07.11.2014 Aufrufe

Reihe SozNat*: Mythos Wissenschaft

Reihe SozNat*: Mythos Wissenschaft

Reihe SozNat*: Mythos Wissenschaft

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

der Naturwissenschaften eher langsamer als schneller [10]? Und hat schließlich<br />

die Produktivkraftentwicklung im realen Sozialismus ihren arbeiterfeindlichen<br />

Charakter tatsächlich verloren?<br />

Der orthodox-marxistische <strong>Wissenschaft</strong>s- und Technikfetischismus der<br />

linken Fachdidaktik, der in derartigen Utopien zum Ausdruck kommt, bestimmt<br />

auch deren strategischen Vorstellungen. Das gilt insbesondere für die<br />

verbreitete Auffassung, zur Verwirklichung von Selbst- und Mitbestimmung<br />

in unserer hochtechnisierten Produktion sei eine fundierte naturwissenschaftlich-technische<br />

"Kompetenz" unerläßlich, und zwar nicht nur, um der<br />

"Argumentation von Sachverständigen" etwas entgegensetzen zu können,<br />

sondern um darüberhinaus mit ihrer Hilfe die bestehenden Produktionsverhältnisse<br />

gleich ganz zu überwinden (Pukies 1975, S. 23). Dieser offenkundigen<br />

Überschätzung des naturwissenschaftlichen Faktors bei politischen<br />

Entscheidungs- und Entwicklungsprozessen entspricht ein auffällig technizistisches<br />

Verständnis der Produktion, die weniger als sozialer Prozeß, denn<br />

als Ausfluß von <strong>Wissenschaft</strong> und Technik angesehen, ja gelegentlich sogar<br />

mit Technik gleichgesetzt wird. Das wird besonders in dem erwähnten Versuch<br />

der abstrakten Identifizierung von wissenschaftlicher und produktiver<br />

Arbeit deutlich, die Otto Normalarbeiter als "Formveränderer von Natursubstanzen"<br />

zum heimlichen <strong>Wissenschaft</strong>ler (oder umgekehrt Otto Normalwissenschaftler<br />

zum heimlichen Arbeiter) stilisiert (Rendtel 1972). Nur in<br />

einer derartigen intelligenzspezifisch verkürzten Perspektive können dann<br />

auch systematische naturwissenschaftliche Kenntnisse als "Schlüssel zum<br />

Verständnis der eigenen Arbeitnehmerrolle in der Produktion" erscheinen<br />

(Pukeis 1975, S. 20).<br />

Dabei müßte gerade den linken Fachdidaktikern aufgrund ihrer deklarierten<br />

Nähe zur Arbeiterklasse klar sein, daß in Realkonflikten um die Gestaltung<br />

der Produktion und die Weiterentwicklung der Gesellschaft primär<br />

politisch-soziale Fragen entscheidend und Sachzwänge in der Regel nur vorgeschoben<br />

sind. Läßt man sich dennoch auf die Auseinandersetzung mit<br />

Sachverständigen ein, so hat man im allgemeinen bereits jene technokratische<br />

Verkürzung des Problems akzeptiert, die infolge der in die Problemdefinition<br />

eingegangenen sozialen Vorentscheidungen den Betroffenen letztendlich<br />

keine Chance läßt - ganz abgesehen davon, daß die professionellen<br />

Sachverständigen im Zweifelsfall immer noch ein (undurchschaubares) Argument<br />

mehr bereithalten. Und was schließlich die Utopie der Arbeiterherrschaft<br />

betrifft: Ist es denn so sicher, daß die kapitalistische Naturwissenschaft<br />

und Technik im Falle einer echten Übernahme der Produktionskontrolle<br />

durch die Arbeiter überhaupt noch ihren Stellenwert behalten wird,<br />

die Arbeiter also genauso maschinenteilig weiterschaffen wie bisher, halt<br />

nur unter eigener Kontrolle? Ist die immer weitergehende Technisierung<br />

von Arbeit und Leben tatsächlich eine sinnvolle Perspektive und nicht nur<br />

die Wunschvorstellung der (wissenschaftlich-technischen) Intelligenz?<br />

29<br />

[10] Vergleiche hierzu Der Spiegel 34/1980, S. 58 ff.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!