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Systematische Wege zu einer zukunftsfähigen Arbeitszeit ...

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Herrmann · Kutscher · Weidinger<br />

<strong>Arbeitszeit</strong> und Organisation im Krankenhaus<br />

Lars Herrmann 1 / Dr. Andreas Hoff 2 06/2004<br />

<strong>Systematische</strong> <strong>Wege</strong> <strong>zu</strong> <strong>einer</strong> <strong>zu</strong>kunftsfähigen <strong>Arbeitszeit</strong>-<br />

Organisation im ärztlichen Dienst und im Funktionsdienst<br />

1. Die Ermittlung des arbeitszeitrechtlichen und inhaltlichen<br />

Handlungsbedarfs<br />

Derzeit erschweren in vielen Krankenhäusern noch Missverständnisse bezüglich der arbeitszeitrechtlichen<br />

Grundlagen die Analyse des Handlungsbedarfs, die stets Ausgangspunkt<br />

der Erarbeitung neuer <strong>Arbeitszeit</strong>systeme sein sollte. Auch wenn die erforderlichen<br />

neuen tarifvertraglichen Regelungen noch nicht existieren, lassen sich die arbeitszeitgesetzlichen<br />

Neuerungen in einem Satz <strong>zu</strong>sammenfassen: In Verbindung mit Bereitschaftsdiensten<br />

können per Tarifvertrag Höchstarbeitszeiten von bis <strong>zu</strong> 24 Stunden pro Tag <strong>zu</strong>gelassen<br />

werden, wobei jedoch innerhalb von sechs (tarifvertraglich erweiterbar auf zwölf)<br />

Monaten durchschnittlich 48 Stunden pro Woche nicht überschritten werden dürfen. Zwar<br />

würde die sogenannte „Opt-out-Regelung“ (sofern sie europarechtlich in der heutigen<br />

Form überhaupt bestehen bleibt) auf individuell freiwilliger Basis auch <strong>Arbeitszeit</strong>en mit<br />

Bereitschaftsanteilen über durchschnittlich 48 Wochenstunden hinaus ermöglichen; geht<br />

man aber realistischerweise davon aus, dass es hierüber <strong>zu</strong>mindest im BAT-Bereich nicht<br />

<strong>zu</strong> <strong>einer</strong> tarifvertraglichen Einigung kommt, ist die durchschnittliche 48-Stunden-Woche<br />

einschließlich Bereitschaftsdienst-Zeiten künftig die entscheidende limitierende Größe.<br />

Vollzeit-Mitarbeiter mit 38,5-Stunden-Woche dürfen vor diesem Hintergrund <strong>zu</strong>künftig nur<br />

noch durchschnittlich 9,5 Stunden pro Woche <strong>zu</strong>sätzlich leisten.<br />

Dass sich dies unmittelbar auf die derzeit übliche Bereitschaftsdienst-Organisation auswirkt,<br />

zeigt die folgende überschlägige Berechnung. Ein Montag bis Freitag an den Regeldienst<br />

angehängter und ansonsten 24-stündiger Bereitschaftsdienst schlägt – nach Freizeitausgleich<br />

an Folgetagen Montag bis Freitag – mit ca. 90 Stunden pro Woche <strong>zu</strong> Buche<br />

und muss daher künftig auf (90 Stunden : 9,5 Stunden/Mitarbeiter =) mindestens 10<br />

Mitarbeiter aufgeteilt werden, die dann also durchschnittlich nur jeweils ca. drei Dienste<br />

pro Monat erbringen. Eine solch starke Beset<strong>zu</strong>ng ist jedoch, insbesondere im ärztlichen<br />

Dienst kl<strong>einer</strong>er Krankenhäusern, nur selten gegeben – und sie reicht auch nur dann aus,<br />

wenn anfallende Überstunden jeweils mit Freizeit ausgeglichen werden, was in der Krankenhaus-Praxis<br />

bislang ebenfalls kaum einmal der Fall ist.<br />

Dies zwingt die Krankenhäuser <strong>zu</strong> <strong>einer</strong> intensiveren Nut<strong>zu</strong>ng der Ressource <strong>Arbeitszeit</strong><br />

im ärztlichen Dienst und im Funktionsdienst. Würden hier nämlich, wie bisher üblich, weiterhin<br />

ca. 75% der Woche – die Zeit außerhalb des Regeldienstes von Montag bis Freitag<br />

– durch Bereitschaftsdienste abgedeckt werden, flösse wegen der 48-Stunden-Deckelung<br />

ein höherer Anteil der <strong>Arbeitszeit</strong> in die Nacht und ins Wochenende und damit aus dem<br />

1 Partner der <strong>Arbeitszeit</strong>beratung Herrmann Kutscher Weidinger, Berlin.<br />

2 Bis 2012 Partner der <strong>Arbeitszeit</strong>beratung Dr. Hoff Weidinger Herrmann, Berlin.<br />

Rosa-Luxemburg-Straße 5 ⋅ 10178 Berlin<br />

Telefon 030 / 803 20 41 ⋅ Fax 030 / 803 91 33<br />

www.arbeitszeitberatung.de/krankenhaus/ ⋅ email@arbeitszeitberatung.de


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<strong>Arbeitszeit</strong> und Organisation im Krankenhaus<br />

eigentlichen Tagesgeschäft ab, so dass sich der Nut<strong>zu</strong>ngsgrad der <strong>Arbeitszeit</strong> insgesamt<br />

sogar verschlechterte. Um dies <strong>zu</strong> vermeiden, gibt es nur zwei sinnvolle Perspektiven:<br />

Entweder wird der Vollarbeitszeitanteil <strong>zu</strong> Lasten der Bereitschaftsdienstzeit erhöht – etwa<br />

durch erweiterte Servicezeiten – oder der <strong>Arbeitszeit</strong>-Verbrauch in den Nacht- und Wochenendzeiten<br />

reduziert – etwa durch Umwandlung von Bereitschafts- in Rufdienste.<br />

Im Ergebnis wird dies insbesondere <strong>zu</strong>m Absterben niedrigstufiger Bereitschaftsdienste<br />

(Stufen A und B) führen, deren arbeitszeitschutzrechtlicher <strong>Arbeitszeit</strong>-Verbrauch in keinem<br />

Verhältnis <strong>zu</strong>r hiermit erreichbaren Kapazität steht. Darüber hinaus ist <strong>zu</strong>künftig der<br />

bisherige Vergütungs-„Vorteil“ dieser Dienste, am Folgetag grundsätzlich einen erneuten<br />

Regeldienst anschließen <strong>zu</strong> können, nicht mehr vorhanden, weswegen solche Dienste<br />

auch für die Mitarbeiter nicht mehr interessant sind. Aber auch höherstufige Bereitschaftsdienste<br />

(Stufen C und D) müssen <strong>zu</strong>künftig kapazitätsschöpfend weitest möglich durch<br />

Vollarbeitszeit substituiert werden.<br />

Neben dem rechtlichen ergibt sich in der Regel aber auch inhaltlicher Handlungsbedarf<br />

– sei es aufgrund wachsender und nun auch artikulierter Un<strong>zu</strong>friedenheit der<br />

Mitarbeiter mit den tradierten Arbeits(zeit)bedingungen, sei es aufgrund der Anforderungen<br />

an eine optimale Prozessorganisation im DRG-Zeitalter. Werden diese Handlungsfelder<br />

gemeinsam mit den Beteiligten bearbeitet, trägt dies da<strong>zu</strong> bei, die Lösungssuche<br />

nicht allein auf die rechtliche Problematik <strong>zu</strong> verengen, die schon wegen<br />

der diesbezüglichen Abwehrhaltung vieler Betroffener eher unattraktive und <strong>zu</strong>dem<br />

teure <strong>Arbeitszeit</strong>modelle provoziert.<br />

2. Die prinzipiellen Optionen im Umgang mit der 48-Stunden-<br />

Grenze<br />

Wird – wovon wir im folgenden ausgehen – die durchschnittliche 48-Stunden-Grenze<br />

tatsächlich auch tarifvertraglich fixiert, können in der Praxis die folgenden, auch miteinander<br />

kombinierbaren Optionen <strong>zu</strong>m Einsatz kommen:<br />

- Die naheliegendste Lösung besteht darin, den Bereitschaftsdienstanteil an der<br />

Gesamtarbeitszeit <strong>zu</strong> verringern – z.B. durch verlängerte Servicezeiten (etwa auf<br />

Montag bis Freitag 07:30 - 20:00 Uhr anstelle eines Regeldienstes von 07:30 -<br />

16:00 Uhr) mittels versetzter Dienste, die durch Bereitschaftsdienste während der<br />

Nachtstunden ergänzt werden. In unserem Beispiel werden (4 Stunden x 5 Tage<br />

=) 20 Stunden pro Woche aus der Bereitschaftsdienstzeit herausgeschnitten und<br />

<strong>zu</strong> „Vollarbeitszeit“ gemacht, was – wie unsere Untersuchungen immer wieder<br />

gezeigt haben – meist sowieso der Realität entspricht und dann da<strong>zu</strong> führt, dass<br />

in der verbleibenden Bereitschaftsdienstzeit die durchschnittliche Beanspruchung<br />

sinkt.<br />

- Die veränderungsärmste Lösung besteht darin, den ansonsten unveränderten<br />

Bereitschaftsdienst in höherem Maße durch Freizeit aus<strong>zu</strong>gleichen. So kann <strong>zu</strong>m<br />

Beispiel auch der Freitags- bzw. Samstagsdienst durch arbeitsfreie Tage unter<br />

der Woche ausgeglichen werden, etwa im Rahmen der Jahresurlaubsplanung.<br />

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<strong>Arbeitszeit</strong> und Organisation im Krankenhaus<br />

Am schlechten <strong>Arbeitszeit</strong>-Nut<strong>zu</strong>ngsgrad der Bereitschaftsdienstzeit ändert dies<br />

allerdings nichts.<br />

- Ein weiterer Lösungsansatz ist, die Anzahl der je Bereitschaftsdienst einsetzbaren<br />

Mitarbeiter <strong>zu</strong> erhöhen. Dies kann systematisch entweder dadurch geschehen,<br />

dass hier<strong>zu</strong> auch Mitarbeiter anderer Bereiche herangezogen werden – etwa<br />

aus der Intensivstation in den Anästhesie-Funktionsdienst hinein –, oder dadurch,<br />

dass man Dienste <strong>zu</strong> dann interdisziplinär besetzten Diensten <strong>zu</strong>sammenlegt, die<br />

dann wiederum durch entsprechende (assistenzärztliche) Rufdienste abgesichert<br />

werden.<br />

- Des weiteren können Bereitschaftsdienstzeiten in Rufdienstzeiten umgewandelt<br />

und damit in Ruhezeiten verlagert werden (nur die „Aktivzeiten“ fließen dann in<br />

die 48-Stunden-Woche ein) – insbesondere (a) bei vormals niedrigstufigen Bereitschaftsdiensten,<br />

(b) als Ergän<strong>zu</strong>ng von Vollarbeitszeitdiensten bei vormals<br />

zwei oder mehr parallelen Bereitschaftsdiensten bzw. (c) im Anschluss an Spätdienste<br />

in <strong>einer</strong> gering in Anspruch genommenen zweiten Nachthälfte.<br />

- Darüber hinaus können Bereitschaftsdienste eventuell auch outgesourct, also<br />

über Dienst- oder Werkverträge (ohne Weisungsrecht des Auftraggebers) mit<br />

Freiberuflern oder Selbständigen, etwa niedergelassenen Ärzten, besetzt werden,<br />

die nicht an die Grenzen des <strong>Arbeitszeit</strong>gesetzes gebunden sind.<br />

- Und schließlich kann versucht werden, die durchschnittliche 48-Stunden-Woche<br />

besser aus<strong>zu</strong>schöpfen – etwa dadurch, dass der Begriff „<strong>Arbeitszeit</strong>“ sauber definiert<br />

wird und reine Anwesenheitszeiten ohne Arbeitsleistung, Reisezeiten und<br />

Wasch-/Umkleidezeiten aus der arbeitszeitschutzrechtlichen <strong>Arbeitszeit</strong> herausgehalten<br />

werden.<br />

3. Die Servicezeit als Ausgangspunkt arbeitsorganisatorischer Optimierungsprozesse<br />

Eine Bereitschaftsdienst-Reorganisation ohne Betrachtung des für den <strong>Arbeitszeit</strong>verbrauch<br />

entscheidenden Tagesgeschäftes „zäumt das Pferd von hinten auf“. Bedarfsgerecht<br />

erweiterte (und berufsgruppenübergreifend abgestimmte) Servicezeiten unterstützen<br />

dabei beispielsweise im Zusammenhang mit neuen OP-Organisationen und der Schaffung<br />

interdisziplinärer Aufnahmeeinheiten eine prozessorientierte Neuausrichtung sowie<br />

eine bessere Auslastung von Raum, Technik bzw. Betten und leisten hierdurch einen wesentlichen<br />

Beitrag <strong>zu</strong>r „Finanzierung“ neuer <strong>Arbeitszeit</strong>systeme.<br />

Die Servicezeit ist die Zeitspanne, während derer die sofortige Leistungserbringung für die<br />

Patienten und die internen Kunden garantiert wird, womit <strong>zu</strong>gleich ihre qualitative Dimension<br />

(die bislang gegenüber der quantitativen noch <strong>zu</strong> kurz kommt) deutlich wird. Servicezeiten<br />

eröffnen <strong>zu</strong>dem jene eigenverantwortlichen Gestaltungsspielräume, ohne die flexible<br />

<strong>Arbeitszeit</strong>en nicht funktionieren können. Diese wiederum sind die Vorausset<strong>zu</strong>ng dafür,<br />

dass nicht stets – unabhängig vom Arbeitsaufkommen – mindestens die gesamte vertragliche<br />

Tagesarbeitszeit erbracht werden muss. Und last but not least erleichtern qualifi-<br />

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zierte Servicezeiten den auf Grund der Arbeitsmarktlage <strong>zu</strong>künftig voraussichtlich verstärkt<br />

erforderlichen Einsatz von Teilzeitbeschäftigten.<br />

4. Zukunftssichere Grundmodelle der Nacht- und Wochenend-<br />

Organisation<br />

Die Entscheidung über die <strong>zu</strong>künftige Organisation der Nacht- und Wochenendarbeit<br />

beginnt mit der Wahl zwischen zwei Perspektiven:<br />

1. Grundoption: Aus der Servicezeit heraus besetzte Einzeldienste mit jeweils<br />

arbeitsfreiem Folgetag<br />

Der Bereitschaftsdienst wird hierbei, wie bislang üblich, an Vollarbeitszeit angehängt.<br />

Die Bandbreite möglicher Modelle reicht von der Fortführung maximal 24-stündiger<br />

Dienste (sofern tarifvertraglich <strong>zu</strong>gelassen) über das Anhängen an einen innerhalb<br />

<strong>einer</strong> Servicezeit versetzten Dienst bis hin <strong>zu</strong> (etwa aus der Servicezeit herausragenden)<br />

Spätdienst-Bereitschaftsdienst-Kombinationen von <strong>zu</strong>m Beispiel 16 Stunden<br />

Dauer, durch die der Bereitschaftsdienst montags bis freitags auf die Nachtzeit konzentriert<br />

wird. In flexiblen <strong>Arbeitszeit</strong>systemen kann der Bereitschaftsdienst dabei<br />

ggf. flexibel mit dem erstmaligen Betreten des Bereitschaftsdienstzimmers beginnen.<br />

Im Anschluss folgt – unabhängig von der Modellausgestaltung – jeweils ein mindestens<br />

elfstündiges Arbeitsfrei, so dass der Mitarbeiter am Folgetag fehlt, ggf. <strong>zu</strong>sätzlich<br />

aber auch am Vormittag des Bereitschaftsdiensttages.<br />

Für diese Perspektive sprechen<br />

(a) der geringe Umstellungsaufwand;<br />

(b) der aus arbeitsmedizinischer Sicht günstige einzeln „eingestreute“ Nachtdienst;<br />

(c) der geringe Übergabeaufwand;<br />

(d) die gute Eignung für Teilzeit-Mitarbeiter und Externe, die nur einzelne Dienste<br />

abdecken möchten.<br />

Dagegen sprechen – neben dem genannten tarifvertraglichen Risiko –<br />

(a) die schlechte Kontinuität im Tagesgeschäft durch die täglich personell wechselnden<br />

arbeitsfreien Tage, die den wichtigsten Nachteil schon des bisherigen<br />

Regeldienst-Bereitschaftsdienst-Schemas darstellt, der ggf. durch den <strong>zu</strong>sätzlich<br />

am Vormittag Fehlenden noch verstärkt wird;<br />

(b) die unter Umständen <strong>zu</strong> hohe tagesbezogene Dienstbelastung;<br />

(c) die mit kürzer werdender Gesamt-Tagesarbeitszeit dahinschmelzende Zusatz-<br />

Vergütung der Mitarbeiter.<br />

2. Grundoption: Von der <strong>Arbeitszeit</strong> während der Servicezeit getrennte Nachtdienste,<br />

von denen mehrere in Folge erbracht werden können<br />

Der Nachtdienst wird hier von der Vollarbeitszeit im Tagesgeschäft isoliert und – unter<br />

Berücksichtigung <strong>einer</strong> Überlappungszeit <strong>zu</strong>r Übergabe – personell getrennt besetzt.<br />

Am Wochenende werden jeweils zwei ca. zwölfstündige Dienste besetzt. Die<br />

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<strong>Arbeitszeit</strong> und Organisation im Krankenhaus<br />

Nachtdienste können in diesen Modellen vollständig als Bereitschaftsdienst oder als<br />

Vollarbeitszeit ausgestaltet, aber auch aus beidem gemischt werden (insbesondere<br />

durch in Vollarbeitszeit eingebettete Nacht-Bereitschaftsdienstfenster). Letzteres ermöglicht<br />

und erfordert eine Vollauslastung außerhalb der Bereitschaftszeit – durch<br />

sinnvolle Verlagerungen von Arbeitsaufgaben aus dem Tagesgeschäft heraus.<br />

Wenn die Nachtdienste höchstens 13 Stunden lang sind, können mehrere Nachtdienste<br />

aufeinander folgen, weil dann die gesetzliche elfstündige Mindestruhezeit<br />

zwischen zwei Diensten eingehalten ist. Eine entsprechend vorstrukturierte Dienstfolge<br />

aus Arbeitstagen und arbeitsfreien Tagen, die jeweils komplett (<strong>zu</strong>m Beispiel<br />

über eine oder zwei Wochen) von einem ansonsten im Tagesgeschäft eingesetzten<br />

Mitarbeiter durchlaufen wird, nennen wir „Dienstmodul“. Bei <strong>zu</strong>m Beispiel acht Assistenzärzten<br />

ist bei einem einwöchigen Dienstmodul jeder Arzt alle acht Wochen einmal<br />

darin eingeteilt. Ein typisches Dienstmodul ist die Dienstfolge von Sonntag- bis<br />

Donnerstag-Nacht von 19:00 Uhr – 08:00 Uhr (jeweils mit 45min wie Bereitschaftsdienst<br />

vergüteter Pausenzeit) mit anschließendem Arbeitsfrei bis <strong>zu</strong>m Montag-<br />

Morgen. Die fehlenden Nacht-Dienste Freitag und Samstag werden einzeln von je<br />

einem anderen Mitarbeiter besetzt (siehe Schaubild 1).<br />

Schaubild 1: Vollarbeitszeit-Nachtdienste mit eingebettetem Bereitschaftsdienstfenster,<br />

organisiert als Dienstmodul<br />

Diese Ausgestaltung des Dienstmoduls ist für Krankenhaus wie Mitarbeiter attraktiv.<br />

Für die Mitarbeiter ist sie vergütungsoptimiert, denn die Dienste am Samstag und<br />

Sonntag werden voll und die übrigen mit der die Tages-Vertragsarbeitszeit (in der<br />

Regel 7,7h) übersteigenden <strong>Arbeitszeit</strong> vergütet. Für das Krankenhaus kommt es<br />

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<strong>Arbeitszeit</strong> und Organisation im Krankenhaus<br />

<strong>zu</strong>m geringst möglichen Beset<strong>zu</strong>ngsverlust im Tagesgeschäft von nur einem Mitarbeiter<br />

pro Tag – mit Ausnahme des Freitags, an dem tagsüber sowohl der Freitag-<br />

Diensthabende als auch der im Dienstmodul arbeitsfrei eingeteilte Mitarbeiter fehlen.<br />

Zugleich kommt dieses Dienstmodul auch der Kontinuität der Patientenbetreuung auf<br />

den Stationen entgegen.<br />

Schichtsysteme mit regelmäßigem Wechsel zwischen Tag- und Nachtdiensten sollten<br />

demgegenüber nur in Bereichen mit durchgehendem Beset<strong>zu</strong>ngsbedarf <strong>zu</strong>m<br />

Einsatz kommen – etwa in größeren Intensivstationen oder in (ggf. in diesem Zusammenhang<br />

neu organisierten) Zentralen Aufnahmebereichen; dies entspricht nach<br />

allen verfügbaren Befragungsergebnissen auch dem Interesse der Ärzteschaft. Solche<br />

Systeme werden im ärztlichen Dienst oft nach einem Rotationsverfahren für längere<br />

Zeit nach einem festen und daher für die Mitarbeiter gut kalkulierbaren Schichtplan<br />

besetzt. Bei der Berechnung der Kosten des Schichtbetriebs müssen die Wechselschicht<strong>zu</strong>lage<br />

und der Zusat<strong>zu</strong>rlaub für Nachtarbeit berücksichtigt werden.<br />

Für Modelle, die auf dieser Grundoption aufbauen, sprechen<br />

(a) die kürzeren Dienstdauern;<br />

(b) die flexible und passgenaue Kombinierbarkeit der Vollarbeitszeit- und Bereitschaftsdienstanteile;<br />

(c) die potenziell intensivere Kapazitätsnut<strong>zu</strong>ng durch höhere Vollarbeitszeitanteile<br />

in der Abend-, Nacht- und Wochenendzeit;<br />

(d) im Falle von Dienstmodulen die kompakt gebündelte Nachtarbeitsbelastung,<br />

die dann viele Arbeitswochen ohne Nachtarbeit ermöglicht;<br />

(e) bei Dienstmodulen die bessere Kontinuität sowohl der nächtlichen Patientenversorgung<br />

als auch des Tagesgeschäftes durch den Wegfall der täglich personell<br />

wechselnden freien Tage nach dem Bereitschaftsdienst.<br />

Dagegen sprechen – jedoch abhängig von der konkreten Ausgestaltung dieser<br />

Grundoption –<br />

(a) unter Umständen arbeitsmedizinisch problematisch verdichtete Nachtdienstfolgen;<br />

(b) aufwändigere Vorkehrungen <strong>zu</strong>m Auffangen unvorhergesehener Ausfallzeiten,<br />

insbesondere von Krankheit, bei denen dann ggf. ganze Dienstfolgen statt einzelner<br />

Dienste vertreten werden müssen;<br />

(c) mehr Übergaben;<br />

(d) mehr Arbeitstage – auch am Wochenende.<br />

Die beiden letztgenannten Nachteile lassen sich dadurch reduzieren, dass bei<br />

Dienstmodulen und bei Schichtsystemen jeweils nur zwei Dienste pro Tag (<strong>zu</strong>m Beispiel<br />

von 07:30 - 20:00 Uhr und von 19:30 - 08:00 Uhr) vorgesehen werden. Solche<br />

„12-Stunden-Systeme“ stoßen in der Regel auch auf höhere Akzeptanz der Mitarbeiter.<br />

Wird durchgehend in Vollarbeitszeit gearbeitet, erfordert dies eine Genehmigung<br />

der Aufsichtsbehörde (gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 1a ArbZG), die jedoch – insbesondere<br />

für Intensivstationen, in denen die Zahl der Übergaben so gering wie möglich sein<br />

sollte – in der Regel erteilt wird.<br />

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Die genannten beiden Grundoptionen lassen sich auch – zwecks Kombinierung ihrer<br />

Vorteile – miteinander verbinden. So werden beispielsweise mitunter die Wochenenden<br />

von der sonstigen Zweiteilung des Arbeitstages ausgenommen, oder die Mitarbeiter<br />

entscheiden im Rahmen der Dienstplanung jeweils selbst, wie viele Nachtdienste<br />

sie in Folge erbringen möchten, wobei Einzeldienste länger sind und schon<br />

während der Servicezeit anfangen, während Dienste in Dienstfolgen erst am Abend<br />

nach Übergabe des heranreichenden langen Tagesdienstes beginnen.<br />

5. Sinnvolle Flexi-Spielregeln<br />

Für die Gestaltung betrieblicher Flexi-Spielregeln bieten die einschlägigen Regelungen in<br />

BAT und AVR große Spielräume, die jedoch bisher weitgehend ungenutzt geblieben sind.<br />

Einige unseres Erachtens besonders wichtige Optionen werden nachfolgend überblicksartig<br />

dargestellt.<br />

♦ Abwesenheitssteuerung<br />

In die Dienstplangestaltung wird eine Vorgabe der jeweils bedarfsabhängig sollabwesenden<br />

Mitarbeiter aufgenommen, die stets erfüllt sein muss – vorrangig durch<br />

Urlaub und andere planbare Ausfallzeiten, nachrangig durch arbeitsfreie Tage. Um<br />

das Hauptpotenzial flexibler <strong>Arbeitszeit</strong>en – weniger Arbeiten <strong>zu</strong>r richtigen Zeit – <strong>zu</strong><br />

heben, muss gerade in eng besetzten Bereichen jede sich bietende Abwesenheitschance<br />

genutzt werden.<br />

♦ Äquivalenzprinzip<br />

Stundenweise längere <strong>Arbeitszeit</strong>en werden vorrangig durch (häufig allerdings weniger<br />

beliebte) stundenweise kürzere <strong>Arbeitszeit</strong>en – und umgekehrt – ausgeglichen und nur<br />

ausnahmsweise durch arbeitsfreie Tage. Dies fördert die Kontinuität der Patientenversorgung,<br />

die zeitnahe Regeneration der Mitarbeiter und einen effizienten <strong>Arbeitszeit</strong>verbrauch<br />

und baut <strong>zu</strong>gleich organisatorischen Druck auf, kurze Arbeitstage dann auch<br />

tatsächlich <strong>zu</strong> ermöglichen.<br />

♦ Zeitkontensteuerung<br />

Werden Zeitkonten (alternativ kommt der eigenverantwortliche Zeitausgleich via Vertrauensarbeitszeit<br />

in Frage) geführt, kann ihr Saldo <strong>zu</strong>r Unterstüt<strong>zu</strong>ng ihrer fortlaufenden<br />

Rückführung in Richtung Zielwert 0 Stunden = Vertragsarbeitszeit auf <strong>zu</strong>m Beispiel +/-40h<br />

begrenzt sein und können darüber hinausgehende Salden sofort verfallen (im Minusbereich<br />

mit vorheriger Zustimmung der Führungskraft). Alternativ kann durch „Ampelphasen“<br />

eine mit Entfernung von der Nulllinie <strong>zu</strong>nehmende Ausgleichsunterstüt<strong>zu</strong>ng durch die<br />

Führungskraft vorgesehen werden.<br />

In jedem Fall aber sollten Zeitkonten von der Vergütung strikt getrennt werden – sonst<br />

funktioniert erfahrungsgemäß der stets an<strong>zu</strong>strebende Zeitausgleich nicht. Insbesondere<br />

bedeutet dies, dass Zeitkonten <strong>zu</strong> keinem Zeitpunkt abgerechnet werden und auch vor<br />

Ausscheiden ausschließlich „in Zeit“ aus<strong>zu</strong>gleichen sind. Zwingende Vorausset<strong>zu</strong>ng hierfür<br />

ist, dass der Mitarbeiter im Plusbereich des Zeitkontos einen unabdingbaren Anspruch<br />

auf Entlastung durch die Führungskraft hat – in erster Linie durch Reduzierung, Verschie-<br />

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<strong>Arbeitszeit</strong> und Organisation im Krankenhaus<br />

bung und/oder Verlagerung von Arbeitsaufgaben. Auf diese Weise wird das Zeitkonto<br />

<strong>zu</strong>m Werkzeug <strong>einer</strong> „therapeutischen“ Auseinanderset<strong>zu</strong>ng mit Überlastproblemen.<br />

♦ Selbsterfassung der <strong>Arbeitszeit</strong><br />

Am einfachsten ist die EDV-gestützte Erfassung nur von Abweichungen von der geplanten<br />

<strong>Arbeitszeit</strong> in ¼-Stunden-Schritten; unter www.arbeitszeitberatung.de<br />

werden hierfür kostenlose Tools <strong>zu</strong>r Verfügung gestellt. Demgegenüber lösen die<br />

von den Mitarbeitern häufig geforderten elektronischen Systeme <strong>zu</strong>r Anwesenheitszeit-<br />

Erfassung <strong>zu</strong>sätzlichen Effizienzdruck aus, weil sie unsensibel sind gegenüber individuellen<br />

Arbeitsstilen (abhängig vom Naturell, von berufsethischen Vorstellungen und vom Erfahrungswissen),<br />

was gerade im ärztlichen Bereich Konflikte mit dem Selbstbild eigener<br />

Tätigkeit provozieren kann. Zudem fördert die dezentrale Erfassung das <strong>Arbeitszeit</strong>management<br />

der ärztlichen und pflegerischen Führungskräfte. Überschreitungen gesetzlicher<br />

Rahmenbedingungen können direkt mit der Selbsteingabe inhaltlich begründet werden,<br />

was den Blick für die Einhaltung der gesetzlichen Rahmenbedingungen schärft<br />

und die Überprüfung möglicher Ausnahmetatbestände (gemäß § 14 ArbZG) ermöglicht.<br />

♦ Vereinbarung von Planarbeitszeiten<br />

Zeitkonto und Vertrauensarbeitszeit dürfen nicht <strong>zu</strong>m Auffangen kapazitativer Engpässe<br />

(<strong>zu</strong>m Beispiel in Folge nicht besetzter Stellen) genutzt werden. Stattdessen<br />

sollte in solchen Fällen mit den Mitarbeitern vorab wochenweise eine über die Vertragsarbeitszeit<br />

hinausgehende Planarbeitszeit (<strong>zu</strong>m Beispiel von <strong>einer</strong> Stunde pro<br />

Tag) vereinbart werden können. Die Differenz zwischen Vertrags- und Planarbeitszeit<br />

wird dann in Form von Überstunden vergütet.<br />

6. Zentrale Erfolgfaktoren bei Projektmanagement und Umset<strong>zu</strong>ng<br />

♦ Gemeinsame Projektarbeit<br />

Anfängliche Widerstände auf allen Ebenen sind normal: Nicht <strong>zu</strong>letzt geht es ja um<br />

die Wahrung finanzieller Besitzstände, um bisherige schlechte Erfahrungen im gegenseitigen<br />

Umgang miteinander und um ein ungewohntes Veränderungstempo.<br />

Helfen können hier nur ein klares Bekenntnis der Krankenhausleitung und der Chefärzte,<br />

die für die Leistungserbringung zentralen Berufsgruppen tatsächlich wirksam<br />

unterstützen <strong>zu</strong> wollen, ein transparentes Herausarbeiten der gemeinsamen Chancen<br />

und Potenziale und die frühzeitige Einbeziehung aller relevanten Betroffenen in<br />

die Konzepterarbeitung.<br />

♦ Wahlarbeitszeit-Option<br />

Innovative Modelle können insbesondere dadurch unterstützt werden, dass das bisherige<br />

Junktim zwischen Bereitschaftsdienst und Zusatzvergütung aufgelöst wird,<br />

indem den Mitarbeitern die – <strong>zu</strong>künftig eventuell auch tarifvertraglich geregelte – Option<br />

eröffnet wird, je nach persönlicher Präferenz zwischen mehr Freizeit und <strong>einer</strong><br />

weitest möglichen Beibehaltung der Vergütung wählen <strong>zu</strong> können und damit unerwünschte<br />

Einkommensverluste <strong>zu</strong> vermeiden. Ggf. wird da<strong>zu</strong> das eingesparte Be-<br />

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<strong>Arbeitszeit</strong> und Organisation im Krankenhaus<br />

reitschaftsdienstvolumen dienstplanmäßig als Vollarbeitszeit (bis maximal an die<br />

Grenze der durchschnittlichen 48-Stunden-Woche) verplant. Dies kommt ebenso<br />

dem Krankenhaus <strong>zu</strong>gute – durch Vermeidung eines unrealistischen Personal<strong>zu</strong>wachses,<br />

aufgrund der Stundensatzdegression niedrigerer Personalkosten und <strong>einer</strong><br />

effizienteren Aus- und Weiterbildung.<br />

♦ Gemeinsame Evaluation<br />

Neuregelungen sollten <strong>zu</strong>nächst ca. ein Jahr lang ausprobiert und bei Bedarf schon<br />

während dieser Zeit weiter optimiert werden. Insbesondere flexible <strong>Arbeitszeit</strong>en und<br />

Dienstmodule funktionieren, den gerade im ärztlichen Dienst verbreiteten Unkenrufen,<br />

Vorurteilen und Umstellungsschwierigkeiten <strong>zu</strong>m Trotz, meist besser als erwartet.<br />

Daher sollte <strong>zu</strong> Gunsten <strong>einer</strong> gemeinsamen Evaluation am Ende der Probephase<br />

auf überdetaillierte Projektdiskussionen vor dem Start verzichtet werden, weil die<br />

Betroffenen dann über fundierte Erfahrungen auf dem <strong>zu</strong>vor noch ungewohnten Terrain<br />

berichten können.<br />

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