DIE KAUFMÃNNISCHE SCHULE - vLw NRW eV
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BERICHTE<br />
WISSENSCHAFTSBEITRAG<br />
Nachgehende Differenzierung<br />
Das Problem<br />
Wenn es um innere Differenzierung (Binnendifferenzierung) geht, ist<br />
die Diskussionslage etwas diffus. Es gibt vielerlei Ideen und Praxisberichte,<br />
die sich aber unter systematischer Perspektive häufig schwer<br />
einordnen lassen. Eine Grundidee ist immer wieder, dass über<br />
Wochenpläne, Freiarbeitsmaterialien, Bearbeitungsvielfalt das<br />
Lernen aus einer strengen Linearität (alle folgen nach dem Geleitzugprinzip<br />
dem Unterricht des Lehrers / der Lehrerin) zu befreien,<br />
um das selbstständige und eher interessenorientierte Lernen zu<br />
fördern. Die Frage ist, ob diese hehre und im Prinzip zu befürwortende<br />
Idee ausreicht, um das Thema „innere Differenzierung“<br />
entscheidend voranzubringen. Wenn z. B. wohlgemeinte Differenzierungsmaßnahmen<br />
ständig durch Leistungsbewertungsverfahren<br />
„abgefangen“ werden, die von allen Schüler(innen)n einer Klasse<br />
einheitlich und zu immer dem gleichen Zeitpunkt absolviert werden<br />
müssen, könnte man diese Differenzierungsaktivitäten unter der<br />
Rubrik „aufgelockerter Unterricht“ rubrizieren. Ein löbliches, aber zu<br />
kurz greifendes Anliegen!<br />
Systematisierung<br />
Es ist daher dringend notwendig, eine Systematisierungshilfe zu<br />
entwickeln, die dem Anliegen „erfolgreicheres Lernen durch Differenzierung“<br />
folgt. Der Vorschlag ist folgender:<br />
• Mit dem Begriff der nachgehenden Differenzierung werden alle<br />
Maßnahmen gefasst, die dem herkömmlichen lehrerorientierten<br />
vermittelnder arbeitenden Unterricht folgen und der zentralen<br />
Intention dienen, die Lernprozesse der Schüler/-innen zu den für<br />
alle gesetzten Lernzielen möglichst erfolgreich zu gestalten, um<br />
dann die in absehbarer Zeit angesetzten Leistungskontrollen positiv<br />
bestehen zu können. Das heißt, differenzierende Maßnahmen<br />
sind zweckorientiert. Sie sollen besser als der lehrerorientierte<br />
Unterricht gesetzte Lernziele erreichen helfen.<br />
• Der Differenzierungsansatz ist grundsätzlich ein anderer, der über<br />
die Differenzierung der Lernziele (für die einen anspruchsvoller<br />
und komplexer, für die anderen weniger anspruchsvoll und<br />
einfacher) Lernprozesse initiiert. In der Konsequenz dieses Ansatzes<br />
liegt der Verzicht auf gleiche Klassenarbeiten für alle Schüler/-innen<br />
einer Klasse (Konzept der Zieldifferenzierung).<br />
• Ein dritter Ansatz liegt vor, wenn an eine vielfältige und arbeitsteilige<br />
Lernarbeit zu Unterrichtsthemen gedacht ist (Bearbeitungsdifferenzierung),<br />
wenn interessen- und wahlorientiert gearbeitet<br />
werden soll. Das bei diesem Ansatz häufig ungelöste Problem ist<br />
mit der Frage zu formulieren: Was sollen denn am Ende alle kennen<br />
und können und in welcher Weise sind exemplarisch zu denkende<br />
Schwerpunkte (von Gruppe zu Gruppe, von Schüler zu Schüler<br />
unterschiedlich) mit elementarem Allgemeinwissen für alle zu<br />
verbinden?<br />
• Wiederum anders ist der Differenzierungsansatz, der die Ziele,<br />
Kompetenzen und Lernbereiche vorgibt und den Lernenden dann<br />
freistellt, die Lernwege und -aktivitäten selbstständig in Richtung<br />
der Vorgaben zu organisieren, dabei sowohl die Wege wie die Zeit<br />
als auch die Leistungskontrollen in die Entscheidung/Planung der<br />
Lernenden gibt. Mit dem Begriff des kompetenzorientierten<br />
Unterrichts wird dieser Ansatz belegt. Er wird Zukunft haben. Wenn<br />
man ihn konsequent verfolgt, wird sich die Heterogenität der Lernstände<br />
(sie ist gewollt!) und die Differenziertheit der Lernarbeit in<br />
einer Klasse verstärken. Ein Schüler bearbeitet den Mathematikstoff<br />
des 5. Schuljahres, ein anderer ist möglicherweise schon beim<br />
Mathematikstoff des 6. Schuljahres). Es handelt sich um die Variante<br />
der sog. freigebenden Differenzierung.<br />
Die These ist, dass es für die innere Differenzierung diese vier Ansätze<br />
gibt. In der konkreten Realisierung müssen sich praktische Differenzierungsmaßnahmen<br />
nach dem einen oder anderen Ansatz identifizieren<br />
lassen. Sonst wäre Zufälligkeit das Prinzip! Für die äußere Differenzierung<br />
ist die Problemlage eine andere. Sie wird hier nicht<br />
verfolgt.<br />
Konkrete Subkonzepte nachgehender Differenzierung<br />
Hat man den Orientierungsrahmen, kann man sich auf die Frage<br />
einlassen, welche Varianten/Subkonzepte für die nachgehende Differenzierung<br />
denkbar sind. Einige sollen dargestellt werden.<br />
1. Der UNIT-Plan<br />
Gewissermaßen ein klassischer Fall von nachgehender Differenzierung<br />
ist der sog. UNIT-Plan im Fremdsprachenunterricht. Dieser ist<br />
zumeist lehrgangsmäßig organisiert und an einem Lehrwerk orientiert.<br />
Wenn man davon ausgehen kann, dass eine UNIT (eine Unterrichtseinheit,<br />
eine Lektion) Lernziele in Bezug auf Wortschatz, Grammatik,<br />
Textverständnis, Lesevermögen genügend genau expliziert,<br />
können die zur Verfügung stehenden Vokabellisten, Zusammenstellungen<br />
von Redemitteln, Tonkassetten, Hörtexte u. a. m. Grundlage<br />
für einen Set sog. activities (Aufgaben) sein. Alle Schüler/-innen<br />
bekommen eine Liste mit den activities. Sie enthält Ankreuzungsmöglichkeiten<br />
(verpflichtend/wahlfrei). Die activities gliedern sich<br />
nach den entsprechenden Inhalten der UNIT: z. B. 1. Reading (Höre<br />
dir den Text an und lies ihn dabei leise mit! Versuche, alles zu verstehen.<br />
Wenn du Wörter nicht kennst, schlage auf Seite 159/160 oder im<br />
alphabetischen Wörterverzeichnis nach! usw.) 2. Grammar (simple<br />
past): Es geht darum, den Gebrauch des simple past zu lernen (die<br />
Regeln dazu stehen im Buch auf S. 32/33. Gehe sie ggf. noch einmal<br />
durch! Schreibe dann die Sätze zu „What things did she do last week?<br />
usw.) 3. Writing (Schreibe einen Text zum Thema „clothes“! Die Seiten<br />
92/93 in deinem Buch und S. 43 in deinem Workbook geben dir Anregungen,<br />
usw.)<br />
Unter dem Differenzierungsaspekt ist wichtig, dass die activities nicht<br />
einfach vorgeschrieben werden (fremdbestimmtes Arbeiten),<br />
sondern dass sie ein Angebot sind, aus dem Schüler/-innen nach<br />
Maßgabe der Einschätzung ihres Könnens/Noch-nicht-Könnens, ihrer<br />
Fehler activities wählen, die sie zur Vervollständigung ihrer Lernprozesse<br />
bringen. Dafür brauchen sie ein verlässliches Instrument. Das<br />
kann ein Kompetenzraster sein oder, wenn ein solches noch nicht<br />
<strong>DIE</strong> KAUFMÄNNISCHE <strong>SCHULE</strong> 1/10