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Liebe Abiturientinnen und Abiturienten, liebe Kolleginnen und ...

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<strong>Liebe</strong> <strong>Abiturientinnen</strong> <strong>und</strong> <strong>Abiturienten</strong>, <strong>liebe</strong> <strong>Kolleginnen</strong> <strong>und</strong> Kollegen, <strong>liebe</strong> Eltern, sehr geehrte<br />

Festgäste,<br />

Factum est! Es ist geschafft!<br />

Nach 25 Jahren als Klassenlehrer oder Tutor eines Leistungskurses stehe ich hier oben <strong>und</strong> darf<br />

die Abiturrede halten. Nicht etwa weil ich mich dazu aufgedrängt hätte oder ein besonders guter<br />

Redner wäre, nein, ich war bei der Auswahl einfach dran <strong>und</strong> löste bei den jährlich in Frage<br />

kommenden Kandidaten schon eine gewisse Erleichterung aus. Die Rednerfindungskommision,<br />

kurz RFK, hatte einen gef<strong>und</strong>en, der geradezu prädestiniert schien.<br />

Trotzdem:<br />

wenn ich ganz ehrlich bin, fühle ich mich jetzt ein wenig wie viele von Euch <strong>Abiturienten</strong> vor den<br />

mündlichen Prüfungen: mir sitzt ein Kloß im Hals, <strong>und</strong> ich habe eigentlich alles vergessen, was<br />

ich zuhause vorbereitet habe. Ganz zu schweigen von Medien oder ähnlichen Hilfsmitteln, die<br />

meine Präsentation stützen sollen. Damit es wenigstens bei fünf Punkten bleibt <strong>und</strong> ich somit den<br />

reproduktiven Teil bestehe, gestattet mir, dass ich ein paar Mal mehr auf mein Konzept schaue.<br />

Ich muss es glücklicherweise ja nicht abgeben, wie Ihr das bei der Prüfung habt tun müssen.<br />

Der erste Weg meiner Vorbereitung führte natürlich auch mich ins Internet, das Allheilmittel der<br />

modernen Kommunikation. Das Ergebnis war erstaunlich: es werden etwa 30 bis 50 "Links" zu<br />

Abiturreden aus den letzten Jahren angeboten. Die Reden sind auf den Homepages fortschrittlicher<br />

deutscher Gymnasien zu finden <strong>und</strong> stehen dort zum Nachlesen oder "Downloaden" zur<br />

Verfügung. Am einfachsten wäre es gewesen, wenn ich eine dieser Reden gehalten hätte; wahrscheinlich<br />

wäre keinem der Anwesenden etwas aufgefallen <strong>und</strong> es ist zu vermuten, dass die eine<br />

oder andere dieser Reden in diesen Tagen mehrmals an deutschen Gymnasien vorgetragen<br />

wurde. Nicht die Angst vor Entdeckung hat mich daran gehindert so vorzugehen, sondern mein<br />

Wunsch <strong>und</strong> Bedürfnis doch ein paar eigene Anmerkungen zum heutigen Anlass <strong>und</strong> Tag beizusteuern.<br />

Dabei habe ich davon Abstand genommen, die vielen Zitate <strong>und</strong> schlauen Sprüche von<br />

Schulleiterinnen <strong>und</strong> Schulleitern, Dichtern, Denkern <strong>und</strong> Philosophen, die natürlich auch angeboten<br />

werden, in irgendeiner Weise für mich zu verwerten. Ich habe mich nämlich daran erinnert,<br />

dass ich als regelmäßiger Besucher von Abiturfeiern unserer Schule vieles gehört habe, was mir<br />

schwer fiel zu verstehen. Ich bin auch überzeugt, dass es den Schülerinnen <strong>und</strong> Schülern ähnlich<br />

ergangen ist. Sie haben sich nur nicht getraut, Kritik zu üben. Somit habe ich mich dazu entschlossen,<br />

anhand der profanen Dinge des Lebens ein paar Gedanken zu äußern, die Sie alle in<br />

die Welt führen, die im Augenblick der Mittelpunkt schlechthin ist, nämlich in die Welt des Fußballs<br />

<strong>und</strong> seiner einfachen Regeln, die möglicherweise auch für Euch, <strong>liebe</strong> <strong>Abiturientinnen</strong> <strong>und</strong><br />

<strong>Abiturienten</strong>, wichtige Meilensteine für Euren weiteren Lebensweg darstellen.<br />

Fußball ist nämlich ein einfaches Spiel <strong>und</strong> jeder von Euch möchte es ja nach diesen schweißtreibenden<br />

Wochen wieder möglichst einfach haben. Dass auch die deutsche Mannschaft just in<br />

diesen Minuten noch weit davon entfernt ist, steigert die Aktualität meiner Ausführungen! Wer<br />

sich also mit dem Fußball beschäftigt, kann nicht umhin, sich auch mit dem Regelwerk auseinan-


der zu setzen. Der Fußball wird bestimmt von 17 mehr oder weniger einfachen Regeln. Experten<br />

oder solche, die es werden wollen, erfahren zum Beispiel etwas über das Spielfeld, den Ball, die<br />

Dauer des Spiels, die Zahl der Spieler, die Ausrüstung, den Schiedsrichter, die Schiedsrichter<br />

Assistenten, über Abseits <strong>und</strong> den Strafstoß, über verbotenes Spiel <strong>und</strong> unsportliches Betragen,<br />

über den Einwurf, den Eckstoß oder Abstoß usw. usw.<br />

Jede Regel enthält eigene Bestimmungen <strong>und</strong> Anweisungen, an die die Spieler geb<strong>und</strong>en sind,<br />

die aber leider nicht immer beachtet werden. Was liegt also näher als die Regeln des Fußballs<br />

mit den Regeln des Schulalltags zu assoziieren?<br />

Freilich:<br />

Alle vorgegebenen Regeln auf das Spielfeld „Schule“ zu projizieren, würden den zeitlichen Rahmen<br />

sprengen, ich beschränke mich deswegen auf eine kleine Auswahl. Zum Beispiel behandelt<br />

die Regel 1 das Spielfeld. Es muss „rechtwinklig sein. Die Länge der Seitenlinien muss in jedem<br />

Fall die Länge der Torlinie übertreffen. In der Mitte jeder Torlinie sind Tore aufzustellen, 7,32m<br />

breit <strong>und</strong> 2,44m hoch usw. usw. Damit ein Spiel stattfinden <strong>und</strong> gelingen kann, muss also das<br />

Spielfeld bestimmten Anforderungen genügen. Das Spielfeld in dieser Regel 1 setze ich in Verbindung<br />

mit dem Wort „Umfeld“. Was für ein Umfeld hat Euch, <strong>liebe</strong> <strong>Abiturientinnen</strong> <strong>und</strong> <strong>Abiturienten</strong><br />

unsere Schule während der letzten neun Jahre geboten? Wenn ich mir die äußere Fassade<br />

dieser Schule betrachte, werdet Ihr mit mir einer Meinung sein, dass die Renovierung zum<br />

richtigen Zeitpunkt kommt. Es kann für Euch nicht befriedigend gewesen sein, teilweise in Räumen<br />

zu sitzen, deren Größe eben nicht für Kurse oder Klassen mit 30 erwachsenen Menschen<br />

ausgelegt war. Die Maße eines Spielfeldes (105 m lang <strong>und</strong> 70m breit) wären natürlich ein übertriebener<br />

Luxus, aber angenehm sitzen sollte man schon können. Immerhin wurden ja in den<br />

letzten Jahren neue Stühle <strong>und</strong> Bänke angeschafft. Zum Umfeld gehören auch Unterrichtsmaterialien<br />

<strong>und</strong> die Ausstattung mit Medien jeglicher Form, bei Bildungsexperten heutzutage das Non<br />

plus ultra des modernen Unterrichts schlechthin. Was nützen die hehren Ziele aber, wenn aus<br />

finanziellen oder welchen Gründen auch immer Schüler Bücher benutzen müssen, die schon ihre<br />

Eltern, inzwischen zum Teil schon ihre Großeltern in Händen hielten <strong>und</strong> ggf. sogar eine Kopierflut<br />

<strong>und</strong> –Wut der Lehrer einsetzt, weil überhaupt keine Texte oder Bücher vorhanden sind. Von<br />

der Arbeit mit dem Buch konnte auch nicht immer die Rede sein, weil ihr ja nichts reinschreiben<br />

durftet. Gewiss haben manche von Euch den Computerraum auch von innen gesehen, aber ein<br />

kontinuierlicher Einsatz dieses angeblichen W<strong>und</strong>ermediums scheitert an vielen Faktoren <strong>und</strong><br />

nicht nur daran, dass Lehrer sich nicht trauen, mit Computern umzugehen. Umfeld hat aber auch<br />

etwas mit einer „inneren“ Fassade zu tun. Schulen in kirchlicher Trägerschaft, so auch die unsere,<br />

sind keine Oasen einer heilen Welt.<br />

Um Glaubensbereitschaft <strong>und</strong> Glaubensfestigkeit bei Schülern <strong>und</strong> Lehrern werden sich alle Beteiligten<br />

immer wieder bemühen müssen. Die Möglichkeit, mit ihrer christlichen Botschaft nicht<br />

angenommen zu werden, macht die kirchliche Schule jedoch nicht bedeutungslos. Sie weiß darum,<br />

dass nicht alle Absolventen ihre geistige Heimat im Glauben der Kirche finden. Alle, die in<br />

den Erziehungsprozess der Schule einbezogen sind, dürfen aber darauf vertrauen, dass ihr Einsatz<br />

auch bei solchen Schülerinnen <strong>und</strong> Schülern nicht vergeblich war, sondern zu gegebener


Zeit Früchte tragen wird. Eine Schule wie die Albertus-Magnus-Schule hat somit Anteil am Verkündigungsauftrag<br />

der Kirche <strong>und</strong> ist eingeb<strong>und</strong>en in die Gesamtheit der Seelsorge an den Menschen.<br />

Angesichts der häufig fehlenden religiösen Erziehung im Elternhaus <strong>und</strong> im Unterschied<br />

zur geistigen Situation an vielen öffentlichen Schulen bietet unsere Schule möglicherweise auch<br />

eine religiöse Heimat. Dies umzusetzen liegt aber in hohem Maße an uns allen, die wir uns dieser<br />

Schule zugehörig fühlen. Ich kehre zu dem Alltäglichen zurück:<br />

Wie habt Ihr in Eurer Schulzeit das Miteinander oder auch Gegeneinander erlebt? Vielleicht gibt<br />

es ja doch noch ein paar unter Euch, die an unserer Schule so enge Fre<strong>und</strong>schaften geknüpft<br />

haben, dass sie auch nach der Schulzeit Bestand haben. Vielleicht gab es ja Begegnungen mit<br />

Mitschülern, den Lehrern, der Schulleitung, der Schulverwaltung, den Hausmeistern oder den<br />

Sekretärinnen, die über die Enge eines begrenzten Strafraumes hinausgingen. Vielleicht habt ihr<br />

ja bei einer gemeinsamen Vorbereitung zur Abiturprüfung oder der Abiturzeitung mit anderen<br />

einen Teamgeist entwickelt, den ihr auch in Zukunft nicht missen möchtet.<br />

Ich würde es Euch wünschen! Regel 5 beim Fußball befasst sich mit dem Schiedsrichter, der „die<br />

unbeschränkte Vollmacht hat, den Fußballregeln in dem Spiel Geltung zu verschaffen, für das er<br />

nominiert wurde“. Wahrlich eine bedeutungsschwangere Aufgabe, der sich nur „hartgesottene“<br />

Idealisten stellen. Wie leicht fällt da die Verbindung zur Rolle der Lehrerinnen <strong>und</strong> Lehrer an unseren<br />

Schulen als Hüter des „Regelwerkes“. Bertold Brecht sagt: "Während meines neunjährigen<br />

Eingewecktseins an einem Augsburger Realgymnasium gelang es mir nicht, meine Lehrer wesentlich<br />

zu fördern." Ich zitiere Wilhelm Busch "Denn wer böse Streiche macht, gibt nicht auf den<br />

Lehrer acht." Im Spiegel Nr. 18 aus dem Jahre 2006 steht: „Lehrer ist kein Beruf, sondern eine<br />

Diagnose." Kurzum: "Der perfekte Lehrer trinkt nicht, raucht nicht, spielt nicht <strong>und</strong> existiert nicht."<br />

In diesem Bereich habe ich mich ein wenig an einen Artikel angelehnt, der im April 2005 in der<br />

ZEIT erschienen ist. Dort heißt es: „Ein deutscher Lehrer muss alles können. Er muss erziehen,<br />

sein Fach mit Leidenschaft <strong>und</strong> Fachk<strong>und</strong>e unterrichten <strong>und</strong> soziale Konflikte schlichten. Er muss<br />

mit immer größeren Leistungsunterschieden in immer größeren Klassen klar kommen, Schulbetrieb<br />

<strong>und</strong> Klassenfahrten organisieren, den Kontakt mit Betrieben <strong>und</strong> Jugendeinrichtungen des<br />

Umfeldes pflegen. Dazu muss er mit Eltern über Erziehungsaufgaben reden, jedes Kind individuell<br />

fördern.“<br />

Diese Bewertung steht im krassen Gegensatz zu dem tatsächlichen Bild, das die Gesellschaft<br />

von ihren Lehrern hat. Die mangelnde Anerkennung in der Öffentlichkeit ist nicht erst seit PISA<br />

ein gravierendes Problem. Der ehemalige B<strong>und</strong>eskanzler Schröder hat mit seinem Spruch „von<br />

den faulen Säcken“ der Zunft sicher keinen Gefallen getan. Bestimmt ist diese Verachtung ungerecht<br />

gegenüber einem Beruf, den an manchen Schulen selbst ein gewiefter Manager oder ein<br />

nervenstarker Unternehmer kaum einen Morgen lang durchstehen würde, ohne an Flucht zu<br />

denken. Aber mal ehrlich, – woran denkt Ihr, <strong>liebe</strong> <strong>Abiturientinnen</strong> <strong>und</strong> <strong>Abiturienten</strong> eigentlich bei<br />

Lehrern? Denkt Ihr an Leidenschaft, natürliche Autorität <strong>und</strong> Vorbild? Denkt Ihr an Führung durch<br />

das Reich der Erkenntnis? Oder denkt Ihr an staubige Studienräte, an Didaktiker <strong>und</strong> lebensferne<br />

Akademiker? Ganz gewiss gibt es sie, die Lehrer, die sich voller Enthusiasmus <strong>und</strong> mit vielen<br />

Ideen für ihren Beruf einsetzen, die humorvoll sind, natürliche Autorität besitzen <strong>und</strong> für ihre


Schüler ein offenes Ohr haben. Ich hoffe zumindest, dass ihr an unserer Schule einige davon<br />

kennen gelernt habt. Und es gibt natürlich auch Schüler, bei denen das Auftreten von Lehrern auf<br />

äußerst fruchtbaren Boden fällt. Dass beides zusammenkommt, ist sicher das Geheimnis des<br />

Gelingens <strong>und</strong> des Bemühens. Und trotzdem: Wer wird in Deutschland eigentlich Lehrer <strong>und</strong><br />

warum? Wer immer den Lehrberuf anstrebt, reflektiert in seiner Ausbildung weder seinen künftigen<br />

Beruf, noch kann er prüfen, ob er eine persönliche Eignung zum Umgang mit Kindern besitzt.<br />

Ist dem nicht so, ist der Weg in die Verzweiflung kurz. Der Praxisschock, ein zu hoher Selbstanspruch<br />

<strong>und</strong> ein idealisiertes Lernbild tragen wesentlich dazu bei.<br />

Wie werden angehende Pädagogen eigentlich auf die Praxis in der Schule vorbereitet? Offenk<strong>und</strong>ig<br />

sind Studium <strong>und</strong> Referendariat verschiedene Welten. Der Schüler, das unbekannte Wesen,<br />

beschert vielen jungen Pädagogen den erwähnten Praxisschock, wenn sie das erste Mal vor<br />

einer Klasse stehen, mit dem Ergebnis, dass es nur einer von zehn Lehrern bis zur Rente schafft,<br />

das heißt, dass 72% der Lehrer in Deutschland aus ges<strong>und</strong>heitlichen Gründen vorzeitig in Pension<br />

gehen. Bei der Hälfte von ihnen sind psychische oder psychosomatische Erkrankungen die<br />

Ursache. Der B<strong>und</strong>esverband der Unfallkassen hat deshalb ein Handbuch zur „Lehrerges<strong>und</strong>heit“<br />

herausgegeben, das Lehrern <strong>und</strong> Schulleitern helfen soll, die Situation in ihren Schulen zu<br />

verbessern. Eine bedenkliche Entwicklung, wie ich finde! Gleichwohl: Zur Zeit meiner Ausbildung<br />

schwadronierten, Schüler würden sagen „laberten“, Fachleiter über Habermas, über die Didaktik<br />

des Geschichtsoder Lateinunterrichts, über hochtrabende pädagogische Erziehungsziele, während<br />

wir Referendare <strong>liebe</strong>r gewusst hätten, wie man Ruhe in die Klasse bringt, den Unterschied<br />

zwischen starken <strong>und</strong> schwachen Verben erklärt <strong>und</strong> die chronische Rechtschreibschwäche unserer<br />

Schüler in den Griff bekommt. Ich bin davon überzeugt, dass heute gewiss vieles anders<br />

gemacht wird, trotzdem rufe ich den Erziehungswissenschaften zu: Handwerk statt Habermas,<br />

mehr Schule als Module! Kompetenzen wie Konflikt <strong>und</strong> Diagnosefähigkeit, die im Umgang mit<br />

Kindern <strong>und</strong> Jugendlichen ebenso wichtig sind wie Fachkenntnisse, kommen möglicherweise in<br />

der Ausbildung zu kurz. Geradezu ein Luxus, wenn man sich die Statistik über die Gewaltbereitschaft<br />

deutscher Schüler an unseren Schulen ansieht.<br />

Lehrer heute werden in einen zum Teil unerträglichen Konferenzzirkus eingeb<strong>und</strong>en, der ihnen<br />

die Zeit für die gründliche Vorbereitung von Unterricht, das Erstellen von Förderplänen, die Beratung<br />

von Eltern <strong>und</strong> Schülern erschwert. Die kostbare Lehrerarbeitszeit wird für ein Zuviel an<br />

Brimborium verplempert. Die richtigen Prioritäten im Lehrerberuf sind meines Erachtens:<br />

Platz 1: Unterricht halten<br />

Platz 2: Unterricht vorbereiten<br />

Platz 3: Unterricht nachbereiten<br />

Platz 4: Beratung von Schülern <strong>und</strong> Eltern<br />

Platz 5 bis 10 nichts<br />

ab Platz 10 der bürokratische, moderne <strong>und</strong> sonstige Rest.<br />

Diese schlichte Weisheit scheint völlig in Vergessenheit geraten zu sein. An sie zu erinnern, ist<br />

darum Pflicht, weil deutsche Lehrer mit einer jährlichen Unterrichtszeit zwischen 865 <strong>und</strong> 1.072


St<strong>und</strong>en deutlich vor den nächst platzierten finnischen Pädagogen (679 bis 891) rangieren. Auch<br />

bei PISA ist bekannt geworden, dass z.B. japanische Vollzeitlehrer nur 1516 St<strong>und</strong>en Unterricht<br />

in der Woche geben, finnische 21 maximal 23 St<strong>und</strong>en, dass dies bei deutschen Lehrkräften<br />

deutlich höher ist, auch wenn der „Volksm<strong>und</strong>“ dies nicht wahrhaben will. Wer Unterrichtsqualität<br />

will, muss dafür sorgen, dass dieser Unterricht gründlich <strong>und</strong> in Ruhe vorbereitet werden kann.<br />

Wie möglicherweise bei den Schiedsrichtern der WM bedarf es bei den Lehrern besserer psychologischer<br />

Schulung <strong>und</strong> nicht einer von Mal zu Mal verschärften Regulierungssucht des Weltverbandes<br />

sprich der Schulämter. Vielleicht sind ja auch manche Kollegen <strong>und</strong> <strong>Kolleginnen</strong> wie die<br />

Referees dem allseitigen Druck nicht gewachsen. Streng strafen nach unten, streng gehorchen<br />

nach oben <strong>und</strong> am Ende von Meister Blatter oder Meister Schröder abgekanzelt zu werden! Souveränität<br />

erreicht man anders <strong>und</strong> ist anders!<br />

Damit sind wir aber bei dem, um das es im Fußball wirklich geht, um das sich alles dreht: nämlich<br />

um das Spielobjekt, das „R<strong>und</strong>e“, das ins Eckige muss: den Ball! Bei der WM trägt er<br />

ironischerweise den Namen „Teamgeist“. Und trotzdem beklagen sich vor allem die Torhüter. „Er<br />

ändert in der Luft öfters die Richtung“, meinte der englische Torwart Robinson, er sei ein so genannter<br />

„Flatterball“. Und dabei heißt es in der Regel 2 über den Ball: „er ist regelgerecht, wenn<br />

sein Druck 0,61,1 Atmosphären beträgt, was 6001100 Gramm pro qcm auf Meereshöhe entspricht.“,<br />

d.h. mit anderen Worten, ohne ordentlichen Luftdruck fliegt der Ball nicht, ist gewissermaßen<br />

platt <strong>und</strong> kann nicht bewegt werden. Der Ball im schulischen Leben ist der Unterricht mit<br />

den Schülerinnen <strong>und</strong> Schülern. So heißt es: "Alle schlafen, einer spricht, so was nennt man Unterricht."<br />

Nicht immer sind Lehrer in der Lage, Stärken <strong>und</strong> Schwächen ihrer Schüler angemessen<br />

zu erkennen <strong>und</strong> sie dementsprechend optimal zu fördern. Dazu gehört, sie zu selbstständigem<br />

Arbeiten zu animieren. Nur wenn Schüler geistig aktiv werden, sich Gedanken machen,<br />

Verknüpfungen herstellen, ordnen <strong>und</strong> formulieren, wird der Unterricht zu einem gemeinsamen<br />

Erfolgserlebnis. Und kaum ein Jugendlicher wird sich einem Lehrer verweigern, der durch sein<br />

Können, seine Authentizität <strong>und</strong> sein Interesse für Schüler Autorität besitzt.<br />

Worüber nach PISA nur selten geredet wurde, ist aber die Unterrichtsqualität, d.h. die Methoden,<br />

mit denen die Siegerländer wie z.B. Japan, Korea oder Finnland ihre Superergebnisse erzielt<br />

haben. Wenn es denn daran liegen sollte, dann hätte man schlicht <strong>und</strong> einfach festhalten müssen,<br />

dass der Frontalunterricht allen anderen Mätzchen im Unterricht überlegen ist. In Japan <strong>und</strong><br />

Korea ist trotz gelegentlicher Problemstellungen, die die Kinder dann alleine bearbeiten müssen,<br />

der Frontalunterricht des Lehrers dominant, nur in der Oberstufe wird zuweilen Gruppenarbeit<br />

eingesetzt. Für unsere Zwecke ist deswegen Finnland gerne das Modellland, an dem man sich<br />

orientiert. Und, obwohl es keinen kausalen Beleg dafür gibt, wird das integrierte Schulsystem<br />

dafür verantwortlich gemacht. Aus gutem Gr<strong>und</strong>e hat man wohl die PISA-Ergebnisse nicht für<br />

unsere GanztagsGesamtschulen veröffentlicht. Ein Patentrezept für wirklich guten Unterricht<br />

kann ich trotz einer durchaus langen Erfahrung aber auch nicht geben. Mit Sicherheit habt ihr,<br />

<strong>liebe</strong> <strong>Abiturientinnen</strong> <strong>und</strong> <strong>Abiturienten</strong>, an der AMS viele Beispiele erlebt, die Euch gefallen oder<br />

die Euch weniger gefallen haben. Für mich persönlich war <strong>und</strong> ist es immer wichtig, dass Schülerinnen<br />

<strong>und</strong> Schüler in ihrem Tun ernst genommen werden. Der Unterrichtsstoff ist die eine Sache,<br />

das Umgehen miteinander eine andere. So wie ein Fußballspiel mehr ist als ein 1:0, geht es


eben im Unterricht nicht nur um die Deklination oder Konjugation lateinischer Verben, um Wahrscheinlichkeitsrechnung,<br />

um das angehängte „s“ im Englischen oder um die Problematik der<br />

deutschen Teilung.<br />

Es geht auch darum zu lernen, den anderen zu achten <strong>und</strong> im Alltag Zivilcourage zu zeigen. Dies<br />

gilt für Lehrende <strong>und</strong> Lernende gleichermaßen. Es geht aber auch darum, Ergebnisse zu akzeptieren<br />

<strong>und</strong> nicht aus reinem Eigeninteresse in Frage zu stellen, wenn das Spiel oder eben eine<br />

Prüfung zu Ende ist. Fair geht vor! Punkte, die am so genannten „grünen Tisch“, erstritten wurden,<br />

hinterlassen einen faden Beigeschmack. Wie auch immer:<br />

<strong>Liebe</strong> <strong>Abiturientinnen</strong> <strong>und</strong> <strong>Abiturienten</strong>, denkt auf Eurem weiteren Lebensweg an den Spruch<br />

unseres früheren B<strong>und</strong>eskanzlers Konrad Adenauer: „Das Wichtigste ist der Mut.“ Die Welt<br />

braucht Menschen, die ihr Bestes geben wollen, nicht nur im Blick auf die eigene Karriere, sondern<br />

weil sie verstanden haben, dass es auf ihren Einsatz <strong>und</strong> auf ihr Bemühen ankommt, wenn<br />

die Verhältnisse zum Positiven gewendet werden sollen. Dazu reicht keine Halbbildung oder<br />

auch kein Halbwissen, das sich hinter einer permanenten Geschwätzigkeit verbirgt, aber aus<br />

Bequemlichkeit erwächst. Wer verantwortungsvoll handeln will, muss fleißig <strong>und</strong> zuverlässig sein,<br />

er oder sie muss die eigenen Fähigkeiten ständig erweitern, denn nur durch hohe Sachkompetenz<br />

können in unserer hoch entwickelten, komplexen <strong>und</strong> globalen Welt richtige Entscheidungen<br />

getroffen werden. Wir brauchen vor allem auch hoffnungsfrohe Menschen, aber solche mit Augenmaß,<br />

die nicht gleich die ganze Welt verändern wollen, sondern an dem Platz, an dem sie<br />

stehen, schon einmal mit der Veränderung beginnen. Zu großspurige Vorhaben enden meist in<br />

Resignation <strong>und</strong> Untätigkeit. Bewähren muss man sich im jeweiligen Augenblick <strong>und</strong> dem Menschen<br />

gegenüber, dem man im jeweiligen Augenblick begegnet. Trotz PISA-Studie <strong>und</strong> bedrohlicher<br />

Wolken am Bildungshimmel unseres Landes: Ihr, <strong>liebe</strong> <strong>Abiturientinnen</strong> <strong>und</strong> <strong>Abiturienten</strong> des<br />

Jahrgangs 2006, Eure Eltern <strong>und</strong> auch wir <strong>Kolleginnen</strong> <strong>und</strong> Kollegen haben es geschafft. Auch<br />

ohne Ganztagsschule, die meisten auch ohne Fremdsprache schon im Kindergarten! Ich bin sicher<br />

<strong>und</strong> das haben viele mündliche <strong>und</strong> schriftliche Prüfungen bestätigt, dass Ihr nicht nur über<br />

eine sichere Lesekompetenz verfügt <strong>und</strong> durchaus in der Lage seid, allgemeine mathematische<br />

Probleme zu lösen, sondern darüber hinaus noch manche Kenntnisse <strong>und</strong> Fähigkeiten mitnehmt,<br />

die in der PISA-Studie nicht getestet wurden. Ich denke da an den persönlichen Einsatz für unsere<br />

Schulgemeinschaft. Viele unter Euch waren stets da, wenn sie gebraucht wurden. Davon habe<br />

ich mich als Tutor selbst überzeugen können. Ihr habt bei zahlreichen schulischen Aufgaben vielfältige<br />

Fähigkeiten unter Beweis gestellt, die unter dem Stichwort „emotionale Intelligenz“ zusammengefasst<br />

werden könnten. Diese ist meines Erachtens für den Lebenserfolg wichtiger als<br />

allein die „kognitive Intelligenz“. Eure Intelligenz war gefragt <strong>und</strong> nicht zu Gast bei Fremden. Aus<br />

meiner Sicht habt Ihr gezeigt, dass Ihr trotz manchem Ärger, den die Natur der Sache mit sich<br />

bringt, die Zielsetzung dieser Schule verstanden habt!<br />

<strong>Liebe</strong> <strong>Abiturientinnen</strong> <strong>und</strong> <strong>Abiturienten</strong>, begonnen habe ich meinen Vortrag mit einem lateinischen<br />

Eingangswort. Beschließen möchte ich mit einem ebensolchen; unterstützt durch die Gestik,<br />

zu der ich in meiner langen Schiedsrichterkarriere eher selten als letztes Mittel gegriffen habe.


In diesem Fall halte ich es aber für absolut gerechtfertigt <strong>und</strong> es ist auch nicht negativ zu sehen:<br />

In herzlicher Mitfreude gratuliere ich Euch zu Eurem Abitur. Abite! (Rote Karte), macht es gut,<br />

geht euren eigenen Weg <strong>und</strong> meistert Euer Leben nach den Regeln, denen ihr Euch selbst unterworfen<br />

habt <strong>und</strong> nicht nach denen, die andere Euch auferlegen. Seid denen gegenüber kritisch<br />

<strong>und</strong> misstrauisch, die von der Richtigkeit ihres Urteil allzu überzeugt sind <strong>und</strong> traut nicht den Meinungen<br />

der Mehrheit der Zeitgenossen, da Ihr sonst die geistige Freiheit verliert, die ein Reifezeugnis<br />

bescheinigen sollte <strong>und</strong> die notwendig ist, um falsche Zeitentwicklungen zu durchschauen<br />

<strong>und</strong> zu korrigieren. Ich habe fertig!<br />

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit <strong>und</strong> noch einmal meinen herzlichen Glückwunsch zum bestandenen<br />

Abitur.<br />

Roland Schäfer am 30.6.2006

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