Influenza: Influenza: - Pädiatrix

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06.11.2014 Aufrufe

Sexueller Missbrauch von Kindern Medizinischer Kinderschutz erfordert multiprofessionelle Zusammenarbeit Quelle: Dr. B. Herrmann von Angelika Bauer-Delto Sexueller Kindesmissbrauch bezeichnet nach § 176 StGB sexuelle Handlungen mit, an oder vor einer Person unter 14 Jahren. Sowohl ein nicht erkannter sexueller Kindesmissbrauch als auch falsche Anschuldigungen können verheerende Folgen für das betroffene Kind und die ganze Familie haben. Dem Kinder- und Jugendarzt kommt hier eine beträchtliche Verantwortung zu. Der medizinische Kinderschutz war daher Schwerpunkt des Symposiums „Evidenz des Vorgehens bei sexuellem Kindesmissbrauch“ anlässlich der 108. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin im vergangenen September in Hamburg. Ärzte sind oft unsicher, wie sie weiter vorgehen sollen, wenn sie von Eltern oder Kind ins Vertrauen gezogen werden oder wenn sie selbst Anhaltspunkte für einen sexuellen Missbrauch sehen. Ein wichtiger erster Schritt ist dann eine Beratung des Arztes beim Jugendamt (siehe Kasten Seite 5). Bei Verdacht auf sexuellen Kindesmissbrauch sei stets ein multiprofessioneller Kinderschutz gefragt, betonte Dr. Bernd Herrmann, Leiter der Ärztlichen Kinderschutzambulanz am Klinikum Kassel. Die medizinische Diagnostik sei dabei ein wichtiger Baustein. Zur Abklärung des Verdachts und für die weitere Betreuung des Kindes sei eine interdisziplinäre Zusammenarbeit von Ärzten, Psychologen und sozialen Einrichtungen unerlässlich. Aussage des Kindes entscheidend Die Diagnosestellung eines sexuellen Missbrauchs sei sehr komplex, denn: „Es gibt kein spezifisches Missbrauchssyndrom und nur selten stark hinweisende und noch seltener beweisende Symptome“, betonte Herrmann. Hinweise auf einen möglichen Missbrauch können sexualisierte Verhaltensweisen und Äußerungen des Kindes oder eine Ablehnung des eigenen Körpers sein. Auch plötzliche Verhaltensänderungen wie Rückzug oder Aggression, Rückfall in Kleinkindverhalten, Essstörungen, Schlafstörungen, Angstzustände, Albträume oder nachlassende Schulleistungen können Folge einer Missbrauchssituation sein. Somatische Beschwerden im Anogenitalbereich oder Schmerzen bei der Miktion können hinzukommen. Solche Auffälligkeiten sind jedoch unspezifisch und müssen daher sorgfältig differenzialdiagnostisch abgeklärt werden, empfahl Herrmann. „Die Diagnose des sexuellen Missbrauchs basiert im Wesentlichen auf der qualifiziert und einfühlsam erhobenen Aussage des Kindes, die jedoch keinesfalls durch suggestive Fragen beeinflusst werden darf“, betonte der Experte. Eindeutige körperliche Befunde sind selten. Umfangreiche Studiendaten (z.B. [2]) belegen, dass 90 bis 95 Prozent der Kinder, die aufgrund Pädiatrix 4/2012

5 Neue Rechtslage bei Verdacht auf sexuellen Missbrauch Das Bundeskinderschutzgesetz (BKiSchG), das am 1. Januar 2012 in Kraft getreten ist, regelt unter anderem das Vorgehen von Ärzten und anderen Berufsgeheimnisträgern bei Verdacht auf Kindeswohlgefährdung [1]. Das vom Gesetz vorgeschriebene Vorgehen ist mehrstufig aufgebaut: Ergeben sich bei der Ausübung der beruflichen Tätigkeit gewichtige Anhaltspunkte für die Gefährdung des Wohles eines Kindes oder Jugendlichen, ist zunächst mit dem Betroffenen beziehungsweise dem Sorgeberechtigten die Situation zu erörtern und auf die Inanspruchnahme von Hilfsangeboten hinzuwirken, soweit der Schutz des Kindes oder Jugendlichen dies zulässt (BKiSchG §4, Absatz 1). Gleichzeitig hat der Arzt einen Anspruch auf Beratung bei einer erfahrenen Fachkraft der öffentlichen Jugendhilfe und darf hierzu die erforderlichen Daten pseudonymisiert an das Jugendamt weitergeben (BKiSchG § 4, Absatz 2). Kann ein Gespräch mit den Betroffenen die Gefährdung nicht abwenden und/oder hält der Arzt ein Eingreifen der Behörden für notwendig, ist der Arzt befugt, das Jugend amt einzuschalten und die erforderlichen Daten zu übermitteln. Eltern und Kind beziehungsweise Jugendlicher müssen darüber vorab informiert werden, es sei denn, dass dadurch der Schutz des Kindes oder Jugendlichen gefährdet wird (BKiSchG § 4, Absatz 3). eines Verdachts auf sexuellen Missbrauch untersucht werden, körperliche Normalbefunde aufweisen. Selbst nach berichteter Penetration finden sich nur selten Befunde im Genitalbereich [3]. Ein Missbrauch von Kindern findet sehr häufig ohne physische Gewalt, sondern unter psychischem Druck statt. Meist müssen die Kinder Berührungen über sich ergehen lassen, ohne dass es zu einer Penetration kommt, sie werden zu sexuellen Handlungen am Täter gezwungen oder für pornografische Zwecke missbraucht. Deshalb weisen nur einige der Opfer offensichtliche frische oder alte Verletzungen als Folge des Missbrauchs auf. Zudem wird die Mehrzahl der betroffenen Kinder nicht akut vorgestellt. Oberflächliche Verletzungen im Genitalbereich heilen jedoch rasch und sind schon nach wenigen Tagen nicht mehr nachweisbar. In Fällen, in denen eine medizinische Untersuchung hinweisende oder forensisch bedeutsame Befunde erbringt, können diese die Diagnose eines sexuellen Missbrauchs sichern helfen, indem sie die Aussagen des Opfers untermauern oder gar ersetzen. Verletzungen oder Infektionen müssen selbstverständlich behandelt werden, bei älteren Mädchen ist zudem die Möglichkeit einer Schwangerschaft zu überprüfen. Normalbefunde dagegen schließen einen Missbrauch keinesfalls aus und dürfen kein Anlass sein, an der Glaubwürdigkeit von klaren Aussagen des Kindes zu zweifeln, betonte Herrmann. Therapeutischer Wert der medizinischen Diagnostik Nicht selten befürchten Eltern oder zuweisende Institutionen, dass eine medizinische Untersuchung für das Kind eine zusätzliche Traumatisierung bedeuten könnte. Der emotionale Stress ist jedoch in der Regel geringer als angenommen [4]. Unter entsprechenden Voraussetzungen sei die körperliche Untersuchung nicht nur nicht traumatisierend, sondern besitze sogar ein „quasi-therapeutisches Potenzial“ und könne zur psychischen Gesundung des Kindes beitragen, erklärte Herrmann: Betroffene Kinder weisen als Folge des Missbrauchs häufig ein verzerrtes und gestörtes Körperselbstbild auf. Für sie kann es sehr entlastend sein, wenn der Kinderarzt ihnen als glaubwürdige Autorität versichert, dass ihr Körper normal, physisch unbeschädigt und intakt ist oder dass Aussicht auf Heilung besteht. Mit Zeit, Geduld und Einfühlsamkeit Die medizinische Diagnostik setzt profunde Kenntnisse über das korrekte Vorgehen und die richtige Interpretation der Befunde voraus [5]. Die Befunderhebung sollte auch den Anforderungen an ein gerichtsverwertbares Gutachten aus forensischer Sicht entsprechen [6]. Die Anamnese von Kind und Begleitperson sollte getrennt erfolgen und auch vom Missbrauch unabhängige pädiatrische Aspekte umfassen, um den Fokus nicht allein auf die sexuelle Gewalt zu lenken und körperliche Befunde differenzialdiagnostisch einordnen zu können. Oft sei es jedoch nicht erforderlich oder ratsam, sämtliche missbrauchspezifischen Details zu erfragen, sagte Herrmann. Fragen an das Kind dürfen nicht suggestiv sein; bewährt haben sich hier strukturierte Fragebogen. Ein körperlicher Normalbefund schließt sexuelle Übergriffe keinesfalls aus. Missbrauch Pädiatrix 4/2012

Sexueller Missbrauch von Kindern<br />

Medizinischer Kinderschutz<br />

erfordert<br />

multiprofessionelle<br />

Zusammenarbeit<br />

Quelle: Dr. B. Herrmann<br />

von<br />

Angelika Bauer-Delto<br />

Sexueller Kindesmissbrauch<br />

bezeichnet<br />

nach § 176 StGB<br />

sexuelle Handlungen<br />

mit, an oder vor<br />

einer Person<br />

unter 14 Jahren.<br />

Sowohl ein nicht erkannter sexueller Kindesmissbrauch<br />

als auch falsche Anschuldigungen<br />

können verheerende Folgen für das betroffene<br />

Kind und die ganze Familie haben. Dem Kinder-<br />

und Jugendarzt kommt hier eine beträchtliche<br />

Verantwortung zu. Der medizinische<br />

Kinderschutz war daher Schwerpunkt des<br />

Symposiums „Evidenz des Vorgehens bei sexuellem<br />

Kindesmissbrauch“ anlässlich der 108.<br />

Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für<br />

Kinder- und Jugendmedizin im vergangenen<br />

September in Hamburg.<br />

Ärzte sind oft unsicher, wie sie weiter vorgehen<br />

sollen, wenn sie von Eltern oder Kind ins<br />

Vertrauen gezogen werden oder wenn sie selbst<br />

Anhaltspunkte für einen sexuellen Missbrauch<br />

sehen. Ein wichtiger erster Schritt ist dann eine<br />

Beratung des Arztes beim Jugendamt (siehe Kasten<br />

Seite 5).<br />

Bei Verdacht auf sexuellen Kindesmissbrauch<br />

sei stets ein multiprofessioneller Kinderschutz<br />

gefragt, betonte Dr. Bernd Herrmann,<br />

Leiter der Ärztlichen Kinderschutzambulanz<br />

am Klinikum Kassel. Die medizinische Diagnostik<br />

sei dabei ein wichtiger Baustein. Zur<br />

Abklärung des Verdachts und für die weitere<br />

Betreuung des Kindes sei eine interdisziplinäre<br />

Zusammenarbeit von Ärzten, Psychologen und<br />

sozialen Einrichtungen unerlässlich.<br />

Aussage des Kindes entscheidend<br />

Die Diagnosestellung eines sexuellen Missbrauchs<br />

sei sehr komplex, denn: „Es gibt kein<br />

spezifisches Missbrauchssyndrom und nur selten<br />

stark hinweisende und noch seltener beweisende<br />

Symptome“, betonte Herrmann.<br />

Hinweise auf einen möglichen Missbrauch<br />

können sexualisierte Verhaltensweisen und Äußerungen<br />

des Kindes oder eine Ablehnung des<br />

eigenen Körpers sein. Auch plötzliche Verhaltensänderungen<br />

wie Rückzug oder Aggression,<br />

Rückfall in Kleinkindverhalten, Essstörungen,<br />

Schlafstörungen, Angstzustände, Albträume<br />

oder nachlassende Schulleistungen können Folge<br />

einer Missbrauchssituation sein. Somatische Beschwerden<br />

im Anogenitalbereich oder Schmerzen<br />

bei der Miktion können hinzukommen. Solche<br />

Auffälligkeiten sind jedoch unspezifisch und<br />

müssen daher sorgfältig differenzialdiagnostisch<br />

abgeklärt werden, empfahl Herrmann. „Die Diagnose<br />

des sexuellen Missbrauchs basiert im<br />

Wesentlichen auf der qualifiziert und einfühlsam<br />

erhobenen Aussage des Kindes, die jedoch<br />

keinesfalls durch suggestive Fragen beeinflusst<br />

werden darf“, betonte der Experte.<br />

Eindeutige körperliche Befunde sind selten.<br />

Umfangreiche Studiendaten (z.B. [2]) belegen,<br />

dass 90 bis 95 Prozent der Kinder, die aufgrund<br />

Pädiatrix 4/2012

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