als .pdf - Arbeitsgruppe Primarstufe - Universität Siegen
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"Entwicklung der Lesekompetenz –<br />
ihre Prognose und Förderung"<br />
Vortrag<br />
von Hans Brügelmann<br />
am 14.1.2005<br />
an der <strong>Universität</strong> Frankfurt<br />
www.uni-siegen.de/~agprim/printbrue.htm
Vier Fragen und eine Überlegung<br />
1. Was ist der Maßstab für eine „ausreichende“<br />
Lesekompetenz?<br />
2. Nach welchen Kriterien beurteilen wir eine Lese-Entwicklung<br />
<strong>als</strong> „positiv“?<br />
3. Wie gut können wir die individuelle Entwicklung der<br />
Leseleistungen vorhersagen?<br />
4. Was bedeutet das für die Konzeption und Formen ihrer<br />
Förderung?<br />
5. Defizit vs. Kompetenz: Nachdenkliches zum Schluss
Teil I:<br />
Was ist der Maßstab für eine<br />
„ausreichende“ Lesekompetenz?<br />
In der aktuellen Diskussion Bildungsstandards ist das zentrale<br />
Problem die Definition von Mindestniveaus:<br />
Was <strong>als</strong>o sind „Basiskompetenzen“ im Lesen –<br />
Oder anders gefragt
Wann sind SchülerInnen „leseschwach“?<br />
Um 1900 galt <strong>als</strong> schriftkundig, wer mit seinem Namen<br />
unterschreiben konnte.<br />
In den 30er Jahre war in den USA das im Lehrplan definierte<br />
Niveau der vierten Klasse Maßstab für „Lesefähigkeit“.<br />
Nach dem zweiten Weltkrieg galt der Abschluss der Pflichtschule<br />
<strong>als</strong> Mindestausstattung.<br />
Der Anteil „leseschwacher“ SchülerInnen hängt <strong>als</strong>o nicht nur<br />
von ihrer tatsächlichen Leistung, sondern auch von den<br />
(erheblich gestiegenen) Anforderungen unserer zunehmend<br />
schriftbestimmten Umwelt ab.
Konkurrierende „Risiko“-Schätzungen<br />
Studie<br />
Alter Jahr Anteil<br />
„Risiko“<br />
ANALFA 16+ 1980 ~ 5 %<br />
IEA 14 1991 2 %<br />
IALS 16+ 1993 14 %<br />
PISA-I 15 2000 25 %<br />
IGLU 9 2003 10 %<br />
Innerhalb von 10 Jahren Veränderung<br />
der Quoten von 12.5 zu 1 ?
Zwei Gründe für<br />
die breite Streuung der Schätzungen<br />
Schwellenwerte des Lesen-“Könnens“ zur Abgrenzung von<br />
Risikogruppen werden festgelegt ohne empirische Absicherung<br />
• ihrer alltagsökologischen Validität, d. h. ohne Überprüfung<br />
ihrer Passung auf Anforderungen in den Lebens- und<br />
Berufswelten <br />
• ihrer lernbiografischen Validität, d. h.ohne Absicherung ihrer<br />
Prognosekraft <strong>als</strong> „Voraussetzung“ für den weiteren Schul- und<br />
(Aus-)Bildungsweg
Die alltagsökologische Validität ist fraglich...<br />
... weil die Mindestniveaus festgelegt werden, ohne zu<br />
berücksichtigen,<br />
• dass es erhebliche Unterschiede zwischen objektiven<br />
Testleistungen und subjektiver Bewältigung von Anforderungen<br />
im individuellen Alltag gibt <br />
• dass die Testleistungen innerhalb vergleichbarer<br />
Gruppenerheblich erheblich streuen, obwohl die meisten dieser<br />
Personen den täglichen Anforderungen durchaus gewachsen<br />
sind
Selbsteinschätzung der Kompetenz auf<br />
verschiedenen Leistungsstufen<br />
Tab. nach: OECD (1995)<br />
Selbsteinschätzung<br />
Alltag<br />
(Deutschland)<br />
Stufe<br />
1<br />
Stufe<br />
4/5<br />
gut+ 81 % 99 %<br />
mittelmäßig 12 % -<br />
schlecht 5 % -<br />
Selbst wenn man soziale Erwünschtheit unterstellt,<br />
überraschen die 81% „gut+“ auf Stufe 1
Unterschiede der Leseleistungen zwischen<br />
und Streuung der Leseleistungen<br />
innerhalb von Gruppen<br />
Stolperwörter-Sätze:<br />
Richtige Sätze/ Min.<br />
Gruppe<br />
Mitte<br />
Mitte<br />
Berufs-<br />
Hand-<br />
Leh-<br />
2. Kl.<br />
4. Kl.<br />
schule<br />
werk<br />
rer<br />
N = 6.654 6.415 252 166 181<br />
aM<br />
4.1<br />
8.1<br />
14.9<br />
11.2<br />
18.7<br />
SD<br />
2.1<br />
2.7<br />
3.1<br />
3.4<br />
3.7<br />
Min-Max<br />
0-11<br />
1-16<br />
6-25<br />
3-20<br />
9-29
Die lernbiografische Validität ist fraglich...<br />
Weil die Determinationskraft von sog. „Voraussetzungen“ unklar<br />
ist:<br />
Bedeuten schlechte Leistungen zu Termin-1 tatsächlich ...<br />
(a)<br />
ein wesentlich erhöhtes Risiko schlechter Leistungen zu<br />
Termin-2 (<strong>als</strong>o z. B. 30% statt 10%) – und darüber hinaus,<br />
(b) dass die Mehrheit der SchülerInnen mit schlechten Leistungen<br />
zu Termin-1 auch bei Termin-2 versagt (<strong>als</strong>o z. B. 70%<br />
unterdurchschnittlichen zu nur 30% erfolgreichen)?<br />
Als Vorfrage ist zu klären
Teil II<br />
Nach welchen Kriterien beurteilen wir eine<br />
Entwicklung <strong>als</strong> „positiv“?<br />
Was <strong>als</strong>o ist der Maßstab für den Erfolg von Lernund<br />
damit auch von Lehrprozessen?
Verschiedene Bezugswerte<br />
• Erreichen von vorgegebenen Leistungsniveaus<br />
Orientierung an Zielkriterien<br />
Dafür fehlt bisher die empirische Basis (s. Teil I)<br />
• Veränderung der Rangposition<br />
Orientierung an der Bezugsgruppe<br />
Gängiger Maßstab, aber problematisch <br />
• Verbesserung <strong>als</strong> individueller Lernzuwachs<br />
Orientierung an der je eigenen Leistung
Axel Backhaus<br />
"Erste Erfahrungen mit Schrift – Konzepte für Vorschule und Schuleingangsphase"<br />
DGLS-Jahrestagung in Rauischholzhausen vom 12. – 14. November 2004<br />
Karawaneneffekt im Projekt LUST-1<br />
16<br />
14<br />
Richtige Sätze/ Minute<br />
12<br />
10<br />
8<br />
6<br />
4<br />
2<br />
PR 1-5<br />
PR 6-10<br />
PR 11-15<br />
PR 16-20<br />
PR 21-25<br />
PR 26-30<br />
PR 95-100<br />
0<br />
2. SJ 3. SJ 4. SJ
Karawaneneffekte zeigen sich...<br />
• im Verhältnis von jüngeren zu älteren SchülerInnen;<br />
• im Verhältnis leistungsschwacher zu stärkeren SchülerInnen;<br />
• bei Migrantenkindern in Relation zu deutschsprachigen<br />
SchülerInnen;<br />
• nicht nur auf der Primar-, sondern auch auf der<br />
Sekundarstufe;<br />
• im Lesen und im Rechtschreiben
May (1990/1995) DGLS-Jahrbuch<br />
PZR 75-100 -- 25-50- -- 1-5<br />
1 M<br />
FA--RAT FA-R-T<br />
-------<br />
1 E<br />
2 M FA--RAD<br />
FA--RAT<br />
F------<br />
F------T<br />
F---R-T<br />
FA--R-T<br />
2 E<br />
FAH-RAD<br />
FA--RAT<br />
3 M FAHRRAD FA--RAD<br />
3 E<br />
FAH-RAD<br />
4 M<br />
FAHRRAD<br />
FA--RAD<br />
4 E<br />
FAH-RAD
Der Karawaneneffekt bedeutet...<br />
• dass alle Schülergruppen Fortschritte machen – abgesehen evtl.<br />
von der untersten Leistungsgruppe – in den Zwischenformen und<br />
auch in der Größenordnung vergleichbar.<br />
• dass die unteren Gruppen die oberen nicht erreichen, weil<br />
beide von einem ganz unterschiedlichen Ausgangsniveau<br />
gestartet sind und eben alle erfolgreich lernen;<br />
• dass leistungsschwächere Schülergruppen sich nicht durch<br />
stabile Eigenschaften („Schwächen“) von den anderen <strong>als</strong><br />
qualitativ „andersartig“ unterscheiden, sondern dass sie<br />
sozusagen „zum f<strong>als</strong>chen Zeitpunkt normal“ sind.
Individual- vs. Gruppen-Betrachtung<br />
• Der auf Gruppenebene festgestellte Karawaneneffekt<br />
suggeriert klare Entwicklungslinien von den jeweiligen<br />
Ausgangspunkten aus.<br />
• Fraglich ist aber, ob auf dieser Basis eine verlässliche<br />
Individualprognose möglich ist.<br />
• Das Bild könnte nämlich täuschen, wenn sich innerhalb der<br />
Teilgruppen ganz unterschiedliche Entwicklungen überlagern,<br />
wenn die Einzelwerte <strong>als</strong>o nach beiden Seiten erheblich um den<br />
jeweiligen Mittelwert streuen.<br />
Damit stellt sich die Frage
Teil III:<br />
Wie gut können wir<br />
individuelle Entwicklungen vorhersagen?<br />
Dazu Befunde aus zwei ausgewählten Prognosestudien unserer<br />
<strong>Arbeitsgruppe</strong> <strong>Primarstufe</strong> an der <strong>Universität</strong> <strong>Siegen</strong>:<br />
- LUST<br />
- LOGIK<br />
zur Früherkennung von Schwierigkeiten.
Stabilität und Veränderung der Rangpositionen in sechs Monaten (LUST: .66**)<br />
01 20<br />
12 14<br />
02 16<br />
03<br />
02 10<br />
04 02 10 14<br />
05 16<br />
06 19 19<br />
07 07 06<br />
08 01 11<br />
09 03<br />
10 06 22 03<br />
11 07 12 15<br />
12<br />
13 13<br />
11 18 20 13<br />
14 22<br />
15 17<br />
16 09 18<br />
17 01<br />
18 17 24 08 08<br />
19 09<br />
20 21 21<br />
21 15 24
Alternative Erklärungsmöglichkeiten<br />
der Rangverschiebungen<br />
1. Die Kompetenzen haben unterschiedlich zugenommen.<br />
2. Andere persönliche Bedingungen haben sich verändert, z. B.:<br />
Motivation, Selbstbewusstsein, Kraft.<br />
3. Kontexteinflüsse haben sich verändert, z. B.:<br />
Ablenkung, Konkurrenz, Belohnung.<br />
4. Das Instrument selbst misst nicht verlässlich.<br />
Wie auch immer:<br />
<br />
Wir können uns nicht auf einmalige Messungen verlassen.
Vorhersage der Rechtschreibleistung<br />
im LOGIK-Projekt<br />
Prädiktor<br />
vor Schul-<br />
anfang<br />
Recht-<br />
schreibung<br />
< 15 %<br />
Prognose<br />
Treffer-<br />
quote<br />
BISC < 15% 8 Jahre 59 %<br />
10 Jahre 37 %<br />
17 Jahre 24 %<br />
• Lernverläufe sind durch individuelle „Voraussetzungen“ nicht<br />
vorhersagbar.<br />
Und:<br />
• Selbst bei erhöhtem Risiko (24% statt 15%) ist die jeweilige<br />
Erfolgswahrscheinlichkeit deutlich höher (76% zu 24%).
Folgen der fehlenden Prognoseunsicherheit<br />
• Diese Unsicherheit stellt die Aussagekraft punktueller Tests,<br />
z. B. in zentralen Lernstandserhebungen wie VERA, für die<br />
Einschätzung der individuellen Kompetenz in Frage.<br />
• Die Prognoseunschärfe stellt aber auch eine Förderdiagnostik in<br />
Frage, die spezifische Förderprogramme an fehlende<br />
Voraussetzungen ankoppeln will
Mikroanalysen von Brinkmann (2003)<br />
zur kurzfristigen Entwicklung von <br />
Die Befunde lassen sich in drei Punkten zusammenfassen:<br />
Es gibt eine große Fluktuation der Schreibweisen binnen einer<br />
Woche.<br />
Knapp ein Drittel der Einzelschreibungen passen nicht in die<br />
Schubladen des May-Modells der Rechtschreibentwicklung.<br />
Die Hälfte der Entwicklungsfolgen ist illegal im Sinne des May-<br />
Modells.
Zwischenbilanz I-III:<br />
Mindestniveaus wie in den Bildungsstandards...<br />
• ... konnten bisher nicht <strong>als</strong> Voraussetzung für erfolgreiches<br />
Handeln in konkreten Lebens- oder Berufsfeldern<br />
nachgewiesen werden: mangelnde „alltagsökologische Validität“;<br />
• ... lassen sich auf der Basis der vorliegenden empirischen<br />
Daten nicht <strong>als</strong> „Risikoschwelle“ für die weitere Schullaufbahn<br />
bestimmen: mangelnde „lernbiografische Validität“;<br />
• ... machen <strong>als</strong> einheitliche Anforderungen wenig Sinn, wenn die<br />
Leistungen aller Jahrgänge in denselben Klassen 4-5<br />
Altersstufen auseinander liegen: Fehlpassung des Unterrichts;<br />
• ... werden den individuellen Lernfortschritten von<br />
unterschiedlichen Ausgangspunkten her nicht gerecht:<br />
„Karawaneneffekt“ der Leistungsentwicklung.
Teil IV:<br />
Was bedeutet das für die<br />
Konzeption und Formen der Leseförderung?<br />
Die zentrale Frage:<br />
Auf welcher Basis können wir eine Passung<br />
von Lehrangebot und Lernstand herstellen?<br />
Konkret: Sind fonologische Förderprogramme vor dem<br />
Leseunterricht notwendig und kompensatorisch wirksam
Effekte von Förderprogrammen<br />
Was bringt ein fonologisches Training?<br />
Förderung<br />
Vorteil<br />
Fonologie<br />
Vorteil<br />
Lesen<br />
Vorteil<br />
„Literacy“<br />
Fonologie<br />
KiGarten 1.10 1.30<br />
Fonologie<br />
GrSchule .50 .65<br />
Effekte 1-2<br />
Jahre später .48 .16<br />
Buchstabentraining<br />
1.06 .82<br />
Vorlesen in<br />
der Familie .59<br />
Eine ES von .50 bedeutet einen Sprung von PZR 50 auf 69.
Rückfragen zu den<br />
begrenzten Effekten<br />
Wie sind diese Befunde vereinbar mit der<br />
„herrschenden Meinung“, dass speziell fonologische<br />
Bewusstheit vor Schulbeginn trainiert werden soll?<br />
Zwei Erklärungsmöglichkeiten:<br />
a) Alternative Förderansätze sind nicht vergleichbar<br />
intensiv erprobt und untersucht worden.<br />
b) Die Rolle fonologischer Bewusstheit und die Wirkung<br />
ihrer Förderung wurden unter spezifischen<br />
Unterrichtsbedingungen untersucht
Hypothesen zur Erklärung<br />
Gezieltes Training ist nur dann nötig und vorteilhaft,<br />
wenn der Anfangsunterricht nicht zureichend Gelegenheit zur<br />
Entwicklung fonologischer Bewusstheit bietet.<br />
Das ist<br />
• in den USA in vielen „whole language“- Programmen der Fall und<br />
• in Deutschland in der Praxis eher ganzheitlich orientierter<br />
Fibellehrgänge.<br />
Eine implizite Förderung der Sprachbewusstheit stellt aber das<br />
freie Schreiben dar, das über „invented spellings“ die<br />
Auseinandersetzung mit der Lautstruktur und ihrer<br />
Repräsentation durch Schriftzeichen intensiv fordert und<br />
fördert.
Indizien aus der Forschung<br />
Studien aus den USA zeigen, dass „inventend spelling“<br />
• sowohl direkt die fonologische Bewusstheit<br />
• <strong>als</strong> auch in der Folge die Lesefähigkeit fördert (s. Adams<br />
1990, 387; Richgels 2002, 148 ff):<br />
• Read (1971)<br />
• Ehri/ Wilce (1987); Ehri (1989)<br />
• Clarke (1988)<br />
• Winsor/ Pearson (1992)<br />
• Richgels (1995; 2002)<br />
• Dahl u. a. (1999)<br />
Positive Effekte auf die Rechtschreibentwicklung haben auch wir im<br />
Schreibvergleich BRDDR für „Lesen durch Schreiben“ festgestellt<br />
(Brügelmann u. a. 1994)
Zwischenbilanz IV<br />
• Fonologische Leistungen sind ein guter Prädiktor und zudem eine<br />
beeinflussbare Voraussetzung von LRS.<br />
• Ihr Einfluss beschränkt sich aber auf die Einstiegsphase und<br />
verliert für die weitere Entwicklung an Bedeutung.<br />
• Andere Voraussetzungen könnten ähnlich wichtig sein – sind aber<br />
weniger gut untersucht und in der Förderung weniger intensiv<br />
erprobt.<br />
• Unsere Erfahrungen im BLISS-Projekt deuten darauf hin, dass<br />
unter Alltagsbedingungen keine Überlegenheit fonologischer<br />
Trainings zu erwarten ist.
Defizit vs. Kompetenz:<br />
Nachdenkliches zum Schluss<br />
Sind Risikoprognosen vielleicht deshalb so riskant,<br />
• weil das Verständnis von Lernen und Entwicklung und die<br />
Konzepte ihrer Förderung zu mechanistisch sind;<br />
• weil Variablen in der Forschung ohne Kontextbezug modelliert<br />
und untersucht werden und<br />
• weil die Deutungen der Betroffenen bei der Interpretation<br />
ihrer Schwierigkeiten ignoriert werden?<br />
Einige Indizien zur Stützung diese Vermutungen
Risiko und Resilienz<br />
In der Kauai-Entwicklungsstudie von Werner/ Smith wurden<br />
30% der Neugeborenen <strong>als</strong> „hochgradig gefährdet“ eingestuft.<br />
Von diesen „Risiko“-Kindern hatte 1/3 trotzdem keine<br />
Probleme <strong>als</strong> Kinder.<br />
Von den 2/3 mit Problemen „normalisierte“ sich im weiteren<br />
Verlauf die große Mehrheit, so dass insgesamt über 3/4 der<br />
„Risikokinder“ <strong>als</strong> Erwachsene nicht mehr auffällig waren.<br />
Die menschliche Überlebenskraft („Resilienz“) ist die zweite<br />
Seite der Medaille – sie kann viele Belastungen kompensieren
Defizit- vs. Kompetenz-Blick<br />
• Für die wider Erwarten erfolgreiche Entwicklung schon in den<br />
Anfangsjahren waren zwei Bedingungen charakteristisch:<br />
•<br />
- erstens bestimmte Persönlichkeitsmerkmale<br />
- zweitens eine enge Beziehung zu mindestens<br />
einer Bezugsperson, die das Kind emotional<br />
stützte.<br />
• Zu den späteren Wendepunkten zählten Heirat, Elternschaft,<br />
Militärdienst o.ä. Ereignisse, die für die Person neue<br />
Sinnperspektiven eröffneten
Menschen sind Sinnsucher<br />
Eine Erklärung bieten Deci/ Ryan, die drei Grundbedürfnisse<br />
in ihrer Selbstbestimmungstheorie der Motivation <strong>als</strong><br />
Voraussetzung für eine positive Entwicklung von Personen<br />
nennen:<br />
• Autonomie<br />
: „Ich darf (mit-)entscheiden“<br />
• Kompetenz<br />
:„Ich kann etwas gut“<br />
• Anerkennung : „Ich gehöre dazu“<br />
Die Erfüllung dieser Bedürfnisse ist auch zentral für die<br />
Lernmöglichkeiten von Kindern
Individualisierung „von unten“<br />
statt<br />
Differenzierung „von oben“<br />
• Freies Schreiben zu selbst gewählten Themen, mit eigenen<br />
Wörtern auf dem aktuellen Sprachniveau.<br />
• Persönliche Wahl der Lektüre nach Inhalt, Stil und<br />
Schwierigkeit.<br />
• Anschließend Austausch durch Vorlesen, Erzählen, Rückfragen,<br />
Ergänzungen.<br />
„Vom Singulären über das Divergierende zum Regulären“<br />
(Urs Gallin/ Peter Ruf)
Fazit:<br />
Pädagogik ist mehr <strong>als</strong> Didaktik -<br />
und mehr <strong>als</strong> angewandte Psychologie<br />
Die analytische Kraft der Psychologie bei der Erklärung von<br />
Lernprozessen darf nicht kurzschlüssig umgedeutet werden <strong>als</strong><br />
Autorität für die konstruktive Entwicklung von<br />
Lernarrangements.<br />
Pädagogik ist bestimmt durch zusätzliche normative<br />
Annahmen über die Qualität der Prozesse, in denen<br />
neue Erfahrungen gemacht werden sollen.<br />
Es geht immer auch um die Entwicklung der Person –<br />
und nicht nur von Qualifikationen.