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Ein Tumor (Auf Deutsch) Ed Atkins - Whitechapel Gallery

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<strong>Ein</strong> <strong>Tumor</strong><br />

(<strong>Auf</strong> <strong>Deutsch</strong>)<br />

<strong>Ed</strong> <strong>Atkins</strong><br />

O


<strong>Ein</strong> <strong>Tumor</strong><br />

(<strong>Auf</strong> <strong>Deutsch</strong>)<br />

<strong>Ed</strong> <strong>Atkins</strong>


An der Wirbelsäule ausrichten<br />

[...]<br />

Dann sagte er: ‚Wenn du diesen Text liest, wird<br />

er dir einen <strong>Tumor</strong> anhexen. Die Geschwulst wird<br />

in deinem Dickdarm auftauchen (oder in deinem<br />

matschigen Hirn,<br />

deiner linken Niere,<br />

unter deinem<br />

rechten Hoden<br />

versteckt —<br />

als Klumpen<br />

in deinen<br />

Eierstöcken,<br />

deiner<br />

Hirnanhangsdrüse,<br />

deiner Brust<br />

usw. (Sein<br />

Tonf all<br />

wurde<br />

beiläufig, als<br />

müsste er ein<br />

RÜLPSEN<br />

unterdrü-<br />

cken)), und<br />

ausgelöst wird<br />

das unmittelbar<br />

davon, dass du das<br />

hier liest.’<br />

Er fuhr fort: ‚Die Größe des <strong>Tumor</strong>s nimmt genau<br />

proportional zu der gelesenen Textmenge zu. Weil du<br />

bereits stur bis hierhin gelesen hast, hat sich schon<br />

jetzt, mit einem leichten Zucken, ein mikroskopisch<br />

kleines Körnchen tumorösen Gewebes gebildet; jedes<br />

Wort, jeder Buchstabe lässt den <strong>Tumor</strong> anschwellen<br />

— je nach der Länge, der Form und der Etymologie<br />

eines Wortes, wobei natürlich auch seine Rolle<br />

in der jeweiligen Satzstruktur und innerhalb des<br />

Textabschnitts zählt. Auch typographische Kapriolen<br />

werden das Wachstum des <strong>Tumor</strong>s VORANTREI-<br />

BEN, Gleiches gilt für den unbedachten Umgang<br />

mit Satzzeichen wie auch für gewisse verschrobene<br />

Satzkonstruktionen, die ständig in Nichtigkeiten und<br />

in nagendes Selbstmitleid abzurutschen drohen, und<br />

die man so oft von Kranken hört. So in der Art von:<br />

schwächelnder Satzbau, ermangelnde Grammatik.’<br />

Dann, nach einer BEDEUTUNGSSCHWANGEREN<br />

PAUSE, verkündet er feierlich: ‚Dieser Vorgang ist<br />

irreversibel. Das<br />

Gelesene kann<br />

nie wieder zu<br />

Ungelesenem<br />

werden.’<br />

Abschlie-<br />

ßend meint<br />

er noch, mit<br />

ziemlich<br />

provo-<br />

kativem<br />

Unterton:<br />

‚Allerdings<br />

kannst du<br />

ganz einfach<br />

AUFHÖREN<br />

ZU LESEN und<br />

die Entwicklung<br />

damit anhalten.’<br />

Hier schnaubt er<br />

kräftig und die<br />

<strong>Auf</strong>nahme wird von einem rosa-fleischigen Geräusch<br />

übertönt (eine Sinuskurve als Sinuswelle als schmierige,<br />

fette Handfläche). Selbstverständlich sprach<br />

er von diesen Zeilen — ja von diesen hier, von dem<br />

mickrigen Text in deinen Händen, in dem man so


gar nichts Besonderes vermuten würde (deine dummen<br />

Vermutungen). Das Lesen dieses Textes wird<br />

an den glitschigen Wänden deiner <strong>Ein</strong>geweide einen<br />

<strong>Tumor</strong> hervorrufen, der dort nichts weiter zu seiner<br />

Ausbreitung benötigt als das Lesen einer Abfolge<br />

von ganz bestimmten, eindringlichen Worten. <strong>Ein</strong>dringlich<br />

sind sie, das steht außer Frage: denn diese<br />

Worte werden einen <strong>Tumor</strong> heraufbeschwören. Hier<br />

bleibt kein Raum für Missverständnisse; der Erfolg —<br />

auch wenn du dir unter diesem Begriff etwas anderes<br />

vorstellen magst — der Erfolg ist sicher.<br />

[...]<br />

<strong>Ein</strong>e nackte Glühbirne hängt an einem olivgrünen<br />

Nervenstrang — ein Nervenende als Lichtquelle aus<br />

optischen Fasern,<br />

nur viel zarter.<br />

Von oben sieht<br />

man auf dem<br />

<strong>Tumor</strong> eine<br />

BUTTRIG<br />

SCHIM-<br />

MERNDE<br />

SCHMIERE,<br />

die an der<br />

pulsieren-<br />

den Flanke<br />

abwärts<br />

trieft, um in<br />

den grau-ro-<br />

sa Falten an<br />

der Untersei-<br />

te Pfützen zu<br />

bilden. Licht<br />

ist hier unten<br />

Mangelware.<br />

Irgendwie verdreht, wie auf einer Drehbank oder einer<br />

Töpferscheibe. Verstörend gleichmäßige Rinnsale<br />

ritzen Längsstreifen in die Oberfläche des <strong>Tumor</strong>s,<br />

die an der Stelle, die wie der Scheitel aussieht, enger<br />

zusammenlaufen. Sie sehen wund aus, ERBOST<br />

(vom rosa Rand zur Mitte hin färben sie sich weinrot);<br />

alles kräuselt sich und zieht sich immer weiter<br />

zusammen, was vom dauernden <strong>Ein</strong>tauchen in Methanol<br />

herrührt — im Gegensatz zu deinem immer kälter<br />

werdenden Badewasser.<br />

Vielleicht sieht er größer aus, als er ist, wegen der<br />

optischen Verzerrung durch die dicken Wände des<br />

Apothekenschraubglases (weitsichtig) oder durch<br />

die immer noch vorhandene Flüssigkeit, in der er<br />

schwimmt (man kann einen gewissen Riesenwuchs<br />

feststellen (...) der nimmt an dem Zipfel ab, wo<br />

das Sonnenlicht kaum mehr hinkommt: eine Lichtbrechung,<br />

die erklären könnte, warum ein riesiges<br />

CTHULHU vorbeitreibt und begleitet von einem<br />

Schwall extratiefer Bässe seinen Namen ausspricht<br />

(deine kümmerliche<br />

Stirnlampe findet<br />

irgendwann<br />

doch noch sein<br />

gigantisches<br />

Porzellanauge,<br />

das<br />

dich sofort<br />

verdoppelt<br />

oder verfünffacht...)).<br />

Oder vielleicht<br />

ist er<br />

eher noch<br />

größer, als<br />

er aussieht,<br />

und das<br />

komplizierte<br />

Arrangement<br />

von Linsen<br />

und Spiegeln,<br />

die du exakt zu<br />

diesem Zweck hin-<br />

tereinander montiert<br />

hast, leistet gute Dienste. Hör mal, ich kenn mich da<br />

wirklich nicht aus, frag lieber jemand anderen, oder<br />

du kannst auch im Netz nachsehen, da gibt es sicher<br />

ein spezielles Forum dazu. Jetzt wäre noch Zeit.


Auch Sommersprossen, beide Sorten: also die<br />

Sprenkel von Tollwutschaum und dazu Leberflecken.<br />

Vielleicht sind auch Stoppeln dabei. Im Sommer<br />

nehmen all diese Markierungen relativ zum Stand der<br />

Sonne zu, obwohl der <strong>Tumor</strong> in der FLEISCHDUN-<br />

KELHEIT begraben liegt (nutze jede Gelegenheit, um<br />

mit Hilfe deiner Vorstellungskraft dein INNERES zu<br />

erkunden).<br />

Die granitschweren Bewegungen des Himmels<br />

wirken sich in unterschiedlicher Weise auf die<br />

Geschwulst aus. So verursacht beispielsweise die<br />

Zu- und Abnahme des Mondes, dass grauenhafter<br />

schwarzer Eiter aus den Punkten hervorquillt, die ich<br />

für STOPPELN hielt, die aber tatsächlich zu einem<br />

Geflecht aufklaffender Poren gehören. Abhängig vom<br />

Mondzyklus fangen<br />

sie an zu schwitzen.<br />

Manchmal<br />

scheint auch<br />

der Sa-<br />

turn ganz<br />

eigenartige<br />

Anziehungskräfte<br />

auf<br />

den <strong>Tumor</strong><br />

auszuüben<br />

und in der<br />

Geschwulst<br />

eine Art Biolumineszenz<br />

zu bewirken.<br />

Dieses Leuch-<br />

ten kann man<br />

ganz schwach<br />

durch das Fett,<br />

die Muskeln und<br />

die Haut hindurch<br />

wahrnehmen — sogar noch durch die speziell gefütterte<br />

Sommerbettdecke — die allesamt den Bastard<br />

umschließen. (<strong>Auf</strong>recht im Bett sitzend, starrst du<br />

verstört deinen FEISTEN Torso an, der in der Halogenhitze<br />

zum dürftig fluoreszierenden Schein einer<br />

Timex-Armbanduhr vor sich hinsummt.<br />

1.216 Milliarden Kilometer weit weg brüllt Saturn eine<br />

alberne Frage an DAS SCHWARZE hinaus.)<br />

Die Wahrscheinlichkeit, dass ein menschenfressendes<br />

Tier seinem Namen gerecht wird, ist bei abnehmendem<br />

Mond am größten. LAUT STATISTIK.<br />

[...]<br />

Wie die undurchdringliche Fläche einer Schallplatte<br />

aus dem Trödelladen, die man mal gekauft hat, ohne<br />

richtig hinzugucken: Bobby Vinton klingt so, als<br />

würde er an tiefster, vorsprachlicher Taubheit leiden,<br />

seine tödlich scheppernde Begleitband besteht aus<br />

Fettsäcken, die sich unmotiviert über die Bühne<br />

verteilt haben, seine Stimme ist ein unverständliches<br />

Gurgeln seniler Selbstvorwürfe (Dolly? (...) Dolly?)<br />

aus dem NETZ<br />

DENSACKS<br />

dem Fleisch-<br />

gefischt, von<br />

derschön<br />

den Horizont<br />

Grüntönen<br />

Diese dann<br />

flatternden<br />

um eine rosigere<br />

schen (schließ das<br />

<strong>Ein</strong>e Glasmurmel,<br />

EINES HO-<br />

(der Eihaut,<br />

abfall)<br />

einem wunschwankenaus<br />

Rot- und<br />

durchzogen.<br />

zwischen die<br />

Lider gestopft,<br />

Aussicht vorzutäuandere<br />

Auge). Kinn hoch.<br />

(Diese dickköpfige Paranuss weigert sich hartnäckig,<br />

ganz aufzugeben, bricht STUMPFSINNIG auseinander,<br />

besteht darauf, dass dein unterer Schneidezahn


die Reste von dem herauskratzt, was eigentlich eine<br />

prächtige, ganze Paranuss hätte sein sollen — hätte<br />

sein können. Jetzt die Walnuss. Halbiert, beschwört<br />

sie den Anblick des freigelegten Hirns einer Labormaus,<br />

das für die Testelektroden eines schwachsinnigen<br />

Handlangers von Harry Harlow geöffnet wurde.<br />

VERSCHRUMPELT. <strong>Ein</strong> irres Zucken im Mausgesicht,<br />

wenn man mit einem Zahnarztinstrument<br />

oder einem Zahnstocher ins Hirn piekst.<br />

Die Rechtfertigung des Experiments liegt in dem hier<br />

erbrachten Beweis, dass eine halbgeöffnete Walnuss<br />

das perfekte Abbild eines Mäusehirns liefert. Man<br />

kann es nicht waschen.)<br />

(Das einsame Auge des Polyphem, in schwarzfiguriger<br />

Malerei; an einer anderen Stelle dieses<br />

Publikumsrenners<br />

das gleiche Auge,<br />

geblendet. Un-<br />

glaublich, diese<br />

<strong>Ein</strong>zelheiten<br />

der Zerstörung!<br />

meinst<br />

du. (Hin<br />

und wieder<br />

pflegte die<br />

HiFi-Kom-<br />

paktanlage<br />

mit dem au-<br />

tomatischen<br />

Drei-CD-<br />

Wechsler<br />

(Aiwa)<br />

eine CD zu<br />

schlucken und<br />

dann musstest<br />

du das Gerät in<br />

die Werkstatt<br />

bringen, wo sie die<br />

CD wieder aus der<br />

Anlage herausoperieren konnten. ‘Estudando O<br />

Sambo’ von Tom Zé wurde mehrmals verschlungen.<br />

Als du sie wieder hattest, ausgespien, hättest du<br />

schwören können, dass auf dem wahnsinnigen Höhepunkt<br />

von ‘Má’ ein zusätzliches Instrument zu hören<br />

war; ein Zusatzfilter gegen den Pesthauch, ein Filter,<br />

der bewies, dass das Ding wirklich LEBTE, sich<br />

wie klebriger Sirup kriechend bewegte, oder etwas<br />

Unterbewusstes, rückwärts usw.)))<br />

ELENDE EINGEWEIDE.<br />

[...]<br />

Könntest du dir bitte mal das Muttermal auf meiner<br />

Schulter ansehen?<br />

Es fühlt sich heute irgendwie anders an, wie verrutscht...<br />

ich weiß nicht, kannst du bitte mal gucken?<br />

Die Schulter fühlt sich wie eingefroren an, fremd. Jedenfalls<br />

nicht wie meine, überhaupt nicht. Das fühlt<br />

sich tektonisch an.<br />

Das Blatt darunter,<br />

meine ich. Fühlt<br />

sich an wie die<br />

Schale von<br />

einem Osterei.<br />

(Unter-<br />

irdische<br />

Plattenbe-<br />

wegungen,<br />

die auf der<br />

Oberfläche<br />

nur durch<br />

kleinste Veränderungen<br />

in diesem<br />

vorstehen-<br />

den, braunen<br />

Muttermal<br />

registriert<br />

werden: eine<br />

eingefrorene Wucherung<br />

an der Stel-<br />

le, wo die Lehmsäfte<br />

unter der Kruste der Kruste durch ein hauchdünnes<br />

Röhrchen nach oben sprudelten; Knochenmark, das<br />

an der Luft bräunlich geworden ist, schorfig, aber immer<br />

noch biegsam — verrutschen kann — seine Form<br />

gleicht exakt meinem Bein, das sich, seit der <strong>Tumor</strong>


zur Wirbelsäule vorgestoßen ist, weigert, ordnungsgemäß<br />

die Befehle auszuführen, die ich von meinem<br />

Hirn aus nach unten schieße, und das stattdessen<br />

nach vorbeigehenden Krankenpflegern tritt oder<br />

den Arzt von meiner Bettkante verscheucht, wenn<br />

er dort hockt, um mir eine weitere Verschlechterung<br />

meines Zustands anzukündigen. Ich schäle mich aus<br />

dem feuchten Bettzeug heraus und begutachte den<br />

scheußlichen Zustand des Beins: es sieht aus, als<br />

würde es zu einer Moorleiche gehören — zu einem<br />

Mordopfer, das irgendwo in Nordeuropa aus den<br />

Tiefen eines Torfmoors gezogen wird, mit vollständig<br />

intakten Gliedmaßen. Was natürlich NICHT stimmt;<br />

alles ist zerquetscht, verkrümmt, von den konservierenden<br />

Torfsäften braun verfärbt, zu Material geworden<br />

(man denkt an Gamsleder); aber sicher nicht an<br />

lebendes Fleisch.<br />

Und eine genaue<br />

Untersuchung<br />

bringt schnell<br />

zutage, dass<br />

der Todesfall,<br />

der sich<br />

vermeintlich<br />

erst vor Kur-<br />

zem ereignete<br />

(als sich<br />

das Bein<br />

vor Kurzem<br />

unter dem<br />

Zwang des<br />

übergriffigen<br />

<strong>Tumor</strong>s<br />

veränderte)<br />

tatsächlich<br />

schon Ewigkeiten<br />

zurückliegt;<br />

denn dieser<br />

vom Torf gezeichnete Sehnenstrang wurde<br />

der Erde schon VOR TAUSENDEN VON JAHREN<br />

anvertraut. Und dass dieses Körperteil wohl einem<br />

gruseligen Ritual zum Opfer fiel, an jedem Ende mit<br />

Dornenpfählen und Haarseilen in die Erde gepflockt,<br />

den Launen der Erde preisgegeben — dem<br />

Verhungern unter einem grauen, unbeteiligten<br />

Himmel — unter dem zwanzig Meilen weiten Auge<br />

der Himmelsgöttin. In den Tagen, die es zum Sterben<br />

braucht, verschafft ihm der Regen etwas Labsal,<br />

verlängert aber auch die Todespein — es beginnt, den<br />

Torfsaft aus der Erde zu saugen, die ihrerseits an<br />

der Haut leckt und saugt (die Fingerspitzen kräuseln<br />

sich, aber nicht vom wohlig warmen Badewasser<br />

(was manchmal durchaus vorkommt) — Fingernägel,<br />

die sich Freiraum verschaffen (ihr Gehäuse, kitschig,<br />

wenn man drüber nachdenkt)), und so wird es nach<br />

und nach zu einem halbtoten Homunkulus — dann,<br />

endlich, erliegt es und die Erde schluckt es in einem<br />

Stück — behält es aber im Mund wie einen Minzbonbon<br />

oder ein Thermometer oder einen Schluck<br />

Gurgelwasser. (...) Unzählige Jahre später liegt<br />

mein Bein im<br />

Bett, an meinem<br />

Hüftknochen<br />

befestigt, am<br />

Beckengür-<br />

tel — an den<br />

Lendenwir-<br />

beln, den<br />

Brustwir-<br />

beln, den<br />

Halswirbeln,<br />

dem simplen<br />

Schädel.<br />

So etwas in<br />

der Art), ein<br />

Wrack, zwischen<br />

nassen<br />

Erdklumpen<br />

und verstreu-<br />

ten braunen<br />

Tannennadeln (du<br />

rammst deinen<br />

Kopf tief in den Berg aus Tannennadeln, den<br />

eine Horde übergroßer Ameisen zusammengetragen<br />

hat, und wartest auf eine Art Erleuchtung. Nach einer<br />

Weile fasst du dir ein Herz und öffnest die Augen.)<br />

[...]


— Schau dir BITTE dieses beschissene Muttermal<br />

an!<br />

[...]<br />

<strong>Ein</strong> funktionsloses Deko-Gebäude, ein architektonischer<br />

Witz, bei Nacht. Die Alarmscheinwerfer — hunderte<br />

— schalten sich EIN, als du durch das nasse,<br />

hohe Gras auf das Gebäude zugehst. Das Licht würde<br />

für ein ganzes Stadion reichen! Instinktiv wirfst<br />

du dich zu Boden und kriechst das letzte Stück, du<br />

hievst dich bäuchlings mit den Ellbogen nach vorne<br />

(deine Beine schleifen nutzlos hinter dir her (‚Christinas<br />

Welt’)); du bist sofort durchnässt. Als du näher<br />

kommst, siehst du,<br />

dass der Deko-Bau<br />

die Form deines<br />

<strong>Tumor</strong>s nachäfft<br />

(wie ge-<br />

schmacklos!).<br />

— Die Fas- sade ist mit<br />

einem teuer<br />

aussehenden<br />

Lack<br />

überzogen:<br />

eine rosa<br />

marmorierte<br />

Glanzschicht,<br />

die — laut<br />

Broschüre<br />

— von der<br />

‚außergewöhn-<br />

lich hodenartigen<br />

Oberfläche des<br />

<strong>Tumor</strong>s’ inspiriert<br />

wurde.<br />

Es sieht so aus, als würde sich der Deko-Bau ducken,<br />

er steht in einer flachen Mulde, im Schatten einer<br />

Reihe von Eichen, die ihre Äste spreizen. Die Nacht<br />

ist schwül. Du robbst den Hang hinab, auf den Deko-Bau<br />

zu, und hältst an der Wiesenkante inne — die<br />

Wiese grenzt hier an billig-piefige Bodenplatten, die<br />

einen Vorplatz einfassen, der völlig mit dem Stil der<br />

übrigen Anlage bricht — vielleicht haben den die Makler<br />

angebaut, in der Absicht, damit eine altersmäßig<br />

breitere Zielgruppe zu erreichen und allgemein die<br />

extravaganteren Elemente des Deko-Baus herunterzuspielen.<br />

Du wartest ab, schwer atmend, dann geht<br />

die Alarmbeleuchtung aus und du wirst zurück ins<br />

Schwarze getaucht, das Gebäude ist jetzt nur noch<br />

als schwarzer Spiegel auf schwarzem Grund wahrnehmbar,<br />

der nicht auf die Augen einwirkt, sondern<br />

auf den randlosen Schmerz, der aus dem tumorösen<br />

Kern deines Körpers strahlt; wie eine Ultraschall-Lokalisierung,<br />

die aufzeichnet, dass der Deko-Bau<br />

entweder mikrosko-<br />

pisch klein ist oder<br />

der <strong>Tumor</strong> inzwi-<br />

schen die Größe<br />

einer Garage<br />

erreicht hat.<br />

Du kannst<br />

dir ein kurzes<br />

<strong>Auf</strong>heu-<br />

len nicht<br />

verkneifen,<br />

und obwohl<br />

es die heiße<br />

Nacht sofort<br />

verschluckt,<br />

löst es<br />

irgendwo<br />

Hundegebell<br />

aus, und einen<br />

Augenblick<br />

später erscheint<br />

Licht an einem<br />

Fenster, das du vor-<br />

her gar nicht bemerkt<br />

hast und das sich im ersten Stock des Gebäudes<br />

befinden muss. Gardinen verbergen die Details im<br />

Inneren, aber man kann den Umriss einer Gestalt<br />

erkennen, die sich ruckartig aufsetzt — sie schnellt<br />

hoch, als hätte sie gerade einen Albtraum gehabt,


wie ein soeben gefällter Baum, rückwärts abgespielt.<br />

Diese Gestalt hat etwas an sich — der Anblick ihrer<br />

abfallenden Schultern und des hervortretenden<br />

Kopfes, ihre dünnen, ungleich angesetzten Arme —<br />

so etwas wie ein weit aufgerissener Mund — die Bewegungen<br />

— die, gelinde gesagt, panisch wirken —,<br />

das dir den Magen umdreht. Egal, jetzt ist die Figur<br />

aufgestanden, torkelt davon — wahrscheinlich will<br />

sie nach dem Hund sehen. Du kannst sie, die Gestalt,<br />

hören, sie flüstert, murmelt, redet, vielleicht mit sich<br />

selbst, vielleicht mit dem Publikum im Studio. Dann<br />

wieder ein HEULEN in der Dunkelheit, und es ist dein<br />

Heulen, das parodiert, sarkastisch nachgeäfft wird —<br />

von der Stimme aus dem Inneren des Deko-Baus, von<br />

der Gestalt (dem GERÄUSCHEMACHER gelingt es,<br />

das unrhythmische Schlurfen ihrer Schritte perfekt<br />

zu evozieren). (Du<br />

drückst dich so<br />

flach wie es nur<br />

geht auf den<br />

Boden, mit<br />

weit offenen<br />

Augen zur<br />

Dunkelheit<br />

hin, und<br />

ganz im<br />

Stillen<br />

begreifst du,<br />

dass sich<br />

im Inneren<br />

deines Kör-<br />

pers gerade<br />

eine unend-<br />

lich winzige<br />

Version<br />

dieser Szene<br />

abspielt). Die Tür<br />

zum Deko-Bau<br />

— weiß, doppelver- glast, schallgedämpft<br />

— öffnet sich. Und da kommt sie, die Gestalt, steht<br />

da: riesig, nass, ein braunes Handtuch um die Taille,<br />

überall behaart, lächelnd, feuchte Augen, du kannst<br />

ihre Genitalien sehen, weil du auf dem Boden liegst<br />

— bei jedem ihrer Atemzüge hört man ein leichtes<br />

Pfeifen, sie schnauft vor Anstrengung. Von der Türschwelle<br />

aus sieht sie sich prüfend um, die Alarmbeleuchtung<br />

ist wieder AN — hell wie der Tag, und jetzt<br />

bist du nicht mehr zu übersehen, wie du da liegst,<br />

nass, gelähmt, die Broschüre umklammernd — KIT-<br />

SCHIG — und ja, natürlich, die Gestalt blickt zu dir<br />

herunter, sie lächelt und wie ein beschissenes Tier<br />

streckt sie dabei ihren fetten, viel zu haarigen Kopf<br />

nach vorne. Sie scheint geduldig auf eine Erklärung<br />

zu warten, tut so, als wüsste sie nicht bestens, was<br />

passiert ist und warum du gekommen bist. Also<br />

sagst du, MIT ÜBERSCHLAGENDER STIMME ‘Wohnen<br />

Sie hier?’<br />

Und dann dreht sie sich um, ohne zu zwinkern, weiter<br />

lächelnd, und geht zurück ins Gebäude. Du stehst<br />

auf und folgst ihr,<br />

die Tür schließt du<br />

leise hinter dir.<br />

Und du weißt<br />

genau, wie<br />

du diese Tür<br />

abschließen<br />

musst, weil<br />

du selbst<br />

so eine zuhause<br />

hast<br />

— nicht bei<br />

dir zuhause,<br />

sondern<br />

bei dei-<br />

nen Eltern<br />

zuhause-dir<br />

zuhause<br />

— erst den Türknauf hochdrücken,<br />

DANN<br />

den Schlüssel<br />

umdrehen.<br />

[...]<br />

Du lehnst den <strong>Tumor</strong> an den Türrahmen, nimmst ein<br />

teures Küchenmesser und markierst den höchsten


Punkt des <strong>Tumor</strong>s mit einer Kerbe. Der <strong>Tumor</strong> tritt<br />

einen Schritt zurück, um staunend zu prüfen, wie<br />

viel er seit der letzten Kerbe gewachsen ist. Neben<br />

diesem Protokoll des Fortschritts hat jemand auf<br />

dem Türrahmen noch einen anderen, nicht definierbaren<br />

Vorgang dokumentiert, allerdings mit schwarzem<br />

Filzstift auf glänzendem Weiß. Aus den Daten<br />

(es sind hunderte) lässt sich schließen, dass diese<br />

Messlatte das Schrumpfen von Etwas im Verlauf von<br />

ca. 60 Jahren erfasst. Zum Fußboden hin werden die<br />

Markierungen blasser, der Filzstift trocknet aus.<br />

[...]<br />

[...]<br />

Gründlich waschen, und dann Kakaobutter einmassieren.<br />

<strong>Ein</strong>e compu-<br />

tergenerierte<br />

Kugel, mit<br />

(mitteleuropäisch)<br />

hautfarbenem<br />

Überzug,<br />

dessen<br />

Bump-Map-<br />

Textur Fisch-<br />

schuppen<br />

nachahmt. Ihre<br />

Polygonzahl<br />

ist unglaublich<br />

hoch, von daher<br />

ist die Bildfrequenz,<br />

mit der sie rotiert,<br />

zumindest auf deinem Uraltcomputer jämmerlich.<br />

Sie ruckelt und springt auf ihrer Achse. Du überlegst,<br />

dass die beste Begleitmusik dazu ‘Lies Up The Niger’<br />

von den Sun City Girls wäre — vielleicht auch nur,<br />

weil das JETZT GERADE läuft (in jedem denkbaren<br />

Augenblick wird irgendwo auf der Welt gerade ‘Lies<br />

Up The Niger’ laufen), aber das Stück scheint in der<br />

Tat etwas von den missglückten Bewegungen der Kugel<br />

aufzugreifen. Also fügst du noch einen grotesken,<br />

grünen Linsenlichtreflex hinzu. Und das mahlende<br />

Geräusch von hartem Fels auf hartem Fels. Und eine<br />

Untertitelung in kursiver Helvetica Neue, die in stockenden,<br />

verquasten Sätzen eine kulturhistorische<br />

Ausstellung beschreibt, in der Fetische und Reliquiarien<br />

von der Antike bis heute gezeigt werden und die<br />

mit dem Satz endet, dass diese Kugel die Schutzheilige<br />

der letzten Worte sei — oder jener Menschen,<br />

die sich erst in letzter Minute, an der Schwelle des<br />

Todes, dem Glauben zuwenden; oder derer, die sich<br />

schon in Leichen verwandeln, bevor ihre Stunde<br />

geschlagen hat. Die Schutzheilige von Kindern, die<br />

im Koma liegen,<br />

von Alzheimer-Patienten,<br />

von<br />

Verschütteten,<br />

die unter den<br />

Trümmern<br />

ergeben<br />

auf den Tod<br />

warten, nur<br />

von Tot en<br />

umgeben.<br />

Die Musik<br />

geht nahtlos<br />

in ‘Computer<br />

Forms’ von<br />

The Shadow<br />

Ring über.<br />

Glockenspiel<br />

und eine<br />

aggressive,<br />

verstimmte<br />

Gitarre — eine<br />

Stimme fragt ‘Wo-<br />

rüber werden sie<br />

noch schreiben, wenn alle Knöpfe gedrückt worden<br />

sind? ...’ Und du antwortest, in deinem Schlafzimmer,<br />

dem Hinterkopf deiner Partnerin oder deines Partners<br />

zugewandt, flüsternd, [...]


(Diese Stunden der Verzweiflung (obwohl es vielleicht<br />

nur eine oder eine halbe oder ein paar Minuten<br />

sind), wenn sich die Nacht in endlose Abgründe<br />

dehnt und du daliegst, in deinem Kopf hin und her<br />

rast, durch die immer gleiche Haltlosigkeit, von<br />

Sorgen gequält — ein aussichtsloses, sinnloses<br />

Wühlen in deinen Ängsten, Wehwehchen, Ambitionen,<br />

vergessenen Erledigungen (die vielleicht schon<br />

Jahre zurückliegen oder gerade anstehen), gescheiterten<br />

Vorhaben — alles zusammengezurrt zu einem<br />

riesigen Ich-kotze-gleich-Ball, mit dem du kämpfst<br />

und den du in den Armen hältst wie einen nackten<br />

Kuckuck, den man dich zu bemuttern zwingt. ‘Was<br />

soll aus mir (...)?’, sagst du zur Zimmerdecke. ‘Wie<br />

kann ich jemals (...)?’, denkst du, während dein Blick<br />

hundertmal das Vorhangmuster und den Plastikstuck<br />

an der Wand ab-<br />

sucht, um vielleicht<br />

doch irgendwo<br />

ein Gesicht zu<br />

erahnen. Da<br />

ist nichts zu<br />

machen, es<br />

gibt keine<br />

Lösung für<br />

deine nie<br />

endenden<br />

Probleme.<br />

Und neben<br />

dir, friedlich<br />

schlafend,<br />

liegt deine<br />

Partnerin<br />

oder dein<br />

Partner, ist<br />

ganz woanders;<br />

niemand<br />

kann dich trösten.<br />

Am Morgen wirst<br />

du gehen müssen,<br />

dieses Leben hinter dir lassen. Es war ja klar, dass es<br />

nicht funktionieren würde. — Du wendest dich wieder<br />

dem Bündel des Unlösbaren zu — das sich jetzt zu<br />

einem gigantischen, fleischigen Himmelskörper zusammenballt<br />

— und dann SCHLUCKST DU ES, und<br />

dir kommen die Tränen. Du spürst, wie es langsam<br />

und mühevoll die Speiseröhre abwärts wandert.)<br />

[...]<br />

Wenn es morgen früh noch nicht besser ist, gehen<br />

wir zum Arzt.<br />

(Natürlich ist es am Morgen dann nicht besser.)<br />

[...]<br />

(Was das Thema Vergleiche betrifft, ist sicher die<br />

thailändische Stinkfrucht der unangefochtene Spitzenreiter.<br />

Aber bei diesem Exemplar und in diesem<br />

Stadium wäre es wohl am treffendsten, eine Satsuma<br />

oder eine Clementine heranzuziehen (je nachdem,<br />

welche bitterer<br />

ist). Deren Textur<br />

hat gewisse<br />

Eigenschaften,<br />

an denen<br />

sich ein<br />

bestimmter<br />

Zustand der<br />

Haut recht<br />

plastisch<br />

illustrieren<br />

lässt — die<br />

abnorme<br />

Färbung<br />

schränkt das<br />

allerdings<br />

etwas ein;<br />

im Körper<br />

tritt diese<br />

Färbung selten<br />

auf, doch wenn<br />

man sie auf dem<br />

besagten imaginären<br />

Feld platzieren will,<br />

deuten sich einige höchst exaltierte Verbindungen<br />

an: Jod und Schimmel sind hier besonders hervorzuheben.<br />

Die grell orange leuchtende Flechte PRANGT<br />

an der Seitenkante des Grabsteins.) <strong>Ein</strong>e knubbelige<br />

Kugel. ( )


[...]<br />

Mitten im Südpazifik, in dreihundert Meter Tiefe, wird<br />

vermeintlich ein außerirdisches Raumschiff entdeckt,<br />

nachdem einem Schiff, das transozeanische Kabel<br />

verlegt, das Kabel gekappt wurde und daraufhin<br />

die US Marine den Fall zu untersuchen begann.<br />

Das Raumschiff ist dick mit Korallen überwachsen,<br />

woraus man schließt, dass es seit UNGEFÄHR 300<br />

Jahren dort auf Grund liegt. Mit der Erforschung<br />

des Raumschiffs wird ein Team beauftragt, das aus<br />

der Biologin Dr. Beth Halperin (Sharon Stone), dem<br />

Mathematiker Dr. Harry Adams (Samuel L. Jackson),<br />

dem Astrophysiker Dr. Ted Fielding (Liev Schreiber),<br />

dem Psychologen Dr. Norman Goodman (Dustin<br />

Hoffman), und<br />

einem Offizier der<br />

Navy (Peter<br />

Coyote) besteht.<br />

Während des<br />

<strong>Auf</strong>enthalts<br />

am Grunde<br />

des Ozeans<br />

wird das<br />

Team (begleitet<br />

von<br />

zwei Marinetechnikern)<br />

in einer<br />

Unterwas-<br />

serstation<br />

namens Ha-<br />

bitat einquartiert,<br />

einem<br />

künstlichen<br />

Lebensraum, der<br />

mit den allerneusten<br />

technischen<br />

Errungenschaften<br />

ausgestattet ist. Das Team entert das Raumschiff und<br />

macht dort verschiedene Entdeckungen. Als Erstes<br />

zeigt sich, dass es sich nicht um ein außerirdisches,<br />

sondern um ein amerikanisches Raumschiff handelt.<br />

Aus dem Alter des Korallenbewuchses und aus der<br />

weit fortgeschrittenen Technologie an Bord schließt<br />

die Forschungsgruppe, dass das Raumschiff aus der<br />

Zukunft kommen muss. Aus dem letzten Datum im<br />

Logbuch 06/21/43 (21/06/43) lässt sich das Jahrhundert<br />

(!!) nicht ablesen. Der letzte <strong>Ein</strong>trag im Logbuch<br />

beschreibt ein “Unbekanntes Ereignis (<strong>Ein</strong>trag)”,<br />

offensichtlich den Sturz des Raumschiffs in ein<br />

schwarzes Loch, der dann wiederum die Zeitreise<br />

auslöste. Die Raumexpedition hatte unter anderem<br />

den <strong>Auf</strong>trag, überall in der Galaxie Objekte zu sammeln<br />

und zur Erde zurückzubringen. <strong>Ein</strong> besonders<br />

faszinierendes Fundstück ist eine große, perfekt<br />

gerundete Kugelform im Frachtraum. Diese Sphäre<br />

schwebt etwa einen Meter über dem Boden und ihre<br />

Oberfläche besteht aus einer undurchdringlichen<br />

Flüssigkeit, in der sich die Umgebung spiegelt, Menschen<br />

jedoch nicht.<br />

Der Logbuch-<br />

eintrag über<br />

die Umstän-<br />

de, die zur<br />

Rückkehr<br />

des Raumschiffs<br />

ge-<br />

führt hatten,<br />

lässt Harry<br />

schlussfolgern,<br />

dass<br />

die Besatzung<br />

der<br />

Habitat dem<br />

Tod geweiht<br />

ist: Hätte es<br />

Überlebende<br />

gegeben, hätten<br />

diese von dem<br />

Ereignis berichtet,<br />

das dann nicht als „unbekannt“ klassifiziert worden<br />

wäre. Wenig später verschafft sich Harry heimlich<br />

Zutritt zum Raumschiff, wo es ihm gelingt, doch in<br />

die schwebende Sphäre einzudringen. Kurz darauf<br />

beginnen die Computer der Habitat, kodierte


Botschaften in Form von Zahlenreihen anzuzeigen<br />

und es gelingt Harry und Ted, die Nachrichten zu<br />

entschlüsseln und den Dialog mit einem offenbar außerirdischen<br />

Wesen aufzunehmen, das in der Sphäre<br />

eingesperrt ist (und sich „Jerry“ nennt). Bald stellen<br />

sie fest, dass „Jerry“ alles mithören kann, was an<br />

Bord der Habitat gesprochen wird. Harrys <strong>Ein</strong>dringen<br />

in die Sphäre hindert das Team daran, sich rechtzeitig<br />

vor einem Taifun in Sicherheit zu bringen, der mit<br />

enormer Gewalt an der Meeresoberfläche wütet und<br />

die Besatzung zwingt, fast eine Woche lang in der<br />

Tiefe auszuharren. Dann ereilt eine Serie tragischer<br />

Ereignisse die Gruppe: Fletcher, der Marinetechniker,<br />

stirbt bei einem Angriff aggressiver Seenesseln,<br />

was immer das für Biester sein mögen; ein riesiger<br />

Tintenfisch (Porzellanauge) greift die Station an, beschädigt<br />

sie schwer<br />

und tötet <strong>Ed</strong>munds,<br />

indem er ihren<br />

Körper komplett<br />

zermalmt,<br />

dann Ted, den<br />

er mit einem<br />

mächtigen<br />

Feuerstoß<br />

in die Luft<br />

sprengt, und<br />

dann auch<br />

Barnes, den<br />

die Krake in<br />

dem darauf<br />

folgenden<br />

Tumult<br />

von einer<br />

computerge-<br />

steuerten Tür<br />

in zwei Hälften<br />

schneiden lässt;<br />

und Norman wird<br />

von Seeschlangen<br />

angegriffen. Der Urheber all dieser Vorkommnisse ist<br />

Jerry.<br />

So bleiben schließlich nur Harry, Norman und Beth<br />

übrig. An diesem Punkt wird ihnen bewusst, dass sie<br />

nun alle in die Welt der perfekten, schwebenden Kugel<br />

eingedrungen sind, wodurch sie die Macht erlangt<br />

haben, ihre Gedanken in Wirklichkeit zu verwandeln.<br />

Die Katastrophen, die sie heimgesucht haben, waren<br />

also nichts anderes als die Realität gewordenen Ausgeburten<br />

ihrer schlimmsten Fantasien. Sie stellen<br />

fest, dass der Name “Jerry” falsch dekodiert wurde<br />

und tatsächlich “Harry” lautet; es ist Harrys Unterbewusstsein,<br />

das mit ihnen über das Computersystem<br />

kommuniziert, während Harry schläft. Da beginnen<br />

Beths Selbstmordfantasien sich so zu äußern, dass<br />

sie einen Countdown zur Zündung des Sprengstoffs<br />

in Gang setzen, der mitgeführt wurde, um die Korallen<br />

wegzusprengen. Als sie mit dem Mini-U-Boot von<br />

der Habitat fliehen wollen, generieren ihre Ängste<br />

ein Trugbild, das ihnen vorgaukelt, sie befänden sich<br />

auf dem Raum-<br />

schiff. Endlich<br />

durchschaut<br />

Norman dann<br />

doch die Täu-<br />

schung und<br />

drückt den<br />

Notfallknopf,<br />

um das<br />

Mini-U-Boot<br />

an die<br />

Wasseroberfläche<br />

zu<br />

bringen. Die<br />

Explosion<br />

zerstört die<br />

Habitat-Sta-<br />

tion und das<br />

Raumschiff,<br />

aber (was sie<br />

nicht wissen) die<br />

Sphäre selbst<br />

wird nicht beschä-<br />

digt. Die Wucht der<br />

Detonation erzeugt eine riesige Druckwelle unter<br />

dem Mini-U-Boot, das an die Meeresoberfläche<br />

gelangt, wo es von anderen Schiffen der Marine<br />

aufgenommen wird, so dass für die Überlebenden ein<br />

sicherer Druckausgleich möglich ist.


Der Film endet damit, dass die drei beschließen, mit<br />

Hilfe ihrer besonderen Kräfte die eigenen Erinnerungen<br />

zu tilgen, bevor sie zu den Vorfällen befragt werden.<br />

Damit wollen sie verhindern, dass das Wissen<br />

um die Sphäre in die falschen Hände gerät. Das ist<br />

die Lösung für Harrys Paradox, in dem sie zwar alle<br />

am Leben sind, aber ohne dass sie Kenntnisse über<br />

das “unbekannte Ereignis” erlangt hätten. In dem<br />

Moment, als sie das Wissen um das “unbekannte<br />

Ereignis” aus ihren Erinnerungen löschen, sieht man,<br />

wie die Sphäre aus dem Ozean emporsteigt und ins<br />

Weltall davonfliegt...” USW. USW.<br />

[...]<br />

Danach haben wir<br />

uns “Westworld”<br />

angesehen<br />

— auch eine<br />

Michael<br />

Crichton<br />

Verfilmung.<br />

Vielleicht<br />

hat er bei<br />

diesem<br />

Film sogar<br />

selbst Regie<br />

geführt.<br />

Jedenfalls<br />

ist der viel<br />

besser. Brutal<br />

und ohne<br />

besonderen<br />

intellektuellen<br />

Anspruch. Es<br />

wird gar nicht<br />

erst versucht<br />

zu erklären, was es<br />

mit den hochkomplizierten<br />

Robotern auf sich haben könnte, die als<br />

Cowboys, Ritter und Römer die Drei-Themen-Welten<br />

durchwandern, um die menschlichen Gäste zu<br />

entzücken. Die Technologie ist inzwischen so weit<br />

fortgeschritten, dass damit eben auch solcher Müll<br />

gemacht wird, so einfach ist das. Natürlich — und<br />

das ist die gleiche Lektion, die uns ’Jurassic Park’<br />

lehren will — geht etwas schief mit den Robotern,<br />

und die Handlung rüstet sich für ein moralisierendes,<br />

paranoides Finale. Das Beste an dem Film ist Yul<br />

Brynner, der einen bösen Cowboyroboter spielt; er<br />

muss als Sündenbock für die Sheriff-Fantasien des<br />

reichen Touristen herhalten — als die Roboter ausflippen,<br />

wird er zum Massenmörder und zum Schrecken<br />

verbreitenden Erzfeind der Helden des Films.<br />

Danach sprechen wir über seine perfekte Glatze, die<br />

man leicht für ein Industrieprodukt aus Latex halten<br />

könnte; wenn er auftritt, bleibt sein schönes, ernstes<br />

Gesicht so ausdruckslos, wie es sich für eine Animatronikpuppe<br />

gehört. <strong>Ein</strong>mal zieht er sein Gesicht ab,<br />

um in dem Wust aus<br />

Kabeln und blinkenden<br />

LEDs hinter<br />

der Fassade<br />

herumzu-<br />

pfriemeln.<br />

Dann schüt-<br />

tet er sich<br />

eine Flasche<br />

mit Chlorwasser-<br />

stoffsäure<br />

ins Gesicht.<br />

Beide Szenen<br />

sollen<br />

uns daran<br />

erinnern,<br />

dass wir nicht<br />

Yul Brynner<br />

vor uns haben,<br />

sondern einen<br />

Roboter; keinen<br />

Menschen, sondern<br />

eine Maschine. Dass<br />

wir das strikt voneinander trennen sollten. Aber du<br />

meinst, dass es dir nichts ausmachen würde, für einen<br />

Roboter gehalten zu werden — genauer gesagt,<br />

hättest du nichts dagegen, dich selbst für einen<br />

Roboter zu halten. Wenn du siehst, wie Yul Brynners


Gesicht wegschmilzt und dann der WUST AUS<br />

KABELN UND BLINKENDEN LEDS (dieselben) zum<br />

Vorschein kommt, wünschst du dir, auch ein gefühlloser<br />

Roboter zu sein, der immer weiterläuft, egal,<br />

ob er verwundet oder beschädigt ist. Damit spielst<br />

du doch auf deine Schmerzen an, oder. Zwei Michael<br />

Crichton Filme hintereinander durchzustehen —<br />

überhaupt zwei Filme hintereinander — war sicher<br />

extrem anstrengend. Du bist die ganze Zeit über hinund<br />

hergeschlingert, mal hat dich die Geschichte<br />

vereinnahmt, dann haben dich die Schmerzen wieder<br />

zurück in die grauenhafte Realität gerissen. Ich<br />

habe nichts davon gemerkt — ich war mit dem Film<br />

beschäftigt. Ich habe mich durch ein Sixpack Kronenburg<br />

durchgearbeitet — du hast eine ganze Flasche<br />

Oramorph geleert. Das ist heikel, sagst du, weil sich<br />

der Körper ziemlich<br />

schnell an das Morphium<br />

gewöhnt<br />

und damit die<br />

schmerzstil-<br />

lende Wirkung<br />

nachlässt.<br />

Darum brauche<br />

ich im-<br />

mer höhere<br />

Dosen, um<br />

den gleichen<br />

Effekt zu<br />

erreichen.<br />

Besonders<br />

gut ist der<br />

Beruhigungs-<br />

effekt, den<br />

das Zeug auf<br />

das mandarinengroße<br />

Ge-<br />

wächs hat, das<br />

HEFTIG auf meine<br />

Wirbel drückt — mit<br />

diesem faustgroßen Bastard ist es fast unmöglich,<br />

sich auch nur kurz zu entspannen.<br />

[...]<br />

Außerdem fällt es mir schwer, irgendwas anzuschauen,<br />

das mich emotional mitnimmt. Sobald die<br />

Handlung ins Gefühlige geht — egal, wie oberflächlich<br />

sentimental oder unmotiviert das auch sein mag<br />

— komme ich kaum mehr damit klar, und das wird<br />

immer schlimmer. Bei jedem Kinkerlitzchen fange ich<br />

an zu weinen. Mit Musik ist es genauso. Bartók bringt<br />

mich zum Schluchzen. Als ich die ’West Side Story’<br />

gehört habe, habe ich hemmungslos geheult. Bei der<br />

’Suite bergamasque’ und Baden Powell war ich starr<br />

vor Tränen. Und das hat nichts Befreiendes, ganz<br />

und gar nicht. Diese Gefühlswallungen haben nichts<br />

Tröstliches — sie schüren bloß mein Selbstmitleid,<br />

verstricken mich weiter in die bedrückende Ichbezogenheit<br />

meiner beschissenen Krankheit.<br />

’Sphere’ und<br />

’Westworld’ waren<br />

wie Allego-<br />

rien meines<br />

Zustands,<br />

die beiden<br />

Filme haben<br />

mich extrem<br />

runtergezo-<br />

gen, mich in<br />

ein großes<br />

Schwarzes<br />

Loch der<br />

Verzweiflung<br />

(wieder-<br />

mal Harry<br />

Harlow) ge-<br />

schubst und<br />

um da wieder<br />

rauszufinden,<br />

werde ich sicher<br />

mehrere Stunden<br />

und ständige Ablen-<br />

kung brauchen. Gut<br />

vertragen kann ich alles, was mich weder anregt noch<br />

ärgert. Vorabendserien zum Beispiel bekommen mir<br />

ausgezeichnet. Auch Sport ist perfekt. So was Bescheuertes<br />

wie Dart. Oder Billard. ‚Ski am Sonntag’<br />

(aber die Titelmusik nicht; die ist viel zu nostalgisch).


<strong>Ein</strong> modernes Kinderbuch. <strong>Ein</strong>e Autozeitschrift. Es<br />

muss platt sein, aber trotzdem mitreißend — gefühlsmäßig<br />

ohne jede Reibung. <strong>Ein</strong>e massive Chromstahlplatte,<br />

von der Sonne auf eine angenehme Temperatur<br />

erwärmt (Frühlingssonne: die nach<br />

einem lebenslangen Winter voller Schwarz und Grau<br />

vergessene Sonne) — du legst dich darauf, ohne<br />

dass es dir peinlich wäre, es kümmert dich nicht, wer<br />

dich so sieht. Naturfilme sind auch keine schlechte<br />

Wahl, solange du dich vor Vermenschlichungen<br />

hütest, denn einmal in diese Falle getappt, wirst du<br />

zutiefst romantisch und fängst an, mit allem möglichen<br />

mitzuleiden.<br />

Sei’s drum. Finde das Ding und dann halte dich dran<br />

fest, koste es, was es wolle. Sonst droht dir der emotionale<br />

Opfertod!<br />

(*SELBSTENT-<br />

ZÜNDUNG*)<br />

(Am Ende<br />

von ’Westworld’<br />

bringt<br />

Yul Brynner<br />

als geis-<br />

teskranker<br />

Roboter den<br />

Protagonisten<br />

um,<br />

dann dreht<br />

er sich zur<br />

Kamera und<br />

feuert aus der<br />

Hüfte eine<br />

lange Salve ab,<br />

bis die Leinwand<br />

ganz schwarz wird.<br />

’THE END’ erscheint<br />

BREITGEZOGEN und mittig, in warmem Rot geschrieben,<br />

als schlecht animierte Blutspur (es ist das<br />

gleiche Rot wie bei dem Comicvampir, der am Anfang<br />

von ’Furchtlose Vampirkiller’ den MGM-Löwen ersetzt.<br />

In Grotesk geschrieben, genau wie dieser Text<br />

hier — nur FETT und aus Blut. Die Titelmelodie — ein<br />

unveröffentlichtes Stück von Wolf Eyes — kommt<br />

angeprescht wie ein stählerner Zuchtbulle. Der Abspann<br />

läuft von oben nach unten, die Schrift ist auch<br />

in Grotesk, aber nicht fett, in Neonpink auf Giftgrün.<br />

Vielleicht flackert sie stroboskopisch.)<br />

(’ETCETERA ETCETERA’, gesungen von Yul Brynner,<br />

allein in seinem Wohnwagen auf dem Set von<br />

‚Der König und ich’, dabei klebt sein leerer Blick an<br />

dem Muster aus Goldbrokat und tiefdunklem Rot,<br />

das seinen großartigen Königsmantel überzieht —<br />

er starrt in so einen typischen Schminkspiegel mit<br />

kugelförmigen Glühbirnen an jeder Seite, er ist bereit<br />

für seinen <strong>Auf</strong>tritt. Im Aschenbecher rechts von ihm<br />

brennt eine Zigarette immer weiter herunter (im<br />

Spiegel links), in ei-<br />

nem Glas Bourbon<br />

zu seiner<br />

Linken (rechts)<br />

schmilzt das<br />

Eis immer weiter.<br />

Sein Kopf<br />

verströmt<br />

eine Art<br />

Hitze (ein<br />

Dunst-<br />

schleier<br />

hängt wie<br />

ein Heiligenschein<br />

in der<br />

Luft).<br />

Wenn man ge-<br />

nauer hinsieht,<br />

erkennt man die<br />

Schweißperlen,<br />

die sich durch die<br />

kompakten Schichten<br />

seines groben Asiaten-Make-Ups drücken. <strong>Ein</strong> kleiner<br />

Gipsfleck soll eine Vene abdecken, die besonders<br />

seemännisch wirkt und wie wild an seiner linken<br />

Schläfe pumpt. Keine Vene, sondern das schlampig<br />

hervorstehende Stück eines Kabels, das direkt unter


der Latexhaut liegt. Blaue Verkabelung, die etwas<br />

durchläuft, was sich weder als Knochenskelett noch<br />

als metallene Armierung entpuppt, sondern als Gerüst<br />

aus Mahagoniholz, eine Renaissance-Konstruktion<br />

mit reichen, barocken Verzierungen! In die<br />

hölzernen ‘Knochen’ sind rundherum feine Ornamente<br />

aus winzigen Weinranken eingebrannt.<br />

Der Schädel fällt ganz besonders auf. <strong>Auf</strong> dem<br />

Scheitel umfassen die Weinranken ein Schild, das in<br />

einer Art Runenschrift, in Hieroglyphen (die wir aber<br />

entziffern können) das Wachstum eines DINGS darstellt<br />

— das im Inneren eines Körpers anschwillt, von<br />

dem es schließlich ganz Besitz ergreift, um das, was<br />

vielleicht mal die Seele des Körpers war, durch eine<br />

Art Schatten aus flüssigem Lehm zu ersetzen, der<br />

immerhin eine Wei-<br />

le lang funktioniert,<br />

wenngleich auf<br />

einfachstem Niveau<br />

(essen,<br />

trinken, schlafen,<br />

vögeln,<br />

scheißen<br />

etc.) — so<br />

dass es<br />

eine Weile<br />

dauert, bis<br />

die anderen<br />

etwas<br />

bemerken.<br />

Aber der<br />

Ersatz büßt<br />

zunehmend<br />

seine flüssige<br />

Konsistenz<br />

ein, denn von<br />

den Rändern<br />

her verwandelt sich<br />

seine Beschaffenheit<br />

unvermeidlich in trockene, rissige Erde auf der einen<br />

Seite, während sie auf der anderen Seite in braunen<br />

Rauch übergeht. Diese Stadien unterscheiden sich<br />

nun deutlicher vom Original — von der Person, dem<br />

Wesen, was auch immer. Nun scheut man schon eher<br />

vor einer Umarmung zurück, so drücken es die Hieroglyphen<br />

aus. Zwangsläufig führt das zur Ächtung des<br />

bedauernswerten Subjekts (...)<br />

Wenn man etwas auf Abstand geht, sieht man, was<br />

für ein Schlamassel du mit Yuls Schädel angerichtet<br />

hast. Abgeschälte Latexhaut — die in ekelhaften<br />

Lappen an seinem Rücken herabhängt — kreuz und<br />

quer ragen steife Kabelbündel (Erde, Phase, Neutral)<br />

hervor. Und darunter dieses wunderschöne Mahagonigebilde,<br />

dessen Bienenwachspolitur schimmert<br />

und dessen vertracktes Rebenmuster sich in präzise<br />

eingebrannten Rinnen überall um das Holz rankt.<br />

Keine Weinreben, sondern Kletterrosen — gespickt<br />

mit Dornen. Sie ranken sich bis zum Scheitel hinauf,<br />

zu den Hieroglyphen, deren Thema jetzt klar ist,<br />

offenbar geht es um diese furchterregende Gottheit<br />

aus computerge-<br />

neriertem Fett und<br />

Fleisch — eine<br />

Kapsel aus<br />

zermahlenem<br />

Fleisch, die<br />

angebetet —<br />

oder zumindest<br />

selig<br />

gesprochen<br />

wird.<br />

Fleischzeug<br />

für die<br />

Zukunft:<br />

genetisch<br />

konstruiert<br />

und ange-<br />

pflanzt (seitlich<br />

auf einem<br />

umgestürzten<br />

Baumstamm, wo<br />

es irgendwann im<br />

22. Jahrhundert zu- fällig von jemandem<br />

entdeckt wird, der seinen Hund ausführt) — Kugelfleisch.<br />

<strong>Ein</strong>es davon mutiert, erlangt die Fähigkeit<br />

zu denken, begehrt auf, versklavt andere, wird zum<br />

Gott, verschlingt und verschlingt und verschlingt<br />

alles, bis keine Nahrung mehr übrig ist. Etc. [...] Du


gehst jetzt mal — ich räume diesen gottlosen Saustall<br />

auf.)<br />

[...]<br />

Der <strong>Tumor</strong>, der jetzt viele Hektar — Morgen, Klafter<br />

(viele altertümliche Maße) umspannt — dreht<br />

sich im Schlaf. Er schwitzt. Und beginnt stoßweise<br />

zu schnarchen, die Luft schlürft er durch diverse<br />

Pfützen aus verschiedenen Substanzen unterschiedlicher<br />

Zähigkeit hinunter, mindestens eine davon ist<br />

regenbogenfarbig und entflammbar —, die sich in<br />

den Felsmulden angesammelt haben, die unten an<br />

der Schwelle von [...]. Das Geräusch ist unerträglich,<br />

es hört sich an wie ein Erdrutsch oder wie ein<br />

Kind, das heftig mit seinen krustigen Milchzähnen<br />

knirscht. Irgend-<br />

wo gibt es einen<br />

unterentwickel-<br />

ten Mund dazu,<br />

mit Schwimm-<br />

häuten. Zähne<br />

wie Sta-<br />

laktiten und<br />

Stalagmiten<br />

vor dem<br />

Schlund<br />

einer Höhle,<br />

die aus-<br />

schließlich<br />

für die Rei-<br />

fung einer<br />

lokalen Kä-<br />

sespezialität<br />

genutzt wird;<br />

diesen Käse<br />

darf man nicht<br />

in öffentlichen<br />

Verkehrsmitteln<br />

mitführen, und selbst<br />

in der Region, aus der er kommt, gilt er als etwas<br />

für ausgesuchte Kenner, er wird üblicherweise auf<br />

Wochenmärkten verkauft, offen und strotzend vor<br />

Maden, deren Verdauungssekrete dem Käse seinen<br />

ungewöhnlichen Charakter verleihen. Die winzigen,<br />

gelben Schmieren aus der Wucherung sorgen für den<br />

richtigen Stich, traumhaft. Uns wird das alles zuviel,<br />

wir stürmen aus der Fromagerie und kichern vor Ekel.<br />

(...) Tief im Inneren der Höhle steht ein dramatisches<br />

Diorama, das eine Gruppe aus Neandertalerskeletten<br />

zeigt, die sich wie in einer Krippenszene um ein<br />

kleineres, auf einer Felsplatte liegendes Skelett<br />

scharen, und reihum stößt jeder Neandertaler einen<br />

angespitzten, mittlerweile versteinerten Stock in<br />

das kleine Skelett hinein, etwa dort, wo einst der<br />

Bauch war. Im flackernden Licht deiner Fackel wirkt<br />

die Szene sehr lebendig. (...) Noch tiefer drinnen,<br />

am Kehlkopfeingang, zucken die Knorpelflügel der<br />

Epiglottis, um dich weiter nach unten zu führen, in<br />

die Tiefen eines muskulösen Lochs. An den Flügeln<br />

des Kehldeckels befinden sich Geschmacksknospen,<br />

jede ein Augapfel,<br />

der zusammenzuckt<br />

und tränt, wenn<br />

du mit deiner<br />

Fackel darü-<br />

berstreichst<br />

[...]<br />

(Die<br />

Träume des<br />

<strong>Tumor</strong>s sind<br />

schwerfällig<br />

und meistens<br />

banal. Falsch<br />

angezogen zu<br />

sein, sich am<br />

Arbeitsplatz<br />

zu blamieren,<br />

unanständig mit<br />

halb vergessenen<br />

Bekannten zu fummeln, usw. Diese faden Enthüllungen<br />

sind enttäuschend — aber sie verweisen auf eine<br />

verborgene Wahrheit, die mit dem völlig unspektakulären<br />

Charakter dieser Erkrankung und der<br />

Langeweile dieses möglichen Todes zu tun


hat. Die kaum zu stillende Nachfrage nach Wildwasser-Kanutouren,<br />

Ballonfahrten, Bungee Jumping<br />

und Ähnlichem — nach noch mehr Disko vor dem<br />

Tod — resultiert aus dem schrecklichen, repressiven<br />

Mythos, den ein Geheimbund kulturkritischer Gurus<br />

initiierte, nachdem sie sich zu Silicon-Valley-Arschlöchern<br />

gemausert hatten. Der Zwang zum Positiven;<br />

die Pflicht, TAPFER ZU SEIN, GLÜCKLICH ZU SEIN<br />

— dem Tod WIE EIN ECHTER MANN gegenüberzutreten.<br />

Du gestehst, dass du dich diesem Zwang<br />

ausgesetzt fühlst; wie um alles in der Welt soll man<br />

darauf reagieren, wenn man in diesen letzten Tagen<br />

auf nichts anderes mehr Lust hat als AUSGIEBIG zu<br />

heulen, sich in Grabesstimmung den eigenen Fantasien<br />

zu überlassen und die nächste, nochmal erhöhte<br />

Dosis von Schmerzmitteln zu bekommen? Dabei<br />

packst du ein Buch<br />

aus, wieder etwas<br />

über Alterna-<br />

tivmedizin, von<br />

einem Freund,<br />

der nicht die<br />

leiseste<br />

Ahnung hat,<br />

worüber er<br />

mit dir reden<br />

könnte —<br />

sie schauen<br />

dich einfach<br />

an, ihre<br />

Augen hin-<br />

ter DICKEN<br />

NEBEL-<br />

SCHLEIERN,<br />

den Kopf<br />

schief gelegt,<br />

die Brauen<br />

zusammengezogen,<br />

ein ‘Ts’ auf<br />

der Zunge, das dort<br />

bereitliegt, um je nach Bedarf Fassungslosigkeit oder<br />

Zustimmung zu deinen traurigen Mitteilungen zu<br />

äußern. Ja, du bist in diesem Austausch stillschweigend<br />

inbegriffen; was bleibt dir sonst übrig?)<br />

(Außer vielleicht heute Nacht. Du bist unterwegs,<br />

völlig drüber, ziehst alleine durch die Kneipen der<br />

Umgebung, auf der Suche nach etwas — einer<br />

Schlägerei, vielleicht, oder Sex. Wahrscheinlich keines<br />

von beidem. Wahrscheinlich suchst du nur eine<br />

Bestätigung für deine Unzufriedenheit, die Romanze<br />

deines Zustands. <strong>Ein</strong>e Vorführung melodramatischen<br />

Ausmaßes, mit Begleitmusik, die an die Titelmelodie<br />

von John Barrys ‘Midnight Cowboy’ erinnert. (Die<br />

verlogene Romantik der Prostitution.) Und tief unten,<br />

in seiner ausgebeulten Nische, dreht sich der <strong>Tumor</strong><br />

um und betritt in einer parallelen Bewegung ein anderes<br />

Traumgelände, durch eine bislang unbemerkte<br />

Fliegengittertür. Drinnen gähnen die Staked Plains,<br />

übersät von zerschmetterten ZÄHNEN, und eine<br />

Schlacht wird ausgefochten: eine Horde <strong>Ein</strong>geborener<br />

kämpft gegen<br />

einen uniformierten<br />

Zug der<br />

Kavallerie.<br />

Mündungsfeu-<br />

er, zischende<br />

Pfeile, Mund-<br />

harmonika.<br />

In der Ge-<br />

stalt eines<br />

Büffels<br />

sucht sich<br />

der <strong>Tumor</strong><br />

seinen Weg<br />

durch einen<br />

Teppich aus<br />

Leichen,<br />

von denen<br />

jede weitere<br />

noch ärger von<br />

Pfeilen durch-<br />

siebt ist — noch<br />

weniger identifizier-<br />

bar — als die vorherige.<br />

Schließlich bleibt der <strong>Tumor</strong> doch neben einer<br />

Gestalt stehen, die derartig mit Pfeilen gespickt ist,<br />

dass sie sich — glücklicherweise, wird uns klar — in<br />

einen Buckel aus stacheligem Gras verwandelt hat.<br />

Stachelgras mit Kuckucksspeichel beschmiert.


Der <strong>Tumor</strong> fängt an zu grasen, er vergisst die<br />

Schlacht und genießt die ungewöhnlichen Sinneseindrücke,<br />

während er zunehmend die Steuerung und die<br />

Eigenheiten dieses Vehikels in den Griff bekommt.<br />

Plötzlich (PLÖTZLICH) spürt der <strong>Tumor</strong> einen<br />

schrecklichen, stechenden Schmerz in seinem<br />

Kreuz, er wirbelt herum und sieht einen Kavalleriesoldaten<br />

über sich, und einen langen, blanken Degen,<br />

der tief in seinem Rücken steckt. Der <strong>Tumor</strong> stürzt,<br />

gelähmt (ein wichtiger Teil des Nervensystems wurde<br />

verletzt) und der Soldat, unablässig grinsend, geht<br />

gleich dazu über, den <strong>Tumor</strong> bei lebendigem Leibe zu<br />

häuten, äußerst geschickt reißt er den Balg von den<br />

rohen Muskeln; schon hat er den zitternden Körper<br />

mit einer flamboyanten Geste komplett aus dem Fell<br />

geschlagen. Er spannt die Haut zum Trocknen auf<br />

ein geodätisches<br />

Gitter aus Stöcken.<br />

Dann wendet er<br />

sich wieder dem<br />

jetzt entblöß-<br />

ten, rohen<br />

<strong>Tumor</strong> zu,<br />

und beginnt,<br />

ihn aus-<br />

zuweiden.<br />

Schwer,<br />

stumpf und<br />

glitschig<br />

gerinnt das<br />

Blut in dem<br />

Schlitz,<br />

der von<br />

unterhalb<br />

des Kinns<br />

bis kurz über<br />

den Genitalien<br />

klafft. <strong>Ein</strong>e kalte<br />

Hand reißt ALLES<br />

raus und wirft<br />

es in großen Klumpen auf die trockene Erde. Das<br />

FLATSCH! einer Lunge auf DER TROCKENEN ERDE,<br />

usw. Jedes Organ, jeder unkenntliche Fetzen wird<br />

zu etwas nützlich sein. Wir verstehen. Was nicht als<br />

Verpflegung für die hungrige Schar taugt (die sich<br />

in der Nähe herumdrückt), wird getrocknet und<br />

als Aphrodisiakum verwendet oder aufgespannt,<br />

um so etwas wie Hüte oder Kondome daraus zu<br />

machen. Das hier (er hält eine Handvoll nasses Rot<br />

hoch) werde ich selbst auf dem Höhepunkt eines<br />

Rituals verzehren. Das wird mir besondere Kräfte<br />

verleihen (...). Das hier (ein Lappen aus Darmnetz<br />

hängt triefend über zwei Fäusten, wie brauner,<br />

durchgewalkter Pizzateig) wird über den untersten<br />

Zweig der nächsten Fichte gelegt, um so den Zorn<br />

des besonders fleischigen Gottes zu besänftigen.<br />

Dieses Zeug hier (ein Strom von milchig-weißem<br />

Saft, der aus einem rosa Schlauch gepresst wird<br />

(eine Schmerzschraube) wird gekocht und mit Blut<br />

aus deinem Kopf vermengt — dann füllt man das<br />

Gemisch in eine gut gefettete Kuchenform und backt<br />

es. So wird alles<br />

seine Verwendung<br />

finden —<br />

obwohl sich<br />

im Moment<br />

noch alle<br />

Stücke<br />

neben dem<br />

Soldaten<br />

in einem<br />

riesigen<br />

Abfallhaufen<br />

aus<br />

geronnenem<br />

Blut auftürmen.<br />

Endlich fertig,<br />

steht der Soldat<br />

erschöpft und von<br />

oben bis unten in Blut getränkt da, seine Augen und<br />

Zähne heben sich in obszönem Weiß von dem roten<br />

Grund ab. Trotz alledem fühlt sich der <strong>Tumor</strong> ENT-<br />

STRESST.


[...]<br />

Der <strong>Tumor</strong> fährt aus dem Schlaf hoch, und es dauert<br />

eine Weile, bis er den Traum abschütteln kann und<br />

sich erinnert, wo er ist — was er ist, was möglich ist,<br />

was das ENDE von all dem sein könnte — und er in<br />

sein stummes Vor-sich-Hinbrüten zurückfällt, UNTER<br />

GEHEIMHALTUNG (*). Dabei krachst du gerade<br />

durch die <strong>Ein</strong>gangstür rein.<br />

[...]<br />

— Du weißt, was ich meine. Ich meine, dass der<br />

<strong>Tumor</strong> mit einer außerordentlichen, aber genau vorhersehbaren<br />

Geschwindigkeit wächst. WIE IN, es ist<br />

nichts Unerwartetes passiert. Um sein WACHSTUM<br />

aufzuhalten, wie in.<br />

WIE IN, es gibt keinen<br />

Grund zur<br />

Beunruhigung.<br />

Außer für den<br />

<strong>Tumor</strong> selbst,<br />

von dem<br />

man nicht<br />

weiß, ob er<br />

AUF DEM<br />

KRIEGS-<br />

PFAD ist<br />

oder nicht.<br />

[...]<br />

Wieder eine<br />

Höhle. Diesmal<br />

irgendwo am nörd- lichen Polarkreis —<br />

oder seitlich in einen Kamm des Himalaya gebohrt.<br />

Oder ein Stollen in einer verlassenen Kolonie auf<br />

dem Neptun, über dem <strong>Ein</strong>gang baumelt ein Schild,<br />

das etwas in einer unbekannten Bilderschrift verkündet.<br />

<strong>Ein</strong>e Dunstglocke aus Neptunstaub. Im<br />

Inneren dieser Höhle ist es unglaublich kalt. Und<br />

dunkel — die Sorte Dunkelheit, die dir fast die<br />

beschissenen Augen ausreißt, die Sorte Dunkelheit,<br />

die einen schluckt, die einen würgt. Es stinkt<br />

hier drinnen: Nach etwas Verlassenem, das sich vor<br />

Urzeiten in diese gleichgültigen Wände gefressen<br />

hat. Wände wie aus Stahlblech, das einst als massive<br />

geologische Grillpfanne benutzt wurde, um darauf<br />

ausschließlich Büffel a la plancha zuzubereiten. Oder<br />

eine Art Megafauna, ein Tier, das ungelenk über die<br />

letzten, albernen Dinosaurier und die bescheidenen<br />

Säugetiere hinwegstakst, die gleichzeitig mit uns<br />

leben. Der Geruch der Fleischstücke, die hier an<br />

diesen Wänden gebraten wurden, gut und gerne eine<br />

Million Jahre lang — die Hitze, die das sich wälzende<br />

Blut des Kontinents dazu abgab — auf einen Schlag<br />

ertränkt in einem<br />

plötzlich auftretenden,<br />

giganti-<br />

schen Ozean,<br />

der von<br />

Luftstrudeln<br />

aufgewühlt<br />

ist und nur<br />

so strotzt<br />

vor Quastenflossern.<br />

Dann ist die<br />

gesamte<br />

Eismasse<br />

(man sieht<br />

das in<br />

aufreizend<br />

langsamem<br />

Zeitraffer mit<br />

schwungvoller<br />

Musik) (...). Im<br />

hinteren Teil der<br />

Höhle wird der Ge-<br />

ruch noch intensiver<br />

und bekommt dann eine fäkale Note. (Du spürst die<br />

Dunkelheit an deinen ausgestreckten Händen — den<br />

Scheißegestank unter deinen Fingernägeln; und die<br />

Kälte steckt dir natürlich IN DEN KNOCHEN.) (Die<br />

Akustik verdient eine Erwähnung: der Widerhall


der Schritte beschreibt eine Art Tunnel, die Wände<br />

beiderseits müssen ganz nah sein — gleich über<br />

deinen wild flatternden Fingerspitzen — während<br />

im Ungewissen bleibt, was mit dem <strong>Ein</strong>gang hinter<br />

dir ist und was immer noch vor dir liegen mag. Sehr<br />

eigenartiges Echo hier drinnen. Du stößt ein paar<br />

einzelne Beller aus. Dann ein Schrei — so bedrohlich,<br />

dass du starr vor Schreck bist. Dann ein noch<br />

krasseres Geräusch — etwas Unerhörtes. Wie in, du<br />

wusstest nicht, was du SAGEN würdest, bis du es<br />

gesagt hast. Der Name ‘Greg’. ETC.<br />

Das Echo, das auf jedes einzelne Geräusch folgt,<br />

lässt etwas Drittes vermuten — etwas zwischen<br />

deiner Stimme und dem Höhlenecho. Später wirst du<br />

es als Doppelspur deiner Stimme beschreiben, die<br />

sich wie ein Chor<br />

und mit tragischer<br />

Ironie an das<br />

Publikum<br />

wendet (das<br />

leise in der<br />

Dunkelheit<br />

herumschleicht,<br />

vor oder<br />

hinter dir,<br />

eher hinter<br />

dir) — und<br />

dabei eine<br />

Wahrheit<br />

verkündet,<br />

die dich BE-<br />

TRIFFT, von<br />

der du selbst<br />

aber NICHTS<br />

WEISST. Dieser<br />

Chor starrt aus<br />

deinen funktions-<br />

losen Augen und<br />

scheut nicht einmal davor zurück, auch durch deinen<br />

Mund zu kommunizieren — dabei verankert er seine<br />

Gesetze in der leichten Vertiefung zwischen der<br />

Stimme und dem Echo. Diese Höhle, denkst du, ist<br />

ein Theater. Aber ich bin kein Schauspieler. Wenigs-<br />

tens nicht im herkömmlichen Sinne. Ich vermute<br />

nur, ein Schauspieler zu sein. Du flüsterst etwas,<br />

offenbar so leise, dass man es kaum hört. Etwas<br />

etwas etwas. Du malst dir aus, wie dein Atem vor dir<br />

schwebt, wie eine echte Wolke in der Luft, vielleicht<br />

einen Zuschauer sachte streifend, der geräuschlos<br />

zurückweicht, ein paar Zentimeter von deinem<br />

Gesicht entfernt, ohne zu atmen, ohne einen Ton von<br />

sich zu geben, er beobachtet dich nur — er ist ganz<br />

und gar Pupille, ganz schwarze Augäpfel, die wie<br />

besessen in ihren geweiteten Höhlen hin- und herschwenken.<br />

Obwohl noch immer jeglicher bestätigender<br />

Sinneseindruck fehlt, ist all das ganz sicher wahr.<br />

Endlich, mit einem scharfen Atemzug, werden deine<br />

liebenden Hände fündig; eine Oberfläche, vielleicht<br />

die Rückwand der Höhle. Gleichzeitig verändert sich<br />

die Akustik, hin zu etwas Näherem —<br />

der abgestorbe-<br />

nen Luft eines<br />

Sommerpfa-<br />

des irgendwo,<br />

etwa auf<br />

Meereshöhe.<br />

Und unter<br />

den Füßen<br />

fühlt es<br />

sich nach<br />

Moos<br />

an. Oder<br />

Schaumstoff.<br />

Die OBER-<br />

FLÄCHE zwi-<br />

schen deinen<br />

Händen ist aber<br />

anders, nasser.<br />

Vielleicht nasses<br />

Moos. Oder dieser<br />

orange Schleim, der sich im Herbst an Baumstämmen<br />

sammelt. Klamm. So wie man sich die Hände der<br />

Toten nach einigen Wochen vorstellen könnte. Das<br />

Innere einer Bananenschale. Der Rotz eines großen<br />

Jagdwilds. Bestimmte Ausscheidungen, die bei der


Zubereitung eines exotischen Gerichts verwendet<br />

werden. Alle Stirnen eines Wohnheims, das kurz vor<br />

der Schließung steht, beugen sich gemeinsam unter<br />

dem Druck einer argwöhnischen Befragung. Der verdickte<br />

Zwischenraum. Unvorstellbar auf dem Neptun<br />

oder auf einem seiner Monde. Es ist eine Innentextur,<br />

eine Nicht-Oberfläche, die nicht berührt werden sollte;<br />

es ist eine Nicht-Oberfläche, die sich<br />

jeder Beschreibung entzieht, weil sie unter keinen<br />

Umständen — mit Ausnahme eines chirurgischen<br />

<strong>Ein</strong>griffs — zum Gegenstand eines NERVLICHEN<br />

BEGREIFENS werden könnte. Kein Sinnesorgan<br />

könnte JEMALS seine Existenz wahrnehmen. Darum<br />

riecht es nach nichts, sieht nach nichts aus, fühlt<br />

sich nach nichts an, hört sich nach NICHTS an. Nur<br />

hier, am Ende dieser eisigen Höhle, erlangt diese<br />

Oberfläche plötz-<br />

lich ein lebhaftes,<br />

erschreckendes<br />

Dasein, sobald<br />

du sie nur kurz<br />

mit deinen<br />

zitternden<br />

Fingern<br />

berührt hast:<br />

<strong>Auf</strong> einen<br />

Schlag<br />

erstarrt<br />

jedes Sin-<br />

nesorgan,<br />

unter einem<br />

Ansturm<br />

EXTREMER<br />

VORURTEI-<br />

LE!:<br />

— <strong>Ein</strong> großer Riss in der KOSTBAREN<br />

Stille der Höhle. <strong>Ein</strong> Glissando aus atonaler Perkussion,<br />

das sich über ein rutschendes Lehmbett aus<br />

Sub-Bass legt; ein fetter Saum aus Blechbläsern<br />

pumpt mächtige Schwaden aus lächerlich eingeölten<br />

Muskeln heraus, zerrissen, verrenkt, in straffe Poten-<br />

tiale GEZOGEN, drehen schwebende, unentschlossene<br />

Akkorde den Höhenregler und bohren links<br />

unterhalb deines Trommelfells einen neuen Tunnel,<br />

sie umgehen die zarten Knöchelchen, die trilobitartigen<br />

Knorpelschleifen — so dass die Haare überflüssig<br />

sind, die mit dem Schwanzstück verschwistert<br />

sind, das deine Scheiß-Lungen als Perücke tragen,<br />

und die im Luftzug wehen usw. usw. Nichts davon.<br />

<strong>Ein</strong> brutales Loch, das in dein Innerohr gemeißelt<br />

wird und geradewegs in jene dumpfe, selten genutzte<br />

Hirnregion führt, die für kinetische <strong>Ein</strong>sätze brauchbar<br />

sein könnte. <strong>Ein</strong> Instrument von Harry Partch,<br />

das nie gebaut wurde — eine polyphone mikrotonale<br />

Geisterorgel (PMGO). Dieser Klang ist kein Klang.<br />

— <strong>Ein</strong> Mief, von den KESSELPAUKEN eingeleitet,<br />

knallt gegen deine<br />

Nase, kämpft sich<br />

nach oben,<br />

in deine sich<br />

blähenden<br />

Nasenlöcher<br />

und dringt<br />

ungeduldig<br />

in deinen<br />

Schädel<br />

vor, tief<br />

hinein in das<br />

gefährliche<br />

FEUCHT-<br />

GEBIET<br />

DEINES<br />

Hirns. Neon-<br />

gelber Kitt<br />

GLÄTTET all<br />

die störenden<br />

Wirbel hier. Und<br />

es ist so ähnlich<br />

wie SALBEI, nur<br />

hundertfach konzentriert;<br />

wunderhübsch ausgefüttert mit glänzender<br />

Gülle; fauliges Gewebe, BLECH — das Metallische<br />

von Blut, Wienerwürstchen — ein unerlaubter KUSS<br />

säuerlicher, rissiger, sphinxartiger LIPPEN aus Kork.


Soweit das Auge reicht, reihen sich Hügel aus<br />

matschiger Kloake aneinander, reichlich bestückt mit<br />

parfümiertem, lila Toilettenpapier; eine SORGEN-<br />

FALTE (von der Piccoloflöte illustriert) schmiert das<br />

Parfum eines Zeitschriftenprobepäckchens über ein<br />

Meer aus schwitzenden Glatzköpfen; eine dichte<br />

Wand aus UNGEPFLEGTEN GENITALIEN, besudelt<br />

mit Fettfarben! (...) Das alles fällt, unvermeidlich, im<br />

Mund zu einem Geschmack zusammen, zum Würgen,<br />

Röcheln, Kotzen, immer wieder (Die <strong>Auf</strong>richtigkeit,<br />

die dazu nötig ist! Der Nervenkitzel! (Pisse schwappt<br />

in Zeitlupenwellen, bildet Schaum an den Rändern,<br />

blaut dann ein, vermischt sich mit besonders zähflüssigem<br />

Domestos; Flöße, Schlauchboote, Plastikkajaks,<br />

die als Klosteine und Dufttabletten getarnt<br />

sind, werden herumgeschleudert, bemannt mit Leprakranken,<br />

Eidechsen<br />

in putzigen Matrosenanzügen,<br />

fetten, nackten<br />

Affen, deiner<br />

gleichgültigen<br />

Mutter, etc.)<br />

(Sobald ein<br />

Junge oder<br />

ein Mädchen<br />

groß genug<br />

oder alt ge-<br />

nug ist (fett,<br />

jugendlich),<br />

wird ein Palo-tle-ton<br />

be-<br />

reit gelegt, das<br />

AUSSCHLIESS-<br />

LICH er oder<br />

sie benutzen dürfen.<br />

Hier haben wir einen<br />

Umhang vor uns, feinsäuberlich aus einer einzigen<br />

Büffelhaut gearbeitet, dessen Kopf mit den LIPPEN<br />

am Kopfende eines Weidenbettes befestigt wird, das<br />

als Wohnzimmer dient. Der gewöhnliche Überwurf für<br />

das Bett heißt On-ta-koi. Das hier ist<br />

nur ein halber Umhang, sehen Sie, und AUSSERDEM<br />

am Hals abgeschnitten. Beim Pa-lo-tle-ton wird das<br />

Fell mit großer Sorgfalt entfernt, es erfordert die<br />

ganze Kunst des Präparators, den Kopf als komplette<br />

Umhüllung zu erhalten, sogar die Hörner, Augen und<br />

OHREN UND LIPPEN, wie auch die Beine bis hinab<br />

zu den Hufen, und manchmal werden sogar die Hufe<br />

erhalten — vielleicht sogar langsam trocknende<br />

Gras- und Erdklumpen, die wie Keile aus den Sohlen<br />

der Hufe ragen — manchmal ist sogar das Skelett eines<br />

Neandertaler-Foetus’ dabei, das dann schlaff an<br />

so einem Stiletto-Absatz aus Erde baumelt. Darunter<br />

ist Zeitungspapier ausgelegt (der Sportteil), um die<br />

Dreckbrocken aufzufangen, die mehr oder weniger<br />

gründlich mit einem Buttermesser zwischen den<br />

unterentwickelten Zehenknochen herausgeschabt<br />

werden. Ja, so läuft<br />

das. Harte Arbeit,<br />

der Scheiß hier.)<br />

[...]<br />

Wird eine<br />

angemessene<br />

Menge<br />

von Terrakotta-Ton<br />

zur<br />

Verfügung<br />

gestellt (im<br />

Unterschied<br />

zu diesem<br />

grauen Zeugs<br />

in Gesamtschu-<br />

len), führt das<br />

dazu, wie Beobach-<br />

tungen eindeutig<br />

belegen, dass insbesondere der Anteil der älteren<br />

Ambulanzpatienten, die damit eine verdammt-beinahe<br />

runde Kugel zwischen ihren Handrücken rollen,<br />

deutlich höher ist als die Zahl derjenigen, die es bleiben<br />

lassen. Diese Form ist jedoch vergänglich: Fast


unmittelbar danach — nach den wenigen, gewichtigen<br />

Augenblicken, in denen die Kugelform zwischen<br />

Daumen und Zeigefinger hochgehalten wird (und<br />

vielleicht noch ein paar weiteren Augenblicken, in denen<br />

man zuschaut, wie die Terrakottaröte die Fläche<br />

der anderen Hand keltisch verfärbt) — wird die Kugel<br />

zu einer Scheibe zerdrückt, dann die Scheibe locker<br />

aufgerollt, dann die lockere Rolle homogenisiert,<br />

dann lässt man sie zu einem Zylinder EINSINKEN.<br />

Noch ein paar Augenblicke lang wird versucht, die<br />

Enden abzuflachen, dann wird der Ton weggeworfen.<br />

(<strong>Ein</strong>en dieser Brocken fanden wir auf dem Nachttisch<br />

neben dem Marmorbriefbeschwerer, der entsetzlich<br />

schwer auf dem Manuskript lastete, mit dem sie<br />

sich verzweifelt abgemüht hatten, um es noch vor<br />

dem Ende abzuschließen. Gelohnt hatte sich das<br />

allerdings nicht; du<br />

fandest die Lektüre<br />

langweilig und<br />

hast die übliche<br />

vorgeschrie-<br />

bene Etikette<br />

für Trauernde<br />

ignoriert, in<br />

dem du das<br />

Manuskript<br />

fade (!), ab-<br />

schweifend<br />

(!), lau (!) nanntest,<br />

um es dann<br />

auch gleich<br />

im Ofen hin-<br />

ten im Garten<br />

zu verbrennen,<br />

zusammen<br />

mit einem Berg<br />

von Schulheften,<br />

den wir einen Monat<br />

vorher aus dem Container<br />

gerettet hatten. Vor einem Monat wollten wir<br />

alles behalten. Dieser Monat jetzt, Oktober, ist ein<br />

eher realistischer Monat; wir haben keinen Platz und<br />

darum müssen wir uns und unsrem eigenen Mist den<br />

Vorrang einräumen. Ah-men! schreist du und rammst<br />

einen Bambusstock in das prasselnde Ofenfeuer,<br />

was eine Partikelwolke aus Funken und Asche in das<br />

ZWIELICHT bläst. Du hast es wiedermal geschafft,<br />

eine ganze Plastikflasche Oramorph zu vertilgen,<br />

während ich, völlig unbeeinträchtigt — okay, soweit<br />

ich weiß, jedenfalls — nur ein paar Gläser von einem<br />

kräftigen Roten getrunken habe. Zufälligerweise ist<br />

das der Rotwein, den du vor einem Monat (genau der<br />

Monat, der sooo weit weg zu sein scheint — der Monat<br />

voller Vorsätze und Möglichkeiten und Sex) aus<br />

dem Nobelladen mitbrachtest. NICHT der übliche<br />

Billigfusel. Jetzt ist er oben auf dem Küchenschrank<br />

verstaut, mit einer Verschlusskappe drauf; NICHT<br />

dem Korken — der ist beim Öffnen zerbröselt.<br />

[...]<br />

Du isst immer<br />

noch kaum.<br />

Offenbar<br />

schmeckst du<br />

nichts. Was<br />

ich schlecht<br />

VERTRAGE,<br />

angesichts<br />

des <strong>Auf</strong>-<br />

wands, den<br />

ich Abend<br />

für Abend<br />

beim Kochen<br />

betreibe. <strong>Ein</strong><br />

Protestver-<br />

such, oder<br />

so — obwohl<br />

man es ebenso<br />

gut als Verweige-<br />

rung bezeichnen<br />

könnte. Ich stelle<br />

mir gerne vor (nein,<br />

nicht ‘gerne’ — wieder eine Lüge), dass es der <strong>Tumor</strong><br />

ist, der so einen Geschmack hat. Dass der <strong>Tumor</strong><br />

diese fahle Palette hat, die extreme Gier auf Süßes.<br />

Großzügig Zucker auf einen Original Alpen! WHAM!<br />

Schokoriegel kippen ... Das sind doch die


pubertären Gelüste dieses zellulären Vergewaltigers,<br />

der im Moment die Größe eines Golfballs hat. Golf<br />

ist beschissen, ich hasse Golf, sagst du und wir lächeln<br />

beide. Die Kamera stürzt abwärts, am Lächeln<br />

vorbei, tief nach unten durch das Labyrinth und<br />

kommt dann am Fuße des <strong>Tumor</strong>s zum Stehen — das<br />

falsche Idol für diesen massigen, fleischigen Gott,<br />

der immer schon perfekt in der neuesten HD-Technologie<br />

daherkommt — eine Nvidia-Graphikkarte mit<br />

abnormaler Speicherkapazität; auf einem vierpoligen<br />

Ding mit ZWEI riesigen Monitoren laufend — einer<br />

ist zum Schneiden (Vivisektion), der andere, um das<br />

gerenderte Rohmaterial zu sichten (das Umrechnen<br />

geht natürlich wahnsinnig schnell). Das Rendern der<br />

Haare des GOTTES: es bewegt sich in schmalzigen<br />

Böen, langsam, wie unter Wasser, eingeklemmt in<br />

der Sichtluke der<br />

Tiefseetaucherglocke<br />

neben<br />

dem Ärmel des<br />

Bademantels,<br />

in dem er<br />

reinkam —<br />

Wet-Look, in<br />

attraktiven,<br />

sinnlichen<br />

Wellen-<br />

kämmen<br />

verklebt —<br />

so wie du es<br />

auch gerne<br />

hinkriegen<br />

würdest. Per-<br />

fekte Strömung<br />

— eine<br />

Mondflut, die<br />

das Haar endlos<br />

auslutscht.<br />

Vielleicht sogar noch<br />

ein paar sprudelnde<br />

Perlen dazu (ein übertriebener Vorführeffekt) um zu<br />

ÜBERZEUGEN. Die zweigeteilte Kameralinse an der<br />

Oberfläche WIPPT, ihre obere Hälfte bleibt relativ<br />

klar (obwohl sie — wiederum wegen des Echtheitseffekts<br />

— mit Tröpfchen gesprenkelt ist, die das Bild in<br />

Prismen zeigen), während die untere Hälfte vergrößert.<br />

Zweistärkengläser, die jemand trägt, der ganz<br />

offensichtlich etwas Variableres bräuchte als diese<br />

scharfe Abgrenzung. Sicher ein Verwandter von uns.<br />

Mitochondrisch.<br />

Und in der Ferne — in der oberen Hälfte, über Wasser<br />

zu sehen — ein dramatischer Küstenstreifen; der<br />

Strand einer fiktionalen Insel — einer Schädelinsel.<br />

Der verheißt und präsentiert einen Vordergrund aus<br />

zerklüfteten Klippen mit kreischenden Möwen, über<br />

denen man einen Saum aus Dschungelpflanzen<br />

sieht; eine Höhle, deren <strong>Ein</strong>gang ein hinausgezögertes<br />

Gähnen ist, ein Maul, das Salzwasser durch<br />

VERWEGENE, scharfkantige Felsen reinschlürft, als<br />

wäre es Mundspülung oder Sabber. Die Filmmusik<br />

wird unheilvoll,<br />

trotzdem beschließt<br />

du loszulegen,<br />

und kraulst auf<br />

etwas zu, das<br />

dir den SI-<br />

CHEREN<br />

TOD<br />

verheißt.<br />

Idiot! Du<br />

kannst kaum<br />

schwimmen!<br />

(Die Kamera<br />

schießt nach<br />

oben, um<br />

die gesamte<br />

Szene<br />

einzufangen<br />

— vor dem anschwellenden,<br />

tiefblauen<br />

Grund wird deine<br />

jämmerliche Gestalt immer kleiner —<br />

dann die Insel, als Ganzes, während wir eine Schicht<br />

verschnörkelter Kumuluswolken durchdringen: es<br />

kommt eine ausladende, sich wölbende Geometrie<br />

zum Vorschein, die sich zum angespannt schrillen<br />

Klang einiger disharmonischer Streicher als perfekte


Metapher für deinen <strong>Tumor</strong> entpuppt! Nach einer<br />

laienhaften Schätzung könnte der Durchmesser sieben<br />

Kilometer betragen. Deine RUDERNDE Gestalt<br />

ist jetzt nicht mehr erkennbar und die Skala dieser<br />

<strong>Ein</strong>stellung beginnt sich jetzt unter dem beträchtlichen<br />

Gewicht der Analogie zu verbiegen — das<br />

Meer gleicht einer Art Fruchtwasser — vielleicht<br />

Algengelee, weil von hier aus, aus der Perspektive<br />

des GOTTESauges, die Wellen kaum mehr sichtbar<br />

sind — die Iris einer Promenadenmischung umfasst<br />

die <strong>Tumor</strong>insel, die in ihrer Mitte wie eine Wunde,<br />

fremd und surrend, aus der großen Gleichförmigkeit<br />

herausragt — schockierend und reizend wie eine<br />

Haifischflosse. Kommt irgendwie als Schock rüber,<br />

obwohl es vorhersehbar war. Es ist wichtig, dass die<br />

Vorhersehbarkeit hier nicht die Wirkung abschwächt.<br />

Wir weinen beide.<br />

Wir umarmen uns.<br />

Später gebe<br />

ich zu (...) die<br />

Geologie des<br />

<strong>Tumor</strong>s bringt<br />

die menschli-<br />

che Physiologie<br />

durchei-<br />

nander. Wie<br />

in, Geologie<br />

gehört nicht<br />

in das In-<br />

nere deiner<br />

schwarz-ro-<br />

ten <strong>Ein</strong>geweide.<br />

<strong>Ein</strong><br />

Stein, nur<br />

sieht der so<br />

aus, als hätte<br />

ihn ein Mensch<br />

gemacht, wie<br />

eine antike Flintenku-<br />

gel oder sowas. SO<br />

anders als die Steine, die sich im Körper als Folge<br />

von Stress bilden oder weil du dich von Zigaretten<br />

und Wodka ernährt hast. Aber eigentlich ist es<br />

natürlich genau das — all das, von diesem Text hier<br />

katalysiert. Gallensteine, Nierensteine, Otolithen,<br />

Teratome usw. Es ist entscheidend, dass wir jeden<br />

ZWEIFEL in dieser Angelegenheit ausräumen: die<br />

Beschwörung durch diesen Text — die sich in diesem<br />

Moment weiter vollzieht — ist von dem Kontext<br />

abhängig, den sie im Inneren deiner dampfenden<br />

Gedärme vorfindet.<br />

Wie an anderer Stelle bereits diskutiert wurde,<br />

könnte der Prozess in etwa nach folgendem Muster<br />

verlaufen:<br />

[...]<br />

Die Wörter — ein Wort — zum Beispiel ’KNORPEL’<br />

(obwohl der Satzbau, die Absätze, die Schriftwahl,<br />

die Spationierung, die Zeilenabstände usw. AUS-<br />

SCHLAGGEBEND<br />

sind. Und die als<br />

Klammern<br />

eingesetzten<br />

Anführungs-<br />

zeichen sind<br />

ein Zuge-<br />

ständnis)<br />

— sickert durch deine<br />

Kuhaugen<br />

in dich<br />

ein. Kennt<br />

man ja. An<br />

diesem<br />

Punkt ist der<br />

Zustand des<br />

Wortes noch<br />

am ehesten<br />

gasförmig,<br />

obwohl es<br />

selbstverständlich<br />

kein Gas ist. Es<br />

ist das Gas eines<br />

Gasgiganten — das zu begreifen, ist unmöglich, aber<br />

offensichtlich wissenschaftlich verifizierbar (die<br />

Wissenschaft, blabla, entzieht sich deinem trägen<br />

Verstand). Stell dir vor, wie KNORPEL durch deine<br />

Pupillen zischt, kleine Jets aus KNORPEL sausen


durch deine heftig erweiterten Pupillen in dich<br />

hinein — die Pupillen einer benebelten BIERBIRNE.<br />

Dieses Gas ist sichtbar, KNORPEL. Na also. (Hier<br />

folgt ein Abschnitt, der die Funktionsweise deiner<br />

Augen erläutert: (...) Das menschliche Auge wird<br />

den KAMERA-ARTIGEN AUGEN zugeordnet, einer<br />

Großgruppe unter den in der Natur vorkommenden<br />

Augen. Im menschlichen Auge wird das Licht nicht<br />

auf einem Film (oder einem digitalen Vollformatsensor)<br />

gebündelt, sondern auf einer lichtempfindlichen<br />

Membran, der NETZHAUT (mit einem Dornenzweig<br />

hineinstechen). Und so ist das menschliche Auge<br />

aufgebaut und so funktioniert es: Die Hornhaut ist<br />

eine transparente Struktur, die sich ganz vorne am<br />

Auge befindet (meine Hervorhebungen) und die dazu<br />

beiträgt, die eintretenden Lichtstrahlen zu bündeln.<br />

Hinter der Horn-<br />

haut befindet sich<br />

eine ringför-<br />

mige, farbige<br />

Membran,<br />

die Iris heißt<br />

(denk an:<br />

Trübung).<br />

Die Iris hat<br />

eine runde,<br />

verstellbare<br />

Öffnung,<br />

die Pupille<br />

heißt (denk<br />

an: Schließ-<br />

muskel),<br />

und die sich<br />

weiten und<br />

zusammen-<br />

ziehen kann,<br />

je nach Menge<br />

der Lichtreize,<br />

Strahlen, wie auch<br />

immer, die in das<br />

Auge eindringen. <strong>Ein</strong>e klare Flüssigkeit, genannt das<br />

KAMMERWASSER, füllt den ungeheuer engen Raum<br />

zwischen der Hornhaut und der Iris (meine Hervorhebung)<br />

aus. Hinter der Pupille befindet sich eine<br />

farblose, transparente Struktur, die LINSE heißt<br />

(denk an: den Plastikschnabel eines Tintenfischs).<br />

Zillarkörper umfassen die Linse. Diese brutalen<br />

Muskeln fixieren die Linse an ihrem Platz, spielen<br />

aber auch beim eigentlichen Sehvorgang eine<br />

wichtige, einflussreiche Rolle. Sind sie entspannt,<br />

zerren sie an der Linse und bügeln sie flach, was es<br />

dem Auge erlaubt, weit entfernte Objekte (bukolische<br />

Landschaften) zu erkennen. Um nahe Objekte<br />

scharf zu sehen (das viel zu nahe Gesicht, das sich<br />

ins Bild schiebt, um einen trunkenen, schnapsgetränkten<br />

Schmatzer zu ergattern), müssen sich die<br />

Zillarmuskeln zusammenziehen, schrumpfen, um<br />

die Linse zu verdicken. Das Innere des Auges ist mit<br />

einem gelee-artigen Gewebe ausgefüllt, das GLAS-<br />

KÖRPER heißt. Hier haben wir so etwas wie einen<br />

Flotationstank — etwas meditatives, aber sicher<br />

nichts für dich, mit<br />

deiner hysterischen<br />

Platzangst.<br />

<strong>Ein</strong> nasser<br />

Fahrstuhl. Der<br />

überraschend<br />

vollgestopf-<br />

te Bauch<br />

des Wals.<br />

Egal, wenn<br />

das Licht<br />

die Linse<br />

passiert<br />

hat, muss<br />

es dieses<br />

Gewölbe und<br />

seinen Topf<br />

voller abgestandenem,<br />

stinkendem<br />

Glaskörperglib-<br />

ber durchqueren,<br />

bevor es auf die<br />

Schicht lichtempfindlicher<br />

Zellen trifft, die Netzhaut heißt. Die Netzhaut<br />

ist die innerste der drei Gewebeschichten, aus denen<br />

das Auge besteht. Sie sind unvorstellbar dünn. Die<br />

äußerste Schicht, die LEDERHAUT heißt, ist das,<br />

was dem größeren Teil des Augapfels seine weiße


Färbung verleiht; den Rest erledigt ein kompliziertes<br />

System von Spiegeln, das errichtet wurde, um einen<br />

sauber geschrubbten Oberschenkelknochen widerzuspiegeln.<br />

Auch die Hornhaut gehört zur äußeren<br />

Schicht. Die mittlere Schicht zwischen Lederhaut<br />

und Netzhaut heißt ADERHAUT. Die Aderhaut<br />

enthält Milliarden von Blutgefäßen, die die Netzhaut<br />

mit Nährstoffen und Sauerstoff versorgen. Außerdem<br />

transportiert sie deren Abfallprodukte ab, ein<br />

Vorgang, der noch nicht dokumentiert ist und den wir<br />

alle unbegreiflich finden. Die Netzhaut birgt Abermillionen<br />

lichtempfindlicher Zellen, die sich zwei Hauptgruppen<br />

zuordnen lassen: STÄBCHEN UND ZAP-<br />

FEN. (Uranbrennstäbe; zapfenähnliche Papierkegel,<br />

aus denen man früher mal Wasserspender-Wasser<br />

trinken konnte). Die Stäbchen braucht man für das<br />

einfarbige Sehen<br />

bei schlechtem<br />

Licht (eine sche-<br />

menhafte Gestalt<br />

unten bei<br />

der Waldhütte<br />

um drei Uhr<br />

morgens),<br />

während<br />

die Zapfen<br />

für Farben<br />

und für das<br />

Erkennen<br />

von feinen<br />

Details<br />

zuständig<br />

sind (ein<br />

Fotobildband<br />

von Frans Lan-<br />

ting — Berge<br />

davon in einem<br />

Billigbuchladen,<br />

der BÜCHERKAUF-<br />

HAUS heißt, oder<br />

so ähnlich. Gleich daneben ein Stapel pinkfarbener<br />

Buch-mit-Spiel-Packungen mit großem Markenaufdruck.<br />

<strong>Ein</strong> AUFRUHR glitzernder Girlifizierung).<br />

Die Zapfen drängen sich in einem Teil der Netzhaut<br />

zusammen, der SEHGRUBE heißt.<br />

Wenn Licht auf die Stäbchen oder die Zapfen der<br />

Netzhaut trifft, wird es in ein sehr schwach elektrisches<br />

Signal umgewandelt, das DANN über den<br />

SEHNERV an das Gehirn weitergeleitet wird. Das<br />

Gehirn übersetzt dann die elektrischen Signale in<br />

die Bilder, die wir sehen. Diese stark vereinfachende<br />

Beschreibung ist in der Regel nur für Lesebücher in<br />

Vorschulen geeignet. ‘Au’ steht für Auge, usw. (‘C’<br />

für Cyclophosphamid, usw.) (Polyphem ist wieder<br />

da, auf einer Abbildung auf der folgenden Seite,<br />

mit umständlichen Ausführungen zu der Frage, wie<br />

Polyphem gesehen haben könnte, gefolgt von einer<br />

pedantischen <strong>Auf</strong>arbeitung seines Zusammentreffens<br />

mit Odysseus, unter Berücksichtigung der eingeschränkten<br />

Tiefenwahrnehmung. Die Illustration<br />

der Szene ist mit Kohle gezeichnet, nicht fixiert.)<br />

[...]<br />

(K)NORPEL<br />

macht sich<br />

heimtü-<br />

ckisch in<br />

deiner<br />

Augenhöhle<br />

breit, Dunst<br />

wallt in das<br />

Flüssige<br />

hinein, das<br />

immer zäher<br />

wird, bis es<br />

im geeigne-<br />

ten Moment<br />

vollkommen aushärtet —<br />

der Unterschied<br />

zwischen Rotz und<br />

getrocknetem Popel; der wandernde Finger stößt<br />

auf einen schlüpfrigen Vorsprung, löst ihn, zieht an<br />

ihm — und entledigt sich dabei ganz unerwartet einer<br />

Menge feuchten, gallertartigen Schleims; eine hängende<br />

Rotzträne, mit einem Splitter daran (der


einen Klumpen von dem rauszieht, was von deinem<br />

beschissenen Hirn noch übrig ist; ein Nieser mit OF-<br />

FENEN Augen ...). Die du dann schluckst (dabei hilft<br />

ein Schluck Whisky mit lauem Eiswasser) — hinein<br />

in den Verdauungsapparat: PSYCHPHARMAKOLO-<br />

GISCHE WIRKSTOFFE. KNORPEL, darin jedem anderen<br />

von diesem Text hier stumm geäußerten Wort<br />

ähnlich, enthält, in seinem verschobenen, geronnenen<br />

Zustand hinter den Augäpfeln und so weiter —<br />

einen gewissen Anteil an ETWAS SO ÄHNLICHEM<br />

wie Dimethyltryptamin oder einer analogen Sub<br />

-stanz. Wie bei Psilocybin und anderen Pilzsubstanzen<br />

(die noch am meisten Ähnlichkeit dazu aufweisen),<br />

kann KNORPEL (als Beispiel) in Abhängigkeit<br />

von der Jahreszeit, von kosmischen Gruppierungen<br />

usw. weiter verbreitet sein oder sich vielleicht als<br />

wirkungsvoller<br />

erweisen. Nehmen<br />

wir also<br />

diesen Monat,<br />

in dem wir<br />

uns gerade<br />

befinden, als<br />

Beispiel: Der<br />

offenkundi-<br />

ge <strong>Ein</strong>fluss,<br />

den dieser<br />

gegenwärtige<br />

Monat<br />

auf die<br />

Wirkung<br />

der Wörter<br />

hat, die du<br />

erfasst, wird<br />

einen direkten<br />

<strong>Ein</strong>fluss auf die<br />

Konsistenz des<br />

<strong>Tumor</strong>s ausüben.<br />

Die bereits erwähn-<br />

ten Rinnsale werden<br />

noch beschwipstere Pfade zeichnen, sich noch<br />

eigensinniger ihre Wege auf der empfindlichen Haut<br />

des <strong>Tumor</strong>s suchen. Das Ergebnis wird die metaphorischen<br />

Differenzen offenlegen: aztekisch, Hahnentritt,<br />

das Maul eines Seeteufels — all das<br />

kommt einem viel eher in den Sinn, als meinetwegen<br />

der geschmeidige Bogen, den eine hochgeworfene<br />

Münze beschreibt. Das ist saisonal und sollte unbedingt<br />

berücksichtigt werden. In etwa einer halben<br />

Stunde wirst du auftauchen, und abhängig davon, wie<br />

hoch die Sonne am Himmel steht, welche Temperatur<br />

die Erde hat, welche Feuchtigkeitswerte herrschen,<br />

wie die Planeten stehen, wie viele Gammastrahlen<br />

die Luft durchfluten, wie hell und kontrastreich das<br />

Umgebungslicht ist, wie lange der GRÜNE STRAHL<br />

anhält, wenn sich die Sonne EINTUNKT (der Wackelkopf<br />

einer Reanimationspuppe), wie viel von dem<br />

Laich in dem traurigen Tümpel es bis zum Frosch<br />

schaffen wird — wenn man das so sagen kann — im<br />

Sitzen, unten beim Spielplatz im Schatten unter<br />

dem kränkelnden Nussbaum; der Alkoholgehalt des<br />

Selbstgebrann-<br />

ten — könnte ganz<br />

fürchterlich<br />

sein.<br />

[...]<br />

Spüre sein<br />

tentakeliges<br />

Zucken im<br />

Inneren<br />

deiner<br />

schwülstigen<br />

<strong>Ein</strong>ge-<br />

weide! Winde<br />

dich vor VER-<br />

ZÜCKUNG,<br />

wenn es wieder<br />

so seltsam in<br />

deinen Zellen wühlt<br />

und rumort! (...) Die<br />

verdrehten, grapschenden Triebe dieses triffiden-artigen<br />

Wortes KNORPEL strecken sich in alle Richtungen<br />

und schlüpfen in deine verzweifelten Öffnungen.<br />

Deren Ränder schleckt das Wort mit seiner stratopharisch-kubenzil-blauen<br />

Zunge ab, blind, zitternd —


ein fraktaler, entarteter Abkömmling weniger Farben,<br />

deren ausschließlich dunklen Töne allerdings so<br />

intensiv wie guatemaltekische Schokolade sind —<br />

oder sogar wie ein Kakaobohnenstück, ein bitteres<br />

Stimulans, halbiert wie eine als Zahn verkleidete<br />

Zyankalikapsel (zum Initiationsritual gehörte auch,<br />

dass eine der Mütter ein Geologenhämmerchen<br />

zur Hand nahm, um einem damit nicht weniger als<br />

vier Zähne auszuschlagen — unter dem johlenden<br />

Beifall der Menge) und runtergeschluckt wie ein<br />

Klecks Galle: mit einem Zucken. Diese fraktale<br />

Enttäuschung breitet sich im Zeitraffer aus, das<br />

Schimmelbeet in einer vergessenen Petrischale, es<br />

infiziert dich und befällt deinen ganzen Körper, erst<br />

wie ein aufblühender Blitz (müde), dann zieht es sich<br />

zurück, bis es endlich zur Ruhe kommt, um sich zu<br />

diesem Klumpen zu<br />

verhärten, diesem<br />

Kugellager-Tu-<br />

mor in dir DRIN.<br />

Währenddes-<br />

sen gibt es im<br />

Oberge-<br />

schoss, in<br />

deinem<br />

Gehirn,<br />

VISIO-<br />

NEN! (mit<br />

Begleitmu-<br />

sik von Josef<br />

Van Wissem<br />

oder Carl<br />

Stalling oder<br />

Smegma oder<br />

Evangelista<br />

oder Kim Doo<br />

Soo — die durch<br />

dein unmelodisches<br />

Summen im<br />

<strong>Ein</strong>zelnen oder auch<br />

zusammen völlig unkenntlich werden (ich stimme<br />

eine Begleitmusik auf meinen Zähnen an, spiele mein<br />

Gebiss wie eine Marimba mit meinem Daumennagel<br />

— immer versucht, die Ouvertüre von Wilhelm Tell<br />

anzustimmen, nur eben à la Spike Jones,<br />

alles Rülpser, Schenkelschlagen und kehlige Knacklaute).)<br />

[...]<br />

Und du sagst ‘”Du bekommst nur die Chance, die du<br />

auch wahrnimmst”’, und wir lachen wie die Hyänen.<br />

Wieder einmal löst das Lachen heftige Schmerzkrämpfe<br />

aus. Tut mir leid, sage ich, aber hey — ist es<br />

das wert?, eine offene Hand auf deiner Schulter. Du<br />

sitzt zusammengekrümmt vor mir, eine Hand auf der<br />

Brust, tränenüberströmt dein Gesicht, das ich kaum<br />

noch wiedererkenne und schon gar nicht trösten<br />

kann. Es ist sehr anstrengend, sagst du, etwas später,<br />

also machen wir ein Schläfchen. (Du nickst ein und<br />

machst dich auf, den <strong>Tumor</strong> zur Rede zu stellen und<br />

das Ende seiner<br />

Kampfhandlungen<br />

zu fordern. Der<br />

<strong>Tumor</strong> antwortet<br />

mit Gummi-<br />

quietschen,<br />

Zerreißge-<br />

räuschen und<br />

Gurgeln.<br />

Das ist die<br />

einzige<br />

Form, in<br />

der du<br />

dieses Ding<br />

begreifen<br />

kannst: im<br />

Traum. Du<br />

rennst durch<br />

das nasse<br />

Gras, weg von<br />

der grauenhaf-<br />

ten Oase mit der<br />

Alarmbeleuchtung<br />

und dem geschwürartigen<br />

Deko-Bau — samt seinem nun bekannten<br />

Bewohner —, auf einen Schatten am Horizont zu, wo<br />

du eine Baumgruppe erahnst. Das Geräusch deines<br />

schweren Atmens liegt über dem feinen, klatschenden<br />

Rascheln der Gräser. Irgendwo hinter dir her


— du drehst dich nicht um, um zu gucken — kommt<br />

dein eigener SCHREI, der alle Filter durchlaufen hat<br />

(Auto Filter, Auto Pan, Beat Repeat, Chorus, Compressor,<br />

Corpus, Dynamic Tube, EQ Eight, EQ Three,<br />

Erosion, Filter Delay, Flanger, Frequency Shifter,<br />

Gate, Grain Delay, Limiter, Looper, Multiband Dynamics,<br />

Overdrive, Phaser, Ping Pong Delay, Redux,<br />

Resonators, Reverb, Saturator, Simple Delay, Spectrum<br />

Utility, Vinyl Distortion, Vocoder, Arpeggiator,<br />

Chord Note Length, Pitch, Random Scale, Velocity;<br />

auch bekannt als: Altretamin, Hexalen, Asparaginase,<br />

Elspar, Bleomycin, Blenoxan, Capecitabin, Xeloda,<br />

Carboplatin, Paraplatin, Carmustin, BCNU, BiCNU,<br />

Cladribin, Leustatin, Cisplatin, Platinol, Cyclophosphamid,<br />

Cytoxan, Neosar, Cytarabin, Cytosar-U,<br />

Dacarbazin, DTIC-Dome, Dactinomycin, Actinomycin<br />

D, Cosmegen,<br />

Docetaxel, Taxoter,<br />

Doxorubicin,<br />

Adriamycin,<br />

Rubex, Imati-<br />

nib, Gleevec,<br />

Doxorubicin,<br />

Lipo- somal,<br />

Doxil, Etopo-<br />

sid, VP-16,<br />

VePesid,<br />

Fludarabin,<br />

Fludara,<br />

Fluorouracil,<br />

5-FU, Adru-<br />

cil, Gemcitabin,<br />

Gemzar,<br />

Hydroxyurea,<br />

Hydrea, Idaru-<br />

bicin, Idamycin,<br />

Ifosfamid,<br />

IFEX, Irinotecan,<br />

CPT-11, Camptosar,<br />

Methotrexat, Rheumatrex<br />

Tabletten, Mitomycin, Mutamycin, Mitotan,<br />

Lysodren, Mitoxantron, Novantron, Paclitaxel, Taxol,<br />

Topotecan, Hycamtin, Vinblastin, Velban, Vincristin,<br />

Oncovin, Vincasar, Vincrex, Vinorelbin, Navelbin. Die<br />

ganze Mannschaft.) Du drängst vorwärts, stolpernd,<br />

weinend, immer noch die Broschüre in der Faust,<br />

delirierend, du arme Sau. Völlig bedröhnt; wer bei dir<br />

eine Autopsie vornehmen müsste, ohne deinen Zustand<br />

zu kennen, hätte seinen großen Tag. Im Hospiz<br />

wissen sie zum Glück bestens Bescheid.<br />

[...]<br />

Später dann, im Wald. Kühler Sonnenschein. Nebelschleier<br />

bis zur Wade. Tote Bäume.<br />

Du bist ein Zustand.<br />

Deine Kleidung hängt in Fetzen<br />

und du bist mit Kot bedeckt.<br />

Du fällst auf die<br />

Knie und beginnst,<br />

dein Pappkörb-<br />

chen mit allen<br />

möglichen Pil-<br />

zen zu füllen,<br />

die aus dem<br />

modrigen<br />

Waldboden<br />

schießen<br />

(vor allem<br />

Samthäubchen<br />

— und<br />

ein paar<br />

Morcheln,<br />

Steinpilze<br />

und — Vor-<br />

sicht — ein<br />

Knollenblät-<br />

terpilz mit<br />

jadegrünem Ge-<br />

kröse), ein paar<br />

isst du gleich. Wäh-<br />

renddessen schlurft<br />

der <strong>Tumor</strong> durch den Supermarkt, er schiebt einen<br />

mittelgroßen <strong>Ein</strong>kaufswagen vor sich her und sammelt<br />

alles ein, was du vorher auf den Zettel geschrieben<br />

hast: Avocados, Broccoli, Weißkohl, Blumenkohl,<br />

Möhren, Chili, überhaupt alle möglichen


Kreuzblütengewächse, Feigen, Leinsamen, Knoblauch,<br />

Pampelmuse, kernlose rote Trauben (die urtypische<br />

Speisekarte eines Genesenden), Grünkohl,<br />

Süßholz, ein paar traurige Champignons, verschiedene<br />

Nüsse, Orangen, Zitronen, Papayas, eine Schale<br />

Himbeeren, ein paar Kisten mit australischem Rotwein,<br />

ein Bund Rosmarin, einen Kübel Blasentang,<br />

Meerfenchel, einen nassen Tofuklotz, Süßkartoffeln,<br />

jede Menge Tee (vor allem grünen), ein paar Manioks,<br />

die wie Püppchen aussehen, Rispentomaten, Kurkuma,<br />

Steckrüben. Er plumpst durch die Haustür und<br />

schleppt sich zur Küche, wo er — ein kurzer Blick auf<br />

die Uhr — beginnt, für das Abendessen zu kochen.<br />

Er hackt alles in grobe Stücke, wirft es dann in einen<br />

schieferfarbenen, gusseisernen, ovalen Le-Creuset-Schmortopf.<br />

Kippt reichlich Olivenöl und den<br />

größeren Teil des<br />

Rotweins darüber.<br />

Dann schlingt<br />

der <strong>Tumor</strong>, wie<br />

üblich, alles<br />

auf einmal<br />

runter und<br />

erbricht<br />

das Ganze<br />

gleich wieder<br />

in den<br />

Topf, den<br />

er auf den<br />

Herd stellt,<br />

zum Kochen<br />

bringt, dann<br />

runterdreht<br />

und auf<br />

kleiner Flam-<br />

me während<br />

der nächsten 40<br />

Minuten köcheln<br />

lässt. Radio 4 dröhnt<br />

laut und verzerrt aus<br />

einem Roberts-Transistorradio, unter dem Küchentisch<br />

hockt der massige, triefende <strong>Tumor</strong> und wartet.<br />

Die Katze scheint ihn zu mögen.<br />

[...]<br />

(Und jedes von diesen Wörtern dreht sich in die Spirale<br />

der Rückkopplungen hinein und verseucht alles,<br />

bis zu einem Brechreiz, mit dem die giftige Schorfkruste<br />

RAUSGEWÜRGT wird — aber nicht alles,<br />

denn ein Rest bleibt übrig, um den <strong>Tumor</strong> zu mästen<br />

und auszustopfen, der dieses Scheißzeug wie ein<br />

Magnet anzuziehen scheint — die fleischigeren und<br />

blutigeren Teile von allem — der abgeranzte, läufige<br />

Hintern eines ausgebeuteten Affen. <strong>Ein</strong> wütend<br />

pulsierendes Rotlicht flutet deine <strong>Ein</strong>geweide, um<br />

jeden Zentimeter auszuleuchten, der Lächerlichkeit<br />

preiszugeben, ein schäbiges Licht, das an dürftigen,<br />

traurigen Sex denken lässt, Proletengewicht, Splitterbesteuerung.<br />

Dieser Monat, hier. Dieser Monat:<br />

der Monat nach dem Monat davor, der GANZ BE-<br />

STIMMT frei, sauber, erwiesenermaßen sauber war.<br />

Softcore, Weich-<br />

zeichner, heiratsfähig,<br />

MUSKEL-<br />

STROTZEND.<br />

KNACKIG.<br />

Stell dir<br />

Morgenlicht<br />

(vormittags,<br />

das ist<br />

wichtig) vor,<br />

das in der<br />

Linse blitzt<br />

und auf<br />

edle, weiße<br />

Baumwollla-<br />

ken scheint,<br />

unter denen<br />

sich perfekte,<br />

dumme Vertre-<br />

ter des blasierten<br />

Menschen-<br />

geschlechts<br />

fröhlich räkeln. Das<br />

Lexikon der Privilegien:<br />

eine Ökonomie zukunftsträchtiger Manneskraft;<br />

die Oberfläche abgestumpfter Gefühlsnervenenden,<br />

usw. Jetzt ist alles ganz anders: Jetzt, da an allem,<br />

was ich sage, schwere Klumpen geronnener Scheiße<br />

kleben, die sich durch die Pisse


von der Innenwand deiner Backe gelöst haben, um<br />

pannenmäßig an den unpassendsten Orten hängen<br />

zu bleiben (irgendwo in der Öffentlichkeit); Blut oder<br />

etwas weniger Dramatisches, weniger Schickliches,<br />

festgebacken im Bettzeug, in der Matratze, an der<br />

Wand, auf dem Boden — Zeug, das die Wände verfärbt,<br />

als sollte es als Puff oder für die Szene eines<br />

Argento-Films herhalten oder beides, oder nach<br />

dem <strong>Auf</strong>prall, im Straßengraben, alles im Schein<br />

der Bremslichter: der letzte, verspätete Traum des<br />

Toyotas, der jetzt umgestürzt seine Insassen in<br />

Fleischbrocken über das Gelände verstreut. Nach<br />

einem kurzen Innehalten fängt jedes einzelne Teil an<br />

zu vibrieren, sich zu bewegen, über die Standspur<br />

auf die Straße zu rollen — und saust davon, um sich<br />

mit den Milliarden anderer obdachloser Büschel aus<br />

totem, blutigen Ge-<br />

webe zu treffen und<br />

in einer Orgie<br />

zu verbinden;<br />

der Tiegel, in<br />

dem der <strong>Tumor</strong><br />

gegossen wird. (...)<br />

Dieses<br />

Sphäroid<br />

aus Terra-<br />

kotta-Ton,<br />

das die<br />

Hände jener<br />

Menschen<br />

angewärmt<br />

haben, die<br />

einem leisen<br />

Mottenflügel-<br />

tod schon ganz<br />

nah sind — in<br />

ihre Furchen ist<br />

inoperabel eingeritzt,<br />

das Handlesen ergibt<br />

NO FUTURE, jede Lebens-, Schicksals- usw. -linie<br />

versickert in einem mikroskopisch kleinen Loch — —<br />

gebrannt im Brennofen, glasiert in Macheten-Grau,<br />

als Suppenfond benutzt. (...) Am Ende der Mahlzeit<br />

aus deiner Schüssel gefischt. Nein: aus deiner Gur-<br />

gel gefischt — du hast dich daran verschluckt,<br />

röchelst, also HAUE ich dir auf den Rücken, zwischen<br />

die Schulterblätter, so fest ich kann, und das<br />

löst es, und du schießt es raus, mit verblüffender<br />

Geschwindigkeit ... und es zerschlägt das Fenster,<br />

spaltet den Baum, fräst ein kreisrundes Loch in einen<br />

Apfel, reißt eine Pik-As-Karte entzwei, durchbohrt<br />

stumpf die Ohrläppchen eines ganzen Jugendklubs<br />

(alles in extremer Zeitlupe und zu den Klängen von<br />

MASCAGNI) — es zertrümmert die Windschutzscheibe<br />

eines roten Toyota Corolla und schlägt direkt<br />

in die Stirn des Fahrers ein, was das Auto von der<br />

Straße wegschleudert. Es hoppelt und springt und<br />

hüpft (wir hoffen verzweifelt, dass es doch noch auf<br />

den wackelnden Rädern landen wird), dann knallt es<br />

brutal auf das DACH, mit einem KRACH, dass die<br />

Lautsprecher bers-<br />

ten. Im Dunkeln<br />

leuchten die<br />

Bremslichter,<br />

nach dem hef-<br />

tigen <strong>Auf</strong>prall<br />

quellen die<br />

Insassen wie<br />

<strong>Ein</strong>geweide<br />

aus dem<br />

Wrack. Das<br />

Sphäroid<br />

aus Ton rollt<br />

zurück in<br />

sein Wohn-<br />

heim-Loch,<br />

um sich<br />

mit einer<br />

weiteren<br />

Tonschicht zu<br />

ummanteln, zu<br />

glasieren und zu<br />

brennen; das Fleisch<br />

wird MECHANISCH<br />

GEBORGEN und von Händen in blauen Plastikhandschuhen<br />

zu einem massiven Fleischball zusammengeklopft,<br />

der auf dem Höhepunkt der Mahlzeit zu<br />

verzehren ist, und zwar von dir, während auf unseren<br />

Tellern Mr. Brain’s Fleischklopse liegen, unter


einem Hauch Bisto-Päckchensoße, auf einem Bett<br />

aus langsam trocknendem Kartoffelbrei. Immer mal<br />

wieder geht ein Blick zu dir rüber, während du dich<br />

mit deiner <strong>Auf</strong>gabe abmühst. Wir spülen es mit Bier<br />

herunter; dir wurde ein Maßkrug voll Oramorph serviert,<br />

den du laut ärztlicher Anweisung bedenkenlos<br />

vertilgen kannst, was du bereitwillig tust, zwischen<br />

Riesenhappen des <strong>Tumor</strong>fleischs.<br />

[...]<br />

(Diese riesige und entsetzliche Gottheit, namenlos,<br />

gegossen, um mit ihrer Gravitation den Gegenpol<br />

zu einem gigantischen Schwarzen Loch zu bilden:<br />

ein maßloser Auswuchs, der alles ABSTÖSST und<br />

den man überall begreift. Physikalisch manifeste<br />

Allmacht — was<br />

für ein furchteinflößendes<br />

Ding!<br />

Es ist genau<br />

da, mit seiner<br />

fleischigen<br />

Oberfläche<br />

— GENAU<br />

DA — be-<br />

schmatzt es<br />

dich unun-<br />

terbrochen<br />

mit Küssen,<br />

bläst dir<br />

seinen aus-<br />

gerülpsten<br />

Atem in die<br />

Lunge (der<br />

Geruch von<br />

Wurstbrät,<br />

Cola, Zwiebeln);<br />

seine dicken Nylonwimpern<br />

kratzen<br />

deine Wange entlang<br />

nach oben, öffnen sich, blind.)<br />

Bonner Kunstverein, August 2012<br />

(Übersetzung aus dem Englischen: Bettina Carl)


Gratis<br />

Dieses Buch wird dein Leben ändern;<br />

es wird dir einen <strong>Tumor</strong> anhexen.<br />

In deinem Dickdarm, oder in<br />

deinem matschigen<br />

Hirn, deiner linken Niere, oder<br />

unter deinem rechten Hoden versteckt.<br />

Als Klumpen in deinen Eierstöcken,<br />

deiner Hirnanhangsdrüse, deiner Brust.<br />

usw.<br />

O

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