Reihe SozNat*: Mythos Wissenschaft
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Parteinahme für die Arbeiterklasse (Naumann 1980). Damit markieren sie<br />
in der Geschichte des naturwissenschaftlichen Unterrichts einen entscheidenden<br />
Wendepunkt. Denn niemals zuvor gab es eine nennenswerte Fachdidaktikerfraktion,<br />
die das traditionelle Standesselbstverständnis und damit<br />
zugleich auch das Zunftbündnis mit der Wirtschaft so offen und grundsätzlich<br />
aufgekündigt hat.<br />
Diese historische Leistung wird auch dadurch nicht geschmälert, daß der<br />
faktische Einfluß der linken Fachdidaktik auf die Gestaltung des bundesdeutschen<br />
Naturwissenschaftsunterrichts wohl eher als gering einzuschätzen<br />
ist. Abgesehen von mehr oder weniger versprengten "Einzelkämpfern"<br />
orientiert sich die überwiegende Mehrheit der jungen Naturwissenschaftslehrer<br />
nach wie vor weitgehend am herkömmlichen Fachverständnis [5].<br />
Immerhin aber hat die Ende der 60er Jahre erstmals kritisch gewendete<br />
Einsicht, daß der naturwissenschaftliche Unterricht "über die Vermittlung<br />
eines naturwissenschaftlich-technischen Grundwissens hinaus die Rolle der<br />
Naturwissenschaften und Technik in unserem Leben und unserer Gesellschaft"<br />
bewußt zu machen habe (Steifen 1972, S. 25), mittlerweile soweit<br />
in das Berufsverständnis der naturwissenschaftlichen Lehrer Eingang gefunden,<br />
daß man sogar in offiziellen Entschließungen und staatlichen Richtlinien<br />
auf diesbezügliche Einlassungen stößt [6]. Auch wenn diese Einlassungen<br />
in der Regel nur Feigenblattfunktion haben, so geben sie doch den<br />
besagten Einzelkämpfern eine gewisse Rückendeckung bei ihrem Versuch,<br />
die Konzepte der linken Fachdidaktik wenigstens ansatzweise zu realisieren.<br />
25<br />
Die Schüler als Bündnismasse<br />
Wie ein Blick in die fachdidaktische Literatur zeigt, gibt es zwischen den<br />
aufgezeigten Positionen der etablierten und der linken Naturwissenschaftsdidaktik<br />
kaum einen Übergang. Die etablierte Mehrheit hält die einschlägigen<br />
Fachzeitschriften, Verlage, Verbände, Institutionen, Kommissionen<br />
und Lehrstühle besetzt und straft die kritische Minderheit durch Nichtbeachtung.<br />
Die Dissidenten sind demgegenüber auf einige wenige Existenzund<br />
Publikationsniscqen verwiesen und revanchieren sich dafür mit heftigen<br />
Ausfällen gegen das Establishment. Zwischen diesen beiden Lagern<br />
zerreiben sich einige wenige "Liberale", die meist der älteren Generation<br />
angehören und ihre Distanz zur etablierten Fachdidaktik in der Regel<br />
einem besonderen pädagogischen Engagement und Verständnis für die<br />
Denkweisen und Bedürfnisse der Schüler verdanken (Wagenschein, Schietzel,<br />
[5] Hierbei spielt sicherlich auch die Tatsache eine Rolle, daß die "zweite Phase"<br />
der Lehrerausbildung nahezu lückenlos vom konservativen Standesverband der<br />
mathematisch-naturwissenschaftlichen Fachlehrer, dem "Deutschen Verein zur<br />
Förderung des mathematischen und naturwissenschaftlichen Unterrichts", beherrscht<br />
wird (Stellen 1972, S. 25).<br />
[6] Z. B. Härtel 1976, Der Hessische Kultusminister 1976.