04.11.2012 Aufrufe

Klicken Sie hier, um sich die Ausgabe Nummer - Generation plus

Klicken Sie hier, um sich die Ausgabe Nummer - Generation plus

Klicken Sie hier, um sich die Ausgabe Nummer - Generation plus

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Der Logenplatz<br />

[Gp-joc]. Agamemnon opfert seine eigene<br />

Tochter Iphigenie den Göttern. Nach -<br />

dem er <strong>die</strong>s erledigt hat, begibt er <strong>sich</strong><br />

auf den Weg nach Troja, <strong>um</strong> <strong>die</strong> Stadt zu<br />

erobern, was ihm nach jahrelangem blutigem<br />

Kampf schließlich gelingt. Wieder zurückgekehrt,<br />

wird er bereits von seiner Ehefrau Klytaimnestra<br />

erwartet, <strong>die</strong> ihn aus Rache für den Mord an der<br />

gemeinsamen Tochter in einer Nacht-und-Nebel-<br />

Aktion niedermetzelt. Orestes, der Sohn von<br />

Agamemnon und Klytaimnes tra, nimmt Rache für<br />

den Vater, indem er <strong>die</strong> Mutter erschlägt. Dies nehmen<br />

<strong>die</strong> als Rachegeister tätigen Erinnyen ihm übel und der von<br />

Schuldgefühlen geplagte Orestes muss fliehen. Er stellt <strong>sich</strong> schließlich<br />

der Göttin Athene. Diese beruft ein Geschwo renengericht ein,<br />

welches mit den Erinnyen als Staats anwälten und dem Gott Apollon<br />

als Verteidiger über <strong>die</strong> Schuld von Orestes zu entscheiden hat.<br />

Nachdem <strong>die</strong> Geschwo renen kein eindeutiges Vot<strong>um</strong> abgeben können,<br />

spricht Athene Orestes frei, denn im Zweifel, so <strong>die</strong> Göttin, sei für<br />

den Angeklagten zu entscheiden.<br />

Was <strong>sich</strong> auf den ersten Blick wie <strong>die</strong> Schilderung eines blutrünstigen<br />

ne<strong>um</strong>odischen Splatterfilms anhört, ist in Wirklichkeit „<strong>die</strong> Orestie“,<br />

<strong>die</strong> älteste erhaltene griechische Tragö<strong>die</strong>. Aischylos, der sein Werk<br />

im Jahre 458 v. Chr. geschaffen hat, errang <strong>hier</strong>mit einen seiner insgesamt<br />

dreizehn <strong>Sie</strong>ge beim jährlichen Tragö<strong>die</strong>nwettstreit. Intendant<br />

Mark Zurmühle hat nun <strong>die</strong>se einzigartige Tragö <strong>die</strong>n trilogie im<br />

Deutschen Theater in Göttingen eindrucksvoll inszeniert.<br />

Im ersten Teil präsentiert uns Zurmühle das Stück im Stile einer klassischen<br />

griechischen Tragö<strong>die</strong>. Die Charaktere sind durch große<br />

weiße Masken auf ge<strong>sich</strong>ts- und seelenlose Figuren reduziert. Aus<br />

<strong>die</strong>sen Masken kotzen sie uns zu einer d<strong>um</strong>pfen stampfenden akustischen<br />

Untermalung ihre Katharsis geradezu im Staccato entgegen. .<br />

Unter dem Motto „Tun, Leiden, Lernen“ wird dem Zuschauer klar<br />

gemacht, dass jede Handlung eine weitere Handlung und jeder<br />

Fehler eine Bestrafung nach <strong>sich</strong> zieht, einzig und allein mit dem Ziel,<br />

aus uns bessere Menschen zu machen. Diese furchterregende<br />

Handlung wird vom Chor, einem weiteren Element des klassischen<br />

griechischen Theaters, moralisierend, teils aber auch etwas kopflos<br />

kommentiert. Einzig und allein <strong>die</strong> unschuldigen Opfer, nämlich <strong>die</strong><br />

Tochter Iphigenie und <strong>die</strong> Seherin Kassandra, behalten (ohne<br />

Masken) ihre Individualität und vermitteln dadurch einen Hauch von<br />

Menschlichkeit und warmen Gefühlen in <strong>die</strong>ser grauenvollen<br />

Atmosphäre.<br />

Ganz anders der zweite und dritte Teil: Der Chor, der vorher noch in<br />

grellem Weiß stets im Mittelpunkt stand, tritt nunmehr – schwarzge-<br />

GENERATION<strong>plus</strong>+ VERANSTALTUNGEN 47<br />

Der Autor ist weder Germanist, noch gelernter Schauspieler<br />

oder gar Theaterkritiker, sondern einfach Jurist. Seine Überlegungen<br />

zu den Göttinger Theateraufführungen, <strong>die</strong> wir an<br />

<strong>die</strong>ser Stelle regelmäßig veröffentlichen werden, verstehen<br />

<strong>sich</strong> daher nicht als Expertise. Es handelt <strong>sich</strong> vielmehr <strong>um</strong> <strong>die</strong><br />

persönlichen Eindrücke eines „ganz normalen Zuschauers“.<br />

MORD, TOTSCHLAG,<br />

UND AM ENDE DOCH VERSÖHNUNG<br />

wandet – in den Hintergrund und gibt seine Kom men -<br />

tare – sehr eindrucksvoll – nur noch in Gebär den -<br />

sprache ab. Gleichwohl verliert er <strong>hier</strong>durch nicht<br />

seine Stimme, denn <strong>die</strong> Gebärden werden von einem<br />

Einzelcharakter intoniert. Die Figuren legen ihre<br />

Masken ab und erhalten durch <strong>die</strong>se Individuali sie -<br />

rung menschliche Züge und Emotionen.<br />

Mark Zurmühle hat <strong>die</strong> 15 Einzelrollen des Stückes<br />

und den im ersten Teil des omnipräsenten Chors auf<br />

acht Darsteller verteilt, <strong>die</strong> somit bis zu vier verschiedene<br />

Charaktere darzustellen haben, was durchweg hervorragend<br />

gelingt. Herausragend <strong>hier</strong>bei sind Alois Reinhardt<br />

und Roland Bonjour, <strong>die</strong> in Tenniskleidung und mit einem<br />

Golfschläger bewaffnet <strong>die</strong> Zerrissenheit des Orestes zwischen<br />

Rache für den Vater und Schuld für den Mord an der Mutter eindrucksvoll<br />

in Szene setzen.<br />

Angelika Fornell überzeugt als kühle rück<strong>sich</strong>tslose Gattenmörderin<br />

Klytaim nestra, <strong>die</strong> selbst noch im Ange<strong>sich</strong>t des Todes kalt wie <strong>die</strong><br />

sprichwörtliche Hundeschnauze versucht, zu taktieren. Besonders<br />

begeisternd ist Marie-Kristin Heger als Kassandra und Athene. Die<br />

Empörung über <strong>die</strong> Bigotterie der siegreichen Griechen ist mit den<br />

Händen greifbar, ebenso wie <strong>die</strong> gütige Gerechtigkeit der Göttin<br />

Athene. Erwäh nens wert ist zudem Marie-Thérèse Fontheim, <strong>die</strong><br />

sowohl <strong>die</strong> Orestes-Schwester Elektra, als auch <strong>die</strong> Iphigenie,<br />

gekonnt darstellt.<br />

Alles in allem wird <strong>die</strong> Inszenierung im zweiten und dritten Teil versöhnlicherer.<br />

Die akustische Untermalung wird weicher, geradezu<br />

melancholisch. Das klassische, nur auf <strong>die</strong> katharsische Reinigung<br />

des Zuschauers bedachte antike Trauerspiel wandelt <strong>sich</strong> zu einem<br />

modernen Theaterstück. Gut untermalt wird <strong>die</strong>s durch <strong>die</strong> geschickte<br />

Beleuchtung und das Bühnenbild, welches <strong>die</strong> Tiefe des Ra<strong>um</strong>es<br />

optimal ausnutzt.<br />

So verlässt der Zuschauer nach blutrünstigem und bedrückendem<br />

Beginn das Theater schließlich in nahezu gelöster Stimmung. Der<br />

Fluch des Hauses der Atriden ist aufgehoben, <strong>die</strong> Rachegeister sind<br />

versöhnt und mit der weisen, gütigen Gerechtigkeit der Athene ist<br />

schließlich auch Orestes freigesprochen. Kein Wunder, dass nach<br />

Verkündung <strong>die</strong>ses Urteils eine spürbare Welle der Erleichterung<br />

durchs Publik<strong>um</strong> wogte, <strong>die</strong> in anhaltenden, geradezu beglückten<br />

Applaus überging.<br />

Mark Zurmühle ist mit <strong>die</strong>ser bemerkenswerten Inszenierung der<br />

Spagat zwischen antiker Tragö<strong>die</strong> und modernem Schauspiel hervorragend<br />

gelungen und am Ende ist – neben der angestrebten<br />

Katharsis – „alles Frieden“.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!