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Sacred Bridges – Musik und Tanz - Ensuite

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TANZ DER GEGENWART FOLGE V<br />

multi-kulti (2): world-dance<br />

Von Kristina Soldati Bilder: (oben) Akram Khan / Foto: Carl Fox <strong>und</strong> «d‘schwyz tanzt» / Foto: Marianne Hügli<br />

■ Die Gattung World-Music beziehungsweise<br />

World-Dance steht ganz in der Tradition von Stilanreicherungen<br />

(vgl. Multi-Kulti (1): Stilmix), die<br />

besonders im 19. <strong>und</strong> frühen 20. Jahrh<strong>und</strong>ert ausgeprägt<br />

waren. Im ersten Teil der Untersuchung<br />

des Multi-Kulti-Phänomens sahen wir, wie (auch<br />

gehobene) <strong>Tanz</strong>kulturen sich schon immer exotischer<br />

oder folkloristischer Stile bedienten. Wir verbuchten<br />

diese Einverleibungen unter dem Begriff<br />

Cross-over. Wenn aber die Folklore oder auch eine<br />

gehobene Kunst jenseits der Grenzen der tragende<br />

Stil ist, der sich mit unserer Kultur schmückt, nennen<br />

wir das World-Music oder World-Dance. Auch<br />

unvermischte traditionelle Kunst, zum Beispiel indische<br />

Klassik oder auch osteuropäische Volksweisen<br />

haben sich in das vom Westen geprägte Genre<br />

eingeschlichen. Hier soll aber das Spezifi sche am<br />

World-Dance untersucht werden: Grenzgänger<br />

zwischen Kulturen.<br />

<strong>Musik</strong>ethnologen führen den Begriff World-Music<br />

bereits seit den 70ern im M<strong>und</strong>e, die <strong>Musik</strong>industrie<br />

seit den späten 80ern. Der <strong>Tanz</strong> hinkt zwar<br />

begriffl ich etwas hinterher, in der Tat aber hatte er<br />

als sprachunabhängige Schwesterkunst nie Probleme<br />

der Grenzüberschreitung. Wir sahen (vgl.<br />

ensuite - kulturmagazin Nr. 71) Ruth Page als eine<br />

Vorläuferin des Genres. Die fl iegende Verbreitung<br />

<strong>und</strong> Beliebtheit dieser Gattung ist jedoch eindeutig<br />

ein Merkmal unserer Zeit. Die billigen Fluglinien<br />

<strong>und</strong> die Völkerverständigungsprogramme haben<br />

uns dabei befl ügelt.<br />

Drei Beispiele laden ein zum Hinschauen: London<br />

<strong>und</strong> sein indischer Star Akram Khan, der aus<br />

seiner hermetischen Diaspora-Kultur emigrierte,<br />

dann die ausländische Volksk<strong>und</strong>lerin, die sich der<br />

Alpenkultur bemächtigt <strong>und</strong> schliesslich die ungarische<br />

Folklore, die erst den Sozialismus, dann die<br />

West-Euphorie unterläuft.<br />

Akram Khan Als Akram Khan mit sieben Jahren<br />

in London seinem Guru begegnete <strong>und</strong> ihm etwas<br />

vortanzte, wurde er zum Unterricht zugelassen,<br />

aber in der hintersten Reihe. Akram konnte jedoch<br />

schon Fischertänze aus Bangladesh <strong>und</strong> die kompliziertesten<br />

Rhythmen, die sich oft erst nach 16<br />

Takten wiederholen. Fliessend indisch zu sprechen,<br />

Tabla-(Trommel)-Rhythmen zu hinduistischen Festen<br />

zu kennen sind schlicht vorausgesetzt, wenn<br />

man in London mit Kathak anfängt. Zumindest an<br />

der Asian Academy of Dance. Der tanzgetriebene<br />

Akram fühlte sich vom Guru verkannt <strong>und</strong> angespornt,<br />

sich in die vorderste Reihe vorzutanzen.<br />

Eine 8-Millionen-Weltstadt, deren grösste Minderheit<br />

mit 700’000 Einwohnern aus Süd-Asien<br />

stammt, kann sich eine eigene Akademie für den<br />

indischen <strong>Tanz</strong> leisten. Der Zulauf ist gross bei einem<br />

<strong>Tanz</strong> wie Kathak, der in Indien während der<br />

Ablösung von der Kolonisation zu Ansehen gelangt<br />

ist. Die Kolonialherren waren bekanntlich Engländer,<br />

sodass die Förderung des Kathak in London<br />

neben Integrationshilfe auch eine gewisse Aufarbeitung<br />

der Vergangenheit darstellt. Für Inder aus<br />

der dritten Generation, wie Akram Khan, ist Kathak<br />

identitätsstiftend. Eine Rettung für die Mutter, die<br />

ihn damit sowohl den Einfl üssen Michael Jacksons<br />

als auch der Strassen-Gangs entziehen konnte. Auf<br />

den Partys rockte der kleine Akram noch raum-<br />

Hintergr<strong>und</strong><br />

greifend <strong>und</strong> tief in den Knien (Jacksons «Thriller»<br />

war sein Lieblingsfi lm), er lungerte einstweilen<br />

noch mit den Gangs in den Strassen herum. Doch<br />

«uncool» war’s da, sich für eine <strong>Tanz</strong>st<strong>und</strong>e abzuseilen.<br />

Wer jedoch das Glück hatte, einen Guru als<br />

Mentor zu haben, der wurde weise durch die hinduistische<br />

Lebensanschauung geleitet <strong>und</strong> saugte<br />

mit der verführerischen <strong>Musik</strong> <strong>und</strong> dem Sprechgesang<br />

ihre Philosophie <strong>und</strong> Religion auf. Für das<br />

Dschungelbuch, eine Art Tier-Musical, das die indische<br />

<strong>Musik</strong>erlegende Ravi Shankar ins Bühnenleben<br />

rief, schrieb der Guru dem ungebändigten<br />

Sprössling den passenden <strong>Tanz</strong> auf den Leib. Das<br />

Stück wurde ein Kassenschlager. Dann entdeckte<br />

ihn niemand geringeres als der Regisseur Peter<br />

Brook. In Mahabharata reiste der Teenager Akram<br />

auf dessen Welttournee mit <strong>–</strong> <strong>und</strong> durfte in der<br />

Mythologie seiner Ahnen schwelgen - aber auch<br />

den Preis erkennen: In der Rolle des jungen Prinzen<br />

zollte er dort einem Guru treu Tribut (seinen<br />

rechten Daumen). Alte Zeiten, härtere Sitten. Was<br />

aber bis heute fortwährt, ist die besondere Bande,<br />

die ein Guru zu seinem auserwählten Zögling<br />

knüpft. «Dessen besonderes Talent nimmt mich in<br />

die Pfl icht, ohne Vorbehalt das Beste meiner Künste<br />

weiterzugeben. Mehr als einem Sohn», meint<br />

Akrams Guru. Und der Schüler ergänzt: «Es gibt<br />

unter demselben Dach keine Demokratie. Ich fühlte<br />

immer, dass etwas über mir stand, dem ich nachzustreben<br />

hatte.» Bedenken wir nun die strengen<br />

Regeln, die eine klassisch gewordene Kunstform<br />

seiner Schülerschaft setzt. «Der Abstand von vier<br />

Fingern ist zwischen Brust<br />

ensuite - kulturmagazin Nr. 72 | Dezember 08 11

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