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Lerndaten 8. Teil: Fahrlässigkeitsdelikte

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Lernprogramm Strafrecht <strong>8.</strong> <strong>Teil</strong><br />

181<br />

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<strong>Lerndaten</strong> <strong>8.</strong> <strong>Teil</strong>: <strong>Fahrlässigkeitsdelikte</strong><br />

Seiten: 17 (197 insgesamt)<br />

ca. 90 Minuten (785 insgesamt)<br />

B. Inhaltsübersicht <strong>8.</strong> <strong>Teil</strong><br />

115 Die fahrlässige Begehungstat (Erfolgsdelikte) - Aufbauten<br />

116 Grundsätze der Fahrlässigkeitstaten<br />

117 Der Unrechtstatbestand der fahrlässigen Erfolgsdelikte<br />

118 Einzelheiten zur objektiven Zurechnung<br />

119 RN bleibt frei!<br />

120 Rechtswidrigkeit und Schuld bei Fahrlässigkeitstaten<br />

121 Vorsatz-Fahrlässigkeitskombinationen - grundsätzliche Unterscheidung<br />

122 Das Merkmals der Fahrlässigkeit bei den Vorsatz-Fahrlässigkeitskombinationen<br />

123 Erfolgsqualifizierte Delikte - Aufbau<br />

124 Prüfungsaufbau: Versuch der Erfolgsqualifikation<br />

124 a <strong>Fahrlässigkeitsdelikte</strong>: Rechtsprechung<br />

C. Lernkontrolle<br />

1. Durcharbeiten am: ...............<br />

2. Durcharbeiten am: ...............<br />

3. Durcharbeiten am: ...............<br />

© Eisenbeis Rechtsanwaltsges. mbH/RA Dr. U. Schlegel 2006


Lernprogramm Strafrecht <strong>8.</strong> <strong>Teil</strong><br />

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<strong>8.</strong> <strong>Teil</strong>: <strong>Fahrlässigkeitsdelikte</strong><br />

υ Lernhinweise: <strong>Fahrlässigkeitsdelikte</strong> bereiten zum <strong>Teil</strong> Probleme.<br />

Ursache dafür dürfte u.a. der Umstand sein, dass der "Aufbau" des<br />

Fahrlässigkeitsdelikts als sehr abstrakt erscheint und zu wenig auf die<br />

Schwerpunkte des Falles geachtet wird.<br />

Beginnen Sie bitte das Studium der <strong>Fahrlässigkeitsdelikte</strong> indem Sie<br />

sich zunächst noch einmal den Aufbau des vorsätzlichen Begehungsdelikts<br />

ansehen (o. RN 8). Sie werden sodann bei der Lektüre der<br />

nachfolgenden Schemata feststellen, dass sich die <strong>Fahrlässigkeitsdelikte</strong><br />

nur an einigen wenigen, aber entscheidenden Stellen unterscheiden.<br />

Exakt diese Stellen gilt es hier näher zu betrachten, denn sie sind<br />

potentiell klausurrelevant!<br />

115 Die fahrlässige Begehungstat (Erfolgsdelikte) - Aufbauten<br />

a) Kurzaufbau (Prüfschema 15)<br />

Prüfschema 15: Die fahrlässige Begehungstat (Kurzaufbau) nach<br />

h.M. (vgl. z.B. W/B, AT, RN 875)<br />

A. Tatbestand<br />

I. Eintritt und Verursachung des tatbestandlichen Erfolges<br />

II. (Obj.) Sorgfaltspflichtverletzung und obj. Voraussehbarkeit des tatbestandlichen<br />

Erfolges (and. bei schlichten Tätigkeitsdelikten – hier<br />

genügt die Verwirklichung des Tb durch die im Gesetz näher beschriebene<br />

Tbverwirklichung, s. z.B. § 163); u.U. „gesteigerter“<br />

Grad der Fahrlässigkeit, z.B. § 345 II<br />

III. Objektive Zurechnung des Erfolges<br />

B. Rechtswidrigkeit<br />

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183<br />

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Prüfschema 15: Die fahrlässige Begehungstat , Forts.<br />

C. Schuld<br />

I. Schuldfähigkeit<br />

II. Persönliche Vorwerfbarkeit:<br />

1. Nichterfüllung der obj. Sorgfaltsanforderungen trotz ausreichender<br />

persönlicher Fähigkeiten bei subj. Vorhersehbarkeit des Erfolges,<br />

einschließl. des Kausalverlaufs<br />

2. (potentielles) Unrechtsbewusstsein<br />

3. Entschuldigungsgründe<br />

b) Detailaufbau (Prüfschema 16)<br />

Prüfschema 16: Die fahrlässige Begehungstat (Detailaufbau)<br />

A. Tatbestandsmäßigkeit<br />

I. Eintritt und Verursachung des sozialschädlichen Erfolges<br />

II. Außerachtlassung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt (= Sorgfaltspflichtverletzung)<br />

bei objektiver Voraussehbarkeit des tatbestandlichen<br />

Erfolges:<br />

- Gefährliche Handlungen sind nur unter ausreichenden Sicherheitsvorkehrungen<br />

vorzunehmen oder ganz zu unterlassen<br />

- Art und Maß der anzuwendenden Sorgfalt ergeben sich aus den<br />

Anforderungen, die bei einer Betrachtung der Gefahrenlage "ex ante"<br />

an einen besonnenen und gewissenhaften Menschen in der<br />

konkreten und sozialen Rolle des Handelnden zu stellen sind (h.M.<br />

- nach a.A. ist das individuelle Leistungsvermögen zu verobjektivieren)<br />

-<br />

υ<br />

υ<br />

υ<br />

Sonderwissen ist zu beachten<br />

T.d.L.: Sonderkönnen berücksichtigen<br />

Vertrauensgrundsatz beachten (v.a. im Straßenverkehr; aber<br />

auch z.B. im Bereich der Arzthaftung!)<br />

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184<br />

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Prüfschema 16: Die fahrlässige Begehungstat, Forts.<br />

III. Objektive Zurechnung des Erfolges unter Berücksichtigung<br />

- der tatbestandlichen Relevanz der Sorgfaltspflichtverletzung<br />

für den Eintritt des Erfolges (sog. Pflichtwidrigkeitszusammenhang);<br />

u.U. objektive Unvermeidbarkeit des Erfolges bei pflichtgemäßem<br />

Verhalten,<br />

- des Schutzzwecks der in Betracht kommenden Sorgfaltsnorm<br />

(Schutzzweckzusammenhang) und<br />

- einer eventuellen "Inadäquanz" des sich atypisch entwickelnden<br />

Kausalverlaufs.<br />

(IV. Tatbestandsannex (s.o.))<br />

B. Rechtswidrigkeit<br />

C. Schuld<br />

I. Schuldfähigkeit<br />

II. Spezielle Schuldmerkmale – z.B. "Rücksichtslosigkeit" nach<br />

§ 315 c III Nr. 2 i.V.m. I Nr. 2<br />

III. Persönliche Vorwerfbarkeit der tatbestandlich-widerrechtlichen<br />

Handlung:<br />

1. Fahrl.-fehlerhafte Einstellung zu den Verhaltensanforderungen<br />

der Rechtsordnung als "Schuldform" (begründet durch die Nichterfüllung<br />

der obj. Sorgfaltsanforderungen)<br />

- trotz ausreichender persönlicher Fähigkeiten und<br />

- subj. Voraussehbarkeit des Erfolges einschl. des Kausalverlaufs<br />

2. Mögl. der Unrechtseinsicht (potentielles Unrechtsbewusstsein)<br />

3. Nichtvorliegen von Entschuldigungsgründen, unter Einschluss<br />

der Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens in besonderen Konfliktlagen<br />

(nur bei bewusster Fahrl.)<br />

...<br />

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185<br />

_______________________________________________________________________________________<br />

116 Grundsätze der Fahrlässigkeitstaten<br />

υ Merke: Kennzeichnend für die Fahrlässigkeitstaten ist die ungewollte<br />

Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes durch eine pflichtwidrige<br />

Vernachlässigung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt.<br />

Im Übrigen ist zu beachten:<br />

• Keine Versuchsstrafbarkeit und keine <strong>Teil</strong>nahme möglich!<br />

• § 15 (Strafbarkeit nur soweit ausdrücklich bestimmt)<br />

• Erscheinungsformen der Fahrlässigkeit sind die unbewusste<br />

und die bewusste Fahrlässigkeit (allein Bedeutung für die<br />

Strafzumessung).<br />

• Leichtfertiges Handeln liegt dann vor, wenn die gebotene Sorgfalt<br />

in außergewöhnlich hohem Maße verletzt wird - vgl. Begriff<br />

der "groben Fahrlässigkeit" im Zivilrecht.<br />

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186<br />

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117 Der Unrechtstatbestand der fahrlässigen Erfolgsdelikte<br />

Die drei wesentliche Elemente des Unrechtstatbestandes:<br />

• Erfolgsverursachung (s. nachfolgend a)),<br />

• Verletzung der obj. Sorgfaltspflicht (s. nachfolgend b)) und<br />

• die am Schutzzweck der Sorgfaltsnorm orientierte objektive Zurechenbarkeit<br />

des auf dem Verhaltensfehler beruhenden Erfolges<br />

(s. nachfolgend c))<br />

a) Erfolgsverursachung: Der Täter muss den Eintritt des sozialschädlichen<br />

Erfolges durch ein vom Willen beherrschtes oder<br />

beherrschbares Verhalten (= Tun oder Unterlassen) verursacht<br />

haben (vgl. o. RN 7).<br />

b) Verletzung der objektiven Sorgfaltspflicht: Erforderlich ist die<br />

Prüfung eines Verhaltensfehlers unter dem Gesichtspunkt, ob<br />

der tatbestandliche Erfolg objektiv voraussehbar war und ob<br />

der Täter die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer acht gelassen<br />

hat.<br />

aa)<br />

Inhalt der Sorgfaltspflicht: Erkennen der aus einem konkreten<br />

Verhalten erwachsenden Gefahren für das geschützte Rechtsgut<br />

und richtige Einstellung im Hinblick darauf. Konsequenzen sind:<br />

• Vornahme der gefährlichen Handlung nur unter ausreichenden<br />

Sicherheitsvorkehrungen oder<br />

• Unterlassen der gefährlichen Handlung<br />

bb)<br />

Art und Ausmaß der anzuwendenden Sorgfalt: Sie ergeben<br />

sich aus den Anforderungen, die bei einer Betrachtung der Gefahrenlage<br />

"ex ante" an einen besonnenen und gewissenhaften<br />

Menschen in der konkreten Lage und der sozialen Rolle des<br />

Handelnden zu stellen sind. Etwaig bestehendes Sonderwissen<br />

des Täters ist zu berücksichtigen.<br />

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cc)<br />

Der Vertrauensgrundsatz: Zu einer Begrenzung der Sorgfaltspflicht<br />

führt der sog. Vertrauensgrundsatz - wer selbst die gebotene<br />

Sorgfalt anwendet, darf seinerseits darauf vertrauen, dass<br />

sein Gegenüber sich ebenfalls sorgfaltsgerecht verhält, solange<br />

nicht das Gegenteil deutlich in Erscheinung tritt oder aus<br />

Gründen besonderer Art Gegenteiliges anzunehmen ist (z.B.<br />

Verhalten von Kindern und älteren Menschen in bestimmten Situationen).<br />

c) Objektive Zurechenbarkeit des auf dem Verhaltensfehler beruhenden<br />

Erfolges = Pflichtwidrigkeits- und Schutzzweckzusammenhang<br />

zwischen Sorgfaltsmangel und Erfolg (dazu s.<br />

nachfolgend RN 118)<br />

118 Einzelheiten zur objektiven Zurechnung<br />

a) Problem: Der Erfolg wäre auch bei einem sorgfaltsgerechtem<br />

Verhalten eingetreten<br />

aa)<br />

Grundsätzliches: Rechtsprechung und Rechtslehre sind sich im<br />

Ergebnis darin einig, dass es an einer Strafbarkeit - etwa nach<br />

§ 222 - fehlt, wenn mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit<br />

feststeht, dass der Todeserfolg auch bei pflichtgemäßem,<br />

rechtlich erlaubtem Verhalten eingetreten, letztlich also unvermeidbar<br />

gewesen wäre. Die dogmatische Einordnung dieser<br />

Problemstellung ist jedoch heftigst umstritten.<br />

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bb)<br />

Meinungsstand im einzelnen<br />

(1) T.d.L.: Verneint mit unterschiedlicher Begründung auf der Tatbestandsebene<br />

den "Zurechnungszusammenhang", wenn es an<br />

der spezifischen Beziehung zwischen Erfolg und Sorgfaltspflichtverletzung<br />

fehlt.<br />

(2) Rspr.: Verlegt das Problem in den Bereich des "Kausalzusammenhangs",<br />

indem sie darauf abstellt, ob gerade die Pflichtwidrigkeit<br />

für den Erfolg ursächlich war.<br />

b) (Problem-)Fall: Autofahrer fährt zu schnell - bei Einhaltung der<br />

zulässigen Geschwindigkeit hätte der Autofahrer den Unfallort<br />

später erreicht.<br />

Die Frage, ob sich schutzzweckrelevante Gefahren des zu<br />

schnellen Fahrens im konkreten Erfolg verwirklicht haben, ist<br />

stets auf die erfolgsursächliche kritische Gefahrensituation zu<br />

beziehen, die mit dem sog. Gefahrerkennungszeitpunkt beginnt.<br />

Nach Auffassung der Rechtsprechung sind dabei auch Eigenbewegungen<br />

des Gefährdeten zu beachten.<br />

c) Sieht man in der Vermeidbarkeit des Erfolges durch pflichtgemäßes<br />

Verhalten eine haftungsbegründende Voraussetzung des<br />

Fahrlässigkeitstatbestandes, so kommt eine Freisprechung nach<br />

dem Grundsatz in dubio pro reo schon dann in Betracht, wenn<br />

konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der tatbestandliche<br />

Erfolg in gleicher Weise auch bei sorgfältigem, fehlerfreien<br />

Verhalten eingetreten wäre - a.A. ist die Risikoerhöhungslehre<br />

(s.o. RN 12).<br />

d) Auch auf der Opferseite sind Sorgfaltsverstöße möglich, die wegen<br />

ihrer völlig untergeordneten Bedeutung gegenüber der Sorgfaltspflichtverletzung<br />

des Täters die objektive Zurechnung des<br />

Erfolges zu dessen Lasten nicht ausschließen.<br />

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e) Die Ursächlichkeit eines pflichtwidrigen Verhaltens sowie die objektive<br />

Zurechenbarkeit des tatbestandlichen Erfolges werden in<br />

der Regel nicht dadurch in Frage gestellt, dass der gleiche Erfolg<br />

auch durch das fahrlässige Verhalten eines Dritten herbeigeführt<br />

worden wäre (Massenkarambolagefall - BGHSt 30, 228 - bitte<br />

nachlesen!) - Stichwort Reserveursache (vgl. o. RN 10 b) bb)<br />

(3)).<br />

f) Fahrlässig handelnde Nebentäter können ihre Verantwortlichkeit<br />

für den von ihnen herbeigeführten Erfolg nicht mit dem Hinweis<br />

auf das pflichtwidrige Verhalten des jeweils anderen von sich abschieben.<br />

119 RN bleibt frei!<br />

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120 Rechtswidrigkeit und Schuld bei Fahrlässigkeitstaten<br />

a) Rechtswidrigkeit<br />

Vorliegen von Rechtfertigungsgründen – z.B. Notwehr; rechtfertigender<br />

Notstand; Festnahmerecht nach § 127 I StPO und Einwilligung<br />

des Verletzten in das Risiko einer Rechtsgutsverletzung<br />

b) Schuld<br />

aa)<br />

bb)<br />

Für Schuldfähigkeit und Unrechtsbewusstsein gilt das Übliche<br />

Der Fahrlässigkeits-Schuldvorwurf wird durch die Feststellung<br />

begründet, dass der Täter nach seinen persönlichen Fähigkeiten<br />

und dem Maß seines individuellen Könnens imstande war, die<br />

objektive Sorgfaltspflicht zu erkennen und die sich daraus ergebenden<br />

Sorgfaltsanforderungen zu erfüllen.<br />

121 Vorsatz-Fahrlässigkeitskombinationen - grundsätzliche<br />

Unterscheidung<br />

a) Erfolgsqualifizierte Delikte (z.B. §§ 227 i.V.m. 18)<br />

b) Eigentliche Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombinationen: Vorsatzteil<br />

des Tatbestandes ist für sich allein nicht strafbar, sondern u.a.<br />

erst dann, wenn dadurch fahrlässigerweise eine konkrete Individualgefahr<br />

verursacht wird (z.B. § 315 V, 315 a III Nr. 1); beachte<br />

§ 11 II!<br />

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122 Das Merkmal der Fahrlässigkeit in den Vorsatz-<br />

Fahrlässigkeits-Kombinationen<br />

Nach h.M. beschränkt sich die Prüfung der Fahrlässigkeit auf die<br />

Vorhersehbarkeit der besonderen Tatfolge, da die Sorgfaltspflichtverletzung<br />

hier regelmäßig schon in der vorsätzlichen Tathandlung<br />

mit enthalten ist (nach einer Mindermeinung bedarf es<br />

stets auch der Erkennbarkeit des tatbestandsspezifischen<br />

Gefahrzusammenhangs zwischen Grunddelikt und Erfolgsqualifizierung).<br />

υ Beachte: Sind an einem erfolgsqualifizierten Delikt mehrere<br />

Personen beteiligt, so ist nach Bejahung des einschlägigen<br />

Grundtatbestandes gem. §§ 29, 18 für jeden Beteiligten gesondert<br />

zu prüfen, ob ihm hinsichtlich der qualifizierenden Tatfolge<br />

Fahrlässigkeit bzw. Leichtfertigkeit zur Last fällt!<br />

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123 Erfolgsqualifizierte Delikte - Aufbau (getrennte Prüfung)<br />

Prüfschema 17: Aufbau erfolgsqualifizierte Delikte (getrennte Prüfung)<br />

A. (Vorsätzliches) Grunddelikt (übliche Prüfung)<br />

B. Eintritt und Verursachung der "besonderen Tatfolge" i.S.d. § 18<br />

C. Tatbestandsspezifischen Gefahrzusammenhangs zwischen<br />

Grunddelikt und Erfolgsqualifikation - sog. Unmittelbarkeitszusammenhang<br />

D. Mindestens Fahrlässigkeit, u.U. Leichtfertigkeit bzgl. der Herbeiführung<br />

der qualifizierenden Tatfolge:<br />

I. Objektive Fahrlässigkeitselemente: Einfache bzw. grobe Verletzung<br />

der Sorgfaltspflicht im Hinblick auf die objektive Vorhersehbarkeit<br />

der besonderen Tatfolge und die generelle Erkennbarkeit<br />

des tatbestandsspezifischen Gefahrzusammenhangs [= Kriterien<br />

des Fahrlässigkeitsunrechts]<br />

II. Subjektive Fahrlässigkeitselemente: Vorwerfbarkeit der Sorgfaltspflichtverletzung<br />

im Hinblick auf die persönlichen Kenntnisse<br />

und Fähigkeiten des Täters + konkret individuelle Vorhersehbarkeit<br />

der besonderen Tatfolge einschließlich des deliktstypischen<br />

Gefahrenzusammenhangs<br />

[= Kriterien des Fahrlässigkeitsschuldvorwurfs]<br />

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124 Prüfungsaufbau: Versuch der Erfolgsqualifikation<br />

Der Versuch erfolgsqualifizierter Delikte ist begrifflich möglich,<br />

die Beurteilung ist jedoch letztlich tatbestandsorientiert vorzunehmen<br />

(zu den Formen des Versuchs der Erfolgsqualifizierung<br />

s.o. RN 79 c) dd)!). Dazu zwei Fallgruppen (vgl. W/B, AT, RN<br />

617):<br />

υ Versuch der Erfolgsqualifikation (= wenn der Täter bei verwirklichtem<br />

oder versuchtem Grunddelikt die qualifizierte Folge in<br />

seinen Vorsatz aufgenommen hat, ihr Eintritt aber ausbleibt –<br />

z.B. BGH NStZ 2001, 371) – s. auch Schema 18 u.<br />

Versuch der Erfolgsqualifikation<br />

1. Fall: Täter verwirklicht<br />

Grunddelikt (z.B. § 249), die<br />

von ihm angestrebte (bzw.<br />

mind. mit dolus eventualis in<br />

seine Vorstellung aufgenommene)<br />

schwere Folge (z.B. der<br />

Tod in § 251) bleibt aus – s.<br />

dazu auch Joecks, a.a.O., § 18,<br />

RN 5<br />

2. Fall: Grunddelikt bleibt im<br />

Versuchsstadium „stecken“ und<br />

auch die schwere Folge wird<br />

nur angestrebt – setzt aber<br />

v oraus, dass der Versuch des<br />

Grunddelikts strafbar ist (Arg.:<br />

§ 18 macht die strafschärfende<br />

Wirkung der schweren Folge<br />

von strafbarem Grundverhalten<br />

abhängig, vgl. W/B, AT, RN<br />

617)<br />

υ Erfolgsqualifizierter Versuch (Herbeiführung der besonderen<br />

Folge schon durch Versuch des Grunddelikts) – hier ist nach<br />

h.M. zu fragen, ob die schwere Folge auf dem Erfolg des<br />

Grunddelikts aufbaut oder nicht; Raum für einen erfolgsqualifizierten<br />

Versuch ist nur dort, wo an die Tathandlung angeknüpft<br />

werden kann (z.B. §§ 178, 251; and. z.B. §§ 313 II i.V.m. 308 III);<br />

s. Schema 19 u. und die nachfolgende Übersicht.<br />

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194<br />

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Erfolgsqualifizierter Versuch<br />

1. Fall: Die Norm setzt voraus,<br />

dass sich die straferhöhende<br />

Folge aus dem vorsätzlich herbeigeführten<br />

Erfolg des Grunddelikts<br />

ergibt (bei § 227 ist das<br />

Ergebnis davon abhängig, ob<br />

der Tod Folge des Körperverletzungserfolges<br />

sein muss –<br />

dann scheidet ein Versuch aus<br />

– oder lediglich Folge der Körperverletzungshandlung,<br />

dann<br />

bleibt der Versuch des<br />

§ 227 möglich - in letzterem<br />

Sinne z.B. BGH, Urt. v.<br />

09.10.2002, 5 StR 42/02 – s.<br />

Joecks, a.a.O., § 227, RN 13)<br />

2. Fall: Setzt die Norm keinen<br />

Erfolg des Grunddelikts voraus,<br />

so ist der erfolgsqualifizierte<br />

Versuch denkbar (z.B. bei<br />

§ 251).<br />

Zu Fragen des Rücktritts (im Zusammenhang mit § 251) s.<br />

Joecks, a.a.O., § 251, RN 14 – bitte nachlesen!<br />

Prüfschema 18: Versuch der Erfolgsqualifikation (Normalfall)<br />

A. Grunddelikt (s.o.)<br />

B. Erfolgsqualifikation<br />

I. Tatentschluss bzgl. des Eintritts der schweren Folge<br />

II. Unmittelbares Ansetzen<br />

Prüfschema 19: Versuch der Erfolgsqualifikation/erfolgsqualifizierter<br />

Versuch (Problemfall)<br />

Problem: Grundtatbestand ist im Versuchsstadium steckengeblieben,<br />

die besondere Folge wird fahrlässig herbeigeführt:<br />

A. Tatbestand<br />

I. Tatentschluss bzgl. des Grundtatbestandes<br />

II. Unmittelbares Ansetzen<br />

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195<br />

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124 a <strong>Fahrlässigkeitsdelikte</strong>: Rechtsprechung<br />

BGH NStZ 1995, 183 [zur Verantwortlichkeit eines an einem Anfallsleiden<br />

erkrankten Kraftfahrers für seine <strong>Teil</strong>nahme am Straßenverkehr<br />

- hier u.a. Strafbarkeit nach § 222]: Der BGH bejaht<br />

die Strafbarkeit des Angeklagten, insbesondere sieht der BGH<br />

keine Bedenken wegen des Vorwurfs der objektiven Sorgfaltswidrigkeit<br />

- nach Auffassung des BGH hat der Angeklagte nicht<br />

darauf vertrauen können, am Steuer keinen Anfall zu erleiden,<br />

weil er trotz jahrelanger <strong>Teil</strong>nahme am Straßenverkehr noch nie<br />

beim Autofahren einen Unfall erlitten hat, er hätte gerade bei einer<br />

Autofahrt über eine längere Strecke und bei widrigen Verkehrsverhältnissen<br />

damit rechnen können und müssen, dass er<br />

unter dieser Anstrengung am Steuer einen Anfall erleidet.<br />

BGH NStZ-RR 1996, 100: Der BGH bejaht eine Strafbarkeit<br />

nach § 222, wenn sich der Täter an einem "spielerischen Gefecht"<br />

mit scharfen Waffen beteiligte, obwohl dieses ersichtlich<br />

die Gefahr einer Eskalation und eines tödlichen Ausganges in<br />

sich barg.<br />

BGH NStZ 1997, 190: Wer als Vermieter von Wohnungen in einem<br />

Altbau Renovierungsabfälle im inneren Hauseingangsbereich<br />

zwischenlagert, ist ohne Hinzutritt weitere Umstände strafrechtlich<br />

nicht dafür verantwortlich, dass diese Abfälle von einem<br />

Brandstifter als Brandlegungsmittel missbraucht werden und bei<br />

dem Brand des Hauses Menschen getötet oder verletzt werden.<br />

OLG Rostock NStZ 2001, 199 [Verantwortungsprinzip bei mittelbar<br />

verursachtem Erfolg]: Keine Strafbarkeit eines für einen<br />

Einsatz verantwortlichen Polizeibeamten wegen eines durch Unterlassen<br />

fahrlässig verursachten Brandes, wenn dieser von Dritten<br />

vorsätzlich gelegt worden ist (bitte nachlesen!).<br />

BGH NJW 2003, 2326: Wer in Folge einer Täuschung durch das<br />

Opfer vorsatzlos aktive Sterbehilfe leistet, nimmt nicht an einer<br />

tatbestandslosen Selbstgefährdung teil. Es kommt (u.a.) Strafbarkeit<br />

nach § 222 wegen fahrlässiger Tötung in Betracht.<br />

BGH, Urt. v. 14.03.2003, Az. 2 StR 239/02 [Strafbarkeit nach<br />

§ 229 wegen Hepatitis B-Infektion durch Herzchirurg?]: Zur<br />

(objektiven) Fahrlässigkeit heißt es: „Art und Maß der anzuwendenden<br />

Sorgfalt resultieren aus den Anforderungen (...), die bei<br />

Betrachtung der Gefahrenlage „ex ante“ an einen besonnenen<br />

und gewissenhaften Menschen in der konkreten Lage und der<br />

sozialen Rolle des Handelnden zu stellen sind; maßgeblich ist<br />

also, wie sich ein umsichtiger und erfahrener Arzt derselben<br />

Fachrichtung in gleicher Situation verhalten hätte, so dass nachträgliche<br />

wissenschaftliche Erkenntnisse außer Betracht zu bleiben<br />

haben (...).“ [vorliegend bejaht der BGH die Fahrlässigkeit<br />

des Handelns des Herzchirurgen].<br />

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Lernprogramm Strafrecht <strong>8.</strong> <strong>Teil</strong><br />

196<br />

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BGH NStZ 2004, 151 [Zur Verantwortlichkeit von Klinikärzten<br />

für die von dort Untergebrachten beim Ausgang verübte<br />

Straftaten]: Der BGH weist darauf hin, dass Personen, die in einer<br />

psychiatrischen Klinik mit Leitungsfunktionen betraut sind,<br />

wegen fahrlässiger Tötung bzw. fahrlässiger Körperverletzung<br />

strafbar sein können, wenn sie einem erkennbar tatgeneigten<br />

Patienten Ausgang gewähren und dieser den Ausgang zur Begehung<br />

von Tötungs- und Körperverletzungsdelikten missbraucht.<br />

BGH, Urt. v. 01.02.2005, Az.: 1 StR 422/04, NStZ 2005, 446<br />

[Fahrlässige Tötung wegen eines durch glimmende Zigarettenreste<br />

ausgelösten Wohnungs(Schwel)brandes]: Pflichtwidrig<br />

i. S. einer fahrlässigen Tatbestandsverwirklichung handelt,<br />

wer objektiv gegen eine Sorgfaltspflicht verstößt, die gerade dem<br />

Schutz des beeinträchtigten Guts dient und zu einer Rechtsgutverletzung<br />

führt, die der Täter nach seinen subjektiven Kenntnissen<br />

und Fähigkeiten hätte vermeiden können. Art und Maß der<br />

anzuwendenden Sorgfalt bestimmen sich nach den Anforderungen,<br />

die nach objektiver Betrachtung einer Gefahrenlage ex ante<br />

an einen besonnenen und gewissenhaften Menschen in der konkreten<br />

Lage und sozialen Rolle des Handelnden zu stellen sind.<br />

Im Rahmen der Vorwerfbarkeit ist bei vorliegender Erfolgsabwendungspflicht<br />

nicht entscheidend, ob die Pflichtwidrigkeit in einem<br />

aktiven Tun liegt oder in einem Unterlassen begründet ist.<br />

Der Erfolg einer fahrlässigen Tötung kann genauso wie der einer<br />

fahrlässigen Brandstiftung durch ein pflichtwidriges Unterlassen<br />

herbeigeführt werden. Für die Entscheidung der Frage, ob ein<br />

Tun oder ein Unterlassen vorliegt, kommt es auf den Schwerpunkt<br />

des Täterverhaltens an.<br />

Im konkreten Fall bejaht der BGH das Vorliegen der Voraussetzungen<br />

für eine fahrlässige Tötung (durch Unterlassen). Dies<br />

begründet der BGH im wesentlichen damit, dass die Angekl., ohne<br />

zuvor die brennbaren und daher erkennbaren gefährlichen<br />

Materialien zu beseitigen, zahlreichen Gästen in der Wohnung es<br />

gestattete, intensiv zu rauchen; hinzu kam für das Gericht, dass<br />

die Opfer, Kinder der Angekl., noch sehr klein und überdies teilweise<br />

krank waren. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz –<br />

so der BGH – hätte die Angekl. das objektiv keineswegs fern liegende<br />

Risiko einer Brandentstehung erkennen können; es war<br />

daher nach Einschätzung des Gerichts geboten, vor Verlassen<br />

der Wohnung diese nach Glutresten abzusuchen. Der BGH geht<br />

davon aus, dass der Angekl. die vom Zigarettenkonsum ausgehende<br />

Brandgefahr bekannt war. Schließlich verweist das Gericht<br />

darauf, dass die Pflicht, das Wohnzimmer vor Verlassen<br />

nach Glutresten abzusuchen, auch dann bestanden hätte, wenn<br />

die Angekl. – wie geschehen – die Wohnung nicht verlassen,<br />

sondern zu Bett gegangen wäre.<br />

Mit Blick auf die Abgrenzung zwischen einem aktiven Tun und<br />

einem Unterlassen weist der BGH darauf hin, dass das Verlas-<br />

© Eisenbeis Rechtsanwaltsges. mbH/RA Dr. U. Schlegel 2006


Lernprogramm Strafrecht <strong>8.</strong> <strong>Teil</strong><br />

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sen der Wohnung für sich genommen unschädlich gewesen wäre,<br />

wenn es die Angekl. nicht unterlassen hätte, für eine durchgehende<br />

Aufsicht der Kinder in ihrer Abwesenheit zu sorgen oder<br />

zumindest die Gefahrenquelle zu beseitigen.<br />

© Eisenbeis Rechtsanwaltsges. mbH/RA Dr. U. Schlegel 2006

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