Ausgabe 2010 - Cannstatter Volksfest
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Auf zum größten Schaustellerfest der Welt vom 24. September bis 10. Oktober <strong>2010</strong> auf dem <strong>Cannstatter</strong> Wasen in Stuttgart
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<strong>Cannstatter</strong> <strong>Volksfest</strong>zeitung <strong>2010</strong> ::: 3<br />
Liebe FestBesucher<br />
aus nah und fern,<br />
zum 165. Mal findet von 24. September bis 10. Oktober<br />
<strong>2010</strong> das traditionsreiche <strong>Cannstatter</strong> <strong>Volksfest</strong> statt.<br />
Hierzu heiße ich alle Besucherinnen und Besucher in<br />
unserer Landeshauptstadt Stuttgart herzlich willkommen.<br />
Seit nunmehr 192 Jahren ist das <strong>Cannstatter</strong><br />
<strong>Volksfest</strong> ein fester Bestandteil<br />
im Veranstaltungskalender von Baden-<br />
Württemberg und der Stadt Stuttgart. Es<br />
zieht Jahr für Jahr Millionen Menschen aus<br />
dem ganzen Land und weit darüber hinaus<br />
an. Damit ist es Besuchermagnet und Aushängeschild<br />
der <strong>Volksfest</strong>kultur unseres<br />
Landes. Den Organisatoren und Verantwortlichen,<br />
allen Schaustellerinnen und Schaustellern<br />
sowie allen, die zu dieser schönen<br />
Tradition beigetragen haben und beitragen,<br />
gebührt große Anerkennung.<br />
Gleichzeitig findet in diesem Jahr auf dem<br />
<strong>Cannstatter</strong> Wasen das 98. Landwirtschaftliche<br />
Hauptfest statt. Vom 25. September bis<br />
3. Oktober zeigen die Aussteller den zahlreich<br />
erwarteten Fachbesuchern und Verbrauchern<br />
die Landwirtschaft als eine wachsende<br />
Zukunftsindustrie, als Produzenten<br />
wichtiger Nahrungsmittel ebenso wie als<br />
Energieversorger. Das Landwirtschaftliche<br />
Hauptfest erinnert an die historischen Wurzeln<br />
des <strong>Cannstatter</strong> <strong>Volksfest</strong>es. Dieses hat<br />
eine lange Tradition, die in das Jahr 1818 zurückreicht,<br />
in dem erstmals<br />
ein „jährlich am 28. September<br />
zu Kannstadt abzuhaltendes<br />
landwirthschaftliches Fest“ mit<br />
angeblich weit mehr als 30 000 Gästen<br />
und Mitwirkenden stattfand. Mit dem ersten<br />
<strong>Volksfest</strong> war die Einrichtung einer landwirtschaftlichen<br />
Unterrichtsanstalt, der heutigen<br />
Universität Hohenheim, verbunden.<br />
Das ursprüglich als landwirtschaftliches Fest<br />
mit Pferderennen und Preisverleihungen in<br />
der Tierzucht konzipierte <strong>Volksfest</strong> sollte auf<br />
Wunsch König Wilhelms I. von Württemberg<br />
die nach den napoleonischen Kriegen<br />
schwer geschädigte württembergische Wirtschaft<br />
wieder in Schwung bringen.<br />
Heute beheimatet der <strong>Cannstatter</strong> Wasen alljährlich<br />
eines der größten <strong>Volksfest</strong>e der<br />
Welt. Jährlich kommen mehr als vier Millionen<br />
Gäste nach Stuttgart, um auf dem Wasen<br />
die von den zahlreichen Schaustellerbuden,<br />
Fahrgeschäften und Gastronomiebetrieben<br />
dargebotenen Attraktionen zu erleben<br />
und in den Festzelten die schwäbische<br />
Gastfreundschaft zu genießen.<br />
Den Besucherinnen und Besuchern des<br />
165. <strong>Cannstatter</strong> <strong>Volksfest</strong>s wünsche ich<br />
viel Vergnügen und schöne Stunden in<br />
unserer Landeshauptstadt Stuttgart.<br />
Ihr<br />
Stefan Mappus<br />
Ministerpräsident<br />
des Landes Baden-Württemberg<br />
InHalt<br />
WasenVergnügen . . . . . . 4<br />
SchauSteller . . . . . . . . . . 6<br />
FrauenGeflüster . . . . . . . 10<br />
KüchenDampf . . . . . . . 14<br />
KüchenKontrolle . . . . . . 16<br />
RoteSchürze . . . . . . . . . 22<br />
SchwabenWelt . . . . . . . . 26<br />
TraditionsMorgen . . . . . 29<br />
SamariterJubiläum . . . . . 31<br />
WasenNacht . . . . . . . . . . 34<br />
WildeMaus . . . . . . . . . . . 36<br />
FrischVerzapft . . . . . . . . . 39<br />
WasenTracht . . . . . . . . . . . 40<br />
TraditionsPflege . . . . . . . . . 44<br />
MachMit . . . . . . . . . . . . . . . 46<br />
SchauFern . . . . . . . . . . . . . . . 48<br />
TraditionsParade . . . . . . . . . . 50<br />
WasenPlan . . . . . . . . . . . . . . . . 54<br />
WirteTipp . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56<br />
HauptFest . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58<br />
BauernHof . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60<br />
ImPressum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62
<strong>Volksfest</strong> und Landwirtschaftliches Hauptfest<br />
werden wieder zusammen gefeiert<br />
Herzlich<br />
tierisches Vergnügen<br />
„Wilde Maus“, Schwäbisch-Hällische Schweine, Limpurger Rinder,<br />
arabische Pferde, hölzerne Karussellpferde, geplüschte Wasenhasis<br />
und gegrillte Göckele – tierisch geht es in diesem Jahr wieder auf<br />
dem <strong>Cannstatter</strong> Wasen zu. Diese prickelnde animalische Mischung<br />
lockt alle vier Jahre Millionen von Besuchern auf den Wasen. Das 165. <strong>Cannstatter</strong><br />
<strong>Volksfest</strong> und das 98. Landwirtschaftliche Hauptfest werden in<br />
diesem Jahr wieder gemeinsam gefeiert.<br />
Programm<br />
Eröffnungsfeier & Fassanstich<br />
Freitag, 24. September, 20.15 Uhr<br />
Grandl’s Hofbräu-Zelt<br />
Traditionsmorgen vor der Fruchtsäule<br />
Eröffnung des 98. Landwirtschaftlichen<br />
Hauptfestes<br />
Samstag, 25. September, 11 Uhr<br />
Mit der Bauernkapelle Trillfingen,<br />
dem Großen Siedershof Schwäbisch<br />
Hall, der Landjugend Langenau,<br />
Bernd Kohlhepp alias Herr Hämmerle,<br />
dem <strong>Cannstatter</strong> <strong>Volksfest</strong>verein,<br />
Wulf Wager u.a.<br />
<strong>Volksfest</strong>umzug<br />
Sonntag, 26. September, 11 Uhr<br />
Geburtstagsständchen für König<br />
Wilhelm I. in der Grabkapelle auf<br />
dem Württemberg<br />
Montag, 27. September, 18 Uhr<br />
Familientage<br />
Mittwoch, 29. Sept. und 6. Oktober<br />
Schwäbischer Mundart-Gottesdienst<br />
Sonntag, 3. Oktober, 10 Uhr<br />
Wilhelmer’s SchwabenWelt<br />
Sonntagskonzert vor der Fruchtsäule<br />
Sonntag, 3. Oktober, 11 Uhr<br />
Trachtenkapellen aus Altenheim,<br />
Nordrach, Althengstett und<br />
Emmingen<br />
Start der Heißluftballone<br />
Sonntag, 3. Oktober, ca. 14 Uhr<br />
(witterungsabhängig)<br />
Musik-Großfeuerwerk<br />
Sonntag, 10. Oktober, 21.45 Uhr<br />
Seinen Ursprung hat<br />
das Fest in einer<br />
Stiftung König Wilhelms<br />
I. von Württemberg,<br />
der nach zwei verheerenden<br />
Hungerjahren<br />
seinen bäuerlichen Untertanen<br />
mit der Stiftung<br />
von Preisen für hervorragende<br />
landwirtschaftliche<br />
Leistungen Mut<br />
machen wollte. „Seine<br />
Königliche Majestät haben<br />
in der landesväterlichen<br />
Absicht, zur<br />
fortschreitenden Verbesserung<br />
der Viehzucht<br />
im Königreich<br />
zu ermuntern und<br />
denjenigen, welche<br />
in diesem wichtigen<br />
Zweige der Landwirtschaft<br />
etwas Vorzügliches<br />
leisten, einen Beweis<br />
des Allerhöchstens<br />
Wohlgefallens zu<br />
geben, für die beste<br />
Erzeugnisse der Viehzucht,<br />
Preise auszusetzen<br />
geruht, deren Verteilung<br />
in jedem Jahr<br />
am 28. September und<br />
wenn dieser auf einen<br />
Sonntag fällt, am folgenden<br />
Montag zu Kannstadt<br />
geschieht, auf welchen<br />
Tag zugleich ein Viehmarkt<br />
abgehalten werden<br />
wird. Auch wird ein <strong>Volksfest</strong><br />
damit in Verbindung<br />
gesetzt und dafür gesorgt<br />
werden, dass solches durch<br />
unterhaltende Abwechslungen<br />
diesem frohen Tag entspreche.“<br />
So stand es am Dienstag, 31.<br />
März 1818 im Königlich-Württembergischen<br />
Staats- und Regierungs-Blatt.<br />
An den König<br />
erinnert eine Feierstunde an<br />
seinem Geburtstag, am Montag,<br />
27. September, um 18.30<br />
Uhr, in der Grabkapelle auf<br />
dem Württemberg.<br />
Einen Tag dauerte das erste<br />
„Landwirthschaftliche Fest zu<br />
Kannstadt“. Rund 30 000 Menschen<br />
strömten auf den königlichen<br />
Exerzierplatz am <strong>Cannstatter</strong><br />
Wasen, wobei Cannstatt<br />
damals nur 3000 Einwohner<br />
hatte. Heute sind es zwischen<br />
vier und fünf Millionen, die<br />
17 Tage lang auf dem größten<br />
Schaustellerfest der Welt feiern.<br />
Das Landwirtschaftliche<br />
Haupt fest (LWH) dauert hingegen<br />
nur eine Woche.<br />
Doppellooping<br />
und transportables<br />
„Erlebnishochhaus“<br />
Die schaustellerischen Neuheiten<br />
halten sich in diesem Jahr<br />
in Grenzen. Zum einen gibt<br />
es wegen des LWH weniger<br />
Platz für das <strong>Volksfest</strong>,<br />
zum anderen scheuen sich<br />
die Schausteller wegen der<br />
aktuellen Wirtschaftslage,<br />
Millionenbeträge in neue<br />
Hochfahrgeschäfte zu in-<br />
vestieren. Dennoch sind Glanzpunkte<br />
der Schaustellerei auf<br />
dem <strong>Cannstatter</strong> <strong>Volksfest</strong><br />
<strong>2010</strong> zu finden. Gegenüber einem<br />
<strong>Volksfest</strong> ohne LWH gibt<br />
es rund 100 Betriebe weniger,<br />
aber die Qualität und Attraktivität<br />
der verbliebenen 260 Betriebe<br />
machen das wieder wett.<br />
Nach über 40 Jahren wird ein<br />
neues Riesenrad der Firma<br />
Bruch-Hablützel aufgestellt,<br />
der „Expo Star“, der für die Expo<br />
2000 in Hannover gebaut<br />
wurde. Mit rund 60 Metern Höhe<br />
ist es eines der größten<br />
transportablen Riesenräder der<br />
Welt. Mit neuer Lichttechnik<br />
und neuer Lackierung wird es<br />
auch die <strong>Volksfest</strong>besucher begeistern.<br />
Ein kleiner Tipp: Genießen<br />
Sie eine Fahrt<br />
„zur blauen Stunde“,<br />
in der Dämmerung.<br />
Hier offenbart<br />
das <strong>Cannstatter</strong><br />
<strong>Volksfest</strong><br />
seinen besonderen<br />
Reiz.
<strong>Cannstatter</strong> <strong>Volksfest</strong>zeitung <strong>2010</strong> ::: 5<br />
Eine Doppellooping-Achterbahn<br />
der Familie Steiger, die<br />
mit einer Grundfläche von 80 x<br />
34 Metern und einer Höhe von<br />
26 Metern ein ganz besonderes<br />
Fahrerlebnis verspricht, ist dabei.<br />
Die „Teststrecke“ wurde<br />
jüngst mit dem FKF-Award<br />
ausgezeichnet und ist deshalb<br />
das beste mobile Fahrgeschäft<br />
Europas. Die Besonderheiten<br />
liegen in der weichen, ruckelfreien<br />
Fahrt und der Faszination,<br />
wie stark die Kräfte in den<br />
beiden Loopings und der Helix<br />
auf den Fahrgast einwirken.<br />
Nicht weniger<br />
Fahrspaß verspricht<br />
die traditionelle „Wilde<br />
Maus“.<br />
Mit dem „Countdown“,<br />
einem 59 Meter hohen<br />
Freifallturm, wurden die<br />
<strong>Volksfest</strong>besucher schon im<br />
vergangenen Jahr in Erstaunen<br />
und Begeisterung versetzt. Für<br />
Schwindelfreie gibt es einige<br />
der unglaublichsten Beschleunigungsgeräte.<br />
Der „Booster<br />
Maxxx Mega G4“, ein riesiger<br />
Drehflügel, an dessen Enden<br />
Gondeln angebracht sind, hat eine<br />
Flughöhe von 55 Metern, beschleunigt<br />
auf 100 Stundenkilometer<br />
Höchstgeschwindigkeit<br />
und erzeugt eine Kraft von vier G<br />
auf die Fahrgäste. Das höchste<br />
transportable Kettenkarussell<br />
der Welt, der „StarFlyer“ ist<br />
schon seit einigen Jahren ein beliebtes<br />
Hochfahrgeschäft. Ganz<br />
neu auf dem Wasen ist „The Tower“,<br />
das höchste transportable<br />
„Hochhaus“ der Welt. Darin verbirgt<br />
sich eine völlig neue Mischung<br />
aus Unterhaltungselementen,<br />
Spielgeräten, Aussichtsplattform,<br />
Café, Animation,<br />
Erdbebenerlebnis ... Das<br />
Ganze ist zudem mit Auffahrrampe<br />
und Lift speziell für Senioren<br />
und behinderte Besucher<br />
ausgestattet.<br />
Mit dem VVS wochentags<br />
auf den Wasen<br />
Da es wegen des LWH nur ein<br />
beschränktes Parkplatzangebot<br />
gibt, ist es ratsam, mit öffentlichen<br />
Verkehrsmitteln auf den<br />
<strong>Cannstatter</strong> Wasen zu fahren.<br />
Wer dennoch mit dem Auto<br />
kommt, kann sich nach dem Genuss<br />
von ein paar Maß Bier, die<br />
es in diesem Jahr zum Preis von<br />
8,30 Euro gibt, auch von den eh-<br />
renamtlichen Fahrern der<br />
Heimweghilfe nach Hause fahren<br />
lassen – ein bundesweit einmaliger<br />
Service. Man bezahlt<br />
nur die Taxi-Rückfahrt des Fahrers.<br />
Bequemer geht es nicht.<br />
Für einen gemütlichen Wasenbesuch<br />
empfehlen sich die<br />
Werktage. Da ist es wesentlich<br />
entspannter und ruhiger als an<br />
den Wochenenden, an denen im<br />
vergangenen Jahr die Festplatzzugänge<br />
sogar teilweise gesperrt<br />
werden mussten.<br />
Nachdem die meisten Festzelte<br />
in den letzten Jahren kräftig ausund<br />
umgestaltet wurden, werden<br />
in diesem Jahr die Dinkelacker-Festwirte<br />
Dieter und Werner<br />
Klauss mit einem neuen<br />
Festzelt glänzen. Rund 30 000<br />
Plätze stehen in den Zelten für<br />
die festfreudigen Besucher bereit.<br />
Wulf Wager
6 ::: <strong>Cannstatter</strong> <strong>Volksfest</strong>zeitung <strong>2010</strong><br />
Ein Festplatz zum Anfassen<br />
Schausteller<br />
gewähren einen<br />
Blick hinter die<br />
Kulissen<br />
Früher riefen die Bewohner „Holt<br />
die Wäsche rein“, wenn das fahrende<br />
Volk in den Ort kam. Das<br />
galt auch für Schausteller. Das<br />
hat sich längst geändert. Schausteller<br />
und Marktkaufleute mit<br />
dem Wahlspruch „Die Welt ist<br />
unser Feld“ sorgen auf den<br />
Festplätzen für Unterhaltung,<br />
Kurzweil und Abwechslung –<br />
und sind offener geworden.<br />
„Wir haben nichts zu verbergen“,<br />
sagt Nico Lustnauer<br />
und erlaubt einen Blick in seinen<br />
Wohnwagen. Auch seine<br />
Kollegen gewähren Blicke<br />
hinter die Kulissen von Fahrgeschäft<br />
und Imbiss. Ein<br />
Festplatz zum Anfassen.<br />
Es ist eine neue Generation,<br />
die in die Fußstapfen der<br />
Eltern, Großeltern und<br />
Urgroßeltern tritt. Nico Lustnauer<br />
(31) hat von seinem Onkel, Volker<br />
Weber, den Autoscooter „Carat<br />
2000“ übernommen, Thomas<br />
Meyer (32) ist für die Achterbahn<br />
„Teststrecke“ und die<br />
Wildwasserbahn verantwortlich,<br />
Ernie Kipp (32)<br />
reist mit dem „Europa-<br />
Rad“, dem weltweit größten<br />
transportablen Riesenrad<br />
mit offenen, drehbaren<br />
Gondeln durch Europa,<br />
unterstützt von ihrem Bruder<br />
Willi (16). Christian von<br />
Berg (31) bietet an seinem<br />
Stand „Candy“ Schoko- und glasierte<br />
Früchte an. Sein Großvater<br />
hatte das fast schon legendäre Fahrgeschäft<br />
„Round up“. Klaus Renoldi (35)
Die Zeit ist reif.<br />
Von den<br />
Straßen aus<br />
nicht sichtbar, wohnen<br />
die Schaustellerfamilien<br />
meist hinter den Geschäften in<br />
speziellen Wohnwagen.<br />
Fotos: Archiv, Wulf Wager,<br />
Edgar Rehberger<br />
betreibt den „Höllenblitz“, die<br />
Achterbahn im Dunkeln, seine<br />
Schwester Nina (33) das Almhüttendorf.<br />
Süße Sünde<br />
Volker Grewe (42) ist seit<br />
20 Jahren als Schausteller unterwegs.<br />
Mit seiner „Nuss-Akademie“<br />
steht er zum dritten Mal<br />
im Almhüttendorf. Die Besonderheit:<br />
Man kann die „Akademie“<br />
begehen, sich seine Tüte<br />
selbst mischen. Schaukästen informieren<br />
über Inhalt, Nährwert<br />
und Kalorienzahl der unterschiedlichen<br />
Nussarten. Die<br />
Mandeln werden vor Ort gebrannt.<br />
„Ich verwende nur Wiener<br />
Mandeln, Wasser, Zimt und<br />
wenig Zucker, das ergibt eine<br />
dünne Glasur“, verrät Grewe.<br />
Ernie Kipp und ihr Bruder Willi<br />
sind das ganze Jahr mit dem<br />
„Europa-Rad“ auf der Reise,<br />
auch in den Niederlanden und<br />
in Frankreich. Von Dezember<br />
bis Ende Februar steht das Riesenrad<br />
in Lyon. „Da sind wir<br />
mitten in der Stadt.“ Wenn es<br />
schnell gehen muss, wird das<br />
Riesenrad mit seinen 42 Gondeln<br />
in zwei Tagen aufgebaut.<br />
Nach dem Frühlingsfest geht es<br />
direkt nach Erlangen. Für Abbau,<br />
Anfahrt und Aufbau bleibt<br />
keine Woche Zeit.<br />
Wer so viel unterwegs ist,<br />
braucht einen wohligen Ort<br />
zum Rückzug. Nico Lustnauer<br />
hat seinen Wohnwagen im<br />
Frühjahr vorigen Jahres aus<br />
den USA bezogen und knapp<br />
90 000 Euro dafür bezahlt. Der<br />
Wagen ist 14,50 Meter lang und<br />
2,50 Meter breit. Vier Erker<br />
sind ausfahrbar, sodass dann<br />
45 Quadratmeter Fläche zur<br />
Verfügung stehen – mit Dusche,<br />
Toilette, kleiner Küche,<br />
Klimaanlage, Gasheizung. „Es<br />
fehlt eigentlich an nichts.<br />
Schließlich verbringen wir<br />
100 Tage hier drin.“ Die Lautstärke<br />
des Rummelplatzes stört<br />
ihn nicht. „Ich bin auf dem<br />
Festplatz groß geworden und<br />
habe einen tiefen Schlaf.“<br />
Bett neben dem Wasser<br />
Sein Wohnwagen grenzt direkt<br />
an die Wildwasserbahn. Zusammen<br />
mit Thomas Meyer hat Nico<br />
Lustnauer als Kind im großen<br />
Wasserbassin der Bahn gebadet.<br />
„Natürlich nur dann, wenn kein<br />
Betrieb war.“ 650 000 Liter Wasser<br />
sind für die Bahn nötig, die<br />
Ab Herbst <strong>2010</strong>:<br />
die Winzer-Sauna.<br />
Gönnen Sie Ihren Augen<br />
einen Trollinger. Ihrem<br />
Körper die Panorama-Sauna.<br />
Am Leuzebad 2–6 · 70190 Stuttgart<br />
Telefon (07 11) 2 16-42 10<br />
www.stuttgart.de/baeder
Täglich lockt die<br />
süße Verführung.<br />
mit 41 Transportern<br />
von Festplatz zu Festplatz<br />
transportiert wird. Acht Hauptpumpen<br />
verteilen das Wasser,<br />
das innerhalb von fünf Minuten<br />
einmal umgewälzt ist.<br />
1000 Euro Energiekosten verschlingt<br />
die Anlage pro Tag, in<br />
der viel Technik steckt. Deshalb<br />
ist eine eigene Elektrowerkstatt<br />
mit dabei. „Da benötigen wir<br />
schon Experten für“, sagt Thomas<br />
Meyer, der auch für die<br />
Steiger-Achterbahn „Teststrecke“<br />
zuständig ist. Diese wurde<br />
2008 aus den<br />
USA geholt und im vergangenen<br />
Jahr in Hamburg<br />
getestet, gekauft und renoviert.<br />
Aus 27,50 Metern Höhe geht es<br />
in den Doppellooping. Die Achterbahn<br />
wird eine Weile unterwegs<br />
sein. „Die Finanzierung<br />
ist auf zehn Jahre angelegt.“<br />
Die jungen Schausteller schot-<br />
tens sich also keineswegs ab,<br />
sondern zeigen ihr Fahrgeschäft<br />
auch gern einmal. So hat<br />
Klaus Renoldi Mitgliedern des<br />
„Höllenblitz-Fanclubs“ Einblick<br />
ins Innere der Achterbahn<br />
gewährt. „Die fanden das<br />
höchst interessant.“<br />
Edgar Rehberger<br />
24.-27.9. Oberallgäu<br />
Musikanten<br />
28.-30.9. Alpenstarkstrom<br />
1.-4.10. Edelweißrebellen<br />
5.- 8.10. Zündstoff<br />
9.-10.10. Edelweißrebellen<br />
Jeden Tag Livemusik im Biergarten<br />
mit Peter’s Almhüttenrebellen<br />
Ausgelassen feiern<br />
oder gemütlich relaxen...<br />
www.diealmhuette.de<br />
Reservierungen 0800-7112222
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Die jungen Schausteller schot-<br />
tens sich also keineswegs ab,<br />
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Auf dem Frühlingsfest laden die beiden<br />
Frauenverein alle Schaustellerinnen und<br />
Marktkauffrauen zum Kaffeetrinken ein.<br />
Stehend: links Vorsitzende der „Heiterkeit“,<br />
Doreen Franck, zweite von rechts<br />
Vorsitzende des „Schwäbischen“, Linda<br />
Brandl<br />
Fotos: Wulf Wager<br />
Der 1. Stuttgarter Schausteller-Frauenclub „Heiterkeit“ e. V.<br />
und der Schwäbische Frauenbund Stuttgart e. V.<br />
„Die Frauen wollen sprechen,<br />
ihr Herz abladen“<br />
Heute Nachmittag ist die Welt auf dem Frühlingsfest ein<br />
bisschen verkehrt: Die Gäste der Kaffeetafel im festlich geschmückten<br />
weißen Zelt von Linda Ade Event Catering sind ausnahmsweise<br />
nicht Festbesucher und -besucherinnen, sondern<br />
ausschließlich Schaustellerinnen und Marktkauffrauen. Linda<br />
Brandl, die Chefin des Zeltcafés, und Doreen Franck, Inhaberin<br />
eines Büchsenwurfgeschäfts, umsorgen zusammen mit einigen<br />
Servicekräften die etwa 80 weiblichen Gäste.<br />
Brandl ist Vorsitzende des<br />
„Schwäbischen Frauenbundes<br />
Stuttgart e.V.<br />
Schaustellerfrauen und Marktkauffrauen“,<br />
kurz „der Schwäbische“<br />
genannt, Franck Vorsitzende<br />
des „1. Stuttgarter Schausteller-Frauenclubs<br />
‚Heiterkeit‘<br />
e. V.“. Jedes Jahr während des<br />
Frühlingsfestes laden die beiden<br />
Vereine die auf dem Wasen tätigen<br />
Kolleginnen ein, damit sie<br />
einige Stunden lang reden, entspannen<br />
und sich mit Kaffee<br />
und Kuchen verwöhnen lassen<br />
können – und natürlich auch die<br />
„Veteraninnen“, die Frauen, die<br />
nicht mehr auf der Reise sind.<br />
Das Gesellige<br />
steht im Vordergrund<br />
Bei ihrer kurzen Begrüßungsansprache<br />
betonen die beiden<br />
Vorsitzenden, dass sie für das<br />
Kaffeekränzchen einen eher<br />
ruhigen Tag gewählt haben. Und<br />
dann zum Wohl, ein Gläschen<br />
Sekt „auf gute Geschäfte, die Gesundheit<br />
und eine gute Saison“.<br />
Um hier ein, zwei Stunden verbringen<br />
zu können, mussten<br />
die Frauen dafür sorgen, dass<br />
sie am Stand vertreten werden.<br />
Bei Anna Schubert tut dies ihr<br />
Mann, mit dem sie zusammen<br />
einen Schießstand führt. „Geh<br />
du zum Kaffee, ich mach so<br />
lang das Geschäft“, habe er gesagt.<br />
Für Ingrid Wermescher,<br />
Geschäftsführerin der Firma<br />
Heirol, steht heute Nachmittag<br />
der Sohn am Stand und verkauft<br />
Körperpflegemittel. Die<br />
61-Jährige ist seit einem Jahr<br />
Mitglied im „Schwäbischen"<br />
und freut sich, dass sie so nett<br />
aufgenommen wurde, während<br />
Schwarzwälder Kirsch- und Eierlikörtorte,<br />
Zwetschgenkuchen<br />
und belegte Brötchen serviert<br />
werden.<br />
„Die Frauen wollen hier sprechen,<br />
ihr Herz abladen“, sagt<br />
Marion Franck, die ebenfalls eine<br />
Schießbude führt: „Wir müssen<br />
immer freundlich sein, der
<strong>Cannstatter</strong> <strong>Volksfest</strong>zeitung <strong>2010</strong> ::: 11<br />
Kunde ist König.“ Als Schaustellerin<br />
sei man auch Schneiderin,<br />
Köchin, Mutter, Kassier,<br />
und selbst das Elektrische erledigten<br />
manche. Im Laufe eines<br />
Tages komme so viel Ungeplantes<br />
dazwischen, sei es mit dem<br />
Personal, dem Geschäft oder<br />
den Kindern.<br />
Gerade deshalb ist die gesellige<br />
Komponente bei beiden Frauenvereinen<br />
stark ausgeprägt.<br />
„Wir legen großen Wert darauf,<br />
dass im Vereinsleben der Beruf<br />
in den Hintergrund gerät“, erklärt<br />
Linda Brandl. Für Berufsstand<br />
und Berufspolitik seien<br />
die Schaustellerverbände da.<br />
Der Landesverband Schausteller<br />
und Marktkaufleute Baden-<br />
Württemberg e.V. und der<br />
Schaustellerverband Südwest<br />
Stuttgart e. V. – können aber auf<br />
die Unterstützung der Frauenvereine<br />
zählen, indem diese<br />
sich etwa bei Verbandstagen<br />
um Dekoration und Rahmenprogramm<br />
kümmern.<br />
Singapur und Bali locken<br />
Noch während des Zweiten<br />
Weltkriegs, im Jahr 1943, gründeten<br />
einige Frauen auf der Reichenau<br />
die „Heiterkeit“. Die<br />
Wahl des Namens sollte wohl<br />
ein Gegenpol zu den damals wenig<br />
heiteren Verhältnissen<br />
darstellen, vermutet Doreen<br />
Franck. Sinn und Zweck des<br />
Vereins war und ist, den Zusammenhalt<br />
der Frauen zu fördern.<br />
Ähnlich sieht Linda Brandl<br />
das Vereinsziel des „Schwäbischen“,<br />
der ein paar Jährchen<br />
mehr auf dem Buckel hat, 1925<br />
gegründet wurde: „ … dass sich<br />
die Frauen miteinander zurückziehen<br />
und austauschen können.“<br />
Im „Schwäbischen“ sind<br />
86 Marktkauffrauen und Schaustellerinnen<br />
organisiert, hinzu<br />
kommen etwa zehn Ehrenmitglieder,<br />
in der „Heiterkeit“ sind<br />
insgesamt 73 Schaustellerinnen.<br />
Auch Witwen und Frauen, die<br />
nicht mehr auf die Reise gehen,<br />
schätzen die Vereinstätigkeit. So<br />
wie Elfriede Schram, die früher<br />
mit einer Verlosung unterwegs<br />
war. Durch die Angebote des<br />
„Schwäbischen“ bleibt sie in<br />
Kontakt mit den Kolleginnen,<br />
kann mit ihnen ein paar schöne<br />
Stunden, den jährlichen Tagesausflug<br />
oder gar den Urlaub verbringen.<br />
Denn Anfang des Jahres gehen<br />
die Vereinsfrauen für ein oder<br />
zwei Wochen auf große Tour:<br />
Ägypten, Marokko, Tunesien,<br />
die Türkei oder die Karibik wurden<br />
schon bereist. „Eine allein<br />
würde sich das nicht getrauen,<br />
obwohl alle hier weltgewandte<br />
Frauen sind“, sagt Marion<br />
Franck. Die Teilnehmerinnen<br />
zahlen die Reise selbst, der Verein<br />
organisiert. Vor einigen Jahren<br />
machten sich die unternehmungslustigen<br />
Frauen des<br />
„Schwäbischen“ gar zum früheren<br />
Circus- und Schaustellerseelsorger<br />
Wolfgang Leuschner<br />
auf, der nun in Singapur tätig<br />
war. „Wir haben eine tolle Reise<br />
gemacht, mit etwa 20 Leuten:<br />
acht Tage Bali und acht Tage<br />
Singapur, und dort haben<br />
wir den Pfarrer besucht“, erzählt<br />
Linda Brandl. Auf dem<br />
Programm stehen aber auch<br />
Theater- und Besenwirtschaftsbesuche<br />
oder „Fahrten ins<br />
Blaue“, die auch für Ältere und<br />
Gebrechlichere geeignet sind.<br />
Doreen Franck von der „Heiterkeit“<br />
sieht die alljährliche Reise<br />
ihres Vereins ebenfalls als<br />
Highlight an. „Die Fahrten sind<br />
toll. Wir besuchen eine Stadt,<br />
mit maximal zwei Übernachtungen,<br />
und waren schon in<br />
Wien, Prag und Budapest.“<br />
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12 ::: <strong>Cannstatter</strong> <strong>Volksfest</strong>zeitung <strong>2010</strong><br />
Der Mann rudert,<br />
die Frau lenkt<br />
Doreen Franck, die seit 1990<br />
Mitglied und seit etwa zwölf Jahren<br />
Vorsitzende der „Heiterkeit“<br />
ist, erzählt bei aller Begeisterung<br />
aber auch von Nachwuchsproblemen;<br />
viele ihrer jungen Kolleginnen<br />
hätten weniger Sinn für<br />
den Verein. Doch die Mutter<br />
zweier Töchter hat dafür gesorgt,<br />
dass der Altersdurchschnitt bei<br />
der „Heiterkeit“ gesenkt wird,<br />
und ihre Mädchen bereits als Babys<br />
im Verein angemeldet. Tochter<br />
Lara warte schon dar auf, 16<br />
Jahre zu werden. Dann wird sie<br />
„richtiges“ Mitglied und darf<br />
mitentscheiden.<br />
Der Alltag von Doreen Franck<br />
zeigt, was ein Schaustellerinnenleben<br />
mit sich bringt: Die 43-<br />
Jährige chauffiert während der<br />
Feste in Bad Cannstatt morgens<br />
die Kinder zur Schule. Und die<br />
Linda Brandl vom<br />
Schwäbischen Frauenbund<br />
steht an einem Ort am Rand der<br />
Schwäbischen Alb, wo die Familie<br />
ihren Wohnsitz hat. Bis die<br />
Schule aus ist, macht Franck den<br />
Haushalt. Dann geht‘s mit den<br />
Kindern zurück nach Stuttgart,<br />
um bis in die Nacht hinein am<br />
Stand zu arbeiten.<br />
Sabine Wirblich, die auf dem<br />
Wasen gebrannte Mandeln und<br />
Süßwaren verkauft, meint, dass<br />
die Männer zwar den Auf- und<br />
Abbau machen, die Frauen in<br />
der Regel aber das Geschäft<br />
führten und schätzungsweise<br />
dreimal so lang arbeiteten wie<br />
die Männer. Marion Franck<br />
sagt lapidar: „Der Mann rudert,<br />
die Frau lenkt. So ist das.“<br />
Zur Pflege eines Freundes -<br />
kreises bleibt wenig Zeit<br />
Linda Brandl, die vor 25 Jahren<br />
als junge Frau erstmals zur Vorsitzenden<br />
des „Schwäbischen"<br />
gewählt wurde und neuen<br />
Schwung in den Verein brachte<br />
(„Der war 60 Jahre alt und hatte<br />
auch die Patina einer 60-Jährigen!“)<br />
mag ihren Beruf. Doch<br />
sie sieht neben der hohen Arbeitsbelastung<br />
einen weiteren<br />
großen Nachteil der reisenden<br />
Tätigkeit: dass man nämlich keinen<br />
privaten Freundeskreis pflegen<br />
könne. „Wenn die anderen<br />
frei haben, müssen wir arbeiten.<br />
Und das ist ziemlich gestört.“<br />
Umso wichtiger ist es, dass die<br />
Schaustellerinnen und Marktkauffrauen<br />
zusammenstehen,<br />
dass sie sich treffen können –<br />
und sei es auch nur drei-, viermal<br />
im Jahr. Reise, Jahresversammlung,<br />
Bierzeltbesuch,<br />
Kaffeetrinken auf dem Frühlingsfest<br />
– danach sind sie in alle<br />
Winde verstreut. Erst im<br />
Herbst begegnet man sich auf<br />
dem Wasen wieder. Aber auf<br />
dem <strong>Volksfest</strong> sei für Kaffeekränzchen<br />
oder Ähnliches keine<br />
Zeit, sagt Doreen Franck.<br />
Der Wasen füllt sich sicht- und<br />
hörbar. Menschenmassen ziehen<br />
an dem gemütlichen Cafézelt<br />
vorbei, vergnügte Besucher<br />
johlen laut. Die Frauen werden<br />
unruhig. Die ersten verlassen die<br />
Kaffeetafel, kehren zurück zu ihrem<br />
Stand, um ihre Männer<br />
oder das Personal zu unterstützen.<br />
Die Reihen lichten sich. Gut<br />
war’s und schön war’s. Doch<br />
jetzt wird wieder geschafft.<br />
Monika Bönisch<br />
Wochenend-Partystimmung an allen 17 Veranstaltungstagen<br />
Von Mittags bis tief in die Nacht, in GRANDLS HOFBRÄU ZELT ist immer etwas los:<br />
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Von Schweinekrustenbraten<br />
bis Rehragout: Ein Team<br />
von 11 Köchen zaubert in<br />
der Küche des Hofbräuzeltes.<br />
Fotos: Karin Gessler,<br />
Wulf Wager<br />
Ein Tag in der <strong>Volksfest</strong>küche<br />
des Hofbräuzeltes<br />
15 Stunden<br />
unter Dampf<br />
Die Zeiten, als es in den großen <strong>Volksfest</strong>zelten vor allem<br />
Göckele und Rote vom Grill gab, sind längst vorbei. Heute können<br />
die Festgäste unter einem vielseitigen Angebot an Speisen<br />
wählen. Zubereitet werden all die Köstlichkeiten direkt vor Ort<br />
in den Zeltküchen.<br />
sich die Aufgaben, unterstützt<br />
von 17 weiteren Mitarbeitern.<br />
Die Köche sind allesamt Freiberufler,<br />
die von Event zu Event<br />
reisen. Nur Ulrich Ketzer ist bei<br />
„Gastronomie Grandl“ fest angestellt.<br />
Jeder hat seinen Ver -<br />
antwortungsbereich, gearbeitet<br />
wird von 8 Uhr morgens bis Küchenschluss<br />
gegen 23 Uhr. Für<br />
den Küchenchef beginnt der<br />
Tag mit der Warenannahme.<br />
Fleisch, Gemüse und andere<br />
frische Produkte werden täglich<br />
angeliefert. Für den Laien beeindruckend<br />
sind die Mengen,<br />
fünf bis sechs Lkw-Ladungen<br />
kommen da schon zusammen.<br />
Ketzer zeigt mir die beiden<br />
Kühlräume für Fleisch und Gemüse.<br />
1500 Schweinshaxen,<br />
vier Paletten Hähnchen, Enten,<br />
Rinderfilet und Schweineschnitzel,<br />
im anderen Raum<br />
Wir bieten eine sehr<br />
hochwertige Küche<br />
aus frischen, überwiegend<br />
regionalen Produkten“, erzählt<br />
Ulrich Ketzer, Chefkoch<br />
im Hofbräuzelt. Natürlich stehen<br />
die Klassiker Hähnchen,<br />
Schweinshaxen und Ochsenbraten<br />
vom Spieß auf der Speisekarte.<br />
Dazu schwäbische<br />
Schmankerl wie Maultaschen<br />
und Linsen. Die Gäste werden<br />
aber auch mit Rinderfilet auf<br />
gebuttertem Gemüsebouquet,<br />
Ochsenlende in Pfefferrahmsoße,<br />
Ragout von Reh, Hirsch und<br />
Gams, Langusten und Scampi<br />
verwöhnt. Auch an Vegetarier<br />
ist gedacht, ein Wald- und Wiesenpfännle<br />
mit verschiedenen<br />
Pilzsorten in Weißweinsoße<br />
schmeichelt dem Gaumen.<br />
Auf süße Schleckermäulchen<br />
warten<br />
Kaiserschmarrn<br />
und ofenfrischer<br />
Apfelstrudel.<br />
Wir sitzen in Ketzers<br />
kleinem Büro<br />
über der Küche.<br />
Von hier hat man<br />
einen guten Überblick<br />
über das Geschehen.<br />
„7000 bis<br />
10 000 Essen werden<br />
jeden Tag ausgegeben“,<br />
erzählt Ketzer. Da<br />
muss alles wie am Schnürchen<br />
klappen. Die Küche ist<br />
zwar relativ klein, aber sehr gut<br />
eingerichtet. Elf Köche teilen<br />
Hofbräu-Festwirt<br />
Hans-Peter Grandl vor dem<br />
Ochsen am Spieß
<strong>Cannstatter</strong> <strong>Volksfest</strong>zeitung <strong>2010</strong> ::: 15<br />
Chefkoch Ulrich Ketzer<br />
am Ochsengrill<br />
Kisten mit Salat und Gemüse –<br />
der Bedarf für einen Tag. Auch<br />
die ersten Platten und Vesperbretter<br />
für den Mittag stehen<br />
schon bereit. Den ganzen Tag<br />
über wird weiterproduziert. In<br />
einem kleinen gekühlten Raum<br />
werden Hähnchen gewürzt<br />
und gespießt, die anschließend<br />
zum Durchziehen ebenfalls in<br />
den Kühlraum kommen.<br />
Am großen Grill wartet Jürgen<br />
Eipper auf den Ochsen, der<br />
jeden Tag frisch von der Bäuer -<br />
lichen Erzeugergemeinschaft<br />
Schwäbisch Hall geliefert wird.<br />
Eipper ist im Hauptberuf Metzger<br />
und verbringt seinen Urlaub<br />
auf dem Wasen. Auch Heinrich<br />
Krockenberger hat das <strong>Volksfest</strong>fieber<br />
gepackt. Der ehemali-<br />
Arbeiten auf kleinem Raum:<br />
die Küche im Hofbräuzelt<br />
ge Bürgermeister von Sulzbach-<br />
Laufen ist für den Transport der<br />
Fleischwaren von Schwäbisch<br />
Hall nach Stuttgart zuständig.<br />
Früher sei er mit den Mitarbeitern<br />
des Rathauses und des Bauhofes<br />
als Gast auf den <strong>Cannstatter</strong><br />
Wasen gekommen, erzählt<br />
er. Jetzt wirke er begeistert hinter<br />
den Kulissen mit. Der Ochse<br />
ist bereits fertig gespießt, mit<br />
einem Seilzug wird er in den<br />
Grill gehängt. Für 12 bis 13 Stunden<br />
dreht er sich nun dekorativ<br />
und bekommt langsam Farbe<br />
und eine schöne Kruste. Bestrichen<br />
wird er stündlich mit einer<br />
Mischung aus Öl und Gewürzsalz.<br />
Am Grill nebenan drehen<br />
sich goldbraune Hähnchen und<br />
eine Station weiter brutzeln<br />
Schweinshaxen. In einem großen<br />
Bottich blubbert die Soße<br />
für das Ochsenfleisch, Grundlage<br />
sind die Ochsenknochen<br />
vom Tag zuvor, gewürzt<br />
mit einem kräftigen<br />
Schuss Sherry. Das<br />
Tagesessen – heute<br />
Zwiebelfleisch<br />
mit Bratkartoffeln<br />
– bereitet Jan<br />
Edler zu, Thomas<br />
Busch kümmert<br />
sich um den Krustenbraten<br />
und Stefan<br />
Wohak managt die Essensausgabe.<br />
Auch Ulrich Ketzers<br />
Tochter ist dabei, sie ist für Dessert<br />
und Salate zuständig. Die<br />
Zusammenarbeit funktioniert<br />
nach beider Aussage bestens.<br />
„Solange sie akzeptiert, dass ich<br />
der Chef bin“, lacht er.<br />
Mittlerweile ist es Abend geworden.<br />
Im Zelt tobt der Bär,<br />
viele der meist jungen Gäste<br />
stehen auf den Bänken, singen<br />
enthusiastisch „Wir feiern die<br />
ganze Nacht ...“. Für die Bedienungen<br />
bedeutet das Gedränge<br />
Schwerstarbeit, die Tabletts<br />
müssen durch die tobende<br />
Menge jongliert werden. Auch<br />
in der Küche geht es jetzt hektischer<br />
zu. Für stete Sauberkeit<br />
sorgen die fleißigen Frauen<br />
vom Putzteam, ein zweites<br />
Frauenteam arbeitet in der<br />
Spülküche und bestückt die<br />
große Spülmaschine. Gegen<br />
20.30 Uhr nehmen Ulrich Ketzer<br />
und Jürgen Eipper den Ochsen<br />
vom Grill. In Stücke zerlegt<br />
wird das Fleisch in der Soße in<br />
ein bis zwei Stunden fertig gegart.<br />
Bis um 22.30 Uhr werden<br />
noch warme Gerichte serviert,<br />
Hähnchen, Haxen und Getränke<br />
gibt es bis 23 Uhr, am Wochenende<br />
bis 23.30 Uhr. Dann<br />
hat das Küchenteam Feierabend.<br />
Anstrengend seien die<br />
<strong>Volksfest</strong>tage, bestätigen alle.<br />
Dennoch mache die Arbeit viel<br />
Freude – im nächsten Jahr werden<br />
sie wieder dabei sein.<br />
Karin Gessler
16 ::: <strong>Cannstatter</strong> <strong>Volksfest</strong>zeitung <strong>2010</strong><br />
Mit kritischem Blick, Sachvestand und Wohlwollen<br />
Die Lebensmittelüberwachung<br />
hat alles im Griff<br />
Gigantische Mengen an Speisen und Getränken passieren an<br />
den <strong>Volksfest</strong>tagen die Tresen der Zelte, der Imbiss- und Süßwarenstände.<br />
Da sind die Lebensmittelkontrolleure nicht fern,<br />
und das ist gut – für Wohl und Gesundheit der Gäste ebenso<br />
wie für Wirte und Standbetreiber, die wenigstens ihren guten<br />
Ruf zu verlieren haben.<br />
Bis zu vier Lebensmittelkontrolleure<br />
vom Amt<br />
für öffentliche Ordnung<br />
der Stadt Stuttgart – einer von<br />
ihnen ist Tobias Reiff – tun auf<br />
dem <strong>Volksfest</strong> ihren Dienst. Sie<br />
kümmern sich darum, dass keine<br />
Lebensmittel, die gesundheitsschädlich,<br />
verdorben oder<br />
durch Fremdstoffe kontaminiert<br />
sind, unter die Leute gebracht<br />
werden. Auch Kosmetika<br />
und Gebrauchsgegenstände,<br />
mit denen die Haut oder die<br />
Schleimhäute in Kontakt kommen<br />
können, werden geprüft,<br />
etwa auch Spielwaren. Ein<br />
waches Auge haben<br />
die Kontrolleure<br />
auf die Lebensmittellagerung,<br />
auf Arbeitsabläufe<br />
und Personalhygiene.<br />
Inspektion<br />
in der Bierzeltküche<br />
Neben einem Bierzelt spritzt<br />
ein Küchenhelfer benutzte<br />
Grillspieße im Freien mit einem<br />
Hochdruckreiniger ab,<br />
das Spritzwasser vom Boden<br />
klatscht an die Spieße zurück;<br />
die nächstgelegene Mülltonne<br />
dient als Ablage. Mit hygienischer<br />
Küchenführung<br />
hat das<br />
nichts zu<br />
tun, auch wenn die Gerätschaften<br />
im Spülraum später heiß<br />
gespült werden. Tobias Reiff<br />
stoppt die Arbeiten. Er rät den<br />
Verantwortlichen, große hohe<br />
Kunststoffwannen für die Vorreinigung<br />
anzuschaffen und<br />
diese weit weg von den Mülltonnen<br />
durchzuführen. Dass<br />
dieser kürzlich festgestellte<br />
Mangel noch nicht beseitigt ist,<br />
kostet 35 Euro Verwarngeld.<br />
Beim Inspektionsgang durch<br />
die heiße, enge und feuchte<br />
Küche fällt der Blick auf ein<br />
verschlossenes Paket auf dem<br />
Boden. „Kartonagen haben in<br />
der Küche nichts verloren.“ Das<br />
Paket könnte verunreinigt worden<br />
sein, z. B. durch Kakerlaken<br />
im Ursprungsland Thailand.<br />
Eine Küchenkraft hebt es<br />
hoch, will es auf eine Arbeitsfläche<br />
stellen. „Halt“, sagt Reiff,<br />
„das schon gar nicht, das Paket<br />
muss sofort raus aus der Küche.“<br />
Im Spülraum stapeln sich<br />
Steigen mit frischem Gemüse –<br />
auch das geht nicht: Lebensmittel<br />
im Spülbereich, neben<br />
schmutzigem Geschirr, sind tabu.<br />
Reiff macht sich Notizen.<br />
Mängel sind sofort abzustellen;<br />
ist das nicht möglich, etwa bei<br />
baulichen Mängeln, wird eine<br />
Frist gesetzt. Wenige Stunden<br />
später oder am nächsten Tag erfolgt<br />
die Nachkontrolle.<br />
Mustergültig geht es in einer<br />
anderen Küche zu – alles ist<br />
sauber, das Platzangebot großzügig,<br />
die Grillspieße, auf denen<br />
die Haxen kreisen, weisen<br />
keine Teerbeläge auf. Im Spülraum<br />
werden die benutzten<br />
Spieße in einer hohen Wanne<br />
bereits heiß vorgespült. Reiff ist<br />
zufrieden.<br />
Wegen des hohen Lebensmittelumsatzes<br />
nehmen die Kontrolleure<br />
die Bier- und Wein zelte<br />
mit insgesamt über 30 000 Sitzplätzen<br />
besonders ins Visier. Tobias<br />
Reiff unterscheidet allerdings<br />
zwischen etablierten Zeltbetreibern<br />
und Neulingen mit<br />
Anfangsproblemen. Wirte, die<br />
erstmals ein großes Zelt betreiben,<br />
behandle man etwas nachsichtiger,<br />
so fair müsse man<br />
sein. In der zweiten Saison auf<br />
dem Wasen ist die Schonfrist<br />
dann vorbei.<br />
Der Hering in der Sonne<br />
Für die Sicherheit der Lebensmittel<br />
sind die Betriebe verantwortlich.<br />
Deshalb sind sie auch<br />
verpflichtet, Eigenkontrollen<br />
durchzuführen. Zum Beispiel<br />
wird verlangt, dass sie die Ware<br />
bei der Anlieferung prüfen<br />
und wenn nötig zurückweisen.<br />
Einen besonders sorgfältigen<br />
Umgang erfordern Lebensmittel<br />
tierischer Herkunft, also<br />
Fleisch, Fisch und Molkereiprodukte.
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Die Feinkost<br />
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Alles neu macht der Herbst!<br />
Während Sie hoffentlich ein<br />
paar erholsame Ferientage<br />
verbracht haben, waren wir<br />
wieder fleißig für Sie!<br />
Auch in diesem Jahr erwartet<br />
Sie viel Neues in unserem Zelt.<br />
Unter anderem eine komplett<br />
neue Pilsbar, über die sich eine<br />
Brücke spannt, so dass Sie unser<br />
Zelt jetzt auch aus luftigen<br />
Höhen betrachten können.<br />
Ganz beim Alten bleibt die<br />
tolle Stimmung und die Qua -<br />
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18 ::: <strong>Cannstatter</strong> <strong>Volksfest</strong>zeitung <strong>2010</strong><br />
Die Kontrolleure prüfen Temperatur<br />
und Hygiene bei Lagerung<br />
und Verarbeitung, die<br />
Frische der Ware, Mindesthaltbarkeitsdatum<br />
und die Deklaration<br />
von Inhaltsstoffen. Dabei<br />
gehen sie risikoorientiert<br />
vor – Heringsbrötchen sind an<br />
einem heißen Sommertag stärker<br />
gefährdet als bei kühler<br />
Witterung.<br />
Die besten Helfer der Kontrolleure<br />
sind zunächst einmal ihre<br />
Sinne – schauen, riechen,<br />
auch mal kosten und die<br />
Schlüsse ziehen. Wie riecht die<br />
Haxe? Sieht der Thunfisch<br />
frisch aus oder hat er trockene,<br />
braune Ränder – ein Hinweis<br />
auf falsche oder zu lange Lagerung.<br />
Werden neben der Arbeitsplatte,<br />
auf der Salat angerichtet<br />
wird, rohe Hähnchen<br />
auf den Grillspieß gesteckt?<br />
Die Salmonellen warten schon ...<br />
Mitunter werden auch Planproben<br />
genommen, also ohne konkreten<br />
Anlass bestimmte Gerichte,<br />
Kleidungsstücke oder<br />
Kosmetika etc. geprüft.<br />
<strong>Volksfest</strong>standard:<br />
Waschbecken, Flüssigseife,<br />
Papierhandtuch<br />
„Heute können Sie uns nur loben“,<br />
empfängt ein Süßwarenhändler<br />
den Kontrolleur. Doch<br />
davon kann keine Rede sein.<br />
Unter dem Flüssigseifenspender,<br />
direkt neben dem Wasch-<br />
becken, liegt ein Packen angeschmuddelter,<br />
nasser Papierhandtücher.<br />
Reiff gibt vor:<br />
„Hier in der Nähe ist ein Baumarkt,<br />
in zwei Stunden ist ein<br />
Handtuchhalter angebracht.“<br />
Handwaschbecken sind für Betriebe,<br />
die mit Lebensmitteln<br />
umgehen, vorgeschrieben. Der<br />
Papierhandtuchhalter muss, der<br />
Seifenspender sollte zweckmäßigerweise<br />
fest an der Wand installiert<br />
sein. Ein Standard, auf<br />
den die Stuttgarter Lebensmittelkontrolleure<br />
achten: „Einen<br />
Papier- und Seifenspender für<br />
etwa 25 Euro muss sich ein Betreiber<br />
leisten können“, meint<br />
Reiff.<br />
Es gibt noch einiges zu beanstanden<br />
an diesem Nachmittag<br />
– Lutscher, bei denen die Zusatzstoffe<br />
ausschließlich auf<br />
Französisch deklariert sind,<br />
Räucherspiralen, die der Wespenabwehr<br />
dienen sollen und<br />
deren Asche zwischen die<br />
Schokoküsse in der Auslage<br />
fällt. Oder das Zeichen, das die<br />
Betreiberin eines Schokofrüchte-Standes<br />
ihren Mitarbeitern<br />
gibt und das für die Augen des<br />
Kontrolleurs sicher nicht bestimmt<br />
war. Doch Reiff ist aufmerksam:<br />
„Und wenn ich das<br />
nächste Mal komme, haben Sie<br />
das auch abgestellt.“ Eine leichte<br />
Röte überzieht das Gesicht<br />
der Chefin. In einem Spiegel an<br />
der Wand hatte der Kontrolleur<br />
gesehen, wie ein Helfer hinter<br />
dem Kühlschrank verschwand,<br />
kurz darauf wieder zurückkehrte.<br />
„Etwas muss da gewesen<br />
sein, ich weiß nicht genau, was<br />
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20 ::: <strong>Cannstatter</strong> <strong>Volksfest</strong>zeitung <strong>2010</strong><br />
vor sich ging. Doch die Botschaft<br />
ist angekommen“, meint<br />
Reiff später.<br />
Aber es gibt auch Anerkennung<br />
– etwa für einen vorbildlichen<br />
Hustenschutz aus Acrylglas,<br />
der den Zuckerwattebehälter<br />
vor Verunreinigung schützt –<br />
und sei es „nur“ vor der feuchten<br />
Aussprache von Kunden.<br />
Von frühmorgens<br />
bis spätabends<br />
Reiff legt kein ungesundes<br />
Misstrauen an den Tag. Allerdings<br />
kann er sich vorstellen,<br />
dass mal nachlässig gehandelt<br />
wird, wenn kein Kontrolleur in<br />
der Nähe ist. Dagegen helfe die<br />
Präsenz des Lebensmittelkontrolldienstes<br />
auf dem Festplatz,<br />
auch schon früh vor der offiziellen<br />
Öffnung oder spätabends.<br />
Besonders am Abend, wenn<br />
viel los sei, zeige sich, ob ein<br />
Stand funktioniere oder eine<br />
Küche gut organisiert sei. Reiff<br />
setzt aufs Gespräch, um zu Problemlösungen<br />
zu kommen.<br />
„Wir versuchen mit den Betreibern<br />
gut zusammenzuarbeiten<br />
und nicht gegen sie, letztlich im<br />
Interesse der Kundschaft.“<br />
Doch ebenso wichtig wie ein<br />
gutes Verhältnis zur Klientel<br />
sind Klarheit, Bestimmtheit<br />
und eine gewisse Distanz.<br />
Ein gutes Zeugnis<br />
für das <strong>Volksfest</strong><br />
Einen Betrieb<br />
zu schließen,<br />
sei das äußerste<br />
Mittel<br />
und sollte<br />
die Ausnahme<br />
bleiben,<br />
meint Reiff.<br />
„Wenn der Betreiber<br />
daran interessiert ist, dass<br />
ein beanstandeter Zustand verbessert<br />
wird, dann müssen wir<br />
ihm normalerweise nicht die<br />
Existenzgrundlage entziehen;<br />
er hat ja auch erhebliche Kosten<br />
hier.“ Bei einer Strafanzeige<br />
oder Betriebsschließung muss<br />
eine gewisse Schwere in der Sache<br />
vorliegen. Nicht immer ist<br />
die Ursache beim Standbetreiber<br />
zu suchen, mitunter muss<br />
auch ein Herstellerbetrieb überprüft<br />
werden. Und ein Gast,<br />
dem übel wird, könnte seinen<br />
verstimmten Magen auch bereits<br />
mit auf den Wasen<br />
gebracht haben.<br />
Gemessen an den<br />
Besucherzahlen<br />
sind Beschwerden<br />
oder gar gemeldete<br />
Erkrankungen<br />
durch auf<br />
dem <strong>Volksfest</strong> genossene<br />
Lebensmit-<br />
tel verschwindend gering. „In<br />
aller Regel wollen die Gastwirte<br />
oder Standbetreiber einen<br />
guten Standard bieten.“ Und<br />
sind für den Rat eines Kontrolleurs<br />
dankbar: „Wir kontrollieren<br />
oder sanktionieren ja nicht<br />
nur. Wir wollen den Betreibern<br />
auch nützliche Informationen<br />
geben.“<br />
Wie hält es der Lebensmittelkontrolleur<br />
Tobias Reiff privat<br />
mit dem <strong>Volksfest</strong>, kann er dort<br />
als Gast mit Appetit essen und<br />
trinken? „Selbstverständlich“,<br />
antwortet der 49-Jährige, „ich<br />
weiß ja, dass gut kontrolliert<br />
ist.“<br />
Monika Bönisch<br />
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aufmerksam zu machen, trieb Rudolf Bühler gemeinsam mit Claus-Peter Hutter<br />
und Klaus Beck eine Herde Schwäbisch-Hällische Landschweine und Hohenloher Rinder am<br />
14. August 2000 durch die Innenstadt von Stuttgart. Tausende von Schaulustigen, mehrere<br />
Fernsehstationen und ein Pulk von Journalisten begleiteten den historischen Viehtrieb.
22 ::: <strong>Cannstatter</strong> <strong>Volksfest</strong>zeitung <strong>2010</strong><br />
Gerhard Schneider brachte vor vierzig Jahren<br />
den ersten Biergarten auf den Wasen<br />
Der Mann mit der<br />
roten Schürze<br />
Mann kennt ihn kaum anders: Immer trägt Gerhard Schneider<br />
eine rote Schürze. Er ist ein Mann der Tat, langt zu, packt an und<br />
vor allem: Er spricht mit den Menschen – mit Gästen, Schaustellern,<br />
Politikern und Journalisten. Alle kommen gerne und oft in Schneiders<br />
Imbiss.<br />
Der 66-jährige Metzgermeister<br />
stammt ursprünglich<br />
aus dem<br />
Welzheimer Wald. 1963 ist er<br />
aus beruflichen Gründen nach<br />
Stuttgart gekommen. Zuerst hat<br />
er sich 1967 aushilfsweise auf<br />
dem Wasen bei Imbiss Merkle<br />
ein paar Mark dazuverdient.<br />
Aber dann, nach dem Tod des<br />
Besitzers 1970, übernahm er<br />
den Betrieb. Doch er wurde<br />
nicht zum <strong>Volksfest</strong> zugelassen.<br />
Sein ganzes Vermögen hatte der<br />
junge Mann in den Betrieb gesteckt<br />
und nun versiegte die<br />
Haupteinnahmequelle. Durch<br />
glückliche Umstände fiel ein anderer<br />
Imbissbetrieb aus und<br />
Gerhard Schneider wurde 14 Tage<br />
vor dem Fest benachrichtigt,<br />
dass er doch zugelassen sei. So<br />
eröffnete er seinen ersten Biergarten<br />
auf dem <strong>Cannstatter</strong><br />
<strong>Volksfest</strong>. Seither ist er ununterbrochen<br />
auf dem Wasen. Zweimal<br />
jährlich, beim Frühlingsfest<br />
und beim <strong>Volksfest</strong>.<br />
Für einen Mittsechziger hat<br />
Gerhard Schneider eine außergewöhnlich<br />
glatte und faltenfreie<br />
Haut. Sein Gesicht wirkt<br />
sanftmütig und freundlich. Das<br />
ist er auch. Von Weitem schon<br />
ruft er mich in seinen Imbissbetrieb.<br />
Der Gerhard liebt Essen<br />
und Trinken. Das sieht man<br />
ihm an. Seine füllige Gestalt ähnelt<br />
einem sanften Teddy. Sanftmut<br />
und Freundlichkeit zeichnen<br />
ihn aus. Das wissen auch<br />
die Jugendlichen von der Jugendkapelle<br />
der Freiwillige Feuerwehr<br />
Stuttgart, die an diesem<br />
Nachmittag bei ihm vorbeikommen<br />
und ein Ständle spielen.<br />
Mit dabei ist Wasendoktor Rolf<br />
Kübler, ein alter Freund und<br />
Spezi Schneiders. Er betreut<br />
nicht nur die Schausteller, sondern<br />
auch die Freiwilligen Feuerwehren<br />
in Stuttgart und Umgebung.<br />
Der Gerhard fühlt sich<br />
geehrt und freut sich. Er unterstützt<br />
die musikalische Jugendarbeit.<br />
Ehrensache,<br />
dass er die 40 Kinder und Jugendlichen<br />
anschließend zu<br />
Bratwurst und Cola einlädt.<br />
„Das ist ein Brauch“, erklärt mir<br />
der Gerhard. Das mache er<br />
schon seit vielen Jahren so. Das<br />
<strong>Cannstatter</strong> <strong>Volksfest</strong> – ein Fest<br />
der Bräuche auch im Kleinen.<br />
„Die werden jedes Jahr besser.<br />
Am Anfang haben sie nur ein<br />
Stückle spielen können und<br />
heute war es schon eine halbe<br />
Stunde“, schwärmt der Förderer.<br />
Gerne hätte er auch ab und<br />
an Live-Musik in seinem Biergarten<br />
gehabt. Aber das hat ihm<br />
Oben: Wasendoktor Rolf Kübler und<br />
Gerhard Schneider<br />
Unten: Schneiders Imbiss<br />
Fotos: Wulf Wager
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Die Feuerwehr-Nachwuchskapelle<br />
bringt Gerhard<br />
Schneider ein Ständchen.<br />
Fotos: Wulf Wager<br />
der Veranstalter untersagt. „Die<br />
Gemütlichkeit geht verloren.<br />
Die Älteren kommen nicht<br />
mehr auf den Wasen. Das ist<br />
schade.“<br />
Mit zehn Mitarbeitern betreibt<br />
Schneider seinen Imbiss. Immer<br />
das, was die Kunden gerade<br />
am meisten wollten, bot er<br />
an. „Alles war mal neu und interessant:<br />
Steaks, Pizza und<br />
Früchtespieße. Aber Pommes<br />
frites waren der absolute Renner,<br />
denn die Frauen hatten zu<br />
Hause noch keine Friteuse.“<br />
Begonnen hat er mit Würsten,<br />
Kartoffelpuffern, sieben verschiedenen<br />
Fischbrötchen,<br />
Fleischküchle und Schaschlikspießen.<br />
Doch das Essverhalten<br />
der Leute veränderte sich.<br />
Und so führte Schneider Pizza<br />
und Mais auf dem Wasen ein.<br />
Nach drei Wochen Aufbauzeit<br />
ist der Imbiss mit Biergarten<br />
bereit, Gäste zu empfangen.<br />
99 Prozent der Arbeiten machen<br />
Schneider, sein Sohn und<br />
seine Mitarbeiter selbst. „Das<br />
spart enorme Handwer-kerkosten.<br />
Sonst wäre das gar nicht<br />
mehr machbar“, erklärt er.<br />
Wenn Gerhard Schneider nicht<br />
gerade mit seinem Betrieb auf<br />
dem Wasen ist, reist er umher<br />
und bereichert die Feste im<br />
Land. Vereinsfeste, aber auch<br />
Traditionsfeste. Auf dem Markgröninger<br />
Schäferlauf findet<br />
man ihn und auch bei der Kirbe<br />
in Feuerbach.<br />
Alles wirkt einfach, sauber und<br />
freundlich. Und während mir<br />
der Gerhard von alten Zeiten<br />
auf dem Wasen vorschwärmt,<br />
verspeist eine Familie am Nebentisch,<br />
was Schneiders Küche<br />
hergibt: Pommes, Fleischkäse,<br />
Heringsbrötchen, Steak,<br />
Rostbratwurst und gekühlte<br />
Getränke. Aus Wendlingen<br />
kommt die Familie Schöck.<br />
„Wir kommen seit Jahren hierher.<br />
Hier ist es nicht so laut wie<br />
in den Zelten. Es ist gemütlich<br />
und das Essen ist einfach super.<br />
Außerdem ist der Herr Schneider<br />
immer nett und freundlich“,<br />
schwärmt die<br />
Mutter. Ichhabe inzwischen<br />
viel erfahren und gelernt<br />
von Schneider. Viel über das<br />
<strong>Volksfest</strong> und wie es früher war.<br />
Mehr gegessen und getrunken<br />
wurde damals, erklärt er mir.<br />
Aber es sei schwieriger geworden.<br />
Ob sein Sohn, der selbst einen<br />
Imbissbetrieb hat, seinen<br />
Wasenplatz dereinst einmal<br />
übernehmen wird, bleibt offen.<br />
Gerne würde der Junior einsteigen<br />
und den väterlichen Betrieb<br />
übernehmen. Aber der Vater ist<br />
skeptisch. „Wenn es so weitergeht,<br />
wird daraus wohl nichts<br />
werden. Die Zukunft sieht<br />
nicht rosig aus.“<br />
Plötzlich gesellt sich noch jemand<br />
zu uns. Die Schieberkappe<br />
hat ihn schon von Weitem<br />
kenntlich gemacht. Hans-Dieter<br />
Reichert, pensioniertes Urgestein<br />
des Süddeutschen<br />
Rundfunks und des späteren<br />
SWR. Reichert ist ein langjähriger<br />
Freund Schneiders und<br />
ein noch größerer Freund des<br />
<strong>Volksfest</strong>es. Er kennt sie alle,<br />
die alten Schaustellerdynastien:<br />
die Kinzlers, die Weebers und<br />
wie sie alle heißen. Er kennt ihre<br />
Geschäfte, ihre Macken und<br />
Mucken, ihre Stärken seit Jahrzehnten.<br />
Alles was es auf dem<br />
Wasen an Attraktionen gab, ist<br />
Reichert schon gefahren. Viele<br />
Fernsehsendungen über den<br />
Wasen hat er gemacht. Die beiden<br />
erzählen, dass mir die Ohren<br />
glühen. In einem sind wir<br />
uns einig: Nicht alles, was sich<br />
veränderte, hat sich zum Besseren<br />
verändert. Während Hans-<br />
Dieter Reichert und ich uns<br />
gegenseitig in unseren Kritikpunkten<br />
hochschaukeln, bleibt<br />
der Gerhard gelassen und<br />
freundlich. Wie hat er einmal<br />
gesagt: „Ich habe in meinem<br />
Betrieb immer nur mein Können<br />
eingesetzt, nicht mein Wissen!“<br />
So ist er halt, der Gerhard.<br />
Seit 40 Jahren ist er auf dem<br />
Wasen. Herzlichen Glückwunsch!<br />
Wulf Wager
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26 ::: <strong>Cannstatter</strong> <strong>Volksfest</strong>zeitung <strong>2010</strong><br />
Wilhelmer's Schwaben Welt<br />
Symbiose aus<br />
Tradition & Zeitgeist<br />
„Der Kern eines Wasen-Festzeltes ist die Bierbank, die Maß, das Göckele und<br />
die Musik. Darum herum aber kann man eine Menge Fantasie entfalten, um der<br />
Tradition ein paar neue Elemente hinzuzufügen.“ Mit dem neuen Schwaben-Bräu-<br />
Festzelt hat Festwirt Michael Wilhelmer seine Idee von moderner <strong>Volksfest</strong>-Gastlichkeit<br />
mit viel Liebe zum Detail umgesetzt.<br />
Oben: Das neue Festwirtpaar:<br />
Michael Wilhelmer und seine Frau Daniela<br />
Fotos: Karin Gessler<br />
Mit seiner rustikalen<br />
Holzfassade und den<br />
ausladenden Balkonen<br />
wirkt das neue Schwaben-Bräu-<br />
Festzelt schon auf den<br />
ersten Blick einladend und gemütlich.<br />
„Wir haben altes,<br />
gedunkeltes Holz aus Österreich<br />
und Südtirol verwendet,<br />
das teilweise von Almen<br />
stammt“, erzählt Michael Wilhelmer.<br />
Im Inneren wurde mit<br />
viel hellem Holz gebaut, so<br />
wirkt das Zelt freundlich und<br />
offen. Um den großen, von weißen,<br />
roten und grünen Zeltbahnen<br />
überspannten Mittelteil<br />
gruppieren sich kleinere und<br />
größere individuell gestaltete<br />
Boxen. Das absolute „Highlight“<br />
aber ist die große Empore,<br />
die nahezu um das halbe<br />
Zelt läuft und mit dem großen<br />
Außenbalkon verbunden ist. So<br />
findet in dem 5000 Plätze fassenden<br />
Raum jeder Gast sein<br />
Wohlfühlplätzchen.<br />
Wie ein roter Faden zieht sich<br />
das Grundthema, Altes und<br />
Modernes zu verbinden, durch<br />
alle Bereiche. „Wir möchten<br />
den Facetten <strong>Volksfest</strong>, Heimat<br />
und Regionalität, die wir hegen<br />
und pflegen, ein paar moderne<br />
Nuancen an Stil und Flair hinzufügen“,<br />
betont Wilhelmer. So<br />
wurden aus traditionellen Elementen<br />
bäuerlicher Dekoration<br />
wie Sonnenblumen, Maiskolben<br />
und Ähren grafische<br />
Wandbilder geformt, Girlanden<br />
aus Hopfen winden sich<br />
um die Säulen. Launige schwäbische<br />
Sprüche – in Lautschrift<br />
und in spitze Klammern gesetzt<br />
– vermitteln heimatliche<br />
Verbundenheit und erinnern<br />
an die Mundartkampagne von<br />
Dinkelacker-Schwaben Bräu.<br />
Und die Damen vom Service<br />
tragen trendig interpretierte<br />
Tracht, entworfen von der Stuttgarter<br />
Kultdesignerin Kinga<br />
Mathe.<br />
Inseln der Gastlichkeit<br />
Während im mittleren Bereich<br />
Bierzeltgarnituren rund um die<br />
Bühne eine volkstümliche Wasenatmosphäre<br />
schaffen, bieten<br />
die Boxen und die Empore<br />
abgeschirmte Inseln<br />
mit jeweils ganz eigenem<br />
Charak-
<strong>Cannstatter</strong> <strong>Volksfest</strong>zeitung <strong>2010</strong> ::: 27<br />
ter. In der Stäffele-Box mit ihren schönen Bänken, den<br />
weiß-rot karierten Vorhängen an den Fenstern und dem<br />
urigen weißen Kachelofen fühlt sich der Gast wie in einer<br />
gutbürgerlichen Gaststube. Das <strong>Volksfest</strong>-Ambiente<br />
ist nah, die Geräuschkulisse dringt aber nur gedämpft ans<br />
Ohr. Rustikaler zeigen sich die Schlachthof-Box und die<br />
<strong>Volksfest</strong>-Box. Ein Hauch von Luxus liegt über der Equipe-Box,<br />
der Anlaufstelle für Genießer. In den Boxen und auf<br />
der Empore bietet Wilhelmer zusätzlich – zum reichhaltigen<br />
Angebot der Festzeltkarte – eine gehobene regionale<br />
Küche an. Wichtig ist ihm sowohl die hohe Qualität der Zutaten<br />
als auch die ansprechende Darbietung der Gerichte.<br />
30 Köche, 20 Bierzapfer und 130 Servicekräfte sorgen für das<br />
Wohl der Gäste. Wer ein Andenken an den <strong>Volksfest</strong>besuch<br />
mitnehmen möchte, wird im Souvenirshop fündig. Für<br />
Nachtschwärmer bietet Wilhelmer einen besonderen Dienst<br />
an, einen Shuttle-Service in die Stadt und in den „Aer Club“,<br />
wo bis in die Morgenstunden weitergefeiert werden kann.<br />
Lange Familientradition und -erfahrung<br />
Erst seit 2009 gehört Michael Wilhelmer zum Kreis der<br />
Festwirte, in der Stuttgarter Gastronomie ist der 40-Jährige<br />
aber längst ein alter Hase. Angefangen hatte alles<br />
mit dem „Stuttgarter Stäffele“, das Mutter Erika vor<br />
39 Jahren im Stuttgarter Westen, in der Nähe des Feuersees<br />
eröffnete. Schon mit 20 Jahren stieg Wilhelmer<br />
in das Geschäft mit ein. Zudem betreibt er die<br />
„Ampulle“ und ist am „Aer Club“ beteiligt. Im Frühjahr<br />
<strong>2010</strong> startete er im denkmalgeschützten Jugendstil-Verwaltungsgebäude<br />
des alten Schlachthofs<br />
sein neuestes Projekt: Erlebnisgastronomie<br />
mit Restaurant, Kaffeehaus und Biergarten, ergänzt<br />
um das von Erika Wilhelmer gegründete<br />
Schweinemuseum. Festwirt zu sein,<br />
empfindet er jedoch als Krönung seiner beruflichen<br />
Karriere. „Es ist eine wahnsinnige<br />
Herausforderung, aber es macht<br />
auch einen Riesenspaß.“<br />
Karin Gessler
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Traditionsmorgen: <strong>Volksfest</strong>tradition unter der Fruchtsäule<br />
Trachten,<br />
Tanz und Tiere<br />
Über Jahrzehnte feierte man am Morgen des ersten <strong>Volksfest</strong>samstags<br />
die Eröffnung dieser Großveranstaltung mit einem launigen<br />
Programm – mit Musik und Tanz und natürlich mit dem<br />
Fassanstich des Oberbürgermeisters. „Der Wasen ist der Nabel<br />
der Welt, das <strong>Volksfest</strong> ein kategorischer Imperativ der Freude!“,<br />
so rief es der langjährige Oberbürgermeister der Stadt Stuttgart,<br />
Arnulf Klett, bei der <strong>Volksfest</strong>eröffnung vor über 50 Jahren aus.<br />
Sein Nachfolger, der nicht weniger legendäre Manfred Rommel,<br />
zerdepperte beim Fassanstich schon mal einen Bierkrug und hatte<br />
so die Lacher auf seiner Seite. Seine launigen <strong>Volksfest</strong>eröffnungsreden<br />
waren Sternstunden der <strong>Volksfest</strong>geschichte.<br />
Vieles hat sich seither geändert.<br />
Die Eröffnung<br />
wird seit einigen Jahren<br />
nicht mehr am Samstagvormittag<br />
vor dem Symbol des <strong>Volksfest</strong>es,<br />
der Fruchtsäule, gefeiert.<br />
Der Fassanstich erfolgt im<br />
Rahmen einer Fernsehsendung<br />
tags zuvor. Das wollten<br />
die <strong>Volksfest</strong>traditionsschützer<br />
vom <strong>Cannstatter</strong> <strong>Volksfest</strong>verein<br />
unter der Leitung von Stadtrat<br />
Robert Kauderer so nicht<br />
stehen lassen und gestalten<br />
nun – an alten Traditionen anknüpfend<br />
– ebenfalls seit einigen<br />
Jahren, einen Traditionsmorgen<br />
vor der Fruchtsäule.<br />
Trachtengruppen, die tanzend,<br />
der <strong>Volksfest</strong>verein, der singend,<br />
und ein launiger Moderator,<br />
der schwäbelnd die Leute<br />
unterhält, sind mittlerweile zu<br />
einem festen Bestandteil des<br />
<strong>Cannstatter</strong> <strong>Volksfest</strong>es geworden.<br />
Viele Hundert Besucher<br />
finden sich alljährlich vor der<br />
Fruchtsäule ein, um dem bunten<br />
Programm zu folgen.<br />
In diesem Jahr wird zudem die<br />
offizielle Eröffnung des Landwirtschaftlichen<br />
Hauptfestes<br />
beim Traditionsmorgen am<br />
Samstag, dem 25. September,<br />
um 11 Uhr gefeiert. Zum ersten<br />
Mal werden das Eröffnung des<br />
<strong>Volksfest</strong> und das Landwirtschaftliche<br />
Hauptfest nicht zusammen<br />
eröffnet. Was Wunder<br />
– lebende Tiere und die<br />
Rede des Bauernpräsidenten<br />
passen auch<br />
nicht in eine volkstümliche<br />
Schlagersendung,<br />
zu der sich die <strong>Volksfest</strong>eröffnung<br />
entwickelt hat.<br />
Diese traditionellen Elemente<br />
haben nun samstagsvormittags<br />
ihren Platz. Neben der Landjugend<br />
aus Langenau und dem<br />
Bund der Landjugend, werden<br />
Bernd Kohlhepp – alias Herr<br />
Hämmerle – und die Bauernkapelle<br />
aus Trillfingen mitwir-<br />
Fotos:<br />
Wulf Wager<br />
ken. Oberbürgermeister Wolfgang<br />
Schuster und der Präsident<br />
des Landesbauernverbandes,<br />
Joachim Rukwied, werden die<br />
Zuschauer mit ihren Grußworten<br />
ergötzen. Das traditionelle<br />
Element des Programms steuert<br />
der Große Siedershof aus<br />
Schwäbisch Hall bei, der mit seinen<br />
historischen Tänzen „Zwiewelesfisch“<br />
und „Trampele“ alte<br />
Reichsstadtherrlichkeit wieder<br />
aufleben lässt. Durch das Programm<br />
führt in gewohnter Weise<br />
Wulf Wager, der nicht nur für<br />
die Programmgestaltung, sondern<br />
auch für die Zusammenstellung<br />
des <strong>Cannstatter</strong> <strong>Volksfest</strong>umzugs<br />
verantwortlich<br />
zeichnet. Alle sind herzlich zu<br />
diesem Traditionsmorgen mit<br />
Eröffnung des 98. Landwirtschaftlichen<br />
Hauptfestes eingeladen.<br />
Nach dem Programm<br />
führt der Landjugendfanfarenzug<br />
Ankenreute die Besucher zu<br />
einem Rundgang durch das<br />
Landwirtschaftliche Hauptfest.<br />
Karl Krügle<br />
Mit rustikalem Biergarten auf der Neckarseite<br />
gegenüber Festzelt Göckelesmaier.<br />
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<strong>Cannstatter</strong> <strong>Volksfest</strong>zeitung <strong>2010</strong> ::: 31<br />
Die Samariterstiftung wurde vor 125 Jahren auf dem <strong>Cannstatter</strong> <strong>Volksfest</strong> gegründet<br />
Feiern und helfen<br />
wie zu Gründungszeiten<br />
Ein seltsamer Gast! Alles kommt in Tracht, nur ein Mann tummelt<br />
sich im großen <strong>Volksfest</strong>umzug im braunen Kittel aus<br />
Sackleinen mit schlichter Kordel als Gürtel und Schlappen wie<br />
sie dereinst Jesus trug. Er folgt einem grauen Esel. Hat er die<br />
Karfreitagsprozession durch Cannstatts Gassen verpasst?<br />
Nein, der „Barmherzige Samariter“, den er verkörpert, hat wirklich<br />
etwas mit dem <strong>Volksfest</strong> zu tun, selbst wenn sich das kaum<br />
jemand vorstellen kann.<br />
len Revolution. Ein großer Teil<br />
der einheimischen Bevölkerung<br />
war dagegen arm und bedürftig.<br />
Als König Wilhelm I.<br />
1816 den Thron bestieg, übernahm<br />
er ein von Krieg und<br />
Hunger gebeuteltes Land. 80<br />
Prozent der Bevölkerung bewirtschafteten<br />
etwa zwei Drittel<br />
der Bodenfläche. Nach katastrophalen<br />
Missernten kam es im<br />
Jahr 1817/18 zu Massenaus -<br />
Ein Blick auf die Geschichte<br />
gibt Aufschluss. Im 18.<br />
und 19. Jahrhundert blühte<br />
die Oberamtssdtadt besonders<br />
als Kur- und Erholungsort<br />
für betuchte Gäste. Sie und die<br />
feine <strong>Cannstatter</strong> Gesellschaft<br />
lasen Honoré de Balzac und<br />
plauderten in einer der Gartenanlagen<br />
über die Schriften der<br />
Aufklärungspoeten und die Errungenschaften<br />
der industriel-<br />
Küche des Friederikeheims in<br />
Oberensingen im Jahr 1885<br />
Weil Kriegsinvaliden<br />
rund um das <strong>Cannstatter</strong><br />
<strong>Volksfest</strong> bettelten,<br />
gründeten einige beherzte<br />
Stuttgarter vor 125 Jahren<br />
die Samariterstiftung.<br />
Fotos: Archiv
Im Nähzimmer des Friederikeheims<br />
in Oberensingen im Jahr 1885<br />
wanderungen. In diese Zeit hinein<br />
etablierte Wilhelm I. mit<br />
seiner Frau Katharina das Landwirtschaftliche<br />
Hauptfest. Am<br />
28. September 1818, einen Tag<br />
nach des Königs Geburtstag,<br />
durfte das Volk das erste Mal feiern.<br />
Es wurde Vieh gezeigt und<br />
prämiert, sonst hätten nur wenige<br />
den beschwerlichen Weg in<br />
die Residenzstadt auf sich genommen.<br />
Hinter der imposanten<br />
Loge des Königs gab es eine<br />
Pferderennbahn zur Belustigung.<br />
Mit dem Fest sollte eine<br />
„Stuttgarter“ Mentalität, eine<br />
„Mir sen mir“-Stimmung geschaffen<br />
werden.<br />
Große Not im Volk<br />
Doch selbst 1881 war die Not<br />
des Volkes noch groß. Auf beiden<br />
Seiten des Wegs zwischen<br />
Berg und Cannstatt hatten sich<br />
Bettler und Versehrte aufgestellt<br />
und suchten durch die<br />
markerschütternde, eintönige<br />
Musik ihrer Drehorgeln die<br />
Aufmerksamkeit und das Mitleid<br />
der Vorübergehenden zu<br />
erregen. So wird die Situation<br />
in den Stiftungsannalen der Samariterstiftung<br />
im Landeskirchlichen<br />
Archiv beschrieben.<br />
Dort heißt es weiter, dass<br />
Johann Georg Vöhringer das<br />
Elend sah und sofort helfen<br />
Mitarbeiter in der Gärtnerei des<br />
Samariterstift in Obersonthofen<br />
Fotos: Samariterstiftung<br />
wollte. Der Lebensmittelkaufmann<br />
Vöhringer kannte Stadtpfarrer<br />
Lauxmann von der<br />
Stuttgarter Stiftskirche, der von<br />
einer Frau wusste, die „am letzten<br />
Abend des <strong>Volksfest</strong>es in<br />
ein freundlich zur Verfügung<br />
gestelltes Lokal in Berg einlud.<br />
Hier wurde ein einfaches<br />
Nacht essen bereitet, zugleich in<br />
allerlei Gesängen und Ansprachen<br />
geistige und geistliche Erquickung<br />
und Stärkung dargeboten“.<br />
Diese <strong>Cannstatter</strong>in, Vöhringer<br />
und 14 Stuttgarter gründeten<br />
1885 den Verein zur Versorgung<br />
krüppelhafter und gebrechlicher<br />
Menschen. Vöhringer<br />
wurde Vorstand und Pfarrer<br />
Lauxmann geistiger Mittelpunkt.<br />
Im Jahr 1902 erkannte<br />
Wilhelm I. den Verein als<br />
„Samariterstiftung“ an. Die<br />
Stiftung in ihrer heutigen<br />
Form, mit 33 Einrichtungen für<br />
alte Menschen, psychisch Kranke<br />
und für Menschen mit Behinderung,<br />
entstand durch<br />
die Fusion der Fürsorgeheime<br />
Leonberg-Oberensingen (1871)<br />
mit der Samariterstiftung Stuttgart<br />
(1885) im Jahr 1975. Seit-<br />
her hat sich die<br />
Samariterstiftung zu<br />
einem großen Sozialunternehmen<br />
entwickelt.<br />
Helfen, helfen, helfen<br />
Die Stiftung ist in acht Landkreisen<br />
in Württemberg vertreten<br />
und betreut in ihren<br />
Einrichtungen ambulant und<br />
stationär 2800 alte Menschen,<br />
1200 Menschen mit einer Behinderung<br />
oder einer psychischen<br />
Erkrankung. 780 davon<br />
sind in Werkstätten für<br />
Menschen mit Behinderung tätig.<br />
In der Samariterstiftung<br />
wirken 2300 Mitarbeiter und<br />
1500 Ehrenamtliche.<br />
Schon zu Wilhelms Zeiten, als<br />
Vöhringer und Lauxmann wirkten,<br />
stand ehrenamtliche Tätigkeit<br />
hoch im Kurs. Auch heute<br />
ist sie wieder sehr gefragt. Seit<br />
2004 haben Menschen aus Politik,<br />
Gesellschaft und Wirtschaft<br />
unter dem<br />
Stiftungsnamen „Zeit<br />
für Menschen“ ein soziales<br />
Netz aufgebaut, das sich einzig<br />
und allein dem Wohl der Menschen,<br />
die Hilfe brauchen verschrieben<br />
hat. Die Stiftung mit<br />
ihren zahlreichen Tochterstiftungen,<br />
wie einer eigenen Jugendstiftung,<br />
sammelt finanzielle<br />
Unterstützung, um damit<br />
Ehrenamtszeit zu „kaufen“.<br />
Die Samariterstiftung wird am<br />
26. September mit zwei Zugwagen,<br />
einem Esel sowie einigen<br />
anderen Tieren am <strong>Volksfest</strong>umzug<br />
teilnehmen. Die Wagen<br />
sind in mühevoller ehrenamtlicher<br />
Tätigkeit bei der Firma<br />
Bosch in Feuerbach entstanden.<br />
Auf dem ersten Wagen<br />
fahren die „Gründungsväter“<br />
der Stiftung mit und auf dem<br />
zweiten wird ein Einblick in das<br />
heute wirksame Netzwerk der<br />
Stiftung gewährt.<br />
Sabine von Varendorff