Reihe SozNat*: Mythos Wissenschaft
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Einstellungen zu Schule und Beruf und nicht zuletzt auch ihre zukünftige<br />
Lebensrealität, auf die sie vom naturwissenschaftlichen Unterricht angeblich<br />
vorbereitet werden.<br />
Dies ist zumindest den li»ken Fachdidaktikern ipsoweit bewußt, als sie verschiedentlich<br />
eine gründliche Analyse der zukünftigen Lebens- und Arbeitsbedingungen<br />
ihrer Schüler "unter kapitalistischen Produktionsbedingungen"<br />
gefordert haben (Rieß 1973, QuitzowjRiedel 1975). Doch ihre "emanzipatorischen"<br />
Gegenkonzepte, mit denen sie die zukünftigen Arbeiter schon<br />
im pädagogischen Vorfeld gegen die Zumutungen der industriellen Arbeit<br />
zu feien hofften, waren bereits fertig, ohne daß auch nur einer von ihnen<br />
sich tatsächlich auf die konkreten Lebens- und Handlungsperspektiven des<br />
Arbeitsalltags engelassen hätte.<br />
Vielmehr beschränkte sich auch die linke Fachdidaktik darauf, den Produktionsprozeß<br />
lediglich von seiner wissenschaftlichen, technischen und<br />
ökonomischen Seite, sozusagen von oben her also, in Augenschein zu nehmen.<br />
Aus dieser Perspektive bot insbesondere die moderne Produktion<br />
wenig Anhaltspunkte flir einen pädagogischen Impetus, der sich unter<br />
Schule nurmehr die Vermittlung wissenschaftlich kanonisierter Erkenntnisbestände<br />
vorstellen kann. Denn der ehemals qualifizierte Handwerker<br />
erschien weitgehend von spezialisierten Fachleuten verdrängt und zum<br />
"bewußtlosen Maschinenteil" degradiert - bewußtlos nicht zuletzt auch in<br />
dem Sinne, daß sich jedwede naturwissenschaftlichen Kenntnisse zur Erfüllung<br />
der bis ins Detail vorgedachten Arbeitsaufgaben als überflüssig erwiesen.<br />
Bei dieser oberflächlichen Durchmusterung wurde indes übersehen, daß<br />
das industrielle Produktionsgeschehen trotz aller "Verwissenschaftlichung"<br />
nach wie vor keineswegs ohne den denkenden Arbeiter auskommt, oder besser<br />
umgekehrt: Daß die Arbeiter selbst in der Massenfertigung über ein unersetzliches<br />
professionelles Wissen verfügen. Dem naturwissenschaftlichen Wissen,<br />
wie es in den Arbeitsmaterialien und Produkten vergegenständlicht ist,<br />
steht auf der Seite der unmittelbaren Prqduzenten ein originäres Arbeiterwissen<br />
gegenüber - ein Sachverhalt, der für einen engagierten Naturunterricht<br />
nicht ohne Folge bleiben kann.<br />
Der Göttinger Arbeitssoziologe Rainer-W. Hoffmann hat den Charakter<br />
dieses spezifischen Arbeiterwissens anhand zahlreicher industriesoziologischer<br />
Untersuchungen und Erfahrungsberichte näher zu beschreiben versucht<br />
(Hoffmann 1979). Dabei kam er zu dem Ergebnis, daß der wissenschaftliche<br />
Zugriff zum konkreten Arbeitsprozeß keineswegs so total sein<br />
kann, wie es die linken Fachdidaktiker postuliert haben, sondern prinzipielle<br />
Grenzen besitzt. Diese Grenzen, die zugleich das Reservat des Arbeiterwissens<br />
markieren, resultieren, u. a. aus den nur konkret ab gleich baren Schwankungen<br />
von Material-, Werkzeug- und Systemvariablen, aus den wechselhaften<br />
Produktionssituationen mit dem ihnen innewohnenden Zeit- und Handlungsdruck<br />
insbesondere in Störfällen, aus der Unumgänglichkeit von trialand-error-Verfahren<br />
beim Einfahren von großen Maschinen, aus der techni-<br />
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