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Sacred Bridges – Musik und Tanz - Ensuite

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BÜHNE/LITERATUR<br />

der bagger <strong>und</strong> das sparschwein<br />

haben eine seele<br />

Von Sabine Gysi - Simon Libsig: «Es braucht Mut zu sagen: Ich bin Autor» Bild: Lisa Küttel/solarplexus<br />

■ Das knallgelbe Schild über dem Sofa sagt: «Sonnendeck».<br />

Ganz in rot steht die Schreibmaschine<br />

vom Typ Brother Deluxe 220 auf dem Fenstersims.<br />

Das Büchergestell mit den abger<strong>und</strong>eten Kanten<br />

ist blau. Im Mittelpunkt dieses Mikrokosmos’ aus<br />

Gegenständen sitzt Simon Libsig, formt mit einem<br />

M<strong>und</strong>winkel ein Lächeln <strong>und</strong> sagt Dinge wie:<br />

«Ich will mit meinen Texten nicht verletzen.» Und<br />

beinahe <strong>–</strong> beinahe - ist man dazu verleitet, ihn für<br />

harmlos zu halten. Vorausgesetzt, man kennt seine<br />

Texte nicht.<br />

Am Slam 08 vor wenigen Tagen versuchte ein<br />

Slampoet, Simon Libsig nachzuahmen. Der Versuch<br />

scheiterte kläglich; man sah ihm an, dass er<br />

lieber losgelegt hätte à la Gabriel Vetter. Simon<br />

Libsig muss die Handbremse nicht anziehen. Wenn<br />

er anfängt zu sprechen, bedächtig, macht er uns<br />

glauben, er erzähle eine Geschichte unter Fre<strong>und</strong>en.<br />

Ein leises Bedauern schwingt immer in seiner<br />

Stimme mit, ein Bedauern darüber, dass die Welt<br />

so grausam ist zu den Menschen, über die er erzählt.<br />

Das Bedauern geht einher mit einem Humor,<br />

der hintergründig ist <strong>–</strong> oder vielleicht schon hinterhältig?<br />

Denn ehe sie sich’s versehen, sind die<br />

Objekte von Simon Libsigs Mitgefühl messerscharf<br />

analysiert, ihre Schwachstellen vor dem Publikum<br />

ausgebreitet. «Bissig in Moll», der Name seines<br />

neuen Buches, seiner neuen CD, passt.<br />

Man merkt, dass für Simon Libsig das Atelier<br />

im Badener Merker-Areal noch neu <strong>und</strong> etwas<br />

aufregend ist. Bis vor wenigen Jahren war die<br />

Bühnenpoesie für ihn ein Hobby. Seit 2003 trat er<br />

zwar regelmässig an Poetry Slams auf, war aber<br />

die meiste Zeit mit seinen Jobs beschäftigt, zuerst<br />

beim Radio, danach bei der Ideenfabrik «Brainstore».<br />

Bis er sich eines Tages eingestand, dass er<br />

nicht das tat, was ihm wirklich entsprach. Lange<br />

hatte er sich unter Druck gefühlt, aus seinem abgeschlossenen<br />

Studium «etwas zu machen». Es<br />

dauerte eine Weile, bis er auch in seinem persönlichen<br />

Umfeld hinstehen <strong>und</strong> sagen konnte: «Ich bin<br />

Autor.» Bis der Impuls, sich zu rechtfertigen, sich<br />

nicht mehr meldete.<br />

Seinen Alltag als Autor hat Simon Libsig straff<br />

organisiert. Morgens um 8 Uhr betritt er sein Atelier.<br />

Unbeirrt durch die Bauarbeiten an den umliegenden<br />

Gebäuden, die das Merker-Areal zu einem<br />

trendigen Ort für Kreative machen, erledigt er<br />

zuerst Mails <strong>und</strong> Administratives. Er achtet darauf,<br />

dass er eine Mittagspause einhält <strong>und</strong> nicht bis in<br />

die Nachtst<strong>und</strong>en im Atelier bleibt. Diese Struktur<br />

durchbricht er nur, wenn er an einem neuen Text<br />

arbeitet: Dann zieht sich Simon Libsig ins Kellerlokal<br />

«Stoffwechsel» zurück <strong>–</strong> eines seiner Kulturprojekte<br />

<strong>–</strong> <strong>und</strong> schreibt ohne Unterbruch, so lange es<br />

irgendwie geht. Ohne Internetzugang <strong>und</strong> sonstige<br />

Ablenkungen ist der Keller der ideale Ort dafür.<br />

Simon Libsig ist keiner von diesen Slampoeten,<br />

die ihr verruchtes Image pfl egen <strong>und</strong> ihre Gedanken<br />

am liebsten auf whiskeygetränktem Papier<br />

niederschreiben. Das Schrille, Aggressive, Laute<br />

überlässt er denen, die sich dazu berufen fühlen.<br />

Als Bühnenpoet der leiseren Töne kommen ihm<br />

abendfüllende Auftritte entgegen; so kann er eine<br />

Veranstaltungen<br />

Stimmung aufbauen, die das Publikum braucht,<br />

um die Nuancen in seinen Texten wahrzunehmen.<br />

So geschehen am 20. Oktober, im Maiers Theater<br />

am Albisriederplatz. Wer Simon Libsig vor einigen<br />

Jahren an Poetry Slams beobachtet hat, dem fällt<br />

auf, wie selbstsicher er jetzt wirkt. Auf dieser kleinen<br />

Bühne mit seinen «Bissig-in-Moll»-Texten fühlt<br />

er sich zu Hause. Hier haucht er den Dingen eine<br />

Seele ein. Plötzlich ist ein Sparschwein oder ein<br />

Bagger menschlicher als die Menschen, die seine<br />

Texte bevölkern.<br />

Wenn Simon Libsig nicht mit seinem Buch <strong>und</strong><br />

seiner CD tourt, dann hat er Auftritte bei privaten<br />

Anlässen, er arbeitet fürs Radio oder auch mal als<br />

Auftragsblogger. Bei all diesen Gelegenheiten tut<br />

er das, was er am besten kann: Geschichten erzählen.<br />

Natürlich ist da die leise Angst, die Nachfrage<br />

könnte abnehmen. Aber Geschichten sind<br />

nicht von der Konjunktur abhängig, sie sind immer<br />

gefragt. Wichtig, sagt Simon Libsig, sei vor allem<br />

Eines: «Dass jeder Text besser ist als der vorherige.»<br />

«Bissig in Moll» <strong>–</strong> Buch, CD <strong>und</strong> Tournee<br />

Simon Libsig tourt gerade mit «Bissig in Moll»<br />

(Echtzeit Verlag). Über die nächsten Stationen<br />

seiner Tournee erteilt seine Website Auskunft.<br />

Hier kann man natürlich auch das Buch mit CD<br />

«Bissig in Moll» bestellen.<br />

Info: www.simon-libsig.ch<br />

ensuite - kulturmagazin Nr. 72 | Dezember 08 7

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