12/01 - Evangelische Kirchen in Erfurt
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21 THEATERGOTTESDIENST<br />
wendet sich nun gegen die Bürger und Repräsentanten<br />
des Reiches selbst. Der Barbarisierung<br />
des Anderen folgt die Selbstbarbarisierung<br />
auf dem uß.<br />
In e<strong>in</strong>em Akt der Verzweiflung versucht der<br />
Magistrat noch die extremsten ormen der Entwürdigung<br />
und olter gegenüber e<strong>in</strong>er Gruppe<br />
von Gefangenen zu verh<strong>in</strong>dern. Die Wunde,<br />
die ihm als Vergeltung zugefügt wird, entzündet<br />
sich und kehrt sich nach außen.<br />
Die als E<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>gen <strong>in</strong> die Körper vollzogene olter<br />
wendet sich hier quasi zurück. Vielleicht ist<br />
damit e<strong>in</strong> Punkt erreicht, wo e<strong>in</strong>e letzte Grenze<br />
überschritten wurde, wo e<strong>in</strong>e Schwelle betreten<br />
wurde, die e<strong>in</strong>en Samen <strong>in</strong> die Herzen<br />
der noch johlenden Menge gepflanzt hat, der<br />
später aufgehen sollte. Vielleicht ist hier schon<br />
manchem se<strong>in</strong> Gejohle schal geworden.<br />
Obwohl der Magistrat durch die olgen se<strong>in</strong>es<br />
Protestes unerträglichen Schmerz und unfaßbares<br />
Leid erdulden muß – <strong>in</strong>dem er diese Grenze<br />
nicht ohne Protest geräumt hat, hat er daran<br />
er<strong>in</strong>nert, daß es sie noch gibt, daß es letzte<br />
Grenzen gibt, die man nicht ungestraft überschreiten<br />
kann.<br />
Der Magistrat, der demselben Regime wie die<br />
Geheimpolizei dient, der ke<strong>in</strong> sittsames Leben<br />
führt: Er hat sich e<strong>in</strong> Gespür dafür bewahrt, wo<br />
Grenzen s<strong>in</strong>d, die es kategorisch zu respektieren<br />
gilt.<br />
III.<br />
Als Menschen s<strong>in</strong>d wir alle <strong>in</strong> diese Textur von<br />
Schwellen und Grenzen verwoben. Wir s<strong>in</strong>d<br />
ständig <strong>in</strong> Grenzscharmützel und Gartenzaunstreitigkeiten<br />
verwickelt. Deshalb kann man die<br />
Bibel als e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>zige große Erzählung von<br />
Grenzen und Schwellen lesen. Von notwendigen<br />
und überflüssigen Grenzen. Von Schwellen,<br />
die es zu respektieren gilt und von Schwellen,<br />
die man überschreiten sollte.<br />
Im Grunde geht es um die Grenze zwischen<br />
Gott und den Menschen. Und damit auch um<br />
die Grenzen zwischen Menschen. Und<br />
zugleich um die Überw<strong>in</strong>dung dieser Grenze.<br />
Gott ist Mensch geworden, und <strong>in</strong>dem er die<br />
Grenze zwischen Gott und Mensch auf diese<br />
Weise überschreitet, wird er <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Gottse<strong>in</strong><br />
für uns Menschen erst recht begreiflich.<br />
Durch die Begegnung mit Gott können so<br />
zugleich die eigenen Grenzen erkannt und anerkannt<br />
werden. Wir s<strong>in</strong>d als Menschen nicht<br />
Gott. Das Anerkennen können von heilsamen<br />
Grenzen ist e<strong>in</strong>e Gnade. Das Überw<strong>in</strong>den können<br />
von ungerechtfertigen Grenzen ebenso.<br />
Es gibt Situationen, da gilt es Grenzen zu respektieren.<br />
Gegenüber dem Heiligen, gegenüber<br />
anderen Menschen. Die Bibel ist voll von<br />
Erfahrungen, welche die olgen von Grenzverletzungen<br />
s<strong>in</strong>d. Denken sie nur an die Kriegsberichte<br />
oder an Gleichnisse wie das vom<br />
Barmherzigen Samariter aus Perspektive des<br />
Überfallenen.<br />
Und es gibt Situationen, da müssen Grenzen<br />
durchbrochen und Schwellen überschritten<br />
werden. Ich denke wieder an den Samaritaner,<br />
der als Ausländer dem Überfallenen hilft. Oder<br />
an Abraham, der sich e<strong>in</strong>fach aufgemacht hat.<br />
Und auch an das Volk Israel, das die Grenzen<br />
der Sklaverei und des Landes überwunden hat.<br />
Große literarische Stoffe er<strong>in</strong>nern uns an die<br />
Ambivalenz unseres Umgangs mit Grenzen.<br />
In der Perspektive des christlichen Glaubens<br />
können wir unsere eigene Verstricktheit erst voll<br />
und ganz anerkennen, wenn wir wissen, daß<br />
wir Gottes Liebe gewiß s<strong>in</strong>d. E<strong>in</strong>e solche, von<br />
außen, von e<strong>in</strong>em Gegenüber ermöglichte realistische<br />
Selbste<strong>in</strong>schätzung wäre der erste<br />
Schritt auf e<strong>in</strong>em Weg der Anerkennung von<br />
notwendigen und der Überw<strong>in</strong>dung von ungerechtfertigten<br />
Grenzen.<br />
Und er hat aus e<strong>in</strong>em Menschen das ganze<br />
Menschengeschlecht gemacht, damit sie auf<br />
dem ganzen Erdboden wohnen, und er hat festgesetzt,<br />
wie lange sie bestehen und <strong>in</strong> welchen<br />
Grenzen sie wohnen sollen, damit sie Gott suchen<br />
sollen, ob sie ihn wohl fühlen und f<strong>in</strong>den<br />
können; und fürwahr, er ist nicht ferne von e<strong>in</strong>em<br />
jedem unter uns.<br />
Der riede Gottes, der höher ist als alle Vernunft,<br />
bewahre eure Herzen und S<strong>in</strong>ne <strong>in</strong> Christus<br />
Jesus. Amen<br />
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