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Wendepunkt 10 - Depression.ch

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WENDEPUNKT<br />

Informationen zu <strong>Depression</strong> und Angststörungen I Ausgabe <strong>10</strong><br />

Wenn jemand eine<br />

DEPRESSION HAT,<br />

brau<strong>ch</strong>t es<br />

mögli<strong>ch</strong>erweise<br />

mehr als einen<br />

BLUMENSTRAUSS<br />

SEITE 3 I DEPRESSION<br />

SEITE 6 I «LEAN ON ME»<br />

SEITE <strong>10</strong> I THERAPIE<br />

Aus einer Krise das Beste<br />

ma<strong>ch</strong>en<br />

Yvonne und Erwin Christen<br />

spre<strong>ch</strong>en über ihre s<strong>ch</strong>were Zeit<br />

Mit «lean on me» <strong>Depression</strong>en<br />

anspre<strong>ch</strong>en<br />

Wie Freunde und Angehörige Betroffenen<br />

zur Seite stehen können<br />

Gemeinsam gegen die<br />

<strong>Depression</strong>: Angehörige in die<br />

Therapie miteinbeziehen<br />

Ein Gesprä<strong>ch</strong> mit Dr. Philippe Huguelet<br />

Lundbeck (S<strong>ch</strong>weiz) AG<br />

Dokument letztmals geprüft:<br />

27.12.2012


EDITORIAL<br />

INHALT<br />

EDITORIAL 2<br />

DEPRESSION 3<br />

«Die <strong>Depression</strong> hat uns 3<br />

zusammenges<strong>ch</strong>weisst»<br />

Yvonne und Erwin Christen über<br />

ihr Leben mit der <strong>Depression</strong><br />

Ihre Meinung ist uns wi<strong>ch</strong>tig 4<br />

Ma<strong>ch</strong>en Sie mit und gewinnen Sie!<br />

Bu<strong>ch</strong>tipp: «So nah und do<strong>ch</strong> 5<br />

so fern»<br />

«LEAN ON ME» 6<br />

«lean on me»: I<strong>ch</strong> bin dein 6<br />

Freund, au<strong>ch</strong> wenn es dir<br />

s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t geht<br />

Eine Kampagne zur Entstigmatisierung<br />

der <strong>Depression</strong><br />

Equilibrium – jede Hilfe 8<br />

ist wertvoll<br />

Interview mit Christine Heim,<br />

Präsidentin von Equilibrium<br />

«lean on me»: die Umfrageergebnisse<br />

THERAPIE <strong>10</strong><br />

«Angehörige in die Therapie <strong>10</strong><br />

einzubeziehen, kann für<br />

Betroffene wertvoll sein»<br />

Interview mit Dr. Philippe Huguelet<br />

9<br />

KURZ UND BÜNDIG 12<br />

Anlaufstellen und Links 12<br />

Impressum 12<br />

Liebe Leserinnen,<br />

liebe Leser<br />

K<br />

rankheiten des Herz-Kreislauf-Systems wie Blutho<strong>ch</strong>druck,<br />

Arteriosklerose bis hin zum Herzinfarkt oder au<strong>ch</strong><br />

Diabetes sind in unserer Gesells<strong>ch</strong>aft weitverbreitet. Das<br />

damit verbundene Leiden und Arbeitsausfälle werden ohne<br />

Weiteres verstanden und akzeptiert. Bei psy<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>en<br />

Erkrankungen wie <strong>Depression</strong>en ist dies leider immer no<strong>ch</strong><br />

ganz anders – man spri<strong>ch</strong>t ni<strong>ch</strong>t darüber oder s<strong>ch</strong>ämt si<strong>ch</strong>,<br />

ni<strong>ch</strong>t stark genug zu sein. Diese s<strong>ch</strong>were Krankheit wird<br />

immer no<strong>ch</strong> stigmatisiert. Betroffene s<strong>ch</strong>affen es oft ni<strong>ch</strong>t,<br />

professionelle Hilfe zu su<strong>ch</strong>en und in Anspru<strong>ch</strong> zu nehmen.<br />

Sie haben in ihrer emotionalen Hoffnungslosigkeit grösste<br />

Mühe, si<strong>ch</strong> ihren Freunden oder Angehörigen anzuvertrauen und s<strong>ch</strong>ämen si<strong>ch</strong>, über ihre<br />

Traurigkeit, Energielosigkeit oder gar Suizidabsi<strong>ch</strong>ten zu spre<strong>ch</strong>en – sie haben Angst, ni<strong>ch</strong>t verstanden<br />

zu werden.<br />

Yvonne Christen hatte den Mut, über ihre <strong>Depression</strong> zu spre<strong>ch</strong>en und stiess mit ihrer Offenheit<br />

auf einen verständnisvollen Partner, der in den s<strong>ch</strong>wersten Momenten ihres Lebens zu ihr<br />

hielt. Im Porträt ab Seite 3 erzählen Yvonne und Erwin Christen, wie sie die vielen Hürden überstanden<br />

haben – aber au<strong>ch</strong>, dass sie gegen Vorurteile ankämpfen mussten. Das Porträt zeigt,<br />

wie wi<strong>ch</strong>tig die Unterstützung dur<strong>ch</strong> die Familie und Freunde für Betroffene sein kann.<br />

Um das Verständnis für die Krankheit zu fördern und ihre Stigmatisierung zu überwinden sowie<br />

die Unterstützung Betroffener zu fördern, haben wir zusammen mit der European <strong>Depression</strong><br />

Association (EDA) die Kampagne «lean on me» ins Leben gerufen. Unterstützt werden wir in<br />

der S<strong>ch</strong>weiz dabei von Equilibrium, dem Verein zur Bewältigung von <strong>Depression</strong>en, der S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>en<br />

Gesells<strong>ch</strong>aft für Psy<strong>ch</strong>iatrie und Psy<strong>ch</strong>otherapie SGPP sowie der Werner Alfred Selo<br />

Stiftung (WASS). Mehr über die Kampagne und wie Sie selber aktiv werden können, lesen Sie<br />

auf den Seiten 6 und 7.<br />

Im Zusammenhang mit der Kampagne «lean on me» wurde im vergangenen Jahr eine Umfrage<br />

zum Thema <strong>Depression</strong> dur<strong>ch</strong>geführt. Wir konfrontierten Christine Heim, Präsidentin von<br />

Equilibrium, mit den Umfrageergebnissen und fragten na<strong>ch</strong> mögli<strong>ch</strong>en Hintergründen. Lesen<br />

Sie dazu das Interview und die Umfrageergebnisse auf den Seiten 8 und 9.<br />

Dass es für Betroffene wertvoll sein kann, Angehörige in eine Therapie einzubeziehen, weiss der<br />

Genfer Psy<strong>ch</strong>iater Philippe Huguelet aus seiner Praxistätigkeit. Im Interview auf den Seiten <strong>10</strong><br />

und 11 s<strong>ch</strong>ildert er seine Erfahrungen und zeigt auf, wie Angehörige besser auf den Betroffenen<br />

eingehen können.<br />

Die Ermutigung und Unterstützung dur<strong>ch</strong> Angehörige und Freunde ist für Betroffene enorm<br />

wi<strong>ch</strong>tig. Es hilft ihnen ents<strong>ch</strong>eidend, si<strong>ch</strong> weniger isoliert zu fühlen und motiviert zu werden,<br />

aktiv an der Überwindung ihrer <strong>Depression</strong> zu arbeiten. Helfen au<strong>ch</strong> Sie mit, Betroffene zu<br />

unterstützen und besu<strong>ch</strong>en Sie unsere neue Website www.leanonme.<strong>ch</strong> mit hilfrei<strong>ch</strong>en<br />

Informationen.<br />

Wir wüns<strong>ch</strong>en Ihnen eine anregende Lektüre.<br />

PD Dr. Rico Nil<br />

Medical Director<br />

Lundbeck (S<strong>ch</strong>weiz) AG<br />

2


«Die<strong>Depression</strong><br />

DEPRESSION<br />

hat uns zusammenges<strong>ch</strong>weisst»<br />

FÜR MENSCHEN MIT EINER DEPRESSION IST ES SCHWIERIG, DEN EIGENEN ZUSTAND MIT DER FAMILIE ODER<br />

FREUNDEN ZU BESPRECHEN.YVONNE CHRISTEN HAT DESHALB SCHWERE KRISEN DURCHLITTEN. NUR AUF<br />

IHREN MANN KONNTE SIE IMMER ZÄHLEN. ERWIN CHRISTEN IST IHR AUCH IN KRISENZEITEN BEIGESTANDEN<br />

UND HAT AN SEINE FRAU GEGLAUBT. HEUTE GEHT ES YVONNE CHRISTEN BESSER. DIE DEPRESSION HAT DAS<br />

EHEPAAR NOCH ENGER ZUSAMMENGESCHWEISST.<br />

W<br />

o<strong>ch</strong>enende bei Familie Christen:<br />

Im Kinderzimmer streiten si<strong>ch</strong> die<br />

drei Mäd<strong>ch</strong>en im Alter von 9, 14 und<br />

18 Jahren. Mutter Yvonne räumt in der<br />

Zwis<strong>ch</strong>enzeit Kleider weg, die die Kinder<br />

in der Wohnung haben liegen lassen. Sie<br />

geht beim Aufräumen an einem Bild vorbei,<br />

dass jedem Besu<strong>ch</strong>er sofort auffällt:<br />

Im Glasrahmen eingefasst ist ein Seidentu<strong>ch</strong>.<br />

Darauf sind vers<strong>ch</strong>iedene Zei<strong>ch</strong>entrickfiguren<br />

abgebildet. Helle Farben wie<br />

Gelb, Rosa und Blau überwiegen. Das Bild<br />

spiegelt pure Lebensfreude wider. Bevor<br />

das Abendessen geko<strong>ch</strong>t wird, stellt si<strong>ch</strong><br />

Vater Erwin no<strong>ch</strong> kurz unter die Dus<strong>ch</strong>e.<br />

Bei Christens herrs<strong>ch</strong>en Alltag und Normalität.<br />

Das war ni<strong>ch</strong>t immer so. Denn Yvonne<br />

Christen ist depressiv – und das s<strong>ch</strong>on seit<br />

Jahrzehnten. Tägli<strong>ch</strong> nimmt sie ein<br />

Antidepressivum ein, das die Stimmung<br />

stabilisiert. Einmal pro Monat geht sie zur<br />

Gesprä<strong>ch</strong>stherapie. Derzeit geht es ihr gut.<br />

«Aber ein neues Tief kann jederzeit kom-<br />

men», sagt sie. No<strong>ch</strong> vor wenigen Monaten<br />

wusste sie an man<strong>ch</strong>en Tagen ni<strong>ch</strong>t,<br />

ob sie die Anforderungen als Mutter, Hausund<br />

Ehefrau würde erfüllen können.<br />

Obwohl Yvonne Christen seit ihrer Kindheit<br />

an <strong>Depression</strong>en leidet, wurde die<br />

Krankheit erst mit der Geburt der ersten<br />

To<strong>ch</strong>ter offensi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>. «Statt Freude zu<br />

empfinden, hätte i<strong>ch</strong> meine To<strong>ch</strong>ter am<br />

liebsten aus dem Fenster geworfen», gibt<br />

die heute 50-Jährige ihr damaliges Gefühl<br />

unumwunden zu. Stundenlang heulte sie<br />

si<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> der Geburt die Augen aus. «Die<br />

Gefühle kippten, als wäre ein S<strong>ch</strong>alter<br />

umgelegt worden», erinnert sie si<strong>ch</strong>.<br />

Hatte sie während der S<strong>ch</strong>wangers<strong>ch</strong>aft<br />

no<strong>ch</strong> Freude empfunden, fühlte sie si<strong>ch</strong><br />

plötzli<strong>ch</strong> unfrei und angebunden. Zu allem<br />

Unglück entwickelte si<strong>ch</strong> die To<strong>ch</strong>ter zum<br />

S<strong>ch</strong>reikind. Na<strong>ch</strong>ts lag sie stundenlang<br />

wa<strong>ch</strong>, weil sie das Kind beruhigen musste.<br />

Dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>lafen konnte sie während se<strong>ch</strong>s<br />

Monaten ni<strong>ch</strong>t. Sie fühlte si<strong>ch</strong> ausgezehrt<br />

und ers<strong>ch</strong>öpft. Ein Arzt vers<strong>ch</strong>rieb ihr ein<br />

Antidepressivum, und langsam besserte<br />

si<strong>ch</strong> die Situation.<br />

Ihr Mann Erwin (50) konnte die familiäre<br />

Situation anfangs nur s<strong>ch</strong>wer eins<strong>ch</strong>ätzen.<br />

«Tagsüber ging i<strong>ch</strong> arbeiten und war<br />

weg», sagt er. Aber na<strong>ch</strong> der Arbeit half er<br />

so viel wie mögli<strong>ch</strong> und stand seiner Frau<br />

bei. Denn er glaubte ihr, dass sie depressiv<br />

«Einneues Tief<br />

kannjederzeit<br />

kommen»<br />

ist und Unterstützung brau<strong>ch</strong>t. Ganz im<br />

Gegensatz zu Yvonnes Verwandten: «Mein<br />

Vater gab mir zu verstehen, dass i<strong>ch</strong><br />

ni<strong>ch</strong>ts bin, ni<strong>ch</strong>ts kann und vor allem<br />

au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t krank bin, sondern mi<strong>ch</strong> nur<br />

‘anstelle’», sagt sie. Die junge Mutter fühlte<br />

si<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> diese Äusserungen s<strong>ch</strong>uldig<br />

3


DEPRESSION<br />

und sehr verletzt. Denn statt Hilfe gab es<br />

leider nur verbale S<strong>ch</strong>läge.<br />

Drei Jahre dauerte es, bis si<strong>ch</strong> das Paar<br />

von der Krise erholt hatte und si<strong>ch</strong> zu<br />

einem zweiten Kind ents<strong>ch</strong>loss. Dieses<br />

Mal sollte ni<strong>ch</strong>ts s<strong>ch</strong>iefgehen, gemeinsam<br />

bereiteten sie si<strong>ch</strong> auf die Geburt vor.<br />

Stress und Druck wollten beide vermeiden.<br />

Die Geburtsanzeige vers<strong>ch</strong>ickten sie<br />

deshalb beispielsweise erst eine Wo<strong>ch</strong>e<br />

na<strong>ch</strong> der Geburt. Und sie hatten Glück:<br />

Die zweite To<strong>ch</strong>ter entpuppte si<strong>ch</strong> als<br />

Sonnens<strong>ch</strong>ein und s<strong>ch</strong>lief na<strong>ch</strong>ts dur<strong>ch</strong>.<br />

Während der S<strong>ch</strong>wangers<strong>ch</strong>aft trat<br />

Yvonne Christen einer Selbsthilfegruppe<br />

für Frauen mit postnataler <strong>Depression</strong> bei.<br />

Das Leid mit anderen zu teilen, tat ihr<br />

gut. Eine für sie s<strong>ch</strong>öne Zeit begann. Ihr<br />

Mann hingegen fühlte si<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> immer<br />

wie auf Nadeln: «Kam i<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> Hause,<br />

wusste i<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t, was mi<strong>ch</strong> erwartete»,<br />

erklärt er den Grund. Do<strong>ch</strong> alles ging gut.<br />

Und die Zeit heilt bekanntli<strong>ch</strong> alle<br />

Wunden.<br />

IHRE MEINUNG IST UNS<br />

WICHTIG<br />

Sie lesen die zehnte Ausgabe des<br />

Magazins «<strong>Wendepunkt</strong>». Ihre<br />

Meinung interessiert uns: Wie gefällt<br />

Ihnen das Magazin, das Informationen<br />

rund um die Krankheitsbilder<br />

der <strong>Depression</strong> und der Angststörungen<br />

vermittelt? Senden Sie uns<br />

Ihre Anregungen, allfällige Kritik und<br />

Angaben (Name, Vorname, Adresse)<br />

per E-Mail an wendepunkt@lundbeck.<strong>ch</strong><br />

mit dem<br />

Vermerk «<strong>Wendepunkt</strong>». Sie nehmen<br />

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Bü<strong>ch</strong>erguts<strong>ch</strong>ein im Wert von <strong>10</strong>0<br />

Franken gewinnen.<br />

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ers<strong>ch</strong>einende Magazin kostenlos<br />

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Sie si<strong>ch</strong> jetzt auf<br />

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«Kam i<strong>ch</strong><br />

na<strong>ch</strong> Hause<br />

wusste i<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t,<br />

was mi<strong>ch</strong><br />

erwartete»<br />

Erwin Christen bekam Sehnsu<strong>ch</strong>t na<strong>ch</strong><br />

einem dritten Kind. «I<strong>ch</strong> hingegen hatte<br />

aufgrund meines Alters von 41 Jahren<br />

grosse Zweifel», sagt Yvonne Christen.<br />

Do<strong>ch</strong> sie liess si<strong>ch</strong> überzeugen. Die dritte<br />

S<strong>ch</strong>wangers<strong>ch</strong>aft verlief komplikationslos.<br />

Im Mai 2002 kam die dritte To<strong>ch</strong>ter auf<br />

die Welt. Die Probleme s<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en si<strong>ch</strong> erst<br />

na<strong>ch</strong> der Geburt auf leisen Sohlen heran.<br />

Im Wo<strong>ch</strong>enbett entwickelte Yvonne<br />

Christen einen lei<strong>ch</strong>ten Baby-Blues. Und<br />

dann fing das Neugeborene an, na<strong>ch</strong>ts<br />

aufzuwa<strong>ch</strong>en. Das Desaster wiederholte<br />

si<strong>ch</strong>: Yvonne Christen konnte kaum eine<br />

Na<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>lafen. Sie s<strong>ch</strong>leppt si<strong>ch</strong><br />

dur<strong>ch</strong> den Tag. Ihrem Mann fiel auf, dass<br />

seine Frau zwar ko<strong>ch</strong>te, aber selber ni<strong>ch</strong>ts<br />

mehr ass. Yvonne Christen magerte ab,<br />

wurde immer kraftloser. Au<strong>ch</strong> eine Haushaltshilfe<br />

der Spitex bra<strong>ch</strong>te ni<strong>ch</strong>t die<br />

ersehnte Entlastung. Im Februar 2003<br />

bri<strong>ch</strong>t sie vor der Spülmas<strong>ch</strong>ine zusammen.<br />

Sie liegt am Boden, kann si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t<br />

mehr bewegen, ist völlig blockiert.<br />

Ihr Mann ruft den Notarzt. Wieder muss<br />

Yvonne Christen Medikamente einnehmen.<br />

Den Alltag meistert sie trotzdem nur<br />

knapp. Dann, im Juni 2003, ents<strong>ch</strong>liesst<br />

sie si<strong>ch</strong> zu einem Klinikaufenthalt in einer<br />

Psy<strong>ch</strong>iatrie. Sie nimmt das 13 Monate<br />

alte Kleinkind mit, kann na<strong>ch</strong>ts allerdings<br />

dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>lafen, weil es einen Kinderhort<br />

gibt. Endli<strong>ch</strong> kann sie wieder essen, wird<br />

kräftiger und beginnt eine Gesprä<strong>ch</strong>stherapie.<br />

Das Leben wird langsam bunter und<br />

fröhli<strong>ch</strong>er. Sie entwirft ein Seidentu<strong>ch</strong>:<br />

Zei<strong>ch</strong>entrickfiguren bewegen si<strong>ch</strong> im<br />

Kreis. Rosa, Gelb und Blau sind die überwiegenden<br />

Farben. Das Bild ist Sinnbild<br />

der damaligen Gefühle: Yvonne Christen<br />

ist wieder voller Lebenslust und fröhli<strong>ch</strong>.<br />

Das Bild hängt heute in ihrer Wohnung –<br />

ges<strong>ch</strong>ützt hinter einem Glasrahmen.<br />

Ihren Mann und die beiden anderen Tö<strong>ch</strong>ter<br />

sieht sie in den drei Monaten selten.<br />

Aber Yvonne Christen weiss, dass ihr Mann<br />

zu ihr steht. Na<strong>ch</strong>dem sie die Klinik verlassen<br />

hat, s<strong>ch</strong>alten sie einen Beistand ein.<br />

Dieser begleitet das Ehepaar im Alltag und<br />

rät dazu, eine neue Wohnung weit weg<br />

vom Vater zu su<strong>ch</strong>en. Ihre Freunde und die<br />

engsten Familienangehörigen können mit<br />

der Situation ni<strong>ch</strong>t so gut umgehen. Die<br />

Paten der Tö<strong>ch</strong>ter melden si<strong>ch</strong> immer seltener,<br />

dann bri<strong>ch</strong>t der Kontakt ganz ab. «Ist<br />

jemand depressiv, ma<strong>ch</strong>t das Angst», sagt<br />

Yvonne Christen, «die Erkrankung <strong>Depression</strong><br />

ist eben no<strong>ch</strong> immer wie ein Stigma.»<br />

Erwin Christen hingegen hat am Arbeitsplatz<br />

zu kämpfen. «I<strong>ch</strong> konnte mir ni<strong>ch</strong>t<br />

einfa<strong>ch</strong> frei nehmen, um näher bei Yvonne<br />

zu sein», sagt er. Dass es seiner Frau so<br />

s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t geht, bedrückt den sensiblen<br />

Mann stark.<br />

Um die Probleme zu verarbeiten, setzt si<strong>ch</strong><br />

Erwin Christen an den Computer. Na<strong>ch</strong>ts<br />

s<strong>ch</strong>reibt er si<strong>ch</strong> die Probleme von der<br />

Seele. Setzt si<strong>ch</strong> innerli<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> einmal mit<br />

dem S<strong>ch</strong>wiegervater auseinander, mit der<br />

<strong>Depression</strong> und der eigenen Situation.<br />

Anfang 2005 zieht die Familie na<strong>ch</strong> Baar.<br />

Der Einzug ins neue Heim ist wie ein Neuanfang.<br />

Das Ehepaar bri<strong>ch</strong>t den Kontakt<br />

zum drangsalierenden Vater ab. Dur<strong>ch</strong> die<br />

räumli<strong>ch</strong>e Distanz erholen si<strong>ch</strong> beide<br />

«Uns war es<br />

wi<strong>ch</strong>tig,<br />

ehrli<strong>ch</strong> zu<br />

beginnen<br />

und andere zu<br />

informieren»<br />

und kommen zur Ruhe. Bewusst klären sie<br />

neue Bekannte über die <strong>Depression</strong> von<br />

Yvonne Christen auf. «Uns war es wi<strong>ch</strong>tig,<br />

ehrli<strong>ch</strong> zu beginnen und andere zu informieren»,<br />

sagen beide. Sie tritt einer Gruppe<br />

von allgemeinen <strong>Depression</strong>en Betroffener<br />

bei, na<strong>ch</strong>dem si<strong>ch</strong> die erste Selbsthilfegruppe<br />

aufgelöst hat. Ihr fällt auf, dass<br />

4


DEPRESSION<br />

viele in der Selbsthilfegruppe ein Haustier<br />

besitzen. So, wie die Christens au<strong>ch</strong>. Ni<strong>ch</strong>t<br />

lange muss sie na<strong>ch</strong> einer Erklärung<br />

su<strong>ch</strong>en. «Ein Tier ist eben immer da», gibt<br />

sie den Grund an, «ausserdem tun die<br />

Körperwärme und das Strei<strong>ch</strong>eln des Tierfells<br />

der Seele gut.»<br />

Vor wenigen Monaten ist ihr Vater gestorben.<br />

Yvonne Christen fühlt Trauer, ist aber<br />

innerli<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> wie befreit – wie die Zei<strong>ch</strong>entrickfiguren<br />

auf dem Seidentu<strong>ch</strong>.<br />

Na<strong>ch</strong>dem jahrelang der Kontakt zur leibli<strong>ch</strong>en<br />

Mutter aufgrund der s<strong>ch</strong>wierigen<br />

Beziehung zum Vater am seidenen Faden<br />

gehangen hat, besu<strong>ch</strong>t sie diese jetzt<br />

regelmässig im Pflegeheim. Sie geniesst<br />

die Gesprä<strong>ch</strong>e und den Austaus<strong>ch</strong> mit<br />

ihrer Mutter. Holt na<strong>ch</strong>, was sie in den<br />

letzten Jahren mit ihr verpasst hat. Au<strong>ch</strong><br />

ihre Tö<strong>ch</strong>ter sind inzwis<strong>ch</strong>en älter und<br />

selbstständiger. Sie wissen, dass sie ihre<br />

Mutter in depressiven Phasen s<strong>ch</strong>onen<br />

müssen. Die älteste To<strong>ch</strong>ter s<strong>ch</strong>aut ohne<br />

Murren na<strong>ch</strong> der jüngsten. Das Familienleben<br />

hat si<strong>ch</strong> eingespielt. Und Erwin und<br />

Yvonne Christen haben wieder mehr Zeit<br />

füreinander und geniessen die neue<br />

Situation: «Wir waren kürzli<strong>ch</strong> zum ersten<br />

Mal in unserer Beziehung gemeinsam im<br />

Wellness-Wo<strong>ch</strong>enende», sagt Erwin<br />

Christen stolz. Und seine Frau ergänzt:<br />

«Abends gehen wir neuerdings au<strong>ch</strong> mal<br />

auswärts essen.» Ohne Kinder hätten sie<br />

die s<strong>ch</strong>weren Zeiten viellei<strong>ch</strong>t ni<strong>ch</strong>t als<br />

Paar überstanden. «Kinder sind wie eine<br />

Stütze», gibt Erwin Christen ehrli<strong>ch</strong> zu.<br />

Aber sie haben es ges<strong>ch</strong>afft.<br />

Mit 50 Jahren beginnt für beide ein neuer<br />

Lebensabs<strong>ch</strong>nitt. Den wollen sie gemeinsam<br />

gehen. Die Krise hat sie zusammenges<strong>ch</strong>weisst.<br />

Yvonne Christen weiss,<br />

dass sie si<strong>ch</strong> anlehnen darf und kann.<br />

Erwin Christen weiss, dass man aus jeder<br />

Krise das Beste ma<strong>ch</strong>en muss und nur an<br />

Stärke gewinnen kann.<br />

BUCHTIPP!<br />

«So nah und do<strong>ch</strong> so fern –<br />

Mit depressiv erkrankten Mens<strong>ch</strong>en leben»<br />

Will er ni<strong>ch</strong>t oder kann er ni<strong>ch</strong>t? Bin i<strong>ch</strong> viellei<strong>ch</strong>t s<strong>ch</strong>uld an der <strong>Depression</strong> meines<br />

Partners? Muss i<strong>ch</strong> mir deshalb vieles gefallen lassen? Wie kann i<strong>ch</strong> wirkli<strong>ch</strong><br />

helfen? Diese Frage stellen si<strong>ch</strong> oft Angehörige depressiv erkrankter Mens<strong>ch</strong>en.<br />

Es ist ni<strong>ch</strong>t einfa<strong>ch</strong>, eine <strong>Depression</strong> zu verstehen und die eigene Rolle und<br />

Verantwortung als Partner, Kind oder Freund zu klären. Angehörige depressiver<br />

Patienten fühlen si<strong>ch</strong> häufig s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t informiert und wenig einbezogen in die<br />

Behandlung. Sie beklagen die abstrakte, für Laien s<strong>ch</strong>wer zugängli<strong>ch</strong>e Fa<strong>ch</strong>spra<strong>ch</strong>e<br />

und finden wenig Informationen über Fragen, die si<strong>ch</strong> Angehörige in dieser<br />

Situation stellen. Der fa<strong>ch</strong>kundige und verständli<strong>ch</strong> ges<strong>ch</strong>riebene Ratgeber<br />

nimmt konsequent die Angehörigenperspektive ein. Die zentralen Themen: die<br />

Krankheit akzeptieren und denno<strong>ch</strong> Trauer zulassen, der zunehmenden Einsamkeit<br />

entgegenwirken, Unterstützung su<strong>ch</strong>en. Denn nur wer für si<strong>ch</strong> selbst gut<br />

sorgt, kann dem erkrankten Mens<strong>ch</strong>en eine Hilfe sein.<br />

«So nah und do<strong>ch</strong> so fern – Mit depressiv erkrankten Mens<strong>ch</strong>en leben», von<br />

Jeannette Bis<strong>ch</strong>kopf, Verlag Balance Bu<strong>ch</strong> + Medien, bros<strong>ch</strong>iert, 160 Seiten,<br />

ISBN-<strong>10</strong>: 3-8673-9039-8, ISBN-13: 978-3867390392<br />

5


«lean on me»:<br />

I<strong>ch</strong> bin dein Freund,<br />

au<strong>ch</strong> wenn es dir s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t<br />

DEPRESSIVE FORDERN SELTEN HILFE AN. VIELE SCHÄMEN SICH IHRER ERKRANKUNG UND ZIEHEN SICH ZURÜCK. DABEI<br />

IST DIE UNTERSTÜTZUNG DURCH DIE FAMILIE ODER FREUNDE ENORM WICHTIG, DAMIT SICH DIE BETROFFENEN WENI-<br />

GER ISOLIERT FÜHLEN UND MOTIVIERT WERDEN, AKTIV AN DER BEWÄLTIGUNG IHRER DEPRESSION ZU ARBEITEN. DIE<br />

KAMPAGNE «LEAN ON ME» MÖCHTE WEGE AUFZEIGEN, WIE JEDER EIN FREUND SEIN KANN, DER BETROFFENEN ZUR<br />

SEITE STEHT: ZUM BEISPIEL MIT EINEM FRIEND-CLIP-VIDEO UNTER WWW.LEANONME.CH, PER TWITTER ODER<br />

FACEBOOK.<br />

H<br />

äufig ziehen si<strong>ch</strong> Depressive von<br />

ihren sozialen Kontakten zurück. Sie<br />

vermeiden es, die Probleme mit Freunden<br />

und der Familie zu bespre<strong>ch</strong>en und na<strong>ch</strong><br />

Lösungen zu su<strong>ch</strong>en. Hinzu kommt, dass<br />

psy<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>e Erkrankungen, zu denen au<strong>ch</strong><br />

die <strong>Depression</strong> zählt, no<strong>ch</strong> immer mit<br />

einem Stigma behaftet sind. Dann fühlen<br />

si<strong>ch</strong> beide Seiten unwohl, das Problem<br />

offen anzuspre<strong>ch</strong>en. Die psy<strong>ch</strong>ologis<strong>ch</strong>e<br />

Unterstützung dur<strong>ch</strong> die Familie, Freunde<br />

oder Fa<strong>ch</strong>kräfte des Gesundheitswesens<br />

kann einem Betroffenen jedo<strong>ch</strong> bei der<br />

Genesung enorm helfen. Die Kampagne<br />

«lean on me» hat si<strong>ch</strong> zum Ziel gesetzt,<br />

Wege aufzuzeigen, wie jeder ein Freund<br />

sein kann, der Betroffenen zur Seite steht.<br />

«lean on me» wurde auf Initiative von<br />

Lundbeck ins Leben gerufen und wird<br />

unterstützt dur<strong>ch</strong> die European <strong>Depression</strong><br />

Association (EDA) – eine unabhängige<br />

Organisation mit dem Ziel, das<br />

Bewusstsein für das Thema <strong>Depression</strong> in<br />

jedem europäis<strong>ch</strong>en Land zu stärken,<br />

Equilibrium, dem Verein zur Bewältigung<br />

von <strong>Depression</strong>en, die S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>e<br />

Gesells<strong>ch</strong>aft für Psy<strong>ch</strong>iatrie und Psy<strong>ch</strong>otherapie<br />

SGPP sowie die Werner Alfred<br />

Selo Stiftung (WASS).<br />

Werden au<strong>ch</strong> Sie ein Freund<br />

zum Anlehnen<br />

Was kann jeder tun, um zu helfen? Vor<br />

allem ni<strong>ch</strong>t wegs<strong>ch</strong>auen! Man<strong>ch</strong>e Mens<strong>ch</strong>en<br />

sehen eine <strong>Depression</strong> als ein<br />

Zei<strong>ch</strong>en von S<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>e und etwas, was<br />

man mit «Willenskraft» überwinden<br />

kann. Eine <strong>Depression</strong> ist aber eine ernsthafte<br />

Erkrankung, wie eine Herzkreislaufoder<br />

Krebserkrankung, die behandelt werden<br />

sollte. Leider führen die fals<strong>ch</strong>en<br />

Meinungen und Ansi<strong>ch</strong>ten häufig dazu,<br />

dass si<strong>ch</strong> Mens<strong>ch</strong>en mit <strong>Depression</strong> ihre<br />

Probleme ni<strong>ch</strong>t eingestehen. Sie haben<br />

Angst vor dem, was andere über sie denken.<br />

Sie haben Angst, dass die Diagnose<br />

mögli<strong>ch</strong>erweise Auswirkungen auf den<br />

Arbeitsplatz oder die Versi<strong>ch</strong>erung haben<br />

könnte. Dabei fühlen sie si<strong>ch</strong> allein und<br />

isoliert und zögern, si<strong>ch</strong> an einen Arzt zu<br />

wenden. Freunds<strong>ch</strong>aften unterstützen<br />

den Kranken. Werden au<strong>ch</strong> Sie ein Freund<br />

zum Anlehnen. Hilfrei<strong>ch</strong>e Informationen<br />

über das Thema <strong>Depression</strong>, über die<br />

Kampagne und Tipps, wie Sie auf Betroffene<br />

zugehen können, finden Sie auf der<br />

Website www.leanonme.<strong>ch</strong>.<br />

Jeder ist ein Star – versenden<br />

Sie einen Friend-Clip-Video<br />

«Lean on me when you’re not strong.<br />

And I’ll be your friend, I’ll help you carry<br />

on…» (Lehn di<strong>ch</strong> bei mir an, wenn du<br />

Kraft brau<strong>ch</strong>st, und i<strong>ch</strong> werde dein<br />

Freund sein und dir weiterhelfen…), so<br />

heisst es im Kampagnensong. Zeigen<br />

au<strong>ch</strong> Sie Ihren Freunden, dass Sie für sie<br />

da sein mö<strong>ch</strong>ten und ma<strong>ch</strong>en Sie si<strong>ch</strong> zu<br />

einem Rockstar, einer Operndiva oder<br />

einem R&B-Tänzer im Friend-Clip-Video.<br />

Zeigen Sie Ihre Unterstützung, indem Sie<br />

6


Equilibrium –<br />

jedeHilfe ist<br />

wertvoll<br />

DIE «LEAN ON ME»-UMFRAGE ZEIGT, DASS ANGEHÖRIGE VON DEPRESSIVEN HELFEN MÖCHTEN, ABER NICHT WISSEN<br />

WIE SIE DIES TUN KÖNNEN. DEPRESSIVE HINGEGEN SIND VERUNSICHERT UND REDEN GAR NICHT ERST ÜBER IHRE<br />

KRANKHEIT. EQUILIBRIUM, DER VEREIN ZUR BEWÄLTIGUNG VON DEPRESSIONEN, UNTERSTÜTZT ANGEHÖRIGE UND<br />

BETROFFENE. «DIE UMFASSENDE BERATUNG VERBESSERT DAS KRANKHEITSVERSTÄNDNIS», BETONT CHRISTINE HEIM,<br />

PRÄSIDENTIN VON EQUILIBRIUM.<br />

Laut einer Umfrage hat über ein Drittel<br />

(37%) derjenigen, die bereits an einer<br />

<strong>Depression</strong> gelitten hatten, ihrer Familie<br />

und ihren Freunden ni<strong>ch</strong>ts davon gesagt.<br />

Warum, denken Sie, ist das so?<br />

Viele Betroffene s<strong>ch</strong>ämen si<strong>ch</strong> ihrer<br />

<strong>Depression</strong>. Sie müssen lernen, mit der<br />

Erkrankung umzugehen. Erst wenn sie die<br />

<strong>Depression</strong> akzeptiert haben, ist es ihnen<br />

mögli<strong>ch</strong>, damit na<strong>ch</strong> aussen zu treten. Aber<br />

au<strong>ch</strong> das brau<strong>ch</strong>t wiederum Kraft, die viele<br />

Depressive ni<strong>ch</strong>t haben. Denn si<strong>ch</strong> immer<br />

wieder erklären zu müssen, ist enorm<br />

anstrengend, ja demütigend. Zudem können<br />

selbst vertraute Mens<strong>ch</strong>en Symptome<br />

wie Lustlosigkeit oder Antriebslosigkeit<br />

meist ni<strong>ch</strong>t mit einer <strong>Depression</strong> in Verbindung<br />

bringen. Oftmals heisst es dann, dass<br />

si<strong>ch</strong> der Kranke do<strong>ch</strong> bitte zusammenreissen<br />

soll. Damit ist jedes weitere Gesprä<strong>ch</strong><br />

unmögli<strong>ch</strong>, weil der Depressive nun weiss,<br />

dass sein Gegenüber wenig Verständnis<br />

hat. Das S<strong>ch</strong>weigen besteht aber sogar<br />

gegenüber Angehörigen der Gesundheitsberufe.<br />

Nur ein A<strong>ch</strong>tel würde si<strong>ch</strong> im<br />

Gesprä<strong>ch</strong> öffnen! Für mi<strong>ch</strong> ist das Ergebnis<br />

ebenfalls überras<strong>ch</strong>end. Allerdings zeigt es,<br />

dass si<strong>ch</strong> das Stigma dur<strong>ch</strong> alle Berei<strong>ch</strong>e<br />

zieht – au<strong>ch</strong> da, wo wir vermeintli<strong>ch</strong> denken,<br />

dass die Personen aufgeklärt sind. Aber<br />

selbst in Gesundheitsberufen Tätige s<strong>ch</strong>einen<br />

wenig Erfahrung im Umgang mit<br />

Depressiven zu haben, sonst würden sie<br />

gezielter na<strong>ch</strong>fragen.<br />

Was lässt si<strong>ch</strong> dagegen tun?<br />

I<strong>ch</strong> denke, es brau<strong>ch</strong>t mehr Wissen und eine<br />

bessere Aufklärung, ni<strong>ch</strong>t nur für Angehörige,<br />

sondern au<strong>ch</strong> für im Gesundheitswesen<br />

Arbeitende. Die <strong>Depression</strong> ist eine Hirnstoffwe<strong>ch</strong>selkrankheit.<br />

Wüssten mehr Mens<strong>ch</strong>en,<br />

dass Botenstoffe im Gehirn für<br />

Antrieb oder Lust verantwortli<strong>ch</strong> sind, wäre<br />

mehr Verständnis da. Wir reden viel über<br />

<strong>Depression</strong>en, aber nur die wenigsten wissen,<br />

was tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> im Gehirn passiert.<br />

Wie könnten si<strong>ch</strong> Angehörige gegenüber<br />

dem Betroffenen verhalten und diesen<br />

unterstützen?<br />

Man darf die Erkrankung und das Verhalten<br />

des Depressiven ni<strong>ch</strong>t persönli<strong>ch</strong> nehmen.<br />

Wi<strong>ch</strong>tig ist ein liebevoller Umgang mit<br />

dem Kranken, au<strong>ch</strong> wenn es fur<strong>ch</strong>tbar<br />

mühsam ist. Sätze wie: «I<strong>ch</strong> verstehe di<strong>ch</strong>»,<br />

tun dem Kranken einfa<strong>ch</strong> gut. Hilfrei<strong>ch</strong><br />

sind au<strong>ch</strong> liebevolle Anleitungen. Beim<br />

gemeinsamen Ko<strong>ch</strong>en könnte man beispielsweise<br />

sagen: «Wärme do<strong>ch</strong> bitte<br />

s<strong>ch</strong>on die Spaghettisauce auf.» Das sind<br />

gezielte Aufforderungen, die die Orientierung<br />

im Alltag erlei<strong>ch</strong>tern. Brau<strong>ch</strong>t ein<br />

depressiver Familienvater viel Ruhe, aber<br />

der Sohn will unbedingt Musik hören,<br />

könnte man si<strong>ch</strong> so einigen, dass dieser<br />

Musik über Kopfhörer hört. Depressive sollten<br />

si<strong>ch</strong> bewegen. Damit der Aufwand<br />

ni<strong>ch</strong>t zu gross wird, könnten si<strong>ch</strong> die<br />

Familienangehörigen mit dem Spaziergang<br />

abwe<strong>ch</strong>seln.<br />

Und wie können Angehörige Kraft<br />

tanken?<br />

Dur<strong>ch</strong> Unterstützung über Selbsthilfegruppen<br />

(SHG). Leider s<strong>ch</strong>liessen si<strong>ch</strong><br />

8


Angehörige nur selten zu einer SHG<br />

zusammen, oder sie trennen si<strong>ch</strong> sehr<br />

s<strong>ch</strong>nell wieder von der Gruppe, wenn es<br />

dem Angehörigen besser geht. Zudem sollten<br />

Psy<strong>ch</strong>iater im besten Fall die ganze<br />

Familie in die Therapie einbinden. Dann<br />

sind alle über die Krankheit informiert und<br />

können den Weg gemeinsam gehen.<br />

Viele Betroffene haben Angst, dass si<strong>ch</strong><br />

nahestehende Mens<strong>ch</strong>en von ihnen<br />

abwenden. Was ist Ihre Erfahrung?<br />

Leider passiert das tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> sehr häufig.<br />

Viele wissen ni<strong>ch</strong>t, wie sie si<strong>ch</strong> verhalten<br />

sollen oder wie sie über die <strong>Depression</strong><br />

reden können. Allerdings kann die Trennung<br />

au<strong>ch</strong> vom Betroffenen ausgehen,<br />

wenn ihm die Beziehung zu anstrengend<br />

wird.<br />

Fast jeder Zweite denkt, dass die <strong>Depression</strong><br />

wieder vorübergeht. Unters<strong>ch</strong>ätzen<br />

sie das Ausmass der Krankheit?<br />

Es ist wi<strong>ch</strong>tig, zwis<strong>ch</strong>en einer lei<strong>ch</strong>ten,<br />

mittels<strong>ch</strong>weren oder s<strong>ch</strong>weren <strong>Depression</strong><br />

zu unters<strong>ch</strong>eiden. Wer eine s<strong>ch</strong>were<br />

<strong>Depression</strong> hat, weiss, dass er es ni<strong>ch</strong>t<br />

alleine s<strong>ch</strong>afft. Die s<strong>ch</strong>were <strong>Depression</strong> ist<br />

ein stark beeinträ<strong>ch</strong>tigendes Krankheitsbild.<br />

Gedanken an einen Suizid sind permanent<br />

vorhanden. Anders sieht es bei der<br />

lei<strong>ch</strong>ten <strong>Depression</strong> oder dem Burnout<br />

aus. Viele denken, dass dieser S<strong>ch</strong>ub vorübergehen<br />

werde und nehmen ihn ni<strong>ch</strong>t<br />

ernst. Denn man vermag ja no<strong>ch</strong> einiges<br />

zu leisten, wenn au<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>ter. Um ni<strong>ch</strong>t<br />

in eine s<strong>ch</strong>were <strong>Depression</strong> abzuruts<strong>ch</strong>en,<br />

bedarf es aber eines Ausglei<strong>ch</strong>s in der<br />

Freizeit. Dazu kann Sport gehören oder<br />

Körpertherapien wie Yoga oder Meditation.<br />

Mehr als jeder Zweite würde einen<br />

nahestehenden Mens<strong>ch</strong>en unterstützen.<br />

Das ist do<strong>ch</strong> eine riesige Ressource!<br />

Helfen mö<strong>ch</strong>te wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong> jeder<br />

Mens<strong>ch</strong> gerne. Aber der erste S<strong>ch</strong>ritt muss<br />

vom Depressiven ausgehen. Und ob das<br />

geht, hängt wiederum vom S<strong>ch</strong>weregrad<br />

der <strong>Depression</strong> ab und davon, wel<strong>ch</strong>es<br />

Verhältnis man zueinander hat. I<strong>ch</strong> wüns<strong>ch</strong>e<br />

mir, dass Equilibrium so bekannt wird<br />

wie die Caritas. Bei dieser weiss man, dass<br />

man Hilfe erhält. So sollte es au<strong>ch</strong> bei uns<br />

sein: Equilibrium als Synonym für Hilfe bei<br />

<strong>Depression</strong>en.<br />

«lean on me»: die Ergebnisse der Umfrage<br />

Im Juli, August und Dezember 20<strong>10</strong> wurde eine europäis<strong>ch</strong>e Umfrage unter dem<br />

Titel «lean on me» dur<strong>ch</strong>geführt. Die Befragung erfolgte online in Belgien,<br />

Frankrei<strong>ch</strong>, Deuts<strong>ch</strong>land, Irland, Italien, Spanien und in der S<strong>ch</strong>weiz. 8127 Mens<strong>ch</strong>en<br />

nahmen teil, davon <strong>10</strong>05 in der S<strong>ch</strong>weiz. Erfasst wurde die Meinung einer allgemeinen<br />

Bevölkerung im Alter von 16 bis 64 Jahren zum Thema <strong>Depression</strong>. Bei den<br />

Fragen ging es um unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e Themenberei<strong>ch</strong>e wie Kenntnisse über die<br />

Krankheit <strong>Depression</strong>, Wahrnehmung und Stigma von <strong>Depression</strong> oder soziale<br />

Unterstützung für Betroffene.<br />

S<strong>ch</strong>weizer Ergebnisse der Umfrage<br />

Von den <strong>10</strong>05 Befragten in der S<strong>ch</strong>weiz gaben mehr als ein Drittel (36%) an, dass sie<br />

an einer <strong>Depression</strong> gelitten hatten.<br />

Mehr als jeder Siebte (17%) war bereits einmal von einem Mediziner mit einer<br />

klinis<strong>ch</strong> relevanten <strong>Depression</strong> diagnostiziert worden.<br />

Und fast vier Fünftel der Befragten (78%) kannte einen Mens<strong>ch</strong>en, der an<br />

<strong>Depression</strong> leidet.<br />

Wahrnehmung und Stigma<br />

Jeder Zehnte (<strong>10</strong>%) gab in der Online-Umfrage an, dass es ihm unangenehm<br />

wäre, mit einem betroffenen Freund oder Familienmitglied über <strong>Depression</strong> zu<br />

spre<strong>ch</strong>en.<br />

Über ein Drittel (37%) derjenigen, die bereits an einer <strong>Depression</strong> gelitten haben,<br />

erzählten weder ihrer Familie no<strong>ch</strong> ihren Freunden davon.<br />

Fast drei Viertel (74%) der Betroffenen gaben an, dass sie si<strong>ch</strong> sogar von ihren<br />

Freunden und ihrer Familie zurückgezogen hätten. Die Gründe: Angst und S<strong>ch</strong>am<br />

(27%), Angst vor dem Unverständnis ihnen nahestehender Personen (18%), sie<br />

wollten andere ni<strong>ch</strong>t mit ihren Problemen belasten (59%), sie wussten ni<strong>ch</strong>t, wie<br />

sie es ihnen sagen sollten (25%), und sie da<strong>ch</strong>ten, die depressive Phase würde wieder<br />

vorbeigehen (46%).<br />

Unterstützung<br />

Drei von vier Befragten (75%), die an einer <strong>Depression</strong> gelitten haben, glauben,<br />

dass es Depressiven s<strong>ch</strong>wer fällt, enge Beziehungen aufre<strong>ch</strong>tzuerhalten.<br />

Rund ein Drittel (32%) aller Personen, die einmal eine <strong>Depression</strong> hatten, sagte,<br />

dass Freunde oder Familie ni<strong>ch</strong>t gewusst hätten, wie sie reagieren sollten, als sie<br />

von der <strong>Depression</strong> erfuhren.<br />

Kenntnisse<br />

Mehr als se<strong>ch</strong>zig Prozent (62%) der Befragten wussten, dass <strong>Depression</strong> eine behandelbare<br />

Erkrankung ist, für die wirksame Medikamente erhältli<strong>ch</strong> sind. Ein A<strong>ch</strong>tel der<br />

Befragten (13%) gab jedo<strong>ch</strong> an, dass sie si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t trauen würden, die <strong>Depression</strong><br />

mit anderen zu bespre<strong>ch</strong>en, eins<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> Personen aus Gesundheitsberufen.<br />

ZUR PERSON<br />

Christine Heim ist seit Mai 20<strong>10</strong> Präsidentin von Equilibrium. Die 48-jährige<br />

medizinis<strong>ch</strong>e Praxisassistentin und Medizinlaborantin ist aufgrund einer bipolaren<br />

Störung seit Jahren arbeitsunfähig. Als selbst gewählte Therapie malt sie und<br />

hat ein eigenes Atelier. Sie hat si<strong>ch</strong> der abstrakten Kunst zugewandt. Christine<br />

Heim lebt in Züri<strong>ch</strong>.<br />

9


THERAPIE<br />

«Angehöri<br />

einzube<br />

kann für Betroffene we<br />

WENN JEMAND AN EINER DEPRESSION LEIDET, IST ES DENANGEHÖRIGEN NICHT IMMER KLAR, DASS DAS VERHALTEN<br />

DES BETROFFENEN KRANKHEITSBEDINGT IST. DER GENFER PSYCHIATER PHILIPPE HUGUELET BITTET DIE ANGEHÖRIGEN<br />

DESHALB MANCHMAL ZU EINEM GEMEINSAMEN GESPRÄCH, UM SIE ÜBER DIE FOLGEN DER ERKRANKUNG ZU INFORMIE-<br />

REN. DIES HILFT DEM UMFELD, DEN PATIENTEN ENTSPRECHEND EINZUSCHÄTZEN UND SICH IHM GEGENÜBER RICHTIG<br />

ZU VERHALTEN.<br />

Herr Dr. Huguelet, Sie betreuen in der<br />

psy<strong>ch</strong>iatris<strong>ch</strong>en Abteilung des Spitals<br />

und in Ihrer Privatpraxis zahlrei<strong>ch</strong>e<br />

depressive Patienten. Kommt es häufig<br />

vor, dass Sie die Familie in die Behandlung<br />

einbeziehen?<br />

Der Normalfall ist es ni<strong>ch</strong>t. Solange die<br />

<strong>Depression</strong> das Berufs- oder Familienleben<br />

ni<strong>ch</strong>t beeinträ<strong>ch</strong>tigt, werden nur die Patienten<br />

behandelt. Wenn die <strong>Depression</strong> jedo<strong>ch</strong><br />

zu familiären oder anderen Problemen<br />

führt, sollte man si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> mit dem sozialen<br />

Umfeld bes<strong>ch</strong>äftigen. Häufig wenden<br />

si<strong>ch</strong> die Angehörigen au<strong>ch</strong> von si<strong>ch</strong> aus an<br />

mi<strong>ch</strong>: Sie mö<strong>ch</strong>ten wissen, was los ist. Es<br />

handelt si<strong>ch</strong> dabei meistens um die Eheoder<br />

Lebenspartner der Patienten oder um<br />

die Eltern. I<strong>ch</strong> spre<strong>ch</strong>e dann im Beisein des<br />

Patienten mit ihnen.<br />

Was ist das Ziel eines sol<strong>ch</strong>en Gesprä<strong>ch</strong>s?<br />

Es geht vor allem darum, die Angehörigen<br />

über die <strong>Depression</strong> zu informieren: über die<br />

Symptome, den Verlauf und die Behandlung<br />

dieser Krankheit. Man<strong>ch</strong>mal führt der<br />

Zustand des Patienten dur<strong>ch</strong> das mangelnde<br />

Wissen um die Erkrankung zu familiären<br />

Konflikten. Den Angehörigen ist es oft ni<strong>ch</strong>t<br />

klar, dass der Betroffene krank ist, sie denken<br />

zum Beispiel, dass er stur oder faul sei, dass<br />

er si<strong>ch</strong> gehen lasse, während es ihm in<br />

Wahrheit ni<strong>ch</strong>t gut geht.<br />

Es ist sehr wi<strong>ch</strong>tig, dass die Angehörigen<br />

die Hauptsymptome der <strong>Depression</strong> erkennen<br />

und das Verhalten des Betroffenen<br />

ri<strong>ch</strong>tig deuten. Es ist ni<strong>ch</strong>t lei<strong>ch</strong>t, mit<br />

jemandem zusammen zu sein, der niederges<strong>ch</strong>lagen<br />

ist, der alles s<strong>ch</strong>warz sieht und<br />

si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t in eine kleine Gruppe einfügen<br />

kann. Da entsteht lei<strong>ch</strong>t der Eindruck, dass<br />

der Partner s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t gelaunt oder sauer auf<br />

einen sei. Ein klassis<strong>ch</strong>es Problem bei<br />

Paaren ist zudem, dass der Depressive eine<br />

verminderte Libido hat und dem anderen<br />

gegenüber oft au<strong>ch</strong> unausstehli<strong>ch</strong> ist,<br />

sodass der Partner denkt, der Betroffene<br />

habe ihn ni<strong>ch</strong>t mehr gern und ihn deshalb<br />

verlässt. Tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> ist das Verhalten<br />

jedo<strong>ch</strong> krankheitsbedingt.<br />

Wie reagieren die Angehörigen auf<br />

Ihre Erklärungen?<br />

Wenn sie erst einmal verstanden haben,<br />

dass das Verhalten des Patienten symptomatis<strong>ch</strong><br />

ist für seine Erkrankung, sind<br />

sie meistens sehr erlei<strong>ch</strong>tert. Dana<strong>ch</strong><br />

helfen wir ihnen, besser damit zure<strong>ch</strong>tzukommen.<br />

Dabei ist es wi<strong>ch</strong>tig, darauf<br />

zu a<strong>ch</strong>ten, dass keine kontraproduktiven<br />

Reaktionen hervorgerufen werden.<br />

Was gilt es zu bea<strong>ch</strong>ten? Was sollte<br />

man im Umgang mit einer depressiven<br />

Person vermeiden?<br />

Vor allem sollte man abwertende und<br />

verletzende Bemerkungen vermeiden<br />

wie zum Beispiel: «Du musst di<strong>ch</strong> halt<br />

zusammenreissen!» Man darf die<br />

Patienten au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t dazu überreden,<br />

ihre Medikamente abzusetzen. Es ist<br />

no<strong>ch</strong> immer viel zu wenig bekannt, dass<br />

die <strong>Depression</strong> teilweise biologis<strong>ch</strong>e<br />

Ursa<strong>ch</strong>en hat, die medikamentös behandelbar<br />

sind. Die Angehörigen für<strong>ch</strong>ten<br />

häufig, dass der Patient abhängig wird,<br />

<strong>10</strong>


ge in die Therapie<br />

ziehen,<br />

rtvoll sein»<br />

do<strong>ch</strong> Antidepressiva ma<strong>ch</strong>en ni<strong>ch</strong>t<br />

abhängig.<br />

Wie sollte man si<strong>ch</strong> also verhalten?<br />

Im Idealfall zeigen die Angehörigen Verständnis<br />

und Empathie. Sie sollten versu<strong>ch</strong>en,<br />

den Patienten sanft zu ermutigen,<br />

damit er ni<strong>ch</strong>t in seiner negativen Grundstimmung<br />

verharrt. Sie könnten zum<br />

Beispiel ni<strong>ch</strong>t zu anstrengende Aktivitäten<br />

vors<strong>ch</strong>lagen, etwas, was der Patient gerne<br />

ma<strong>ch</strong>t.<br />

Es ist ni<strong>ch</strong>t einfa<strong>ch</strong>, mit einer depressiven<br />

Person zu leben. Besteht ni<strong>ch</strong>t die<br />

Gefahr, dass man selbst depressiv wird?<br />

Eine <strong>Depression</strong> ist zwar ni<strong>ch</strong>t ansteckend,<br />

do<strong>ch</strong> das Leben mit einer depressiven<br />

Person kann den Partner s<strong>ch</strong>on<br />

beeinflussen, vor allem, wenn er si<strong>ch</strong> für<br />

alles verantwortli<strong>ch</strong> fühlt. Beim Gesprä<strong>ch</strong><br />

mit den Angehörigen ermuntere<br />

i<strong>ch</strong> sie daher, auf ihre eigenen Grenzen<br />

zu a<strong>ch</strong>ten, einen Ausglei<strong>ch</strong> zu su<strong>ch</strong>en,<br />

Freunde zu treffen, etwas für si<strong>ch</strong> selbst<br />

zu tun. Es hilft dem Partner ni<strong>ch</strong>t, wenn<br />

man selbst in <strong>Depression</strong>en versinkt.<br />

Sehen Sie die Angehörigen man<strong>ch</strong>mal<br />

au<strong>ch</strong> ohne das Wissen des Patienten?<br />

Nein, das ist ausges<strong>ch</strong>lossen! Im Vordergrund<br />

einer Behandlung steht die Beziehung<br />

zwis<strong>ch</strong>en Patient und Arzt. Der<br />

Patient muss mir unbedingt vertrauen<br />

können. I<strong>ch</strong> spre<strong>ch</strong>e mi<strong>ch</strong> daher vorher<br />

mit ihm ab: Wenn er mö<strong>ch</strong>te, dass i<strong>ch</strong><br />

bestimmte Dinge ni<strong>ch</strong>t anspre<strong>ch</strong>e, respektiere<br />

i<strong>ch</strong> das. Beim gemeinsamen<br />

Gesprä<strong>ch</strong> mit den Angehörigen frage i<strong>ch</strong><br />

ihn einleitend, ob er mir gestattet, über<br />

seine Krankheit zu spre<strong>ch</strong>en. Dur<strong>ch</strong> sein<br />

Einverständnis entbindet er mi<strong>ch</strong> implizit<br />

von meiner ärztli<strong>ch</strong>en S<strong>ch</strong>weigepfli<strong>ch</strong>t.<br />

Dur<strong>ch</strong> die gemeinsamen Treffen<br />

wissen au<strong>ch</strong> immer alle, was gesagt<br />

wurde.<br />

«Es hilft demPartner ni<strong>ch</strong>t,<br />

wenn man<br />

selbst in<br />

<strong>Depression</strong>en<br />

versinkt»<br />

Kommt es au<strong>ch</strong> vor, dass die<br />

Patienten ein Gesprä<strong>ch</strong> mit den<br />

Angehörigen ablehnen?<br />

Das kommt vor, zum Beispiel wenn ein<br />

Patient für<strong>ch</strong>tet, dass der Arzt etwas<br />

«ausplaudern» könnte. Man<strong>ch</strong>e für<strong>ch</strong>ten<br />

au<strong>ch</strong>, der Therapeut könnte erkennen,<br />

dass sie ni<strong>ch</strong>t die Wahrheit gesagt oder<br />

gewisse Dinge zu ihrem Vorteil dargestellt<br />

haben. Dabei besteht die Gefahr,<br />

dass die therapeutis<strong>ch</strong>e Allianz zwis<strong>ch</strong>en<br />

dem Patienten und dem Arzt S<strong>ch</strong>aden<br />

ZUR PERSON<br />

nimmt. Das kommt allerdings eher selten<br />

vor.<br />

Wo liegen die Grenzen sol<strong>ch</strong>er<br />

Gesprä<strong>ch</strong>e?<br />

Wenn die familiäre Situation sehr angespannt<br />

ist oder zum eigentli<strong>ch</strong>en Problemfeld<br />

des Patienten gehört, ist es besser,<br />

die Angehörigen ni<strong>ch</strong>t zu sehen. In diesem<br />

Fall s<strong>ch</strong>lage i<strong>ch</strong> eine Paartherapie<br />

bei einem Kollegen vor. Man<strong>ch</strong>mal lehnen<br />

übrigens au<strong>ch</strong> die Angehörigen ein<br />

Gesprä<strong>ch</strong> ab, weil sie ahnen, dass sie<br />

si<strong>ch</strong> dabei mögli<strong>ch</strong>erweise selbst hinterfragen<br />

müssten.<br />

Wodur<strong>ch</strong> unters<strong>ch</strong>eidet si<strong>ch</strong> Ihr<br />

Ansatz von einer Familientherapie?<br />

Die Familientherapie beruht auf einem<br />

systemis<strong>ch</strong>en Ansatz. Sie geht davon<br />

aus, dass die <strong>Depression</strong> des Patienten<br />

stark vom familiären System beeinflusst<br />

wird; die therapeutis<strong>ch</strong>e Arbeit konzentriert<br />

si<strong>ch</strong> daher auf dieses Bezugssystem.<br />

Die kognitive Verhaltenstherapie<br />

hingegen hat vor allem den depressiven<br />

Patienten im Blick. Die Angehörigen können<br />

punktuell einbezogen werden, um<br />

ihn zu unterstützen.<br />

Was ma<strong>ch</strong>en Sie, wenn der Patient<br />

keine Angehörigen hat?<br />

Au<strong>ch</strong> Patienten, die ni<strong>ch</strong>t in einer Paarbeziehung<br />

leben, haben meistens einen<br />

Mens<strong>ch</strong>en, zu dem sie eine enge Beziehung<br />

pflegen und der bei Bedarf einbezogen<br />

werden kann. Aber man kann<br />

einen Patienten au<strong>ch</strong> behandeln, ohne<br />

die Familie zu treffen.<br />

Dr. Philippe Huguelet leitet seit ca. zehn Jahren einen der vier Sektoren des<br />

allgemeinen psy<strong>ch</strong>iatris<strong>ch</strong>en Dienstes der Universitätsklinik Genf (HUG)<br />

und ist Lehrbeauftragter an der Universität Genf. Er wurde in Neuenburg<br />

geboren und ist 49 Jahre alt. Er ist Spezialist für die Behandlung von psy<strong>ch</strong>otis<strong>ch</strong>en<br />

Störungen, <strong>Depression</strong>en und Persönli<strong>ch</strong>keitsstörungen. Sein<br />

Fors<strong>ch</strong>ungss<strong>ch</strong>werpunkt ist die Beziehung zwis<strong>ch</strong>en Psy<strong>ch</strong>iatrie und<br />

Spiritualität.<br />

THERAPIE<br />

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