10.11.2014 Aufrufe

12/01 - Evangelische Kirchen in Erfurt

12/01 - Evangelische Kirchen in Erfurt

12/01 - Evangelische Kirchen in Erfurt

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

23 KIRCHENGESCHICHTE<br />

480 Jahre evangelische<br />

<strong>Kirchen</strong>geme<strong>in</strong>den <strong>in</strong><br />

<strong>Erfurt</strong><br />

Ulman Weiß<br />

Im Mai 1521, als Mart<strong>in</strong> Luther auf se<strong>in</strong>er<br />

Reise zum Wormser Reichstag durch <strong>Erfurt</strong><br />

kam, schien es, als öffne die Stadt dem Evangelium<br />

Tür und Tor. Militante Mart<strong>in</strong>ianer<br />

g<strong>in</strong>gen sogar gewaltsam gegen Papisten vor.<br />

Das brachte die Stadt <strong>in</strong> Verruf und verwickelte<br />

sie <strong>in</strong> mehrere Prozesse. Da war es<br />

mit der evangelischen Euphorie fürs erste<br />

vorbei. Während die e<strong>in</strong>en dem Evangelium<br />

die kalte Schulter zeigten, h<strong>in</strong>gen die andern<br />

ihm weiter an. Ihnen sagte Luther, wie sie<br />

sich verhalten sollten: Nur auf jene hören,<br />

die das Evangelium predigten, die Priester<br />

aber l<strong>in</strong>ks liegen lassen und Ablaß, asten<br />

und das ganze katholische Gaukelwerk nicht<br />

mehr beachten. So im Herbst 1522 <strong>in</strong> der<br />

Kaufmannskirche, wo zu predigen Luther<br />

von den Altarmännern gebeten worden war.<br />

Unter ihnen waren auch e<strong>in</strong>ige, die im Rat<br />

saßen. Der Rat selbst war aber gespalten. Er<br />

war es politisch und religiös-politisch <strong>in</strong> Parteigänger<br />

des Stadtherrn (des Erzbischofs von<br />

Ma<strong>in</strong>z) und <strong>in</strong> Parteigänger des Landesherrn<br />

(des Kurfürsten von Sachsen); jene standen<br />

zur Papstkirche, diese zu Luther und se<strong>in</strong>em<br />

Reformwerk. Mith<strong>in</strong> konnte der Rat, was die<br />

Religion ang<strong>in</strong>g, zu ke<strong>in</strong>em klaren Konzept<br />

gelangen: Er gestattete, aber er gestaltete<br />

nicht. Er duldete, daß Mönche die Klöster<br />

verließen, daß Priester heirateten, daß evangelische<br />

Schriften gedruckt wurden. Doch<br />

schritt er stets e<strong>in</strong>, wenn die Ordnung <strong>in</strong> der<br />

Stadt gefährdet war.<br />

So stand es, als im rühjahr 1525 überall im<br />

Reich der geme<strong>in</strong>e Mann gegen se<strong>in</strong>e Herrschaft<br />

sich erhob und die ahne der evangelischen<br />

reiheit hochhielt. In <strong>Erfurt</strong> hatten<br />

e<strong>in</strong>ige engagierte evangelische Ratsherren<br />

schon seit längerem mit Männern der Landwehr<br />

<strong>in</strong> den nahen Dorfschaften konspiriert.<br />

Jetzt zog die Landwehr <strong>in</strong> die Stadt und zerstörte<br />

alle Zeichen ma<strong>in</strong>zischer Macht. Zur<br />

gleichen Zeit entledigte sich der Rat se<strong>in</strong>er<br />

ma<strong>in</strong>zhörigen Mitglieder und berief e<strong>in</strong>ige<br />

evangelisch ges<strong>in</strong>nte. Dieser neue Rat sollte<br />

e<strong>in</strong> ewiger se<strong>in</strong>, aber die Ewigkeit währte nur<br />

fünf Wochen – lange genug <strong>in</strong>des, um die<br />

rechtlichen und kirchlichen Verhältnisse <strong>in</strong><br />

der Stadt völlig zu verändern. Erst jetzt, nachdem<br />

die jahrhundertealte rechtliche B<strong>in</strong>dung<br />

an das Erzstift zerschnitten worden war,<br />

konnte das <strong>Kirchen</strong>wesen von Grund auf<br />

erneuert werden. Die Messe mit den late<strong>in</strong>ischen<br />

Gebeten und Gesängen und dem<br />

Opfer wurde verboten und an ihrer Stelle der<br />

Gottesdienst uff lutherisch gehalten: Mit<br />

deutschen Liedern, mit Predigt und mit<br />

Abendmahl unter Brot und We<strong>in</strong>. Wenig<br />

später lag die neue Gottesdienstordnung im<br />

Druck vor. E<strong>in</strong>geführt wurde sie aber bloß<br />

<strong>in</strong> acht der über zwanzig Pfarrkirchen; denn<br />

mit der Gottesdienstreform g<strong>in</strong>g e<strong>in</strong>e Geme<strong>in</strong>dereform<br />

e<strong>in</strong>her, die die Stadt <strong>in</strong> acht<br />

große <strong>Kirchen</strong>geme<strong>in</strong>den gliederte: St. Marien,<br />

Prediger, Barfüßer, August<strong>in</strong>er, Regler,<br />

Kaufmänner, Andreas und Thomas. Die kle<strong>in</strong>eren<br />

Geme<strong>in</strong>den, von denen e<strong>in</strong>ige kaum<br />

lebensfähig waren, g<strong>in</strong>gen <strong>in</strong> den größeren<br />

auf, beispielsweise die Matthiasgeme<strong>in</strong>de <strong>in</strong><br />

der Kaufmannsgeme<strong>in</strong>de. Jede dieser großen<br />

Geme<strong>in</strong>den sollte ihren Pfarrer künftig selbst<br />

wählen, der Rat ihn lediglich bestätigen. Die<br />

Klöster jedoch sollten aussterben, bis e<strong>in</strong>es<br />

Tages die Stadt re<strong>in</strong> evangelisch se<strong>in</strong> würde.<br />

So war es gedacht.<br />

Schon bald aber, als die Verhältnisse umstürzten,<br />

mußte der Rat zurückweichen und<br />

die Stadt sich wieder unter die Herrrschaft<br />

des Erzstifts beugen. Bewahrt blieb bloß die<br />

evangelische Kirche. Und auch sie nur nach<br />

langen, schweren Verhandlungen, <strong>in</strong> denen<br />

der Rat sich bereitf<strong>in</strong>den mußte, die Messe<br />

wieder zuzulassen und die katholische Geistlichkeit<br />

und ihre E<strong>in</strong>richtungen zu schützen.<br />

Daraus erwuchs dann das Nebene<strong>in</strong>ander<br />

von Katholischen und <strong>Evangelische</strong>n, das oft<br />

genug e<strong>in</strong> Gegene<strong>in</strong>ander war und erst <strong>in</strong><br />

neuerer Zeit manchmal auch e<strong>in</strong><br />

Mite<strong>in</strong>ander wurde.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!