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Reihe SozNat*: Mythos Wissenschaft

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voraus. Diese Emanzipation beinhaltet u. a. das Bewußtsein, daß das Wissen<br />

der Naturwissenschaftler lediglich ein genauso professionelles Wissen ist wie<br />

das der Arbeiter. Die Loslösung vom vertrauten Kopfarbeiterweltbild, in<br />

dem das professionelle Wissen der <strong>Wissenschaft</strong>ler und Techniker zu einer<br />

menschlichen Kulturleistung überhöht und das professionelle Arbeiterwissen<br />

zu bloßen Handlangerkenntnissen herabgewürdigt ist, dürfte indes den<br />

ganz in den Normen der <strong>Wissenschaft</strong> sozialisierten Naturlehrern nicht<br />

ganz leichtfallen.<br />

Erschwert wird ein solcher Abschied vom <strong>Wissenschaft</strong>sfetisch gerade bei<br />

reformwilligen Lehrern durch die Angst, daß ein auf das Naturverhältnis<br />

der Arbeiter abgestellter Naturunterricht letztlich die Aufgabe der Einheitlichkeit<br />

schulischer Bildung und Erziehung, einer alten Forderung der Arbeiterbewegung<br />

also, beinhalte. Gewiß, in den reformpädagogischen Versuchen,<br />

dem Naturunterricht der Vorkriegsschule eine größere Arbeiternähe<br />

zu geben, ist das in der Tat der Fall. Doch schon damals stellten sich radikalere<br />

Reformer die Frage, ob eine am alltäglichen Umweltverständnis und<br />

an den Bedürfnissen der Mehrheit anknüpfende Bildung im Prinzip nicht<br />

auch fUr die Gymnasialschüler von Nutzen sei (Gansberg 1921). Die Vermittlung<br />

wissenschaftlicher Grundkenntnisse über die Natur könne man - wie<br />

das ja auch in einer <strong>Reihe</strong> von anderen akademischen Disziplinen geschehe -<br />

getrost der Fach- und Universitätsausbildung überlassen.<br />

Dies umso mehr, als die Ausstattung der Arbeiterjugend mit den Waffen<br />

der <strong>Wissenschaft</strong> nur scheinbar emanzipatorischen Charakter hat. Denn ein<br />

wissenschaftssystematischer Naturunterricht knüpft, selbst wenn er von<br />

progressiven Pädagogen noch um einige politische Einsichten bereichert<br />

wird, nicht an den Stärken, sondern an den Schwächen der Arbeiter und<br />

ihrer Kinder an. Die objektivistisch-distanzierte und abstrakt-erkenntnisreine<br />

Naturbetrachtung der <strong>Wissenschaft</strong> stößt bei Arbeiterkindern auf noch<br />

mehr Aversionen und Unverständnis als ohnehin schon unter Jugendlichen<br />

üblich. Von. zu Hause ein anderes Denken und Handeln gewohnt, gehören<br />

sie nach Ausweis der entsprechenden empirischen Untersuchungen nicht<br />

nur in den herkömmlichen Kulturfächern, sondern auch in den Realien in<br />

überdurchschnittlichem Maße zu den vorprogrammierten "Versagern"<br />

(Brämer 1981).<br />

Das ist als solches zwar nicht unbedingt negativ zu bewerten, schützen<br />

die Arbeiterkinder auf diese Weise doch ihr später noch gebrauchtes "alltägliches"<br />

Naturbild vor seiner allzu weitgehenden wissenschaftlichen Destruktion.<br />

Allerdings muß befürchtet werden, daß sie ihre im Schnitt signifikant<br />

schlechteren Naturwissenschaftsnoten zugleich als persönliches Versagen<br />

vor einer - im Gegensatz zu den Kulturfachern - besonders objektiv<br />

erscheinenden Selektionsinstanz erleben. Die daraus resultierende Beeinträchtigung<br />

des Selbstbewußtseins der Arbeiterkinder ist gewissermaßen<br />

das (sozialpsycho-)logische Gegenstück zu jenem Selbstbewußtseins- und<br />

Prestigegewinn, den die natur\Vissenschaftlichen Lehrer aus dem "wissenschaftlichen"<br />

Anspruchsniveau ihrer Fächer ziehen. Dabei wäre beiden,<br />

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