EVANGELISCHES BERATUNGSZENTRUM - EBZ München
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Pressespiegel<br />
Nr. 11 • 14. März 2010<br />
TITELTHEMA Sonntagsblatt 5<br />
41<br />
diesen früheren Abtreibungen zusammenhängen.<br />
Häufig musste das Thema zunächst verdrängt<br />
werden, was jedoch verhindert hat, dass<br />
um ein ungeborenes Kind wirklich getrauert<br />
werden konnte – anders als etwa eine Frau, deren<br />
erwünschtes Kind tot geboren wird. Nicht<br />
verarbeitete Schuld und Trauer können psychische<br />
und physische Auswirkungen haben:<br />
Depressionen, körperliche Beschwerden und<br />
Fehlgeburten können die Folge sein.<br />
Die wenigen seelsorgerlichen Erfahrungen<br />
in diesem Themenumfeld geben Hinweise darauf,<br />
was die Verarbeitung von Schuld und<br />
Trauer unterstützen kann. Dazu eine (komprimierte<br />
und verfremdete) Fallgeschichte aus<br />
der evangelischen Seelsorge:<br />
Frau H. kommt in die geistliche Begleitung.<br />
Thema sind eine depressive Grundstimmung<br />
und das Gefühl der Gottferne sowie massive<br />
Beziehungsprobleme. In einem Nebensatz erwähnt<br />
sie, dass sie einen Schwangerschaftsabbruch<br />
hinter sich hat. Auf Nachfrage berichtet<br />
sie, das sei nach einem »One Night Stand« mit<br />
einem Mann geschehen, den sie sich als Vater<br />
ihres Kindes nicht vorstellen konnte und den<br />
sie später auch nie mehr gesehen hat.<br />
Der Seelsorger erkundigt sich behutsam<br />
nach weiteren Umständen und fragt dann:<br />
»Haben Sie je um ihr Kind getrauert!« Frau H.<br />
hat sofort Tränen in den Augen. Sie sagt, sie<br />
wollte das alles damals möglichst schnell vergessen.<br />
Aber jetzt spüre sie, dass da noch was<br />
ist. Auf die Frage: »Haben Sie ihrem Kind jemals<br />
einen Namen gegeben?« nickt sie heftig.<br />
»Ja, das habe ich… es heißt Phönix!«. Der<br />
Bezug zum mythologischen »Phönix aus der<br />
Asche« (»das wiedergeborene Kind«) ist offenkundig!<br />
Der Seelsorger fragt Frau H., ob sie bereit<br />
sei, mit Phönix noch einmal Kontakt aufzunehmen,<br />
ihn um Verzeihung zu bitten und<br />
ihn bewusst Gott anzuvertrauen. Frau H. nickt<br />
abermals. Der Vorschlag scheint sie zu erleichtern.<br />
Der Seelsorger lädt Frau H. in die Meditationskapelle<br />
ein.<br />
Vor einer Christusikone stehen zwei Meditationsschemel.<br />
Der Seelsorger entzündet eine<br />
Kerze und bittet Frau H., neben ihm zu knien.<br />
Er spricht ein kurzes Gebet, in dem er Gott<br />
für die Gabe der Versöhnung dankt, die uns in<br />
Christus geschenkt ist. Dann lädt er Frau H.<br />
ein, vor dem Angesicht des liebenden Gottes<br />
ihr Kind anzusprechen und ihm zu sagen, was<br />
sie ihm noch sagen will. Stammelnd und mit<br />
Tränen in den Augen spricht Frau H. mit Phönix,<br />
sagt etwas über die Umstände und bittet<br />
ihn um Verzeihung. Im Anschluss schlägt der<br />
Seelsorger Frau H. vor, auch Gott um Verge- <br />
ZUM THEMA<br />
Eine Krankenhausseelsorgerin erzählt:<br />
»Was geschieht mit Eltern, wenn ihnen mitgeteilt<br />
wird, dass ihr Kind schwerstbehindert sein<br />
wird oder so krank ist, dass es nicht oder nicht<br />
lange wird leben können? Die Eltern haben sich<br />
auf ihr Kind gefreut. Und nun diese Diagnose.<br />
Was sollen, was können sie tun?<br />
Familie D. erfuhr, dass ihr Kind Trisomie 13 hat,<br />
eine genetische Veränderung, die nicht heilbar<br />
und nicht behandelbar ist und zum Tod führt, mit<br />
großer Wahrscheinlichkeit schon in der Schwangerschaft.<br />
Ich lerne Frau D. kennen, als sie sich<br />
schon zum Abbruch entschieden hat. Im Gespräch<br />
wird deutlich, wie sehr sie Schuldgefühle<br />
quälen, dass sie, die Eltern, dem Leben des Kindes<br />
bewusst ein Ende setzen wollen. Frau D. hat<br />
nicht die Kraft, die Schwangerschaft zu Ende zu<br />
bringen und ständig mit der Frage zu leben, ob<br />
ihr kleines Mädchen noch lebt. Sie und ihr Mann<br />
möchten, dass ihr Baby nach der Totgeburt gesegnet<br />
und christlich beerdigt wird.<br />
Diese Mutter ist eng verbunden mit ihrem Kind,<br />
auch wenn sie diese Bindung im Moment nicht<br />
wahrhaben will und abspaltet. Und doch wird es ihr<br />
helfen, später mit dem Tod des Kindes besser leben<br />
zu können, wenn sie es jetzt ganz und gar als ihr geliebtes<br />
und ersehntes Kind an sich heranlässt.<br />
Schwangerenkonfliktberatung.<br />
Foto: wodicka<br />
Ich schaffe im Gespräch einen Raum, in dem die<br />
Mutter mit ihrem Kind sprechen kann. Sie sagt ihrer<br />
Tochter, wie sehr sie sie liebt, wie dankbar sie ist,<br />
dass sie zu ihnen gekommen ist, und wie sehr es sie<br />
quält, dass sie, die Eltern entschieden haben, dass<br />
sie nun sterben wird. Sie bittet ihre kleine Tochter<br />
um Vergebung. Und sie bittet Gott um Vergebung,<br />
dass sie keine andere Entscheidung treffen kann.<br />
In der Kirche treffe ich wenig später den Vater. Er<br />
sitzt weinend unter dem Kreuz. Auf meine Frage,<br />
ob sein Kind schon einen Namen hat, antwortet<br />
er ganz schnell und als sei er froh, dass ihn jemand<br />
danach fragt: »Ja, sie heißt Clara. Das ist<br />
der Name, der in mir von Anfang an für sie da<br />
war.« Wir zünden eine Kerze für Clara an. Zwei<br />
Tage später kommt Clara tot zur Welt. Die Eltern<br />
haben Zeit, sie zu halten, anzuschauen, sich von<br />
ihr zu verabschieden.<br />
Wir segnen sie. Es werden Bilder von Clara und<br />
den Eltern gemacht, sie bekommt ein kleines<br />
Kreuz, auf dem ihr Name, ihr Geburts- und Todestag<br />
stehen. Clara bekommt ein Kindergrab auf<br />
dem Friedhof und bei ihrer Beerdigung trägt sie<br />
der Vater auf ihrem letzten Weg. Es ist den Eltern<br />
ein großer Trost, dass sie durch die Beerdigung einen<br />
Ort haben, zu dem sie gehen können.<br />
Seit 2006 gibt es in Bayern ein neues Bestattungsgesetz,<br />
das bestimmt, dass alles (werdende)<br />
menschliche Leben bestattet werden muss. Man<br />
kann zu Schwangerschaftsabbruch unterschiedliche<br />
Meinungen haben. Aber diese Kinder können<br />
nichts für ihren frühen Tod und haben ein Recht,<br />
wie alle Menschen – auch kirchlich – bestattet zu<br />
werden.«