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Sacred Bridges – Musik und Tanz - Ensuite

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KULTUR & GESELLSCHAFT<br />

gut in form<br />

Von Bettina Hersberger Bild: Bettina Hersberger<br />

■ Alles dreht sich um ihn. Was vor wenigen Minuten<br />

noch als feuchter brauner Klumpen von zwei<br />

Händen geknetet <strong>und</strong> getätschelt wurde, liegt<br />

nun auf der Drehscheibe. Ein Fuss tritt aufs Pedal,<br />

die Scheibe beginnt zu rotieren, in ihrer Mitte<br />

der formlose braune Körper. Zwei nasse Hände<br />

hauchen der trägen Masse gleich Leben ein. Der<br />

Klumpen beginnt sich zu verändern. Sich gleichmässig<br />

um die eigene Achse drehend, wächst er<br />

in die Höhe. Geschickte Finger drängen die Masse<br />

von innen nach aussen <strong>und</strong> von aussen nach oben.<br />

Die Masse kann ihrer Form nicht entkommen. Unweigerlich<br />

folgt sie den Händen, dreht ihre Pirouetten,<br />

während ihr Körper sich entwickelt <strong>und</strong> ihre<br />

Persönlichkeit sich entfaltet.<br />

Teeschalen <strong>und</strong> Teekannen, Windlichter <strong>und</strong><br />

W<strong>und</strong>erlampen, kleine Schalen <strong>und</strong> grosse Schüsseln,<br />

Urnen <strong>und</strong> Töpfe. Die Regale sind prall gefüllt<br />

mit Keramikformen, alle aus einer Hand. Der Hand<br />

von Stephan Mosimann <strong>–</strong> vom ersten bis zum letzten<br />

Arbeitsschritt. Vor sechs Jahren hat er sein<br />

Atelier Drehart an der Mattenenge in Bern eingerichtet.<br />

Heute betreibt er eine Ateliergemeinschaft<br />

mit drei Malerinnen. Laden <strong>und</strong> Werkstatt teilen<br />

sich einen Raum. Direkt hinter dem Ausstellungsregal,<br />

das sich hinter dem Schaufenster aufbaut,<br />

beginnt die Arbeitsstätte. Eine dünne Schicht<br />

weissen Porzellanstaubs zieht sich über die gesamte<br />

Oberfl äche der Werkstatt <strong>–</strong> wie Puderzucker<br />

auf einem Weihnachtsstollen. Zentnerschwere<br />

weisse Plastiksäcke, gefüllt mit Ton <strong>und</strong> Porzellan,<br />

stehen auf dem Boden, Gefässe zum Trocknen auf<br />

dem Tisch, mit Zeitungspapier bedeckt. Die Tür<br />

des riesigen Brennofens steht offen. Inmitten dieser<br />

schöpferischen Landschaft entdeckt man das<br />

Zentrum des Geschehens: Die Drehscheibe. Über<br />

ihr hängt griffbereit ein fi ligranes Werkzeugset an<br />

einem Holzbrett <strong>–</strong> für die Feinarbeit.<br />

«Der Anfang <strong>und</strong> das Ende sind die aufwendigsten<br />

Arbeitsschritte», erklärt Stephan Mosimann,<br />

während er ein Stück von einem grossen Tonblock<br />

abschneidet. In seinem Kopf ist die neue Form bereits<br />

geboren, in seinen Händen rotiert nun erneut<br />

ein feuchter brauner Klumpen. Er knetet <strong>und</strong> tätschelt<br />

<strong>und</strong> knetet ihn, bis er eine geschmeidige,<br />

gleichmässig glänzende Oberfl äche hat <strong>und</strong> bereit<br />

ist für die Drehscheibe.<br />

Da liegt er nun, der Klumpen, wartend, nicht<br />

wissend, zu welcher Form er sich im Handumdrehen<br />

gewandelt haben wird. Was kommt jetzt?<br />

«Jetzt kommt die Schürze», sagt Mosimann mit<br />

verschmitztem Lachen. Er bindet sich eine Arbeitsschürze<br />

um, bevor er sich an die Drehscheibe<br />

setzt, seine Hände in ein Gefäss mit trüb-braunem<br />

Wasser taucht <strong>und</strong> dann die Scheibe drehen lässt.<br />

«Nur mit Schürze arbeitet man mit vollem Einsatz,<br />

sonst passt man immer auf, dass man sich nicht<br />

vollkleckert», erzählt er, während er Hand anlegt<br />

<strong>und</strong> beginnt, die Form zu schöpfen, die in seiner<br />

Vorstellung bereits existiert. Geräuschlos dreht<br />

sich die Scheibe zur <strong>Musik</strong> aus dem Radio. Die Hände<br />

drücken gekonnt gegen den Tonklumpen, der<br />

nach aussen treibt, <strong>und</strong> halten ihn im Zaum.<br />

Was nach Kraftakt aussieht, ist vielmehr technisches<br />

Geschick. Auch eine zierliche Frau kann<br />

Tongefässe drehen. «Wichtig ist die Atemtechnik»,<br />

erklärt Mosimann. Was hat Atem mit Töpfern zu<br />

tun? «Der Bauch <strong>–</strong> das Zentrum des Körpers <strong>–</strong> soll<br />

stets auf gleicher Höhe sein mit dem Objekt, das<br />

man bearbeitet. Man atmet in den Bauch <strong>und</strong> vom<br />

Bauch strömt die Kraft in die Arbeit.» Geist <strong>und</strong><br />

Materie werden eins. Unter seinen Händen nimmt<br />

Magazin<br />

der eben noch formlose Körper rasch Gestalt an.<br />

Nach kurzer Zeit dreht sich eine wohlgeformte<br />

Schüssel im Kreis. Der Rand wird mit einem<br />

Schwamm abger<strong>und</strong>et.<br />

Ein, zwei Tage muss die Form nun trocknen<br />

<strong>und</strong> sich verfestigen. Der letzte Arbeitsschritt,<br />

das Abdrehen, verlangt höchste Präzision: Das<br />

angehärtete, aber immer noch nachgiebige Objekt<br />

bekommt den Feinschliff vom Meister. Mit Hilfe einer<br />

drahtigen Schlinge entfernt er überschüssiges<br />

Material, schleift Ecken <strong>und</strong> Kanten am kreisenden<br />

Objekt. Mit einem entsprechenden Oberfl ächenüberzug<br />

geht es dann ab in den Brennofen, bereit<br />

für das grosse Finale. St<strong>und</strong>enlang schmoren die<br />

Keramikgegenstände bei Temperaturen zwischen<br />

900 <strong>und</strong> 1300 Grad. So werden sie ordentlich abgehärtet,<br />

formbeständig <strong>und</strong> alltagstauglich. Kein<br />

Stück ist wie das andere. Jedes hat seine eigene<br />

Struktur, seinen eigenen Charakter.<br />

Im Plastikzeitalter hat Keramikherstellung als<br />

Kunsthandwerk <strong>–</strong> eines der ältesten Kunsthandwerke<br />

der Menschheit <strong>–</strong> keinen leichten Stand<br />

mehr. Massenproduktion verdrängt Handgemachtes.<br />

Besinnt man sich, so bemerkt man, dass handgefertigten<br />

Keramikgegenständen eine eigentümliche,<br />

ursprüngliche Kraft innewohnt. Die Kraft der<br />

Erde. Und auf einem prachtvollen Weihnachtstisch<br />

sieht eine kunstvolle Keramik-Salatschüssel doch<br />

viel feierlicher aus als eine Kunststoffschüssel aus<br />

Serienproduktion.<br />

Drehart Keramikatelier<br />

Mattenenge 4, Bern<br />

Info: www.drehart.ch<br />

ensuite - kulturmagazin Nr. 72 | Dezember 08 35

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