Antifaschistische Zeitung - Nadir.org
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Versteckt in der Waldstr. 6<br />
Werner Foß ( *1928) erinnert sich 1993:<br />
“Von Dezember 1942 bis Kriegsende nahm uns<br />
Fräulein von Schell, die eine persönliche Bekannte<br />
meines Vaters war, in ihrer Ein-Zimmer-Wohnung<br />
mit Küche in Moabit, Waldstraße 6, auf. Sie gab uns<br />
das große Zimmer, während ihr nur die Küche verblieb.<br />
Zeitweise verbargen sich auch Verwandte von<br />
uns dort, so daß manchmal acht bis neun Untergetauchte<br />
in der kleinen Wohnung versteckt waren.<br />
Das einzigartige aber an der Sache war wohl, daß<br />
mehrere NS-Parteigenossen aus dem Haus von unserem<br />
Aufenthalt Kenntnis gehabt haben mußten!<br />
Was uns das Leben rettete war wohl der furchtbare<br />
Bombenkrieg, der unzählige Menschen obdachlos<br />
machte, sowie die Anonymität der Millionenstadt,<br />
die nicht so leicht zu kontrollieren war wie<br />
ein Dorf oder ein Kleinstadt. (…) Sehr gefährlich<br />
war dagegen Stella Kübler, die besonders in Moabit<br />
und im Hansa-Viertel als jüdischer Spitzel der Gestapo<br />
ihr Unwesen trieb, indem sie untergetauchte<br />
Juden aufspürte”.<br />
Sandvoß, Hans-Rainer: Widerstand in Mitte und Tiergarten,<br />
Berlin 1999, S. 335 ff<br />
Harry Foß (1933-1996), Werner Foß` Bruder, beurteilt<br />
1993 die Motive der Beschützer:<br />
“Unabhängig von der starken Sympathie, die Helene<br />
von Schell für meinen Vater aufbrachte, war sie<br />
auch mutig in ihrem ganzen Wesen. Ein ausgeprägtes<br />
Gerechtigkeitsgefühl paarte sich bei ihr mit persönlicher<br />
Furchtlosigkeit. Da sie recht impulsiv sein<br />
konnte, lief das enge Zusammenleben manchmal<br />
nicht ohne Spannungen ab.<br />
Die Situation war auch dadurch sehr ernst, da<br />
unsere Wohnung einen gemeinsamen Korridor (einschl.<br />
Toilette) mit der Wohnung des NS-Blockwartes<br />
Seeliger hatte. Dessen Ehefrau wußte über uns<br />
Bescheid. Aber ihm gingen wir möglichst aus dem<br />
Weg, denn er war überzeugter PG [Parteigenosse,<br />
also ein überzeugter Nazi; Anmerk. d. Verf.]. Zu unserem<br />
Glück kam er als Borsig-Schlosser erst spät<br />
nach Hause. Frau Seeliger machte ihrem Mann wohl<br />
gewisse allgemeine Andeutungen, aber er glaubte<br />
anscheinend nicht daran, daß Hitler die Juden ermorden<br />
ließ.<br />
Frau Seeliger, die auch die Lebensmittelkartenverteilung<br />
vornahm, steckte meiner Mutter wiederholt<br />
heimlich etwas zu. Auch andere Hausbewohner, wie<br />
das Ehepaar Mühlpford (…), überließen meiner<br />
Mutter Brotmarken”.<br />
Sandvoß, Hans-Rainer: Widerstand in Mitte und Tiergarten,<br />
Berlin 1999, S. 337 ff<br />
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