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Reihe SozNat*: Mythos Wissenschaft

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<strong>Mythos</strong> <strong>Wissenschaft</strong>: Zum Weltbild<br />

westdeutscher Physikbücher<br />

Das Problem und wie wir es angegangen haben<br />

Westdeutsche Mathematikbücher vermitteln in ihren Sachaufgaben "nicht<br />

nur fachspezifische, sondern auch gesellschaftsbezogene Informationen"<br />

(Speth 1973). Dieser jedem Praktiker geläufige, von der Mathematikdidaktik<br />

jedoch weitgehend verdrängte Sachverhalt (Bölts 1976) wurde von Silke<br />

Speth zum Anlaß genommen, die Sachaufgaben von acht Volksschulrechenbüchern<br />

hinsichtlich der von ihnen vermittelten "Leitbilder in Beruf, Familie,<br />

Freizeit und Schule" einer quantitativen Inhaltsanalyse zu unterziehen.<br />

Sie kommt dabei zu dem Ergebnis, daß diese Leitbilder nicht nur von äusserst<br />

antiquierten Vorstellungen geprägt sind, sondern in Folge ihrer einseitigen<br />

Mittelschichtsorientierung daIÜberhinaus gravierende Folgen für die<br />

schichtenspezifische Sozialisation und Selektion der Schüler haben, da Arbeiterkinder,<br />

insbesondere jedoch Arbeitermädchen, im Gesellschaftsbild<br />

der Rechenbücher weder sich noch ihre soziale Umwelt wiederfinden.<br />

Zu ganz ähnlichen Ergebnissen wie Speth hinsichtlich der "Rolle der<br />

Frau in Mathematikbüchern" kommt auch Johannes Glötzner auf der Basis<br />

einer Inhaltsanalyse von Gymnasialbüchern flir das S. Schuljahr: "Die Zeichnungen<br />

und Aufgaben spiegeln eine von Männern beherrschte und gestaltete<br />

Welt wider. Die Mädchen werden frühzeitig und konsequent auf ihre zukünftige<br />

Aufgabe vorbereitet", nämlich "fm den Haushalt und die Kinder zu sorgen<br />

und die Männerwelt zu bewundern".<br />

Die Analysen von Speth und Glötzner machen deutlich, daß der Mathematikunterricht<br />

nicht nur fachliche Kenntnisse und Fähigkeiten vermittelt,<br />

sondern darüberhinaus in durchaus nicht vernachlässigbarer Weise-auf eine<br />

Beteiligung an der schulischen Formung des Gesellschaftsbildes der Kinder<br />

und Jugendlichen zielt [1]. Diese Einsicht ist angesichts der langen Tradition<br />

"eingekleideter" Aufgaben in der Schulmathematik vielleicht nicht eben neu,<br />

doch ist es der etablierten Mathematikdidaktik bis in die Gegenwart hinein<br />

immer wieder gelungen, eine grundsätzliche Diskussion hierüber nicht aufkommen<br />

zu lassen. Nicht unähnlich liegt die Situation im Nachbarfach Physik,<br />

wo zwar der Streit zwischen reformwilligen und konservativen Fachdidaktikern<br />

im Kern um nichts anderes als das Auswechseln der gesellschaft-<br />

[1 J Ob sich das mathematikunterrichtliche Gesellschaftsbild allerdings so unmittelbar<br />

in die Köpfe der Schüler umsetzt, wie das die beiden genannten Autoren in ihren<br />

Schlußfolgerungen annehmen, ist allein aus dessen bloßer Existenz nicht zu erschließen.

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