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Sacred Bridges – Musik und Tanz - Ensuite

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LITERATUR<br />

die hilfreiche k<strong>und</strong>enrezension<br />

Von Christoph Simon<br />

■ Sie suchen ein Geschenk für Ihre Lieben? Dann<br />

sind Sie in einer Buchhandlung genau richtig.<br />

Buchhandlungen bieten eine Vielzahl an Geschenkartikeln:<br />

Bücher, Kalender, Bücher, Hörbücher<br />

<strong>und</strong> Bücher. Viel zu viele Bücher. Um die Qualen<br />

beim Wählen zu minimieren, durchstöbere man<br />

die K<strong>und</strong>enrezensionen einschlägiger Internetbuchhandlungen<br />

<strong>und</strong> lasse sich das am wenigsten<br />

nicht-empfohlene Buch von seiner Lieblingsbuchhändlerin<br />

vor Ort in Geschenkpapier einschlagen.<br />

Auf amazon.de empfi ehlt Frau Möller etwa Kerstin<br />

Giers «Gegensätze ziehen sich aus» zur sorgfältigen<br />

Lektüre: «Und wieder hat die Autorin es<br />

geschafft, dass ich meine Hausarbeit habe liegen<br />

lassen <strong>und</strong> meine Kinder sich vernachlässigt fühlten!<br />

Den Nachmittag habe ich auf der Terrasse verbracht<br />

<strong>und</strong> das Buch in einem durchgelesen. Fantastisch.<br />

Frau lacht, weint, leidet <strong>und</strong> ist glücklich<br />

mit Constanze.»<br />

Nicht in Geschenkpapier eingeschlagen gehören<br />

Charlotte Roches «Feuchtgebiete», wie Lena<br />

«Leseratte» Waider auszuführen weiss: «Ich fi nde,<br />

dass das Hygieneanliegen der Autorin wenig relevant<br />

ist. In Europa nehmen wir es damit sowieso<br />

nicht so eng (wie etwa die Amerikaner). Das dichte<br />

Zusammenleben in Grossstädten setzt ohnehin<br />

ein Mindestmass an Hygiene voraus. Und ohne<br />

die heutigen Hygienestandards würden wir wohl<br />

kaum eine so hohe allgemeine Lebenserwartung<br />

haben.»<br />

Das Schöne an der K<strong>und</strong>enrezension: Die Fairnessregeln,<br />

die sich die professionelle Literaturkritik<br />

auferlegt, beachtet der rezensierende K<strong>und</strong>e<br />

nicht. Das Buch liest er nur ganz durch, wenn es<br />

ihm gefällt. Das zum angemessenen Verständnis<br />

des Buches nötige Wissen eignet er sich nicht an<br />

<strong>–</strong> die regelrelevante Ausnahme bietet hier Leser<br />

«b07», der uns vor Ken Follets «Die Tore der Welt»<br />

warnt: «Ein Potpourri (frz. Eintopf) aus allem, was<br />

unsere moderne Welt gerne aus dem tiefen Mittelalter<br />

lesen möchte. Die Charaktere Caris <strong>und</strong> Mertin<br />

hängen in ihrem Gedankengut einer säkularisierten<br />

Aufklärung an, welche aber erst 200 Jahre<br />

später geschichtlich Gestalt annimmt. Es entsteht<br />

der Eindruck, dass es moderne Personen sind, die<br />

ein Leben zu Zeiten der Pest führen.»<br />

Sind die folgenden K<strong>und</strong>enrezensionen für Ihre<br />

Verschenkwünsche hilfreich? «Wenn Rezensenten<br />

hier loben, wie schnell sich das Buch wegliest, muss<br />

ich ihnen Recht geben, denn diese Grütze bleibt an<br />

keiner Gehirnwindung hängen, nach einem einzigen<br />

guten Satz lechzt der Leser vergeblich. Mein<br />

Tipp: Beobachten Sie lieber echte Ameisen auf Ihrem<br />

Balkon, das ist interessanter», schreibt Yola<br />

über David Safi ers «Mieses Karma».<br />

«Der angebliche Stil ist ein Riesenbluff: Tellkamp<br />

schreibt unkontrolliert, manieriert, gefallsüchtig,<br />

faselt beliebig, kriegt kein sauberes Bild<br />

hin, weil sprachlich schlampig, er hat kein Gespür<br />

<strong>und</strong> keinen Respekt für die Bedeutung seiner Worte<br />

- kurz: Heftiger Schreibdurchfall das Ganze.» - so<br />

Kristina Brandt über Uwe Tellkamps «Der Turm».<br />

«Gartenwohnung» möchte nicht schuld sein,<br />

wenn Sie der unübersichtlichen Bücherwelt den<br />

Rücken kehren <strong>und</strong> Ihre unschuldigen Angehörigen<br />

mit dem «Lebensfreude-Kalender 2009» aus<br />

dem Hause Pal verschrecken: «Irgendwelche Weisheiten<br />

von Udo Jürgens oder Christopher Reeve<br />

sollen Lebensfreude verbreiten. Pfadfi nderdevisen<br />

<strong>–</strong> tue jeden Tag eine gute Tat. Also wenn ich ehrlich<br />

sein darf: Sowas traue ich mich nicht zu verschenken.<br />

Ich überlege jetzt gerade, was ich mit<br />

diesen schmucklosen Blättern an Spiralbindung<br />

mache. Eigentlich ärgere ich mich sehr, dass ich<br />

auf die 5-Sterne-Rezensionen hereingefallen bin<br />

<strong>und</strong> schon überlegt habe, wem ich diesen Kalender<br />

alles schenken werde!»<br />

Also doch ein Buch unter den Christbaum?<br />

Ein Sachbuch vielleicht? «Nach Auskunft unseres<br />

Rechtsprofessors ist es ratsam, mit dem Kauf des<br />

Buches noch bis zur Neuaufl age im Jahre 2012<br />

zu warten, da mit vielen Änderungen gerechnet<br />

werden muss.» Christian Peper über das deutsche<br />

Handelsgesetzbuch (ohne Seehandelsrecht,<br />

mit Publizitätsgesetz, Wertpapierhandelsgesetz,<br />

Wechselgesetz <strong>und</strong> Scheckgesetz).<br />

Sie suchen ein Geschenk für Ihre Lieben? Wie wär’s<br />

mit einem Plüschtier? Einem Feuerzeug?<br />

FILOSOFENECKE<br />

Literatur<br />

«WER WEISS, WAS ER<br />

TUT, TUT NUR, WAS ER<br />

WEISS.»<br />

Wolfgang Rihm 2006<br />

■ Wissen ist Macht. Wir leben in einer Wissensgesellschaft.<br />

Das Internet wird unsere globale<br />

Gesellschaft zu einer umfassend informierten<br />

machen. Wer rastet, rostet. Gerade in der Bildung.<br />

Alle drei bis vier Jahre eine grössere Ausbildung<br />

in Angriff nehmen, ist das Motto. Und in all dem<br />

steckt der homo faber <strong>–</strong> der schaffende Mensch.<br />

Er weiss genau, was zu tun ist. Um der Karriere<br />

willen. Um den Erfolg zu spüren. Das Wissen wird<br />

zum Garanten für die Tätigkeit. Ineffi zienz darf<br />

<strong>und</strong> kann nicht sein. Leise Zwischentöne sind ärgerlich,<br />

Zweifel gar - ein Laster. Im Streben nach<br />

Oben ungefragt. Könnte man meinen. Und dann<br />

kippts. Einfach so. Ungefragt. Die Kurve verfällt<br />

in einen Seitwärtstrend oder bricht in rezessive<br />

Bewegungen ein.<br />

Fragen drängen sich auf. Erst leise, dann immer<br />

lauter. Was weiss ich? Und was mache ich da<br />

genau? Könnte es sein, dass ich mich im Wissen<br />

oder der Tätigkeit selber verloren habe? Bin ich<br />

da allenfalls zum animal laborans <strong>–</strong> zum Arbeitstier<br />

<strong>–</strong> geworden? Ist also die Einschränkung auf<br />

das für mich Wesentliche zu einer Falle verkommen?<br />

«Ich weiss, dass ich nicht weiss», soweit Sokrates.<br />

Nicht ums Nichtwissen geht es, sondern<br />

ums Wissen darum, dass mein Wissen auch ein<br />

Scheinwissen sein kann. Die Suche nach Wissen,<br />

Wahrheit, Erkenntnis darf damit auch ohne Apfel<br />

hübsch in die nächste R<strong>und</strong>e gehen. Ärgerliche<br />

Sache. «Ich will’s jetzt aber wissen», könnte<br />

man da doch zurückbrüllen. Der geneigte Filosof<br />

zuckt nur leicht mit der Schulter <strong>und</strong> tut, was er<br />

kann. Nachdenken darüber, was zu tun ist.<br />

Erkenntnis führt zu einem grösseren Handlungsspielraum.<br />

Es muss ja nicht immer gleich die<br />

Flinte ins Korn geworfen werden. Denn auch so<br />

kann man die Worte Rihms verstehen. Und damit<br />

den Weg aus dem Dilemma öffnen. Sich seinen<br />

Handlungen bewusst zu sein ist eine Gr<strong>und</strong>voraussetzung,<br />

diese in einen ethischen Kontext zu<br />

setzen. «Ultima ratio regnum» <strong>–</strong> das letzte Wort<br />

der Könige, haben alte Herrscher auf ihre Kanonen<br />

schreiben lassen. Offenbar im Nichtwissen,<br />

wie die Tat sonst zu begründen wäre. Und dabei<br />

die zitierte Ratio <strong>–</strong> die Vernunft <strong>–</strong> ausser Acht gelassen.<br />

Denn, wer weiss, was er tut, tut nur, was<br />

er weiss. Oder ist das jetzt irrational?<br />

Schreiten Sie zur Tat <strong>und</strong> teilen Sie uns Ihr<br />

Wissen mit. Dieses Mal am 16. Dezember, 19:15h<br />

im Tonus <strong>Musik</strong>keller an der Kramgasse 10 in<br />

Bern.<br />

ensuite - kulturmagazin Nr. 72 | Dezember 08 29

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