Reihe SozNat*: Mythos Wissenschaft
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schaftlichen Kenntnissen (Fieblinger 1975). Besonders deutlich aber wird<br />
die Fetischisierung des Bildungsbegriffes in den linken Reformstrategien. So<br />
stellt etwa Fieblinger das strategische Verhältnis von Bildung und Produktion<br />
dahingehend auf den Kopf, daß er eine "bewußt auf Höherqualifikation ausgerichtet<br />
... Gestaltung von Produktionstechnik und Arbeitsorganisation"<br />
als "Basis für eine expansive bildungspolitische Prämisse" fordert. "Die Forderung<br />
nach höherer Bildung (die für sich idealistisch wäre) wird vorverlagert<br />
auf die Forderung nach Änderung der Arbeitsplätze (sprich: Einschränkung<br />
der Arbeitsteilung), um damit im Produktionsbereich eine Basis für<br />
höhere Ausbildung zu begründen" (Fieblinger 1975, S. 121).<br />
Aber verliert die Forderung nach höherer Bildung durch eine bloße Vorverlagerung<br />
ihrer Begründung tatsächlich ihren idealistischen Charakter? Ist<br />
Bildung ein Wert an sich, der sogar die Herabstufung eines allgemeinpolitischen<br />
Ziels (Aufhebung der Arbeitsteilung) zum bildungspolitischen Mittel<br />
rechtfertigt? Und davon ganz abgesehen: Vermittelt der naturwissenschaftliche<br />
Unterricht überhaupt nennenswerte berufsrelevante Qualifikationen<br />
(von einer <strong>Wissenschaft</strong>lerkarriere einmal abgesehen)? Haben nicht selbst<br />
Ingenieure und Techniker Schwierigkeiten, mit ihren naturwissenschaftlichen<br />
Kenntnissen in der Praxis etwas anfangen zu können? Und erwirbt<br />
nicht speziell der qualifizierte Arbeiter seine berufsrelevanten Kenntnisse<br />
und Fähigkeiten zuallererst in der Ausübung seiner Tätigkeit?<br />
Ähnliche Fragen wirft auch jene andere Begründung für die Vermittlung<br />
von möglichst viel naturwissenschaftlichem Fachwissen auf, derzufolge<br />
den zukünftigen Lohnabhängigen hieraus bessere Chancen für den Verkauf<br />
ihrer Arbeitskraft erwachsen. Daß sich naturwissenschaftliche Bildung so<br />
einfach zu Geld machen läßt, muß schon deshalb bezweifelt werden, weil<br />
der Arbeitsmarkt maßgeblich von der Nachfrage und nicht vom Angebot<br />
her bestimmt ist. Wenn alle Hauptschüler gleichermaßen (und nur darum<br />
kann es ja gehen) mehr naturwissenschaftliche Bildung nachweisen können<br />
(was im übrigen noch nicht heißt, daß sie deshalb für irgendeinen Beruf<br />
tatsächlich auch besser qualifiziert sind), so ändert das an der Nachfrage<br />
nach Arbeitskräften und damit an deren Preisen kaum etwas - mit Ausnahme<br />
vielleicht der naturwissenschaftlichen Spezialberufe, deren Marktwert<br />
wegen Überangebots sinkt. Nur wenn es einzelnen Schülern gelingt, die<br />
Masse ihrer Mitschüler im naturwissenschaftlichen Lernbereich niederzukonkurrieren,<br />
steigen deren individuelle Verkaufschancen; gleichzeitig<br />
sinken aber die entsprechenden Chancen des mehrheitlichen Restes, ein<br />
Effekt, der der vielbeschworenen Solidarität der zukünftigen Lohnabhängigen<br />
kaum förderlich sein dürfte. Der bildungsökonomische Gesamteffekt<br />
einer Intensivierung des naturwissenschaftlichen Unterrichts ist also für die<br />
Arbeiterklasse (nicht dagegen unbedingt für die Wirtschaft) so oder so gleich<br />
Null.<br />
Aber nicht nur der ökonomische, sondern auch der ideologische Effekt<br />
des naturwissenschaftlichen Unterrichts wird von den linken Fachdidaktikern<br />
überschätzt. Das gilt sowohl hinsichtlich der immer nur unterstellten,<br />
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