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Reihe SozNat*: Mythos Wissenschaft

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schwörung der staatserhaltenden Funktion des naturwissenschaftlichen<br />

Unterrichts.<br />

Dabei war die Forderung nach Sicherstellung des industriellen Bedarfs<br />

an naturwissenschaftlich-technischen Nachwuchskräften nur der vordergründige<br />

Aufhänger für eine wesentlich weitergehende ideologische Indienstnahme<br />

der Schule. Denn das Erlernen rein fachlichen Wissens erschien speziell<br />

den Wirtschaftsvertretern insofern nur von begrenztem berufsqualifikatorischen<br />

Wert, als es aller Erfahrung nach später ohnehin "neu fundamentiert"<br />

werden müsse. Viel wichtiger sei demgegenüber die schulische<br />

Vermittlung von Freude an Natur und Technik sowie die Einsicht, daß die<br />

Industriegesellschaft etwas "Schönes" und die weitere Erforschung und<br />

industrielle Nutzung der Natur unerläßlich sei. Nur so könne die Schule<br />

ihren Auftrag erfüllen, die Jugend reibungslos in das "Räderwerk der Industriegesellschaft"<br />

einzugliedern (Winnacker 1961).<br />

Diese von der Industrie gewissermaßen als Preis für ihr bildungspolitisches<br />

Engagement angemeldeten Ansprüche wurden von der Fachdidaktik dahingehend<br />

konkretisiert, daß es "gerade im Hinblick auf die auf uns zukommende<br />

Vollautomatisierung der Industrie" gälte, der "perfektionierten<br />

Maschine den perfektionierten Menschen zu ihrer Meisterung" an die Seite<br />

zu stellen, einen Menschen, der "seine Prägung nicht durch ein Übermaß an<br />

Wissen" erhält, sondern vor allem "über ausgezeichnete charakterliche Qualitäten<br />

verfügt" (Mothes 1968, S. 61). Bestanden für konservative Didaktiker<br />

derartige charakterliche Qualitäten noch im wesentlichen in den bekannten<br />

Arbeitstugenden "Gewissenhaftigkeit, Selbstbeherrschung, Entschlossenheit,<br />

Ehrlichkeit, Genauigkeit, Geduld, Ausdauer, Fleiß, Aufmerksamkeit<br />

usw." (ders. S. 95), so ging es aufgeklärteren Fachvertretern schon um<br />

abstraktere Verhaltensqualifikationen: Angesichts der Tatsache, daß es<br />

unter dem "Zwang fortschreitender Technisierung" keine Sicherheit mehr<br />

für die dauernde Verwendbarkeit des Erlernten geben könne, müsse sich<br />

der naturwissenschaftliche Unterricht mehr und mehr an den Qualifikationsmerkmalen<br />

"technische Intelligenz" und "Disponibilität", "Anpassungsfähigkeit"<br />

und "geistige Beweglichkeit" orientieren. Darüberhinaus komme es<br />

ganz wesentlich darauf an, daß "der junge Mensch später in der Berufsund<br />

Arbeitswelt aus freier Selbstbestimmung einen Platz einnehmen kann,<br />

der es ihm ermöglicht, in positiver Hinwendung und verstehender Haltung<br />

am wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Aufbau seiner Umwelt<br />

teilzunehmen" (Jacobs 1971, S. 143 f.).<br />

Derartige ideologische Vorleistungen für die stromlinienförmige Einpassung<br />

des Individuums in die je herrschenden gesellschaftlichen Verhältnisse<br />

waren indes nicht nur reine Zugeständnisse der Naturwissenschaftsdidaktik<br />

an die bildungspolitischen Bündnispartner. Vielmehr konnte man so auch<br />

die eigenen Forderungen nach Vermittlung naturwissenschaftlicher Grundkenntnisse<br />

auch an jene Schüler rechtfertigen, die hierfür in ihrem späteren<br />

beruflichen Leben keinerlei Verwendung haben würden.<br />

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