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A. Lerndaten 11. Teil: Schuld B. Inhaltsübersicht 11. Teil C ...

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Lernprogramm Strafrecht <strong>11.</strong> <strong>Teil</strong><br />

252<br />

_____________________________________________________________________<br />

A. <strong>Lerndaten</strong> <strong>11.</strong> <strong>Teil</strong>: <strong>Schuld</strong><br />

Seiten: 15 (266 insgesamt)<br />

! ca. 70 Minuten (1075 = 17h 55 Min.)<br />

B. <strong>Inhaltsübersicht</strong> <strong>11.</strong> <strong>Teil</strong><br />

157 Grundsätze (Übersicht 20)<br />

158 <strong>Schuld</strong>fähigkeit/actio libera in causa<br />

159 Die speziellen <strong>Schuld</strong>merkmale<br />

160 Die <strong>Schuld</strong>formen<br />

161 Das Unrechtsbewusstsein<br />

162 Unterscheidung <strong>Schuld</strong>ausschließungsgründe - Entschuldigungsgründe<br />

163 Entschuldigender Notstand (§ 35 I)<br />

164 Der Nötigungsnotstand<br />

165 Notwehrüberschreitung (§ 33)<br />

166 Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens<br />

167 RN bleibt unbesetzt<br />

C. Lernkontrolle<br />

1. Durcharbeiten am: ...............<br />

2. Durcharbeiten am: ...............<br />

3. Durcharbeiten am: ...............<br />

© Eisenbeis Rechtsanwaltsges. mbH/RA Dr. U. Schlegel 2006.2


Lernprogramm Strafrecht <strong>11.</strong> <strong>Teil</strong><br />

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<strong>11.</strong> <strong>Teil</strong>: <strong>Schuld</strong><br />

157 Grundsätze (Übersicht 20)<br />

Übersicht 20: Grundsätze des strafrechtlichen Begriffs „<strong>Schuld</strong>“<br />

(1) Im <strong>Schuld</strong>bereich geht es um die persönliche Vorwerfbarkeit<br />

(2) Es gilt grds. das <strong>Schuld</strong>- und Verantwortungsprinzip - nulla poena<br />

sine culpa (weiter s. nachfolgend (3))<br />

(3) Bedeutung des <strong>Schuld</strong>prinzips:<br />

(a) Neben der Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit ist die<br />

<strong>Schuld</strong> ein strafbegründendes und strafbegrenzendes Verbrechensmerkmal<br />

(b) Die <strong>Schuld</strong> des Täters muss alle Elemente des verwirklichten Unrechts<br />

umfassen.<br />

(c) Jede im Einzelfall verhängte Strafe muss schuldangemessen<br />

sein (§ 46 I 1)<br />

(4) <strong>Schuld</strong> = Vorwerfbarkeit der Tat im Hinblick auf die ihr zugrundeliegende<br />

rechtlich tadelnswerte Gesinnung<br />

(5) <strong>Schuld</strong>lehren:<br />

(a) "Psychologische <strong>Schuld</strong>auffassung": Identifizierung des<br />

<strong>Schuld</strong>begriffs mit dem psychischen Sachverhalt (= Wissen/Nichtwissen,<br />

Wollen/Nichtwollen) - Vorsatz und Fahrlässigkeit<br />

als "<strong>Schuld</strong>arten" (veraltet).<br />

(b) Normative <strong>Schuld</strong>lehre: Sieht das Wesen der <strong>Schuld</strong> in der<br />

Vorwerfbarkeit der Willensbildung und Willensbetätigung = normative<br />

Bewertung eines psychischen Sachverhalts - Elemente<br />

(h.M.):<br />

ω <strong>Schuld</strong>fähigkeit<br />

ω Spezielle <strong>Schuld</strong>merkmale<br />

ω <strong>Schuld</strong>form (Vorsatz-/Fahrlässigkeitsschuld)<br />

ω Unrechtsbewusstsein (= Möglichkeit der Unrechtseinsicht)<br />

ω (negativ:) Fehlen von Entschuldigungsgründen<br />

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Lernprogramm Strafrecht <strong>11.</strong> <strong>Teil</strong><br />

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158 Die <strong>Schuld</strong>fähigkeit/actio libera in causa<br />

a) <strong>Schuld</strong>unfähigkeit nach §§ 19, 20<br />

• Beim erwachsenen Täter wird das Vorhandensein der <strong>Schuld</strong>fähigkeit<br />

vermutet.<br />

• § 20 gewinnt in der Praxis vor allem im Zusammenhang mit der Blutalkoholkonzentration<br />

(BAK) Bedeutung. Bei einer BAK ab 3 0 /oo kommt<br />

§ 20 in Betracht. Bei Tötungsdelikten kann mit Blick auf die erhöhte<br />

Hemmschwelle ein Zuschlag vorzunehmen sein (s. dazu auch nachfolgend<br />

b)).<br />

• Zu beachten ist zudem die Rechtsprechung des BGH (sowohl bei § 20<br />

als auch bei § 21 - s.u. b) - erlangt die sog. Alkoholvorgeschichte<br />

des Täters im Einzelfall große Bedeutung; danach kann ein hohes<br />

Maß an Alkoholgewohnheit auch oberhalb der Grenzschwelle die –<br />

verminderte - <strong>Schuld</strong>fähigkeit unberührt lassen) -<br />

BGH NStZ-RR 1997, 161: Auch bei hochgradiger Alkoholisierung (3,61<br />

%o) kann Alkoholgewohnheit des Täters im Zusammenhang mit anderen<br />

aussagekräftigen psychodiagnostischen Kriterien geeignet sein,<br />

eine noch erhaltene Steuerungsfähigkeit zu belegen.<br />

BGH NStZ 1998, 295: Die BAK von 2,46%o legt die Annahme einer erheblichen<br />

Herabsetzung der Hemmungsfähigkeit, die für eine Tat ab<br />

einer BAK von 2,2%o in Betracht zu ziehen ist, nahe. Als daneben zu<br />

beachtende psychodiagnostische Beurteilungskriterien sind in diesem<br />

Zusammenhang nur solche Umstände in Betracht zu ziehen, die Hinweise<br />

darauf ergeben können, ob das Steuerungsvermögen des Täters<br />

trotz erheblicher Alkoholisierung voll erhalten geblieben ist [hier<br />

trotz Auswechselns des Tatmittels während der Tötungshandlung und<br />

Wählen einer mehrstelligen Telefonnummer nach der Tat verneint].<br />

b) Verminderte <strong>Schuld</strong>fähigkeit gem. § 21 als fakultativer Strafmilderungsgrund;<br />

Grenzwert ist hier die Marke von 2 0 /oo, ab der<br />

§ 21 in Betracht zu ziehen ist. Im Rahmen der Beurteilung von<br />

Tötungsdelikten wird die Untergrenze im Hinblick auf die erhöhte<br />

Hemmschwelle bei Angriffen auf das Leben allgemein bei 2,2 0 /oo<br />

angesetzt.<br />

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Achtung: BGH, Urt. v. 27.03.2003, Az. 3 StR 435/02, NStZ 2003, 480<br />

[Strafmilderung für betrunkene Täter? – zitiert aus der Pressemitteilung<br />

des BGH]: „In einem Revisionsverfahren beim Bundesgerichtshof<br />

hat ein Angeklagter geltend gemacht, dass das Landgericht in<br />

seiner Sache von einer Strafrahmenverschiebung zu Unrecht abgesehen<br />

habe, weil es seiner Einlassung, in den Stunden vor der Straftat<br />

(einer Vergewaltigung) zwei Flaschen Weißwein getrunken zu haben,<br />

nicht gefolgt war. Die Revisionsrüge hatte keinen Erfolg, weil das<br />

Landgericht, wie der mit der Sache befasste 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs<br />

ausgeführt hat, den Trinkmengenangaben des Angeklagten<br />

unter den festgestellten Umständen zu Recht nicht geglaubt hat. In<br />

seinem Urteil hat der Senat aber - über die Entscheidung des Einzelfalls<br />

hinausgehend - zum Ausdruck gebracht, dass er die bisherige<br />

Rechtsprechung für überprüfungsbedürftig hält. Er ist der Auffassung,<br />

dass eine Strafrahmenmilderung in der Regel nicht in Betracht kommt,<br />

wenn der Täter die erhebliche Verminderung seiner <strong>Schuld</strong>fähigkeit<br />

durch verschuldete Trunkenheit herbeigeführt hat. Für diese Auffassung<br />

spricht - abgesehen von eher rechtsdogmatischen Erwägungen,<br />

insbesondere auch solchen aus der Entstehungsgeschichte des § 21<br />

bzw. der Vorgängervorschrift - vor allem die Tatsache, dass die enthemmende<br />

Wirkung des Alkohols und die Gefahr einer deutlichen Herabsetzung<br />

der Hemmschwelle bei erheblichem Konsum heute allgemein<br />

bekannt sind. Im Hinblick darauf besteht regelmäßig kein Anlass,<br />

die Straftat eines Täters, der sich schuldhaft in einen Alkoholrausch<br />

versetzt hat, in einem milderen Licht zu sehen. Im Einzelfall - etwa bei<br />

Taten von alkoholkranken Tätern - mag ausnahmsweise eine andere<br />

Betrachtung angezeigt sein.“<br />

BGH NStZ 2004, 678, 680 (5. Strafs.): Bei nach vorwerfbarer Alkoholisierung<br />

begangenen Gewaltdelikten [hier: §§ 223, 224] scheidet eine<br />

Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 I regelmäßig aus, wenn in<br />

der Person des Täters oder in den situativen Verhältnissen des Einzelfalls<br />

Umstände vorliegen, die in Zusammenhang mit der Alkoholisierung<br />

das Risiko der Begehung von Straftaten vorhersehbar signifikant<br />

erhöht haben.<br />

c) Bedingte <strong>Schuld</strong>fähigkeit gem. § 3 JGG - Frage der Entwicklungsreife.<br />

d) Trotz <strong>Schuld</strong>unfähigkeit zum Tatzeitpunkt ist unter Umständen<br />

eine Bestrafung nach den Grundsätzen der actio libera in causa<br />

(a.l.i.c.) möglich -<br />

BGHSt 42, 235: Auf eine Straßenverkehrsgefährdung und auf das<br />

Fahren ohne Fahrerlaubnis sind die Grundsätze der actio libera in causa<br />

nicht anwendbar.<br />

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BGH, a.a.O.: Jedenfalls bei den Delikten der Straßenverkehrsgefährdung<br />

und des Fahrens ohne Fahrerlaubnis ist die Vorverlagerung der<br />

<strong>Schuld</strong> unzulässig. Die verschiedenen Ansätze, mit denen in Rechtsprechung<br />

und Literatur die a.l.i.c. erklärt wird, bieten zum einen <strong>Teil</strong><br />

keine tragfähige Grundlage für die Anwendung der Rechtsfigur auf die<br />

hier in Rede stehenden Verkehrsstraftaten; zum anderen <strong>Teil</strong> sind sie<br />

mit dem geltenden Recht nicht in Einklang zu bringen.<br />

Mit der Erwägung, dass, wenn der Alkoholkonsum zur <strong>Schuld</strong>unfähigkeit<br />

führt, bereits das Sichbetrinken die eigentliche Tatbestandshandlung<br />

darstellt [sog. "Tatbestandslösung"], kann die Anwendung der<br />

a.l.i.c. auf Straßenverkehrsgefährdung und Fahren ohne Fahrerlaubnis<br />

nicht begründet werden. Die Verkehrsstraftaten nach den § 315 c, § 21<br />

StVG setzen voraus, dass der Täter das Fahrzeug "führt". Es beginnt<br />

erst mit dem Bewegungsvorgang des Anfahrens selbst. Auch im Sichberauschen<br />

in Fahrbereitschaft liegt dementsprechend noch nicht der<br />

Beginn der Trunkenheitsfahrt.<br />

Im wesentlichen aus denselben Erwägungen kommt die Heranziehung<br />

der Grundsätze der a.l.i.c. auf die Trunkenheitsfahrt und die Straßenverkehrsgefährdung<br />

auch dann nicht in Betracht, wenn man die<br />

Rechtsfigur als einen Sonderfall der mittelbaren Täterschaft begreift,<br />

bei dem der Täter sich zur Ausführung der Tat seiner eigenen Person<br />

als Werkzeug bedient. Indem der Täter sich berauscht, führt er - wie<br />

ausgeführt - kein Fahrzeug.<br />

Eine Ausdehnung des Begriffs der "Begehung der Tat" i.S.d. § 20 in<br />

der Weise, dass das "vortatbestandliche, auf die Tatbestandsverwirklichung<br />

bezogene Vorverhalten", auch soweit es bloße Vorbereitung<br />

darstellt, im <strong>Schuld</strong>tatbestand erfasst wird, ist nicht möglich. Im Übrigen<br />

hätte dieses "Ausdehnungsmodell" über die Fallgestaltungen der<br />

a.l.i.c. hinaus, um die es hier geht, eine auch unter Präventions- und<br />

Gerechtigkeitsgesichtspunkten nicht zu rechtfertigende Einschränkung<br />

des § 20 zur Folge.<br />

Die Annahme schuldhaft begangener Vergehen nach § 315 c und § 21<br />

StVG kann schließlich auch nicht mit dem sog. Ausnahmemodell begründet<br />

werden. Das Ausnahmemodell ist mit dem eindeutigen Wortlaut<br />

des § 20, nach dem die <strong>Schuld</strong>fähigkeit "bei Begehung der Tat"<br />

vorliegen muss, nicht in Einklang zu bringen.<br />

Der Angekl. hat sich aber wegen vorsätzlichen Vollrausches gem.<br />

§ 323 a strafbar gemacht.<br />

S. auch LG Münster NStZ-RR 1996, 266 [keine Anwendung der a.l.i.c.<br />

bei § 316]: Jedenfalls bei der Tat gem. § 316 scheitert dieser Versuch<br />

[Annahme der a.l.i.c., weil bereits das Sich-Berauschen als Tathandlung<br />

anzusehen ist]. Wer außerhalb des Fahrzeugs trinkt, führt das<br />

Fahrzeug nicht im Straßenverkehr. Dies ist aber die im Tatbestand des<br />

Gesetzes beschriebene "Tat".<br />

υ Klausurhinweise: Die vorstehend zitierte Entscheidung des BGH<br />

markiert sicherlich einen Wendepunkt in der Behandlung der a.l.i.c.,<br />

lässt aber nicht den Schluss zu, der BGH habe die a.l.i.c. aufgegeben.<br />

Dies zeigt die nachfolgend zitierte Rechtsprechung.<br />

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Für die Klausur bedeutet die Entscheidung BGHSt 42, 235 m.E., dass<br />

die a.l.i.c. ihren Anknüpfungspunkt in dem Verhalten des Täters findet,<br />

das durch <strong>Schuld</strong>fähigkeit auf Seiten des Täters gekennzeichnet ist<br />

(z.B. das "Sich-Betrinken" bei einem Totschlag nach § 212), sog. Tatbestandsmodell.<br />

BGH NStZ 2000, 584 [2. Strafsenat – zu Freiheitsberaubung und gefährlicher<br />

Körperverletzung]: Die Entscheidung BGHSt 42, 235 betrifft<br />

nur die dort genannten Vergehen. Jedenfalls eine weitergehende Einschränkung<br />

des Anwendungsbereichs der Grundsätze der actio libera<br />

in causa ist nicht anzuerkennen (i.E. ebenso der 2. Strafsenat in NStZ<br />

1999, 448).<br />

S. auch BGH NStZ 2002, 28: In einem Fall alkoholbedingter <strong>Schuld</strong>unfähigkeit<br />

ist es für die actio libera in causa nicht begriffswesentlich,<br />

dass sich der Täter „Mut antrinkt“, um die beabsichtigte Tat nach Entfallen<br />

der Hemmungen im Rauschzustand zu vollführen; es genügt<br />

vielmehr, dass er, zur Tat entschlossen, Alkohol zu sich nimmt, obwohl<br />

er unter Billigung des Erfolges damit rechnet, dass er im Zustand alkoholbedingter<br />

<strong>Schuld</strong>unfähigkeit die geplante Tat begehen werde.<br />

BGH NStZ 2003, 535, 536 [2. Strafsenat - Anknüpfung der actio libera<br />

in causa an Verschulden oder Verhaltensweisen des Täters vor Tatbeginn].<br />

S. auch S/S-Lenckner/Perron, § 20, RN 33-35 b: “Insgesamt ist die gegenwärtige<br />

Situation wenig befriedigend. Trotz allseits bejahten Strafbedürfnisses<br />

fehlt ein Konsens sowohl hinsichtlich der Anwendbarkeit<br />

der a.l.i.c. de lege lata als auch hinsichtlich der de lege ferenda zu suchenden<br />

Lösung. Das Tatbestandsmodell ist nicht nur in sich fragwürdig,<br />

sondern inzwischen auch in der Rechtsprechung umstritten und<br />

versagt bei den eigenhändigen Delikten. Das Ausnahmemodell kann<br />

de lege lata nicht auf § 20, sondern nur auf § 21 angewendet werden,<br />

und gegenüber einer etwaigen gesetzliche Einführung sind die im Hinblick<br />

auf das <strong>Schuld</strong>prinzip bestehenden Bedenken weder grundsätzlich<br />

ausgeräumt noch ist hinreichend geklärt, wie der <strong>Schuld</strong>vorwurf<br />

dann – etwa nach Vorsatz- und Fahrlässigkeitsschuld – abgestuft werden<br />

sollte. [...]. Die bis zu BGHSt 42, 235 von der Rechtsprechung<br />

praktizierte Form der a.l.i.c. mit ihren strengen Voraussetzungen bei<br />

Vorsatzdelikten bildet daher von allen diskutierten Möglichkeiten noch<br />

die akzeptabelste Lösung.“<br />

υ Lernhinweis: Das Lernprogramm stellt im Folgenden - unverändert -<br />

die bisherigen Grundsätze zur a.l.i.c. dar. Bitte berücksichtigen Sie a-<br />

ber, dass diese für die vorerwähnten Straftatbestände (§ 315 c ...) keinerlei<br />

Verbindlichkeit mehr aufweisen.<br />

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aa)<br />

Voraussetzungen der (vorsätzlichen) a.l.i.c.<br />

Prüfschema 27: Voraussetzungen vorsätzlich a.l.i.c<br />

(1) Der Täter muss die Ursachenreihe zu einer bestimmten Straftat,<br />

mit deren Ausführung er erst nach dem Verlust seiner <strong>Schuld</strong>fähigkeit<br />

beginnt, noch im Zustand der strafrechtlichen Verantwortlichkeit<br />

in Gang setzen (= vorverlegte Verantwortlichkeit)<br />

(2) Defektzustand muss vorsätzlich herbeigeführt worden sein.<br />

(3) Vorsatz war zu diesem Zeitpunkt bereits auf die Begehung einer<br />

(wenigstens ihrer Art nach) bestimmten Straftat gerichtet:<br />

(a) Wer sich mit dem vorgefassten Entschluss, im Zustand des Vollrausches<br />

irgendeine Gewalttätigkeit zu begehen, dem Alkoholgenuss<br />

hingibt, hat keinen hinreichend bestimmten Vorsatz -<br />

es bleibt § 323 a<br />

(b) Bei einem Vorsatzwechsel nach Eintritt des Defektzustandes greift<br />

für einen neuen Vorsatz und dessen Realisierung wiederum § 323<br />

a ein; das gleiche gilt bei sonstigen Abweichungen wesentlicher Art<br />

zwischen dem ursprünglichen Tatvorsatz und der konkreten Tatgestaltung<br />

(c) Achtung: Entgegen BGHSt 21, 381, 384 – dazu nachfolgend -<br />

nimmt die h.L. (s. z.B. W/B, AT, RN 418) bei einem error in persona<br />

im Zuge der Tatausführung bei der actio libera in causa eine<br />

wesentliche Abweichung gegenüber dem im defektfreien Zustand<br />

gefassten Vorsatz an (Arg.: Irrtum nach dem Verlust der <strong>Schuld</strong>fähigkeit)<br />

BGHSt 21, 381, 384: Der Irrtum über die Person lässt die Vorsätzlichkeit<br />

der Tathandlung unberührt und schließt die Bestrafung wegen vorsätzlicher<br />

Tatbegehung allgemein und erst recht im Falle des verantwortlichen<br />

In-Gang-Setzens der Ursachenreihe nicht aus, weil er keine<br />

Abweichung der Ausführung von der Planung in einem strafrechtlichen<br />

Merkmal zur Folge hat.<br />

BGH NStZ 2002, 28: In einem Fall alkoholbedingter <strong>Schuld</strong>unfähigkeit<br />

ist es für die actio libera in causa nicht begriffswesentlich, dass sich<br />

der Täter „Mut antrinkt“, um die beabsichtigte Tat nach Entfallen der<br />

Hemmungen im Rauschzustand zu vollführen; es genügt vielmehr,<br />

dass er, zur Tat entschlossen, Alkohol zu sich nimmt, obwohl er unter<br />

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Billigung des Erfolges damit rechnet, dass er im Zustand alkoholbedingter<br />

<strong>Schuld</strong>unfähigkeit die geplante Tat begehen werde.<br />

bb)<br />

Weitere Details<br />

(1) Ob die bloße Herbeiführung des Defekts bereits einen Versuch der<br />

geplanten Straftat bedeutet ist sehr umstr. (auf der Basis des herrschenden<br />

Tatbestandsmodells ist die „Theorie von der Ausführungshandlung“<br />

dogmatisch nicht haltbar - m.E. richtig Schweinberger, JuS<br />

2006, 507, 510 - was dazu führt, dass bei grundsätzlicher Anerkennung<br />

der a.l.i.c. ein Versuchsbeginn konsequent bei der Herbeiführung<br />

des Defekts zu sehen ist)<br />

(2) Eine actio libera in causa in Form der fahrlässigen Tatbegehung<br />

kommt dann in Betracht, wenn der Täter den maßgeblichen Defekt<br />

vorsätzlich oder fahrlässig herbeiführt und dabei in fahrlässiger Weise<br />

nicht bedenkt bzw. nicht damit rechnet, dass er im Zustand der<br />

<strong>Schuld</strong>unfähigkeit eine bestimmte Straftat verwirklichen werde (große<br />

Bedeutung für die Praxis)<br />

υ Achtung: Beachten Sie auch hier die Entscheidung des BGH v.<br />

22.08.1996 (BGHSt 42, 235): Dem <strong>Schuld</strong>spruch wegen fahrlässiger<br />

Tötung steht nicht entgegen, dass der Angeklagte bei der Tötungshandlung<br />

selbst aufgrund seiner Alkoholisierung (nicht ausschließbar)<br />

schuldunfähig i.S.d. § 20 war. Insofern bedarf es nicht des Rückgriffs<br />

auf die Rechtsfigur der a.l.i.c. Gegenstand des strafrechtlichen Vorwurfs<br />

ist bei § 222 - wie auch bei anderen fahrlässigen Erfolgsdelikten<br />

- jedes in Bezug auf den tatbestandsmäßigen "Erfolg" sorgfaltswidrige<br />

Verhalten des Täters, das dieser ursächlich herbeiführt [hier: das Sich-<br />

Betrinken trotz erkennbarer Gefahr einer anschließenden Trunkenheitsfahrt].<br />

Anm.: Damit hat sich die fahrlässige a.l.i.c. für die fahrlässigen Erfolgsdelikte<br />

„erledigt“!<br />

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_____________________________________________________________________<br />

υ Lernhinweis: Empfehlenswert zur Nacharbeit der a.l.i.c. sind der<br />

Beitrag von Schweinberger, JuS 2006, S. 307 ff. sowie die Ausführungen<br />

von Roxin (AT I, § 20, RN 56-76). Man sollte mit Roxin beginnen<br />

und sodann den Beitrag von Schweinberger lesen!<br />

159 Die speziellen <strong>Schuld</strong>merkmale<br />

υ Lernhinweis: Lesen Sie bitte noch einmal o. RN 17!<br />

a) Begriff: Merkmale, die unmittelbar und ausschließlich den in der Tat<br />

zum Ausdruck kommenden Gesinnungsunwert näher charakterisieren.<br />

b) Beispiele<br />

- § 211 II, 1. Gruppe<br />

- Böswilligkeit (§§ 90 a Nr. 1, 130 Nr. 3, 225 I)<br />

- Rücksichtslosigkeit (§ 315 c)<br />

160 Die <strong>Schuld</strong>formen<br />

Der vorsätzlichen oder fahrlässigen Begehungsweise entspricht der<br />

<strong>Schuld</strong>typus der Vorsatz- oder Fahrlässigkeitsschuld:<br />

a) Vorsatzschuld = die rechtsfeindliche oder gleichgültige Einstellung<br />

des Täters gegenüber den Verhaltensnormen des Rechts<br />

b) Fahrlässigkeitsschuld = die nachlässige oder sorglose Einstellung<br />

gegenüber den Sorgfaltsanforderungen der Rechtsordnung<br />

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261<br />

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υ Beachte: Der Tatbestandsvorsatz als Verhaltensform und subjektives<br />

Unrechtselement liefert für den ihm entsprechenden <strong>Schuld</strong>typus<br />

der vorsätzlich-fehlerhaften Einstellung zur Rechtsordnung (= Vorsatzschuld)<br />

nur ein widerlegbares "Indiz" - dieses Indiz wird hinfällig, wenn<br />

der Täter bei der Vornahme der Handlung die Voraussetzungen eines<br />

anerkannten Rechtfertigungsgrundes irrig annimmt (Erlaubnistatbestandsirrtum)<br />

- str. (s.u. RN 282)<br />

161 Das Unrechtsbewusstsein<br />

a) Gegenstand des Unrechtsbewusstseins = die Einsicht des<br />

Täters, dass sein Verhalten rechtlich verboten ist.<br />

b) Unterscheide<br />

aa)<br />

bb)<br />

Aktuelles Unrechtsbewusstsein = dem Täter steht das Unrecht seiner<br />

vorsätzlichen Tat klar vor Augen (Regelfall)<br />

(Ausreichend ist ein) potentielles Unrechtsbewusstsein = wenn der<br />

Täter bei dem ihm zumutbaren Einsatz seiner Erkenntniskräfte und<br />

Wertvorstellungen die Einsicht in das Unrecht der Tat gewinnen konnte.<br />

υ Fehlt dem Täter bei Begehung der Tat infolge eines unvermeidbaren<br />

Verbotsirrtums die Einsicht, Unrecht zu tun, so handelt er ohne<br />

<strong>Schuld</strong> (§ 17 S. 1).<br />

162 Unterscheidung <strong>Schuld</strong>ausschließungsgründe -<br />

Entschuldigungsgründe<br />

a) <strong>Schuld</strong>ausschließungsgründe: Hier fehlt es an einer <strong>Schuld</strong>voraussetzung<br />

bzw. an einem schuldbegründenden Merkmal -<br />

Fallgruppen:<br />

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262<br />

_____________________________________________________________________<br />

• <strong>Schuld</strong>unfähigkeit (§§ 19, 20)<br />

• Unvermeidbarer Verbotsirrtum (§ 17 S. 1)<br />

b) Entschuldigungsgründe: Sie bewirken eine so starke Herabsetzung<br />

des Unrechts- und <strong>Schuld</strong>gehalts der Tat, dass dies zur<br />

Straflosigkeit führt - Fallgruppen:<br />

• Entschuldigender Notstand (§ 35 I)<br />

• Notwehrüberschreitung (§ 33)<br />

• Handeln aufgrund eines für verbindlich gehaltenen rechtswidrigen<br />

Befehls<br />

• Entschuldigende Pflichtenkollision<br />

163 Entschuldigender Notstand (§ 35 I)<br />

a) Prüfungsaufbau<br />

Prüfschema 28: Entschuldigender Notstand (§ 35)<br />

A. Gegenwärtige Gefahr für<br />

I. Leben, Leib oder Freiheit des<br />

II. Täters, eines Angehörigen des Täters (§ 11 I Nr. 1) oder eine andere<br />

ihm nahe stehende Person<br />

B. Gefahr nicht anders abwendbar: Handeln objektiv erforderlich<br />

und geeignet:<br />

I. Das "relative mildeste Mittel" ist zu wählen<br />

II. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachten (der angerichtete<br />

Schaden darf nicht in einem offensichtlichen Missverhältnis zur<br />

Schwere der Gefahr stehen)<br />

C. Subjektiv in Kenntnis der Gefahrenlage und mit Rettungswillen<br />

D. § 35 I 2<br />

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263<br />

_____________________________________________________________________<br />

b) Einzelheiten<br />

aa)<br />

Notstandslage<br />

• Rechtsgut Freiheit betrifft nur die Fortbewegungsfreiheit gem. § 239<br />

• Zum Gefahrbegriff s.o. RN 140 b) aa) (2)<br />

bb)<br />

Notstandshandlung<br />

• Notstandshandlung als ultima ratio<br />

• Grundsatz der Verhältnismäßigkeit - je gravierender die mit der Rettungshandlung<br />

verbundene Rechtsgutsverletzung ist, desto sorgfältiger<br />

muss der Täter die Möglichkeiten eines anderen Ausweges prüfen!<br />

cc) Grenzen (§ 35 I 2)<br />

• Verschuldet braucht die Gefahrverursachung nicht zu sein (str.) - zumindest<br />

ist aber ein objektiv pflichtwidriges Vorverhalten zu fordern.<br />

• Bei Rettungshandlungen zugunsten von Angehörigen oder Nahestehenden<br />

stellt das Gesetz in § 35 I 2 nicht auf deren Vorverhalten ab,<br />

sondern auf die Gefahrverursachung durch den Täter (str.) - W/B, AT,<br />

RN 441: "Entscheidend ist die übergeordnete Frage, ob dem Täter gerade<br />

wegen der in § 35 I 2 erwähnten Besonderheiten zuzumuten war,<br />

die Gefahr hinzunehmen und den Notstand zu bestehen."<br />

164 Der Nötigungsnotstand<br />

a) Begriff: Ein Nötigungsnotstand liegt vor, wenn der Täter durch Gewalt<br />

oder Drohung mit einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr<br />

für Leben, Leib oder Freiheit seiner selbst, eines Angehörigen o-<br />

der ihm nahe stehenden Person zu einer rechtswidrigen Tat genötigt<br />

wird.<br />

b) Problem: Bleibt für eine Rechtfertigung des abgenötigten Verhaltens<br />

nach § 34 Raum, wenn es gemessen an dem vom Nötiger angedrohten<br />

Übel nur zu einer relativ geringfügigen Rechtsgutsverletzung<br />

führt? Dazu ein<br />

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264<br />

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Beispiel (vgl. W/B, AT, RN 443): O wird durch T unter Androhung<br />

schwerer Misshandlungen dazu gezwungen, eine Fensterscheibe der<br />

Wohnung des A einzuwerfen.<br />

c) Problemlösung<br />

aa) T.d.L.: Rechtfertigung nach § 34<br />

bb)<br />

cc)<br />

a.A. (h.M.): § 35 I - Arg.: Der Genötigte tritt auf die Seite des Unrechts;<br />

die Rechtsposition des (der) Betroffenen würde ansonsten eingeschränkt<br />

(keine Notwehr möglich!).<br />

Vermittelnde Auffassung will Schwere der Straftat entscheiden lassen<br />

(§ 35 I gilt nur für solche Straftaten von erheblichem Gewicht)<br />

165 Notwehrüberschreitung (§ 33)<br />

a) Prüfschema<br />

Prüfschema 29: § 33 (intensiver Notwehrexzess – str.)<br />

1. Objektiv: Bestehen einer Notwehrlage<br />

2. Vorliegen von Furcht, Verwirrung oder Schrecken<br />

3. Überschreitung der zulässigen Verteidigung ("mehr als erforderlich")<br />

4. Subjektiv: Unbewusste oder bewusste (str.) Überschreitung<br />

b) Details<br />

aa)<br />

Die Notwehrüberschreitung ist ein Entschuldigungsgrund (h.M.)<br />

bb) Problem 1: § 33 gilt nicht für den sog. extensiven Notwehrexzess =<br />

Angreifer wird durch ein bewusstes Hinwegsetzen über das Erfordernis<br />

der "Gegenwärtigkeit" durch den zu seiner Verteidigung Entschlossenen<br />

betroffen (str.).<br />

cc)<br />

Problem 2: § 33 gilt nicht für die Fälle der Putativnotwehr = Verteidiger<br />

hält den Angriff für irrtümlich (schon oder noch) gegenwärtig - es<br />

finden Irrtumsregeln Anwendung (Arg.: § 33 setzt einen wirklichen Angriff<br />

voraus); Erlaubnistatbestandsirrtum – Behandlung sehr str. (s.u.<br />

RN 282).<br />

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265<br />

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BGH NStZ 2002, 141: „Jedenfalls soweit das LG den Angekl. gemäß<br />

§ 33 wegen der Messerstiche für entschuldigt hält, die er führte, als der<br />

Nebenkläger bereits am Boden lag und nicht mehr in der Lage war, etwas<br />

gegen den Angekl. zu unternehmen und sich diesem zu widersetzen,<br />

ist seine rechtliche Beurteilung des Geschehens fehlerhaft. In diesem<br />

Zeitpunkt lag kein gegenwärtiger rechtswidriger Angriff des Nebenkl.<br />

gegen den Angekl. mehr vor. Es entschuldigte den Angekl.<br />

nicht, dass er dies aus panischer Angst und Verwirrung nicht erkannte.<br />

§ 33 kommt dem Täter, der aus einem der dort genannten astehnischen<br />

Affekten handelt, nur so lange zu Gute, bis die Notwehrlage und<br />

Angriffsgefahr endgültig beseitigt ist [...].“<br />

Der BGH weist darauf hin, dass sich der Täter zwar in einem Erlaubnistatbestandsirrtum<br />

befunden habe, dies schließe aber die Strafbarkeit<br />

wegen fahrlässiger Tatbegehung [hier: gefährliche Körperverletzung]<br />

nicht aus. Die Entscheidung bitte nachlesen!<br />

dd)<br />

Problem 3: § 33 gilt grds. nicht für die Fälle des Putativnotwehrexzesses<br />

= irrige Annahme des Angriffs und Überschreitung der Grenzen<br />

der Notwehr - der in Putativnotwehr Handelnde darf zur Verteidigung<br />

nicht mehr tun, als wenn er in wirklicher Notwehr wäre - doch ist,<br />

wenn der Täter unvermeidbar irrig einen Angriff annimmt, § 33 analog<br />

anzuwenden, wenn er bei wirklicher Notwehrlage gegeben wäre (nach<br />

a.A. soll § 17 zur Anwendung gelangen).<br />

c) Rechtsprechung<br />

BGH NStZ 1989, 474: § 33 greift auch dann ein, wenn der Täter in<br />

Kenntnis der wahren Sachlage aus den dort genannten Affekten seine<br />

Notwehrbefugnis bewusst überschreitet.<br />

BGH NStZ-RR 1999, 264: Der in § 33 geforderte (asthenische) Effekt<br />

braucht nicht die überwiegende Ursache für die Notwehrüberschreitung<br />

sein. Es genügt, dass er neben anderen gefühlsmäßigen Regungen<br />

für die Notwehrüberschreitung mitursächlich war.<br />

BGHSt 39, 133, 139 [Fall Sonntag]: Besteht infolge der von dem Angegriffenen<br />

schuldhaft mitverursachten Notwehrlage noch ein (wenn<br />

auch eingeschränktes) Notwehrrecht nach § 32, so ist grundsätzlich<br />

auch Raum für die Anwendung des § 33, sofern der Täter die Grenzen<br />

der (eingeschränkten) Notwehr aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken<br />

überschreitet. Dies gilt aber dann nicht, wenn sich der rechtswidrig Angegriffene<br />

planmäßig in eine tätliche Auseinandersetzung mit seinem<br />

Gegner eingelassen hat, um unter Ausschaltung der für die<br />

Konfliktlösung zuständigen und erreichbaren Polizei den ihm angekündigten<br />

Angriff mit eigenen Mitteln abzuwehren und die Oberhand über<br />

seinen Gegner zu gewinnen.<br />

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266<br />

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Zur (durch den BGH ebenfalls abgelehnten) Heranziehung von<br />

§ 34 s.o. RN 141.<br />

BGH NStZ 1995, 76, 77: Im Hinblick auf die vom Gesetzgeber vorgesehene<br />

völlige Straflosigkeit selbst bei bewusster Überschreitung der<br />

erforderlichen Notwehr, muss - worauf das LG zutreffend hinweist - ein<br />

gesteigertes Maß an Angst vorliegen, um die Voraussetzungen der<br />

Furcht i.S.d. § 33 zu begründen. Zu verlangen ist 'ein durch das Gefühl<br />

des Bedrohtseins verursachter Störungsgrad, bei dem die Fähigkeit,<br />

das Geschehen richtig zu verarbeiten, erheblich reduziert war'. Gemeint<br />

ist damit, dass der Täter aktuell auf Grund einer besonders intensiven,<br />

gesteigerten Gemütsbewegung und -erregung gehandelt haben<br />

muss und gerade durch ein solches Ausmaß der Angst zu Handlungen<br />

hingerissen worden ist, die das Maß des Erforderlichen überschreiten.<br />

BGH NStZ 1995, 177: Die Anwendbarkeit des § 33 wird nicht dadurch<br />

ausgeschlossen, dass sich der Angegriffene dem Angriff durch<br />

Flucht oder vorsorgliche Einschaltung der Polizei hätte entziehen<br />

können.<br />

υ Anmerkung: Dieser Fall unterscheidet sich von dem in BGHSt 39,<br />

133 entschiedenen (s.o.) dadurch, dass der Täter dort die bewaffnete<br />

Auseinandersetzung mit seinen Gegnern noch vor Beginn des rechtswidrigen<br />

Angriffs und außerhalb des von den Angreifern vorgesehenen<br />

Tatortbereichs auf öffentlicher Straße gesucht hat, um seinerseits den<br />

erwarteten Angriffen zuvorzukommen.<br />

166 Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens<br />

a) Die Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens ist nach h.M. nicht<br />

schlechthin als "übergesetzlicher Entschuldigungsgrund" anzuerkennen<br />

(Wessels/Beulke, AT, RN 451).<br />

b) Ausnahme: Ganz außergewöhnliche Konfliktsituationen (Beispiel:<br />

NS-Ärzte während der "Euthanasieaktion") - W/B, a.a.O., RN 452: "In<br />

einer so ungewöhnlichen, nahezu unlösbaren Pflichtenkollision vermag<br />

die Rechtsordnung keinen <strong>Schuld</strong>vorwurf zu erheben, wenn der Täter<br />

seine Entscheidung nach bestem Gewissen trifft und sein vom Rettungszweck<br />

bestimmtes Handeln unter den gegebenen Umständen<br />

das einzige Mittel darstellt, noch größeres Unheil für Rechtsgüter von<br />

höchstem Wert zu verhindern."<br />

RN 167 bleibt unbesetzt!<br />

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