Ein Tumor (Auf Deutsch) Ed Atkins - Whitechapel Gallery

Ein Tumor (Auf Deutsch) Ed Atkins - Whitechapel Gallery Ein Tumor (Auf Deutsch) Ed Atkins - Whitechapel Gallery

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15.11.2014 Aufrufe

— Schau dir BITTE dieses beschissene Muttermal an! [...] Ein funktionsloses Deko-Gebäude, ein architektonischer Witz, bei Nacht. Die Alarmscheinwerfer — hunderte — schalten sich EIN, als du durch das nasse, hohe Gras auf das Gebäude zugehst. Das Licht würde für ein ganzes Stadion reichen! Instinktiv wirfst du dich zu Boden und kriechst das letzte Stück, du hievst dich bäuchlings mit den Ellbogen nach vorne (deine Beine schleifen nutzlos hinter dir her (‚Christinas Welt’)); du bist sofort durchnässt. Als du näher kommst, siehst du, dass der Deko-Bau die Form deines Tumors nachäfft (wie ge- schmacklos!). — Die Fas- sade ist mit einem teuer aussehenden Lack überzogen: eine rosa marmorierte Glanzschicht, die — laut Broschüre — von der ‚außergewöhn- lich hodenartigen Oberfläche des Tumors’ inspiriert wurde. Es sieht so aus, als würde sich der Deko-Bau ducken, er steht in einer flachen Mulde, im Schatten einer Reihe von Eichen, die ihre Äste spreizen. Die Nacht ist schwül. Du robbst den Hang hinab, auf den Deko-Bau zu, und hältst an der Wiesenkante inne — die Wiese grenzt hier an billig-piefige Bodenplatten, die einen Vorplatz einfassen, der völlig mit dem Stil der übrigen Anlage bricht — vielleicht haben den die Makler angebaut, in der Absicht, damit eine altersmäßig breitere Zielgruppe zu erreichen und allgemein die extravaganteren Elemente des Deko-Baus herunterzuspielen. Du wartest ab, schwer atmend, dann geht die Alarmbeleuchtung aus und du wirst zurück ins Schwarze getaucht, das Gebäude ist jetzt nur noch als schwarzer Spiegel auf schwarzem Grund wahrnehmbar, der nicht auf die Augen einwirkt, sondern auf den randlosen Schmerz, der aus dem tumorösen Kern deines Körpers strahlt; wie eine Ultraschall-Lokalisierung, die aufzeichnet, dass der Deko-Bau entweder mikrosko- pisch klein ist oder der Tumor inzwi- schen die Größe einer Garage erreicht hat. Du kannst dir ein kurzes Aufheu- len nicht verkneifen, und obwohl es die heiße Nacht sofort verschluckt, löst es irgendwo Hundegebell aus, und einen Augenblick später erscheint Licht an einem Fenster, das du vor- her gar nicht bemerkt hast und das sich im ersten Stock des Gebäudes befinden muss. Gardinen verbergen die Details im Inneren, aber man kann den Umriss einer Gestalt erkennen, die sich ruckartig aufsetzt — sie schnellt hoch, als hätte sie gerade einen Albtraum gehabt,

— Schau dir BITTE dieses beschissene Muttermal<br />

an!<br />

[...]<br />

<strong>Ein</strong> funktionsloses Deko-Gebäude, ein architektonischer<br />

Witz, bei Nacht. Die Alarmscheinwerfer — hunderte<br />

— schalten sich EIN, als du durch das nasse,<br />

hohe Gras auf das Gebäude zugehst. Das Licht würde<br />

für ein ganzes Stadion reichen! Instinktiv wirfst<br />

du dich zu Boden und kriechst das letzte Stück, du<br />

hievst dich bäuchlings mit den Ellbogen nach vorne<br />

(deine Beine schleifen nutzlos hinter dir her (‚Christinas<br />

Welt’)); du bist sofort durchnässt. Als du näher<br />

kommst, siehst du,<br />

dass der Deko-Bau<br />

die Form deines<br />

<strong>Tumor</strong>s nachäfft<br />

(wie ge-<br />

schmacklos!).<br />

— Die Fas- sade ist mit<br />

einem teuer<br />

aussehenden<br />

Lack<br />

überzogen:<br />

eine rosa<br />

marmorierte<br />

Glanzschicht,<br />

die — laut<br />

Broschüre<br />

— von der<br />

‚außergewöhn-<br />

lich hodenartigen<br />

Oberfläche des<br />

<strong>Tumor</strong>s’ inspiriert<br />

wurde.<br />

Es sieht so aus, als würde sich der Deko-Bau ducken,<br />

er steht in einer flachen Mulde, im Schatten einer<br />

Reihe von Eichen, die ihre Äste spreizen. Die Nacht<br />

ist schwül. Du robbst den Hang hinab, auf den Deko-Bau<br />

zu, und hältst an der Wiesenkante inne — die<br />

Wiese grenzt hier an billig-piefige Bodenplatten, die<br />

einen Vorplatz einfassen, der völlig mit dem Stil der<br />

übrigen Anlage bricht — vielleicht haben den die Makler<br />

angebaut, in der Absicht, damit eine altersmäßig<br />

breitere Zielgruppe zu erreichen und allgemein die<br />

extravaganteren Elemente des Deko-Baus herunterzuspielen.<br />

Du wartest ab, schwer atmend, dann geht<br />

die Alarmbeleuchtung aus und du wirst zurück ins<br />

Schwarze getaucht, das Gebäude ist jetzt nur noch<br />

als schwarzer Spiegel auf schwarzem Grund wahrnehmbar,<br />

der nicht auf die Augen einwirkt, sondern<br />

auf den randlosen Schmerz, der aus dem tumorösen<br />

Kern deines Körpers strahlt; wie eine Ultraschall-Lokalisierung,<br />

die aufzeichnet, dass der Deko-Bau<br />

entweder mikrosko-<br />

pisch klein ist oder<br />

der <strong>Tumor</strong> inzwi-<br />

schen die Größe<br />

einer Garage<br />

erreicht hat.<br />

Du kannst<br />

dir ein kurzes<br />

<strong>Auf</strong>heu-<br />

len nicht<br />

verkneifen,<br />

und obwohl<br />

es die heiße<br />

Nacht sofort<br />

verschluckt,<br />

löst es<br />

irgendwo<br />

Hundegebell<br />

aus, und einen<br />

Augenblick<br />

später erscheint<br />

Licht an einem<br />

Fenster, das du vor-<br />

her gar nicht bemerkt<br />

hast und das sich im ersten Stock des Gebäudes<br />

befinden muss. Gardinen verbergen die Details im<br />

Inneren, aber man kann den Umriss einer Gestalt<br />

erkennen, die sich ruckartig aufsetzt — sie schnellt<br />

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