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AHB 254_PDF24 - Stadtgemeinschaft Tilsit eV - Ostpreußen

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eunruhigte und auch schwer zu ertragen<br />

war wegen der starken Kälte.<br />

Natürlich lagen wir weit draußen auf<br />

dem Güterbahnhof. Immer mehr<br />

Flüchtlingszüge kamen hinzu. Was<br />

man an Frost und Durst ertragen hat<br />

in dieser Zeit, lässt sich gar nicht beschreiben.<br />

Oft haben wir in der Not<br />

Schnee geleckt. Alle Flüchtlinge hatte<br />

dicke, geschwollene Lippen, bei vielen,<br />

so auch bei mir, bildete sich ein<br />

breiter Rand von Ausschlag um den<br />

Mund herum. Grässlich, oft unheimlich<br />

waren die Nächte! Dicht aneinander<br />

gedrängt hockte man, in sich<br />

zusammenkriechend vor Kältegefühl.<br />

Man schlief und wachte, und wachte<br />

und schlief, mal stumpf, mal ungeduldig<br />

wartend auf die Weiterfahrt.<br />

Man konnte und wollte noch nicht<br />

begreifen, warum nicht gefahren<br />

wurde. Oft wurden wir durch lautes<br />

Rufen aufgeschreckt. Menschen rannten<br />

zwischen den Zügen auf und ab.<br />

„Hallo, hallo, wo sind Allensteiner, wo<br />

befinden sich Wartenburger!“ und so<br />

fort. „Ich suche meine Kinder! Ich suche<br />

meinen Mann, meine alte Mutter!“<br />

usw. Manche fanden sich, andere<br />

nicht. Wir beide drückten uns die<br />

Hände, wir waren beisammen, doch<br />

in tiefer Sorge um die Söhne. Unheimlich<br />

wirkten auf die überreizten<br />

Nerven in der Dunkelheit des Morgens<br />

alle von draußen hereindringende<br />

Geräusche. Einmal rief eine<br />

scharfe Männerstimme: „Hände hoch!<br />

Hände hoch oder ich schieße!“ Es<br />

folgten allerlei Geräusche, Scharren<br />

und sich entfernende Fußtritte. Ob<br />

man einen Deserteur oder einen Spion<br />

entdeckt hatte? Nun hörte man,<br />

wie andere Züge abfuhren. Ungeduldig,<br />

wie kleine Kinder, riefen einige:<br />

„Warum fahren wir nicht!“ Andere<br />

schrien hohnvoll: „Führer, wir danken<br />

dir!“ Noch höhnender: „Führer, befiehl,<br />

wir folgen dir!“ Es war schon eine<br />

Wahnsinnsstimmung. Einer war in<br />

der Enge dem anderen im Wege, hier<br />

und da entstand Streit. Die Säuglinge<br />

konnten vor Heiserkeit nicht mehr<br />

schreien. Da, der Zug setzte sich in<br />

Bewegung. Wir fuhren! Es war 3 Uhr<br />

nachts. Alles atmete auf. Anscheinend<br />

wurde viel rangiert. Nach fünf<br />

Stunden hielt der Zug plötzlich. Wir<br />

glaubten nun, uns auf pommerschem<br />

Boden zu befinden. Neugierig öffneten<br />

wir die Tür. „Du ahnst es nicht!“<br />

rief entsetzt eine junge Frau an der<br />

Tür. Wir waren wieder in Braunsberg.<br />

Totenstille! Jeder musste erst mit<br />

dieser Enttäuschung selbst fertig<br />

werden, sowie mit der Erkenntnis,<br />

dass wir zwar dem Kessel Allenstein<br />

entronnen waren, dafür aber im Kessel<br />

<strong>Ostpreußen</strong> festsaßen. Entsetzliche<br />

Erkenntnis! Der Zug hatte nirgends<br />

mehr durchkommen können.<br />

Nun verlangten wir vom Bahnpersonal,<br />

nach Pillau gebracht zu werden,<br />

um per Dampfer hinauszukommen.<br />

Inzwischen kam gegenüber ein Militärmaterialzug<br />

vorgefahren, der nach<br />

Pillau fuhr. Viele Flüchtlinge stiegen<br />

aus, setzten sich in die reparaturbedürftigen<br />

Autos, die auf den Loren<br />

standen. Auch ich hatte hierzu große<br />

Lust. Aber da pfiff plötzlich unser Zug<br />

und tat den ersten Ruck. Nichts wie<br />

einsteigen! Wir fuhren gen Pillau. An<br />

einem kleinen Dorfbahnhof hielten wir<br />

spätnachmittags an. Es war Wollitnick<br />

vor Königsberg. Hier wurden wir ausgeladen.<br />

Schluss folgt.<br />

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