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Sacred Bridges – Musik und Tanz - Ensuite

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KULTUR & GESELLSCHAFT<br />

der indiskrete charme der rebellion<br />

Von Sonja Hugentobler-Zurfl üh Bild: Markenmode DSquared (links) <strong>und</strong> ETRO / Fotos: Sonja Hugentobler-Zurfl üh<br />

■ Kaum eine politische Bewegung hat so viele gesellschaftliche<br />

Veränderungen mit sich gebracht<br />

wie die 68er-St<strong>und</strong>entenrevolte <strong>und</strong> keine hat einen<br />

derart einschneidenden Niederschlag in der<br />

Mode gef<strong>und</strong>en.<br />

Anders als Modetrends anderer Epochen brauchen<br />

die Looks der späten Sechzigerjahre keine<br />

Revivals, weil sie genauso Teil unserer Bekleidungskultur<br />

geworden sind wie andere gesellschaftliche<br />

Veränderungen, die aus dieser Ära hervorgingen.<br />

Die damalige Mode stand für ein Lebensgefühl,<br />

das die Mehrheit der Jugend gelebt hat: Das Tabubrechen<br />

<strong>und</strong> das Erschüttern alter Autoritäten.<br />

Sie stand für die Rebellion gegen geltende Machtstrukturen<br />

<strong>und</strong> das Establishment - <strong>und</strong> das Establishment<br />

waren die Erwachsenen.<br />

Ob die 68er der Anfang des Wertezerfalls oder<br />

kreativer Aufbruch zu unser aller Nutzen ist, liegt<br />

in der politischen Gesinnung des Betrachters. Sicher<br />

ist, dass die 68er-Mode den Jugendwahn eingeläutet<br />

hat. Es war der Anfang einer neuen Zeit,<br />

in der der junge Mensch sich selbst bestimmen<br />

<strong>und</strong> nicht mehr von oben verwalten lassen wollte.<br />

Der Vorbildcharakter älterer Generationen <strong>und</strong> deren<br />

Idealen war erloschen. Erfahrung zählte nicht<br />

mehr vor Innovation <strong>und</strong> Kreativität.<br />

Das hatte den segensreichen Effekt, dass erstmals<br />

Mode für die Jugend entstand. Dass heute<br />

16-Jährige ihr Konfi rmandenkleid nicht mehr in<br />

der Kleiderabteilung ihrer Mutter kaufen müssen,<br />

dass Lehrern nicht mehr in den Sinn kommt, das<br />

Tragen von Hosen zu verbieten oder gar den Zentimeterabstand<br />

vom Boden zum Beginn des Rocksaums<br />

zu messen, haben wir nicht Mary Quant<br />

oder André Courrèges zu verdanken. Mit ihren futuristischen<br />

Modevorschlägen antworteten sie nur<br />

auf die Gesellschaft, die nach Tabubrüchen schrie.<br />

Nach Tabubrüchen schrien junge Frauen, die<br />

damals mit der Pille die freie Liebe entdeckt <strong>und</strong><br />

keine Lust hatten, diese in den Kleidern ihrer Mütter<br />

<strong>und</strong> Tanten zu leben <strong>und</strong> mit ihrem ersten eigenen<br />

Geld artige Kostüme <strong>und</strong> hochgeschlossene<br />

Röcke bis Mitte Wade zu kaufen, um damit in Jugendhäusern<br />

<strong>und</strong> Eisdielen herumzuhängen. Mary<br />

Quant, offi zielle Erfi nderin des Minirocks, sagt bescheiden:<br />

«Der Mini ist nicht meine Erfi ndung, er<br />

ist die Erfi ndung der Strasse.» Diese hiess damals<br />

Carnaby Street, ein Modetummelfeld für Exhibitionisten,<br />

die weltweit imitiert wurden. London, <strong>und</strong><br />

später Paris mit André Courrèges, Pierre Cardin<br />

<strong>und</strong> Paco Rabanne, haben den Mini schon vor 1968<br />

zum Symbol weiblicher sexueller Gleichberechtigung<br />

gemacht. Im Zuge der Rebellion geriet er<br />

dann aber ins Schussfeld emanzipierter Frauen.<br />

Sie entdeckten, dass er das Werkzeug war, Frauen<br />

zum Sexobjekt zu degradieren.<br />

Wer für freie Liebe <strong>und</strong> auch gegen den Vietnamkrieg<br />

demonstrieren wollte, schloss sich der amerikanischen<br />

Friedensbewegung an <strong>und</strong> tauschte<br />

den Mini gegen lange, indische Gewänder <strong>und</strong><br />

nannte sich Hippie. Von auf Leistung ausgerichteten<br />

Gesellschaftsgruppen wurden Hippies <strong>und</strong><br />

Kommunarden als «Gammler» <strong>und</strong> Nichtstuer aus<br />

Leidenschaft diskreditiert. Für ihr alternatives Leben<br />

ausserhalb der Leistungs- <strong>und</strong> Konsumgesellschaft<br />

brauchten sie denn auch keine Businessanzüge<br />

<strong>und</strong> Krawatten. Die wurden abgeschafft. Für<br />

Frauen wurden durchsichtige Tops eingeführt, die<br />

Haare schulterlang getragen, auch von Männern.<br />

Im Sinne der Völkervereinigung entstand erstmals<br />

Multikulti-Mode. Hippies trugen Blumen auch auf<br />

den weiten Kleidern <strong>und</strong> im Haar, Bell-Bottom-<br />

Jeans, selbstgehäkelte Tuniken, selbstgefertigte<br />

Ethno-Gürtel, Schlapphüte <strong>und</strong> Flipfl ops, aus Sisal<br />

natürlich, denn es galt die Devise «Jute statt Plastik».<br />

Man mag den Hippies verklärten Idealismus<br />

<strong>und</strong> Selbstverliebtheit nachsagen. Sie hatten jedoch<br />

eine Weitsicht, die ernst zu nehmen dem Planeten<br />

gut getan hätte. Die Hippies proklamierten<br />

nicht nur «make love, not war». Sie waren auch die<br />

ersten Vertreter der Öko-Bewegung <strong>und</strong> befassten<br />

sich mit Selbstfi ndung <strong>und</strong> Spiritualität. Die Hare-<br />

Krishna-Bewegung erlebte einen Boom unter Pazifi<br />

sten.<br />

Heute trägt die Jugend die modischen Insignien<br />

der späten 60er-Jahre, ohne sich dessen bewusst<br />

zu sein, weil sie Teil unseres Modeverständnisses<br />

geworden sind. Die Generation von Frauen hingegen,<br />

die diese Zeit live miterlebt hat, trägt sie wohl<br />

aus demselben Gr<strong>und</strong>, weshalb wir gewisse Gegenstände,<br />

Gerüche oder <strong>Musik</strong>stücke nicht um ihrer<br />

selbst willen lieben, sondern weil sie uns an eine<br />

Zeit erinnern, in der wir glücklich waren. Mode der<br />

späten 60er-Jahre weckt in diesen Frauen positive<br />

Gefühle des Aufbruchs aus einer Zeit, als ihnen<br />

alle Türen noch offen standen.<br />

Ohne den durch die 68er vollzogenen Wertewandel<br />

würden Banker heute keine Tattoos tragen,<br />

Deutschland hätte keinen schwulen Bürgermeister,<br />

es gäbe keine Wickeltische in den öffentlichen<br />

Toiletten <strong>und</strong> Staatschefs würden keine Rockstars<br />

empfangen, um Projekte zur Bekämpfung der Armut<br />

in der dritten Welt zu diskutieren. Es wäre<br />

nicht die Jugend, die im <strong>Musik</strong>- <strong>und</strong> Modebusiness<br />

die Trends setzt <strong>und</strong> Mütter hätten nicht das Bedürfnis,<br />

sich wie ihre Töchter zu kleiden <strong>und</strong> Jugendlichkeit,<br />

der Maxime unserer Gesellschaft,<br />

nachzueifern.<br />

Hippie-Bohème<br />

Jeans<br />

Schlaghosen<br />

Blumenmuster (auch indische Muster)<br />

Psychedelische Muster<br />

Durchsichtige Tops<br />

Fransen <strong>und</strong> Rüschen<br />

Selbstgehäkelte Tuniken<br />

Selbstgestrickte Pullover<br />

Walla-Walla-Gewänder<br />

Patchwork<br />

Breite Gürtel mit Nieten<br />

Bunte Hemden<br />

Farbkombinationen orange <strong>und</strong> braun<br />

Haarbänder<br />

Ethnoschmuck<br />

Plateauschuhe<br />

«Heilandsandalen»<br />

Cowboystiefel<br />

Langes, offenes Haar, auch für Männer<br />

Overalls<br />

Latzhosen<br />

Umhängetaschen für Männer<br />

Slogan-T-Shirts<br />

Fokus<br />

futuristisch-grafi sch<br />

Mini<br />

Hot Pants<br />

Shiftkleider<br />

Monokini<br />

Tuniken mit Schlaghosen<br />

Kleider in Trapez-Form<br />

Grafi sche Muster à la Vasarély<br />

Dominanz von weiss <strong>und</strong> silber <strong>und</strong> schwarzweiss<br />

Flache Schuhe<br />

Wadenhohe Stiefel, auch im Sommer<br />

Pillbox <strong>und</strong> Bobby-Caps<br />

Bikini<br />

Plastik-Pins (bei Quant abstrahiertes Gänseblümchen)<br />

Plastik-Modeschmuck<br />

Künstliche Wimpern, am unteren Lid auch gemalte<br />

Wimpern<br />

Lidstrich<br />

Vinyl <strong>–</strong> Synthetisches Leder<br />

Synthetische Materialien (Crimplène)<br />

Ringelstrümpfe<br />

Gezirkelte Haarschnitte, Asymmetrischer Kurzhaar-Bob<br />

mit englischer Strenge (Vidal Sassoon)<br />

Langes Haar, toupiert <strong>und</strong> mit Haarteilen ergänzt<br />

Keine Lippenfarbe, sondern Gloss<br />

Models <strong>–</strong> Kindfrauen Twiggy <strong>und</strong> Jane Shrimpton<br />

ensuite - kulturmagazin Nr. 72 | Dezember 08 5

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