesetzte Firmen – und eine Gruppen hatten damals nur Gewinne ge-<br />

vorübergegangen zu sein. Die grossen<br />

typische traditionelle Genossenschaft mit schrieben. Dies hat viel mit der Geschäfts-<br />

Selbsthilfecharakter. Alle drei Referierenden<br />

betonten, dass sie vom Konzept der Sie gelten als bodenständig mit starker<br />

philosophie der Genossenschaften zu tun.<br />

Genossenschaft überzeugt sind und dieses<br />

mit Begeisterung vertreten. Nach der bestimmt zu einer unternehmerischen<br />

regionaler Verankerung. Wachstum gehört<br />

Finanzkrise stehen sie für die alten Unternehmenswerte,<br />

die neuerdings wieder steht jedoch nicht im Vordergrund, son-<br />

Maxime. Der Ruf nach schnellen Profiten<br />

entdeckt werden.<br />

dern vielmehr der Nutzen für Kunden und<br />

Gesellschaft. Auf die Frage, ob es denn<br />

Die Teilnehmenden des Kolloquiums vertraten<br />

ebenfalls eine breite Palette von eisenbank oder die Mobiliar nicht anbie-<br />

gewisse Produkte gebe, welche die Raiff-<br />

Genossenschaften – von Pensionskassen ten sollten, antworteten die Referenten<br />

über landwirtschaftliche Genossenschaf-<br />

Hilmar Gernet und Urs Fischer, dass die<br />

Produkte-Palette und die Definition der<br />

Dienstleistungen durch die Genossenschafter<br />

bestimmt werden.<br />

Bildungsoffensive ist nötig<br />

In der Diskussion war für alle Teilnehmer<br />

klar, dass ein Bildungs- und Wissensdefizit<br />

bestehe, und zwar sowohl was die Gesellschaftsform,<br />

die Rechte und die Struktur<br />

der Gesellschaft betrifft als auch bei der<br />

Partizipation der Genossenschafter bei<br />

Delegiertenversammlungen und weiteren<br />

Steuerungs-Gremien. Exemplarisch dafür<br />

ist, dass in der Schule im BWL- und Rechtsunterricht<br />

lange Abhandlungen zu Aktiengesellschaften<br />

oder GmbHs geführt<br />

werden, Genossenschaften hingegen auf<br />

die Schnelle – also nebenbei – erläutert<br />

werden.<br />

Zur Thematik des Empowerment, der Stärkung<br />

der Genossenschafter in ihrer Rolle,<br />

wurde von Barbara Meili das Ziel der<br />

Medienkompetenz und der Medienbildung<br />

hervorgehoben. Eines der Ziele der<br />

SRG Zürich-Schaffhausen ist die Beurteilung<br />

und Beobachtung der Programme.<br />

Damit dies korrekt und qualitativ hochstehend<br />

erfolgt, sollen die Genossenschafter<br />

ausgebildet werden, damit sie ihre Medienkompetenz<br />

stärken.


Von links: Dr. Hilmar Gernet,<br />

Urs Fischer, Sabine Ziegler, Dr. Barbara<br />

Meili und Christoph Vollenweider.<br />

Leider fehlt diese Stärkung der Genossenschafter<br />

bei der Raiffeisenbank sowie im<br />

komplexer werdenden Versicherungsumfeld<br />

der Mobiliar zurzeit noch. Es wurde<br />

bemängelt, dass das Diskutieren auf Augenhöhe<br />

ab und zu fehle. Es sind ja nicht<br />

nur die Regulatoren, die komplexer geworden<br />

sind, sondern auch das Reporting,<br />

die Haftungsfragen und die<br />

Kommunikation. Empowerment hat immer<br />

mit Abgabe an Definitionsmacht zu<br />

tun. Die Frage zurück an die grossen Genossenschaften<br />

lautet: Wie mündig und<br />

beeinflussend will man die Genossenschafter<br />

haben?<br />

Partizipation wurde nicht zuletzt mit der<br />

digitalen Revolution zum Trend, also im<br />

Gleichschritt mit der Genossenschaftsidee.<br />

Dazu braucht es adäquate Mittel<br />

(Plattformen, Foren), um die Delegierten<br />

zu stärken und sie teilhaben zu lassen.<br />

Für kleinere Genossenschaften, die oft auf<br />

Milizbasis tätig sind, sollen ebenfalls neue<br />

Modelle zur Professionalisierung der Aktiven<br />

entwickelt werden. Bestimmt wäre<br />

eine Offensive zur Attraktivitätssteigerung<br />

des Rufs der Genossenschaft wichtig sowie<br />

auch eine Qualifizierung der Genossenschaftstätigen.<br />

Reformbedarf geortet<br />

2012, zum UNO-Jahr der Genossenschaften,<br />

wurde die Interessensgemeinschaft<br />

Genossenschaftsunternehmen (www.iggenossenschaftsunternehmen.ch)<br />

gegründet<br />

mit dem Ziel, dieser Wirtschaftsform<br />

eine Stimme zu geben. Nebst Tagungen<br />

und Austauschforen wurde eine Kooperation<br />

mit der Universität Luzern eingegangen,<br />

wo Forschung und Lehre zu Genossenschaften<br />

gestärkt werden sollen.<br />

Gegenwärtig wurde Reformbedarf bei den<br />

Themen Kapitalbeschaffung, Mindestzahl<br />

der Genossenschafter bei der Gründung,<br />

Haftung und Gründungskapital geortet.<br />

Dies wird Thema an den beiden nächsten<br />

<strong>Lilienberg</strong> Anlässen im Zyklus «Genossenschaften<br />

– alte Idee mit einer grossen Zukunft»<br />

vom 10. Januar und 26. Februar<br />

2014 sein.<br />

Zyklus «Genossenschaften – alte Idee mit<br />

einer grossen Zukunft»; <strong>Lilienberg</strong> Kolloquium<br />

vom 14. November 2013, «Genossenschaften<br />

– Dienst an allen?», mit Dr.<br />

Barbara Meili, Kommunikationsberaterin,<br />

Präsidentin der Radio- und Fernsehgenossenschaft<br />

Zürich-Schaffhausen, Zürich,<br />

Urs Fischer, Generalagent der Mobiliar,<br />

Stadtpräsident, Wetzikon, und Dr. Hilmar<br />

Gernet, Mitglied der Direktion Raiffeisen<br />

Schweiz Genossenschaft, Luzern; Moderation:<br />

Christoph Vollenweider, Leiter<br />

Unternehmertum, und Sabine Ziegler,<br />

Geschäftsleiterin z-communications and<br />

facilitation, Kantonsrätin, Zürich; Zusammenfassung:<br />

Sabine Ziegler; Redaktion:<br />

Stefan Bachofen.


34<br />

Gespräch<br />

Aus dem Aktionsfeld Politik & Gesellschaft<br />

Die Schweiz ist mit dem starken<br />

Bevölkerungswachstum überfordert<br />

Seit dem Personenfreizügigkeitsabkommen mit der EU wächst die Schweizer Bevölkerung<br />

jährlich um 70 000 Personen. Das Wachstum wirkt sich auf Wohnungsbau, Verkehr<br />

und Arbeitsplätze aus und stellt ein Problem dar. Im gut besuchten unternehmerischen<br />

Gespräch – für einmal in der Ferag in Hinwil – zeigten die Referenten Lösungen<br />

auf, auch unpopuläre nannten sie.<br />

In einem Punkt waren sich die Referenten derung und die Ecopop-Initiative, deren<br />

bei der Diskussion über die Personenfreizügigkeit<br />

einig: Man hat zu lange zuge-<br />

gegen die Einwanderung sind. Zudem<br />

Befürworter aus ökologischen Gründen<br />

wartet und die Ängste aus der Bevölkerung<br />

nicht ernst genommen. Martin Freizügigkeitsabkommen mit dem jüngs-<br />

muss mit einem Referendum gegen das<br />

Reichle, Präsident des Arbeitgeber-Verbandes<br />

Zürcher Oberland und rechtes werden.<br />

ten EU-Mitglied Kroatien gerechnet<br />

Seeufer sowie Inhaber der Wetziker Moderator Christoph Vollenweider<br />

Reichle & De-Massari AG zeigte vor knapp meinte, dass eine Annahme der Initiativen<br />

100 Gästen Verständnis für das Unbehagen<br />

aus der Bevölkerung und nannte ge-<br />

wäre. Was das bedeuten würde, ist kaum<br />

wohl das Ende der Personenfreizügigkeit<br />

genüber Dr. Aniela Wirz vom Zürcher Amt abzuschätzen. Eines dagegen ist klar:<br />

für Wirtschaft und Arbeit sowie Dr. Patrik Wirtschaftsverbände belegen, dass die<br />

Schellenbauer von Avenir Suisse ein Beispiel:<br />

«Stellensuchende über 50 Jahre wichtiger Wohlstandstreiber ist.<br />

Personenfreizügigkeit mit der EU ein<br />

sagen, sie fänden wegen den ausländischen<br />

Arbeitnehmern keinen Job mehr.» Deutsche werden bevorzugt<br />

Zersiedelung durch starken Wohnungsbau,<br />

hohes Bevölkerungswachstum und holen, weil wir zu wenig in der Schweiz<br />

«Wir müssen Fachkräfte aus dem Ausland<br />

überlastete Strassen und Züge sind weitere<br />

Bereiche, die gelöst werden müssen. umsgespräch, das <strong>Lilienberg</strong> gemeinsam<br />

haben», sagte Martin Reichle am Podi-<br />

mit der Standortförderung Region Züricher<br />

Oberland durchführte. Reichle mein-<br />

Wie aktuell die Probleme mit der Personenfreizügigkeit<br />

sind, zeigen die nationalen<br />

Initiativen gegen die Masseneinwan-<br />

Studenten bräuchte, sondern gute<br />

te, dass es in der Schweiz nicht noch mehr<br />

Fachpersonen.<br />

Sein Unternehmen sucht diese<br />

bevorzugt in Deutschland, weil da keine<br />

Sprachbarrieren herrschen. Er schätzt an<br />

den deutschen Arbeitnehmern, dass sie<br />

flexibler sind als die einheimischen und<br />

eher lange Arbeitswege in Kauf nehmen.<br />

Es wäre nun falsch, populistisch zu denken<br />

und den ausländischen Arbeitnehmern<br />

Probleme wie den raschen Anstieg<br />

der Schweizer Bevölkerung zuzuschieben.<br />

Dr. Aniela Wirz zeigte auf, dass 41 Prozent<br />

der zugewanderten Arbeitskräfte aktiv<br />

angeworben wurden. Dazu sagte sie:<br />

«Man holt die Ausländer, die kommen<br />

nicht einfach so in die Schweiz.»<br />

Vier von fünf Zugewanderten leben in<br />

der Stadt Zürich und die meisten wollen<br />

dort bleiben. Sie pendeln mit dem öffentlichen<br />

Verkehr und belasten die Strassen<br />

unterdurchschnittlich. Ebenfalls vier von<br />

fünf Zugezogenen haben noch keine Kinder.<br />

Die Zugewanderten beklagen die<br />

fehlende Vereinbarkeit von Beruf und Familie,<br />

weil die vorhandenen Betreuungsangebote<br />

für Kinder nicht ausreichen.<br />

Auch der Lebensunterhalt spielt eine<br />

wichtige Rolle und Aniela Wirz sagte:<br />

«Die Wohnkosten in der Schweiz werden<br />

von Zugewanderten systematisch unterschätzt.<br />

Es ist aber kein primärer Rückwanderungsgrund.»


Moderator Christoph Vollenweider,<br />

Dr. Patrik Schellenbauer von der Avenir<br />

Suisse, Dr. Aniela Wirz vom Zürcher<br />

Amt für Wirtschaft und Arbeit sowie<br />

Martin Reichle, Präsident des Arbeitgeber-Verbandes<br />

Zürcher Oberland<br />

und rechtes Seeufer sowie Inhaber der<br />

Wetziker Reichle & De-Massari AG,<br />

während der Diskussion in der Ferag.<br />

Jährlich 70000 Einwohner mehr<br />

Wie belastend das Bevölkerungswachstum<br />

ist, zeigte Patrik Schellenbauer auf.<br />

Von 1980 bis 2010 nahm die Bevölkerung<br />

im Schnitt jährlich um 50000 Personen<br />

zu, um 1,5 Millionen insgesamt. Seit der<br />

Einführung der Personenfreizügigkeit<br />

geht man von einem Wachstum von<br />

70 000 Personen pro Jahr aus. Diese Zunahme<br />

vergleicht er mit Deutschland und<br />

sagte, dass die Schweiz von der Bevölkerungszahl<br />

her ähnlich viele Personen aufnahm<br />

wie Deutschland DDR-Bürger integrierte.<br />

Bis zum Jahr 2030 könnte die<br />

Schweiz rund 9 Millionen Einwohner haben.<br />

Die entscheidende Frage für Schellenbauer<br />

ist: Wie lenkt die Schweiz dieses<br />

Wachstum in verträgliche Bahnen?<br />

Das Kadermitglied der Avenir Suisse<br />

sieht die Personenfreizügigkeit als «Prügelknaben»,<br />

der für manche Probleme<br />

den Kopf hinhalten muss. Schellenbauer<br />

erwähnte viele Themen, die hausgemacht<br />

sind. Er dachte an die steigende Mobilität<br />

jedes Einzelnen, an den Wohnungsbau,<br />

wo die Zimmergrösse steigt oder die<br />

Raumplanung, auf die lange zu wenig<br />

geachtet wurde.<br />

Mögliche Massnahmen und<br />

Lösungsansätze<br />

Laut Schellenbauer hat die Eurokrise die<br />

Position der Schweiz gestärkt. Die Tatsache,<br />

dass die Bevölkerung weiter stark<br />

zunehmen wird, werde das Land mit der<br />

Zeit überfordern. Es brauche dringend ein<br />

Gegensteuer, sonst drohe über kurz oder<br />

lang das Nein zur Personenfreizügigkeit,<br />

sagte er.<br />

Schellenbauer ist der Meinung, dass die<br />

Schweiz mit dem jetzigen Wachstum<br />

überfordert ist. Es müsse wieder auf<br />

50000 Personen pro Jahr gedrosselt<br />

werden. Aber auch das ginge nur, wenn<br />

städtische Zentren verdichtet bauen und<br />

die Agglomeration entsprechend gerüstet<br />

wird. Neue Einzonungen für Arbeitsplätze<br />

sollten nur in seltenen Fällen bewilligt<br />

werden.<br />

Patrik Schellenbauer könnte sich vorstellen,<br />

dass Schweizer Firmen im grenznahen<br />

Ausland Arbeitsplätze schaffen.<br />

Zudem müsse man die Pauschalbesteuerung<br />

als Ausländerprivileg diskutieren.<br />

Er erwähnte auch die Frühpensionierung,<br />

deren Anreize man reduzieren könnte,<br />

in dem man Arbeitnehmer, die weiterhin<br />

einem Job nachgehen, mit Altersgutschriften<br />

für die 2. Säule belohnt. Auch<br />

flexiblere Arbeitsmodelle für Frauen und<br />

ältere Personen sind für Schellenbauer<br />

denkbar. Er äusserte aber auch unpopuläre<br />

Methoden wie höhere Studiengebühren<br />

für «Bildungsausländer», die Ausschöpfun<br />

der Rückweisungsmöglichkeiten<br />

bei Arbeitslosigkeit oder Einschränkungen<br />

beim Familiennachzug aus Drittstaaten.<br />

Unternehmerisches Gespräch vom 30.<br />

September 2013 in der Ferag AG, Hinwil,<br />

«Personenfreizügigkeit – Wohlstandstreiber<br />

mit Nebenwirkungen», mit Dr. Aniela<br />

Wirz, Leiterin Fachstelle Volkswirtschaft,<br />

Amt für Wirtschaft und Arbeit des Kantons<br />

Zürich, Dr. Patrik Schellenbauer, Projektleiter<br />

und Mitglied des Kaders Avenir<br />

Suisse, und Martin Reichle, Unternehmer,<br />

Präsident des Arbeitgeber-Verbandes<br />

Zürcher Oberland und rechtes Seeufer,<br />

Wetzikon; Moderation: Christoph Vollenweider,<br />

Leiter Unternehmertum; Zusammenfassung:<br />

Bruno Fuchs.


36<br />

Gespräch<br />

Aus dem Aktionsfeld Bildung & Sport<br />

Jugend 2030: leistungsbereit im Beruf,<br />

aber auch aktiv in der Freizeit<br />

«Wie könnte die Arbeitswelt 2030 aussehen und was bedeutet das für unser Bildungsund<br />

Ausbildungssystem?» Mit diesem Themenkreis befasst sich der aktuelle Zyklus im<br />

Aktionsfeld Bildung & Sport. Prof. Dr. Susanne Brüggen von der Pädagogischen Hochschule<br />

Thurgau widmete sich am Kolloquium vom 1. Oktober der Frage, in welcher<br />

Gesellschaft Auszubildende und jüngere Berufsleute in 16 Jahren leben werden. Dr.<br />

Sybille Bayard vom Jacobs Center der Universität Zürich skizzierte, wie Jugendliche und<br />

junge Berufsleute im Jahr 2030 möglicherweise sein werden.<br />

Susanne Brüggen ging von drei Diagnosen<br />

der Soziologie zur heutigen Gesellsiert<br />

ist durch die Wichtigkeit von Wis-<br />

Die Wissensgesellschaft, die charakterischaft<br />

aus, wobei diese Diagnosen nicht senschaft, Technik und Bildung, hat als<br />

als einzig mögliche Deutungen zu verstehen<br />

sind, denn in der Vielstimmigkeit vorgebracht. Der Rollenverunsicherung<br />

Schattenseite die Risikogesellschaft her-<br />

als Grundmerkmal der modernen Gesellschaft<br />

gibt es verschiedene Antworten. cherung im Privaten. Es entstehen «Bas-<br />

im Beruf entspricht eine Rollenverunsi-<br />

Keine Wissenschaft hat das Monopol auf telbiografien» und Lebensläufe geraten<br />

«richtige» Antworten.<br />

in Unordnung. Die Jugendphase ist<br />

schon jetzt ein Abschnitt struktureller<br />

Generalisten werden ausgebildet Unsicherheit. «Jugend wird von einem<br />

Schon heute sei den meisten Berufen Schonraum zu einem Druck- und Leistungsraum.»<br />

gemeinsam, dass nicht mehr Einzelfertigkeiten<br />

gelehrt, sondern Generalisten Globalisierung und internationale Abhängigkeiten<br />

nehmen zu, und Akteure<br />

in einem Tätigkeitsfeld ausgebildet werden,<br />

sagte Professorin Brüggen. «Märkte<br />

und Netzwerke nehmen an Bedeu-<br />

beginnen Bildungspolitik mitzusteuern.<br />

wie etwa die UNESCO oder die OECD<br />

tung zu, und der Einzelne wird zum Bildung wird zum ökonomischen Gut.<br />

«Arbeitskraftunternehmer», der seine Bildung als humane Entwicklungsförderung<br />

gelangt in den Hintergrund.<br />

Expertise in verschiedenen Projekten bei<br />

verschiedenen Institutionen verkauft.» Sybille Bayard präsentierte die COCON-<br />

Brüggen: «Der Beruf wird von der Leitschnur<br />

zum Gummiband.»<br />

Befragung von Schweizer Kindern<br />

Studie «Competence and Context», eine<br />

und<br />

Jugendlichen, die drei Altersgruppen<br />

umfasst und von 2006 bis 2018 läuft.<br />

«Der Fokus liegt auf den Übergängen im<br />

Lebenslauf (von der Kindheit zur Adoleszenz<br />

und zum frühen Erwachsenenalter)<br />

und auf der Aneignung sozialer<br />

Kompetenzen, Werten und Fertigkeiten.»<br />

Dabei zeigen sich Veränderungen<br />

in den Haltungen von jungen Erwachsenen<br />

im vergangenen Jahrzehnt, und es<br />

lassen sich Schlüsse ziehen, wie junge<br />

Erwachsene im Jahr 2030 sein könnten.<br />

Die Präsentation von Sybille Bayard<br />

zeigte, was die Gesamtgesellschaft auf<br />

der Ebene der Jugendlichen bewirkt. Die<br />

Veränderungen scheinen zwar eher als<br />

gering, haben aber eine erhebliche Wirkung<br />

auf das Lebensgefühl von jungen<br />

Erwachsenen. Es ist zu erwarten, dass in<br />

Zukunft gesteigerte Leistungsanforderungen<br />

Jugendliche sehr beschäftigen<br />

und auch belasten werden. Dies wird<br />

vermehrt zu einer Zweiteilung der Heranwachsenden<br />

führen, in eine Gruppe<br />

der Erfolgreichen und eine Gruppe der<br />

Erfolglosen.<br />

Es ist laut Dr. Bayard zu befürchten,<br />

dass Jugendliche mit tiefen Schulleistungen<br />

und bildungsfernem Milieu schlechte<br />

Aussichten haben, in der Berufswelt<br />

Fuss zu fassen. Junge Frauen werden


Die Referentinnen Prof. Dr. Susanne<br />

Brüggen (Zweite von links) und<br />

Dr. Sybille Bayard, flankiert von<br />

Prof. Heinrich Wirth (links) und<br />

Dr. Heinz Bachmann vom Aktionsfeld<br />

Bildung & Sport.<br />

Wesentliche Befunde der<br />

Studie sind, dass<br />

• Heranwachsende früh mit<br />

Leistungsselektion konfrontiert<br />

werden;<br />

• die Nachfrage nach höheren<br />

Bildungsgängen steigt;<br />

• die Heterogenität zunimmt, vor<br />

allem wenn es um Ausbildung<br />

nach der obligatorischen Schulzeit<br />

geht;<br />

• Jugendliche zunehmend<br />

Diskontinuität erleben im Übergang<br />

von einer Lebensphase<br />

zur anderen.<br />

den veränderten Anforderungen besser<br />

gerecht werden als junge Männer.<br />

Die Herausforderung für die Bildung<br />

wird sein, Jugendlichen nach Erfahrungen<br />

mit Misserfolgen wieder Mut zu<br />

machen, ihre Kompetenzen zu verbessern,<br />

damit sie den Anschluss an die Berufswelt<br />

schaffen. Grundsätzlich ist es<br />

zeitlebens möglich, neue Kompetenzen<br />

zu erwerben, ganz im Unterschied zu<br />

Werten, die sich während der Adoleszenz<br />

ausprägen und im ganzen Lebensverlauf<br />

sehr stabil bleiben.<br />

Zukunft als Chance oder Gefahr?<br />

Die Diskussion zeigte, dass Jugendliche<br />

heute schon mehrheitlich als leistungsbereit<br />

wahrgenommen werden. Sie engagieren<br />

sich intensiv in ihrem Beruf –<br />

und widmen sich mit gleicher Intensität<br />

ihrer Freizeit. Sie lassen sich schon heute<br />

nicht nur auf einen einzigen Lebensbereich<br />

ein. So sehr Chancen der gesellschaftlichen<br />

Entwicklung gesehen werden,<br />

so sehr wird auch eine Unsicherheit<br />

verspürt gegenüber der Komplexität<br />

aller beruflichen und internationalen<br />

Entwicklungen. Kann die Leistungsgesellschaft<br />

das Mass aller Dinge sein? Ist<br />

die Globalisierung für unser Land der<br />

richtige Weg und würde uns eine Rückbesinnung<br />

auf traditionelle Werte möglicherweise<br />

eine bessere Zukunft bescheren?<br />

Haben wir Grund zu Pessimismus<br />

oder Optimismus?<br />

Die Entwicklung der Jugendlichen selber<br />

gibt Hinweise, wie diese Fragen beantwortet<br />

werden können. Gemäss der<br />

Shell-Jugendstudie wächst eine Generation<br />

heran, die sich auszeichnet durch<br />

Selbstbehauptung trotz Verunsicherung,<br />

durch starke Handlungsorientierung und<br />

durch Optimismus auf der einen und<br />

Skepsis auf der anderen Seite: Eine Generation,<br />

die «als pragmatisch wenn auch<br />

nicht immer kritisch» zu bezeichnen ist.<br />

Zyklus «Arbeitswelt 2030: Was heisst<br />

das für unser heutiges und künftiges<br />

Bildungs- und Ausbildungssystem?»;<br />

Kolloquium vom 1. Oktober 2013, «In<br />

welcher Gesellschaft werden 2030<br />

Auszubildende und junge Berufsleute<br />

leben?», mit Prof. Dr. Susanne Brüggen,<br />

Soziologin, Pädagogische Hochschule,<br />

und Dr. Sybille Bayard, Psychologin, Jacobs<br />

Center for Productive Youth Development,<br />

Universität Zürich; Moderation:<br />

Dr. Heinz Bachmann und Prof. Heinrich<br />

Wirth (Aktionsfeld Bildung & Sport); Zusammenfassung:<br />

Prof. Heinrich Wirth;<br />

Redaktion: Stefan Bachofen.


38<br />

Gespräch<br />

Aus dem Aktionsfeld Bildung & Sport<br />

Die Wirtschaft verlangt nach<br />

immer höher qualifizierten Berufsleuten<br />

Unter dem Titel «Wie wird die Welt der Bildung 2030 aussehen?» fand die vierte<br />

Veranstaltung im Rahmen des aktuellen Zyklus im Aktionsfeld Bildung & Sport statt.<br />

Dr. Christoph Maeder, Soziologe an der PH Thurgau, Prof. Dr. Sabina Larcher, Erziehungswissenschafterin<br />

an der PH Zürich, und Dr. Patrik Schellenbauer, Wirtschaftswissenschafter<br />

bei Avenir Suisse, legten in ihren Referaten dar, wie die Zukunft der Bildung<br />

aussehen könnte. Die Referierenden setzten aufgrund ihrer beruflichen und wissenschaftlichen<br />

Optik ganz verschiedene Akzente.<br />

Referent Christoph Maeder, Leiter Forschung<br />

an der Pädagogischen Hochschutung<br />

auf den Aufbau von definierten<br />

mit seiner Standardisierung und Ausrichle<br />

Thurgau, geht davon aus, dass 2030 Kompetenzen ganz auf dieses Bildungsverständnis<br />

ausgerichtet.<br />

die Bildung weitgehend outcome-gesteuert<br />

sein wird. Heute stehen wir mitten<br />

im Prozess der Umstellung von der Dass es unbestreitbare Vorteile gibt, wenn<br />

Input- zur Output-Steuerung. Das bedeutet,<br />

dass der Bildungserfolg im Zentrum sondern darauf hingewirkt wird, dass die-<br />

in der Schule nicht nur Wissen angehäuft,<br />

der Aufmerksamkeit steht, was zu zunehmenden<br />

bürokratischen Überprüfungen steht ausser Frage. Weniger klar ist, ob<br />

ses konkret angewendet werden kann,<br />

führt, ja nachgerade eine neue Wissensindustrie<br />

etabliert, die immer mächtigere geist – Voraussetzungen für eine erfolg-<br />

zum Beispiel Kreativität und Innovations-<br />

Prüfungsagenturen produziert. Hintergrund<br />

ist das in der globalisierten Welt Welt – ebenso mittels Standardisierung<br />

reiche Wirtschaft in der globalisierten<br />

immer stärker wirkende Gedankengut und Leistungsevaluationen zu haben sind.<br />

der Ökonomisierung des Sozialen, das<br />

von internationalen Agenturen wie der Ansprüche an die Bildung steigen<br />

OECD, der UNESCO und der EU verbreitet An diesem Punkt setzten die Überlegungen<br />

von Sabina Larcher, Prorektorin an<br />

wird und mittlerweile – wenn auch noch<br />

moderat – in der Schweizerischen Konferenz<br />

der kantonalen Erziehungsdirekto-<br />

ein: Wenn die Zukunft gekennzeichnet<br />

der Pädagogischen Hochschule Zürich,<br />

ren (EDK) Fuss fasst. Der Lehrplan 21 ist ist durch eine zunehmende Zahl von Lebensfeldern,<br />

denen gemeinsam ist, dass<br />

sie von Unsicherheit geprägt sind (vom<br />

Phänomen der «Ent-Beruflichung» bis<br />

hin zu geopolitischen Umbrüchen), dann<br />

kann sich die Aufgabe der Bildung nicht<br />

auf Verifikationsrituale zur Standard-Erreichnung<br />

beschränken. Die Bildung hat<br />

sich auf die Unsicherheiten einzulassen<br />

und sie hat Kindern, Jugendlichen und<br />

jungen Erwachsenen zu helfen, sich in<br />

unsicheren und unübersichtlichen Situationen<br />

trotz allem zurechtzufinden und<br />

mit permanenten Unsicherheiten zu leben,<br />

ohne die Vitalität und die Kreativität<br />

zu verlieren, sondern im Gegenteil<br />

erst recht kreativ zu sein. Dass diese<br />

Hauptaufgabe kommender Bildung<br />

durchaus mit einer Kompetenzorientierung<br />

vereinbar sein kann, legte Sabina<br />

Larcher überzeugend dar. Allerdings<br />

muss dabei konsequent von der Nutzerperspektive<br />

der Kinder und Jugendlichen<br />

ausgegangen werden: Was müssen<br />

sie lernen und dann können, um den<br />

kommenden Unsicherheiten im Leben<br />

eine innere Sicherheit entgegenstellen<br />

zu können? Je verlässlicher die Schule<br />

diese Aufgabe erfüllt, desto mehr können<br />

sich Schüler auf sie verlassen, in einer<br />

Welt, die an Verlässlichkeit eingebüsst<br />

haben wird.


Von links: Dr. Heinz Bachmann,<br />

Dr. Patrik Schellenbauer,<br />

Prof. Dr. Christoph Maeder,<br />

Prof. Dr. Sabina Larcher und<br />

Prof. Heinrich Wirth.<br />

«Berufslehre auf Hochschulstufe»<br />

für gut Qualifizierte<br />

Patrik Schellenbauer, Projektleiter bei<br />

Avenir Suisse, geht von der Beobachtung<br />

aus, dass in unserer wissensbasierten<br />

Ökonomie das Vorwissen aus der Sekundarschule<br />

für anspruchsvolle Berufslehren<br />

immer knapper wird. Der Arbeitsmarkt<br />

verlangt nach stets höher<br />

qualifizierten Berufsleuten – die mittelmässig<br />

Qualifizierten verlieren Arbeitsmöglichkeiten.<br />

Was wir heute noch als<br />

gute und sichere Berufsfelder ansehen,<br />

läuft in Zukunft Gefahr zu verschwinden.<br />

Unsere schweizerische duale Berufsbildung<br />

ist ein Erfolgsmodell und wird es<br />

auch bleiben, allerdings vornehmlich bei<br />

den gewerblichen Lehrberufen. In Berufen<br />

wie etwa der Polymechanik oder der<br />

Automatik, aber auch bei IT-Ausbildungen<br />

sowie Gesundheitsberufen, Bank-,<br />

Versicherungs- und KV-Berufen schlägt<br />

Schellenbauer eine «Berufslehre auf<br />

Hochschulstufe» vor.<br />

Zugelassen für einen solchen Ausbildungsgang<br />

wären Auszubildende mit<br />

einer gymnasialen Matur oder Berufsmatur.<br />

Das eigentliche Selektionsmoment<br />

würde darin liegen, dass sie einen Lehrvertrag<br />

mit einem Unternehmen vorweisen<br />

können. Dadurch wäre von allem<br />

Anfang an gewährleistet, dass die Praxis<br />

einen starken Einfluss ausüben kann,<br />

nicht nur was dem «state of the art» des<br />

zu erlernenden Berufs entspricht, sondern<br />

auch in der Berufswahl. Denn es<br />

würden nur in jenen Berufen Lehrverträge<br />

angeboten, wo die Unternehmen<br />

auch konkrete Arbeitsplätze zur Verfügung<br />

haben, die sie besetzen wollen.<br />

Gedacht ist, dass sich ein solches duales<br />

Studium über vier Jahre erstreckt, wobei<br />

die Fachhochschule anstelle der Berufsschule<br />

tritt. Abgeschlossen würde dieses Studium<br />

mit einem «Professional Bachelor»<br />

aufgrund einer praktischen und theoretischen<br />

Schlussprüfung.<br />

Die Prognose von Christoph Maeder, dass<br />

die Bildungsdebatte auch im 2014 mit viel<br />

Engagement geführt werden wird, wurde<br />

durch die äusserst angeregte Plenumsdiskussion<br />

illustriert. Wir alle wollen, dass<br />

junge Leute heute und in Zukunft in der<br />

Berufswelt Fuss fassen werden, doch was<br />

sollen sie primär lernen und wie sollen sie<br />

in den der Berufsausbildung vorangehenden<br />

Schulen lernen? Sie sollen ein hohes<br />

Mass an Fachkompetenzen haben, sie<br />

sollen viel können, wobei aber «Tiger<br />

Moms» keine kreativen Erwachsene<br />

hervorbringen, wie Sabina Larcher betonte.<br />

Möglicherweise kommt man in der<br />

Diskussion besser voran, wenn unterschieden<br />

wird zwischen dem, was junge<br />

Erwachsene können sollen und dem, wer<br />

sie sein sollen.<br />

Zyklus «Arbeitswelt 2030: Was heisst<br />

das für unser heutiges und künftiges<br />

Bildungs- und Ausbildungssystem?»;<br />

Kolloquium vom 12. November 2013,<br />

«Wie wird die Welt der Bildung 2030<br />

aussehen?», mit Prof. Dr. Christoph Maeder,<br />

Leiter Forschung, Pädagogische<br />

Hochschule Thurgau, Kreuzlingen, Prof.<br />

Dr. Sabina Larcher, Prorektorin Pädagogische<br />

Hochschule Zürich, und Dr. Patrik<br />

Schellenbauer, Projektleiter Avenir Suisse,<br />

Zürich; Moderation: Dr. Heinz Bachmann<br />

und Prof. Heinrich Wirth (Aktionsfeld<br />

Bildung & Sport); Zusammenfassung:<br />

Prof. Heinrich Wirth; Redaktion: Stefan<br />

Bachofen.


40<br />

Bildung<br />

Von Florian J. Nussbaum*<br />

Der Politik fehlt das Auge<br />

für globale Zusammenhänge<br />

Florian J. Nussbaum<br />

Die NUSSBAUM • We Can behauptet<br />

sich seit über 50 Jahren im internationalen<br />

Wettbewerb. Im Verlauf der<br />

Unternehmensgeschichte traten aber<br />

auch immer wieder Krisen auf, die die<br />

Anpassungsfähigkeit des Unternehmens<br />

auf die Probe stellten. Die Herausforderungen<br />

waren nebst neuen, aggressiv<br />

auftretenden Marktteilnehmern in Osteuropa<br />

gesetzgeberische Anpassungen,<br />

die weltweit durchgesetzt wurden (wie<br />

die Verbannung von FCKW als Treibmittel<br />

für Spraydosen), aber auch Veränderungen<br />

bei den lokalen Vorschriften, seien<br />

es Bau-, Arbeitsmarkt- oder Umweltschutzvorschriften.<br />

Diese Entwicklungen<br />

führen zu Mehrkosten in den Inndustrieunternehmen<br />

und damit zu einer<br />

Verteuerung der Herstellkosten. Global<br />

betrachtet handeln wir uns Wettbewerbsnachteile<br />

ein, deren Wirkung erst<br />

Jahre später voll erkennbar werden.<br />

Als früherer Präsident des interkontinentalen<br />

Verbandes der Dosenhersteller<br />

AEROBAL habe ich Erfahrungen im Umgang<br />

mit EU-Behörden und Kommissionen.<br />

Dabei stellte ich fest, wie weit weg<br />

von der industriellen Realität die Arbeit<br />

hinter den «grauen Fassaden» in Brüssel<br />

stattfindet. Daher werden gerne Aufgaben<br />

an externe Institute vergeben, die<br />

den Kommissionsvertretern Arbeit abnehmen.<br />

Staatliche Regulierungsflut<br />

Durch Staatsaufträge im Namen der Umwelt,<br />

benachteiligter Bevölkerungsgruppen,<br />

pädagogische Lernkonzepte, ökologische<br />

Fussabdrücke, Gefahrenstoffe<br />

bei Transporten und vielem Weiteren<br />

werden neue Arbeitsplätze geschaffen.<br />

Die gesteigerte Aktivität fördert in zunehmender<br />

Eigendynamik eine nie gekannte<br />

Vernehmlassungs- und Regulierungsflut.<br />

Gesetzgebungen, die durch<br />

die Betroffenen innert kürzester Frist und<br />

professionell beurteilt werden sollten.<br />

Hat man als Verband nicht genügend<br />

Ressourcen, kann es passieren, dass eine<br />

Branche von einer neuen EU-Regel überrollt<br />

wird und Grundlagen für die wirtschaftliche<br />

Tätigkeit entzogen werden.<br />

So musste AEROBAL unter Einhaltung<br />

sehr kurzer Fristen belegen, wie viele direkte<br />

und indirekte Arbeitsplätze durch<br />

Verbote betroffen wären.<br />

Die Dynamik in der Politik führt, entgegen<br />

globaler Tendenzen, zu immer neuer Regulierungsdichte,<br />

wodurch erneut Fachleute<br />

in Wirtschaft und Politik zugezogen<br />

werden müssen, um die juristischen und<br />

fachlichen Hintergründe in ihrer Gesamtheit<br />

interpretieren zu können.<br />

«Versicherungsdenken»<br />

statt Eigenverantwortung<br />

Wäre die Gesetzesdichte nach dem<br />

Zweiten Weltkrieg so hoch gewesen<br />

wie heute, hätte es keinen Wirtschaftsaufschwung<br />

in Deutschland gegeben.<br />

Seither und mit steigendem Wohlstand<br />

haben sich die liberalen Werte, die<br />

Grundlage des Aufschwungs waren, aufgelöst.<br />

In Europa gibt es keine Partei, die<br />

inhaltlich wirklich liberale Werte vertritt.<br />

Auch das Engagement der Unternehmer<br />

ist auf einem Tiefstwert angelangt. Die<br />

Eigenverantwortung und der Wille, etwas<br />

bewirken zu wollen und sein Schicksal<br />

in die eigenen Hände zu nehmen, ist<br />

einem «Versicherungsdenken» mit einem<br />

Wohlstandsanspruch ohne Gegenleistung<br />

gewichen und damit integraler<br />

Bestandteil des Zerfalls der europäischen<br />

Wirtschaftskraft geworden.<br />

Unsere Politik hat das Auge für Langfristigkeit<br />

und globale Zusammenhänge<br />

noch nicht geschärft. Dies aber wäre für<br />

wettbewerbsfähige Rahmenbedingungen<br />

unerlässlich, denn die Zeiten werden<br />

stetig rauer. Während wir uns mit immer


neuen Regeln und mit der Energiewende,<br />

hin zu erneuerbaren Energien,<br />

für die teuerste aller Möglichkeiten entscheiden,<br />

schaffen die aufstrebenden<br />

Schwel lenländer und BRICS-Staaten die<br />

Grundlagen für eine Verbesserung ihrer<br />

Wettbewerbsfähigkeit. Konsumseitig,<br />

etwa in der Kosmetikbranche, sind die<br />

Wachstumsraten bestenfalls leicht steigend.<br />

Wachstum wird ausserhalb von<br />

Europas erzielt. Niemand, der die Entwicklungen<br />

verfolgt, wird dies ignorieren.<br />

Es erstaunt daher, wie die politischen<br />

Parteien Europas die Faktenlage ausblenden<br />

und ihren Wählern vorspielen, das<br />

Wohlfahrtsniveau dauerhaft aufrecht zu<br />

erhalten. Stattdessen erfinden sie immer<br />

neue kreative Umverteilungsinnovationen,<br />

welche die Voraussetzungen im<br />

globalen Wettbewerb weiter verschlechtern.<br />

Für mich als international tätiger<br />

Unternehmer ist dies rätselhaft.<br />

Wohlstand in der Schweiz halten<br />

Grundsätzlich hätte die Schweiz eines der<br />

besten, erfolgreichsten und anpassungsfähigsten<br />

Systeme zur Verfügung. Dank<br />

der übersichtlichen Grösse und damit<br />

einhergehend besserer Kontrolle durch<br />

das Volk und die direkte Demokratie<br />

bringt die Schweiz gute Voraussetzungen<br />

mit, um in den kommenden schwierigen<br />

Zeiten in Europa, umgeben von den weiterhin<br />

kränkelnden Nachbarn, unseren<br />

Wohlstand halten zu können, wenn auch<br />

auf etwas tieferem Niveau.<br />

Die Frage ist nun, wann der Zeitpunkt<br />

kommt, die wirklich massgebenden Themen<br />

dem Stimmvolk zum Entscheid vorzulegen.<br />

Es ist für ein Unternehmen, wie<br />

auch für eine Nation von Bedeutung,<br />

welche Vision und Strategie verfolgt<br />

wird. Nur wenn die strategische Ausrichtung<br />

stimmt, unter Berücksichtigung des<br />

Umfeldes und der Mitbewerber, wird<br />

Erfolg möglich. Oder anders gesagt: Wer<br />

sein Ziel nicht kennt, dem ist jeder Wind<br />

ungünstig. Weil die Unternehmer eine<br />

wichtige Rolle in einer Volkswirtschaft<br />

spielen, sollten sie auch ihren Standpunkt<br />

in die Diskussion einbringen und damit<br />

in der dringend notwendigen Wertediskussion<br />

einen glaubwürdigen Orientierungspunkt<br />

vermitteln. Es wäre auch zu<br />

wünschen, dass die Medien ausgewogener<br />

über Wirtschaftsthemen berichten<br />

und nicht immer wieder die wenigen viel<br />

zitierten Ausnahmen zur Regel erheben.<br />

Nicht zuletzt sollte sich die Politik wieder<br />

bewusst werden, dass die Wirtschaft das<br />

Rückgrat jedes Staates ist, die für Wertschöpfung<br />

und Wohlstand sorgt, indem<br />

mutige Unternehmer und Pioniere ein<br />

grosses persönliches und finanzielles<br />

Risiko in Kauf nehmen und damit auf<br />

dem Werkplatz Schweiz für eine tiefe<br />

Arbeitslosenquote sorgen.<br />

Das Unternehmen Nussbaum<br />

Nussbaum beschäftigt an vier Standorten<br />

in der Schweiz und Deutschland<br />

400 Mitarbeitende und produziert<br />

pro Jahr rund 500 Millionen<br />

Aluminium-Verpackungen. Die Produkte<br />

sind in fast allen Haushalten<br />

vertreten, ob dies das Deo, der<br />

Haarspray oder das Rasiergel im<br />

Bad, Gewürze in der Küche oder<br />

Cremen in der Hausapotheke sind.<br />

Die Produkte der internationalen<br />

Kunden sind attraktiv und umweltschonend<br />

in Tuben und Dosen<br />

verpackt und sorgen nicht nur für<br />

geschützte Inhaltsstoffe und Convenience<br />

in der Verwendung, sondern<br />

auch für einen augenfälligen<br />

Auftritt in den Verkaufsregalen.<br />

*Florian J. Nussbaum ist Vizepräsident<br />

und Delegierter des Verwaltungsrates<br />

der NUSSBAUM• We Can. Er ist<br />

Mitglied des Kernteams im <strong>Lilienberg</strong><br />

Aktionsfeld Wirtschaft & Indutsrie.


42<br />

In eigener Sache<br />

Von Stefan Bachofen<br />

<strong>Lilienberg</strong>: eine doppelt offene Institution<br />

Das <strong>Lilienberg</strong> Unternehmerforum bietet Unternehmen den idealen Rahmen für eigene<br />

Seminare, Strategiesitzungen und Kundenanlässe. Daneben finden über dem Untersee<br />

jedes Jahr rund 70 Anlässe mit Persönlichkeiten aus allen Bereichen der Gesellschaft statt<br />

– zum Beispiel demnächst, am 17. Februar 2014, mit dem Präsidenten des Direktoriums<br />

der Schweizer Nationalbank, Prof. Dr. Thomas Jordan.<br />

<strong>Lilienberg</strong> Freunde haben seit einem Vierteljahrhundert<br />

die Gelegenheit, in jährlich Tagungs-Infrastruktur<br />

Ausgezeichnete<br />

rund 70 Stiftungsveranstaltungen für Nebst den zahlreichen öffentlichen Stiftungsveranstaltungen<br />

bietet das <strong>Lilienberg</strong><br />

einen Jahresbeitrag von 500 Franken aussergewöhnliche<br />

Menschen aus dem Unternehmerforum, eingebettet in eine<br />

In- und dem grenznahen Ausland kennenzulernen,<br />

mit ihnen spannende Begeggem<br />

Blick über den Untersee auf die Insel<br />

prachtvolle Parkanlage und mit einmalinungen<br />

und Auseinandersetzungen zu Reichenau, eine inspirierende Umgebung<br />

erleben. <strong>Lilienberg</strong> Freunde können ausserdem<br />

an Kolloquien und Tagungen mit Gespräche aller Art. Tagungskunden fin-<br />

für Konferenzen, Seminare, Tagungen und<br />

Fachleuten die relevanten wirtschaftlichen,<br />

politischen und gesellschaftlichen und, fernab der Alltagsgeschäfte, die zur<br />

den hier eine ausgezeichnete Infrastruktur<br />

Themen unserer Zeit diskutieren.<br />

Kreativität anregende Atmosphäre sowie<br />

eine motivierende «Ferienstimmung». Die<br />

39 gemütlich eingerichteten Hotelzimmer<br />

mit insgesamt 70 Betten, das Restaurant<br />

mit Aussicht auf den Untersee, die Bar in<br />

der Remise, der Cheminéeraum und der<br />

Freizeitbereich mit Hallenbad, Whirlpool,<br />

Fitnessraum und Sauna bilden den Rahmen<br />

für einen erfolgreichen Aufenthalt.<br />

Das <strong>Lilienberg</strong> Unternehmerforum ist also<br />

eine doppelt offene Institution: Die Anlässe<br />

der Stiftung sind öffentlich, während<br />

die Anlage als solche von Kunden genutzt<br />

werden können. Weitere Informationen<br />

auf www.lilienberg.ch. Weitere Auskünfte<br />

erteilt Ihnen gerne Frau Rositha Noebel,<br />

Telefon 071 663 23 23.<br />

Die Erkenntnisse, die dabei gewonnen<br />

werden, dienen als wertvolle Impulse und<br />

Denkanstösse für Wirtschaft und Politik.<br />

Daneben bietet die Mitgliedschaft Freund<br />

die Möglichkeit, Teil eines einmaligen unternehmerischen<br />

Netzwerks zu werden.<br />

Aber auch wer die Mitgliedschaft bisher<br />

noch nicht erworben hat, ist auf <strong>Lilienberg</strong><br />

willkommen. Der Kostenbeitrag pro Anlass<br />

beträgt in der Regel 100 Franken.<br />

<strong>Lilienberg</strong> Publikationen<br />

Nach jedem Aktionsfeld-Zyklus fasst Christhoph Vollenweider, Leiter Unternehmertum,<br />

die gewonnenen Erkenntnisse zusammen und publiziert sie als «<strong>Lilienberg</strong><br />

Gedanken». Die neusten «Gedanken» sind zum Thema «Mit dem Lehrplan 21 soll<br />

aus der Schnittstelle eine Nahtstelle werden» erschienen, dies im Nachgang zum<br />

Zyklus «Arbeitswelt und nationale Bildungsstandards – ein Dialog tut Not».<br />

Alle Publikationen können von unserer Homepage unter http://lilienberg.ch/publikationen<br />

heruntergeladen werden. Gerne senden wir Ihnen auf Wunsch auch<br />

eine gedruckte Ausgabe. Bestellungen sind zu richten an Stefan Bachofen. E-Mail:<br />

stefan.bachofen@lilienberg.ch


43<br />

<strong>Lilienberg</strong> Freunde können für einen Jahresbeitrag von nur 500 Franken<br />

rund 70 Stiftungsveranstaltungen besuchen und im Anschluss an die Anlässe die<br />

gewonnenen Erkenntnisse beim Apéro miteinander weiter diskutieren.


44<br />

Gespräch<br />

<strong>Lilienberg</strong> Unternehmertum<br />

Industriestrasse 1<br />

CH-8340 Hinwil<br />

Telefon +41 44 938 70 00<br />

Fax +41 44 938 70 99<br />

<strong>Lilienberg</strong> Unternehmerforum<br />

Blauortstrasse 10<br />

CH-8272 Ermatingen<br />

Telefon +41 71 663 23 23<br />

Fax +41 71 663 23 24<br />

info@lilienberg.ch<br />

www.lilienberg.ch

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