12/01 - Evangelische Kirchen in Erfurt

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PERSÖNLICHKEITEN 34 „Gottes Wort ins Leben verwandeln“ Dr. Michael Ludscheidt Johann Arndt zum 450. Geburtstag Der Einfluss der Schriften des lutherischen Theologen Johann Arndt auf die Theologieund römmigkeitsgeschichte des neuzeitlichen Protestantismus ist seit langem erkannt und wiederholt gewürdigt worden. Die orschung betont vor allem seine Bedeutung für die Herausbildung des Pietismus, wobei ihm gelegentlich nicht nur die Rolle eines Vorläufers dieser Bewegung zuerkannt, sondern sein Hauptwerk, die Vier (später Sechs) Bücher vom Wahren Christentum (1605-1610), als Ausgangspunkt des lutherischen Pietismus betrachtet wird. Grundlage hierfür ist die von Johannes Wallmann getroffene Unterscheidung zwischen Pietismus im weiteren Sinne als einer sich literarisch äußernden römmigkeitsrichtung und Pietismus in engerem Sinne als einer soziologisch greifbaren Reformbewegung (Philipp Jakob Spener und die Anfänge des Pietismus. Tübingen 2 1986, S. 14). Während letztere erst mit dem Auftreten Speners wirksam wurde, ist der für die Theologiegeschichte wichtige pietistische römmigkeitstyp zweifelsohne bereits auf Johann Arndt zurückzuführen. Die vierhundertfünfzigste Wiederkehr seines Geburtstags am 27. Dezember bietet Anlass, an diesen herausragenden theologischen Denker aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts zu erinnern. Der in Ballenstedt im Anhaltischen 1555 als Sohn eines Pfarrers geborene Johann Arndt besuchte die Lateinschulen in Aschersleben, Halberstadt und Magdeburg. Daran schlossen sich akademische Studien an, über deren Inhalte, mögliche Dauer und Lokalisierung erst seit kurzem genauere Informationen vorliegen. Gestützt auf die von Wilhelm Storch mitgeteilten biographischen Angaben in der Leichenpredigt ging man bislang von einem Theologiestudium Arndts an den Universitäten in Helmstedt, Wittenberg, Basel und Straßburg aus. Dagegen konnte Hans Schneider durch eine quellengestützte Rekonstruktion des Bildungsganges (Johann Arndts Studienzeit, in: Jahrbuch der Gesellschaft für Niedersächsische Kirchengeschichte 89 [1991], S. 133-175) den überraschenden Nachweis führen, dass die „einflußreichste Gestalt der lutherischen Christenheit seit den Tagen der Reformation“ (H. Pleijel) nie ein reguläres Theologiestudium absolviert hat. Als gesichert gilt hingegen nun die Beschäftigung mit paracelsischer und wohl auch hippokratisch-galenischer Medizin zumindest in Helmstedt (von 1575 bis 1577) und Basel (zwischen Januar und September 1579). Aufenthalte in Wittenberg und Straßburg dürfen gleichfalls angenommen werden, doch lässt sich nicht mehr nachvollziehen, in welche Zeit sie fielen und welche ächer Arndt belegt haben könnte. Ungeachtet mancher Präzisierungen biographischer Zusammenhänge bleiben die Kenntnisse über den Lebensgang Arndts vor seinem Eintritt ins Pfarramt lückenhaft. Erst mit dem Datum der Ordination in Bernburg im Oktober 1583 ist lebensgeschichtlich wieder ein sicherer Anhaltspunkt ge-

35 PERSÖNLICHKEITEN geben. Nach der Amtseinführung wirkte Arndt für ein Jahr als Diakon an der Ballenstedter Kirche St. Nicolai und wurde dann auf die Pfarrstelle des benachbarten Ortes Badeborn berufen. Die fruchtbare, durch das gute Einvernehmen mit der Gemeinde beförderte Tätigkeit fand 1590 ein jähes Ende, als sich Arndt gemeinsam mit anderen Geistlichen der von Herzog Johann Georg I. angeordneten Abschaffung des Taufexorzismus widersetzte und daraufhin seines Amtes enthoben und des Landes verwiesen wurde. Ein neuer Wirkungskreis eröffnete sich ihm an der Nikolaikirche in Quedlinburg, wo er trotz mancher Misshelligkeiten bis 1599 die pfarramtlichen Pflichten versah. Die in jenem Jahr erfolgte Berufung an die Braunschweiger Hauptkirche St. Martini nahm Arndt ohne Zögern an, weil es ihm dadurch möglich wurde, den wachsenden Spannungen in Quedlinburg zu entkommen. In der Braunschweiger Periode, die gleichfalls nicht ohne Konflikte blieb, entstanden Teile der Bücher vom Wahren Christentum. Die früheste Ausgabe des ersten Buches erschien 1605 in rankfurt/Main (mehrere Nachauflagen an verschiedenen Orten folgten von 1606 bis 1609); die übrigen drei Bücher wurden erstmals 1610 in Magdeburg aufgelegt (über eine angeblich bereits 1609 gedruckte Ausgabe herrscht Ungewissheit). Im Zentrum dieses auf Herzensfrömmigkeit und eine Verlebendigung des Glaubens gerichteten Erbauungsbuches steht die Gottesebenbildlichkeit als Ursprung und Ziel des Menschen. Arndt schöpft in reichem Maße aus der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen mystischen Tradition (Angela von oligno, Meister Eckhart, Johannes Tauler, Raimund von Sibiuda, Valentin Weigel) und zog sich dadurch den Verdacht mangelnder Rechtgläubigkeit zu. 1607 wurde ihm untersagt, ohne Einwilligung der evangelisch-lutherischen Pfarrerschaft Braunschweigs Schriften zum Druck zu befördern. Als durch Vermittlung Johann Gerhards der erste Teil des Werkes, begleitet von einem positiven Gutachten der Theologischen akultät in Jena, dennoch erneut aufgelegt wurde, brach der Streit mit der Orthodoxie offen aus. Nunmehr stand Arndt im Blickpunkt der kirchlichen Öffentlichkeit und im Mittelpunkt der theologischen Auseinandersetzungen seiner Zeit. Unter diesen Umständen musste es ihm gelegen kommen, dass er zu Beginn des Jahres 1609 an der Andreaskirche in Luthers Geburtsstadt Eisleben eine neue Aufgabe übernehmen konnte. Das letzte Lebensjahrzehnt verbrachte Arndt ab 1611 als Generalsuperintendent des Herzogtums Braunschweig-Lüneburg in Celle. Zu den bemerkenswerten Leistungen in diesem Amt zählen u. a. eine 1615 gegen vielfältige Widerstände durchgeführte Generalkirchenvisitation sowie die Verbesserung der aus dem Jahr 1564 stammenden Kirchenordnung. Nach kurzer Krankheit starb Johann Arndt am 11. Mai 1621 in Celle. Arndt war ein überaus fruchtbarer theologischer Schriftsteller (bibliographische Übersicht TRE IV, S. 124f.). ür die Verbreitung namentlich seines Hauptwerks, der Vier Bücher vom Wahren Christentum, spricht die Tatsache, dass auch gegenwärtig noch kein vollständiges Verzeichnis aller seit 1605 erschienenen Ausgaben vorgelegt werden kann, weil von Zeit zu Zeit bislang unbekannte auftauchen. Auch die Übersetzungen in nahezu alle europäischen Sprachen dürften erst ansatzweise erfasst sein. In späteren Auflagen wurde dem Wahren Christentum, einem ausdrücklichen Hinweis Arndts folgend, zumeist das erstmals 1612 publizierte Paradies-Gärtlein beigebunden. Dass das Werk in dieser Gestalt zum einflussreichsten Andachtsbuch im deutschen Protestantismus aufstieg, belegen zahllose Rezeptionszeugnisse von Johann Valentin Andreae bis zur Erweckungsbewegung im frühen 19. Jahrhundert.

PERSÖNLICHKEITEN 34<br />

„Gottes Wort <strong>in</strong>s Leben<br />

verwandeln“<br />

Dr. Michael Ludscheidt<br />

Johann Arndt zum 450. Geburtstag<br />

Der E<strong>in</strong>fluss der Schriften des lutherischen<br />

Theologen Johann Arndt auf die Theologieund<br />

römmigkeitsgeschichte des neuzeitlichen<br />

Protestantismus ist seit langem erkannt<br />

und wiederholt gewürdigt worden.<br />

Die orschung betont vor<br />

allem se<strong>in</strong>e Bedeutung für<br />

die Herausbildung des Pietismus,<br />

wobei ihm gelegentlich<br />

nicht nur die Rolle<br />

e<strong>in</strong>es Vorläufers dieser<br />

Bewegung zuerkannt, sondern<br />

se<strong>in</strong> Hauptwerk, die<br />

Vier (später Sechs) Bücher<br />

vom Wahren Christentum<br />

(1605-1610), als Ausgangspunkt<br />

des lutherischen<br />

Pietismus betrachtet<br />

wird. Grundlage hierfür ist<br />

die von Johannes Wallmann<br />

getroffene Unterscheidung<br />

zwischen Pietismus<br />

im weiteren S<strong>in</strong>ne als e<strong>in</strong>er sich literarisch<br />

äußernden römmigkeitsrichtung<br />

und Pietismus <strong>in</strong> engerem S<strong>in</strong>ne als e<strong>in</strong>er<br />

soziologisch greifbaren Reformbewegung<br />

(Philipp Jakob Spener und die Anfänge des<br />

Pietismus. Tüb<strong>in</strong>gen 2 1986, S. 14). Während<br />

letztere erst mit dem Auftreten Speners<br />

wirksam wurde, ist der für die Theologiegeschichte<br />

wichtige pietistische römmigkeitstyp<br />

zweifelsohne bereits auf Johann<br />

Arndt zurückzuführen. Die vierhundertfünfzigste<br />

Wiederkehr se<strong>in</strong>es Geburtstags<br />

am 27. Dezember bietet Anlass, an diesen<br />

herausragenden theologischen Denker<br />

aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts<br />

zu er<strong>in</strong>nern.<br />

Der <strong>in</strong> Ballenstedt im Anhaltischen 1555<br />

als Sohn e<strong>in</strong>es Pfarrers geborene Johann<br />

Arndt besuchte die Late<strong>in</strong>schulen <strong>in</strong><br />

Aschersleben, Halberstadt und Magdeburg.<br />

Daran schlossen sich akademische Studien<br />

an, über deren Inhalte, mögliche Dauer<br />

und Lokalisierung erst seit kurzem genauere<br />

Informationen vorliegen. Gestützt<br />

auf die von Wilhelm Storch mitgeteilten<br />

biographischen Angaben <strong>in</strong> der Leichenpredigt<br />

g<strong>in</strong>g man bislang von e<strong>in</strong>em Theologiestudium<br />

Arndts an den Universitäten<br />

<strong>in</strong> Helmstedt, Wittenberg, Basel und Straßburg<br />

aus. Dagegen konnte Hans Schneider<br />

durch e<strong>in</strong>e quellengestützte<br />

Rekonstruktion des<br />

Bildungsganges (Johann<br />

Arndts Studienzeit, <strong>in</strong>:<br />

Jahrbuch der Gesellschaft<br />

für Niedersächsische <strong>Kirchen</strong>geschichte<br />

89 [1991],<br />

S. 133-175) den überraschenden<br />

Nachweis führen,<br />

dass die „e<strong>in</strong>flußreichste<br />

Gestalt der lutherischen<br />

Christenheit seit<br />

den Tagen der Reformation“<br />

(H. Pleijel) nie e<strong>in</strong> reguläres<br />

Theologiestudium<br />

absolviert hat. Als gesichert<br />

gilt h<strong>in</strong>gegen nun die<br />

Beschäftigung mit paracelsischer und wohl<br />

auch hippokratisch-galenischer Mediz<strong>in</strong><br />

zum<strong>in</strong>dest <strong>in</strong> Helmstedt (von 1575 bis<br />

1577) und Basel (zwischen Januar und September<br />

1579). Aufenthalte <strong>in</strong> Wittenberg<br />

und Straßburg dürfen gleichfalls angenommen<br />

werden, doch lässt sich nicht mehr<br />

nachvollziehen, <strong>in</strong> welche Zeit sie fielen<br />

und welche ächer Arndt belegt haben<br />

könnte. Ungeachtet mancher Präzisierungen<br />

biographischer Zusammenhänge bleiben<br />

die Kenntnisse über den Lebensgang<br />

Arndts vor se<strong>in</strong>em E<strong>in</strong>tritt <strong>in</strong>s Pfarramt lückenhaft.<br />

Erst mit dem Datum der Ord<strong>in</strong>ation <strong>in</strong> Bernburg<br />

im Oktober 1583 ist lebensgeschichtlich<br />

wieder e<strong>in</strong> sicherer Anhaltspunkt ge-

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