Herren Brüdern Mitschülern - Gwick.ch
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abhold; den Beweis dafür überlassen wir aber<br />
besser der mündli<strong>ch</strong>en Tradition.<br />
Wie universal das Wissen Pater Theodors au<strong>ch</strong><br />
war, es gibt do<strong>ch</strong> Berei<strong>ch</strong>e im Geistesleben, die<br />
ihm fremd waren. Großes ästhetis<strong>ch</strong>es Empfinden<br />
kann man ihm kaum na<strong>ch</strong>sagen. Er besu<strong>ch</strong>te zwar<br />
alle Konzerte im Fürstensaal; aber er konnte mit<br />
der Unbefangenheit eines Kindes während der<br />
musikalis<strong>ch</strong>en Darbietung halblaute Gesprä<strong>ch</strong>e<br />
mit seinem Na<strong>ch</strong>barn führen. Es wäre jedo<strong>ch</strong> ungere<strong>ch</strong>t.<br />
wenn wir ihm Gefühl und Gemüt abspre<strong>ch</strong>en<br />
wollten. Wenn in der Samstagsvesper vor<br />
dem fünften Sonntag na<strong>ch</strong> Pfingsten die Magnificat-Antiphon<br />
«montes Gelboe» angestimmt wurde,<br />
dann begannen Pater Theodors Augen jedesmal<br />
feu<strong>ch</strong>t zu werden. Davids Trauerklage für<br />
seinen gefallenen Freund Jonathan hatte es ihm<br />
zutiefst angetan. Singen konnte Pater Theodor allerdings<br />
ni<strong>ch</strong>t. was ihn aber keineswegs daran hinderte,<br />
dass er trotzdem sang – und dies mit einer<br />
Unbekümmertheit. um die man ihn nur beneiden<br />
konnte. Sein Wo<strong>ch</strong>nerdienst im Chor war immer<br />
wieder ein ri<strong>ch</strong>tiges Ereignis. Vom jüngsten Novizen<br />
bis hinauf zum Abt freuten si<strong>ch</strong> alle an Pater<br />
Theodors unfreiwilligem Humor. Es gibt übrigens<br />
Leute, die Pater Theodor jeden Sinn für Humor<br />
abspra<strong>ch</strong>en. Es stimmt, er begriff oft die Pointe eines<br />
Witzes ni<strong>ch</strong>t; aber la<strong>ch</strong>en konnte er trotzdem,<br />
ein biß<strong>ch</strong>en heiser und krä<strong>ch</strong>zend zwar, und do<strong>ch</strong><br />
herzli<strong>ch</strong> und frei.<br />
Nun ist er ni<strong>ch</strong>t mehr bei uns. Nur s<strong>ch</strong>wer kann<br />
man si<strong>ch</strong> daran gewöhnen, ihm in den Klostergängen<br />
und im <strong>Herren</strong>garten ni<strong>ch</strong>t mehr zu begegnen:<br />
den legendären Horaz s<strong>ch</strong>ief auf dem<br />
Kopf, das fleckige Skapulier über die S<strong>ch</strong>ulter<br />
geworfen und so den Blick auf das knapp über den<br />
Knien liegende Cingulum freigebend. Wer ihm<br />
zum erstenmal so begegnete, hätte in diesem<br />
Männ<strong>ch</strong>en wohl kaum den ho<strong>ch</strong>begabten und leidens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en<br />
Wahrheitssu<strong>ch</strong>er vermutet. Kompromißloses<br />
Su<strong>ch</strong>en na<strong>ch</strong> der Wahrheit. das war<br />
die große Devise seines wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Strebens<br />
und seines ganzen Lebens. Jetzt hat er die<br />
volle Wahrheit erkannt in seinem Tod, dem er wie<br />
selten ein Mann offen ins Auge geblickt hat. Er<br />
möge ruhen im Frieden unseres Herrn.<br />
Pater Kassian Etter