Reihe SozNat*: Mythos Wissenschaft
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von Morgen zurechtfinden und vor deren immer komplexeren beruflichen und gesellschaftlichen Ansprüchen bestehen. Die zunehmende Verwissenschaftlichung aller gesellschaftlichen Teilbereiche wurde also ohne Umschweife auf die individuelle Existenz eines jeden einzelnen Gesellschaftsmitgliedes projiziert, dessen berufliche Qualifikation ebenso wie seine politische und kulturelle Teilhabe nur durch die Verfügung über die Ergebnisse, Methoden und Denkweisen der Wissenschaft in ihrer jeweils gerade gültigen paradigmatischen Form sicherstellbar erschien. Der Umstand, daß dabei dem Unterricht in den Naturwissenschaften als Grundlage des wissenschaftlichtechnischen Wandels und Inbegriff exakter Wissenschaftlichkeit ein besonderer Stellenwert zukommen mußte, machte die allgemeine Pädagogik erstmals zum bildungspolitischen Bündnispartner der naturwissenschaftlichen Fachdidaktik. Angesichts dieser Entwicklung sollte man annehmen, daß sich der naturwissenschaftliche Unterricht gegenwärtig auf dem Höhepunkt seiner Geschichte befindet. Statt dessen ist allerorten von Krise die Rede, einer Krise, die vor allem an der negativen Reaktion der Schüler auf die Lernangebote des Physik- und Chemieunterrichts und an der zunehmenden, als "Technikfeindlichkeit" denunzierten Kritikbereitschaft immer größerer Teile der Jugend gegenüber den geistigen und materiellen Errungenschaften von Wissenschaft und Technik festgemacht wird (Speichert 1982). Davon nicht unberührt wächst auch unter den Fachlehrern das Unbehagen an einem Unterricht, der lediglich das herrschende Wissenschaftsbild unkritisch nachzeichnet, ja sich häufig genug sogar allzu willig in die Gegenpropaganda zu den immer zahlreicheren wissenschafts- und technikkritischen Umweltinitiativen einspannen läßt. Dabei konzentrieren sich die Vorbehalte dieser Lehrerfraktion vor allem auf das Prinzip der Wissenschaftsorientierung, das durch die Ausrichtung des Unterrichts an der Systematik der "reinen" Fachwissenschaften ein echtes Eingehen auf die Erfahrungen und Probleme der Jugendlichen mit Natur und Technik weitgehend ausschließt. Im folgenden soll daher versucht werden, einige der gängigsten Begründungen für die scheinbar so unumgängliche Ausweitung und Verwissenschaftlichung des Naturunterrichts an unseren Schulen auf ihre Stichhaltigkeit zu hinterfragen. 9 Berufliche Höherqualifikation Eines der gewichtigsten Verwissenschaftlichungsargumente, das vor allem den geradezu raketenhaften Aufstieg der schulischen Naturwissenschaften gegen Ende der 60er Jahre begleitet hat, war das Postulat von der Notwendigkeit einer allgemeinen wissenschaftlich-technischen Höherqualifikation sämtlicher mit der Fertigung und Anwendung moderner technischer Produkte beschäftigter Arbeitnehmer. Dieses Höherqualifikationspostulat stand auch bei der in denselben Zeitraum fallenden Verlängerung der Pflichtschulzeit sowie der massiven Anhebung der Übergangsquoten in weitergehende
• 10 Bildungseinrichtungen Pate und fungierte gleichermaßen als Bezugspunkt für die Konstatierung einer "Bildungskatastrophe" wie als Motor der darauf folgenden Bildungsreform. Erst als diese Reform auf ihre politischen und ökonomischen Grenzen zu stoßen begann, setzte eine über bloße Plausibilitätsüberlegungen hinausgehende empirische Überprüfung des Höherqualifikationspostulats ein - mit dem Ergebnis, daß die zunehmende Mechanisierung und Automatisierung der Produktion zwar tatsächlich die zunächst angenommene Steigerung der beruflichen Qualifikationsanforderungen zur Folge hat, dies jedoch nur für einen relativ kleinen Teil der Beschäftigten. Demgegenüber wurde für die große Mehrheit industrieller Arbeitsplätze eher eine Tendenz zur Dequalifikation prognostiziert [4]. Auf diesen alarmierenden Befund reagierte die Pädagogik indes erst, als die damit verbundenen Widersprüche im Verhältnis von Bildungs- und Beschäftigungssystem unübersehbar wurden. Während die allgemeine Pädagogik mit dem Abschied vom Höherqualifikationspostulat auch zum Prinzip der Wissenschaftsorientierung Stück für Stück auf Distanz ging, hielt die naturwissenschaftliche Fachdidaktik unverdrossen daran fest, hätte doch seine Widerrufung die gerade erst mühsam errungene "Anerkennung" bzw. "Gleichberechtigung" der Naturwissenschaften im Kanon der Fächer erneut gefährdet. Lediglich die diesbezüglichen Rechtfertigungsmuster wurden ausgewechselt, indem man die Notwendigkeit einer hohen naturwissenschaftlichen Qualifikation der Jugend nunmehr unter auffälliger Absehung von direkten Produktionsbezügen primär mit dem allgemeingesellschaftlichen Wert wissenschaftlicher Kenntnisse und Fähigkeiten begründete. Dabei kam der Fachdidaktik die zunehmende Politisierung der Umwelt- und Kernkraftbewegung zugute, konnte sie sich doch vor diesem Hintergrund - ihrer eher apolitischen Grundeinstellung entsprechend - der öffentlichkeit als zuverlässiger schulischer Sachwalter von besonnener "Sachlichkeit" und kühler "Rationalität" präsentieren. Insbesondere den amtierenden Bildungspolitikern, die durch eine immer aufmüpfigere Jugend in wachsendem Maße unter Handlungsdruck geraten waren, empfahl sich der naturwissenschaftliche Unterricht als ruhender Pol in der aufgewühlten Bildungslandschaft. Politische Teilhabe Indem man in diesem Sinne grundlegende naturwissenschaftlich-technische Kenntnisse zur unerläßlichen Voraussetzung politischer Mitsprache bei den Zukunftsfragen unserer Gesellschaft emporstilisierte, ließ sich nicht nur die erwünschte Entpolitisierung der Schule (durch die zunehmende Vermittlung von "neutralen" Sachkenntnissen), sondern auch die technokratische Verkürzung des herrschenden Politikverständnisses vorantrei- [4) Einen zusammenfassenden Überblick über die bildungsrelevanten Ergebnisse der Qualiflkationsforschung gibt Markert (1974).
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von Morgen zurechtfinden und vor deren immer komplexeren beruflichen<br />
und gesellschaftlichen Ansprüchen bestehen. Die zunehmende Verwissenschaftlichung<br />
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auf die individuelle Existenz eines jeden einzelnen Gesellschaftsmitgliedes<br />
projiziert, dessen berufliche Qualifikation ebenso wie seine politische<br />
und kulturelle Teilhabe nur durch die Verfügung über die Ergebnisse,<br />
Methoden und Denkweisen der <strong>Wissenschaft</strong> in ihrer jeweils gerade gültigen<br />
paradigmatischen Form sicherstellbar erschien. Der Umstand, daß dabei dem<br />
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Fachdidaktik.<br />
Angesichts dieser Entwicklung sollte man annehmen, daß sich der naturwissenschaftliche<br />
Unterricht gegenwärtig auf dem Höhepunkt seiner Geschichte<br />
befindet. Statt dessen ist allerorten von Krise die Rede, einer Krise,<br />
die vor allem an der negativen Reaktion der Schüler auf die Lernangebote<br />
des Physik- und Chemieunterrichts und an der zunehmenden, als "Technikfeindlichkeit"<br />
denunzierten Kritikbereitschaft immer größerer Teile der<br />
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und Technik festgemacht wird (Speichert 1982). Davon nicht unberührt<br />
wächst auch unter den Fachlehrern das Unbehagen an einem Unterricht,<br />
der lediglich das herrschende <strong>Wissenschaft</strong>sbild unkritisch nachzeichnet,<br />
ja sich häufig genug sogar allzu willig in die Gegenpropaganda zu den<br />
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vor allem auf das Prinzip der <strong>Wissenschaft</strong>sorientierung, das durch<br />
die Ausrichtung des Unterrichts an der Systematik der "reinen" Fachwissenschaften<br />
ein echtes Eingehen auf die Erfahrungen und Probleme der Jugendlichen<br />
mit Natur und Technik weitgehend ausschließt. Im folgenden soll<br />
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Berufliche Höherqualifikation<br />
Eines der gewichtigsten Verwissenschaftlichungsargumente, das vor allem<br />
den geradezu raketenhaften Aufstieg der schulischen Naturwissenschaften<br />
gegen Ende der 60er Jahre begleitet hat, war das Postulat von der Notwendigkeit<br />
einer allgemeinen wissenschaftlich-technischen Höherqualifikation<br />
sämtlicher mit der Fertigung und Anwendung moderner technischer Produkte<br />
beschäftigter Arbeitnehmer. Dieses Höherqualifikationspostulat stand<br />
auch bei der in denselben Zeitraum fallenden Verlängerung der Pflichtschulzeit<br />
sowie der massiven Anhebung der Übergangsquoten in weitergehende