Stigmatisierung - keine Randerscheinung, Regenbogen-Cup 2010
Stigmatisierung - keine Randerscheinung, Regenbogen-Cup 2010
Stigmatisierung - keine Randerscheinung, Regenbogen-Cup 2010
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Report<br />
regenbogen<br />
Z E I T U N G S P R O J E K T D E S R E G E N B O G E N E . V . M Ü N C H E N<br />
STIGMATISIERUNG - KEINE RANDERSCHEINUNG<br />
außerdem in diesem Heft:<br />
• E.A.S.I. - <strong>Regenbogen</strong>-<strong>Cup</strong> <strong>2010</strong><br />
• Die Geschichte der DDR 01<br />
• 10
die seite zwei.<br />
Gefunden beim Kirchentag <strong>2010</strong> in München,<br />
siehe auch Seite 35<br />
2<br />
regenbogen-report 01•10
Editorial<br />
Liebe Leserinnen und Leser,<br />
ganz unbeschwert sind wir an unser Hauptthema »<strong>Stigmatisierung</strong>«<br />
heran gegangen und waren dann ganz überrascht, wie sehr uns dieses<br />
ema beschäftigt hat und wie schwer uns die Umsetzung gefallen<br />
ist. Die vielen Aspekte haben uns fast überrollt.Was eigentlich<br />
den Knoten zum Platzen gebracht hat und es erst möglich gemacht<br />
hat, dass wieder ein hoffentlich informatives Heft entstanden ist,<br />
war die Erkenntnis, dass wir auch nicht nur zu den »Guten« gehören,<br />
die nie jemanden stigmatisieren. Dass wir uns an die eigene<br />
Nase fassen müssen, um uns diesem ema wirklich zu nähern. Und<br />
dass es ganz viel Disziplin und Entscheidungskraft benötigt, nicht<br />
auszugrenzen, nicht mit Fingern auf Menschen zu zeigen, die anders<br />
sind und ihnen nicht Eigenschaften zuzuschreiben und sie damit<br />
nachhaltig zu stigmatisieren. Das hat natürlich Zeit gekostet. Aber<br />
es hat sich gelohnt.<br />
Und wir freuen uns, dass wir Ihnen ein Heft mit sehr ernsten, aber<br />
auch heiteren und bunten emen präsentieren dürfen. Wünschen<br />
würden wir uns sehr, dass Sie mit uns in eine Diskussion über dieses<br />
ema einsteigen, in Form von Leserbriefen oder anderen Beiträgen.<br />
Genauso möchten wir sie bitten dies auch bei unserem<br />
Hauptthema für die nächste Ausgabe zu tun: Integration. Wir<br />
freuen uns über jeden Beitrag.<br />
Wir wünschen Ihnen einen wunderbaren Frühsommer!<br />
Ulrike Wachter und die Redaktion<br />
regenbogen-report 01•10 3
Inhalt & Impressum<br />
INHALT<br />
Editorial .............................................................3<br />
Inhalt & Impressum ...........................................4<br />
Veranstaltungstipps.............................................5<br />
Heftthema <strong>Stigmatisierung</strong><br />
<strong>Stigmatisierung</strong> - <strong>keine</strong> <strong>Randerscheinung</strong>......7<br />
Da schaust! ...................................................10<br />
Vorurteile......................................................12<br />
Erfahrungen mit <strong>Stigmatisierung</strong>.................14<br />
EASI-<strong>Regenbogen</strong>-<strong>Cup</strong> <strong>2010</strong>..........................15<br />
Rezept des Monats ...........................................23<br />
Angst ................................................................24<br />
Die DDR..........................................................25<br />
Heftthema <strong>Stigmatisierung</strong><br />
Wirtschaftskrise............................................30<br />
Psychiatrie - eine Gesellschaft innerhalb der<br />
Gesellschaft ..................................................31<br />
Der Mann der alles wußte ................................32<br />
IMPRESSUM<br />
regenbogen-report 01•10<br />
Zeitungsprojekt des <strong>Regenbogen</strong> e.V. München<br />
Erscheinungsweise: dreimal jährlich<br />
Auflage: 500 Exemplare<br />
Redaktionelle Mitarbeit: Rita Flecke,<br />
Steffen Leistner, Johann Meisl<br />
Christine Numberger, Michaela Silkinat,<br />
Gert Stocker, Holger Tiedemann,<br />
Ulrike Wachter<br />
V.i.S.d.P.:<br />
Ulrike Wachter, Casinostraße 75,<br />
85540 Haar, Tel.: (089) 890 5698 14<br />
Redaktionsanschrift:<br />
Casinostraße 75, 85540 Haar<br />
redaktion@regenbogen-report.de<br />
www.regenbogen-report.de<br />
Layout: Steffen Leistner<br />
Druck: print24 GmbH, Radebeul<br />
Bildnachweis:<br />
Titel, S. 2, 19, 20: Ulrike Wachter,<br />
S. 5: Markus Dlouhy,<br />
S. 15, 17, 18-20, 22: Rita Flecke,<br />
S. 16: Gemeinde Haar,<br />
S. 28: T. Istvan,<br />
S. 35: Steffen Leistner,<br />
sowie lizenzfreie Fotos der<br />
SYBEX Verlags GmbH Köln<br />
Namen von Betroffenen wurden von der<br />
Redaktion geändert.<br />
4<br />
regenbogen-report 01•10
Veranstaltungstipps<br />
von Ulrike Wachter<br />
...für einen hoffentlich wunderbaren Sommer.<br />
Am 19. Juni findet im Garten des Kleinen eater<br />
in Haar ein Sommerflohmarkt statt. Aufbau ab<br />
8:00 Uhr, Verkauf zwischen 9:00 Uhr und 13:00<br />
Uhr. Bei schlechtem Wetter wird der Flohmarkt<br />
ins Kleine eater verlegt.<br />
Unsere besondere Empfehlung für schönes Wetter:<br />
Serenade im Park<br />
Das alljährliche klassiche Konzert vor der Badenburg<br />
im Nymphenburger Park findet statt am 10.<br />
Juli ab 17:00 Uhr, der Eintritt ist frei!<br />
Decke zum Sitzen nicht vergessen.<br />
Auch dieses Jahr findet das Sommer-Tollwood<br />
wieder statt: vom 1. Juli bis 25. Juli auf dem Olympiagelände<br />
mit vielen Aktionen, Ständen, Konzerten<br />
etc.<br />
Im eatron im Olympiagelände finden im August<br />
wieder viele Konzerte statt, bei denen kein Eintritt<br />
verlangt wird. Das Programm finden Sie unter:<br />
http:///www.theatron.de/ms-nn-online.php<br />
regenbogen-report 01•10 5
Was haben alle diese Menschen<br />
gemeinsam?<br />
Milva<br />
Roy Black<br />
Kurt Tucholsky<br />
Amy Winehouse<br />
Curt Cobain<br />
Vincent van Gogh<br />
Harald Juhnke<br />
Hermann Hesse<br />
Robert Schuhmann<br />
Virginia Woolf<br />
Robert Enke<br />
Edvard Munch<br />
Michael Jackson<br />
Rex Gildo<br />
Ernest Hemmingway<br />
Thomas Alva Edison<br />
Georg Friedrich Händel<br />
Sebastian Deisler<br />
Auflösung auf Seite 34<br />
6<br />
regenbogen-report 01•10
<strong>Stigmatisierung</strong> - <strong>keine</strong> <strong>Randerscheinung</strong><br />
von Steffen Leistner<br />
Es war ein Schock für die junge Frau, als sie ihre<br />
Bewerbungsunterlagen zurückerhielt. Neben<br />
einem freundlich formulierten Absageschreiben<br />
fand sie eine sicherlich ungewollt hinterlassene<br />
Notiz auf ihrem Lebenslauf. Ein Wort nur, aber<br />
ebenso sicherlich der wahre Grund für die Absage:<br />
»Ossi«. Nachdem sie ihren Schock überwunden<br />
hatte, klagte die Frau vor dem Stuttgarter Arbeitsgericht<br />
auf Gleichbehandlung. Die Richter mussten<br />
nun also feststellen, ob »Ossis« eine eigene<br />
Ethnie sind, dann wäre der Gleichbehandlungsgrundsatz<br />
rechtlich anwendbar. Die verklagte<br />
Firma nennt den Vorgang »unglücklich«.<br />
Ich stieß auf diese Begebenheit bei meinen Recherchen<br />
zum aktuellen Heftthema »<strong>Stigmatisierung</strong>«.<br />
Ein ema, dass es in sich hat, wie unser<br />
gesamtes Redaktionsteam feststellen musste. Selten<br />
haben sich die Vorarbeiten zu einem ema so<br />
schwierig gestaltet. Ausgehend von der <strong>Stigmatisierung</strong><br />
psychisch behinderter Menschen mussten<br />
wir sehr schnell feststellen, dass <strong>Stigmatisierung</strong>en<br />
in unserer Gesellschaft allgegenwärtig sind.<br />
Politik und Massenmedien geben schlechte Beispiele:<br />
So wurde zum Beispiel die Studie »Gesellschaft<br />
im Reformprozess« der Friedrich-Ebert-<br />
Stiftung, in der übrigens der Begriff »Neue Unterschicht«<br />
kein einziges Mal vorkommt, schon vor<br />
der Veröffentlichung als »Unterschichtsstudie« bezeichnet.<br />
Oder der wissenschaftlich exakte Begiff<br />
»Prekariat« für ungeschützt Arbeitende und Arbeitslose;<br />
er wurde und wird in den Massenmedien<br />
oft in die Nähe des Asozialen gerückt. Welches<br />
Gefühl haben Sie mittlerweile als Leser, wenn Sie<br />
das Wort »Prekariat« lesen?<br />
<strong>Stigmatisierung</strong> eines Menschen oder einer<br />
Gruppe von Menschen ist mehr als die Anwendung<br />
blanker Vorurteile. Wir mussten bei unserer<br />
Arbeit an diesem ema feststellen, dass, - bewußt<br />
oder unbewußt-, jeder von uns stigmatisierende<br />
Denkweisen an den Tag legt. In unserer schnelllebigen,<br />
von Informationen über Mitmenschen geprägten<br />
Leistungsgesellschaft entwickeln wir<br />
unbewußt Denkmechanismen, die uns im täglichen<br />
Leben Vorteile vor anderen verschaffen sollen.<br />
Sind nun Stigmata und Vorurteile alleiniges Ergebnis<br />
unseres Konkurrenzdenkens?<br />
Um diesem ema näher zu kommen, betrachten<br />
wir die Geschichte. Zunächst einmal kennen wir<br />
aus der christlichen Geschichte die Wundmale Jesu<br />
als Stigmata. Im Rahmen der christlichen Lehre<br />
gilt so das Stigma als Zeichen göttlicher Gnade.<br />
Das Wort Stigma selbst kommt aus dem Griechischen<br />
und bedeutete dort »Verweis auf körperliche<br />
Zeichen, welche dazu bestimmt waren,<br />
Ungewöhnliches oder Schlechtes über den moralischen<br />
Zustand des Stigmatisierten zu offenbaren.« [1] Durch<br />
eine rituelle Handlung wurde damals ein Mensch<br />
über das Stigma (Brandmal, Schnittwunde) als<br />
»unreine, zu meidende Person« gekennzeichnet.<br />
Stigmata sollten also in der Vergangenheit Menschen<br />
in der Öffentlichkeit ächten. Bis in die Neuzeit<br />
hinein wurde zum Beispiel Delinquenten, die<br />
ihre Ehre verloren hatten, ein Ohr abgeschnitten.<br />
Bis heute kennt man derartige Strafen noch im<br />
Rechtskreis der Sharia, wo für einen Dieb das Abschlagen<br />
einer Hand als Strafe vorgesehen ist.<br />
In unserer Zeit sind Stigmata in der Regel unsichtbar,<br />
vollziehen sich durch belegen Anderer mit<br />
Vorurteilen oder das Einstufen in sogenannte<br />
Randgruppen. Daraus ergibt sich für die Betroffenen<br />
oftmals ein Teufelskreis, in dem <strong>Stigmatisierung</strong><br />
zu Ausgrenzung führt.<br />
Die Gründe für stigmatisierende Denkweisen sind<br />
vielfältig. Ervin Goffman führt diese Gründe in<br />
seinem Standardwerk über <strong>Stigmatisierung</strong> [1] in<br />
einer Regel zusammen: nicht erfüllte Normerwartungen<br />
führen zur <strong>Stigmatisierung</strong> von Personen<br />
und Gruppen.<br />
regenbogen-report 01•10 7
Nun begegnen uns in unserer modernen Gesellschaft<br />
»Normbrüche« überall im täglichen Leben.<br />
Selten sind sie wirkliche »Brüche« im Sinne von<br />
gewolltem Verletzen gesellschaftlicher Normen,<br />
meist sind sie vielmehr Abweichungen, die durch<br />
die Abstammung, die persönliche Entwicklung im<br />
Kontext mit dem sozialen Umfeld oder durch andere<br />
Einwirkungen entstehen und vom Einzelnen<br />
oftmals nur bedingt beeinflußt werden können.<br />
Angefangen bei der Herkunft eines Menschen, seiner<br />
Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religion,<br />
seiner sexuellen Orientierung, bis hin zu seiner sozialen<br />
Situation, - auch Armut ist mittlerweile ein<br />
Stigma -, all dies sind Umstände, die uns dazu verführen,<br />
Menschen in Gruppen einzuordnen, denen<br />
wir dann oft negative Vorurteile entgegen bringen.<br />
Weitaus weniger subtil funktioniert das bei offen<br />
sichtbaren »Normabweichungen«. Geistig oder<br />
körperlich behinderte Menschen, Menschen mit<br />
psychischen Erkrankungen oder sichtbaren Krankheitssymptomen,<br />
aber auch Obdachlose werden<br />
von uns oftmals »auf den ersten Blick« abgestempelt,<br />
stigmatisiert.<br />
Seit einiger Zeit werden die Prozesse, die zur <strong>Stigmatisierung</strong><br />
führen, systematisch erforscht. Man<br />
unterscheidet dabei zwischen <strong>Stigmatisierung</strong> auf<br />
gesellschaftlicher und auf individueller Ebene. Die<br />
Autoren von [2] schreiben dazu:<br />
»Als Verfahren zur Feststellung von <strong>Stigmatisierung</strong>en<br />
hat sich die Messung der erwünschten sozialen<br />
Distanz als häufig angewandte Methode<br />
bewährt: Die untersuchten Personen werden danach<br />
befragt, ob sie jemanden mit dem spezifischen<br />
<strong>Stigmatisierung</strong>smerkmal (zum Beispiel<br />
einer psychischen Erkrankung) als Mieter, Nachbarn<br />
oder Babysitter akzeptieren würden. Vertiefend<br />
wird gefragt, ob die befragte Person in eine<br />
Familie einheiraten würde, in der Menschen mit<br />
dem spezifischen <strong>Stigmatisierung</strong>smerkmal leben,<br />
oder ob die untersuchte Person solche Menschen in<br />
ihren sozialen Kreis aufnehmen würde oder als<br />
Mitarbeiter empfehlen würde. [...]<br />
Vergleichende Untersuchungen über die <strong>Stigmatisierung</strong><br />
psychisch Kranker in Nigeria und<br />
Deutschland ergaben, dass <strong>Stigmatisierung</strong>en in<br />
Deutschland wesentlich seltener zu erwarten sind<br />
8<br />
als in Nigeria, was auf den besseren Informationsstand<br />
über diese Krankheiten in Deutschland zurückzuführen<br />
sein könnte. Andererseits weisen<br />
Untersuchungsergebnisse einer Züricher Forschungsgruppe<br />
darauf hin, dass sich auch die besonders<br />
gut über die Sachverhalte informierten<br />
Fachleute in ihrem Antwortverhalten bezüglich sozialer<br />
Distanz kaum von der Durchschnittsbevölkerung<br />
unterscheiden. Diese Ergebnisse haben<br />
kritische Fragen nach dem Rollenbild und der<br />
Funktion von Psychiatern in der Verhütung und<br />
Bekämpfung von <strong>Stigmatisierung</strong>en psychisch<br />
Kranker bestärkt.«<br />
Hier schließt sich ein unguter Kreis. Nicht nur<br />
unter Fachleuten, - gerade im Bereich der Psychiatrie<br />
-, selbst unter Betroffenen prägen Vorurteile<br />
das Verhalten anderen Betroffenen gegenüber. Das<br />
nebenstehende Bild zeigt psyschiche Erkrankungen<br />
und ihre Wahrnehmung, speziell bei Psychiatrieerfahrenen.<br />
Der Autor Souldat hat sich auf den Seiten 10 und<br />
11 mit weiteren »klassischen« Vorurteilen in Gedichtform<br />
auseinandergesetzt. Einen anonymen<br />
Erfahrungsbericht eines Betroffenen lesen Sie auf<br />
Seite 14. Das ema »<strong>Stigmatisierung</strong>« behandelt<br />
auch Christine Numberger in ihrem Beitrag auf<br />
Seite 31. Auf Seite 30 hat sich Franz Wild Gedanken<br />
zum ema »sozialer Abstieg« in Gedichtform<br />
gemacht.<br />
Sie sehen, liebe Leser, dieses ema hat unsere Redaktion<br />
intensiv beschäftigt. Wir haben dabei gelernt,<br />
dass auch wir nicht frei von stigmatisierenden<br />
Gedanken sind. Aber auch das mit diesen<br />
Gedankengängen verbundene Unrecht Anderen<br />
gegenüber ist uns schmerzhaft bewußt<br />
geworden. Wir hoffen, mit diesem Heft einen Beitrag<br />
zur Auseinandersetzung mit diesem ema zu<br />
leisten.<br />
Quellnachweis:<br />
[1]<br />
Erving Goffman, Stigma, Notes on the Management<br />
of Spoiled Identity, New York 1963<br />
[2]<br />
A. O. Adewuya u. a., Social distance towards people<br />
with mental illness amongst Nigerian university students,<br />
in: Soc. Psychiatry Psychiatr. Epidemiol., Jg. 40,<br />
2005<br />
sowie Wikipedia.org<br />
regenbogen-report 01•10
Burn out<br />
ist beinahe schon ein Muß<br />
DEPRESSION<br />
gilt auch noch als eher fein, außer bei starken Männern<br />
Essstörung<br />
hat ja heute fast jeder und jede<br />
Schizophrenie<br />
ist unheimlich<br />
Persönlichkeitsstörung<br />
ist ganz unangenehm, auch unter Fachleuten<br />
BORDERLINE<br />
ist »igitt«, besonders unter Fachleuten; unter Jugendlichen<br />
eher faszinierend<br />
regenbogen-report 01•10 9
Da schaust!<br />
von Souldat<br />
Da schau da den o! Der hockt am hellichten Tag in der Wirtschaft<br />
rum und safft oan Spezi nachn andern!<br />
Tabletten retten! Und woll’n ma wetten, sie machen müde!?<br />
Da schau da den o! Der lafft den gaanzen Dog im Undahemad<br />
rum und orbat nix!<br />
Wenn ich mich anschieb, hab ich mich ganz lieb! Doch dann<br />
kommt der Dieb vom Antrieb!<br />
Da schau da den o! Der hat ja ganz rode Augn! Des is doch bestimmt<br />
so ah Kiffer!<br />
Jeden Frühling Allergie! Die zwingt mich in die Knie! Noch dazu<br />
kommt Schizophrenie!<br />
Da schau da den o! Der lässt se von seim Vadder rumkutschiern!<br />
Dem hams bestimmt ‘n Führerschein gnommen!<br />
Meine Tabletten muss ich nehmen und brauch mich nicht zu<br />
schämen! Doch die Versicherung schreit laut: Mir zahln nix wenn<br />
er nen Unfall baut! Drum brauch ich einen Konzentrationstest<br />
damit man mich fahren lässt!<br />
10<br />
regenbogen-report 01•10
Da schau da den o! Der geht doch in ka Kirch! Den hab i bei uns<br />
in der Kirch no net gsehn!<br />
All die Weihrauchnebelschwaden in der brave Leute baden können<br />
mir nichts sagen! Ich lass mich lieber tragen von Engeln die<br />
es wagen mich zu schönen Tagen hindurch zu fragen!<br />
Da schau da den o! Der hat immer so a dusters Gschau! Der soll<br />
se halt a mal gfrein!<br />
Ja ich falle tausend Meter, während du sagst: »Schau da steht<br />
da!« Und die andern tausend Meter fall ich einfach später!<br />
Da schau da den o! Mit dem is irgendwos! Passts bloß auf eire<br />
Kinder auf!<br />
Ja mei, du süßer Fratz bist du ein lieber Schatz! Mai, dir solls gut<br />
gehen alle Tage! Sei dir sicher von mir hörst du <strong>keine</strong> Klage!!!<br />
Da schau da den o! I hab gheart den hams weggsperrt!<br />
Freiheit verloren? Schon wieder neu geboren? So wird die Freiheit<br />
neu verehrt! Hoch verehrt! Und sich gewehrt! Denn der<br />
Weg wurde erschwert! Doch du selbst hast dich bewährt!<br />
Do schau da den o! Des is a Prackl-Mannsbild! Der is bestimmt<br />
scho vaheirat!<br />
Gottseidank weiß nicht jeder, dass ich schizophren bin!<br />
Und nein! Ich bin nicht„vaheirat“!<br />
regenbogen-report 01•10 11
Psychisch Kranke sind immer:<br />
• unberechenbar<br />
• aggressiv<br />
• nicht einschätzbar<br />
• nicht ernst zu nehmen<br />
• verwirrt<br />
• unfähig, sich selbst zu versorgen<br />
• unzuverlässig<br />
• schlampig<br />
• dumm<br />
• gefährlich<br />
12<br />
regenbogen-report 01•10
Psychisch Gesunde sind immer:<br />
• berechenbar<br />
• friedlich<br />
• einschätzbar<br />
• ernst zu nehmen<br />
• klar<br />
• fähig, sich selbst zu versorgen<br />
• zuverlässig<br />
• ordentlich<br />
• schlau<br />
• ungefährlich<br />
regenbogen-report 01•10 13
Erfahrungen mit <strong>Stigmatisierung</strong><br />
von Elvis<br />
Ich bin ein Mensch mit psychischen und körperlichen<br />
Erkrankungen. Ich bin trockener Alkoholiker<br />
und leide unter Depressionen, Rückenproblemen<br />
und einem künstlichen Knie links.<br />
Vor einigen Jahren arbeitete ich in einer Arbeitseinrichtung<br />
für psychisch Kranke. Am Anfang lief<br />
es dort gut und mit der Zeit lief es nicht mehr so<br />
gut.<br />
ich mir einredete, es sei alles sinnlos und ich fing<br />
wieder an zu trinken. Es war zwar dieser Zeit <strong>keine</strong><br />
Lösung, nur ich wusste mir nicht anders zu helfen.<br />
Das war für mich die höchste <strong>Stigmatisierung</strong>.<br />
Meine Chefin wusste nicht, was sie da mit dieser<br />
falschen Behauptung anrichtete. Ich hätte verstanden,<br />
wenn es wahr gewesen wäre oder wenn sie<br />
einen Alkotest mit mir gemacht<br />
hätte.<br />
Ich empfinde es auch öfter<br />
als stigmatisierend durch<br />
Mitbewohner, Mitmenschen<br />
und Arbeitgeber, wenn<br />
ich Rückenprobleme habe<br />
oder psychisch krank bin und<br />
sogar beim Arzt war und<br />
eine Krankmeldung abgebe<br />
und dann behauptet wird,<br />
dass ich krank spiele. Das<br />
verletzt mich jedes mal so<br />
sehr, das ich aufpassen muss,<br />
dass ich nicht in eine Depression<br />
verfalle oder zum<br />
Alkohol greife.<br />
Ich kam nicht mehr aus dem Bett, tat mich sehr<br />
schwer beim Aufstehen. Das war auf meine Depression<br />
zurück zu führen. Da musste ich öfter in<br />
der Arbeit anrufen, dass ich nicht kommen kann.<br />
Meine Chefin sagte zu mir, dass ich einige Zeit zu<br />
Hause bleiben solle und zum Arzt gehen solle. Das<br />
tat ich dann auch und nach einer Weile kam ich<br />
wieder zur Arbeit und ging voller Mut zur Chefin<br />
und sagte ihr, dass es mir wieder besser gehe und<br />
wollte ihr dies auch zeigen.<br />
Das Einzige was von ihr kam, war, dass sie meinte,<br />
ich sei alkoholisiert, was damals überhaupt nicht<br />
stimmte. Ich war in dieser Zeit ein trockener Alkoholiker.<br />
Das Ganze hat mich so verletzt, dass<br />
14<br />
Ich muss dann oft zu mir selber sagen, dass das<br />
<strong>keine</strong> Lösung ist und das das Einzige was ich tun<br />
kann, ist, sobald wie möglich wieder gesund zu<br />
werden.<br />
Oft stigmatisiere ich mich selbst, indem ich mir<br />
selbst einrede, dass ich ja vielleicht doch krank<br />
spiele oder verrückt bin. Ich erwische mich auch<br />
dabei, dass ich Andere wegen ihrer Krankheit stigmatisiere<br />
und wenn ich mir das ins Bewusstsein<br />
rufe, tut mir das dann sehr leid. Dies sind meine<br />
Erfahrungen mit <strong>Stigmatisierung</strong>.<br />
Zeichnung: Franz Wild<br />
regenbogen-report 01•10
E.A.S.I. - <strong>Regenbogen</strong> - <strong>Cup</strong><br />
<strong>2010</strong>
Grußwort zum 13. Internationalen <strong>Regenbogen</strong>-<strong>Cup</strong><br />
Rahmen auf hohem Niveau Sport zu treiben.<br />
Erster Bürgermeister der Gemeinde Haar<br />
Fußball als Brücke<br />
„Dabei sein ist alles.“ Dieses Wort von Baron Coubertin, dem Begründer der<br />
Olympischen Spiele der Neuzeit, hat besondere Bedeutung auch im Behinderten-<br />
Sport. Ich freue mich deshalb über die sportlichen Aktivitäten unseres Haarer<br />
Vereins <strong>Regenbogen</strong> e.V.<br />
Jahreshöhepunkt ist traditionell das international besetzte Fußballturnier für<br />
Mannschaften aus psychiatrischen Einrichtungen, das mittlerweile zum 13. Mal<br />
stattfindet. Hier haben psychisch Behinderte die Möglichkeit, in beschütztem<br />
Für unsere Gemeinde mit ihren vielfachen Beziehungen zum Isar-Amper-Klinikum<br />
ist diese Veranstaltung mehr als ein Fußballturnier. Ich möchte mich auch für die<br />
gute Zusammenarbeit mit unseren Freizeitheimen in Haar und Vaterstetten sehr<br />
herzlich bedanken, die unsere internationalen Gäste während des Turniers<br />
aufnehmen und beherbergen.<br />
So wünsche ich allen Aktiven und Trainern aus Nah und Fern einen guten und<br />
verletzungsfreien Wettkampf sowie begeisterungsfähige Zuschauer.<br />
Helmut Dworzak
...gar nicht so easy!<br />
von Ulrike Wachter<br />
Regen, Nebel, Kälte!<br />
30 Kästen Getränke, 100 geschmierte Semmeln,<br />
120 Stck. Kuchen, 10 Biertische, 80 Luftmatratzen,<br />
20 Kannen Kaffee, 3000 gefahrene Kilometer,<br />
4000 Flugmeilen und, und, und..........<br />
Dies alles gehört zum E.A.S.I. <strong>Regenbogen</strong> – <strong>Cup</strong>,<br />
der jedes Jahr im Sportpark Eglfing in Haar stattfindet,<br />
außer dem schon sehr schlechten<br />
Wetter, das jetzt hoffentlich<br />
nicht alljährlich zur Gewohnheit<br />
wird.<br />
Der Regen und die<br />
Feuchtigkeit konnten<br />
nicht verhindern,<br />
dass das wilde 13.<br />
Turnier spannend,<br />
engagiert und fair<br />
gespielt wurde.Wie<br />
immer ging es natürlich<br />
ums Gewinnen.<br />
Doch im<br />
Vordergrund standen<br />
die vielen Begegnungen<br />
die untereinander möglich<br />
waren. Aus England waren<br />
35 Spieler angereist. Bad Tölz,<br />
Plattling und Graz waren mit ihren<br />
Mannschaften vertreten.Und natürlich die<br />
Mannschaft aus Prag, die den Siegerpokal holte.<br />
Einen wohlverdienten 2. Platz machte Pro Sport<br />
Linz. Ganz vorne mischte diesmal auch der <strong>Regenbogen</strong><br />
mit. Die A-Mannschaft, die Rebo-Celtics<br />
erkämpften sich den 3. Platz.<br />
120 Spieler feierten bei der Siegerehrung natürlich<br />
die Sieger, aber auch ihre Freundschaften und das<br />
Zusammentreffen.<br />
All das wäre aber nicht möglich ohne die vielen<br />
Helfer und Unterstützer. Ganz besonders möchten<br />
wir hier das Jugendzentrum Route 66 in Haar und<br />
das Jugendzentrum Vaterstetten nennen, die das<br />
Turnier erst möglich gemacht haben, dadurch dass<br />
sie die auswärtigen Spieler beherbergt haben.<br />
Bedanken möchten wir uns bei der<br />
Brauerei in Aying, die jedes Jahr<br />
die Getränke spendet und bei<br />
dem Omnibusunternehmen<br />
Erich Heller OHG,<br />
der uns einen Teil der<br />
Fahrtkosten erlassen<br />
hat.<br />
Und die vielen Mitstreiter,<br />
die mit aufbauen,<br />
schleppen,<br />
und hinterher aufräumen.<br />
Besonders<br />
nennen wir hier<br />
`Sepp` aus Niederbayern,<br />
für den es ein<br />
persönliches Anliegen<br />
ist, jedes Jahr dabei zu sein<br />
und die Brötchen zu schmieren.<br />
Und Frau Holzer mit ihren<br />
Helfern, die den Essensstand organisiert<br />
und betreibt.<br />
Nicht zu vergessen der Stadionsprecher DJ Bernd<br />
Casagrande. Und last, but not least, Stefan Holzer,<br />
der seit 13 Jahren die Rebo-Mannschaften trainiert<br />
und die Turniere jedes Jahr wieder Wirklichkeit<br />
werden lässt.<br />
All dies zusammengenommen gehört zum Grundgedanken<br />
des Turniers und macht alles dann doch<br />
…...........ganz E.A.S.I.<br />
regenbogen-report 01•10 17
...not that easy!<br />
translation by Rita Flecke<br />
Rain, mist, cold!<br />
30 boxes with soft drinks, 100 sandwiches, 120<br />
pieces of cake, 10 tables, 80 air beds, 20 thermos<br />
flasks of coffee, 3000 kilometres driven, 4000<br />
frequent flier miles etc. etc.<br />
All this is part of E.A.S.I. - <strong>Regenbogen</strong><br />
– <strong>Cup</strong>, taking place every year in<br />
Haar, Germany. Only the<br />
bad weather shouldn't<br />
become a habit.<br />
But neither the<br />
rain nor the<br />
dampness could<br />
avoid the 13th<br />
tournament becoming<br />
a fascinating<br />
and<br />
committed event.<br />
Of course, it was a<br />
matter of winning<br />
but the main emphasis<br />
was all that gathering<br />
and the interchange in between.<br />
35 players arrived from England, teams from<br />
Bad Tölz and Plattling (Germany) as well as the<br />
team from Graz (Austria) participated. And last<br />
but not least the football team from Prague<br />
which won this year's tournament. Pro Sport<br />
Linz (Austria) finished second, well-deserved.<br />
is time also the host - <strong>Regenbogen</strong>-Celtics -<br />
were a factor front and centre and finished third.<br />
120 players celebrated not only the winners but<br />
also their friendship and the gathering.<br />
All this couldn't have been practicable without<br />
lots of volunteers. We, exceptionally, would like<br />
to thank the youth centre 'Route 66' in Haar and<br />
the youth centre in Vaterstetten, which made<br />
this tournament come true by hosting the foreign<br />
players.<br />
We would like to thank the located<br />
Brewery Aying, donating<br />
the soft drinks<br />
time and again and<br />
Bus Operator Erich<br />
Heller OHG which<br />
abated the transportation<br />
costs.<br />
Also many thanks<br />
to all the people<br />
who helped before,<br />
during and after the<br />
tournament. Especially<br />
to Sepp from Lower Bavaria<br />
to whom it is a matter<br />
of particular concern to make<br />
the sandwiches every year, to Mrs.<br />
Holzer and her helpers who manage the<br />
snacks, to DJ Bernd Casagrande, our 'public announcer'.<br />
And last but not least to Stefan Holzer, who has<br />
been training the '<strong>Regenbogen</strong> Team' for 13<br />
years and is getting this tournament become reality<br />
every year.<br />
All this together is the original idea of the tournament<br />
and does it yet make ….<br />
....just e.a.s.i.<br />
20<br />
regenbogen-report 01•10
Ergebnisse • Final results<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
Fokus Praha (CZ)<br />
Pro Sport Linz (AUT)<br />
Rebo Celtics (BRD)<br />
Bunter Haufen Haar (BRD)<br />
Grassroots Manchester (ENG)<br />
IAG Macclesfield (ENG)<br />
Real Bad Tölz (BRD)<br />
ProMove Graz (AUT)<br />
RCK Plattling (BRD)<br />
Rebo Rangers (BRD)<br />
Crazy Kickers Linz (AUT)<br />
Grassroots Salford (ENG)<br />
Best Player of the Tournament<br />
Declan Fletcher (Macclesfield) 37<br />
Danny O’Shea (Manchester) 27<br />
Thomas Pagfrieder (Linz) 19<br />
Luca Marcon (Bad Tölz) 13<br />
Honza Forst (Prag) 12<br />
Best Goaly of the Tournament<br />
Honza Drobny (Prag) 9<br />
Sven Wanke (Bad Tölz) 6<br />
Best Striker of the Tournament<br />
Declan Fletcher (Macclesfield) 17<br />
Matthias Kaiser (Linz) 11<br />
Kevin Voth (Bunter Haufen) 9
Rezept des Monats<br />
Nudeln mit grünem Spargel<br />
ZUTATEN<br />
250g Tagliatelle<br />
500g grüner Spargel<br />
1 kleine Zwiebel<br />
200g Sahne<br />
Olivenöl, Pfeffer, Salz und Zucker<br />
etwas Zitronensaft<br />
Den grünen Spargel nur am unteren Ende schälen<br />
und in zwei - Zentimeter lange Stücke schneiden.<br />
Die Zwiebel sehr fein schneiden. Einen Topf mit<br />
zwei Liter Wasser und einer Prise Salz aufsetzen<br />
und die Nudeln dann in das kochende Wasser<br />
geben.<br />
Olivenöl in eine Pfanne geben und heiß werden<br />
lassen und die Zwiebel darin leicht glasig anbraten.<br />
Dann die Spargelstücke darin braten und mit<br />
etwas Zucker leicht karamellisieren. Mit ein bisschen<br />
Wasser und ein paar Tropfen Zitronensaft ablöschen.<br />
Dünsten lassen, bis der Spargel weich ist.<br />
Dann die Sahne dazugeben und einkochen lassen,<br />
bis eine leicht dicke Soße entsteht. Mit Pfeffer und<br />
Salz abschmecken.<br />
Und als Nachtisch:<br />
ZUTATEN<br />
Erdbeerquark<br />
500g Sahnequark<br />
zwei Esslöffel Milch<br />
500g Erdbeeren<br />
1 Beutel Vanillezucker<br />
2 EL. Zucker<br />
etwas Zitronensaft<br />
1 halbe Tafel weiße Schokolade<br />
Erdbeeren waschen und klein schneiden. Mit Zitronensaft,<br />
dem Vanillezucker und dem Zucker<br />
mischen und etwa 20 Min. ziehen lassen.<br />
Den Quark mit der Milch cremig rühren und die<br />
Erdbeeren darunter mischen. In Gläser oder Schälchen<br />
füllen. Die weisse Schokolade grob darüber<br />
reiben.<br />
Die bissfesten, abgegossenen Nudeln unter die<br />
Soße mischen. Wer möchte, kann noch etwas geriebenen<br />
Parmesan darüber geben.<br />
regenbogen-report 01•10 23
Angst<br />
Komm schon Angst, komm her zu mir!<br />
Hast du etwa Angst vor mir?<br />
Ja die Angst die fürchtet sich!<br />
Fürchtet sich ganz fürchterlich!<br />
Sprich doch Angst, so sprich zu mir!<br />
Ich sprech dich aus, sprichst du zu mir!<br />
Angst! Du bangst! Hast Angst vor mir!<br />
Komm schon Angst, komm her zu mir!<br />
Ja jetzt weiß ich um dein Bangen,<br />
denn wo du aufhörst, muss Mut anfangen!<br />
Hast gar Angst noch Mut zu kriegen?<br />
Weil wir dich dann schnell besiegen?<br />
Dann wirst du zum Mut, wirst du zum Bär,<br />
Komm schon Angst, komm zu mir her!<br />
von Souldat<br />
24<br />
regenbogen-report 01•10
Die DDR<br />
von Gert Stocker<br />
Am 9. November des letzten Jahres wurde das<br />
20jährige Jubiläum des Mauerfalls gefeiert. Da<br />
habe ich mir gedacht, dass darüber in den Medien<br />
ohnehin schon sehr viel berichtet wurde. Ich habe<br />
dies zum Anlass genommen, ein bisschen über die<br />
Geschichte der DDR davor zusammenzustellen -<br />
vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis zum Mauerfall.<br />
Im Kampf gegen Hitler-Deutschland hatte sich -<br />
im Zweiten Weltkrieg - eine Koalition aus den<br />
USA, der Sowjetunion, Großbritannien und<br />
Frankreich gebildet. Die Rote Armee der Sowjetunion<br />
besetzte Gebiete wie zum Beispiel Ungarn,<br />
Bulgarien, Rumänien, Polen, die Tschechoslowakei<br />
und die späteren DDR. Überall dort setzte die<br />
Rote Armee bald ein sozialistisches Herrschaftssystem<br />
nach sowjetischem Vorbild durch - also<br />
kommunistisch geprägt. Diese Machtdemonstration<br />
weckte bei den Verbündeten, den West-Alliierten<br />
(also den USA, Großbritannien und<br />
Frankreich), Misstrauen.<br />
Die Institutionen und Ziele der Besatzungsmächte<br />
Die deutsche Wehrmacht kapitulierte am 8. Mai<br />
1945 bedingungslos. Die Oberkommandierenden<br />
der Besatzungsmächte sollten die Regierungs- und<br />
Befehlsgewalt in der jeweiligen Besatzungszone eigenständig<br />
ausüben; bei Angelegenheiten, die<br />
Deutschland als Ganzes betrafen, musste der aus<br />
den Oberkommandierenden gebildete Alliierte<br />
Kontrollrat einstimmig entscheiden. Für Berlin<br />
sollte eine gemeinsame Interalliierte Kommandatura<br />
eingerichtet werden, in der die Kommandanten<br />
der Sektoren Berlins zusammenarbeiteten.<br />
Am 5. Juni 1945 übernahmen die Alliierten die<br />
Staats- und Regierungsgewalt in Deutschland. Am<br />
30. August 1945 nahmen der Alliierte Kontrollrat<br />
für Deutschland und die Interalliierte Kommandatura<br />
für Berlin ihre Arbeit auf. Die hauptsächlichen<br />
Ziele der Alliierten sind mit der Formel von<br />
den »vier Ds« gekennzeichnet worden. Neben der<br />
Demontage standen die Denazifizierung, die Demokratisierung<br />
und die Demilitarisierung.<br />
Deutschland verlor etwa ein Viertel der Fläche, die<br />
es 1937 umfasst hatte. Die Gebiete östlich der<br />
Oder-Neiße-Linie kamen unter polnische, der<br />
nördliche Teil Ostpreußens unter sowjetische Verwaltung.<br />
Aus diesen Gebieten wurde die deutsche<br />
Bevölkerung umgesiedelt.<br />
Die Sowjetische Besatzungszone (SBZ) und die Gründung der SED<br />
Das Gebiet Deutschlands, das von der Roten<br />
Armee besetzt wurde, nannte man die Sowjetische<br />
Besatzungszone (SBZ). Im Juni 1945 wurden dort<br />
als Arbeiterparteien sowohl die KPD (Kommunistische<br />
Partei Deutschlands) als auch die SPD gegründet.<br />
Nach den Wahlen in Österreich im<br />
November 1945 (wo die Kommunisten nur 6 Parlamentssitze<br />
gegenüber 76 Sitzen der Sozialisten<br />
erreichten) erkannte die KPD, dass die SPD vermutlich<br />
mehr Anklang bei der Bevölkerung als sie<br />
selbst finden würde.<br />
Die SPD hätte deswegen eine Führungsrolle anmelden<br />
können, der die KPD sich hätte fügen<br />
müssen. Die Besatzungsmacht übte Druck auf die<br />
SPD aus, sich mit der KPD zu vereinen. So entstand<br />
im April 1946 die SED - die Sozialistische<br />
Einheitspartei Deutschlands. Alle Führungspositionen<br />
in der SED wurden doppelt besetzt - je von<br />
einem Sozialdemokraten und einem Kommunisten;<br />
an der Parteispitze standen gleichberechtigt<br />
Otto Grotewohl (SPD) und Wilhelm Pieck<br />
(KPD). Auf diese Weise konnte die SPD nicht<br />
über die KPD dominieren.<br />
Weitere Parteigründungen (Ende Juni/Anfang Juli<br />
regenbogen-report 01•10 25
1945) betrafen die CDU und die Liberal¬Demokratische<br />
Partei (LDP).<br />
Reformen<br />
Die Entnazifizierung wurde sehr konsequent und<br />
gründlich betrieben: Bis 1948 verloren etwa<br />
520000 Personen ihre Positionen (als Lehrer, Richter,<br />
Staatsanwälte, Beamte in Verwaltungen, Führungskräfte<br />
in der Wirtschaft). Sie wurden als<br />
Mitglieder und Aktivisten in NS-Organisationen<br />
als untragbar betrachtet. Das Berufsbeamtentum<br />
wurde abgeschafft. Die vorhin genannten Positionen<br />
wurden vor allem von jungen Menschen besetzt,<br />
die in Schnellkursen auf ihre neue Tätigkeit<br />
vorbereitet wurden.<br />
Auch das Schulwesen wurde reformiert. Weiters<br />
erfolgte eine Bodenreform: Ab September 1945<br />
wurde aller landwirtschaftlicher Großgrundbesitz<br />
(Flächen über 100 Hektar) enteignet. Dieser<br />
Boden wurde auf etwa eine halbe Million Personen<br />
als Privatbesitz aufgeteilt.<br />
Eine Industriereform hatte weit reichende Auswirkungen.<br />
Im Oktober 1945 wurde das gesamte<br />
industrielle Eigentum der NSDAP und der Wehrmacht<br />
innerhalb der sowjetischen Besatzungszone<br />
beschlagnahmt. Einige Unternehmen gingen in<br />
sowjetischen Besitz über. Es blieben noch etwa<br />
7000 Betriebe, die ab März 1946 den deutschen<br />
Verwaltungsstellen zur Verfügung standen. Dieser<br />
enteignete Besitz wurde zu Volkseigentum erklärt.<br />
»SED neu«<br />
Ursprünglich wollte die SED die Koordination<br />
und Konzentration aller politischen Kräfte auf die<br />
Lösung lebenswichtiger Aufgaben erreichen. 1948<br />
wurden jedoch alle Kräfte ausgeschaltet, die sich<br />
gegen einen Führungsanspruch der SED gewendet<br />
hatten. Die SED wurde zu einer Partei neuen<br />
Typs umgewandelt.<br />
Dazu war im Protokoll der 1. Parteikonferenz der<br />
SED vom 25.-28. Januar 1949 zu lesen:<br />
»Die Verschmelzung der KPD und SPD zur Sozialistischen<br />
Einheitspartei Deutschlands war<br />
das bedeutendste Ereignis in der jüngsten Geschichte<br />
der deutschen Arbeiterbewegung. Die<br />
Einheit hat sich bewährt - das beweisen die Erfolge<br />
im demokratischen Aufbau der Ostzone. [<br />
... ]<br />
Es muss selbstkritisch festgestellt werden, dass<br />
der Kampf um die ideologische Klarheit in der<br />
Partei nach der Vereinigung nicht mit genügender<br />
Aktivität geführt wurde. Insbesondere wurde<br />
der bedeutende Schritt, den der zweite Parteitag<br />
zur ideologischen Klärung vorwärts tat, nicht genügend<br />
in der ganzen Partei ausgewertet. [ ... ]<br />
Die Kennzeichen einer Partei neuen Typus sind:<br />
Die marxistisch-leninistische Partei ist die bewusste<br />
Vorhut der Arbeiterklasse. Das heißt, sie<br />
muss eine Arbeiterpartei sein, die in erster Linie<br />
die besten Elemente der Arbeiterklasse in ihren<br />
Reihen zählt, die ständig ihr Klassenbewusstsein<br />
erhöhen. Die Partei kann ihre führende Rolle als<br />
Vorhut des Proletariats nur erfüllen, wenn sie die<br />
marxistisch-leninistische Theorie beherrscht, die<br />
ihr die Einsicht in die gesellschaftlichen Entwicklungsgesetze<br />
vermittelt. Daher ist die erste<br />
Aufgabe zur Entwicklung der SED zu einer Partei<br />
neuen Typus die ideologisch-politische Erziehung<br />
der Parteimitglieder und besonders der<br />
Funktionäre im Geiste des Marxismus-Leninismus.<br />
Die Rolle der Partei als Vorhut der Arbeiterklasse<br />
wird in der täglichen operativen Leitung der Parteiarbeit<br />
verwirklicht. Sie ermöglicht es, die gesamte<br />
Parteiarbeit auf den Gebieten des Staates,<br />
der Wirtschaft und des Kulturlebens allseitig zu<br />
leiten. Um dies zu erreichen, ist die Schaffung<br />
einer kollektiven operativen Führung der Partei<br />
durch die Wahl eines Politischen Büros (Politbüro)<br />
notwendig. [ ... ]<br />
Die marxistisch-leninistische Partei beruht auf<br />
dem Grundsatz des Demokratischen Zentralismus.<br />
Dies bedeutet die strengste Einhaltung des<br />
Prinzips der Wählbarkeit der Leitungen und<br />
26<br />
regenbogen-report 01•10
Funktionäre und der Rechnungslegung der Gewählten<br />
vor den Mitgliedern. Auf dieser interparteilichen<br />
Demokratie beruht die straffe<br />
Parteidisziplin, die dem sozialistischen Bewusstsein<br />
der Mitglieder entspringt. Die Parteibeschlüsse<br />
haben ausnahmslos für alle<br />
Parteimitglieder Gültigkeit, insbesondere auch<br />
für die in Parlamenten, Regierungen, Verwaltungsorganen<br />
und in den Leitungen der Massenorganisation<br />
tätigen Parteimitglieder.<br />
Demokratischer Zentralismus bedeutet die Entfaltung<br />
der Kritik und Selbstkritik in der Partei,<br />
die Kontrolle der konsequenten Durchführung<br />
der Beschlüsse durch die Leitungen und die Mitglieder.<br />
Die Duldung von Fraktionen und Gruppierungen<br />
innerhalb der Partei ist unvereinbar<br />
mit ihrem marxistisch-leninistischen Charakter.«<br />
Gründung der DDR, Planwirtschaft, Volksaufstand<br />
Als Reaktion auf die Gründung der Bundesrepublik<br />
Deutschland wurde am 7. Oktober 1949 die<br />
Deutsche Demokratische Republik (DDR) gegründet.<br />
Die Ausgangslage der DDR für den wirtschaftlichen<br />
Wiederaufbau war denkbar ungünstig:<br />
• Die Schwerindustrie benötigte Roheisen, Steinkohle<br />
und Stahl in sehr hohem Ausmaß. Jedoch<br />
stand der DDR nur ein mickriger Anteil daran zur<br />
Verfügung - im Vergleich zum Deutschland vor<br />
dem Krieg.<br />
• 1949 verfügte die DDR lediglich über ein Hüttenwerk<br />
mit vier veralteten Hochöfen.<br />
So mussten erhebliche Investitionen in die<br />
Schwer- und Schlüsselindustrien gesteckt werden,<br />
die dem Konsumgüterbereich dann natürlich nicht<br />
zur Verfügung standen. Es wurde Planwirtschaft<br />
eingeführt. Für die Jahre 1949/1950 wurde ein Zweijahresplan<br />
verabschiedet. 1950 wurde dann der<br />
erste Fünahresplan für die Jahre 1951 bis 1955 erarbeitet.<br />
Im Juni 1953 wurde eine drastische Erhöhung der<br />
Arbeitsnormen ohne Anhebung des Lohnes verabschiedet.<br />
Es herrschte eine allgemeine Unzufriedenheit<br />
mit der politischen und<br />
wirtschaftlichen Situation; es kam zu Streiks und<br />
Demonstrationen und schließlich am 17. Juni 1953<br />
zu einem landesweiten Volksaufstand. Sowjetische<br />
Soldaten und Panzer schlugen den Aufstand nieder.<br />
So wurde jede politische Opposition verhindert<br />
und die wirtschaftliche Lage in der DDR blieb<br />
angespannt. Dies veranlasste viele Menschen zur<br />
Flucht in den Westen.<br />
Berlin-Blockade, Luftbrücke<br />
Die Westmächte teilten der Sowjetunion mit, dass<br />
sie für ihr Besatzungsgebiet im Juni 1948 eine<br />
Währungsreform durchführen würden. Daraufhin<br />
sperrte die Sowjetunion am 18. Juni 1948 die Zugangswege<br />
zu den drei Westsektoren Berlins zu<br />
Lande und zu Wasser - die so genannte Berlin-<br />
Blockade. Die Amerikaner reagierten daraufhin<br />
mit der so genannten Luftbrücke. Damit wurde<br />
West-Berlin auf dem Luftweg mit allen lebensnotwendigen<br />
Gütern versorgt. Die Sowjetunion<br />
beendete die Berlin-Blockade am 12. Mai 1949.<br />
RGW, Ostblock<br />
Die anfangs schon erwähnten Länder wie Ungarn,<br />
die Tschechoslowakei und so weiter bildeten mit<br />
der Sowjetunion den sogenannten Ostblock. Als<br />
Reaktion auf den Marshallplan für Westeuropa<br />
wurde der Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe gegründet,<br />
dem die DDR am 29. September 1950<br />
beitrat.<br />
Als Gegengewicht zur NATO wurde am 14. Mai<br />
1955 zwischen den mit der Sowjetunion verbündeten<br />
Staaten der Warschauer Pakt geschlossen.<br />
Die DDR trat am 28. Januar 1956 dem Warschauer<br />
Pakt bei.<br />
Mauerbau<br />
Bis 1961 waren etwa 3 Millionen DDR-Bürger in<br />
den Westen geflüchtet. Ab dem 13. August wurde<br />
die Grenze Ost-Berlins zu West-Berlin und zur<br />
Bundesrepublik Deutschland hermetisch abgeriegelt<br />
- die Berliner Mauer stand. Somit war eine<br />
Flucht in den Westen enorm erschwert. Dies half<br />
regenbogen-report 01•10 27
der DDR-Regierung, den Sozialismus durchzusetzen.<br />
Die Menschen sollten aus tiefer Resignation<br />
herausgeführt werden. Daher reformierte die SED<br />
ihr Wirtschaftssystem.<br />
Damit war der Führungsanspruch der SED in der<br />
Verfassung verankert. Seine Rechtfertigung beruhte<br />
nicht auf dem Ergebnis von Wahlen, sondern<br />
auf der Lehre des Marxismus-Leninismus.<br />
Die führende Rolle der Partei<br />
Die SED hatte die Überzeugung, dass der Marxismus-Leninismus<br />
gesellschaftliche Wirklichkeit<br />
werden sollte. Diese Lehre wurde als wissenschaftliche<br />
Weltanschauung bezeichnet. Das Ziel war der<br />
Kommunismus, in dem die Menschen frei und<br />
gleich leben würden. 1974 wurde die Verfassung<br />
der DDR reformiert. Artikel 1 lautete seit diesem<br />
Zeitpunkt wie folgt:<br />
»Die Deutsche Demokratische Republik ist ein<br />
sozialistischer Staat der Arbeiter und Bauern. Sie<br />
ist die politische Organisation der Werktätigen in<br />
Stadt und Land, die gemeinsam unter Führung<br />
der Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen<br />
Partei den Sozialismus verwirklichen.«<br />
Honecker<br />
Im Herbst 1976 musste der Vorsitzende des Staatsrates<br />
Walter Ulbricht auf Druck der sowjetischen<br />
Führung zurücktreten. Der Führungsmacht erschien<br />
er als Störenfried, da er in der Deutschlandund<br />
Berlinpolitik eigene, DDR-national geprägte<br />
Ziele verfolgte. Er hatte zuviel Starrsinn, aber auch<br />
Eigenmächtigkeit an den Tag gelegt. Die von ihm<br />
durchgesetzte Linie liefen den Bedürfnissen der<br />
Menschen immer stärker zuwider. Sein Nachfolger<br />
wurde Erich Honecker, der schon seit Mai<br />
1971 Vorsitzender der SED war. Durch eine sehr<br />
ausgeprägte Sozialpolitik versuchte er, das Vertrauen<br />
der Menschen in die DDR zurückzugewinnen.<br />
»Wahrzeichen des Sozialismus« -<br />
Der Palast der Republik 1977<br />
28<br />
regenbogen-report 01•10
Der Wohnungsmangel sollte so behoben werden,<br />
dass 3,5 Millionen Wohnungen bis zum Jahr 1990<br />
neugebaut oder ausgebaut werden sollten. Von den<br />
Frauen waren mehr als 90 Prozent berufstätig - so<br />
folgte ein Programm der Frauenförderung: Lange<br />
Versäumtes sollte dadurch nachgeholt werden, dass<br />
ein bezahltes Babyjahr eingeführt wurde, die Kinderkrippen<br />
und Kindergärten ausgebaut wurden<br />
sowie eine Vielzahl von beruflichen Qualifizierungsmaßnahmen<br />
zur Verfügung gestellt wurden.<br />
Probleme in den 80er Jahren<br />
Es zeigte sich, dass das ehrgeizige sozialpolitische<br />
Programm die DDR-Wirtschaft überforderte. Ein<br />
großer Teil der Staatseinnahmen wurde für den<br />
Wohnungsbau eingesetzt; für notwendige Investitionen<br />
in die Industrie reichten die Mittel nicht<br />
aus. Devisen wurden dringend benötigt. Um sich<br />
diese Devisen beschaffen zu können, wurden Produkte<br />
auf dem Weltmarkt verramscht - zu Preisen,<br />
die unter den Produktionskosten lagen.<br />
Die Bürokratie der DDR war maßlos aufgebläht.<br />
Sie war unproduktiv - und damit teuer - und wirkte<br />
sich hemmend auf Wirtschaft und Gesellschaft<br />
aus. Die Altbausubstanz zerfiel, sowohl was Wohnungen<br />
betraf als auch Industrieanlagen.<br />
Die Unzufriedenheit vieler Bürger mit den Lebensbedingungen<br />
sollte sich nicht Luft machen<br />
können - dies sollte mit Hilfe eines weit verzweigten<br />
Staatssicherheitsdienstes (Stasi) verhindert<br />
werden. Dieser Unterdrückungsapparat wurde im<br />
Volksmund »die Firma« oder »Horch und Guck«<br />
genannt.<br />
Das »magische Jahr« 1989<br />
Am 19. Januar 1989 sprach Erich Honecker die<br />
folgenden Worte:<br />
»Mit dem Bau des antifaschistischen Schutzwalls<br />
im Jahre 1961 wurde die Lage in Europa stabilisiert,<br />
der Frieden gerettet. [ ... ] Die Mauer wird [<br />
... ] so lange bleiben, wie die Bedingungen nicht<br />
geändert werden, die zu ihrer Errichtung geführt<br />
haben. Sie wird in 50 und auch in 100 Jahren<br />
noch bestehen bleiben, wenn die dazu vorhanden<br />
Gründe noch nicht beseitigt sind. Das ist<br />
schon erforderlich, um unsere Republik vor Räubern<br />
zu schützen. [ ... ]«<br />
Noch am 7. Oktober 1989 feierte die Parteiführung<br />
den 40. Jahrestag der Gründung der DDR -<br />
den ersten sozialistischen Staat auf deutschem<br />
Boden.<br />
Es war nicht gelungen, den Sozialismus in den<br />
Köpfen und Herzen der Menschen zu verankern.<br />
Viele wollten nicht länger Demütigungen ertragen<br />
und forderten ihre Freiheitsrechte ein. Beispielsweise<br />
kam es in Leipzig an Montagen im Jahr 1989<br />
zu regelmäßigen Demonstrationen mit Tausenden<br />
Teilnehmern. Reisefreiheit wurde ebenso gefordert<br />
wie freie Wahlen und das Ende des SED-Regimes.<br />
Immer öfter war die Parole »Wir sind das Volk!«<br />
zu hören.<br />
Am 9. November 1989 öffnete die SED die<br />
Grenze zu Westberlin und zur Bundesrepublik.<br />
Über die näheren Umstände haben Sie sich vermutlich<br />
in den Medien informiert. Auf einmal war<br />
die früher praktisch unüberwindliche Grenze Geschichte<br />
- die Mauer war - im übertragenen Sinne<br />
- »gefallen«.<br />
Am 3. Oktober 1990 wurde die Vereinigung der<br />
ehemaligen DDR mit der BRD vollzogen.<br />
Quelle:<br />
Telekolleg II - Geschichte II, Ausgabe von 1997<br />
Bearbeitet von Gert Stocker<br />
regenbogen-report 01•10 29
Ich wohne in einer <strong>Regenbogen</strong> WG. Gerne schreibe ich auch Gedichte. So auch ein Gedicht, in dem<br />
ich meinen Gedanken über die jetztige wirtschaftliche Situation Ausdruck geben konnte. Dieses Gedicht<br />
habe ich dann einem Betreuer der WG, in der ich wohne, gezeigt.Seine Antwort war lediglich:<br />
"Und dieses Gedicht haben wirklich Sie selbst geschrieben?" Durch diese Aussage fühle ich mich<br />
stigmatisiert. Sogar in der WG, von einem Betreuer, zu dem ich eigentlich Vertrauen haben müßte.<br />
Dieses Vertrauen schrumpft natürlich durch solche Vorkommnisse. Man fragt sich dann, wird ein psychisch<br />
angeschlagener, der in einer WG wohnen muß, auch für dumm gehalten? Kann der nicht in<br />
der Lage sein zu dichten? Auf der anderen Seite ist es natürlich auch ein Kompliment für einen Bewohner<br />
einer betreuten WG, ein Gedicht zu texten, dass einem der Betreuer aus welchen Gründen<br />
immer (<strong>Stigmatisierung</strong>?) nicht zutraut.<br />
Franz Wild<br />
Wirtschaftskrise, Rezession und Depression<br />
der Pleitegeier kreist über der Region<br />
die Inkassoeintreiber lauern schon<br />
Pfandhäuser haben Hochkonjunktur<br />
horten Schmuck, Gold und Diamanten,<br />
für sowieso schon reiche Schnäppchenjäger - nur<br />
Vorstädte wie ausgestorben<br />
was ist aus den blühenden Landschaften geworden?<br />
Großfamilien sind längst in alle Winde verstreut<br />
Omas und Opas Haus wird von Pflegediensten<br />
und Altenheimen vertreut<br />
So manche Wohnung mehr<br />
bleibt dunkel und kalt<br />
Energiekosten werden nicht mehr bezahlt<br />
Discounter- und Getränkemärkte überall<br />
verstopfen die Glascontainer<br />
mit Knall und Fall<br />
der schnelle Flachmann wird zum Fitnesstrainer<br />
Schnaps wars, Wein und Bier<br />
jetzt bist du angekommen Hartz Vier<br />
30<br />
regenbogen-report 01•10
Meine Meinung<br />
Kolumne von Christine Numberger<br />
Psychiatrie - eine Gesellschaft innerhalb der<br />
Gesellschaft<br />
Eine Gesellschaft innerhalb der Gesellschaft. <strong>Stigmatisierung</strong><br />
innerhalb der von der Psychiatrie Betroffenen,<br />
seien es Ärzte, Pflegepersonal, Patienten,<br />
Bewohnern einer WG, Putz- und Küchenpersonal.<br />
Die Psychiatrie ist in gewisser Weise eine Gesellschaft<br />
außerhalb der Gesellschaft.<br />
Ich fange erst einmal bei mir an mit der <strong>Stigmatisierung</strong>.<br />
Zum einen: Zu einer gewissen Zeit<br />
schaute ich auf andere Frauen oder Männer herunter<br />
und habe ein Feindbild aufgebaut, jeden als<br />
Feind angesehen und sogar verachtet und war gehässig.<br />
Bis ich mich eines Besseren belehren ließ.<br />
Ich habe psychische Probleme. Ich werde stigmatisiert,<br />
was mich verunsichert hat und dachte, es<br />
wäre mein Fehler, dass ich psychische Schwierigkeiten<br />
habe, und habe gedacht, dass ich mit "Gesunden"<br />
nicht mithalten kann und dass sie mich<br />
mit Recht stigmatisieren, bis ich so weit kam festzustellen,<br />
was ich alles geleistet habe während meiner<br />
Krankheit, dass ich etwas wert bin.<br />
Gezeigt haben mir das die Menschen mit psychischen<br />
Schwierigkeiten, die mich annahmen, obwohl<br />
ich zu ihnen vorher gehässig war und auf die<br />
ich heruntergeschaut habe. Sie haben mir verziehen<br />
und waren sehr freundlich und haben mich für<br />
ernst genommen, gefragt, wie es mir geht, usw. Das<br />
ist eine Reaktion, die in der "gesunden" Gesellschaft<br />
nicht so oft vorkommt, was eigentlich wünschenswert<br />
wäre. Ich fühlte mich bestätigt und<br />
habe mir gedacht, Menschen mit psychischen<br />
Schwierigkeiten sind sehr, sehr menschlich. Ich<br />
habe auch so meine Menschlichkeit kennen gelernt<br />
und mich respektieren und lieben gelernt. Diese<br />
Menschen haben mir gezeigt, dass sie trotz vieler<br />
Fähigkeiten und Können das Pech hatten, in die<br />
Psychiatrie zu kommen.<br />
Ich fing an, meine Fähigkeiten, die ich früher als<br />
Kind und Jugendliche hatte, wo ich mich teilweise<br />
auch als Außenseiterin gesehen habe, wieder zu<br />
entdecken und dass die Zeit in der Psychiatrie<br />
nicht umsonst war, weil ich viel gelernt habe und<br />
meine Fähigkeiten und Begabungen erkannt und<br />
auch in einem kleinen Rahmen, nämlich im Rahmen<br />
der Psychiatrie, meine Fähigkeiten und Begabungen<br />
verwirklichen konnte, wovon ich früher<br />
nur geträumt habe.<br />
Ich arbeite als Spülerin im Cafe, als Journalistin für<br />
den <strong>Regenbogen</strong>-Report, als Malerin und als Englischlehrerin.<br />
Eigentlich könnte ich damit zufrieden<br />
sein, weil die Qualität, so sage ich mal, genauso<br />
gut ist, wie von Menschen in der "gesunden" Gesellschaft.<br />
Doch was treibt mich nach draußen.<br />
Erstens möchte ich, auch wenn ich mich nicht<br />
mehr stigmatisiere, wie ich es vor meiner Psychiatrieerfahrung<br />
tat, wo ich gedacht habe ich wäre<br />
nicht anerkannt, obwohl ich anerkannt war, auf viel<br />
Verständnis gestoßen bin, so möchte ich doch<br />
denen beweisen, die auf mich heruntergeschaut<br />
haben, beweisen, dass ich Erfolg habe. Hauptsächlich<br />
ist aber die Tatsache, dass es unter den Patienten<br />
so fiese Typen gibt, dass man es kaum glauben<br />
mag. Es gibt viele, die auf einem rumhacken, wenn<br />
es einem schlecht geht, d.h. verwünschen, verbal<br />
angreifen, usw. Geht es einem gut, wird man akzeptiert,<br />
man ist freundlich, doch von so einigen<br />
gehasst, angefeindet. Ist man so gut wie gesund,<br />
wird es einem manchmal nicht gegönnt.<br />
Ich sehe alle Aufenthalte in Kliniken als eine<br />
Chance an, mich zu entwickeln, meine Fähigkeiten<br />
zu entwickeln, trotz enormer seelischer Schwierigkeiten<br />
und manchmal hohem Leidensdruck. Ich<br />
habe sehr interessante und auch liebenswerte Menschen<br />
kennengelernt. Außerdem habe ich mein<br />
Wertesystem als auch meine Prioritäten anders gesetzt…<br />
regenbogen-report 01•10 31
Der Mann der alles wusste<br />
Es war einmal ein Mann, der wusste alles.<br />
von Souldat<br />
Er wusste warum Regen fällt, er wusste wie viel Sterne am Himmel stehen. Er wusste warum<br />
Kaiser und Tyrannen aufstiegen und fielen. Er wusste sogar, wie Menschen zusammen leben<br />
sollten, um glücklich zu sein und welche Regeln sie befolgen sollten. Er wusste auch sehr genau,<br />
wie Mann und Frau lieben mussten um treu und glücklich miteinander verbunden zu sein.<br />
Dieser Mann wurde hoch verehrt, natürlich! Könige und Kardinäle, Bauern und Arbeiter,<br />
kamen zu ihm, um ihm Fragen zu stellen. Wie soll mein Sohn heißen? Wo greift mein Feind<br />
als nächstes an? Wie viele Priester brauche ich um Gottes Botschaft in alle Welt zu tragen?<br />
Der Mann hatte viel zu tun. Aber sonntags, ja sonntags, das war sein Freudentag! Da nahm er<br />
sich frei und ging in der Stadt spazieren. Vor allem - und ihm am liebsten - im Stadtpark!<br />
So ging das Woche für Woche, bis…nun eines Tages, er saß gerade auf seiner Lieblingsbank und<br />
genoss den Anblick der Schwäne auf dem See, da setzte sich doch irgend so ein junger Frechdachs<br />
neben ihn auf die Bank und störte seine Ruhe so beträchtlich, dass er ihn am liebsten weggescheucht<br />
hätte, wie einen streunenden Hund. Nun da er eh <strong>keine</strong> Ruhe mehr hatte, wollte er<br />
sich diesen Störenfried doch mal näher betrachten.<br />
32<br />
regenbogen-report 01•10
Aber als er den Kopf hob und ihn in Richtung des Unruhestifters drehte, da saß da das zierlichste,<br />
hübscheste, zum herzzerreißen-schöne und vor Lieblichkeit strahlende Fräulein, das er<br />
je gesehen hatte. Welch eine Kraft erfüllte ihn da, die ihn in seinem Innersten traf und ihn ausfüllte<br />
bis in die Zehenspitzen! Wie wenn man einen Lichtschalter anknipste, so war ihr Anblick<br />
für ihn. Wie ein Funke, der sein Herz entzündet hatte und zum brennen brachte. So sehr entbrannte<br />
sein Herz, dass alle Energie in ihm nun wohl von seinem Herz aus seinen Gliedern gesogen<br />
wurde und dafür aber, als fauchende Sonnenwinde aus seinem Herz hervor stob.<br />
Er wusste nicht was er denken sollte, er wusste nicht was er sagen sollte, er wusste nicht einmal<br />
ihren Namen. Kurz: Er wusste gar nichts mehr! Er saß nur da und starrte sie an, wie ein<br />
gerade erwachtes Opossum. Unfähig zu reden, sich zu bewegen, oder auch nur zu zwinkern.<br />
Der Zauber der Liebe hatte sich auf ihn gelegt.<br />
Die junge Frau merkte das recht schnell. Auch sie spürte eine angenehme Hitze in der Brust,<br />
allerdings eher eine Glut als ein Feuer. Herzlich geschmeichelt, begann sie zu lächeln und kicherte<br />
kurz. Dies brachte den Mann dazu, aus seiner Trance auf zu wachen. Sie sah ihm tief in<br />
die Augen… er versank darin und das Feuer seines Herzens wurde gelöscht.<br />
Sie hauchte ihm ein glühendes „Hallo!“ auf seine Nasenspitze zu und begann zu reden: „Euch<br />
kenne ich wohl! Lange schon beobachte ich euch, wie ihr durch den Park lauft. Nun endlich<br />
habt ihr auch mich bemerkt.“ Der Mann rang und kämpfte und … gewann! Sein Mund öffnete<br />
sich und heraus schlüpfte ein: „Sehr fer-freulich!“ Sie musste kichern. „Oh! Ich meine erfreulich!<br />
Ja sehr sogar!“ Sie stand auf und nahm seine Hand. Er ließ mit sich geschehen und<br />
Hand in Hand gingen sie durch den Park spazieren. Die junge Frau bedrängte ihn nicht mit<br />
Worten oder Gesten, nein sie ließ ihn reden. Er hatte auch zu reden, denn er fragte nun eine<br />
Frage nach der anderen: Woher sie stammt, welche Lieblingsfarbe sie wohl habe? „Nein! Lassen<br />
sie mich raten! Grün richtig?“ Beiden fiel gar nicht auf, dass er, der doch sonst alles gewusst<br />
hatte, nun auf einmal vor Fragen und Spannung auf die Antworten, kaum noch Luft<br />
holte! Beide freuten sich auf ihr nächstes Treffen, doch tat ihnen der Abschied sehr weh, sie<br />
konnten es nämlich nicht abwarten, sich wieder zu sehen.<br />
Der Mann musste ständig an sie denken, aber er versuchte trotzdem zu arbeiten. Oh weh! Es<br />
gelang ihm wohl, sich zu konzentrieren auf seine Arbeit, doch irgendwie fielen ihm <strong>keine</strong> Antworten<br />
mehr ein, auf die vielen Fragen! Also und da er so beflügelt war vor Glück, schrieb er<br />
die unlogischsten und verrücktesten Antworten. Ein Kaufmann schrieb ihm: Wieso betrügt<br />
mich meine Frau? Er antwortete: 1 + 1 = 2.<br />
Die Tage gingen ins Land und was aus ihnen wurde weiß ich nicht, doch so viel soll noch gesagt<br />
sein: Jetzt da er nichts mehr wusste, hatte er sehr viel Lust am neu Lernen, was denn vor<br />
allem für ihn wichtig ist und Sinn macht im Leben. Auch schien es ihm so, dass, je mehr er sich<br />
und seine Frau verstand umso besser verstand er auch alles andere.<br />
regenbogen-report 01•10 33
Auflösung unserer Frage von Seite 6:<br />
Alle diese Personen waren oder sind kreative Geister und angesehene<br />
Persönlichkeiten, trotz ihrer psychischen Erkrankung.<br />
Als Gott am sechsten Schöpfungstage alles ansah, was er gemacht hatte, war<br />
zwar alles gut, aber dafür war auch die Familie noch nicht da. [...] Was ist die Familie?<br />
Die Familie (familia domestica communis, die gemeine Hausfamilie)<br />
kommt in Mitteleuropa wild vor und verharrt gewöhnlich in diesem Zustande.<br />
Sie besteht aus einer Ansammlung vieler Menschen verschiedenen Geschlechts,<br />
die ihre Hauptaufgabe darin erblicken, ihre Nasen in deine Angelegenheiten zu<br />
stecken...<br />
Kurt Tucholsky<br />
Wahrlich, <strong>keine</strong>r ist weise, der nicht<br />
das Dunkel kennt.<br />
Hermann Hesse<br />
Erfolg hat nur der, der etwas tut,<br />
während er auf den Erfolg wartet.<br />
omas Alva Edison<br />
Mancher Mensch hat ein großes Feuer in seiner Seele,<br />
und niemand kommt, um sich daran zu wärmen.<br />
Vincent van Gogh<br />
Das ist alles ein Irrsinn. Wir sitzen alle auf<br />
einem Karussell. Und es dreht sich immer schneller.<br />
Ich habe lange versucht, im Fußball zu überleben,<br />
wollte hart und kühl sein. Aber so bin ich. Ich<br />
habe mich selbst verletzt. Ich hätte versuchen sollen<br />
mich zu öffnen. Aber ich hatte Angst davor.<br />
Sebastian Deisler<br />
Wenn Alle erste Violine spielen wollten, würden wir kein Orchester<br />
zusammen bekommen. Achte daher jeden Musiker an seiner Stelle.<br />
Robert Schuhmann<br />
Lügen mögen den Sprint gewinnen -<br />
Aber die Wahrheit gewinnt den Marathon.<br />
Michael Jackson<br />
Wir müssen uns daran gewöhnen: An den<br />
wichtigsten Scheidewegen unseres Lebens stehen<br />
<strong>keine</strong> Wegweiser.<br />
Ernest Hemmingway<br />
34<br />
regenbogen-report 01•10
...aber<br />
zumindest schuf Gott<br />
den Kreisverkehr!<br />
Mehr zu unserem Redaktionsausflug nach<br />
Eichstätt finden Sie im nächsten Heft.<br />
regenbogen-report 01•10 35
Wir bedanken uns herzlich bei unseren Sponsoren:<br />
Erich Heller OHG<br />
Omnibusunternehmen<br />
www.heller-munich.de<br />
Hier könnte Ihre Werbung stehen!<br />
Interesse? Schreiben Sie uns:<br />
redaktion@regenbogen-report.de