hgk Z intern interviews mit giaco schiesser und frédéric dedelley auf ...
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16 <strong>hgk</strong>z<strong>intern</strong>3/07<br />
Pascal Hofmann (links) <strong>und</strong> Benny Jaberg (rechts) erhielten den ersten, Caroline<br />
Sipos (<strong>mit</strong>te) den zweiten Dokumentarfilmpreis der Alexis Victor Thalberg<br />
Stiftung. Fotografie: Betty Fleck<br />
anderen Medien vergleichbar ist, nämlich <strong>mit</strong> dem der Collage,<br />
des assoziativen Zusammenfügens von unterschiedlichen<br />
Materialien. Dokumentarisches Rohmaterial wirkt in<br />
seiner Mischung aus geplanten <strong>und</strong> improvisierten Ergebnissen<br />
höchst uneinheitlich. Man muss diesem Material<br />
eine Struktur, eine Form geben, es respektieren <strong>und</strong> in der<br />
Montage zur Geltung bringen. Das ist eine grosse künstlerische<br />
Herausforderung. Sie bedingt die Anstrengung von<br />
(oft) langen gedanklichen <strong>und</strong> emotionalen Prozessen, die<br />
Dokumentarfilmer/innen durchleben müssen, bis sie herausfinden,<br />
was ihr Material erzählen kann <strong>und</strong> was es nicht<br />
zu erzählen vermag.<br />
Der Dokumentarfilm verlangt ein sehr grosses Mass an<br />
Neugierde <strong>und</strong> Engagement, das viele Leute unterschätzen.<br />
Für Dokumentarfilmer/innen ist das real stattfindende<br />
Leben der unerschöpfliche F<strong>und</strong>us für ihre Arbeit. Voraussetzung<br />
dafür ist ein unablässiges Beobachten realer<br />
Menschen, realer Orte <strong>und</strong> Geschichten. Dokumentarfilmer/innen<br />
müssen <strong>auf</strong> ständiger Suche sein nach unverwechselbaren,<br />
sprich authentischen Momenten, einem<br />
aussergewöhnlichen Lachen oder Weinen beispielsweise,<br />
nach erkennbarer rationaler <strong>und</strong> gleichzeitig emotionaler<br />
Glaubwürdigkeit.<br />
Wie ist es möglich, die Realität so zu dokumentieren, dass<br />
sie authentisch ist <strong>und</strong> daher glaubwürdig? Wie findet man<br />
wahrhafte Momente, die die nötige filmische Kraft haben,<br />
ein Publikum in den Bann zu ziehen? Die Auftraggeber<br />
eines jeden Films sind die Zuschauer/innen. Ihr Auftrag an<br />
einen Dokumentarfilm lautet – ich zitiere hier den deutschen<br />
Dokumentarfilmer Thomas Schadt: „Zeig mir ein<br />
Stück Realität in der Art, dass ich sowohl dir als auch deiner<br />
dokumentarischen Realität glaube, oder noch besser: Zeig<br />
mir, dass ich dir glaube <strong>und</strong> deshalb auch deiner dokumentarischen<br />
Realität.“ 1<br />
Der Dokumentarfilm beschäftigt sich <strong>mit</strong> Realitäten, in der<br />
Regel <strong>mit</strong> nonfiktionalen Realitäten. Man kann auch sagen,<br />
Realität gibt es im Dokumentarfilm wie im Spielfilm, nur<br />
zeigt sie sich anders. Vilém Flusser definiert diesen Unterschied<br />
so:<br />
„Betrachtet man im Kino den Unterschied zwischen der<br />
Wochenschau 2 <strong>und</strong> dem dar<strong>auf</strong> folgenden Film, ist man<br />
verleitet, ihn folgendermassen zu definieren: Die Wochenschau<br />
stellt etwas dar, zum Beispiel ein öffentliches Ereignis,<br />
der Film stellt etwas vor, zum Beispiel Episoden aus<br />
dem Liebesleben fiktiver Personen. Der Unterschied zwischen<br />
Vorstellung <strong>und</strong> Darstellung wäre seinerseits folgender:<br />
Bei der Darstellung wird – wenn auch nur <strong>mit</strong>telbar,<br />
nämlich <strong>mit</strong>tels eines Films – die Wirklichkeit empfangen.<br />
Bei der Vorstellung ver<strong>mit</strong>telt der Film nicht Wirklichkeit,<br />
sondern eine Fiktion, welche <strong>auf</strong> die Wirklichkeit deutet.<br />
Der Unterschied lässt sich auch folgendermassen formulieren:<br />
Bei der Darstellung kommt irgendwie die Wirklichkeit<br />
zum Vorschein. Bei der Vorstellung kommen Symbole zum<br />
Vorschein, welche die Wirklichkeit bedeuten.“ 3<br />
Seit Flusser über den Unterschied zwischen Dokumentarfilm<br />
<strong>und</strong> Spielfilm nachdachte, sind viele Filme entstanden,<br />
die genau diese Grenzen zwischen Darstellung <strong>und</strong> Vorstellung,<br />
zwischen Realität <strong>und</strong> Fiktion ausloten. Der Dokumentarfilm<br />
braucht keine Abgrenzung gegenüber anderen<br />
Genres. Im Gegenteil: Oft wird er gerade zu seinen Grenzen<br />
hin interessant. Je radikaler man arbeitet, desto selbstverständlicher<br />
verwischen die Grenzen zwischen Realität <strong>und</strong><br />
Fiktion, zwischen Selbstinszenierung <strong>und</strong> Fremdinszenierung,<br />
zwischen dem, was ist, <strong>und</strong> dem, was die Wirklichkeit<br />
vertritt.<br />
2002 wurde die Documenta 11 in Kassel wegen ihres bemerkenswerten<br />
Aufgebots an Dokumentarfilmen <strong>mit</strong> einem<br />
Filmfestival verglichen. Der damalige Leiter der Documenta<br />
11, Okwui Enwezor, wollte als erster Nichteuropäer in diesem<br />
Amt die westlich geprägte Kunstszene ein wenig <strong>auf</strong>mischen.<br />
Für Enwezor hat Kunst eindeutig <strong>mit</strong> sozialkritischen<br />
Themen zu tun. 4 Umgekehrt verdrängen manche Entwicklungen<br />
im Quoten-Fernsehen von heute den künstlerischen<br />
Dokumentarfilm aus seinen Programmen. Dokumentarfilmerinnen<br />
<strong>und</strong> -filmer suchen daher neue Plattformen <strong>und</strong><br />
platzieren ihre Arbeiten auch in Kunstausstellungen.<br />
Deshalb macht es Sinn, dass eine Kunsthochschule <strong>auf</strong> diese<br />
Entwicklungen reagiert. Die Dozierenden der Hochschule<br />
für Gestaltung <strong>und</strong> Kunst nehmen die Herausforderung<br />
durch den Thalberg-Dokumentarfilmpreis an. Wir ermuntern<br />
alle Studierenden der <strong>hgk</strong>z, sich <strong>mit</strong> dem Dokumentarfilm<br />
auseinanderzusetzen, sich zu erproben <strong>und</strong> kreativ <strong>auf</strong><br />
Realitäten zu reagieren. Der Dokumentarfilmpreis richtet<br />
sich an alle Studierende der <strong>hgk</strong>z, egal welcher Studienrichtung.<br />
Es können Dokumentarfilme von beliebiger Länge<br />
eingereicht werden.<br />
1 Schadt, T. (2002): Das Gefühl des Augenblicks – Zur Dramaturgie des Dokumentarfilms,<br />
S. 24.<br />
2 Die Kino-Wochenschauen wurden als Vorprogramm zum eigentlichen<br />
Hauptfilm gezeigt <strong>und</strong> waren eine für das Kino produzierte, wöchentlich neu<br />
erstellte Zusammenstellung von Filmberichten über politische, gesellschaftliche<br />
<strong>und</strong> kulturelle Ereignisse. Sie wurden überflüssig, als Fernsehnachrichten<br />
ähnlichen Zuschnitts dieselbe Aufgabe erfüllten. Siehe auch http://<br />
de.wikipedia.org/wiki/Wochenschau.<br />
3 Zu Vilém Flusser siehe auch http://flusser.khm.de.<br />
4 http://kassellexikon.hna.de/Documenta11.Jury_<strong>und</strong>_Preise<br />
Der Einreichtermin für den 2. Alexis Victor Thalberg Dokumentarfilmpreis<br />
wird im November 2007 bekannt gegeben.<br />
* Prof. Marille Hahne ist Studiengangsleiterin Film BA/MA (marille.hahne@<br />
<strong>hgk</strong>z.ch).