ASI Pressespiegel - SBK Sektion Zentralschweiz
ASI Pressespiegel - SBK Sektion Zentralschweiz
ASI Pressespiegel - SBK Sektion Zentralschweiz
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
<strong>SBK</strong><br />
<strong>ASI</strong><br />
<strong>Pressespiegel</strong><br />
2009<br />
*<br />
<strong>SBK</strong> <strong>Sektion</strong> <strong>Zentralschweiz</strong><br />
Das Pressejahr war geprägt<br />
von Berichten über den<br />
bevorstehenden<br />
Personalmangel im<br />
Gesundheitswesen<br />
sowie die Übergriffe im<br />
Pflegeheim Entlisberg ZH<br />
Pflegeheim-Skandal:<br />
Grosse Untersuchung<br />
Zürich. - Der Missbrauch von Patientinnen<br />
im Pflegezentrum Entlisberg hat weitreichende<br />
Konsequenzen. Am Donnerstagabend<br />
kündigte das städtische Gesundheitsdepartement<br />
eine Administrativuntersuchung<br />
gegen die ganze Abteilung<br />
an, in der drei Mitarbeitende nackte demente<br />
Patientinnen mit dem Handy gefilmt<br />
hatten. Dabei geht es laut der TV-Sendung<br />
«10 vor 10» um die Frage, wer von den<br />
Handyfilmen wusste, und ob allenfalls ein<br />
Kadermitarbeiter davon Kenntnis hatte. Im<br />
Entlisberg gilt seit langem ein Handyverbot,<br />
wie Kurt Meier, der Direktor der städtischen<br />
Pflegezentren, sagte. Dessen Missachtung<br />
führt er auf «eher large» Kontrollen<br />
zurück. Vorerst nicht erhärtet hat sich<br />
der Verdacht gegen einen Pfleger, dem<br />
Diebstahl vorgeworfen wurde, (sch)<br />
Verbot hat nichts genützt, Seite 13<br />
Filipinas<br />
für die Pflege<br />
Hilfe aus dem Ausland<br />
gegen Personalmangel<br />
BERN Die kantonale Gesundheitsdirektorenkonferenz<br />
und die<br />
Dachorganisation der Arbeitswelt<br />
Gesundheit (Odasante) prüfen,<br />
philippinische Pflegefachkräfte in<br />
die Schweiz zu holen. Dies ist eine<br />
von mehreren Massnahmen, um<br />
den drohenden Personalmangel<br />
in Spitälern und Heimen<br />
abzuwenden. Laut einer Studie<br />
werden in der Pflege und in der<br />
Therapie innerhalb der nächsten<br />
zehn Jahre zusätzlich 25000<br />
Fächkräfte benötigt. Filipinas<br />
seien sehr gut ausgebildet, sagt<br />
Franz Wyss, Zentralsekretär der<br />
kantonalen Gesundheitsdirektorenkonferenz<br />
(GDK).<br />
Hansueli Mösle, Direktor des<br />
Heimverbands Curaviva, steht<br />
einer allfälligen Rekrutierung<br />
philippinischer Pflegefachkräfte<br />
positiv gegenüber. Er setzt voraus,<br />
dass sie Deutsch sprechen.<br />
Kritischer ist das Rote Kreuz:<br />
Statt ärmeren Ländern Pflegepersonal<br />
abzuwerben, soll Pflegehelfern<br />
aus der Schweiz der Zugang<br />
zu qualifizierter Ausbildung<br />
erleichtert werden. Bund und<br />
Kantone prüfen unter anderem,<br />
mehr Ausbildungsplätze für das<br />
Pflegepersonal anzubieten.
Betagtenzentrum<br />
Eichhof<br />
Eine sorgsamePflege<br />
Unheilbar Kranken einen Ort<br />
bieten, wo sie gut umsorgt<br />
und in Würde ihre letzte<br />
Lebensphase verbringen<br />
können: Das will eine neue<br />
Spezialabteilung.<br />
VON RUTH SCHNEIDER<br />
Ein 38-jähriger unheilbar Krebskranker<br />
weiss, dass er nur noch wenige<br />
Monate zu leben hat. Spitalpflege benötigt<br />
er nicht mehr. Der Kontakt mit<br />
seinen Angehörigen ist schwierig. Muss<br />
er nun allein in seiner Wohnung die<br />
letzten Wochen verbringen? Nicht<br />
zwingend. Denn für jüngere und ältere<br />
Menschen in dieser und ähnlichen<br />
Situationen schafft die Stadt Luzern ein<br />
neues Angebot. Sie eröffnet Mitte Januar<br />
2009 im soeben neu umgebauten<br />
Pflegeheim im Betagtenzentrum Eichhof<br />
eine Palliativabteilung. Diese ist ein<br />
Ort, wo das Leben in der letzten Phase<br />
bis zum Schluss lebenswert sein soll.<br />
Das Leiden lindern<br />
«In der Palliativabteilung soll nicht<br />
nur das Medizinisch-Pflegerische im<br />
Vordergrund stehen, sondern vor allem<br />
auch die soziale, psychische und religiös-spirituelle<br />
Begleitung des Patienten»,<br />
sagt Susanne Imfeid-Johner (56),<br />
die Leiterin dieser Abteilung. Aus ihrer<br />
langjährigen Erfahrung als Pflegefachfrau<br />
weiss sie: «Jeder Mensch hat das<br />
«Die Arbeit mit Sterbenden<br />
kann beiastend sein.<br />
Sie ist aber auch sehr<br />
bereichernd.»<br />
LEITERIN<br />
SUSANNE<br />
IMFELD-JOHNER,<br />
PALLIATIVABTEILUNG<br />
Bedürfnis, schmerzfrei und in Würde zu<br />
sterben.» Eine gute Schmerzlinderung<br />
sei zentral. Das könne auch heissen,<br />
dass zum Beispiel Menschen, die ihre<br />
letzte Lebensphase umsorgt von Angehörigen<br />
und der Spitex zu Hause verbringen,<br />
«für eine optimale Einstellung<br />
der Schmerzmedikamente oder zur<br />
Entlastung der Angehörigen für eine<br />
kurze Zeit auf unsere Abteilung kommen<br />
können».<br />
Für die ganze <strong>Zentralschweiz</strong><br />
Die neue Palliativabteilung verfügt<br />
über 14 Plätze. In den ersten zwei<br />
Jahren der Pilotphase wird sie aber nur<br />
sieben Plätze anbieten; die anderen<br />
sieben Plätze sind eine normale Pflegeabteilung.<br />
Zugewiesen werden die Patienten<br />
von Spitälern, Hausärzten und<br />
der Spitex. Patienten und Angehörige<br />
können sich auch direkt erkundigen.<br />
Die Abteilung steht nicht nur Patienten<br />
im Erwachsenenalter aus Stadt und<br />
Agglomeration Luzern offen, sondern<br />
für die ganze <strong>Zentralschweiz</strong>. Das Altersspektrum<br />
wird breit sein; gerechnet<br />
wird vor allem auch mit jüngeren<br />
Menschen, die sich bisher auf einer<br />
Pflegeabteilung in einem Betagtenzentrum<br />
eher fremd fühlten. Die Aufenthaltsdauer<br />
wird wenige Tage bis einige<br />
Monate sein. Die Kosten: Zusätzlich zu<br />
den normalen Pflegetaxen zahlen Patienten<br />
dieser spezialisierten Abteilung<br />
pro Tag einen Zuschlag von 50 Franken.<br />
Zusammen mit Angehörigen<br />
Wie wird der Alltag auf der Palliativabteilung<br />
aussehen?<br />
__<br />
Ruth Kreienbühl Vogel<br />
(58), Projektleiterin<br />
und stellvertretende<br />
Abteilungsleiterin,<br />
sagt: «Alle Patientinnen<br />
und Patienten<br />
haben ein<br />
Einzelzimmer. Es besteht<br />
auch die Mög-<br />
<br />
lichkeit, dass ein Angehöriger hier übernachten<br />
kann. Wir werden sehr flexibel<br />
auf das wechselnde körperlich-seelische<br />
Befinden und die individuellen<br />
Bedürfnisse der Patienten reagieren.»<br />
Susanne Imfeid ergänzt: «Eine Patientin<br />
«Wir werden sehr flexibel<br />
auf die individuellen<br />
Bedürfnisse der Patienten<br />
reagieren.»<br />
möchte zum Beispiel ihre Freundinnen<br />
nochmals sehen - wenn nötig helfen<br />
wir bei der Organisation. Die Zusammenarbeit<br />
mit den Angehörigen ist<br />
generell sehr zentral. Wir haben auch<br />
die Möglichkeit, eine Mal- oder Musiktherapeutin<br />
beizuziehen.» Die Räume<br />
sind so gestaltet, dass sich ein Schwer-<br />
—/ kranker mit seinem<br />
Besuch in einen kleinen<br />
Aufenthaltsraum<br />
zurückziehen<br />
kann. Er kann aber<br />
auch im grösseren<br />
Raum zum Beispiel<br />
ein Familienfest organisieren.<br />
Es fällt auf, dass<br />
die neue Abteilung in Luzern die erste<br />
ihrer Art in der <strong>Zentralschweiz</strong> ist. «Die<br />
<strong>Zentralschweiz</strong> ist bisher ein weisser<br />
Fleck», sagt Susanne Imfeid. Bekannte<br />
Institutionen sind das Hospiz Zürcher<br />
Lightjiouse oder die Palliativabteilung<br />
RUTH KREIENBÜHL VOGEL,<br />
STELLVERTRETENDE LEITERIN<br />
bis zuletzt<br />
im Pflegezentrum Reusspark im Kanton<br />
Aargau. Susanne Imfeid stellt jedoch<br />
zunehmend auch in der Innerschweiz<br />
«eine Enttabuisierung und eine grössere<br />
Offenheit dem Sterben und dem Tod<br />
gegenüber» fest. Zu dieser grösseren<br />
Offenheit trage auch die Palliative Care<br />
bei. «"Das Thema ist stark im Kommen.»<br />
Nicht nur in Spezialabteilung<br />
Wichtig ist auch: Palliative Care gibt<br />
es nicht nur in der neuen Spezialabteilung,<br />
sondern schon bisher und weiterhin<br />
auch integriert in allen städtischen<br />
Betagtenzentren. Das heisst, die Bewohner<br />
werden auf der ihnen vertrauten<br />
Abteilung auch in der letzten Lebensphase<br />
betreut.<br />
Susanne Imfeid hatte «keine Mühe»,<br />
gutes Personal mit spezieller Weiterbildung<br />
für die neue Abteilung zu finden.<br />
Aus ihrer eigenen Erfahrung weiss sie:<br />
«Die Arbeit mit Sterbenden kann belastend<br />
sein. Sie ist aber auch sehr bereichernd.<br />
Ich bekomme mehr zurück als<br />
das, was ich von mir gebe.» Die Angestellten<br />
hätten alle eine Fach-Weiterbildung<br />
und würden in der Arbeit gut<br />
begleitet. Ruth Kreienbühl: «Nach jedem<br />
Todesfall wird im Team besprochen,<br />
was in der jeweiligen Situation<br />
besonders war. Regelmässige Supervisionen<br />
sind ebenfalls vorgesehen.»<br />
PALLIATIVE CARE<br />
Sterben mit Würde<br />
• Palliative Care umfasst die körperliche<br />
Pflege, die medizinische Betreuung,<br />
die psychologische, soziale und<br />
spirituelle Begleitung und Unterstützung<br />
schwer kranker Menschen in<br />
ihrer letzten Lebensphase. Ziele sind<br />
eine hohe Lebensqualität bis zuletzt<br />
und ein würdevolles Sterben. Angehörige<br />
und Freunde werden auf Wunsch<br />
des Patienten mit einbezogen.<br />
• Die Stadt Luzern eröffnet Mitte<br />
Januar 2009 eine spezialisierte Palliativabteilung<br />
im Betagtenzentrum<br />
Eichhof. Informationen im Internet:<br />
www.stadtluzern.ch/eichhof<br />
• In Spitälern und in sehr vielen<br />
Alters- und Pflegeheimen (auch in der<br />
Stadt Luzern) wird seit einiger Zeit<br />
und weiterhin die sogenannte Integrierte<br />
Palliative Care angeboten: Die<br />
Patienten und Bewohner werden auf<br />
der ihnen vertrauten Abteilung auch<br />
in der letzten Lebensphase betreut.<br />
• Auskünfte und Adressen gibt es<br />
beim Verein Palliativ Luzern:<br />
www.palliativ-luzern.ch<br />
rs
77?<br />
Beim Pflegepersonal braucht es<br />
In Spitälern und Heimen wird<br />
das Pflegepersonal rar. Grund<br />
sind Engpässe in der Ausbildung.<br />
Der neue Beruf der Fachfrau<br />
Gesundheit ist zwar beliebt<br />
doch es fehlen Lehrstellen,<br />
Von Susanne Anderegg<br />
Winterthur. - Für Amira Pandzic (23) ist<br />
Pflegefachfrau der Traumberuf. Doch der<br />
Weg dahin ist lang für sie. Just als sie mit<br />
der Diplomausbildung beginnen wollte,<br />
für welche das Mindestalter 18 galt, wurde<br />
die Pflegeausbildung landesweit reformiert.<br />
Neu gibt es eine Lehre (Fachfrau<br />
oder Fachmann Gesundheit, kurz Fage);<br />
sie schliesst an die Volksschule an. Und es<br />
gibt die dreijährige Ausbildung zur Pflegefachfrau,<br />
für die eine Lehre oder die Matur<br />
Voraussetzung sind. Schliesslich können<br />
Maturandinnen auch an der Fachhochschule<br />
Pflege studieren (siehe Kasten).<br />
Amira Pandzic gehört zum zweiten Fage-<br />
Jahrgang, sie fing 2004 an. Und hatte<br />
Glück: Im Kantonsspital Winterthur bekam<br />
sie eine der damals noch raren Lehrstellen,<br />
und erst noch in ihrer Wunschklinik,<br />
der Chirurgie.<br />
Patient merkt keinen Unterschied<br />
Am Anfang war es der vifen jungen Frau<br />
etwas langweilig: «Im ersten Jahr durfte<br />
ich fast nichts selber machen, ich lief immer<br />
mit einer Diplomierten mit.» Heute<br />
ist das ganz anders. Amira Pandzic ist in in<br />
ihrem Element. Im Sommer 2007 hat sie<br />
die Lehre abgeschlossen und ist danach<br />
auf ihrer Abteilung geblieben.<br />
An dem Morgen, als wir sie begleiten,<br />
ist sie für drei Patienten zuständig. Herr B.<br />
hatte einen Narbenbruch, drei Tage nach<br />
der Operation hängen noch zahlreiche<br />
Schläuche an seinem Körper, was ihm gar<br />
nicht gefällt. Amira Pandzic schaut nach,<br />
wie viel Blut und Wundflüssigkeit über<br />
Nacht aus dem Bauch abgeflossen ist. Später,<br />
auf der Visite, wird sie mit der Assistenzärztin<br />
besprechen, wann sie diesen<br />
Schlauch entfernen kann. Herr B. witzelt:<br />
«Wenn Sie ihn ziehen, dann ziehe ich<br />
auch Leine!»<br />
Die ausgelernte Fage darf an den Patienten<br />
sehr vieles machen, was auch die Pflegefachfrau<br />
macht: Blut nehmen, Katheter<br />
entfernen, Verbände wechseln, bei der<br />
Körperpflege helfen. Dennoch will Amira<br />
Pandzic weiter lernen; sie beginnt im Februar<br />
die höhere Fachausbildung. «Fage ist<br />
eine gute Grundausbildung», sagt sie, «ich<br />
persönlich möchte aber mehr selbstverantwortlich<br />
arbeiten können.» Denn auch<br />
wenn für die Patienten kaum ein Unterschied<br />
zwischen Fage und Pflegefachfrau<br />
erkennbar ist: Die Verantwortung bleibt<br />
letztlich immer bei den Diplomierten, wie<br />
Pflegedienst-Direktor Markus Wittwer<br />
sagt. Diese sind zuständig für die Anamnese<br />
(Einschätzung der Patienten) und für<br />
die Pflegeplanung.<br />
Wittwer möchte mittelfristig etwa einen<br />
Drittel der Pflegestellen durch Fage,<br />
Studierende und Pflegeassistentinnen abdecken,<br />
zwei Drittel durch Pflegefachleute.<br />
Im Waidspital sieht der Stellenschlüssel<br />
ähnlich aus. Die anfänglichen Befürchtungen<br />
der Diplomierten, sie würden<br />
im grossen Stil durch «billige Arbeitskräfte»<br />
ersetzt, werden damit nicht bestätigt<br />
- abgesehen davon, dass eine Fage mit<br />
rund 4300_Franken nach<br />
der Lehre nu^iooo Franken<br />
weniger verdient als<br />
Fachleute fordern<br />
eine Erhöhung der<br />
Löhne während der<br />
Pflegeausbildung.<br />
eine Diplomierte.<br />
Viele Pflegefachfrauen<br />
hatten auf den neuen Beruf<br />
der Fage skeptisch bis<br />
abwehrend reagiert. Sabrina<br />
Born, die Lehrlingsbetreuerin<br />
von Amira<br />
Pandzic, räumt das freimütig<br />
ein: «Wir wussten<br />
am Anfang nicht, was die Fage dürfen. Wir<br />
hatten Angst, dass wir Diplomierte nur<br />
noch im Büro tätig sein würden.» Die Realität<br />
ist zum Glück eine andere. Born und<br />
Pandzic arbeiten Hand in Hand, die Stimmung<br />
im Team ist gut, alle helfen einander.<br />
Um zehn kommt ein Anruf aus dem<br />
Operationssaal: Patient S. ist abholbereit.<br />
Er hatte einen Leistenbruch. Amira Pandzic<br />
ist für ihn zuständig, doch sie darf den<br />
jungen Mann nicht allein holen. Sabrina<br />
Born muss mit. Vorschrift ist auch, dass sie<br />
einen Notfall-Rucksack trägt - falls es dem<br />
Patienten auf dem Weg plötzlich schlecht<br />
gehen sollte.<br />
Bei S. besteht keine Gefahr, er ist bereits<br />
recht munter. Im Zimmer angekommen,<br />
hängt Amira Pandzic die Infusionen auf<br />
und misst Blutdruck und Puls sowie die<br />
Sauerstoffsättigung des Blutes. Und sie<br />
fragt den Patienten, ob er schon etwas zu<br />
Mittag essen mag - er mag. Danach studiert<br />
sie im Stationszimmer das Verordnungsblatt,<br />
auf dem die operierende Ärztin<br />
eingetragen hat, welche Medikamente<br />
S. bekommen muss oder darf. Zum Beispiel<br />
Morphin, falls er starke Schmerzen<br />
hat. Auch das darf eine Fage machen: Medikamente<br />
richten.<br />
Nur 400 statt 575 neue Lehrlinge<br />
Im Kantonsspital Winterthur arbeiten<br />
derzeit erst eine Hand voll ausgebildeter<br />
Fage. In einigen Jahren sollen es 50 bis 75<br />
sein. Das ist ein ehrgeiziges Ziel, auch<br />
wenn das Spital relativ viele Fage selber<br />
ausbildet: 7a insgesamt, wovon ein Drittel<br />
dieses Jahr die Lehre begonnen hat. Die<br />
(noch kurze) Erfahrung zeigt, dass etwa die<br />
Hälfte nachher weitermacht an der höheren<br />
Fachschule. Das ist durchaus gewollt:<br />
Die Fage sind die wichtigste Rekrutierungsbasis<br />
für die Pflege-Fachschulen.<br />
Das Problem ist nur, dass es noch zu wenig<br />
Fage gibt. Der Beruf ist zwar beliebt bei<br />
den jungen Leuten, doch es fehlt an Lehrstellen.<br />
Viele Betriebe zögerten, weil es<br />
lange Zeit unklar war, wie die Fage eingesetzt<br />
werden. 2007 sollten gemäss Prognose<br />
der Bildungsdirektion 480 Lehrlinge<br />
anfangen, effektiv waren es 120 weniger.<br />
2008 waren 575 geplant, 400 starteten tatsächlich.<br />
Laut Christina Vögtli von der Bildungsdirektion<br />
liegt es an allen Betrieben,<br />
noch mehr Stellen zu schaffen: Spitäler,<br />
Kliniken, Heime und Spitex. Vergleichsweise<br />
sehr wenig Lehrstellen bieten bis<br />
jetzt die Privatspitäler an. Und auch die<br />
Spitex hinkt hintennach.<br />
2010 tut sich eine grosse Lücke auf<br />
Die Situation bei den Fage wirkt sich auf<br />
die höheren Fachschulen aus: Sowohl am<br />
Careum in Zürich wie am ZAG in Wintertfijrbügben<br />
die Anmeldungen zur Pflegeäusbildung<br />
bisher weit unter den Epva£tungen.<br />
Eine Rolle spielte dabei auch die<br />
Umstellung der ganzen Bildungssystematik,<br />
wie Careum-Direktor Christian Schär<br />
sagt: «Wer sich für einen Pflegeberuf interessierte,<br />
musste sich neu orientieren. Das<br />
brauchte Zeit. Bis das System zu spielen<br />
begann, gingen Jahre ins Land.»<br />
2007 waren die Zahlen erstmals zufriedenstellend.<br />
Mit insgesamt 240 Anfangerinnen<br />
konnte der Plan laut Christina<br />
—•=<br />
Vögtli eingehalten werden.<br />
Doch 2008 sah es<br />
wieder schlecht aus: Nur<br />
210 junge Leute begannen<br />
die Pflegeausbildung, geplant<br />
waren 360. Vögtli<br />
hat keine abschliessende<br />
Erklärung für diesen Einbruch.<br />
Ein möglicher<br />
Grund sei, dass viele Interessentinnen<br />
den Ausbildungsbeginn<br />
um ein Jahr<br />
verschoben, weil sie zuerst noch Geld auf<br />
die Seite legen müssen. Denn in der neuen<br />
Pflegefachausbildung verdient man mit<br />
rund 1000 Franken pro Monat nicht genug<br />
zum Leben. Früher war der Lohn höher,<br />
vor allem für Lernende ab 25 Jahren; diese<br />
bekamen rund 3000 Franken. Fachleute<br />
fordern eine Erhöhung, nicht zuletzt damit<br />
der Pflegeberuf auch für Quereinsteigerinnen<br />
eine Option ist. Die Kosten müsste der<br />
Kanton tragen.<br />
Ein Personalmangel ist absehbar. 2002,<br />
werden die letzten Absolventinnen efes alten<br />
Diplomlehrgangs ihre Ausbildung beenden.<br />
DariäcE "tut sich eine Lücke auf.<br />
Ämira Pandzic muss sich keine Sorgen um<br />
ihre berufliche Zukunft machen. Sie wird<br />
gebraucht werden.
Die Akademisierung der Pflege macht Spitälern Sorgen<br />
Zürich. - Neuerdings kann man<br />
«Pflege» auch studieren. Der Lehrgarig<br />
an der Zürcher Hochschule für angewandte<br />
Wissenschaften (ZHAW) dauert<br />
drei Jahre bis zum Bachelor. Später<br />
soll ein Masterlehrgang dazukommen.<br />
Im Unterschied zur Pflegeausbildung<br />
an der höheren Fachschule ist der Praktikumsanteil<br />
an der Hochschule etwas<br />
kleiner.<br />
Das weckt in den Spitälern Ängste.<br />
«Mit der Akademisierung der Pflegeberufe<br />
schaffen wir uns ein Riesenproblem»,<br />
sagte der Präsident des Verbandes<br />
Zürcher Krankenhäuser, Heinz<br />
Spälti, kürzlich an einer Tagung. Er befürchtet,<br />
dass die Pflegenden immer<br />
weniger «am Bett» arbeiten werden<br />
und stattdessen Expertisen und Konzepte<br />
schreiben. Mit dieser Befürchtung<br />
steht Spälti nicht allein. Allerdings<br />
provozierte er auch Widerspruch. So<br />
hielt ihm die Direktorin des Zürcher<br />
Uni-Spitals, Rita Ziegler, entgegen, eine<br />
Akademisierung der Pflege sei notwendig:<br />
«Wir brauchen Pflegende, die übergeordnet<br />
denken können. Die Pflegeforschung<br />
ist wichtig. Ich hätte gerne eine<br />
Pflege, die auf gleicher Augenhöhe mit<br />
den Ärzten arbeitet.»<br />
Es gibt in der Tat eine Nachfrage<br />
nach hoch qualifizierten Pflegenden,<br />
und das nicht erst seit heute. Es stellt<br />
sich bloss die Frage nach der richtigen<br />
Mischung. Betrachtet man die aktuellen<br />
Zahlen, brauchen sich die Verantwortli-<br />
p<br />
r<br />
Iii<br />
•<br />
dt-<br />
v<br />
'mw?<br />
Amira Pandzic bei der Pflege von Herrn B.<br />
chen in den Spitälern noch keine Sorgen<br />
über zu viele «Studierte» zu machen. Die<br />
ersten drei Studiengänge an der ZHAW<br />
stiessen nämlich auf eher geringes Interesse:<br />
2006 fingen nur 24 Personen ein<br />
Pflegestudium an, 2007 waren<br />
es 38 und dieses Jahr 42. Zur<br />
Verfügung stünden 90 Studienplätze.<br />
Das heisst: Die grosse Mehrheit<br />
der angehenden Pflegefachleute<br />
wählt heute den Weg<br />
über die höhere Fachschule.<br />
Christian Schär, Direktor des<br />
Bildungszentrums Careum, ist<br />
froh, dass es in der Deutschschweiz<br />
beide Möglichkeiten<br />
gibt: «Wir würden sonst in ein<br />
Versorgungsdesaster hineinlaufen.»<br />
Im Unterschied zur<br />
Westschweiz, wo die Pflegeausbildung<br />
ausschliesslich an<br />
der Fachhochschule erfolgt,<br />
könnte der nötige Nachwuchs<br />
ohne höhere Fachschulen<br />
nicht rekrutiert werden, ist er_<br />
überzeugt. Denn in' der<br />
Deutschschweiz sei die Matura-Quote<br />
viel tiefer, und traditionellerweise<br />
wählten weniger<br />
Maturanden einen Gesundheitsberuf<br />
als in der Romandie.<br />
Schär ist deshalb «absolut<br />
dagegen», auch in der<br />
Deutschschweiz die Pflegeausbildung<br />
ganz auf Fachhochschulstufe<br />
zu heben, wie dies immer<br />
wieder diskutiert wird. Er nimmt dabei<br />
den Nachteil in Kauf, dass das aktuelle<br />
System für Laien nur schwer durchschaubar<br />
ist. (an)<br />
M<br />
TV<br />
Ü-CS<br />
Notstand in der Pflege droht<br />
Persoryenfreizügigkeit Bei einem Nein wird der Personalmangel noch akuter<br />
Die Spitäler und Heime warnen vor<br />
Qualitäts- und Kapazitätsverlusten,<br />
wenn die Personenfreizügigkeit mit<br />
der EU abgelehnt wird.<br />
CORINNA HAURI<br />
Drei Viertel der Spitäler haben Mühe, Fachpersonal<br />
zu rekrutieren, zwei von drei Krankenhäusern<br />
haben deswegen offene Stellen.<br />
Dies ergab eine Umfrage, welche der Spitalverband<br />
H+ im letzten Sommer bei seinen<br />
Mitgliedern durchgeführt hat. Und dieser<br />
Arbeitskräftemangel im Gesundheitsbereich<br />
werde sich bei einem Nein zur Personenfreizügigkeit<br />
am 8. Februar noch vergrössern.<br />
Davor warnten H+ und der Dachverband<br />
der Heime und Institutionen Curaviva<br />
gestern vor den Medien in Bern.<br />
Keine andere Branche beschäftige ähnlich<br />
viel ausländisches Personal, führten Nationalrat<br />
Charles Favre (FDP, VD), Präsident<br />
von H+, und Curaviva-Präsident Otto Piller<br />
aus. Heute stammten zwischen 20 und 40<br />
Prozent der Angestellten in Spitälern und<br />
Heimen aus der EU, «Seit der Einführung der<br />
Personenfreizügigkeit im Jahr 2002 können<br />
wir diese administrativ einfacher als davor<br />
anstellen, das würde bei einem Nein wegfallen»,<br />
so Favre, «Wir kämen in einen Personalengpass»,<br />
sagte Piller. Mit Folgen für Pflege<br />
und Betreuung: So warnen die Psychiatrischen<br />
Dienste Bern, dass sie das Angebot abbauen<br />
und Abteilungen schliessen müssten.<br />
Ähnlich sieht es das Universitätsspital Genf,<br />
welches zudem Abstriche bei der Behandlungsqualität<br />
und längere Wartezeiten für<br />
Operationen befürchtet. Andere Institutionen<br />
sprechen von «Rationierung der Pflege»<br />
oder «Schliessung von Betten».<br />
Auch Rumänen und Bulgaren willkommen<br />
Bei einem Nein würden die jetzt angestellten<br />
Ausländer nicht von einem Tag auf<br />
den anderen verschwinden, sagte Regula<br />
Jenzer von den Walliser Pflegediensten.<br />
«Doch im Gesundheitsbereich ist die Fluktuation<br />
sehr hoch und wir hätten Mühe,<br />
neues Personal zu finden - und aufgrund<br />
der Demografie wird der Pflegebedarf in Zukunft<br />
steigen.» Was die Personalsuche schon<br />
heute bedeutet, zeigte Gustav Egli von der<br />
Pflegeresidenz Bethesda in Küsnacht auf:<br />
«Auf ausgeschriebene Stellen bekommen<br />
wir null bis drei Bewerbungen.» Deshalb<br />
müsse man oft Headhunter einschalten, was<br />
pro Stelle bis zu 10 000 Franken koste. Egli<br />
würde deshalb auch gerne Fachkräfte aus<br />
Rumänien oder Bulgarien rekrutieren können,<br />
deren Ausbildung laut Jenzer absolut<br />
auf dem Niveau der schweizerischen sei.<br />
Dass die drohende Arbeitslosigkeit das<br />
Problem des mangelnden Pflegepersonals<br />
lösen werde, glaubt Piller nicht: «Es gibt keine<br />
arbeitslosen Krankenschwestern und ein<br />
arbeitsloser Banker oder Maschinenschlosser<br />
wird nicht Pfleger.»<br />
z r J7./.0 7 )
«Pro Jahr werden bei uns über 2000 Kinder geboren - 60 Hebammen stehen rund um die Uhr im Einsatz.<br />
Marilena Ämbrosecchia ist eine von ihnen.»<br />
Ergreifende Momente<br />
Für die Hebamme Marilena Ämbrosecchia ist jede<br />
Geburt etwas Besonderes.<br />
Doris Mani* ist mit ihrem Mann und den zwei kleinen<br />
Töchtern ins Unispital geeilt. Sie ist im neunten<br />
Monat schwanger und hat Fruchtwasser verloren.<br />
Die Hebamme Marilena Ämbrosecchia begrüsst sie<br />
auf der Gebärabteilung der Klinik für Geburtshilfe<br />
und beruhigt sie erst einmal. Sie tastet den Bauch<br />
ab und versucht das Gewicht des Kindes zu schätzen<br />
- «2,9 bis 3 Kilo», vermutet sie. Danach schliesst sie<br />
ein CTG-Gerät an, das die Herzfrequenz des Kindes<br />
und die Wehentätigkeit der Mutter aufzeichnet.<br />
«Die Herztöne sind gut», meint die Hebamme. Frau<br />
Mani ist in der 38. Schwangerschaftswoche, was<br />
eine normale Geburt erwarten lässt.<br />
Werdende Eltern wählen gerne das Universitätsspital<br />
als Geburtsort für ihren Nachwuchs, auch<br />
wenn keine Probleme zu erwarten sind - die Betreuung<br />
von Risikoschwangeren und Risikogeburten<br />
ist ein Schwerpunkt der Klinik. «Für viele Frauen<br />
und Paare ist die Sicherheit sehr wichtig», sagt Ämbrosecchia.<br />
Ärzte sind rund um die Uhr präsent, ein<br />
OP- und Anästhesie-Team steht jederzeit für Notfälle<br />
bereit und die Neonatologie befindet sich in<br />
unmittelbarer Nähe.<br />
2351 Kinder kamen im vergangenen Jahr in der<br />
Klinik für Geburtshilfe zur Welt, davon waren 519<br />
Frühgeburten, 45 wurden tot geboren. Die Hebammen<br />
der Klinik sind bei jeder Geburt dabei, ob sie<br />
natürlich verläuft oder mit Komplikationen.<br />
Die Hebamme nimmt die Frau auf, wenn sie ins Spital<br />
kommt. Sie untersucht die Schwangere und entscheidet<br />
dann, ob es sich tatsächlich schon um Geburtswehen<br />
handelt oder nicht. «Frauen, die ihr erstes<br />
Kind bekommen, kommen oft zu früh, dann<br />
muss ich sie trösten, wenn ich sie wieder heim<br />
schicke», sagt Marilena Ämbrosecchia. Ist es kein<br />
falscher Alarm, bleibt die Hebamme bei der werdenden<br />
Mutter. Regelmässig kontrolliert sie, wie es<br />
der Mutter und dem Ungeborenen geht. Sind die<br />
Herztöne des Kindes gut, hat die Frau Schmerzen,<br />
ist ihr Kreislauf stabil, öffnet sich der Muttermund<br />
und rückt die Geburt näher?<br />
Die Geburtshelferin bleibt auch dann bei Mutter und<br />
Kind, wenn das Baby per Kaiserschnitt geholt wird,<br />
weil es zu früh auf die Welt kommt, wenn Zwillinge<br />
erwartet werden oder die Frau das so wünscht. Im<br />
vergangenen Jahr lag der Anteil der Kaiserschnitte<br />
bei den Geburten bei über 40 Prozent. «Ich habe<br />
bei Kaiserschnittgeburten die Aufgabe, die Frau zu<br />
begleiten und das Baby in Empfang zu nehmen, sobald<br />
es geboren ist», sagt Ämbrosecchia.<br />
Für die Hebamme ist eine Geburt auch nach sechs<br />
Jahren im Beruf jedes Mal ein ergreifender Moment.<br />
«Ich bin immer wieder von Neuem gerührt», sagt<br />
sie. Es sei etwas Besonderes, eine Familie dabei<br />
begleiten zu dürfen. Sie selbst vergesse dann auch,<br />
wie anstrengend die Begleitung gewesen sei und<br />
dass sie manchmal seit Stunden weder etwas gegessen<br />
noch getrunken habe.<br />
Ist das Kind da, wird es von der Hebamme genau<br />
beobachtet: Wie sieht seine Hautfarbe aus, atmet<br />
es, bewegt es sich, wie sind seine Herztöne? «Die<br />
meisten Kinder sind sehr wach und neugierig», sagt<br />
Ämbrosecchia. Etwa 60 Prozent der Geburten in der<br />
Klinik verlaufen ohne Komplikationen.<br />
Reagiert das Neugeborene normal, wird die Nabelschnur<br />
durchtrennt - meist übernehmen das die<br />
Väter, assistiert von der Hebamme. Während Mutter<br />
und Baby ersten Kontakt haben, kontrollieren Geburtshelferin<br />
und Arzt die Funktionen des Kindes, in<br />
dieser frühen Phase werden etwa die Blutgaswerte<br />
untersucht, um zu überprüfen, ob der Säugling während<br />
der Geburt ausreichend mit Sauerstoff versorgt<br />
wurde.<br />
Für die Hebamme ist die Geburt erst dann zu Ende,<br />
wenn die Nachgeburt ausgestossen ist. Die Hebamme<br />
prüft, ob dies vollständig erfolgt ist und ob bei<br />
«Die meisten Kinder<br />
sind sehr wach und<br />
neugierig»<br />
der Frau während der Geburt Verletzungen aufgetreten<br />
sind, die behandelt werden müssen. Jetzt<br />
kommt der Zeitpunkt, um die Familie allein zu lassen,<br />
damit sie sich ungestört kennen lernen kann.<br />
Dann begleitet die Hebamme die Familie auf die<br />
Wochenbettstation und gibt die Betreuung ab.<br />
Bei Doris Mani wird 24 Stunden, nachdem sie in die<br />
Klinik aufgenommen wurde, die Geburt eingeleitet.<br />
Sie bringt einen gesunden Jungen zur Welt. Gewicht:<br />
2840 Gramm.<br />
*Name geändert
«300 Intensivpflegefachpersonen betreuen die Schwerstkranken<br />
In den 6 Intensivstationen des USZ„.<br />
Hoiger Giray ist einer von ihnen.»<br />
Volle Aufmerksamkeit<br />
für einen Patienten<br />
Holger Giray, Pflegefachmann Intensivpflege, betreut<br />
in der Klinik für Neurochirurgie Schwerstkranke.<br />
Mit 17 Jahren stand Holger Giray vor der Frage, was<br />
er beruflich einmal werden möchte. Spontan entschied<br />
er sich für den Pflegeberuf. Längst ist ihm<br />
klar, dass er damals die richtige Wahl getroffen hat.<br />
Seit 13 Jahren arbeitet er am UniversitätsSpital<br />
Zürich und seit neun Jahren als Intensivpfleger.<br />
«Einmal auf der Intensivstation zu arbeiten» war<br />
schon während der Grundausbildung sein Ziel.<br />
«Ich mag den engen Kontakt, den ich durch die permanente<br />
Betreuung eines Patienten habe», sagt<br />
Giray. Der Intensivpfleger kümmert sich während<br />
seiner Arbeitszeit um einen, maximal zwei Patienten.<br />
Verlangt ein Patient seine volle Aufmerksamkeit,<br />
ist er bis zu sieben Stunden pro Arbeitstag bei<br />
ihm. «Dadurch, dass ich einen Patienten so gut kennenlerne,<br />
kann ich viel besser reagieren, wenn er<br />
Schmerzen hat oder Probleme mit der Atmung oder<br />
dem Kreislauf bekommt.»<br />
Die Pflege von Schwerstkranken erfordert einen<br />
engen Austausch mit den Kolleginnen und Kollegen,<br />
mit Ärzten, Physiotherapeuten, Laboranten und Mitarbeitern<br />
anderer Disziplinen. Insbesondere dann<br />
wenn Notfallpatienten kommen, ist schnelles Handeln<br />
im Team gefordert. Seine Tätigkeit sei «sehr<br />
vielseitig», betont Holger Giray.<br />
Fasziniert ist er von den intensivtechnischen und<br />
-pflegerischen Möglichkeiten: «Für meine Handlungen<br />
bekomme ich mehrmals täglich ein Feedback»,<br />
sagt er. Schlechte Sauerstoffwerte im Blut kann er<br />
unmittelbar korrigieren, ebenso den Blutdruck oder<br />
den Gehalt an Elektrolyten im Blut. Lagert er einen<br />
Patienten um, kann er direkt verfolgen, ob sich<br />
die Lungenfunktion dadurch verbessert. Ebenso<br />
sieht er, wie sich Veränderungen in der Einstellung<br />
der Beatmung oder die Zufuhr von Flüssigkeit auswirken.<br />
Acht Betten stehen auf der Intensivstation der<br />
Klinik für Neurochirurgie zur Verfügung. Um die Patienten<br />
kümmert sich ein Team von 50 Pflegepersonen.<br />
Wenn möglich, sind dieselben Personen über<br />
einen längeren Zeitraum für einen Patienten zuständig.<br />
Die meisten Kranken können sich nicht selber äussern:<br />
Sie liegen nach einer Hirnblutung im Koma<br />
oder sind nach einer Tumoroperation im Gehirn oder<br />
im Bereich der Wirbelsäule mit starken Schlafmitteln<br />
sediert. Sie werden beatmet und über Schläuche<br />
mit Nahrung, Flüssigkeit und Medikamenten<br />
versorgt. Über Kabel sind sie mit diversen Messgeräten<br />
verbunden, die ihre Daten auf blinkenden<br />
Monitoren anzeigen. «Für manche Angehörige ist<br />
dieser Anblick ein Schock, andere sind erleichtert,<br />
wenn sie sehen, dass wir die Kranken mit der modernsten<br />
Technik überwachen», sagt der Pfleger.<br />
intensivmedizin ist Hightechmedizin - das erfordert<br />
regelmässige Weiterbildungen zu neuesten Techniken.<br />
Und Intensivmedizin ist der Umgang mit schwerkranken,<br />
immer wieder auch mit sterbenden<br />
Patienten - auch das erfordert spezielle Kenntnisse<br />
und Fähigkeiten, insbesondere für die Begleitung<br />
der Angehörigen.<br />
Das Biidungszentrum des Universitätsspitals bietet<br />
für Pflegefachleute zahlreiche Weiterbildungen an.<br />
Etliche davon hat Giray absolviert, etwa über die<br />
«Begleitung von Schwerkranken und Sterbenden»<br />
oder über «basale Stimulation». Dabei geht es<br />
darum, wie man die Wahrnehmung von Patienten<br />
nach schweren Hirnverletzungen aktiviert. Das<br />
breite Weiterbildungsangebot am Universitätsspital<br />
ist für Holger Giray mit ein Grund, warum er seinem<br />
Arbeitgeber schon so lange treu geblieben ist.<br />
Inzwischen hat er eine neue Herausforderung gefunden:<br />
Nach neun Jahren Intensivpflege hat er so<br />
viel Berufserfahrung gesammelt, dass er sein Wissen<br />
gerne weitergibt. Seit zwei Jahren arbeitet Giray<br />
als Berufsbildner und betreut Pflegefachleute, die<br />
sich zum Intensivpfleger weiterbilden - aktuell lernen<br />
auf der Intensivstation der Klinik für Neurochirurgie<br />
acht Lernende. Giray freut sich, wenn er<br />
beobachten kann, wie sich das, was er vermittelt,<br />
schon bald niederschlägt: «Am ersten Tag haben<br />
die Anfänger noch grössten Respekt vor den Geräten<br />
und der invasiven Therapie und am letzten Tag<br />
gehen sie routiniert damit um.»
«Die Würde von Dementen<br />
Ein Fall wie im Pflegezentrum<br />
Entlisberg ist für Millie Braun<br />
unvorstellbar. Sie pflegt und<br />
betreut seit 16 Jahren demente<br />
Menschen im Krankenheim<br />
Sonnweid in Wetzikon.<br />
ist unantastbar»<br />
Von Jürg Schmid<br />
Wetzikon. - Von den Handyfilmen im<br />
Pflegezentrum Entlisberg in Zürich hat<br />
Millie Braun von ihrem Sohn erfahren. Sie<br />
war schockiert. Und sie kann nicht verstehen,<br />
dass ausgebildete Fachleute so etwas<br />
tun. «Die Wahrung der Intimsphäre ist ein<br />
wichtiger Teil der Ausbildung», sagt sie.<br />
Sie vermutet, dass den Täterinnen der<br />
Wert ihrer Arbeit nicht bewusst war.<br />
Die 58-jährige Millie Braun weiss, wovon<br />
sie redet. Sie pflegt und betreut seit<br />
16 Jahren an Demenz erkrankte Menschen<br />
im Krankenheim Sonnweid in Wetzikon.<br />
Das privat geführte Heim gilt als Vorzeigebetrieb<br />
mit innovativer Pflegepraxis und<br />
hohen ethischen Ansprüchen. Für Millie<br />
Braun gilt: «Die Würde aller Bewohnerinnen<br />
und Bewohner ist unantastbar, auch<br />
wenn sie aggressiv sind, verletzend, auch<br />
wenn sie erbrechen, Durchfall haben oder<br />
das Essen verweigern.»<br />
Diese Ethik ist für Millie<br />
Braun nicht graue<br />
Theorie. Sie wurde auch<br />
schon von einem Bewohner<br />
geschlagen. Das verletzte<br />
sie, machte sie im<br />
ersten Moment wütend.<br />
«Ich wollte etwas Gutes<br />
tun und erhielt als Denkzettel<br />
einen Hieb.» Zurückgeschlagen<br />
hat sie<br />
nicht. Sie ist auf Distanz<br />
gegangen, aus dem Zimmer.<br />
Und sie hat sich gefragt,<br />
ob sie die Situation<br />
falsch eingeschätzt oder<br />
gar versagt habe. Diese<br />
professionelle Konfliktbewältigung<br />
wird in der<br />
internen Fortbildung und<br />
im Team immer wieder<br />
besprochen und geschult.<br />
Fluchen, Lästern und abschätziges<br />
Reden über<br />
Bewohner duldet die<br />
Pflegeleitung nicht. Das<br />
sei noch nie vorgekommen.<br />
«Die Sozialkontrolle<br />
in unseren Teams<br />
funktioniert.»<br />
Fehler passieren trotzdem.<br />
In einer Notsituation<br />
hatten Pflegepersonen<br />
schon Bewohner auf einem<br />
«Es braucht eine<br />
innere Begeisterung<br />
für die Menschen<br />
und Neugierde.»<br />
werden. «Dann wasche ich einen Bewohner<br />
nur, lasse ihn im Schlafanzug und erledige<br />
den Rest am Nachmittag.» Das kann<br />
Angehörige stören. Sie würden nie aggressiv<br />
reagieren, aber sie stellten heutzutage<br />
hohe Ansprüche. Zur Pflege gehört auch<br />
die einfühlsame Betreuung der Angehörigen.<br />
«Sie können bis 20 Uhr jederzeit kommen<br />
und den Alltag miterleben.» Millie<br />
Braun nimmt sich viel<br />
Zeit für die Angehörigen,<br />
um ihnen zu erklären,<br />
was die Pflegenden machen<br />
können und machen<br />
wollen und was nicht<br />
geht. «Das gehört zu unserer<br />
Kultur.»<br />
Die Sonnweid in Wetzikon<br />
ist nicht die heile<br />
Welt. Es herrscht auch<br />
dort nicht immer eitel<br />
MILLIE BRAUN<br />
STATIONSLEITERIN<br />
Sonnenschein. Schwierige<br />
Situationen gehören<br />
zum Pflegealltag. Bei<br />
Schwierigkeiten oder<br />
Überforderung können<br />
ihre Teammitglieder<br />
Hilfe bei den Kolleginnen<br />
holen. «Sie wissen, dass<br />
das kein Versagen ist,<br />
sondern ein Zeichen von<br />
Stärke.» Es gibt regelmässig<br />
Gespräche in der<br />
Gruppe und Fallbesprechungen<br />
mit dem Psychiater,<br />
dem Arzt, der<br />
Pflegeleitung und den<br />
Bezugspersonen. Knatsch<br />
im Team hat Millie Braun<br />
auch schon mit einer<br />
Supervision entschärft.<br />
Jede Pflegegruppe hat<br />
Fachpersonen, die zwei-<br />
Stuhl mal im Jahr Weiterbildungen absolvieren,<br />
festgehalten, um einen Gefühlsausbruch • Im Heim gibt es eine Ethikkommission.<br />
zu mildern. «Die Pflegende konnte den Mit dieser werden Fragen besprochen.<br />
Vorfall im Team offen und angstfrei ansprechen»,<br />
sagt Millie Braun. «Wenn wir noch eine Sonde stecken oder ihn weniger<br />
Zum Beispiel: Soll man einem Patienten<br />
sorgfältig auf die Bewohner zugehen und duschen, wenn er die Pflege verweigert.<br />
mit viel Geduld zeigen, was wir wollen, «Besonders die Intimpflege ist immer wieder<br />
eine heikle Gratwanderung», sagt Mil-<br />
dann können wir aggressives Verhalten<br />
vermeiden.»<br />
lie Braun.<br />
Als Stationsleiterin achtet sie darauf, Auch nach 16 Jahren liebt Millie Braun<br />
dass unter Zeitdruck Prioritäten gesetzt die Arbeit mit Dementen noch immer.<br />
Das strahlt sie auch aus. «Ich bin geistig<br />
und gefühlsmässig gefordert, das ist spannend.»<br />
Sie muss die Körpersprache und<br />
Mimik lesen können, wenn Bewohner<br />
während Stunden auf dem Stuhl wippen<br />
oder den gleichen Laut von sich geben.<br />
Und sie muss rasch reagieren können. An<br />
ihrer Arbeit schätzt sie, dass sie sehr flexibel<br />
sein muss. «Mein Beruf ist sehr anspruchsvoll,<br />
eine Knochenbüez, aber mit<br />
gutem Rüstzeug und meiner Lebenserfahrung<br />
wird die Arbeit nie zum Trott.» Das<br />
Wichtigste ist für Millie Braun: «Es<br />
braucht eine innere Begeisterung für die<br />
Menschen und Neugierde.»<br />
Stabile Lebensumstände und eine gute<br />
Bodenhaftung bilden die Grundvoraussetzung,<br />
um diesen Beruf so lange auszuüben.<br />
«In Beziehungskrisen stösst man in der<br />
Pflege mit Dementen rasch an Grenzen.»<br />
Das ist bei Millie Braun nicht der Fall. Sie<br />
hatte zwar hin und wieder schlaflose<br />
Nächte. Im Traum fragte sie sich, vor allem<br />
zu Beginn ihrer Laufbahn, ob sie alle<br />
ins Bett gebracht habe. «Aber es waren nie<br />
Albträume.» Schwierigkeiten, die im Alltag<br />
auftauchen, kann sie mit ihrem Mann<br />
eingehend besprechen. In der Freizeit<br />
singt sie im gemischten Chor an ihrem<br />
Wohnort Gutenswil (Gemeinde Volketswil).<br />
Oder führt ihren Hund spazieren.<br />
Häufiger Wechsel bei Pflegenden<br />
Nach 15 Jahren als Familienfrau hat die<br />
diplomierte Psychiatriepflegerin Millie<br />
Braun 1993 wieder in die Pflege zurückgefunden.<br />
Sie führt als Stationsleiterin<br />
eine Gruppe von 15 Bewohnerinnen und<br />
Bewohnern mit 4 Mitarbeiterinnen pro<br />
Tag. Insgesamt stehen ihr 12 Pflegerinnen<br />
zur Seite - «leider ist kein Mann mehr<br />
dabei» -, keine arbeitet zu 100 Prozent. Die<br />
eine Hälfte ihres Teams ist über 40 Jahre<br />
alt, die andere jünger. Millie Braun schätzt<br />
die gute Altersdurchmischung.<br />
Im Krankenheim Sonnweid betreuen<br />
rund 220 Angestellte 150 an Demenz erkrankte<br />
Frauen und Männer. Im Personal<br />
gibt es häufig Wechsel. Die Hälfte verlässt<br />
das Heim vor Ablauf eines Jahres wieder,<br />
weil die Mitarbeitenden realisieren, dass<br />
sie mit der Pflege und Betreuung von dementen<br />
Menschen nicht zurechtkommen.
Handyverbot hat nichts genützt 77?<br />
Im Heim Entlisberg gilt seit<br />
Jahren ein Handyverbot -<br />
wegen Elektrosmogs. Und<br />
nicht, um die Gefahr von<br />
Missbrauch einzudämmen.<br />
Von Claudia Imfeld<br />
und Stefan Hohler<br />
Zürich. - Die Handyfilme, die Angestellte<br />
im Pflegezentrum Entlisberg<br />
von Patientinnen gedreht haben,<br />
sorgen für Empörung. Sollte<br />
Heimpersonal während der Arbeitszeit<br />
Handys bei sich tragen<br />
dürfen? «Kein Handy, keine Versuchung<br />
zum Missbrauch», schreibt<br />
dazu ein TA-Leser.<br />
Laut Kurt Meier, Direktor der<br />
Stadtzürcher Pflegezentren, gilt in<br />
allen Heimen ein Handyverböt -<br />
bereits seit 2005. Das Verbot ist in<br />
den Heimregeln aufgeführt. Ausserdem<br />
weisen Tafeln darauf hin,<br />
dass Mobiltelefone in der Garderobe<br />
gelassen werden sollen. Gemäss<br />
Meier wurde dieses Verbot<br />
eingeführt, um Elektrosmog zu<br />
verhindern. Die Missachtung des<br />
Verbots führt er darauf zurück,<br />
dass bisher «wohl eher large»<br />
kontrolliert worden sei. «Diese<br />
Art von Handygebrauch stellt eine<br />
neue Dimension von Gewalt dar»,<br />
betont er. Man müsse nun prüfen,<br />
welche Massnahmen nötig seien.<br />
Gegenüber der Fernsehsendung<br />
«10 vor 10» erklärte Kurt Meier<br />
gestern Abend, das Gesundheitsdepartement<br />
werde nun eine Administrativ-Untersuchung<br />
gegen<br />
die ganze Abteilung einleiten.<br />
Spekulationen um Mitwisser<br />
Auch beim Schweizerischen<br />
Heim-Verband Curaviva sind die<br />
Vorfälle im Entlisberg und die<br />
Handys ein Thema: «Eine krankhafte<br />
Seite unserer Gesellschaft<br />
hat nun den Pflegebereich erreicht»,<br />
sagt Geschäftsleitungsmitglied<br />
Markus Leser. Für ihn ist klar:<br />
«Mobiltelefone gehören nicht in<br />
Heime.» Das Handy biete bisher<br />
unbekannte Missbrauchsmöglichkeiten.<br />
Er wünscht sich heiminterne<br />
Regelungen, die von den<br />
Teams kontrolliert werden. Wer<br />
verfügbar sein müsse, könne ein<br />
internes Telefon oder einen Pager<br />
benutzen. Mehr Schutz für Patienten<br />
erhofft sich Leser vom neuen<br />
Erwachsenenschutzrecht, das frühestens<br />
2012 in Kraft treten soll.<br />
«Will das Pflegepersonal dann die<br />
Freiheit eines Patienten einschränken<br />
- etwa durch ein Bettgitter -,<br />
braucht es dafür ein Protokoll.»<br />
Der im Fall Entlisberg ermittelnde<br />
Staatsanwalt Alexander<br />
Knauss äusserte sich gestern zu<br />
den vom Anwalt der Angehörigen<br />
einer Patientin gemachten Aussagen,<br />
dass es nebst den drei entlassenen<br />
Pflegerinnen weitere Mitwisser<br />
gebe: Dies seien Spekulationen.<br />
«Bis jetzt gibt es - neben den<br />
angeschuldigten vier Pflegerinnen<br />
- keine konkreten Hinweise über<br />
weitere Mittäterinnen.» Auch<br />
nicht in der Heimleitung. Dass<br />
weitere Pflegende die Filme kennen<br />
würden, sei zwar möglich, bis<br />
jetzt habe man aber keine konkreten<br />
Namen. Knauss spricht von<br />
zwei verbotenen Handyfilmen.<br />
Den dritten Film bewertet er als<br />
nicht strafbar.<br />
Der freigestellte Pfleger, der<br />
Schmuck gestohlen haben soll, hat<br />
laut Knauss mit den Filmen nichts<br />
zu tun. Bezüglich des Diebstahls<br />
habe sich der Anfangsverdacht<br />
nicht erhärtet. Bleibe es dabei,<br />
werde der Fall voraussichtlich eingestellt,<br />
der Mann rehabilitiert.<br />
Auch bei der freigestellten vierten<br />
Pflegerin, der Tätlichkeit und verbotene<br />
Handyaufnahmen vorgeworfen<br />
werden, Hessen sich die<br />
Vorwürfe bisher nicht beweisen.<br />
Es werde noch ermittelt, die Auswertung<br />
der Computer und<br />
Handys sei noch im Gang.<br />
Fachliche und ethische Kompetenz.<br />
Der überaus tragische Vorfall von Misshandlungen<br />
an dementen Menschen durch<br />
Pflegepersonal trifft auf einen Kontext,<br />
in dem die Diskussionen um den Personalmangel<br />
und der Akademisierung in der<br />
Pflege heiss laufen. In den Reaktionen auf<br />
diese Misshandlungen im Kontext der<br />
laufenden Diskussionen kristallisieren<br />
sich zwei Hauptvoten heraus, die sich zu<br />
widersprechen scheinen. Einerseits wird<br />
argumentiert, bessere Qualifikationen<br />
hätten die Misshandlungen verhindern<br />
können. Andrerseits hört man, da auch<br />
eine dipl. Pflegefachperson beteiligt war,<br />
werde einmal mehr deutlich, dass gute<br />
Pflege eben nicht von Qualifikation abhängig<br />
sei. Sicher ist, dass hohe fachliche<br />
Qualifikation keine Garantie für ethisches<br />
Handeln ist. Dafür gibt es in der Geschichte<br />
und in der Gegenwart genügend<br />
Beispiele. Ein Trugschluss ist allerdings<br />
auch, dass gute Pflege allein dann stattfin-.<br />
det, wenn jemand «das Herz auf dem<br />
rechten Fleck hat» und fachliche Qualifikation<br />
keine Rolle spielt. Gerade in der<br />
Pflege mit dementen Menschen führt<br />
mangelndes Fachwissen schnell zu<br />
Überforderung.<br />
In der Pflege sind ganz stark beide<br />
Aspekte gefragt: Hohe fachliche Kompetenz<br />
wie auch ethisches Handeln. Nur so<br />
ist gewährleistet, dass die Würde des<br />
Menschen gewahrt wird und die Pflegequalität<br />
den geforderten Qualitätsnormen<br />
entspricht.<br />
MIRIAM SCHUDEL, WINTERTHUR<br />
Dipl. Pflegefachfrau HF<br />
Kriminell, nicht überfordert. Die aktuelle<br />
Diskussion über die Vorfälle im Entlisberg<br />
unterscheidet zu wenig zwischen<br />
momentaner Überforderung und kriminellem<br />
Handeln: Eine Überforderung mag<br />
vorliegen, wenn eine Pflegende die Nerven<br />
verliert und einmal zurücksehlägt,<br />
nachdem sie von einer (dementen) Patientin<br />
wiederholt angeschrien, geschlagen<br />
oder malträtiert worden ist. Ein solches<br />
Verhalten ist zwar nicht zu entschuldigen<br />
- und schon gar nicht professionell.<br />
Wenn aber Pflegende - aus Jux, zum<br />
Zeitvertreib usw. - sich gegenüber Patientinnen<br />
derartige Übergriffe erlauben<br />
und auch Gewalt ausüben (wie es hier<br />
offenbar der Fall gewesen ist), handeln sie<br />
bewusst und mit voller Absicht. Erst<br />
recht, wenn dies über längere Zeit geschieht.<br />
Ein solches Verhalten ist keine<br />
Überforderung mehr, sondern schlicht<br />
und einfach kriminell.<br />
Dr. med. REGULA STENGEL, URDORF<br />
Leiterin Pflegezentrum Spital Limmattal<br />
Pflegebedürftige als Objekte. Wenn wir<br />
diese Handy-Filme über nackte Menschen<br />
mit Demenz mit «Überforderung<br />
des Personals» zu entschuldigen versuchen,<br />
verharmlosen wir strukturelle Gewaltmomente,<br />
und das wirft ein schräges<br />
Licht auf die Institution selber. Jede<br />
Leiterin, jeder Leiter einer Pflegeinstitution<br />
ist dafür verantwortlich, das Arbeitsklima<br />
so zu gestalten und das Personal<br />
so zu stützen, dass es nicht zu derartigen<br />
Überforderungen kommt. Im vorliegenden<br />
Fall zeigt sich jedoch noch etwas ganz<br />
anderes in erschreckender Deutlichkeit:<br />
Das mangelnde Schuldbewusstsein der<br />
Pflegefachfrau («ich bin doch kein<br />
schlechter Mensch») zeigt deutlich, wie<br />
ihr Menschenbild geprägt ist von einem<br />
Objekt-Denken: Menschen in Abhängigkeit<br />
verlieren leider auch beim Fachpersonal<br />
sehr oft und schnell den Subjekt-Status<br />
und mit einem Objekt kann man machen,<br />
was man will.<br />
AIHA ZEMP, BASEL<br />
Fachstelle Behinderung und Sexualität
Pflegerinnen<br />
filmten nackte<br />
demente Frauen<br />
Drei Pflegerinnen des Zürcher<br />
Pflegezentrums Entlisberg haben<br />
«zur gegenseitigen Belustigung»<br />
Handyaufnahmen von nackten<br />
Patientinnen gemacht.<br />
Sie werden fristlos entlassen.<br />
Von Stefan Hohler<br />
Zürich. - Kantonspolizisten haben gestern<br />
Dienstag im Pflegezentrum Entlisberg<br />
in Wollishofen vier Mitarbeitende verhaftet,<br />
eine fünfte gesuchte Person war ferienhalber<br />
abwesend. Gegen die vier Frauen<br />
und einen Mann - alle im Pflegebereich tätig<br />
- hatte ein Angehöriger einer betroffenen<br />
Patientin Strafanzeige eingereicht.<br />
Die Vorwürfe umfassen verbotene Videoaufnahmen<br />
von betagten nackten Bewohnerinnen,<br />
Diebstahl sowie Körperverletzungen<br />
oder Tätlichkeiten. Die Opfer sind<br />
alle in der Demenz-Abteilung untergebracht.<br />
Die beschuldigten Personen sind<br />
nach der Einvernahme gleichentags wieder<br />
entlassen worden.<br />
Die Staatsanwaltschaft war bereits Ende<br />
Januar über die Vorfälle informiert worden.<br />
Nach Vorermittlungen durch die<br />
Kantonspolizei hat die Staatsanwaltschaft<br />
beim Obergericht die Eröffnung einer<br />
Strafuntersuchung beantragt. Dem Antrag<br />
wurde stattgegeben, wie die Staatsanwaltschaft<br />
gestern Abend mitteilte.<br />
Teilweise Geständnisse abgelegt<br />
Laut Staatsanwalt Alexander Knauss haben<br />
drei der vier Frauen Handy-Videoaufnahmen<br />
von nackten Patientinnen gemacht.<br />
Als Motiv nannte Knauss «Jux und<br />
gegenseitige Belustigung». Hinweise, dass<br />
die Filme ins Internet gestellt wurden,<br />
gebe es nicht. Die drei Frauen haben teilweise<br />
Geständnisse abgelegt. Die Staatsanwaltschaft<br />
hat Hausdurchsuchungen<br />
durchgeführt und Computer und Handys<br />
sichergestellt. Es handle sich um eine<br />
kleine Zahl von Aufnahmen, sagte Knauss.<br />
Die Anzeigen gegen zwei weitere Pflegepersonen<br />
des Zentrums Entlisberg -<br />
eine Frau und einen Mann - betreffen<br />
nicht Handyaufnahmen, sondern die Vorwürfe<br />
Diebstahl und Körperverletzungen.<br />
Bei den Körperverletzungen handle es<br />
sich nicht um grobe Vorfälle, so Knauss,<br />
sondern vermutlich um Tätlichkeiten. Bezüglich<br />
Diebstahl habe man noch keine<br />
konkreten Hinweise. Zum Alter und zur<br />
Nationalität der fünf Pflegepersonen<br />
wollte Knauss keine Angaben machen.<br />
Neukomm reagierte rasch<br />
Stadtrat Robert Neukomm (SP), der am<br />
Dienstag von den Vorwürfen erfuhr, ist<br />
empört. Der Vorsteher des Gesundheitsund<br />
Umweltdepartements hat sofort reagiert:<br />
Die drei Pflegefrauen, welche die<br />
Handyvideos machten, werden fristlos<br />
entlassen. Damit wolle man zeigen, dass<br />
der Stadtrat solche gravierenden Vorkommnisse<br />
absolut nicht dulde, sagte Neukomm.<br />
Gegen die zwei andern Pflegenden<br />
würden personalrechtliche Massnahmen<br />
eingeleitet, «sobald eine weitere Klärung<br />
durch die Staatsanwaltschaft erfolgt ist».<br />
Für Erika Ziltener, Präsidentin der Patientenstelle,<br />
sind Gewalt gegen Pflegepatienten<br />
und die Verletzung der Intimsphäre<br />
immer wieder ein Thema. Vorfälle<br />
wie oben beschrieben habe sie aber in ihrer<br />
langjährigen Tätigkeit noch nie erlebt.<br />
Auch für Stadtrat Neukomm sind die Vorkommnisse<br />
Einzelfalle.<br />
Auszug aus der<br />
Berichterstattung<br />
zu den Ubergriffen<br />
Pflegezentrum Entlisberg<br />
Missbräuche passieren eher zu Hause als in Heimen<br />
Das Handy-Slapping mit<br />
Betagten ist neu. Erstmals<br />
wurde eine Misshandlung<br />
durch Pflegende dokumentiert.<br />
Von Jürg Schmid<br />
Zürich. - «Das Thema Misshandlungen<br />
von Betagten tritt allmählich aus der<br />
Dunkelheit -heraus»? sagt der Zürcher<br />
Stadtarzt Albert Wettstein. Meist laufen<br />
psychische Misshandlungen im Verborgenen<br />
ab. Neu am Fall Entlisberg ist:<br />
«Das erste Mal ist mit den Handyfilmen<br />
eine Tat elektronisch erhalten geblieben<br />
und damit dokumentiert», sagt Wettstein.<br />
Er hat letztes Jahr einen ähnlichen<br />
Fall erlebt. Ein Täter habe seine Mutter<br />
gewürgt und geschlagen und das in<br />
E-Mails festgehalten. Diese wurden<br />
Wettstein zugespielt, und er konnte danach<br />
einschreiten.<br />
Psychische Misshandlungen kommen<br />
in Privatwohnungen häufiger vor als in<br />
Heimen. «Jeder Täter in einem Heim<br />
muss damit rechnen, dass ihn jemand beobachtet»,<br />
sagt Wettstein. Zum Thema<br />
Misshandlungen an alten Menschen hat<br />
er ein Merkblatt (www.uba.ch) verfasst,<br />
er hält Referate und gibt Seminarien. Für<br />
Wettstein ist die Tat im Entlisberg ein<br />
«extremer Einzelfall». Generell sieht er<br />
Überforderung als mögliche Ursache für<br />
eine derart schockierende Tat.<br />
Bisher keine Fälle mit Dementen<br />
Das Slapping mit wehrlosen, dementen<br />
Menschen ist auch für die diplomierte<br />
Pflegefachfrau Yvonne Dohner<br />
völlig neu. «Von einem derart krassen<br />
Fall habe ich noch nie gehört, schon gar<br />
nicht von gefilmten, wehrlosen Betagten.<br />
Wir erhalten vor allem Meldungen<br />
aus dem häuslichen Bereich.» Dohner ist<br />
seit einem Jahr Geschäftsführerin der<br />
Unabhängigen Beschwerdestelle für das<br />
Alter in Zürich. Aus Demenz-Abteilungen<br />
von Heimen hat sie bisher noch<br />
keine Beschwerden erhalten. Es sei ihr<br />
lediglich ein Fall von Diebstahl bekannt.<br />
Eine Pflegeperson hatte einen kleineren<br />
Geldbetrag gestohlen. Der Fall konnte<br />
aufgeklärt werden. Im Bereich psychischer<br />
Misshandlungen erhält die Beschwerdestelle<br />
vorwiegend Beschwerden<br />
von Angehörigen, die sich etwa über<br />
Vereinsamung ihrer betagten Eltern beklagen.<br />
Meist kann die Stelle mit Abklärungen<br />
vor Ort und Gesprächen mit allen<br />
Beteiligten Lösungen finden.<br />
Zu den Motiven der slappenden Pflegepersonen<br />
kann Dohner nur persönliche<br />
Einschätzungen äussern. Bei langjährigen<br />
Pflegenden könne Erstarrung<br />
und Zynismus zu Machtmissbrauch führen.<br />
Entscheidend sei die Persönlichkeit<br />
der Pflegenden. Die Arbeit mit Dementen<br />
sei eine der anspruchvollsten Aufgaben.<br />
Berufsverleider führe oft zu inneren<br />
Spannungen. «Daraus kann Abneigung<br />
gegen die Pflege Betagter entstehen».<br />
Zu Misshandlungen von alten Menschen<br />
gibt es in der Schweiz keine verlässlichen<br />
Zahlen. Gemäss internationalen<br />
Studien werden 2 bis 10 Prozent der<br />
über 65-Jährigen misshandelt, bei einer<br />
nach wie vor hohen Dunkelziffer.
Jetzt müssen Kontrollen her<br />
Pflegeheim-Skandal: Maillard fordert Inspektionen durch Kantone oder Gemeinden<br />
VON MARION LOHER<br />
UND PETRA WESSALOWSKI<br />
ZÜRICH Die Übergriffe im Zürcher<br />
Pflegeheim Entlisberg beschäftigen<br />
nun auch die Gesundheitsdirektorenkonferenz<br />
(GDK). Präsident<br />
Pierre-Yves Maillard fordert<br />
Inspektionen durch die<br />
Kantone oder die Gemeinden.<br />
«Ich bevorzuge die Kontrolle<br />
durch die Kantone, sie müssen<br />
ihre Verantwortung wahrnehmen<br />
und selbst Inspektionen durchführen.»<br />
Nicht alle Kantone verfügen<br />
über diese Kompetenz.<br />
In der Waadt, wo Maillard Gesundheitsdirektor<br />
ist, funktioniert<br />
dieses System seit Jahren - nachdem<br />
mehrere Pflegeheim-Skandale<br />
zur Einsetzung einer sechsköpfigen<br />
Inspektorengruppe geführt<br />
haben. Diese kontrolliert<br />
die Pflegeheime mindestens alle<br />
18 Monate - drei Viertel der<br />
Heime werden jährlich unangemeldet<br />
inspiziert, öfters auch<br />
frühmorgens oder abends. Bei<br />
häufigem Personalwechsel kommt<br />
es früher zu einer Inspektion.<br />
«Zu Beginn hatten wir jährlich<br />
bis zu zwanzig Beschwerden,<br />
2008 keine einzige mehr», sagt<br />
Maillard, «aber das heisst nicht,<br />
P.-Y. Maillard, Präsident der<br />
Gesundheitsdirektorenkonferenz<br />
dass es nie wieder einen Skandal<br />
geben wird.» Hauptprobleme sind<br />
das Anbinden von Patienten oder<br />
die Qualität der Mahlzeiten. Die<br />
Inspektoren stossen auf grosse<br />
Missstände, die auch publik gemacht<br />
werden. Kürzlich zeigte<br />
eine Inspektion, dass in einem<br />
Drittel von fünfzig Pflegeheimen<br />
die Patienten in ihrer Bewegungsfreiheit<br />
eingeschränkt waren -<br />
etwa im Bett angebunden oder<br />
zeitweise eingeschlossen im Zimmer.<br />
«Ohne ausreichende Rechtfertigung»,<br />
sagt Maillard.<br />
Der GDK-Präsident erhält von<br />
der Freiburgerin Anne-Claude<br />
Demierre Unterstützung für die<br />
kantonalen Kontrollen. Die Präsidentin<br />
der lateinischen GDK<br />
wird die Überwachung der Pflegeheime<br />
an der nächsten Sitzung<br />
Ende März traktandieren. «Ich<br />
begrüsse eine einheitliche Kontrolle<br />
durch die Kantone in der<br />
Westschweiz.» Ihr Aargauer Kollege<br />
Ernst Hasler, Präsident der<br />
Nordwestschweizer GDK, ist<br />
skeptischer und würde sich gegen<br />
kantonale Kontrollen wehren.<br />
Vielerorts findet die operative<br />
Überwachung auf der Ebene der<br />
Gemeinde statt. Im Kanton Zürich<br />
führt der Bezirksrat die jährlichen<br />
Visitationen in den Heimen<br />
durch. Die Besuche werden<br />
vorher angekündigt.<br />
Dem Zürcher Kontrolleur ist in<br />
Entlisberg nichts aufgefallen<br />
Das Pflegezentrum Entlisberg, wo<br />
drei Pflegerinnen unter Verdacht<br />
stehen, demente Bewohnerinnen<br />
nackt gefilmt zu haben, wurde<br />
vom zuständigen Ratsvertreter<br />
Mathis Kläntschi am 11. Dezember<br />
2008 zum letzten Mal besucht.<br />
Während der anderthalb Stunden,<br />
die er im Heim war, ist ihm<br />
nichts aufgefallen, was auf die am<br />
Dienstag bekannt gewordenen<br />
Übergriffe hätte hinweisen können.<br />
«Bei uns ist im Vorfeld auch<br />
keine Beschwerde eingegangen»,<br />
betont Kläntschi. Die Frage nach<br />
besonderen Vorkommnissen sei<br />
von den Verantwortlichen verneint<br />
worden. Auch beim Ende<br />
, 2008 durchgeführten ISO-Zertifizierungs-Audit<br />
im Entlisberg,<br />
das unter anderem das Handyverbot<br />
überprüfte, wurde keine<br />
Übertretung festgestellt.<br />
Patientenorganisationspräsidentin<br />
Margrit Kessler überraschen<br />
die guten Ergebnisse nicht.<br />
Sie erhalte immer wieder Reklamationen<br />
und höre von schweren<br />
Fällen. «Es ist schwer, etwas nachzuweisen,<br />
deshalb muss stärker<br />
durchgegriffen werden.»<br />
Das Zürcher Pflegezentrum<br />
Entlisberg wird nicht so schnell<br />
zur Ruhe kommen, obwohl der<br />
Stadtrat genau dies mit der Ankündigung<br />
einer Administrativuntersuchung<br />
bezweckt.<br />
Betroffenenanwalt Matthias<br />
Erne weiss von weiteren Vergehen.<br />
Doch «der Moment, darüber<br />
zu sprechen, ist noch nicht gekommen».<br />
Von der Auswertung<br />
der Staatsanwaltschaft erwartet<br />
er Hinweise auf weitere mögliche<br />
Filme und eine denkbare Weiterverbreitung<br />
der Handyfilme.
Heimangestellte in Zürich<br />
haben Demenzkranke<br />
misshandelt Über die<br />
Gründe sind sich die<br />
Branchenverbände uneins.<br />
VON RAINER RICKEI\IBACH<br />
Der Heimverband Curaviva reagiert<br />
empört: Die Staatsanwaltschaft ermittelt<br />
gegen fünf Angestellte des Stadtzürcher<br />
Pflegezentrums Enüisberg wegen Videos<br />
von zwei nackten demenzkranken Personen<br />
und zum Teil wegen Körperverletzung<br />
und Diebstahl. Dies sei ein «unentschuldbarer<br />
Einzelfall», sagt Markus Leser,<br />
Geschäftsleitungsmitglied von Curaviva.<br />
«Wir hoffen, dass die Öffenüichkeit<br />
jetzt nicht sämtliche 100 000 Personen,<br />
die in den Pflege- und Altersheimen<br />
arbeiten, über einen Kamm schert.»<br />
Menschen würden geschlagen, gedemütigt<br />
und dabei mit dem Handy gefilmt -<br />
«das Phänomen, welches wir von Schulen<br />
kennen, scheint nun auch in den<br />
Pflegeheimen angekommen zu sein. Das<br />
muss uns zu denken geben.»<br />
Eine Charakterfrage<br />
Für Leser ist klar: «Das hat nichts mit<br />
Überforderung am Arbeitsplatz zu tun,<br />
sondern einzig und allein mit dem<br />
Charakter jener Personen, die keinen<br />
Respekt vor dem Menschen zu besitzen<br />
scheinen.» Anders beurteilt der Berufsverband<br />
der Pflegefachleute die Ursache:<br />
Die «Sparhysterie» der Politik habe<br />
zur Folge, dass immer mehr Hilfskräfte<br />
die Arbeit von qualifiziertem Pflegfachpersonal<br />
verrichten. Das überfordere<br />
oft. In Zürich waren zwei diplomierte<br />
Pflegefachfrauen, zwei ausgebildete<br />
Pflegeassistentinnen und ein Pfleger<br />
beteiligt; sie sind teilweise geständig.<br />
Erwin Arnold, der Präsident des Luzerner<br />
Sozialvorsteherverbandes, ist zumindest<br />
erleichtert, dass «nach dem absolut<br />
tragischen Fall» die Staatsanwaltschaft<br />
unverzüglich durchgriff. Im Kanton Luzern<br />
wachen die Regierungsstatthalter<br />
darüber, ob in den Heimen die Qualitätsvorgaben<br />
eingehalten werden.<br />
Arnold rät, bei Verdacht auf Misshandlungen<br />
von dementen Angehörigen<br />
das Umfeld zu beobachten und<br />
wenn nötig das Gespräch mit der Heimleitung<br />
zu suchen. «Wenn das nicht<br />
fruchtet, sind die Sozialvorsteher der<br />
Gemeinden die zweite Anlaufstelle.»<br />
NACHGEFRAGT<br />
bei Joachim Eder,<br />
Gesundheitsdirektor<br />
des Kantons Zug<br />
«Gutes Betriebsklima<br />
ist das Wichtigste»<br />
Der Schweizer Berufsverband der Pflegefachleute<br />
fordert die Politik auf, der<br />
«Sparhysterie» bei der Pflegefinanzierung<br />
ein Ende zu setzen. Die Folge sei<br />
überfordertes Hilfspersonal, das die<br />
Arbeit von Fachleuten wahrnehme.<br />
Joachim Eder: Ich wäre mit solchen<br />
Stellungnahmen vorsichtig. Wir kennen<br />
bei unseren 19 Alters- und Pflegeheimen<br />
im Kanton Zug keine Sparhysterie.<br />
Es gibt klare Richüinien, wo<br />
Hilfspersonal und wo qualifiziertes<br />
Fachpersonal im Einsatz stehen darf.<br />
Im unserem geriatrischen Kompetenzzentrum<br />
in Baar werden Personen<br />
mit den schwierigsten Demenzerkrankungen<br />
betreut: Dort braucht<br />
es den grössten Anteil an qualifiziertem<br />
Fachpersonal - seit Jahren ist der<br />
Personalwechsel dort sogar am<br />
geringsten.<br />
Wer überwacht die Heimbetriebe?<br />
Eder: Die gesundheitspolizeiliche<br />
Aufsicht nehmen wir in der Gesundheitsdirektion<br />
wahr. Wir prüfen, ob<br />
und wie unsere Richüinien und Vorgaben<br />
eingehalten werden. Bei Reklamationen<br />
und Beschwerden klären<br />
wir ab, wo allenfalls Fehler gemacht<br />
wurden und Verbesserungen nötig<br />
sind. Die Verantwortung über die<br />
heiminterne Kontrolle trägt aber in<br />
erster Linie die Leitung Pflege. Zudem<br />
verlangen wir von jedem Heim,<br />
dass es einen verantwortlichen<br />
Heimarzt hat. Sonst gibt es keine<br />
Betriebsbewilligung.<br />
Wie lassen sich solche Vorfälle wie in<br />
Zürich verhindern?<br />
Eder: Ein gutes und vertrauensvolles<br />
Betriebsklima ist das Wichtigste. Im<br />
Kanton Zug sind die Arbeitsbedingungen<br />
gut. Das Pflegepersonal, welches<br />
die schwierige Aufgabe der Betreuung<br />
und Pflege von demenzkranken Mitmenschen<br />
ausübt, ist aber sehr oft<br />
grossen Belastungen und Stress ausgesetzt.<br />
Deshalb ist es wichtig, dass auch<br />
die Pflegenden von ihren Vorgesetzten<br />
gut betreut und begleitet werden. Regelmässige<br />
Fort- und Weiterbildung,<br />
aber auch Supervision sowie Gespräche<br />
mit den verantwortlichen Ärztinnen<br />
und Ärzten gehören auch dazu, rr<br />
Personal betroffen<br />
und erschüttert<br />
Zürich. - Die Mitarbeitenden des<br />
Pflegezentrums Entlisberg in Wollishofen<br />
seien «spürbar tief betroffen<br />
und erschüttert», sagt Kurt Meier,<br />
Direktor der städtischen Pflegezentren.<br />
Man habe für die Betreuung der<br />
rund 400 Angestellten ein Careteam<br />
eingesetzt. Um das Vertrauen der<br />
Angehörigen der Demenzkranken<br />
wiederzuerlangen, wurden sie<br />
schriftlich informiert und von der<br />
Stationsleitung angerufen. Zudem<br />
haben alle Bewohner der zehn städtischen<br />
Pflegezentren einen Brief des<br />
Bedauerns erhalten.<br />
Die am Donnerstag angekündigte<br />
Administrativuntersuchung leitet ein<br />
externer Jurist. Die Arbeit dürfte einige<br />
Monate dauern. Sie soll Licht in<br />
die Vorkommnisse bringen und<br />
Pflichtverletzungen aus personalrechtlicher<br />
Sicht untersuchen, (höh)
Ausbildung<br />
Ö<br />
Jetzt gibt es einen Abschluss<br />
Erwachsene mit Berufserfahrung,<br />
aber ohne Abschluss<br />
können neu eine Qualifikation<br />
erwerben. Von vorn anfangen<br />
müssen sie nicht.<br />
für Spätentschlossene<br />
Die Schweiz ist bekannt für ihr gutes<br />
Ausbildungssystem. Trotzdem hat<br />
längst nicht jeder, der über Jahre in<br />
einem Beruf arbeitet, auch einen anerkannten<br />
Abschluss. Gerade in den Bereichen<br />
Alten- und Krankenpflege,<br />
Hauswirtschaft, Betreuung sowie Gastronomie<br />
sind viele Menschen beschäftigt,<br />
die in den Job reingerutscht sind -<br />
vielfach mit einer Teil- oder ohne<br />
Ausbildung. Das Problem: Sie können<br />
ohne berufliches Fähigkeitszeugnis<br />
kaum den Arbeitgeber wechseln und<br />
sind so überdurchschnittlich oft arbeitslos.<br />
Im Kanton Zug können diese Arbeitnehmer<br />
in Zukunft einen eidgenössischen<br />
Abschluss erwerben. Dafür müssen<br />
sie nicht eine gesamte Lehre nachholen,<br />
sondern können ihre Arbeitserfahrung,<br />
aber auch ihr Fachwissen, das<br />
durch eine ehrenamtliche oder private<br />
Tätigkeit erworben wurde, anrechnen<br />
lassen. Der Kanton Zug zusammen mit<br />
dem Gewerblich-industriellen Bildungszentrum<br />
(GIBZ) bietet diesen<br />
Leuten jetzt die Möglichkeit, das felhende<br />
Fachwissen für den eidgenössischen<br />
Abschluss in einzelnen und flexiblen<br />
Lerneinheiten nachzuholen.<br />
Test im Internet<br />
Mit Hilfe eines webbasierten Tests<br />
kann jetzt jeder selbstständig prüfen,<br />
welche Berufsqualifikationen ihm<br />
noch für ein eidgenössisches Fähigkeitszeugnis<br />
fehlen. In den Test trägt<br />
man alle persönlichen und beruflichen<br />
Kompetenzen ein und reicht ihn<br />
zusammen mit den Belegen und<br />
Zeugnissen bei den Experten des Kantons<br />
ein. Diese beurteilen die anrechenbaren<br />
Vorkenntnisse und zeigen<br />
auf, was nachgeholt werden muss.<br />
Geprüft wird am Ende nur das fehlende<br />
Fachwissen. Die ergänzende Bildung<br />
übernimmt dann das GIBZ, das<br />
dafür extra das ehemalige Gebäude<br />
der Interkantonalen Schule für Pflegeberufe<br />
in Baar angemietet hat. «Je<br />
nachdem, wie viel Wissen schon vorhanden<br />
ist, kann fast jeder den Abschluss<br />
in rund einem Jahr nachholen»,<br />
sagt Beat Wenger, Rektor des<br />
GIBZ. Da es sich um eine Erstausbildung<br />
handelt, übernimmt der Kanton<br />
die Ausbildungskosten. Auch zeitlich<br />
sind die Schulungen so ausgerichtet,<br />
dass sie nicht den Job tangieren.<br />
Grosse Nachfrage<br />
Nachqualifizieren zur Fachangestellte<br />
Gesundheit (Fage) können sich im<br />
Kanton bereits Angestellte im Gesundheitswesen.<br />
Für den Beruf des Kochs<br />
läuft zurzeit ein Pilotprojekt.<br />
Das Angebot<br />
kommt sehr gut<br />
an, so Wenger. «Wir<br />
werden mit Anfragen<br />
überrannt. 180 Leute<br />
wollen die Prüfung<br />
zur Fachangestellten<br />
Gesundheit ablegen, 60 weitere habe<br />
den Abschluss bereits nachgeholt.»<br />
Beat Schuler, Leiter des Amtes für<br />
«Fast jeder kann den Abschluss<br />
in rund einem Jahr<br />
nachholen.»<br />
Berufsbildung, ist stolz, dass Zug mit<br />
den anderen <strong>Zentralschweiz</strong>er Kantonen<br />
als erster Kanton in der Deutschschweiz<br />
die offizielle Anerkennung für<br />
die Validierung von Bildungsleistungen<br />
vom Bundesamt für Berufsbildung und<br />
Technologie (BBT) erhalten hat. «Wir<br />
wissen, dass wir eine grosse Verantwortung<br />
haben. Denn die Qualität der<br />
Ausbildung muss langfristig gewährleistet<br />
sein. Es darf<br />
nicht der Eindruck<br />
entstehen, dass einem<br />
der Abschluss<br />
geschenkt wird.»<br />
Das GIBZ wurde<br />
von den sechs <strong>Zentralschweiz</strong>er<br />
Kantonen<br />
(Luzern, Nid- und Obwalden,<br />
Schwyz, Uri und Zug) beauftragt, das<br />
gesamte Verfahren für die Nachqualifikation<br />
zur Fachangestellten Gesundheit<br />
abzuwickeln. Laut Schuler geht es da-<br />
_rum, nach und nach weitere Qualifikationsprogramme<br />
für andere Berufe auszuarbeiten.<br />
Dabei sprechen sich die<br />
Kantone ab, welcher Beruf wo angeboten<br />
werden soll. «In der <strong>Zentralschweiz</strong><br />
wollen wir in den kommenden drei<br />
Jahren in rund zehn Berufen die Nachqualifikation<br />
möglich machen», sagt<br />
Schuler. Dabei gehe es darum, qualifiziertes<br />
Personal für Berufe sicherzustellen,<br />
denen der Nachwuchs fehlt. So<br />
könnte es beispielsweise auch bald für<br />
Informatiker möglich sein, einen eidgenössischen<br />
Abschluss nachzuholen.<br />
BEAT WENGER, REKTOR GIBZ<br />
NELLY<br />
KEUNE<br />
HINWEIS<br />
• Unter www.bildungsleistungen.ch finden Sie<br />
alles zum Thema sowie den Onlinetest.
c> —7<br />
Oo<br />
Filipinas für die Pflege<br />
Personalknappheit:<br />
Kantone prüfen unter anderem gezielte Rekrutierung im Ausland<br />
VON MARION<br />
LOHER<br />
BERN Kantone und die Nationale<br />
Dachorganisation der Arbeitswelt<br />
Gesundheit (Odasante) wollen<br />
gegen den drohenden Personalmangel<br />
in Schweizer Heimen und<br />
Spitälern vorgehen und prüfen,<br />
gezielt ausländische Pflegefachleute<br />
einzusetzen. «Infrage kommen<br />
auch Fachkräfte aus fernen<br />
Ländern, wie zum Beispiel aus<br />
den Philippinen», sagt Franz<br />
Wyss, Zentralsekretär der kantonalen<br />
Gesundheitsdirektorenkonferenz<br />
(GDK). Filipinas seien sehr<br />
gut ausgebildet, so Wyss.<br />
Heute kommen 30 Prozent der<br />
in der Pflege Angestellten aus<br />
dem Ausland, hauptsächlich aus<br />
Frankreich und Deutschland. Die<br />
Rekrutierung aus diesen Ländern<br />
wird zunehmend schwieriger,<br />
weshalb andere Herkunftsländer<br />
geprüft werden.<br />
Kritiker wollen Zugang zur<br />
Ausbildung erleichtern<br />
Eine Ende Februar publizierte<br />
Studie zeigt auf, dass aufgrund<br />
der Alterung der Bevölkerung bis<br />
ins Jahr 2020 rund 25000 Fachkräfte<br />
im Pflege- und Therapiebereich<br />
fehlen. Für die Zulassung<br />
von ausländischen Mitarbeitern<br />
ist der Bundesrat zuständig. Er<br />
kann ein grösseres Kontingent<br />
von qualifizierten Arbeitskräften<br />
einer Berufsgattung aus dem Ausland<br />
dann zulassen, wenn es in der<br />
Schweiz und in den Efta-Staaten<br />
zu wenige davon gibt. Eine mögliche<br />
Massnahme ist, in einem ersten<br />
Schritt 50 bis 100 philippinische<br />
Pflegefachleute zuzulassen.<br />
Bis Ende 2009 wollen die GDK<br />
und die involvierten Bundesämter<br />
Doris Leuthard, der Vorsteherin<br />
des Volkswirtschaftsdepartements,<br />
einen Bericht vorlegen.<br />
«Wir sind künftig noch mehr<br />
auf ausländisches Pflegepersonal<br />
angewiesen. Wieso soll es nicht<br />
aus den Philippinen kommen, wo<br />
mehr Fachkräfte ausgebildet werden<br />
als benötigt?», sagt Hansueli<br />
Mösle, Direktor des Heimverbands<br />
Curaviva. Mösle setzt voraus, dass<br />
die philippinischen Pflegerinnen<br />
und Pfleger die hiesige Sprache<br />
beherrschen. Ein Punkt, der auch<br />
für den Schweizerischen Verband<br />
für Pflegefachfrauen und -männer<br />
erfüllt sein sollte. «Der Arbeitgeber<br />
muss ausländisches Pflegepersonal<br />
gezielt in die Praxis einführen»,<br />
sagt Geschäftsleiterin<br />
Elsbeth Wandeler. Ausserdem<br />
dürfe es im Herkunftsland zu<br />
keiner Unterversorgung durch<br />
Mangel an diplomiertem Pflegepersonal<br />
kommen.<br />
Das Schweizerische Rote Kreuz<br />
(SRK) steht einer allfälligen Rekrutierung<br />
von philippinischen Pflegefachkräften<br />
kritisch gegenüber.<br />
«Anstatt ärmeren Ländern Pflegepersonal<br />
abzuwerben, sollte vielmehr<br />
motivierten Pflegehelferinnen<br />
und -heifern in der Schweiz<br />
der Zugang zur qualifizierten<br />
Ausbildung erleichtert werden»,<br />
sagt Anne-Rose Barth von der<br />
Abteilung Ausbildung, Gesundheit<br />
und Integration des SRK.<br />
Bund und Kantone prüfen auch<br />
andere Massnahmen: ein Attest<br />
für die zweijährige Grundbildung,<br />
mehr Ausbildungsplätze und eine<br />
einheitliche Abschluss-Kompetenz<br />
bei den Bachelor-Studiengängen.<br />
360000 Pflegefachleute<br />
Die Philippine Nurses Association<br />
wurde 1922 gegründet und ist -<br />
wie die Schweiz - dem Internationalen<br />
Pflegeverband ICN angeschlossen.<br />
Ihr gehören über<br />
360000 lizenzierte Pflegende an,<br />
jährlich kommen 13000 neue hin-'<br />
zu. An den Universitäten werden<br />
im Pflegebereich Bachelor-, Master-<br />
und Doktor-Studiengänge<br />
angeboten. Ein Ziel des Verbands<br />
ist eine professionelle Ausbildung<br />
für die Arbeit im Ausland. (ML)
«7. August 2006: Pflegende Tß<br />
Der Skandal im Pflegeheim Entlisberg ist extrem. Doch täglich<br />
vernachlässigen Heime ihre Bewohner. Pflege forscherin Silvia<br />
Käppeli protokollierte, wie schlecht es ihrer Mutter erging.<br />
«Ein Heim mit guter Führung findet auch gute Leute»<br />
Pflegewissenschaftlerin Silvia<br />
Käppeli fordert mehr Professionalität<br />
in der Alterspflege,<br />
speziell in Leitungsfunktionen.<br />
Mit Silvia Käppeli* sprach<br />
Susanne Anderegg<br />
Ist dieses Heim ein Einzelfall, was das<br />
Ausmass der Missstände anbelangt?<br />
In verschiedenen andern Heimen ist es<br />
auch so. Das weiss ich von vielen Kolleginnen,<br />
mit denen ich Erfahrungen austausche.<br />
Es gibt aber auch bessere Heime.<br />
Welche?<br />
Vor allem solche, die sich spezialisiert<br />
haben, etwa auf Alzheimer-Patienten.<br />
Sie beschreiben drastisch, wie Ihre Mutter Wo sehen Sie den Grund für die Missstände<br />
im Heim Ihrer Mutter?<br />
im Heim vernachlässigt wurde. Weshalb<br />
haben Sie sie nicht anderswohin gebracht? In der Inkompetenz auf allen Hierarchiestufen<br />
und in allen Diensten. Christ-<br />
Sie wurde vom Triemli direkt in<br />
dieses Heim verlegt und war nach dem liche Werte allein genügen nicht, es<br />
Schlaganfall verwirrt. Im Heim zügelten<br />
wir sie später von einem Zweiersein.<br />
Es gab zu wenig professionelles Per-<br />
braucht mehr als guten Willen und Nettin<br />
ein Einerzimmer. Einen weiteren sonal. Auch die Rolle der Heimärzte ist<br />
Wechsel konnten wir ihr angesichts ihres<br />
geistigen Zustandes nicht mehr zu-<br />
zu überprüfen.<br />
muten. Dazu kamen praktische Ist das speziell in Heimen mit christlicher<br />
Gründe: Da das Heim zwischen meinem<br />
Wohn- und meinem Arbeitsort Das Problem ist allgemein. Die Pflege-<br />
Trägerschaft ein Problem?<br />
liegt, konnte ich sie sehr oft besuchen. heime sagen, sie bekämen kein besseres<br />
Und die Umgebung ist schön und geeignet<br />
für Spaziergänge mit dem Roll-<br />
Ein Heim mit guter Führung findet auch<br />
Personal. Meine Erfahrung zeigt aber:<br />
stuhl.<br />
gute Leute. Und wenn man nur Pflegehilfen<br />
hat, muss man die eben so lange<br />
ausbilden, bis sie auf einem guten Level<br />
sind. Wichtig ist primär, dass die<br />
Führungskräfte hochprofessionell sind.<br />
Dann mag es auch eine Mischung zwischen<br />
diplomierten Pflegenden und<br />
Hilfspersonal leiden.<br />
Haben die Pflegenden nicht einfach zu wenig<br />
Zeit, weil Stellen gespart werden?<br />
Auf Mutters Etage hatten sie genug<br />
Personal. Zum Teil sind die Ressourcen<br />
aber schon knapp. Dann ist es wichtig,<br />
sie gezielt einzusetzen. Wenn man wirklich<br />
will, kann man es besser machen.<br />
Sie haben bei der Gesundheitsdirektion<br />
eine Beschwerde eingereicht. Mit Folgen?<br />
Die Behörden haben dem Heim Auflagen<br />
gemacht, insbesondere betreffend<br />
Ernährung der alten Menschen.<br />
* Silvia Käppeli leitet das Zentrum für<br />
Entwicklung und Forschung Pflege am<br />
Zürcher Universitätsspital und ist Mitglied<br />
der Eidgenössischen Ethikkommission.<br />
Sie hat in Geriatriepflege promoviert.
Tages-Anzeiger * Mittwoch, 11. März 2009<br />
LESERBRIEFE<br />
«Viele der Erfahrungen<br />
«7. August 2006: Pflegende verlieren<br />
Mutters Zahnprothese», TA vom 10.3.<br />
Ähnliches erlebt. Kurz bevor mein Vater<br />
aus einem städtischen Spital hätte entlassen<br />
werden sollen, erlitt er eine Hirnblutung.<br />
Nachdem sich sein Zustand stabilisiert<br />
hatte, erfolgte die Verlegung in<br />
ein Pflegezentrum. Viele der im Artikel<br />
geschilderten Beobachtungen und Erfahrungen<br />
machten auch wir, sowohl im<br />
Spital wie im Pflegeheim. Verschiedent- -<br />
lieh suchten wir im Gespräch mit den<br />
Führungsverantwortlichen nach Lösungen.<br />
Man gab sieh verständnisvoll und<br />
hörte uns immer zu - geschehen ist meist<br />
nur wenig und öfter nichts. Wir erlebten,<br />
wie motivierte und engagierte Pflegende<br />
gerügt, gemobbt und entlassen<br />
wurden. Resigniert haben wir Angehörigen<br />
in der Folge bei Missständen meist<br />
selbst Hand angelegt, um unserem Vater<br />
zu helfen. Ein starkes Unbehagen blieb<br />
und steigerte sich beim Erhalt der monatlichen<br />
Rechnung für den privaten Kostenanteil<br />
zur ohnmächtigen Wut. Wir haben<br />
daraus die Konsequenzen gezogen,<br />
eine rollstuhlgängige Mietwohnung gesucht,<br />
kleinere bauliche Anpassungen<br />
vorgenommen und Unterstützungsangebote<br />
organisiert. Selbst bei diesem Vorhaben<br />
erhielten wir von den dafür geschaffenen<br />
Stellen keine nennenswerte Unterstützung.<br />
Seit zwei Jahren leben meine<br />
Eltern gemeinsam in einer neuen Wohnung<br />
und gemessen das selbstbestimmte<br />
Zusammenleben und die wiedergewonnene<br />
Lebensqualität. Neben meinen Eltern<br />
haben auch die Steuerzahler und Krankenkassen<br />
gewonnen - sie brauchen die<br />
enormen jährlichen Kosten für einen<br />
unbefriedigenden Aufenthalt im Pflegeheim<br />
nicht mehr zu bezahlen.<br />
J. B., DÜBENDORF*<br />
(* Name der Red. bekannt)<br />
!<br />
machten wir auch»<br />
Pflegeausbildung abgebrochen. «Augen<br />
zu und durch» wurde mir von verantwortlicher<br />
Stelle geraten, als ich 2003<br />
als 46-jährige erfahrene Schülerin der<br />
Fachausbildung Psychiatrie der PUK Zürich<br />
auf einer «sogenannten» Geronto-<br />
Psychiatrischen Abteilung eines städtischen<br />
Alters-und Pflegeheims mein<br />
Praktikum absolvierte. Ich habe unzumutbare<br />
Zustände in der Begleitung und<br />
Pflege von dementen Menschen gesehen<br />
und erlebt. Ich habe auf die Missstände<br />
aufmerksam gemacht, unzumutbare Situationen<br />
geschildert, mein ethisches Di-<br />
lemma erklärt und meinen Notstand immer<br />
wieder kundgetan. Die Antwort<br />
lautete: «Wir zweifeln an Ihrer Kompetenz<br />
und an Ihrer Fähigkeit, Nähe und<br />
Distanz zu wahren.» Mir wurde vorgeworfen,<br />
keine Selbsthilfestrategien entwickeln<br />
zu können und der Lernsituation<br />
nicht gewachsen zu sein. Enttäuschung,<br />
Wut und Trauer haben mich dazu bewogen,<br />
meine Ausbildung abzubrechen<br />
und mich von der Pflege zu distanzieren.<br />
Ein trauriges Kapitel in meinem Leben.<br />
Umso mehr freue ich mich, dass die Wahrheit<br />
nur begrenzte Zeit unter dem Deckel<br />
gehalten werden kann.<br />
VERENA DILLIER, ZÜRICH<br />
Tiefe Beleidigung. Dieser Artikel ist<br />
eine tiefe Beleidigung von vielen Tausend<br />
Mitarbeitenden von Alters- und Pflegeheimen<br />
in der Schweiz, die mit viel<br />
Begeisterung und Engagement ihre anspruchsvolle<br />
Arbeit ausfuhren. In ihrem<br />
Tagebuch zeigt Silvia Käppeli auf, mit<br />
welchen Problemen ihre Mutter während<br />
dreier Jahre in diesem Zürcher Altersheim<br />
zu kämpfen und leben hatte.<br />
Sie hat als ausgewiesene Fachfrau drei<br />
Jahre zugesehen, wie es ihrer Mutter<br />
schlecht ging. Ein Wechsel in ein anderes<br />
Heim kam für sie nicht in Frage, da es<br />
kein idealeres Heim gab, das direkt an ihrem<br />
Arbeitsweg lag! Als Besserwisserin<br />
hat Silvia Käppeli versucht, die Situation<br />
im Heim zu verbessern, in dem sie sich<br />
operativ eingemischt hat und dem Pflegepersonal<br />
unter anderem eine «Weiterbildung<br />
angeboten» hat. Dass der «Tages-<br />
Anzeiger» ihr eine solche Plattform bietet,<br />
enttäuscht mich als langjährigen Leser<br />
und Abonnenten zutiefst. Ich bin mir<br />
sehr wohl bewusst, dass auchim Altersund<br />
Pflegeheim-Bereich Verbesserungen<br />
nötig sind (wie in vielen anderen Bereichen<br />
unseres Lebens). Die neue Pflegefmanzierung<br />
wird die Lage noch verschärfen.<br />
Den Institutionen werden in<br />
Zukunft noch weniger finanzielle Mittel<br />
zur Verfügung stehen. So werden die<br />
Krankenkassen nur noch einen reduzierten<br />
Teil der Pflegekosten finanzieren.<br />
Sich dieses Problems anzunehmen, wäre<br />
zum Beispiel eine Seite im TA wert.<br />
JOSEF ZIMMERMANN, GOCKHAUSEN<br />
Nicht nachvollziehbar. Dass eine Tochter<br />
ihre Mutter fast drei Jahre lang einer<br />
Pflege aussetzt, die sie als schrecklich beurteilt,<br />
und diese Pflege noch, als wäre<br />
ihre Mutter ein Forschungsobjekt, schriftlich<br />
protokolliert, kann ich nicht nachzuvollziehen.<br />
Ein Umzug in ein anderes<br />
Heim ist auch bei demenzkranken Menschen<br />
sehr wohl möglich, und das Argument<br />
der Nähe zum Wohn- und Arbeitsplatz<br />
wirft ein schlechtes Licht auf jemanden,<br />
der Gewissen und Engagement bei<br />
den Pflegenden reklamiert.<br />
CHRISTOPH HELD, ZÜRICH<br />
Dr med., Heimarzt
7]f ••( SC<br />
eines Heims prüfen können<br />
Angehörige als Kontrolleure<br />
Heime unterstehen der Kontrolle durch<br />
Kantone und Gemeinden. Die individuelle<br />
Befindlichkeit von Bewohnerinnen und<br />
TIPPS & INFOS<br />
Suche nach dem geeigneten Heim<br />
Die regionalen <strong>Sektion</strong>en der Alzheimervereinigung<br />
bieten Beratung und Hilfe bei der Heimsuche<br />
an. Die Adressen sind als links unter www.alz.ch<br />
aufgeführt. Dort finden Betroffene auch eine<br />
Checkliste mit wichtigen Tipps für die Wahl des Heimes.<br />
Eine allgemeine Checkliste für den Heimeintritt<br />
ist auf der Homepage von Curaviva Zürich Unter<br />
www.curaviva-zh.ch herunterzuladen.<br />
Menschen mit einer geistigen Behinderung und deren<br />
Angehörige können sich für die Heimsuche bei<br />
Insieme unter Telefon 031 300 50 20 beraten lassen.<br />
www.insieme.ch<br />
Qualität der Heime<br />
Der Verband der Baselbieter Pflegeeinrichtungen<br />
hält im Papier «Grundangebot und Basisqualität»<br />
fest, was zum minimalen Angebot von Heimen gehören<br />
sollte. Es richtet sich in erster Linie an Verantwortliche<br />
und Pflegende, doch bietet es auch<br />
Heimbewohnerinnen und -bewohnern sowie Angehörigen<br />
eine nützliche Orientierung dafür, was sie<br />
erwarten können. Das Papier ist unter<br />
www.bap-bl.ch veröffentlicht.<br />
Beschwerde- und Ombudsstellen<br />
Die Internetadresse www.uba.ch listet die bestehenden<br />
Ombudsstellen für das Alter auf. Eine gesamtschweizerische<br />
Abdeckung ist derzeit im Aufbau.<br />
Unter Telefon 058 450 60 60 nimmt eine zentrale<br />
Anlaufstelle Beschwerden von überall entgegen<br />
und leitet sie an die jeweilige Region weiter. Die<br />
Angebote der Beschwerdestellen sind kostenlos.<br />
Im Behindertenbereich übernimmt Insieme die<br />
Funktion einer Ombudsstelle (siehe oben).<br />
Bewohnern kann damit aber kaum zuverlässig<br />
erfasst werden. «Eine wirksame<br />
Überwachung ist daher der regelmässige<br />
Besuch der Angehörigen. Sie können so am<br />
ehesten Veränderungen im Aussehen und<br />
Verhalten ihrer Familienmitglieder feststellen»,<br />
sagt Giovanna Jenni, die in einer<br />
Studie an der Universität Basel die Erfahrungen<br />
von Angehörigen untersucht hat.<br />
Jenni rät den Angehörigen, sich vom Heim<br />
eine Ansprechperson zuteilen zu lassen,<br />
bei der sie ihre Beobachtungen jederzeit<br />
deponieren können. «Wir Pflegende können<br />
aber nicht erwarten, dass Angehörige<br />
immer selber nachfragen.» Es sei auch eine<br />
«Bringschuld» der Heime, auf die Angehörigen<br />
zuzugehen und sie zu informieren -<br />
und da bestehe Nachholbedarf. Denn der<br />
kontinuierliche Dialog zwischen Pflegenden<br />
und Angehörigen spielt laut Giovanna<br />
Jenni eine zentrale Rolle. Es erlaube den<br />
Angehörigen, sich laufend über die Betreuung<br />
und das Befinden ihrer FamilienmitT<br />
glieder auszutauschen und sich abzusichern.<br />
Eine Möglichkeit, einen solchen<br />
Dialog zu institutionalisieren, sind regelmässige,<br />
zum Vornherein vereinbarte Gespräche<br />
zwischen Heim und Angehörigen.<br />
Wenn Probleme auftauchen<br />
Stellen Sie als Angehörige fest, dass sich<br />
das Verhalten Ihrer Verwandten plötzlich<br />
verschlechtert oder nehmen Sie gar Zeichen<br />
von Vernachlässigung wahr, sollten<br />
Sie als Erstes die Pflegeverantwortlichen<br />
darauf ansprechen. Hilft das nicht, gelangen<br />
Sie an die nächsthöhere Instanz. «Das<br />
Heim ist verpflichtet, den Bewohnern und<br />
Angehörigen schriftlich mitzuteilen, an<br />
wen sie sich im Konfliktfall wenden können<br />
und welches der Instanzenweg ist»,<br />
sagt Markus Leser vom Heimverband Curaviva.<br />
Nur: «Viele Bewohner und Angehörige<br />
trauen sich nicht, Kritik im Heim anzubringen».<br />
weiss alt Oberrichter Daniel<br />
Steck, «aus Angst vor negativen Folgen in<br />
der Behandlung.» In solchen Fällen kann<br />
man Hilfe von aussen beiziehen.<br />
Hier gibt es Unterstützung<br />
Manche Heime bezeichnen eigene Schlichtungsstellen<br />
für den Konfliktfall. Angehörige<br />
sind aber nicht verpflichtet, diesen<br />
Weg zu wählen; sie können sich auch an die<br />
Unabhängigen Beschwerde- oder Ombudsstellen<br />
wenden. Oft genügt schon der<br />
blosse Hinweis von Angehörigen, dass sie<br />
sich bei der Beschwerdestelle erkundigt<br />
hätten, damit das Heim auf Kritik reagiere,<br />
sagt Andrea Lanz von der Ombudsstelle<br />
Bern. Und wenn Angehörige es nicht wagen<br />
selber vorstellig zu werden, dann bietet<br />
die Beschwerdestelle an, sie zu begleiten<br />
und zwischen den Parteien zu vermitteln<br />
oder klärend und fachlich einzuwirken, ergänzt<br />
Anja Bremi von der UBA Zürich.<br />
Viele würden sich leider eher spät an<br />
die Ombudsstelle wenden, wenn der Konflikt<br />
bereits eskaliert sei, so Bremi. Auch<br />
sei die heutige Generation alter Menschen<br />
noch «eher duldsam». Das werde sich aber<br />
bald ändern: «Die künftigen älteren Menschen<br />
sind viel kritischer und werden daher<br />
auch ihre Rechte einfordern.»
Pflege<br />
Krienser haben zu wenig Betten<br />
Nicht alle pflegebedürftigen<br />
Krienser können in der<br />
Gemeinde bleiben. Nun hat<br />
die Gemeinde sogar einen<br />
kantonalen Rüffel erhalten.<br />
VON CHRISTIAN BERTSCHI<br />
Die Gemeinde Kriens bietet ihren<br />
pflegebedürftigen Einwohnern 247 Betten.<br />
Zu wenig. Rund 100 Personen<br />
warten zurzeit auf eine Platzierung<br />
in einem der vier Krienser Heime (siehe<br />
Hinweis). «Diese Situation ist absolut<br />
unbefriedigend», sagt denn auch<br />
Sozialvorsteher Lothar Sidler.<br />
Eine Odyssee<br />
Die Quintessenz: Viele Krienser müssen<br />
sich ausserhalb der Gemeinde um<br />
ein Pflegebett kümmern. «Offenbar finden<br />
Krienser auswärts noch Betten,<br />
aber sie müssen eine riesige Odyssee<br />
auf sich nehmen», weiss Sidler. Krienser<br />
würden beispielsweise in Hochdorf,<br />
Entlebuch oder Horw platziert.<br />
Der Mangel an Pflegebetten ist auch<br />
der Grünen Partei sauer aufgestossen.<br />
Die ehemalige Einwohnerrätin Susanne<br />
Lanz hat in einer Interpellation gefragt,<br />
ob die Gemeinde bewusst eine Strategie<br />
fahre, um komplexe<br />
und zeitintensive<br />
Pflegefalle abzuweisen.<br />
Lothar Sidler<br />
weist diesen Vorwuf<br />
in der nun vorliegenden<br />
Beantwortung<br />
zurück: «Es handelt<br />
sich nicht um eine<br />
bewusste Strategie.<br />
Letztes Jahr wurden<br />
keine Pflegefalle abgewiesen,<br />
weil der<br />
Pflegeaufwand zu<br />
hoch gewesen wäre<br />
oder weil es an Fachpersonal<br />
mangelt.»<br />
Vielmehr sei es ein<br />
strukturelles Problem.<br />
Es gibt schlicht zu wenig Betten.<br />
«Diese Situation ist<br />
absolut unbefriedigend.»<br />
Grossfeld anpassen<br />
Eine Feststellung, die selbst der<br />
Sozialdienst des Luzerner Kantonsspitals<br />
gemacht hat. Dessen Leiterin hat<br />
sich in Kriens über den Mangel an<br />
Pflegebetten beschwert. Krienser, die in<br />
einem pflegebedürftigen Zustand aus<br />
dem Spital entlassen werden, können<br />
zurzeit übergangsmässig in Kriens gar<br />
nicht aufgenommen werden.<br />
LOTHAR<br />
SOZIALVORSTEHER<br />
SIDLER,<br />
Für Sozialvorsteher<br />
Lothar Sidler ist<br />
deshalb klar: «Wir<br />
müssen bauliche<br />
Massnahmen ins Auge<br />
fassen.» Konkret<br />
geht es um das Alters-<br />
und Pflegeheim<br />
Grossfeld. «Dieses<br />
Heim ist in die Jahre<br />
gekommen und<br />
dient unseren Bedürfnissen<br />
nicht<br />
mehr», sagt Sidler.<br />
Im Finanz- und Aufgabenplan<br />
2009 bis<br />
2013 ist ein Planungskredit<br />
vorgesehen.<br />
Die Zeit drängt.<br />
Das Bedürfnis nach weiteren Pflegebetten<br />
ist in Kriens offensichtlich.<br />
Zentrum hat Priorität<br />
Der Sozialvorsteher dämpft allerdings<br />
Erwartungen an eine baldige<br />
Lösung: «Wir müssen zuerst eine Gesamtschau<br />
machen, bevor wir ein konkretes<br />
Bauprojekt angehen können. Zu-<br />
EXPRESS<br />
• Auf der Warteliste der<br />
Krienser Heime stehen<br />
rund 100 Pflegebedürftige.<br />
• Die Planung für neue<br />
Pflegeplätze wird erst<br />
in einigen Jahren erfolgen.<br />
dem hat die Planung der Zentrumsüberbauung<br />
Priorität. Dort wird es eher<br />
kein Pflegezentrum geben.» Zudem sei<br />
auch noch völlig unklar, was der Ersatz<br />
des bestehenden Grossfelds kosten<br />
würde. Eine kurzfristige Notlösung<br />
lehnt der Sozialvorsteher ab: Die Umwandlung<br />
von Zimmern des Altersheims<br />
in Pflegezimmer würde zu unbefriedigenden<br />
Ergebnissen führen, unter<br />
anderem, weil die Gänge und Zimmer<br />
für die Pflegebetten zu eng sind und in<br />
den Zimmern Nasszellen für pflegebedürftige<br />
Personen fehlen.<br />
%<br />
HINWEIS<br />
• Die vier Krienser Heime: Grossfeld (79 Betten),<br />
Zunacher 1 (59), Zunacher 2 (88), Kleinfeld (21).<br />
Total: 247 Betten.
Wie Angehörige die Qualität<br />
Viele Angehörige sind wegen der<br />
bekannt gewordenen Missstände<br />
in Pflegeheimen verunsichert.<br />
Sie spielen bei der Kontrolle der<br />
Qualität eine zentrale Rolle und<br />
erhalten dafür auch Hilfe.<br />
Von Andrea Fischer<br />
Nach den Vorfällen im Zürcher Pflegeheim<br />
Entlisberg schreckte vergangene<br />
Woche ein weiterer Bericht die Öffentlichkeit<br />
auf. In einem ausführlichen Protokoll<br />
schilderte Pflegeforscherin Silvia<br />
Käppeli, wie ihre Mutter im Heim über<br />
Monate vernachlässigt wurde. (TA vom<br />
io. Marz) Damit nicht genug: Gemäss Käppeli<br />
handle es sich bei der Geschichte ihrer<br />
Mutter auch nicht um einen Ausnahmefall.<br />
Zwar habe sich die Versorgung alter<br />
Menschen in Heimen im Allgemeinen verbessert,<br />
sagt Anja Bremi von der Unabhängigen<br />
Beschwerdestelle für das Alter<br />
(UBA). «Die behördlichen Vorgaben für<br />
die Pflege sind strenger und klarer geworden.»<br />
Doch viele Angehörige fragen sich<br />
ob der jüngsten Nachrichten, wie solche<br />
krassen Missstände zu verhindern seien<br />
und wie sie sichergehen können, dass ihre<br />
Familienmitglieder gut aufgehoben sind.<br />
So auch die 8o-jährige F. N., deren Ehemann<br />
an einer Demenz leidet und seit zwei<br />
Monaten in einem Pflegeheim lebt. Anfangs<br />
war sie beeindruckt vom Konzept<br />
des Heimes. Doch dann wurde ihr Mann<br />
nicht wie vereinbart in der Demenzabteilung<br />
untergebracht. Auch teilte man ihr<br />
nur eine Pflegehelferin als Ansprechperson<br />
zu. Seither ist Frau N. nicht mehr so<br />
überzeugt, und obwohl sie ihren Mann täglich<br />
besucht, plagen sie Zweifel: «Ich frage<br />
mich, ob er wirklich gut gepflegt wird.»<br />
Angehörige sind indes den Verantwortlichen<br />
in den Pflegeheimen nicht einfach<br />
ausgeliefert. Vielmehr spielen sie für die<br />
Kontrolle und Überwachung eine zentrale<br />
Rolle. Sie können Forderungen und Wünsche<br />
anbringen und sich bei Problemen<br />
externe Hilfe holen. Sich abzusichern beginnt<br />
bereits vor dem Heimeintritt.<br />
Wahl des richtigen Heims<br />
Da es bislang keine Rangliste oder ein<br />
Qualitätslabel für Heime gibt, sind Angehörige<br />
und Bewohner bei der Heimwahl<br />
auf sich selber gestellt. Im Internet finden<br />
Sie jedoch Checklisten für den Heimeintritt,<br />
auch bieten einzelne Angehörigenvereine<br />
Beratung und Unterstützung bei<br />
der Heimsuche an (siehe Tipps & Infos).<br />
Viele Angehörige entscheiden sich, ihre<br />
Verwandten in der Nähe unterzubringen,<br />
damit sie sie regelmässig besuchen können.<br />
Das ist ein nicht zu unterschätzender<br />
Vorteil, doch genügt es als Kriterium allein<br />
nicht. Ein Vergleich der Heime lohnt sich.<br />
Nutzen Sie auch die Möglichkeit des Probewohnens.<br />
Da nur wenige sich rechtzeitig<br />
um einen Heimeintritt kümmern, bleibt jedoch<br />
meist keine Zeit für eine sorgfältige<br />
Wahl. Birgitta Martensson, Geschäftsleiterin<br />
der Alzheimervereinigung, rät dennoch,<br />
sich nicht allein auf das Leitbild einer<br />
Institution zu verlassen. Entscheidend<br />
seien die Signale und die Stimmung, welche<br />
die Heimleitung aussende. «Decken<br />
sich die Ansichten der Heimfuhrung mit<br />
den eigenen Überzeugungen, dann stehen<br />
die Chancen gut, dass die Angehörigen gut<br />
aufgehoben sind», sagt Martensson.<br />
Art der Pflege<br />
Bei der Pflege «geht es um höchst persönliche<br />
Rechte des Patienten, die müssen gewährleistet<br />
sein», sagt der Zürcher Alt-<br />
Oberrichter Daniel Steck, der in der Fachkommission<br />
der Unabhängigen Beschwerdestelle<br />
tätig ist. Daher sei es grundsätzlich<br />
Sache der Bewohnerinnen und Bewohner,<br />
die Art der Pflege zu bestimmen. Wobei<br />
sich nicht alles bereits bei Abschluss des<br />
Heimvertrags im Detail regeln lasse, zumal<br />
die Pflege den sich stets verändernden Bedürfnissen<br />
der Patienten anzupassen sei.<br />
Angehörige können aber verlangen, in<br />
pflegerische Entscheide mit einbezogen zu<br />
werden, betont Pflegeexpertin Giovanna<br />
Jenni vom Betagtenzentrum Laupen bei<br />
Bern. Dies gilt insbesondere bei Problemfällen<br />
oder für freiheitsbeschränkende<br />
Massnahmen - wie etwa das vorübergehende<br />
Anbinden oder Einschliessen von<br />
Heimbewohnern -, welche gesetzlich erst<br />
in ein paar Jahren mit dem neuen Erwachsenenschutzrecht<br />
geregelt werden. Nebst<br />
dem Kanton Graubünden verfügen einzelne<br />
Gemeinden (wie die Stadt Zürich)<br />
und Heime bereits heute über entsprechende<br />
Richtlinien. Erkundigen Sie sich,<br />
wie das von Ihnen gewählte Heim damit<br />
umgeht, und deponieren Sie Ihre Wünsche<br />
und Forderungen frühzeitig.
Fallkostenpauschale<br />
Werden Kranke<br />
kränker gemacht?<br />
Für eine Schulteroperation und 28<br />
Stunden Aufenthalt stellte das Zuger<br />
Kantonsspital einem Patienten eine<br />
Rechnung über 20 220 Franken aus.<br />
Der hohe Betrag machte den 53-Jährigen<br />
stutzig - aber sowohl Spitalverwaltung,<br />
Krankenkasse und Zusatzversicherung<br />
erklärten ihm, dass an<br />
der Rechnung nichts auszusetzen<br />
sei. Nach der zweiten Schulter-OP<br />
Ende letzten Jahres sah er sich in<br />
seinen Zweifeln bestärkt: Für den<br />
identischen Eingriff stellte das Spital<br />
2292 Franken in Rechnung.<br />
Fallgruppe entscheidet<br />
Wie der «Beobachter» in seiner Ausgabe<br />
vom Freitag schreibt, hegt das<br />
am Rechnungssystem. Weil das Kantonsspital<br />
nach Fallkostenpauschale<br />
abrechnet, werden nicht die einzelnen<br />
Arbeitsschritte verrechnet. Über den<br />
Rechnungsbetrag entscheidet, welcher<br />
Fallgruppe der Patient zugeordnet<br />
wird. Im vorliegenden Fall ortet<br />
ein unabhängiger Spezialist eine Fehlcodierung:<br />
Der Patient wurde fälschlicherweise<br />
der Gruppe «grosse Schultereingriffe<br />
mit Komplikationen» zugeordnet<br />
- wobei «normaler Schultereingriff<br />
ohne Komplikationen» ausgereicht<br />
hätte. Die Differenz macht sich<br />
bezahlt. In Fachkreisen, so schreibt<br />
der «Beobachter», habe dieses Vorgehen<br />
System und einen Namen - Upcoding.<br />
Wie oft Spitäler höhere Vergütungen<br />
in Rechnung stellen, sei unbekannt.<br />
Weil dazu Zahlen fehlen.<br />
MZ<br />
Ein Fehler?<br />
Werden also auch im Zuger Kantonsspital<br />
Patienten auf dem Papier<br />
kränker gemacht, als sie sind? «Aus<br />
meiner Sicht kann ich dies klar verneinen»,<br />
sagt Gesundheitsdirektor Joachim<br />
Eder auf Anfrage unserer Zeitung.<br />
Die Codier-Praxis habe in den<br />
letzten Jahren zu keinen Beanstandungen<br />
Anlass gegeben, versichert er.<br />
Eine Vertrauenskommission, in der<br />
die Kranken- und Unfallversicherer,<br />
die Spitäler und die Kantone paritätisch<br />
vertreten sind, lasse jedes Jahr<br />
alle <strong>Zentralschweiz</strong>er Spitäler überprüfen.<br />
Zwar sei der Ärger des Patienten<br />
verständlich. «Ich kann mich zu<br />
diesem Fall aber nicht äussern, weil<br />
ich ihn nicht kenne.» Ob ein Fehler<br />
vorliege, könne nur anhand der vollständigen<br />
Unterlagen geprüft werden.<br />
Bestes Resultat in der Region<br />
Das System AP-DRG, das im Zuger<br />
Kantonsspital angewendet wird, basiert<br />
auf Durchschnittszahlen pro Diagnose.<br />
Pauschalen werden unabhängig<br />
vom Aufwand verrechnet. «Sie<br />
sind Mischtarife innerhalb bestimmter<br />
Bandbreiten», sagt Eder. Es sei also<br />
möglich, dass in einem Fall der Aufwand<br />
höher oder eben tiefer sei als<br />
der Rechnungsbetrag. Dies entspreche<br />
dem Prinzip der Fallpauschalen.<br />
Die letzte Codierrevision aber habe<br />
ein «sehr zufrieden stellendes Resultat»<br />
ergeben: «Es wies lediglich eine<br />
kostenwirksame Differenz von weniger<br />
als drei Promille auf - das beste<br />
Resultat in der <strong>Zentralschweiz</strong>.»<br />
CHANTAL<br />
DESBIOLLES<br />
Das Zuger Kantonsspital verrechnet<br />
Pauschalen - unabhängig vom<br />
tatsächlichen Aufwand. BILD CB
Fallmanagerin: «Bonus<br />
erhält, wer viel Geld spart»<br />
Der Datenschützer hat den<br />
Einsatz von Fallmanagern<br />
in Spitälern kritisiert. Eine<br />
ehemalige Fallmanagerin<br />
packt nun aus.<br />
Von Liliane Minor<br />
Zürich. - Sechs Jahre lang arbeitete<br />
die hochqualifizierte Pflegefachfrau<br />
A.* für zwei Krankenkassen<br />
als Fallmanagerin. «Ich begann<br />
diese Arbeit, weil ich Patienten beraten,<br />
begleiten und unterstützen<br />
wollte», erzählt sie heute. Sie kam<br />
rasch auf die Welt.<br />
Schon beim ersten Arbeitgeber<br />
waren Einsparungen ein Thema,<br />
zum Beispiel wenn es darum ging,<br />
welche Therapie die Kasse nach<br />
einem Spitalaufenthalt bezahlte.<br />
«Wenigstens stand aber da das Interesse<br />
des Versicherten im Vordergrund»,<br />
sagt A. Dafür machte<br />
diese Kasse genau das, was der<br />
Zürcher Datenschützer am Montag<br />
harsch kritisiert hat (TA von<br />
gestern): Sie informierte die Versicherten<br />
nicht. Die Patienten wussten<br />
also nicht, dass neben Ärzten<br />
und Pflegenden auch A. Einblick in<br />
die medizinischen Akten hatte. Die<br />
Fallmanagerin wurde automatisch<br />
immer dann eingeschaltet, wenn<br />
ein Versicherter bestimmte Kriterien<br />
erfüllte, zum Beispiel in einem<br />
Jahr mehrmals im Spital war oder<br />
die Aufenthaltsdauer eine bestimmte<br />
Zeit überschritt.<br />
Als eine grössere Kasse A.s bisherigen<br />
Arbeitgeber übernahm,<br />
änderten sich die Sitten. «Wir bekamen<br />
nun Zielvorgaben, wie viele<br />
Fälle wir bearbeiten und wie viel<br />
Geld wir einsparen mussten», erzählt<br />
die Fallmanagerin. «Das Erreichen<br />
dieser Ziele war ein Kriterium<br />
für den Bonus.» Wer hundert<br />
Prozent arbeitete, musste ständig<br />
35 bis 40 Fälle offen haben und jedes<br />
Jahr rund eine Viertelmillion<br />
Franken Einsparungen erwirtschaften<br />
- und die Vorgaben wurden<br />
Jahr für Jahr erhöht.<br />
Zwar seien die Ziele nicht<br />
grundsätzlich unerreichbar gewesen,<br />
sagt A. Aber: «Wer eine Region<br />
betreute, in<br />
der viele Leute<br />
grundversichert<br />
waren, der musste<br />
sich ziemlich abstrampeln.»<br />
Das<br />
bedeutete, man<br />
versuchte möglichst<br />
viele möglichst<br />
lukrative<br />
Fälle zu bearbeiten<br />
- oder man erlag<br />
der Versuchung, Gesuche um<br />
Kostengutsprachen einfach einmal<br />
abzulehnen, wenn die Sachlage<br />
nicht ganz eindeutig war.<br />
Bei Anruf war Patient tot<br />
Die Versuchung war<br />
da, Gesuche für<br />
Therapien einfach<br />
einmal abzulehnen.<br />
Immerhin habe es bei dieser<br />
zweiten Kasse kein Fallmanagement<br />
ohne Einwilligung des Patienten<br />
gegeben. «Wir mussten immer<br />
eine Einwilligung holen», sagt<br />
A. «Aber das verlief oft sehr harzig.»<br />
Immer wieder musste die<br />
Fallmanagerin Patienten anrufen,<br />
nur um festzustellen, dass sie todkrank,<br />
bereits verstorben oder völlig<br />
verwirrt und damit kaum entscheidungsfähig<br />
waren. Für A. waren<br />
solche Telefonate extrem belastend<br />
- genau wie Besuche am<br />
Krankenbett, auch das eine Vorgabe<br />
ihrer Arbeitgeberin.<br />
Spitäler waren eher feindselig<br />
Mühsam sei es auch gewesen, an<br />
Informationen zu kommen: «Die<br />
Spitäler verweigerten uns die nötigen<br />
Unterlagen öfter.» Dabei habe<br />
ihre Kasse den Datenschutz - im<br />
Gegensatz zu anderen - sehr ernst<br />
genommen. Mindestens was<br />
schriftliche Akten betrifft. «Problematisch<br />
war<br />
das, was mündlich<br />
ablief. Da gibt es<br />
eine Grauzone.<br />
Oft riefen wir die<br />
Ärzte einfach an.<br />
Manchmal versuchten<br />
wir so an<br />
Informationen zu<br />
kommen, bevor<br />
wir eine Vollmacht<br />
hatten.»<br />
Der Hauptgrund für A., ihre Arbeit<br />
als Fallmanagerin an den Nagel<br />
zu hängen, war aber ein anderer.<br />
«Ich war in meiner Rolle immer<br />
im Clinch zwischen allen Seiten»,<br />
sagt sie. «Einerseits sollte ich<br />
sparen, anderseits die Leute unterstützen.»<br />
Zuweilen begegneten die<br />
Spitalverantwortlichen den Fallmanagern<br />
feindselig, an einzelnen<br />
Orten hatten sie praktisch Hausverbot<br />
- offenbar fürchteten die<br />
Spitäler den Einfluss der Krankenkassen.<br />
Für A. ist deshalb klar: «Nicht<br />
die Krankenkassen sollten das Fallmanagement<br />
machen, sondern<br />
eine neutrale Stelle.»<br />
* Name der Redaktion bekannt.
Rund 330 000 Personen in der<br />
Schweiz arbeiten im Pflege- und Therapiebereich.<br />
Das ist eigentlich jetzt schon<br />
knapp. Denn gesamtschweizerisch<br />
wird es je länger, je schwieriger, qualifiziertes<br />
Pflegepersonal zu finden. Diese<br />
I Tendenz beobachtet auch Beat Demar-<br />
| mels, Leiter Heime und Alterssiedlun-<br />
I gen in der Stadt Luzem: «Die Rekrutierung<br />
gestaltet sich seit etwa einem Jahr<br />
wieder schwieriger. Ich erwarte, dass<br />
sich das Problem noch zuspitzen wird.»<br />
Bald zu wenig Personal<br />
Diese Prognose stellt auch das<br />
Schweizerische Gesundheitsobservatorium.<br />
Laut seiner gerade publizierten<br />
Analyse werden bis zum Jahr 2020 die<br />
Über-65-Jährigen zahlenmässig zunehmen<br />
- um etwa 34 Prozent gegenüber<br />
2006. Gleichzeitig wird der Anteil der<br />
Personen im Erwerbsalter nur um 4<br />
Prozent steigen.<br />
Auch wenn, wie in einer optimistischen<br />
Berechnung des Observatoriums<br />
angenommen, sich der Gesundheitszustand<br />
der Älteren weiterhin verbessern<br />
wird und die Spitalaufenthalte verkürzt<br />
werden, muss man damit rechnen, dass<br />
bis 2020 mindestens 13 Prozent mehr<br />
Stellen im Pflegebereich benötigt werden<br />
(siehe Grafik).<br />
PERSONALNOT<br />
Bis 2020 braucht es 45 000 zusätzliche Stellen<br />
Doch woher die Leute nehmen? Mit<br />
einer neuen Lehre sowie Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten<br />
an höheren<br />
Fachschulen und an Fachhochschulen hat<br />
man die Pflegeberufe für junge Menschen<br />
bereits weit geöffnet. Auch die<br />
Löhne sind attraktiv: zwischen etwa 4200<br />
gleich nach der Lehre bis etwa 7000<br />
Franken für eine erfahrene diplomierte<br />
Fachkraft ohne Führungsfunktion.<br />
PERSONALNOT IN DER PFLEGE 2020<br />
Am Interesse mangelt es auch nicht,<br />
sagt Beat Demarmels: «Gerade die Lehre<br />
als Fachangestellte Gesundheit ist bei den<br />
16-Jährigen sehr beliebt.» Schwieriger ist<br />
es, qualifiziertes Personal zu behalten,<br />
stellt Demarmels fest: «Für weiter qualifizierte<br />
Personen, mit einem Diplom einer<br />
höheren Fachschule zum Beispiel, ist die<br />
Arbeit im Spital oft interessanter.» Denn<br />
dort steht weniger die Beziehungsarbeit<br />
Entwicklung im Vergleich zu 2006 in % (Optimistisches Szenario)<br />
: jUi i<br />
| Bevölkerung<br />
I~ rf Tage in Spitälern + 2%<br />
f 1<br />
i Jage in Alters- und Pflegeheimen
Gesundheitskosten<br />
Der Streit um<br />
Santesuisse kann beim<br />
Bundesverwaltungsgericht<br />
Beschwerde einreichen. Das<br />
Zuger Kantonsspital fühlt<br />
sich trotzdem im Vorteil.<br />
Einen ersten Entscheid hat der zuj<br />
ständige Instruktionsrichter am Buni<br />
desveryvaltungsgericht gefallt: Santesuisse<br />
ist als «repräsentativer Bran-<br />
I chenverband der schweizerischen<br />
j Krahkenversicherer» als Beschwerdeführer<br />
zugelassen. Inhaltlich geht es um<br />
die vom Regierungsrat am 25. Novem-<br />
! ber 20Q8 beschlossene Fallpreispauschale<br />
für die stationäre Behandlung<br />
von Zuger Patienten in der allgemeinen<br />
Abteilung des Zuger Kantonsspitals.<br />
Während Santösuisse 3840 Franken<br />
vorgeschlagen hat, Verlangte das Kantonsspital<br />
4307 Franken. Weil sich die<br />
beiden Parteien nicht einigen konnten,<br />
fest - auf 4087 Franken.<br />
weiter<br />
Die Frist läuft<br />
Sowohl Santesuisse wie auch das<br />
Kantonsspital reichten danach Beschwerde<br />
beim Bundesverwaltungsgericht<br />
ein. Und darin focht das Spital<br />
auch die Legitimation des Krankenversicherers<br />
an. Bis Ende April - eine<br />
Fristerstreckung gibt es keine - können<br />
die drei Parteien Stellung zu den verschiedenen<br />
Beschwerden nehmen. Der<br />
Kanton ist aufgefordert, die entsprechenden<br />
Vorakten einzureichen. Gesundheitsdirektor<br />
Joachim Eder<br />
wünscht sich, dass das Gericht im Sinne<br />
der Zuger Regierung entscheidet. Heisse<br />
er die Beschwerde von Santesuisse gut,<br />
dann werde das Defizit des Spitals noch<br />
grösser. Bezahlen müsse der Kanton.<br />
Gewichteten die Richter aber die Argumente<br />
des Spitals am höchsten, dann<br />
müsse der Kanton ebenfalls Nachzahlungen<br />
leisten. «Wie die Richter entscheiden<br />
werden, ist völlig offen.»<br />
«Unsere Position ist gestärkt»<br />
Der Verwaltungsrat der Zuger Kantonsspital<br />
AG ist zuversichtlich. «Falls<br />
sich das Bundesverwaltungsgericht vertieft<br />
mit unseren Argumenten auseinandersetzt<br />
und falls es nicht nur einen<br />
politischen Entscheid fallt», wie Daniel<br />
Staffelbach bemerkt. Auch den Entscheid<br />
des zuständigen Instruktionsrichters<br />
bezüglich der Zulassung von<br />
Santesuisse beurteilt er positiv. «Gemäss<br />
der früheren bundesrätlichen Rechtsprechung<br />
musste jene Partei, die sich<br />
Verhandlungen verweigert hatte, hirinehmen,<br />
dass dem Festsetzungsantrag<br />
der Gegenpartei stattgegeben wurde.»<br />
Mit dem vorliegenden Entscheid habe<br />
sich das Bundesverwaltungsgericht diese<br />
Rechtsprechung zur eigenen gemacht.<br />
«Materiell ist damit unsere Position<br />
gestärkt worden.» FREDDY TRÜTSCH
~ ZoZ^/scy<br />
Die 2-Milliarden-Sparliste<br />
Brisanter VorschlagjJ-öhnedesGesundjieitspersonals sollen eingefroren werden<br />
VON BENITA VOGEL<br />
ZÜRICH/BERN Die Diskussionen<br />
um die Kostensenkung im Gesundheitswesen<br />
laufen heiss.<br />
Morgen Montag treffen sich<br />
Bund, Kantone und Krankenkassen<br />
für eine weitere Analyserunde.<br />
Am Dienstagnachmittag<br />
tagt die neu gegründete Gesundheitskommission<br />
zum ersten Mal.<br />
Das Ziel: Grundversicherungskosten<br />
um zwei Milliarden Franken<br />
abspecken. Bis Ende Juni sollen<br />
kompromissfähige und kurzfristig<br />
umzusetzende Massnahmen<br />
stehen.<br />
Nach der Überprüfung durch<br />
einen Gesundheitsökonomen sollen<br />
die Gesundheitskommissionen<br />
des Parlaments darüber entscheiden.<br />
Kommissionsinitiant<br />
Otto Ineichen will erreichen, dass<br />
der Anstieg der Krankenkassenprämien<br />
für nächstes Jahr unter<br />
fünf Prozent bleibt und nicht wie<br />
von den Kassenchefs angedroht<br />
15 Prozent oder mehr beträgt.<br />
Am Dienstag werden die Sparvorschläge<br />
aller Kommissionsmitglieder<br />
gesichtet und diskutiert.<br />
Beim Sparpotenzial handelt es<br />
sich nicht nur um Lifestyle-<br />
Operationen, die die Kassen<br />
jährlich über 30 Millionen Franken<br />
kosten (SonntagsZeitung<br />
vom 17. Mai 2009). Inzwischen<br />
hat sich gemäss Recherchen eine<br />
ganze Liste von preis- und mengendämpfenden<br />
Empfehlungen<br />
ergeben (siehe Tabelle oben).<br />
«Personal soll nicht ausbaden,<br />
was die Politik verdorben hat»<br />
Ein brisanter Vorschlag: die Löhne<br />
des Gesundheitspersonals einfrieren.<br />
Die machen rund 70 Prozent<br />
oder 16 Milliarden Franken<br />
der Kosten in der Grundversicherung<br />
aus. Eine Erhöhung von 1,4<br />
Prozent - um so viel steigen die<br />
Löhne in diesem Jahr - lösen<br />
Mehrkosten von 225 Millionen<br />
Franken aus. Nächstes Jahr<br />
könnten also Millionen eingespart<br />
werden. In bürgerlichen Kreisen<br />
und bei Krankenkassen gilt ein<br />
Lohnstopp als kompromissfahig.<br />
Der Druck auf die Löhne werde<br />
wegen der düsteren Wirtschaftslage<br />
auch in anderen Branchen<br />
zunehmen, lautet die Begründung.<br />
Doch der Widerstand ist programmiert:<br />
Die Linke will nicht auf<br />
dem Buckel der Angestellten sparen.<br />
«Das Personal soll nicht ausbaden,<br />
was die Politik verdorben<br />
hat», sagt ein Kommissionsmitglied.<br />
Kommt dazu, dass es heute<br />
schon zu wenig Pflegefachleute<br />
gibt und die Löhne auf tiefem Niveau<br />
sind. Nach dreijähriger Lehre<br />
verdient eine Fachangestellte<br />
anfangs 3800 Franken. Auch die<br />
Umsetzung dürfte schwierig sein,<br />
weil der Grossteil des Personals<br />
Kantonsangestellte sind.<br />
Weitere Vorschläge setzen bei<br />
den ambulanten Spitalkosten an.<br />
Diese sind von 2007 bis 2008 um<br />
über 11 Prozent gestiegen und<br />
machen mit 3,5 Milliarden Franken<br />
inzwischen 15 Prozent der<br />
Gesamtkosten in der Grundversicherung<br />
aus. Kann nur schon<br />
das Wachstum auf das allgemeine<br />
Wachstum gesenkt werden, liegen<br />
laut dem Krankenkassenverband<br />
Santesuisse 120 Millionen Franken<br />
drin. So dürfte eine Gebühr<br />
für Patienten, die sich selbst ins<br />
Spital einweisen oder aus Bequemlichkeit<br />
in den Spitalnotfall<br />
gehen anstatt zum Arzt, Zuspruch<br />
finden. Die Anzahl dieser Fälle<br />
nimmt stark zu. Viele andere<br />
Massnahmen sind heisse Eisen.<br />
So können die Spitäler für ihre<br />
Leistungen in den meisten Kantonen<br />
höhere Taxpunktwerte verrechnen<br />
als Ärzte.<br />
Erhöhung des Selbstbehalts<br />
wird auf Widerstand stossen<br />
Seit Einführung des Taxpunktsystems<br />
2004 kostete das 265 Millionen<br />
Franken. Eine Senkung der<br />
Werte in Spitälern auf jene der<br />
Ärzte werden die Kantone nicht<br />
goutieren, weil so mehr Kosten<br />
bei ihnen hängen bleiben. Auch<br />
auf die Erhöhung des Selbstbehalts<br />
ist Widerstand zu erwarten<br />
- wegen Bedenken, dass finanziell<br />
schwächer gestellte Menschen<br />
ausgeschlossen werden.<br />
Der grösste kurzfristige Sparbrocken<br />
bleibt nach wie vor bei<br />
den Medikamenten. Wenn sorgsamer<br />
damit umgegangen würde,<br />
könnten Millionen gespart werden.<br />
Jährlich werden Pillen für<br />
schätzungsweise 500 Millionen<br />
Franken weggeschmissen. Auch<br />
wenn die Preise in der Schweiz<br />
öfters und mit mehr Ländern wie<br />
Österreich und Italien verglichen<br />
würden, lägen Einsparungen von<br />
über 300 Millionen drin.<br />
Bei den Margen gibt es ebenfalls<br />
Sparpotenzial. Heute können alle<br />
Ärzte und Apotheker die gleich<br />
hohe Marge verrechnen, egal wie<br />
hoch ihr Aufwand ist. Hier liegt<br />
der Ball bei Gesundheitsminisfer<br />
Pascal Couchepin. Er kann die<br />
Medikamentenpreise per Verordnung<br />
anpassen. Seine<br />
Massnahmen will er Ende Mai<br />
bekannt geben.
9<br />
Mehr Pflege-<br />
Lehrstellen nur<br />
im Notfall<br />
Zürich. - Der Regierungsrat will die Spitäler,<br />
Heime und Spitex-Organisationen<br />
nicht verpflichten, mehr Lehrstellen für die<br />
Fachfrauen und Fachmänner Pflege (Fage)<br />
zu schaffen. Das schreibt er in seiner Antwort<br />
auf zwei parlamentarische Vorstösse.<br />
Eine solche Zwangsmassnahme käme nur<br />
im Notfall in Frage und erst, wenn alle andern<br />
Möglichkeiten ausgeschöpft seien.<br />
Der Kanton will sich auch nicht finanziell<br />
an der praktischen Berufsbildung beteiligen,<br />
weil das systemfremd wäre und «den<br />
Ruf nach Finanzierung anderer Ausbildungen<br />
nach sich ziehen würde».<br />
Nach Meinung des Regierungsrates<br />
sind die Betriebe selber verantwortlich dafür,<br />
dass es genügend Lehrstellen gibt, um<br />
den Nachwuchs zu sichern. Das sei landesweit<br />
so. Und landesweit müsse auch dem<br />
drohenden Mangel an Pflegepersonal begegnet<br />
werden. Die Gesundheitsdirektorenkonferenz<br />
habe entsprechende Schritte<br />
eingeleitet. Ob es allenfalls auch auf Kantonsebene<br />
sinnvolle Massnahmen gäbe,<br />
klärt derzeit eine Expertinnengruppe im<br />
Auftrag der. Gesundheitsdirektion ab.<br />
Nur in Psychiatrie ist Soll erreicht<br />
Das Schweizerische Gesundheitsobservatorium<br />
schätzt, dass der Personalbedarf<br />
im Gesundheitswesen bis 2020 um 13 bis 25<br />
Prozent zunehmen wird. Die Neuorganisation<br />
der Ausbildungen hat aber dazu geführt,<br />
dass in den letzten Jahren nicht<br />
mehr, sondern weniger Pflegepersonal<br />
ausgebildet wurde. Im Kanton Zürich wurden<br />
deutlich weniger Fage-Lehrstellen geschaffen<br />
als geplant. Wie der Regierungsrat<br />
schreibt, begannen letzten Sommer<br />
knapp 400 Jugendliche eine Fage-Lehre,<br />
das Plansoll lag bei 575. Einzig in der Psychiatrie<br />
sei das Soll erreicht worden. Die<br />
Spitäler begründen die Abweichung unter<br />
anderem damit, dass neben den Pflegelehrlingen<br />
auch viele Praktikantinnen und<br />
Praktikanten betreut werden müssten und<br />
die Kapazitäten beschränkt seien. In den<br />
Alters- und Pflegeheimen steht die Fage-<br />
Lehre in Konkurrenz mit der Ausbildung<br />
zur Fachfrau oder Fachmann Betreuung.<br />
Positiv vermerkt der Regierungsrat,<br />
dass die Fachleute das Potenzial der Fage<br />
als gross beurteilen. Die zögerliche Entwicklung<br />
bei den Lehrstellen sei deshalb<br />
wohl «ein typisches Übergangsphänomen,<br />
das mit zunehmender Erfahrung und Austausch<br />
unter den Betrieben abnehmen<br />
bzw. verschwinden dürfte», (an)
SAMSTAG, 14. MARZ 2009<br />
mmttö 27<br />
MINARETTE Moscheen, Minarette und Integration:<br />
Das waren die Themen an einem engagierten<br />
Podiumsgespräch in Hinterkappelen. Seite 33<br />
FISCHER Der Kanton Bern fordert von einer Kraftwerkbe<br />
treiberin 60 000 Franken Schadenersatz für<br />
Ertragseinbussen der Fischer. Seite 33<br />
Wie Pflegequalität durchleuchtet wird<br />
Vom Bestreben, die Qualität der Pflege in Spitälern, bei der Spitex und in Heimen zu steigern - wie im Altersheim Sunnsyta Ringgenberg<br />
Nach den Übergriffen auf demenzkranke<br />
Menschen in einem<br />
Zürcher Pflegeheim stellt<br />
sich die frage; Wer garantiert<br />
die Pflegequalität in Heimen<br />
und Spitälern? Ein Augenschein<br />
im Alters- und Pflegeheim<br />
Sunnsyta in Ringgenberg,<br />
das sich seit fahren von Expertinnen<br />
begutachten lässt.<br />
WALTER DÄPP<br />
Auf dem Tisch des Sitzungszimmers<br />
liegt viel Papier. Christine<br />
Müller, Pflegeexpertin der Pflegezertifizierungsstelle<br />
Concret AG<br />
(«Pflegequalität sichern und fördern»)<br />
sitzt jenen Personen gegenüber,<br />
die für die Pflege und Betreuung<br />
der 43 Bewohnerinnen und<br />
Bewohner im Altersheim Sunnsyta<br />
in Ringgenberg verantwortlich<br />
sind: Heimleiter Ruedi Renfer, Pflegedienstleiter<br />
Beat Guntern, seiner<br />
Stellvertreterin Barbara Michel und<br />
der Pflegeexpertin Barbara Christen,<br />
die seit Jahren einen kritischen<br />
Blick von aussen auf den Pflegealltag<br />
im «Sunnsyta» wirft.<br />
Es ist etwa die Rede davon, wie<br />
das Leitbild des Heims im Alltag<br />
umgesetzt wird - in Bezug auf die<br />
Bewohnerinnen und Bewohner,<br />
ihre Angehörigen und das Personal.<br />
Wie clie Fähigkeiten der Bewohner<br />
noch besser genutzt und gefördert<br />
werden könnten. Wie die Personal-<br />
Ressourcen zu optimieren wären<br />
und wie man den Hausdienst vermehrt<br />
in den Pitegealltag einbeziehen<br />
könnte, Man spricht über das<br />
Palliativkonzept und das Schmerzmanagement,<br />
über das Hygienekonzept<br />
und über Kynästhetik,<br />
über Dokumentationsanalyse und<br />
Dekubitusprävention. Über Bewohner-<br />
und Mitarbeiterzufriedenheit.<br />
Und über Werthaltungen.<br />
«Um Himmels willen»<br />
Szenenwechsel. Zimmer 304.<br />
Helene Herzog, 94-jährig, vierfache<br />
Grossmutter und seit einiger Zeit<br />
auch Urgrossmutter, ist glücklich<br />
und zufrieden. Sie hat im «Sunnsyta»<br />
ein schönes, geräumiges Zimmer<br />
mit prächtiger Aussicht auf den<br />
Brienzersee. Sie sei «nun hier zu<br />
Hause», wiesiesagt: In ihrem«Stübli»,<br />
das sie nach ihrem Gutdünken<br />
eingerichtet hat-«zum Beispiel mit<br />
dem Büffet dort, das ich schon seit<br />
sechzig Jahren habe».<br />
Die Betreuung und Pflege sei<br />
sehr liebenswürdig, sagt sie. Man<br />
gehe auf ihre Wünsche und Bedürfnisse<br />
ein, und wenn es ein Problem<br />
gebe, habe sie eine persönliche Bezugsperson,<br />
der sie sich besonders<br />
gut anvertrauen könne. Und im Übrigen<br />
seien die Tage ausgefüllt: «Am<br />
Montag liest uns Heimleiter Ruedi<br />
Renfer vor, am Dienstag haben wir<br />
Gedächtnistraining und am Nachmittag<br />
Handarbeiten, am Mittwochmorgen<br />
Turnen, am Freitag<br />
Singen. Nur am Donnerstag haben<br />
wir frei.Und das ist ja auch etwas<br />
wert.» Es sei alles freiwillig, doch sie<br />
mache möglich st viel mi t-aber nur,<br />
wenn sie deswegen nicht dieTV-Serie<br />
«Um Himmels willen» verpasse.<br />
«Schlimm - und unbegreiflich»<br />
«Wie geht es ihnen heute?»: Barbara Michel und Christine Müller bei der 94-jährigen Helene Herzog (Mi tte).<br />
Von den Übergriffen auf demenzkranke<br />
Bewohnerinnen im<br />
Zürcher Pflegeheim Entlisberg hat<br />
auch Helene Herzog gehört.<br />
«Schlimm», sagt sie, «unbegreiflich.<br />
Es darf doch nicht sein, dass man<br />
Menschen, die sich nicht wehren<br />
können, so missbraucht.» So etwas<br />
könne säe sich hier nicht vorstellen:<br />
«Nein. Es sind alle sehr nett. Und sie<br />
fragen immer, ob sie hereinkommen<br />
dürfen - oder ob sie stören.»<br />
Barbara Michel, die stellvertretende<br />
Pflegedienstleiterin, freut sich<br />
natürlich über solch positive Rückmeldungen.<br />
Doch: Qualität in der<br />
Pflege sei nicht selbstverständlich,<br />
betont sie-sie müsse immer wieder<br />
hinterfragt, neu erarbeitet und verbessert<br />
werden.<br />
Im Altersheim Sunnsyta arbeite<br />
man deshalb seit mehreren Jahren<br />
mit der Zertifizierungsstelle Concret<br />
AG zusammen - und dies mit<br />
Erfolg: «Die Pflegequalität hat sich<br />
bei uns deutlich verbessert. Das gesamte<br />
Pflegeteam verfolgt seither<br />
die gleichen Ziele - wobei dies auf<br />
das Wohl der Bewohnerinnen und<br />
Bewohner ausgerichte t ist. »Was auf<br />
Sunnsyta-Pflegeverantwortliche beim Concret-Gespräch.<br />
bilder: beatschweizer<br />
PFLEGE-ZERTIFIZIERUNGSSTELLE CONCRET<br />
«Eine Art Frühwarnsystem»<br />
Viele Spitäler - auch das Thun, Erlenbach und Zweisimmen.<br />
geben.» Die Erfahrung zeige übrigens,<br />
dass mit der Aufrechterhal-<br />
Berner Inselspital - lassen die Und als bisher einziges Berner Alters-<br />
und Pflegeheim das Heim<br />
tung der Pflegequalität der Wechsel<br />
Qualität ihrer Pflegedieriste Sunnsyta in Ringgen berg. Andere<br />
beim Personal abnehme: «Unsere<br />
von der Concret AG zertifizie-Berneren. Alters- und Pflegeheime weisen auf andere erfolgte Zertifi-<br />
ab, dass die Arbeitsplatzqualität<br />
Alterseinrichtungen ver-<br />
Bemühungen zielen auch darauf<br />
zierungen.<br />
steigt und die Angestellten weniger<br />
sind kaum dabei. Doch das<br />
Elsbeth Luginbühl ist überzeugt,<br />
schnell ausgebrannt sind. Sie bleiben<br />
dann auch dürfte sich nach den skanda-mit dem Concret-Angebol einen<br />
länger.»<br />
lösen Vorfällen in einem<br />
Zürcher Pflegeheim ändern.<br />
Auf Initiative der <strong>Sektion</strong> Bern des<br />
Schweizer Berufsverbandes für<br />
Pflegefachfrauen und -männer<br />
(<strong>SBK</strong>) winde in den Achtzigerjahren<br />
eine Messmethode zur Beurteilung<br />
der Pflegequalität in Spitälern,<br />
Heimen und Spitex-Organisationen<br />
en twickelt. Nach dieser Methode<br />
sind schon über 300 Pflegeeinheiten<br />
zertifiziert worden: Von der<br />
anerkannten Pflege-Zertifizierungsstelle<br />
Concret AG, die im Besitz<br />
des <strong>SBK</strong> Schweiz ist und - eigenen<br />
Angaben zufolge - «das erste<br />
und einzige akkreditierte Unternehmen<br />
ist, das spezialisiert ist auf<br />
Messungen in der Pflege».<br />
Wie Geschäftsführerin Elsbeth<br />
Luginbtifü sagt, sind folgende Berner<br />
Betriebe von Concret zertifiziert:<br />
Viele Pflegeabteiltingen des<br />
Inselspitals, die Spitäler Burgdorf,<br />
wichtigen Beitrag zur Qualitätserhaltung<br />
und -Steigerungim Pflegebereich<br />
leisten zu können. Es sei erstaunlich,<br />
sagt sie, dass man heute<br />
in allen Lebensbereichen nach<br />
Qualitätsgarantien rufe, die Pflege<br />
inHeimenundSpitälernaberkaum<br />
von aussen überprüfen lasse. Doch<br />
dies, glaubt sie, werde sich ändern -<br />
das Bewusstsein für die Bedeutung<br />
einer qualitativ guten Pflege steige.<br />
«Alarmzeichen erkennen»<br />
Sie räumt zwar ein, dass Vorfälle<br />
wie jene in Zürich (wo Pflegende<br />
demenzkranke Bewohnerinnen eines<br />
Heims in unwürdigen Situationen<br />
mit dem Handy filmten)auch<br />
mit den besten Qualitätssicherungsrnassnahmen<br />
nicht völlig<br />
ausgeschlossen werden können.<br />
Doch: «Wer sich unserer Prüfung<br />
unterzieht, verfügt über eine Art<br />
Frühwarnsystem, ist vielleicht eher<br />
in der Lage, Alarmzeichen zu erkennen.<br />
Wir machen Schwachstellen<br />
sichtbar - zum Beispiel ungenügende<br />
Rahmenbedingungen, fehlende<br />
Ressourcen, Mangel an qualifiziertem<br />
Personal, unbefriedigende<br />
Team- und Gesprächskultur.»<br />
Bei der Zertifizierungs- und<br />
Beratungsarbeit von Concret gehe<br />
es allerdings nicht darum, «von<br />
oben herab» Zensuren zu erteilen -<br />
nein: «Es geht darum, Mängel zu er -<br />
kennen, Im pulse zu geben. Und um<br />
zu zeigen, wie Konzepte im Interesse<br />
der Patientinnen und Patienten<br />
optimal umgesetzt werden können<br />
- sodass die Pflegeteams dann selber<br />
aktiv werden können.»<br />
Vor grossen Herausforderungen<br />
Der Pflegebereich stehe vorgrossen<br />
Herausforderungen, sagt Elsbeth<br />
Luginbühl: Es sei mit Personalknappheit<br />
und vor allem mit einem<br />
Mangel an qualifiziertem Pflegepersonal<br />
zu rechnen, was die Aufrechterhaltung<br />
des gewohnten<br />
Qualitätsstandards in Spitälern und<br />
Heimen erschweren werde.<br />
Da und dort müssten die Ressourcen<br />
dann optimiert und die<br />
Strukturen verändert werden, um<br />
die Pflegequalität einigermassen<br />
gewährleisten zu können. «Hier»,<br />
sagtsie, «können wir Unterstützung<br />
den ersten Blick als umständlicher<br />
Papierkram anmute, sei in Tat und<br />
Wahrheit «eine Summe vieler einzelner<br />
Faktoren, die man mit Concret<br />
erarbeitet hat und an denen<br />
ständig gearbeitet wird. Dies macht<br />
letztlich die Pflegequalität aus».<br />
Das Wohlbefinden der Bewohnerinnen<br />
und Bewohner habe viele<br />
Facetten: Von der Wohnlichkeit der<br />
Zimmer mit individuellen Gestaltungsmöglichkeiten<br />
(«die Leute<br />
sollen doch ein Stück ihrer früheren<br />
Wohnung ins Heim mitnehmen<br />
können») über die Pflegequalität<br />
und die ausgewogene Ernährung<br />
(«mit Mitbestimmungsmöglich -<br />
keiten») bis zum Veranstaltungsangebot<br />
Es wäre zwar schön, im Pfle-<br />
Was kann Concret erreichen?<br />
Konkret lässt sich das Concret-<br />
Angebot so zusammenfassen: Der<br />
Betrieb gewinnt unter anderem Erkenntnisse<br />
über den Einsatz von<br />
personellen, zeitlichen und materiellen<br />
Ressourcen, über die organisatorischen<br />
Abläufe, die geleistete<br />
Pflegequalität, den Bedarf an Weiterbildung<br />
und die Qualität der interdisziplinären<br />
Zusammenarbeit.<br />
Durch dieZertifizierungoder Beratung<br />
wird die Pflegequalität in einem<br />
Betrieb vermehrt zum Thema.<br />
«Und wir stellen vor allem fest, dass<br />
clie Zufriedenheit der Bewohner<br />
zunimmt», sagt Elsbeth Luginbühl,<br />
«und dass die berufliche Motivation<br />
der Pflegenden steigt.» (vvd)<br />
[i] CONCRET AG Zertifizierungsund<br />
Beratungsstelle für Pflege,<br />
Effingerstrasse 25,3008 Bern.<br />
Internet: www.concret-ag.ch<br />
gealltag weniger Zeit für Administratives<br />
aufwenden zu müssen und<br />
mehr Zeit für die Bewohnerinnen<br />
und Bewohner zu haben, sagt Barbara<br />
Michel. Der Zusatzaufwand<br />
für die Pflege-Qualitäts-Steigerung<br />
komme jedoch «eins zu eins den<br />
Bewohnern zugute».<br />
«Das kann überall passieren»<br />
Übergriffe wie jene im Zürcher<br />
Pflegeheim Entlisberg schliesst<br />
BarbaraMichel auch im «Sunnsyta»<br />
nicht grundsätzlich aus. Auch wenn<br />
sie «gar kein ungutes Gefühl» habe,<br />
sei es die Pflicht jeder Pflegeleitung,<br />
in Zukunft «vennehrt hellhörig zu<br />
sein und nicht wegzuschauen».<br />
Deshalb würden alle Äusserungen<br />
von Bewohnern, die auf einen Missstand<br />
hinweisen könnten, sehr<br />
ernst genommen. Es bleibe für sie<br />
jedoch «unverständlich und nicht<br />
nachvollziehbar, was sich in Zürich<br />
ereignet hat».<br />
Auch Heimleiter Ruedi Renfer<br />
kann sich «nicht zusammenreimen,<br />
wie man als Pflegende so<br />
etwas tun kann». Gewaltereignisse<br />
könne es jedoch in jedem Altersheim<br />
geben - «wenn plötzlich jemand<br />
in einer Drucksituation die<br />
Nerven verliert und in irgendeiner<br />
Weise Zwang anwendet». Oder<br />
wennetwaeine Pflegende aufallfällige<br />
Anzüglichkeiten eines Bewohners<br />
auch mal unwirsch reagiere.<br />
«Ausgezeichnete Erfalirungen»<br />
Die erste Bestandesaufnahme<br />
durch Concret fand im Heim Sunnsyta<br />
2002 statt, weil damals der allmähliche<br />
Wandel Altersheim zum<br />
Pflegeheim Schwierigkeiten bereitet<br />
hatte. Die Erfahrungen seien<br />
ausgezeichnet, betont Renfer •-<br />
auch durch die Impulse, die von der<br />
aussenstehenden Pflegeexpertin<br />
Barbara Christen kämen: «Es istviei<br />
gegangen. Wir haben beispielsweise<br />
das Bewegungskonzept Kynästhetik<br />
eingeführt. Und dank<br />
Concret sind wir stets gezwungen,<br />
unsere Arbeit zu hinterfragen und<br />
die Vorgaben zu erfüllen.»<br />
Letztlich sei aber wichtig, dass<br />
die Mitarbeitenden in einem Altersund<br />
Pflegeheim «die ihnen anvertrauten<br />
alten Menschen gernhaben,<br />
sie schätzen - und auch etwas<br />
über ihre Geschichte wissen».<br />
«Wir sind keine Polizistinnen»<br />
Concret- Pflegeexpertin Christine<br />
Müller hat im Heim Sunnsyta<br />
auch diesmal wieder sehr positive<br />
Eindrücke gewonnen - und die vielen<br />
Gespräche mit dem Leitungsteam,<br />
mit Angestellten, Bewohnelinnen<br />
und Bewohnern auch<br />
kritisch überprüft. «Wenn wir<br />
zum Beispiel das Hygienekonzept<br />
durchleuchten», sagt sie, «lesen wir<br />
nicht nur den Hygieneordner<br />
durch. Wir schauen auch, wie das<br />
Konzept umgesetzt wird - bis zur<br />
Überprüfung des Ausgusses.»<br />
Sie seien allerdings keine Polizistinnen,<br />
betont sie, sondern fachliche<br />
Beraterinnen.<br />
* Einblicke in den Pflegealltag:<br />
C /' pflege.derbund.ch<br />
SONNTAG<br />
15. MÄRZ<br />
JO.OO -17.00 Uhr<br />
geöffnet<br />
ANZEIGE
Kanton erhöht Löhne<br />
ö .<br />
im Gesundheitswesen<br />
Assistenz- und Oberärzte sollen<br />
mehr Lohn erhalten. Anders das<br />
Pflegepersonal: Es profitiert nur<br />
wenig. Mit diesem Vorschlag löst<br />
die Regierung Empörung aus.<br />
Auch die Ärzte sind missmutig.<br />
Von Stefan Häne<br />
Zürich. - Das Personal im Zürcher Gesundheitswesen<br />
soll ab 2010 mehr verdienen.<br />
Die Regierung reagiert damit zum einen<br />
auf die gestiegenen Anforderungen an<br />
die Ausbildung in Gesundheitsberufen.<br />
Zum anderen will sie bei den Ärzten die<br />
Löhne marktgerechter gestalten. Heute<br />
sind die Saläre im interkantonalen Vergleich<br />
unterdurchschnittlich, wie Ernst<br />
Danner vom kantonalen Personalamt sagt.<br />
Die Regierung will deshalb<br />
zwischen 45 und<br />
55 Millionen Franken für<br />
Für Lohnerhöhungen<br />
will die Regierung<br />
45 bis 55 Millionen<br />
Franken einsetzen.<br />
Lohnerhöhungen einsetzen.<br />
Rund die Hälfte davon<br />
entfällt auf die Ärzte,<br />
knapp ein Drittel auf die<br />
Pflegenden. Die Unterschiede<br />
rühren laut Danner<br />
daher, dass die Pflegeund<br />
Therapeutenlöhne<br />
vor einigen Jahren bereits<br />
einmal erhöht wurden. Damals musste der<br />
Kanton auf Geheiss des Gerichts frauendiskriminierende<br />
Saläre korrigieren.<br />
Weil sich die Versicherer an den Kosten<br />
beteiligen, wird der Kanton effektiv nur<br />
die Hälfe der Lohnerhöhungen berappen<br />
müssen. Das geht aus der Revision des<br />
kantonalen Lohnsystems hervor, welche<br />
die Regierung am Donnerstag in die Vernehmlassung<br />
geschickt hat.<br />
Trotz der geplanten Gehaltsaufbesserung<br />
schlägt der Regierung eine Welle der<br />
Empörung entgegen. Die «Aktion Gsundi<br />
So viel verdient man im<br />
Gesundheitswesen im Kt. Zürich<br />
Monatlicher Mindestlohn (in Franken)<br />
Bislang<br />
Neu<br />
Oberarzt 7886 8439<br />
Assistenzarzt 6969 7377<br />
Diplomierte Plegeperson HF 5467 5467<br />
Physiotherapeuten 5467 6148<br />
Hebamme 5467 6148<br />
Fachfrau/ -mann (Fage) 4470 4470<br />
TA-Grafik ib / Quelle: Personalamt, Finanzdirektion des Kantons Zürich<br />
Gsundheitspolitik» (AGGP) wirft ihr vor,<br />
die Lohnsumme möglichst tief halten zu<br />
wollen. Der Regierungsrat drücke die Saläre<br />
für das Gesundheitspersonal systematisch<br />
unter den Arbeitswert. «Unterbe*<br />
wertet werden dabei einmal mehr typische<br />
Frauenberufe», sagt Isabel Tuor vom<br />
AGGP-Vorstand. Nancy Bellwald von der<br />
Zürcher <strong>Sektion</strong> des Schweizerischen<br />
Hebammenverbands spricht von einem<br />
Skandal: «Die neue Lohnregelung entspricht<br />
der Anforderung einer Hebamme<br />
in keiner Weise.» Sie habe den Charakter<br />
eines Papiertigers, der am Reissbrett verfasst<br />
worden sei. Hebammen werden neu<br />
an Fachhochschulen ausgebildet, ebenso<br />
Physio- und Ergotherapeutinnen.<br />
Kritik erntet die Regierung insbesondere<br />
für ihre Art, die Anforderungen der<br />
einzelnen Berufe zu beurteilen. Ein Beispiel:<br />
Trotz neuen Ausbildungswegen an<br />
höheren Fachschulen will die Regierung<br />
beim Kriterium «Geistige<br />
Anforderung» die Bewertung<br />
der Pflege unverändert<br />
lassen; berücksichtigt<br />
wird auch nicht, dass<br />
die Pflegearbeit immer<br />
komplexer wird, weil die<br />
Patienten zunehmend älter<br />
und kränker sind. Wegen<br />
solcher laut AGGP<br />
verdeckter Minusklassenentscheide<br />
bleibt das Pflegefachpersonal<br />
auf seinem bisherigen<br />
Lohn sitzen (siehe Tabelle). Die Pflegenden<br />
sind mit Abstand die grösste Berufsgruppe<br />
im Gesundheitswesen. Auch im<br />
Vergleich zu anderen Berufen ortet die<br />
AGGP Dissonanzen. So wird die geistige<br />
Anforderung an eine Pflegefachfrau gleich<br />
hoch bewertet wie zum Beispiel bei einem<br />
Materialverwalter oder einem Chauffeur.<br />
Die Lohnrevision enthält gemäss AGGP<br />
auch versteckte Sparmassnahmen. Stelle<br />
der Kanton im Pflegebereich eine Fachfrau<br />
Gesundheit (Fage) anstelle von diplomierten<br />
Pflegenden ein, spare er rund 20<br />
Prozent Lohnkosten. Dies, weil die Fage -<br />
ein neuer Beruf - zwei bis drei Lohnklassen<br />
tiefer eingestuft sei als die diplomierten<br />
Pflegenden.<br />
Auch die Assistenz- und Oberärzte fühlen<br />
sich unter ihrem Wert verkauft. «Die<br />
Regierung will die Rechnung wieder einmal<br />
nicht zahlen», moniert Rudolf Reck,<br />
Präsident des Zürcher. Spitalärzteverbandes.<br />
Wie er sagt, hätten aufgrund der Arbeitsbewertung<br />
die Assistenz- und Oberärzte<br />
mindestens zwei Lohnklassen höher<br />
eingereiht werden müssen. Dies hätte jedoch<br />
das Lohnsystem gesprengt, weil die<br />
Chefärzte dann über die höchste Lohnklasse<br />
gestiegen wären.<br />
Kommentar fünfte Spalte
Spitex Muotathal-Illgau < * A ' W \ J ** — ' wsz. ts/y?<br />
Spitex wird mehr Aufgaben übernehmen<br />
An der Generalversammlung<br />
wechselte das Präsidium<br />
von Pius Bürgler zu Vreny<br />
Schmidig.<br />
den Präsidenten Pius Bürgler zum Ehrenmitglied.<br />
In einer kleinen Laudatio<br />
wurde sein grosser Einsatz im Dienste<br />
der Spitex gewürdigt. Anfänglich präsidierte<br />
Bürgler den Spitex-Verein Illgau.<br />
In den Jahren 2002/03 hatte er mit<br />
Guido Weissen, dem Präsidenten des<br />
Krankenpflegevereins Muotathal, den<br />
Zusammenschluss der beiden Organisationen<br />
in die Wege geleitet. Die Fusion<br />
erfolgte im Sommer 2003, der Verein<br />
Spitex Muotathal-Illgau war Tatsache.<br />
«Pius Bürgler hat jeweils die Zeichen<br />
der Zeit erkannt und sich stets mit viel<br />
Herzblut für den Spitex-Verein eingesetzt»,<br />
meinte Helena Betschart, eine<br />
langjährige Vorstandskollegin. Pius<br />
Bürgler legte mit seinem Rücktritt aber<br />
nur einen Teil seiner Tätigkeit im<br />
Dienste der Spitex nieder. Er präsidiert<br />
den Spitex Kantonalverband Schwyz.<br />
pd. Im Restaurant Sigristenhaus fand<br />
die 5. Generalversammlung des Vereins<br />
Spitex Muotathal-Illgau statt. «Der Verein<br />
steht auf einer gesunden und soliden<br />
Basis. Das ist gut so, denn in<br />
Zukunft wird die Spitex noch weitere<br />
Aufgaben übernehmen müssen», erklärte<br />
Präsident Pius Bürgler. Der Verein<br />
zählt aktuell 518 Mitglieder. Gemäss<br />
Geschäftsleiterin Doris Bürgler stand<br />
das Pflegeteam letztes Jahr bei 49 Klienten<br />
während 2538 Stunden im Einsatz.<br />
Die Haushilfe wurde von 37 Klienten<br />
während 1297 Stunden beansprucht,<br />
! und der Rotkreuz-Fahrdienst erledigte<br />
98 Fahrten. Das Vereinsjahr schloss mit<br />
einem Verlust von 3400 Franken. Dennoch<br />
erlaubte es die Finanzlage, die<br />
[ hauswirtschaftlichen Leistungen um<br />
' 7.50 Franken pro Stunde zu vergünstigen.<br />
An der GV wurde der vom Vorstand<br />
I beantragten Statutenänderung zuge-<br />
I stimmt.<br />
Bürgler wird Ehrenmitglied<br />
Präsident Pius Bürgler gab nach<br />
14-jähriger Vorstandstätigkeit seinen<br />
Rücktritt bekannt. Als neue Präsidentin<br />
wurde Vreny Schmidig gewählt, als<br />
neuer Finanzchef Rochus Schelbert.<br />
Die Versammlung wählte den abtreten-<br />
Pius Bürgler mit<br />
seiner Nachfolgerin<br />
Vreny Schmidig.<br />
BILD PD<br />
• AS .»*"«"#<br />
ÜC «*fi
M<br />
Abstimmung<br />
Littau<br />
Staffelnhof jetzt sanieren oder Neubau planen?<br />
«Sanieren - und zwar rasch»<br />
Für mich steht eindeutig fest: Die<br />
Sanierung des Alterszentrums<br />
Staffelnhof ist dringend nötig und<br />
kann nicht auf unbestimmte Zeit<br />
verschoben werden.<br />
Die Infrastruktur entspricht in Bezug<br />
auf Wohnlichkeit, Privatsphäre,<br />
Licht- und vor allem Platzverhältnissen<br />
für die Bewohner nicht mehr<br />
den heutigen Bedürfnissen. Die Arbeitsplatzverhältnisse<br />
für die Mitarbeitenden<br />
sind prekär. Die Sanierungen<br />
im Bereich der Haustechnik<br />
(Lüftung, Heizung, sanitäre Anlagen,<br />
Energie) sind zwingend und müssen<br />
in nächster Zeit angegangen werden.<br />
Ein Marschhalt, mit einer allfälligen<br />
Neukonzipierung, wie dies von der<br />
SVP gefordert wird, ist aus drei<br />
Gründen nicht sinnvoll:<br />
• Erstens wurde das vorliegende<br />
Projekt Octopus sorgfältig und von<br />
langer Hand geplant. Von einem<br />
«Durchpeitschen» kurz vor der Fusion<br />
kann keine Rede sein. Die Sanierungsphase<br />
ist vorbereitet, und<br />
die Provisorien sind reserviert.<br />
• Zweitens käme beim heutigen<br />
Projektstand ein Neubau mit Sicherheit<br />
teurer, da man wieder bei Null<br />
beginnen müsste. Die Projektierungskosten<br />
hätten wir in den Sand<br />
gesetzt, sie würden erneut anfallen.<br />
• Drittens wurde die Standortfrage<br />
in der Machbarkeitsstudie von 2006<br />
geprüft und der heutige Platz als<br />
sinnvoll beurteilt.<br />
Das vorliegende Projekt ist keine<br />
PRO<br />
Theres Vinatzer,<br />
Einwohnerrätin<br />
SP<br />
Luxusvariante. Das Sparpotenzial ist<br />
ausgeschöpft worden. Weitere wirksame<br />
Einsparungen wären nur durch<br />
einschneidenden Verzicht, zum Beispiel<br />
auf 55 Nasszellen, möglich.<br />
Man bedenke jedoch, dass der Staffelnhof<br />
für die Bewohnerinnen und<br />
Bewohner das Zuhause ist. Hand<br />
aufs Herz, wer von uns würde schon<br />
gerne Dusche und Toilette mit fremden<br />
Menschen teilen?<br />
Mit diesem Um- und Neubau wird<br />
die Lebensqualität der Bewohnerinnen<br />
und Bewohner deutlich verbessert,<br />
und die Arbeitsplatzverhältnisse<br />
der Mitarbeitenden werden den heutigen<br />
Anforderungen angepasst.<br />
Würde Littau die Sanierung seines<br />
eigenen Alterszentrums ablehnen,<br />
wäre dies aus meiner Sicht ein<br />
Schildbürgerstreich. Darum bin ich<br />
für ein überzeugtes Ja.<br />
Das Alterszentrum Staffelnhof<br />
ist 33-jährig. CVP, FDP<br />
und SP sind klar für die<br />
Sanierung. Die SVP sagt<br />
Nein. Sie will einen Neubau.<br />
Gemein^<br />
Die Stimmberechtigten<br />
von<br />
Abstimmi i |<br />
Littau entscheiden<br />
am 17. Mai<br />
über einen Kredit<br />
von 48 Millionen<br />
Franken für die<br />
Sanierung und<br />
17. Mai 2009 den Teilneubau<br />
des Alterszentrums<br />
Staffelnhof in Reussbühl. Dieses<br />
Alterszentrum war bei seiner Eröffnung<br />
1976 schweizweit ein modernes Vorzeigeobjekt.<br />
Luzern zahlt mit<br />
Das Heim mit 175 Betten genügt<br />
heutigen Ansprüchen nach Privatsphäre,<br />
Wohnlichkeit und Komfort nicht<br />
mehr. Das vorliegende Projekt umfasst<br />
eine Sanierung mit Umbau sowie einen<br />
Teilneubau. In den Kosten von 48 Millionen<br />
Franken sind auch die Provisorien<br />
während der Bauzeit enthalten. Die<br />
Staffelnhofsanierung ist das grösste<br />
Bauvorhaben in der Geschichte Littaus.<br />
Wegen der Fusion werden auch die<br />
Stadtluzerner an den Bau mitzahlen.<br />
Der Einwohnerrat Littau hat am<br />
18. März dem Kredit mit 21 gegen<br />
7 Stimmen zugestimmt. Die SVP scheiterte<br />
mit ihrem Rückweisungsantrag;<br />
sie schlug einen Neubau an einem<br />
neuen Standort vor. RUTH SCHNEIDER<br />
«Neubau wäre günstiger»<br />
T~\ ass beim Alterszentrum Staffeln-<br />
JL/ hof etwas geschehen muss, ist<br />
unbestritten. Doch leider stiegen die<br />
Kostenschätzungen im Laufe der<br />
Zeit ungebremst. So startete man bei<br />
15 Millionen, kam danach auf 30, 36,<br />
37,5 und später auf 39 Millionen<br />
Franken. Erst kurz vor der Zustellung<br />
der Unterlagen an den Einwohnerrat<br />
erfuhren wir, dass die Kosten knapp<br />
50 Millionen betragen werden.<br />
Trotz dieser massiven Kostensteigerungen<br />
hat sich der Gemeinderat nie<br />
Gedanken über eine Alternative mit<br />
einem Neubau gemacht. Die Gründe<br />
für die sehr hohen Kosten liegen<br />
beim aufwendigen Umbau und den<br />
teuren Provisorien. So müssen beim<br />
bestehenden Gebäude statisch tragende<br />
Wände herausgetrennt werden.<br />
Trotzdem werden die Zimmer<br />
kleiner sein als im geplanten Teilneubau<br />
daneben. Ausserdem wird während<br />
der Bauzeit ein Teil der'Bewohner<br />
in Provisorien in der Stadt Luzern<br />
verlegt, was allein schon über 2,5 Millionen<br />
kostet. Die verbleibenden Bewohner<br />
sind während der gesamten<br />
Bauzeit dem Lärm und Schmutz einer<br />
Grossbaustelle ausgesetzt.<br />
Bei einem Vergleich mit kürzlich<br />
erstellten Neubauten zeigt sich, dass<br />
ein Neubau auf einer nahe gelegenen<br />
Parzelle (zum Beispiel beim<br />
Baseball-Platz) die günstigere Lösung<br />
wäre. Auch würden die Bewohner<br />
vom Lärm und Schmutz verschont<br />
und müssten nicht in Provisorien<br />
umziehen. Das ganze Gebäude<br />
könnte optimal auf die heutigen<br />
KONTRA<br />
| Peter With,<br />
Einwohnerrat<br />
4<br />
1<br />
% i<br />
SVP<br />
jjg<br />
Pflegebedürfhisse ausgerichtet werden<br />
und wäre nicht durch ein bestehendes<br />
Gebäude eingeschränkt. Ein<br />
Neubau wäre eine zukunftsgerichtete<br />
Lösung, die ohne Altlasten und<br />
Ungewissheiten in Angriff genommen<br />
werden könnte. Und auch der<br />
bestehende Staffelnhof könnte weiter<br />
ohne grossen Aufwand für Studentenwohnungen<br />
genutzt werden.<br />
Der Gemeinderat argumentiert nun,<br />
dass bei Ablehnung dieser Vorlage<br />
nichts mehr geschehen würde. Wir<br />
haben da mehr Vertrauen in die fusionierte<br />
Stadt Luzern und sind sicher,<br />
dass auch die Stadtluzerner Behörden<br />
unsere Anliegen ernst nehmen<br />
würden.<br />
Sagen Sie deshalb Nein zur unausgewogenen<br />
Sanierung des Alterszentrums<br />
Staffelnhof - dem Alter und<br />
den Finanzen zuliebe.<br />
I I<br />
••••••»••••••••Mi
Nebammen sind wieder gefragt<br />
In der jüngeren Vergangenheit übernahmen meist Frauenärzte<br />
die Betreuung der Schwangeren und die Leitung der<br />
Geburt. Auch werden viele Kinder im Spital geboren. In<br />
den letzten Jahren jedoch finden sich die Hebammen neu<br />
und übernehmen wichtige Positionen rund um die<br />
Schwangerschaft, während und nach der Geburt.<br />
In der Schweiz gibts fast 3000 Hebammen -Tendenz<br />
steigend oder fallend?<br />
In der <strong>Zentralschweiz</strong> wie auch in anderen Kantonen<br />
wird zunehmend mehr Gewicht auf die einfühlsame und<br />
kompetente Betreuung durch Hebammen gelegt.<br />
Dadurch steigt die Zahl der aktiven Hebammen.<br />
reduzieren und das Vertrauen in körperliche und<br />
psychische Fähigkeiten stärken und somit die Kaiserschnittsrate<br />
und die damit verbundenen Risiken senken, j<br />
Kann man als freischaffende Hebamme heute überhaupt<br />
noch überleben?<br />
Ja, denn freischaffende Hebammen haben ein breites<br />
Arbeitsfeld. Zahlreiche Leistungen-etwa Schwangerschaftskontrollen,<br />
Spital- und Hausgeburten sowie<br />
Wochenbettbetreuung, Stillberatung und Nachkontrollewerden<br />
von den Krankenkassen bezahlt. Kurse sowie<br />
Akupunktur, Homöopathie und naturheilkundliche<br />
Behandlungsmethoden werden ergänzend angeboten.<br />
Am 5. Mai war internationaler<br />
Hebammen-Tag. Wir wollten von<br />
Sonja Klinghuber wissen, weshalb<br />
Hebammen in eigener Sache werben.<br />
«Anzeiger Luzern»: Der Slogan «Es ist wichtig,<br />
wie wir geboren werden» prägte den internationalen<br />
Hebammen-Tag - was bedeutet das?<br />
Sonja Klinghuber: Jede Handlung vor, während und nach<br />
der Geburt hat eine nachhaltige Wirkung auf das Neugeborene<br />
und die Familie. Für die Geburtshilfe heisst das:<br />
Die werdenden Eltern wie auch alle involvierten Personen<br />
sollten dem Ungeborenen und dem Neugeborenen<br />
möglichst viel Geborgenheit und Nähe vermitteln.<br />
Zwei Prozent der Schwangeren werden durch eine<br />
Hebamme beraten, wer berät die übrigen 98 Prozent?<br />
Die Frauenärztinnen und -ärzte respektive auch<br />
Hausärztinnen und -ärzte.<br />
Weshalb, meinen Sie, ist die Hebamme heute so stark<br />
zurückgedrängt? Das war ja mal anders...<br />
Die Hebamme steht im Schatten der akademisierten<br />
Berufe im Gesundheitswesen - fühlt man sich da nicht<br />
mal auch als zweite Klasse?<br />
Für die optimale Betreuung rund um die Geburt ist ein<br />
gleichberechtigtes Zusammenwirken aller Involvierten<br />
notwendig. Die Hebamme ist für eine Schwangerschaft<br />
und Geburt die geeignete Fachfrau, wobei bei Komplikationen<br />
ein Frauenarzt hinzugezogen werden muss. Das<br />
Wichtigste dabei ist das Bewusstsein auf die Kompetenzbereiche<br />
und die Förderung der Zusammenarbeit.<br />
Fühlen sich Frauen sicherer, wenn eine Ärztin oder ein<br />
Arzt bei der Geburt mit dabei ist?<br />
Sicherheit ist ein wichtiger Punkt für Frauen während der<br />
Geburt. Dies kann durch die sachkundige Betreuung durch<br />
die Hebamme vermittelt werden. Somit ist der Wunsch<br />
der Anwesenheit einer Ärztin oder eines Arztes weniger<br />
vorhanden.<br />
Die Geburt per Operation - Kaiserschnitt - scheint<br />
immer beliebter zu werden.ilst das gleichzusetzen mit<br />
einem Mangel an Beratung Mnd Begleitung?<br />
Eine intensive und individuelle Beratung der Schwangeren<br />
durch Hebammen und Ärzte kann aufklären, Ängste<br />
Die Hebamme ist meist auch nach der Geburt die<br />
Begleiterin einer Mutter - bezahlt das die Krankenkasse?<br />
Die Krankenkasse bezahlt die Wochenbettbesuche in den<br />
ersten zehn Tagen, drei Stillberatungen sowie eine<br />
Schlusskontrolle nach sechs Wochen.<br />
Was sind die konkreten Anliegen, die Sie mit dem<br />
Hebammen-Tag bewusst machen wollen?<br />
Wir wollen unsere Arbeit weltweit möglichst vielen<br />
Menschen vorstellen. Es sollte bewusst werden, dass<br />
Hebammen durch die Nähe zu den Familien viel über die<br />
Schwangerschaft, Geburt und die Zeit danach wissen<br />
und dadurch kompetent und individuell beraten können.<br />
Wie sehen Sie die Zukunft Ihres Berufsstandes?<br />
Er ist gesichert, wenn wir aktiv bleiben.<br />
ZUR PERSON<br />
Interview: Erwin Rast<br />
Sonja Klinghuber ist am 25. März 1979 - im Beisein einer Hebamme<br />
- in Rosenheim/Bayern zur Welt gekommen. Ihre Ausbildung zur<br />
Hebamme absolvierte sie am Klinikum der Uni Erlangen/Nürnberg.<br />
Nach der Ausbildung arbeitete Sonja Klinghuber bis Ende 2006 an<br />
der Münchner Frauenklinik des Röten Kreuz in der Cebärabteilung.<br />
Im September 2007 kam sie mit ihrem Partner nach Luzern und<br />
arbeitete ein Jahr im Paracelsus-Spital in Richterswil. Seit Januar ist<br />
sie freiberufliche Hebamme. Sie ist Mitglied in der Hebammenzentrale<br />
der <strong>Zentralschweiz</strong> und seit April 2009 Vorstandsmitglied<br />
Ressort Freiberufliche Hebammen in der <strong>Sektion</strong> <strong>Zentralschweiz</strong>.
Abstimmung<br />
Littau<br />
Staffelnhof jetzt sanieren oder Neubau planen?<br />
«Sanieren - und zwar rasch»<br />
Für mich steht eindeutig fest: Die<br />
Sanierung des Alterszentrums<br />
Staffelnhof ist dringend nötig und<br />
kann nicht auf unbestimmte Zeit<br />
verschoben werden.<br />
Die Infrastruktur entspricht in Bezug<br />
auf Wohnlichkeit, Privatsphäre,<br />
Licht- und vor allem Platzverhältnissen<br />
für die Bewohner nicht mehr<br />
den heutigen Bedürfnissen. Die Arbeitsplatzverhältnisse<br />
für die Mitarbeitenden<br />
sind prekär. Die Sanierungen<br />
im Bereich der Haustechnik<br />
(Lüftung, Heizung, sanitäre Anlagen,<br />
Energie) sind zwingend und müssen<br />
in nächster Zeit angegangen werden.<br />
Ein Marschhalt, mit einer allfälligen<br />
Neukonzipierung, wie dies von der<br />
SVP gefordert wird, ist aus drei<br />
Gründen nicht sinnvoll:<br />
• Erstens wurde das vorliegende<br />
Projekt Octopus sorgfältig und von<br />
langer Hand geplant. Von einem<br />
«Durchpeitschen» kurz vor der Fusion<br />
kann keine Rede sein. Die Sanierungsphase<br />
ist vorbereitet, und<br />
die Provisorien sind reserviert.<br />
• Zweitens käme beim heutigen<br />
Projektstand ein Neubau mit Sicherheit<br />
teurer, da man wieder bei Null<br />
beginnen müsste. Die Projektierungskosten<br />
hätten wir in den Sand<br />
gesetzt, sie würden erneut anfallen.<br />
Drittens wurde die Standortfrage<br />
in der Machbarkeitsstudie von 2006<br />
geprüft und der heutige Platz als<br />
sinnvoll beurteilt.<br />
Das vorliegende Projekt ist keine<br />
PRO<br />
Theres Vinatzer,<br />
Einwohnerrätin<br />
SP<br />
Luxusvariante. Das Sparpotenzial ist<br />
ausgeschöpft worden. Weitere wirksame<br />
Einsparungen wären nur durch<br />
einschneidenden Verzicht, zum Beispiel<br />
auf 55 Nasszellen, möglich.<br />
Man bedenke jedoch, dass der Staffelnhof<br />
für die Bewohnerinnen und<br />
Bewohner das Zuhause ist. Hand<br />
aufs Herz, wer von uns würde schon<br />
gerne Dusche und Toüette mit fremden<br />
Menschen teilen?<br />
Mit diesem Um- und Neubau wird<br />
die Lebensqualität der Bewohnerinnen<br />
und Bewohner deutlich verbessert,<br />
und die Arbeitsplatzverhältnisse<br />
der Mitarbeitenden werden den heutigen<br />
Anforderungen angepasst.<br />
Würde Littau die Sanierung seines<br />
eigenen Alterszentrums ablehnen,<br />
wäre dies aus meiner Sicht ein<br />
Schüdbürgerstreich. Darum bin ich<br />
für ein überzeugtes Ja.<br />
Das Alterszentrum Staffelnhof<br />
ist 33-jährig. CVP, FDP<br />
und SP sind klar für die<br />
Sanierung. Die SVP sagt<br />
Nein. Sie will einen Neubau.<br />
Die Stimmberechtigten<br />
von<br />
Gemeinde-<br />
Abstimmung<br />
Littau entscheiden<br />
am 17. Mai<br />
über einen Kredit<br />
von 48 Millionen<br />
Franken für die<br />
Sanierung und<br />
17. Mai 2009 den Teilneubau<br />
des Alterszentrums<br />
Staffelnhof in Reussbühl. Dieses<br />
Alterszentrum war bei seiner Eröffnung<br />
1976 schweizweit ein modernes Vörzeigeobjekt.<br />
Luzern zahlt mit<br />
Das Heim mit 175 Betten genügt<br />
heutigen Ansprüchen nach Privatsphäre,<br />
Wohnlichkeit und Komfort nicht<br />
mehr. Das vorliegende Projekt umfasst<br />
eine Sanierung mit Umbau sowie einen<br />
Teilneubau. In den Kosten von 48 Millionen<br />
Franken sind auch die Provisorien<br />
während der Bauzeit enthalten. Die<br />
Staffelnhofsanierung ist das grösste<br />
Bauvorhaben in der Geschichte Littaus.<br />
Wegen der Fusion werden auch die<br />
Stadtluzerner an den Bau mitzahlen.<br />
Der Einwohnerrat Littau hat am<br />
18. März dem Kredit mit 21 gegen<br />
7 Stimmen zugestimmt. Die SVP scheiterte<br />
mit ihrem Rückweisungsantrag;<br />
sie schlug einen Neubau an einem<br />
neuen Standort vor. RUTH SCHNEIDE R<br />
«Neubau wäre günstiger»<br />
Dass beim Alterszentrum Staffelnhof<br />
etwas geschehen muss, ist<br />
unbestritten. Doch leider stiegen die<br />
Kostenschätzungen im Laufe der<br />
Zeit ungebremst. So startete man bei<br />
15 Millionen, kam danach auf 30, 36,<br />
37,5 und später auf 39 Millionen<br />
Franken. Erst kurz vor der Zustellung<br />
der Unterlagen an den Einwohnerrat<br />
erfuhren wir, dass die Kosten knapp<br />
50 Millionen betragen werden.<br />
Trotz dieser massiven Kostensteigerungen<br />
hat sich der Gemeinderat nie<br />
Gedanken über eine Alternative mit<br />
einem Neubau gemacht. Die Gründe<br />
für die sehr hohen Kosten liegen<br />
beim aufwendigen Umbau und den<br />
teuren Provisorien. So müssen beim<br />
bestehenden Gebäude statisch tragende<br />
Wände herausgetrennt werden.<br />
Trotzdem werden die Zimmer<br />
kleiner sein als im geplanten Teilneubau<br />
daneben. Ausserdem wird während<br />
der Bauzeit ein Teil der Bewohner<br />
in Provisorien in der Stadt Luzern<br />
verlegt, was allein schon über 2,5 Millionen<br />
kostet. Die verbleibenden Bewohner<br />
sind während der gesamten<br />
Bauzeit dem Lärm und Schmutz einer<br />
Grossbaustelle ausgesetzt.<br />
Bei einem Vergleich mit kürzlich<br />
erstellten Neubauten zeigt sich, dass<br />
ein Neubau auf einer nahe gelegenen<br />
Parzelle (zum Beispiel beim<br />
Baseball-Platz) die günstigere Lösung<br />
wäre. Auch würden die Bewohner<br />
vom Lärm und Schmutz verschont<br />
und müssten nicht in Provisorien<br />
umziehen. Das ganze Gebäude<br />
könnte optimal auf die heutigen<br />
KONTRA<br />
Peter With,<br />
Einwohnerrat<br />
SVP<br />
Pflegebedürfnisse ausgerichtet werden<br />
und wäre nicht durch ein bestehendes<br />
Gebäude eingeschränkt. Ein<br />
Neubau wäre eine zukunftsgerichtete<br />
Lösung, die ohne Altlasten und<br />
Ungewissheiten in Angriff genommen<br />
werden könnte. Und auch der<br />
bestehende Staffelnhof könnte weiter<br />
ohne grossen Aufwand für Studentenwohnungen<br />
genutzt werden.<br />
Der Gemeinderat argumentiert nun,<br />
dass bei Ablehnung dieser Vorlage<br />
nichts mehr geschehen würde. Wir<br />
haben da mehr Vertrauen in die fusionierte<br />
Stadt Luzern und sind sicher,<br />
dass auch die Stadtluzerner Behörden<br />
unsere Anliegen ernst nehmen<br />
würden.<br />
Sagen Sie deshalb Nein zur unausgewogenen<br />
Sanierung des Alterszentrums<br />
Staffelnhof - dem Alter und<br />
den Finanzen zuliebe.
s/l.S-.Cty<br />
Kanton<br />
Zug<br />
«Problem muss jetzt angepackt werden»<br />
Heute ist Tag der Pflege.<br />
Die Gelegenheit, auf einen<br />
Mangel hinzuweisen.<br />
VON YVONNE ANLIKER<br />
In den vergangenen Monaten war im<br />
Kanton Zug oft der Pflegebettennotstand<br />
ein Thema. Doch es mangelt<br />
nicht nur an Betten, sondern auch an<br />
Menschen, die die Personen darin pflegen.<br />
Unter anderem weist der Zentral-<br />
I schweizer Ausbildungsverband Pflege-<br />
I und Alterszentren (Zapa) Plus auf den<br />
Mangel an qualifizierten Fachkräften in<br />
i den Bereichen Pflege und Betreuung<br />
hin. Auch ausserhalb der <strong>Zentralschweiz</strong><br />
bewegt das Thema. Gestern<br />
hat der Zürcher Kantonsrat einen Vorstoss<br />
unterstützt, der die Regierung des<br />
Kantons Zürich dazu anhält, mehr Pflegepersonal<br />
auszubilden.<br />
Immer ältere Leute<br />
«Das Problem ist eindeutig», sagt<br />
Zapa-Plus-Geschäftsführer Kurt Fallegger.<br />
Angesichts der demografischen<br />
Entwicklung «werden grössere Schwierigkeiten<br />
auf uns zukommen, ausgebildetes<br />
Fachpersonal zu finden». Gerade<br />
die Alters- und Pflegeheime seien vom<br />
Mangel betroffen. «Die Gesellschaft<br />
muss sich überlegen, wie sie in Zukunft<br />
die älteren Menschen pflegen will.»<br />
Auch Doris Ruckstuhl, Geschäftsleiterin<br />
der Spitex Kanton Zug, kennt das<br />
Problem. Nach wie vor habe sie Stellen<br />
für diplomiertes Pflegepersonal zu vergeben.<br />
«Die Alarmglocken läuten für<br />
uns jedoch noch nicht», sagt sie. Mittelfristig<br />
könne das fehlende Personal<br />
aber zu einem grösseren Problem werden.<br />
«Deshalb muss es jetzt angepackt<br />
werden.» Einfach auf den Zustrom von<br />
Arbeitskräften aus dem EU-Raum zu<br />
vertrauen, ist Ruckstuhl zu unsicher.<br />
«Wir können uns nicht nur darauf<br />
abstützen.» Das findet auch Gesundheitsdirektor<br />
Joachim Eder. «Der Beizug<br />
von noch mehr ausländischem Pflegepersonal<br />
löst das Problem nicht.»<br />
Attraktivität steigern<br />
Was ist dann zu tun? Es gehe darum,<br />
den Beruf attraktiver zu machen, sagt<br />
Ruckstuhl. «Die Freude an der Arbeit<br />
TAG DER PFLEGE<br />
Zu Ehren einer<br />
Krankenschwester<br />
Der Internationale Tag der Pflege<br />
] wird am 12. Mai, am Geburtstag von<br />
Florence Nightingale, gefeiert. Florence<br />
Nightingale (geboren 12. Mai<br />
1820 in Florenz; gestorben 13. Auj<br />
gust 1910 in London) war eine briti-<br />
I<br />
sche Krankenschwester. Die Tochter<br />
einer wohlhabenden britischen Familie<br />
gilt als die Pionierin der modernen<br />
Krankenpflege.<br />
any<br />
mit dem Mensch muss im Vordergrund<br />
stehen.» Kurt Stadler, Präsident der<br />
Curaviva Zug, fordert diesbezüglich die<br />
Alters- und Pflegeheime auf, aktiv zu<br />
sein. Es müsse Marketing betrieben<br />
werden, und die Arbeitsplätze seien<br />
attraktiver zu gestalten. «Imagewerbung<br />
ist angesagt», um zu verhindern,<br />
dass viele in der<br />
Langzeitpflege ausgebildete<br />
Personen<br />
in die Akutpflege abwanderten.<br />
«Denn<br />
die Langzeitpflege ist<br />
ebenso anspruchsvoll,<br />
vor allem eine<br />
gute Kommunikation<br />
ist hier gefordert.»<br />
Auch der Kanton unterstützt<br />
mehr Werbung.<br />
Laut Eder hat<br />
Zug zusammen mit<br />
den anderen <strong>Zentralschweiz</strong>er<br />
Kantonen<br />
in den letzten<br />
«Imagewerbung<br />
ist angesagt.»<br />
anderthalb Jahren<br />
mit einer Anschubfinanzierung ein verstärktes<br />
Berufsmarketing ermöglicht.<br />
Um das Problem zudem noch genauer<br />
analysieren zu können, verlangten<br />
die Gesundheitsdirektoren kürzlich von<br />
der Zigg, der <strong>Zentralschweiz</strong>er Interessengemeinschaft<br />
Gesundheitsberufe,<br />
eine Problemanalyse ipit Fakten und<br />
Zahlen. «Die Lösung des Problems ist<br />
nicht eindeutig», bekräftigt Kurt Fallegger.<br />
Doris Ruckstuhl pflichtet ihm<br />
bei. «Wenn man die Ursachen des<br />
Mangels klarer kennen würde, könnte<br />
man sie direkter beheben.»<br />
Doch trotz dieser Unsicherheiten<br />
sieht Ruckstuhl konkretes Verbesserungspotenzial<br />
bei den Arbeitsbedingungen,<br />
der Weiterbildung und der<br />
Entlohnung des Pflegepersonals. Gerade<br />
bei der Entlohnung und der Ausbildung<br />
seien die Geldgeber<br />
der Pflegeinstitutionen<br />
gefragt.<br />
Im Klartext: oftmals<br />
die öffentliche Hand.<br />
Dessen ist sich der<br />
Gesundheitsdirektor<br />
bewusst. «Mit dem<br />
neuen Gesundheitsgesetz<br />
sind die<br />
Grundlagen gegeben,<br />
bei Bedarf entsprechende<br />
monetäre<br />
Unterstützung zu<br />
bieten», sagt er, ruft<br />
aber gleichzeitig die<br />
Betriebe auf, sich<br />
aktiv an der Ausbildung<br />
zu beteiligen. Der Kanton Zug<br />
forciere ja auch die Ausbildung in der<br />
beruflichen Grundbildung.<br />
KURT STADLER, CURAVIVA ZUG<br />
Ein Angebot<br />
So entstand als so genanntes Fundament<br />
der Pflegeausbildungen mit dem<br />
Beruf Fachangestellte Gesundheit (Fage)<br />
ein neuer Beruf, der über eine<br />
dreijährige Lehre zu einem eidgenössischen<br />
Fähigkeitszeugnis führt. Volkswirtschaftsdirektor<br />
Matthias Michel<br />
EXPRESS<br />
• In den Pflegeinstitutionen<br />
fehlt es vor allem an<br />
diplomiertem Personal.<br />
• Der Curaviva-Zug-Präsident<br />
ruft deshalb zu mehr<br />
Werbung auf.<br />
weist zudem auf zwei «Sonderanstrengungen<br />
des Kantons» hin. Zum einen<br />
biete das Gewerblich-industrielle Bildungszentrum<br />
(GIBZ) eine Nachholbildung<br />
für Personen an, die bereits im<br />
Bereich Gesundheit tätig sind, aber<br />
über keinen marktgerechten Abschluss<br />
verfügen würden. «Hier steckt ein riesiges<br />
Potenzial», so Michel. Dieses Angebot<br />
ist einzigartig in der <strong>Zentralschweiz</strong>.<br />
«Man muss die Quer- und Wiedereinsteigerinnen<br />
fördern», bekräftigt Gesundheitsdirektor<br />
Eder.<br />
Zum anderen besteht in Zug die<br />
Möglichkeit einer schulgestützten Ausbildung.<br />
Das heisst, dieser vierjährige<br />
Ausbildungsweg führt über die Fachmittelschule<br />
und die Berufsmatura.<br />
«Ein Angebot für jene, die mehr Theorie<br />
vermittelt haben möchten, ein Angebot<br />
für das spätere mittlere Kader», so<br />
Michel. Er ist sich sicher: Mit diesen<br />
zwei Sonderanstrengungen für den<br />
Pflegeberuf könne der Kanton Zug<br />
einen grossen Kreis an Interessierten<br />
ansprechen.
Gesundheitsberufe stellen sich im Rahmen<br />
des nationalen Spitaltages H+ vor<br />
iiSZ.<br />
&<br />
«Rund 2000 Pflegefachkräfte setzen sich zum Wohl unserer Patientinnen und Patienten ein...<br />
Annamarie Mathys ist eine von ihnen.»<br />
«Es geht darum,<br />
was die Patienten brauchen»<br />
Die Pflegefachfrau Annamarie Mathys betreut<br />
Krebskranke während einer Strahlen- und Chemotherapie.<br />
Frau Mathys, Sie pflegen in der Klinik für Radioonkologie<br />
Krebskranke, die sich stationär einer<br />
Strahlentherapie unterziehen müssen. Um welche<br />
Erkrankungen geht es?<br />
Zu uns kommen beispielsweise Patienten mit Hirntumoren,<br />
mit Krebs im Bereich der Atemwege, im<br />
Mund- und Rachenbereich, im Bereich der Speiseröhre,<br />
des Magen-Darm-Traktes oder der Harnwege.<br />
Eine Strahlentherapie kann allein oder in<br />
Verbindung mit einer Operation und/oder einer Chemotherapie<br />
durchgeführt werden. Eine Bestrahlung<br />
ist oft ambulant möglich. Stationär aufgenommen<br />
werden die Patienten dann, wenn sie in einem<br />
schlechten Allgemeinzustand sind, wenn sie Ernährungsschwierigkeiten,<br />
schwerwiegende Defekte der<br />
Haut oder Schleimhaut oder andere Komplikationen<br />
haben.<br />
Stellt die Betreuung von Krebskranken besondere<br />
Anforderungen an die Pflege?<br />
Ja, und zwar sowohl fachlich als auch menschlich.<br />
Wir müssen wissen, was der Krebs mit dem Körper<br />
machen kann und welche Nebenwirkungen die Behandlungen<br />
verursachen können. Und wir müssen<br />
wissen, was der Krebs mit dem Menschen macht.<br />
Für die meisten Patienten ist die Diagnose Krebs<br />
ein schwerer Schlag, der eine Erschütterung wie<br />
auch eine umfassende Auseinandersetzung mit<br />
dem Leben und dem Sterben auslöst.<br />
Welche Probleme erzeugt die Bestrahlung?<br />
Es kann zu Hautdefekten kommen. Die Haut ist gerötet<br />
oder verletzt wie nach einem starken bis sehr<br />
starken Sonnenbrand. Die Hautpflege ist deshalb<br />
ganz wichtig. Das Gute ist, dass sich die Haut nach<br />
der Bestrahlung wieder erholt. Ein weiteres Problem<br />
ist der Haarausfali bei Bestrahlungen am Kopf, weil<br />
sich dadurch das äussere Bild verändert. Zusätzlich<br />
verspüren viele Patienten während der Bestrahlung<br />
eine generelle Müdigkeit. Unser Anliegen ist, die Patienten<br />
pflegerisch optimal zu betreuen, zu beraten<br />
und ihnen Linderung zu verschaffen, wenn solche<br />
Probleme auftreten. Wir gehen mit ihnen wie durch<br />
einen Tunnel.<br />
Viele Patienten bekommen zusätzlich zur Bestrahlung<br />
eine Chemotherapie. Erfordert auch In erster Linie sind es die Patienten selbst, die mir<br />
Woher nehmen Sie die Kraft für Ihre Arbeit?<br />
das spezielle pflegerische Fachkenntnisse? mit ihrer Dankbarkeit Kraft zurückgeben. Dennoch<br />
Wer Chemotherapien verabreicht, muss die Wirkung<br />
und die Nebenwirkungen kennen und die nächst das Team, wo wir uns täglich austauschen<br />
braucht es Leute, die einen mittragen. Da ist zu-<br />
Sicherheitsvorkehrungen genauestens einhalten. können. Reden kann ich auch mit den involvierten<br />
Dann geht es darum, einen sicheren Venenzugang Ärzten und Psychologen und mit guten Freundinnen<br />
zu legen, das Medikament zu geben und die Verabreichung<br />
zu überwachen. Und das ist nicht dasselbe, ich die Zeit für ein Bad im Greifensee finde. Dann<br />
und Freunden. Am allerschönsten ist für mich, wenn<br />
wie wenn ich eine Kochsalzlösung verabreiche. springe ich rein und es spült alles weg.<br />
Können Sie beschreiben, was anders ist?<br />
Die Patienten wissen, dass jetzt die Chemotherapie<br />
beginnt. Manche sagen: Jetzt kommt das Gift. Andere<br />
sagen nichts, schauen einen aber mit ängstlichem<br />
Gesicht an und runzeln die Stirn. Da kann<br />
ich das Medikament nicht einfach schnell anhängen<br />
und dann wieder aus dem Zimmer gehen.<br />
Wie können Sie in so einer Situation helfen?<br />
Ich spreche an, was ich wahrnehme: Ich sehe, dass<br />
sie die Stirn runzeln. Es geht darum zu fragen, was<br />
der Mensch jetzt braucht. Wichtig ist, ihn sehr genau<br />
und sehr professionell darüber zu informieren, was<br />
mit ihm geschieht. Je professioneller ich dabei auftrete,<br />
umso mehr Sicherheit kann ich geben. Das ist<br />
in so heiklen Situationen sehr wichtig.<br />
Wie reagieren Sie auf existenzielle Fragen?<br />
Es geht darum, zuhören zu können, die Menschen<br />
auf ihrem Weg zu begleiten, die richtigen Worte zu<br />
finden oder auch das Schweigen auszuhalten, wenn<br />
Worte unpassend sind.<br />
«Es geht darum zu<br />
fragen, was der Mensch<br />
jetzt braucht»
X/LZ. l&M<br />
NACHRICHTEN<br />
32 550 Franken für<br />
Palliativmedizin<br />
Luzern - Am 3. Solidaritätskonzert<br />
vom 22. März im Hotel Schweizerhof<br />
sind 32 550 Franken zusammengekommen.<br />
Das Geld ist für die<br />
Palliativmedizin im Kanton Luzern<br />
bestimmt. Das nächste Solidaritätskonzert<br />
findet am Sonntag, 21. März<br />
2010, statt. Das Programm und weitere<br />
Unterlagen sind erhältlich unter:<br />
4. Luzerner Solidaritätskonzert<br />
zu Gunsten Kinderspital Luzern,<br />
Auf Hirtenhof 6, 6005 Luzern. (red)<br />
CX<br />
A/l Z- J S . & C t f<br />
St,<br />
Theres Vinatzer<br />
Bisher Einwohnerrat (ER)<br />
3869 Stimmen<br />
Pflegefachfrau &<br />
<strong>SBK</strong>-Mitglied<br />
Betagtenzentren<br />
Spezialabteilung<br />
für alternde Italiener<br />
Extrawurst im Pflegeheim:<br />
Ein Verein wünscht sich ein<br />
mediterranes Ambiente<br />
für italienische Senioren.<br />
Pasta, Rotwein, italienische Musik<br />
und italienischsprachiges Pflegepersonal<br />
sollen südländischen Betagten das<br />
Leben in Betagtenzentren versüssen.<br />
Das fordert die Kommission Drittes<br />
Alter vom Verein der Auslanditaliener.<br />
Präsident Franco Aufiero erklärt: «Im<br />
Alter wächst der Wunsch vieler Menschen,<br />
zu ihren Wurzeln zurückzukehren.»<br />
Im städtischen Betagtenzentrum<br />
Eichhof kann man sich ein solches<br />
Angebot für italienische und allenfalls<br />
spanische Senioren vorstellen - allerdings<br />
nicht in isolierten Spezialabteilungen,<br />
weil dies der Integration im<br />
Italienisches Lebensgefühl soll es auch in<br />
Betagtenzentren geben, BILD MISCHA CHRISTEN<br />
Weg stehe. Auch die Stadtverwaltung<br />
gibt sich grundsätzlich offen für ein<br />
solches Angebot - allerdings mit einigen<br />
Vorbehalten.<br />
Seite 28, Kommentar 5. Spalte
Betagtenzentren<br />
Sonderplätze für Südländer<br />
VON NOEMIE SCHAFROTH<br />
Bei einem Schluck Rotwein, einem<br />
Teller Penne all'arrabbiata und wohlklingender<br />
italienischer Musik den Lebensabend<br />
verbringen: In den Genuss<br />
dieses Szenarios sollen Senioren aus<br />
südlichen Gefilden nun auch in Luzerner<br />
Betagtenzentren kommen, geht es<br />
nach dem Gusto von Franco Aufiero. Er<br />
ist Präsident der Kommission Drittes<br />
Alter vom Verein der Auslanditaliener,<br />
die Spezialabteilungen für italienische<br />
und später allenfalls spanische Betagte<br />
fordert.<br />
Im Alter zurück zu den Wurzeln<br />
«Wir möchten, dass Pflegebedürftige<br />
aus diesen Ländern in ihrer vertrauten<br />
Kultur leben und ihre Traditionen<br />
pflegen können.» Denn im Alter wachse<br />
der Wunsch, zu den Wurzeln zurückzukehren.<br />
Deshalb fordert der<br />
Verein beispielsweise ein spezielles<br />
Musik- und Unterhaltungsprogramm,<br />
das «dem südlichen Lebensstil Rechnung<br />
trägt.» Wichtig ist ihm auch, dass<br />
ein spezielles Augenmerk auf die Gastronomie<br />
gelegt wird.» Will heissen:<br />
Die Senioren wollen Kost, wie sie sie<br />
Spezielle Pflegeplätze für aus ihren Herkunftsländern kennen -<br />
Pasta und Paella statt Rösti.<br />
Italiener und Spanier,• diese Aufiero ist überzeugt, dass solche<br />
Idee schwebt einer privaten mediterranen Pflegeplätze auch aus<br />
Organisation vor. Aber nicht medizinischer Sicht Sinn machen: «Im<br />
Krankheitsfall haben viele Ältere den<br />
nur Betagte aus diesen Wunsch, sich in ihrer<br />
Ländern bekunden Interesse. Muttersprache auszudrücken.»<br />
Sein<br />
Ziel: In Luzern soll in<br />
einem Betagtenzentrum<br />
eine Abteilung<br />
mit zwölf Plätzen geschaffen<br />
werden, die<br />
italienischen und gegebenenfalls<br />
spanischen<br />
Pensionierten<br />
zur Verfügung steht.<br />
Dazu brauche es<br />
auch qualifiziertes<br />
Pflegepersonal aus<br />
dem mediterranen<br />
Raum, so Aufiero.<br />
Konkrete Pläne gibt<br />
es noch nicht, laut<br />
Aufiero haben aber<br />
«Ich weiss von betagten<br />
Schweizern, die ebenfalls<br />
Interesse an einem<br />
solchen Betreuungsplatz<br />
angemeldet haben.»<br />
BEAT<br />
bereits Gespräche<br />
mit der Stadt Luzern<br />
und der kantonalen<br />
Dienststelle für Integration stattgefunden.<br />
«Prüfenswert»<br />
Auch wenn die Standortfrage noch<br />
offen ist: Dass sich im städtischen<br />
Betagtenzentrum Eichhof in Zukunft<br />
mediterranes Flair ausbreitet, sei eine<br />
«denkbare und prüfenswerte Option»,<br />
sagt Zentrumsleiter Marco Borsotti.<br />
«Wir wurden von der Kommission Drittes<br />
Alter angefragt, ob wir uns solche<br />
Plätze vorstellen könnten.» Von einer<br />
isolierten Spezialabteilung will Borsotti,<br />
der selber schweizerisch-Italienischer<br />
Doppelbürger ist, aber nichts wissen:<br />
Im Zentrum stehe immer die Integration<br />
und das Zusammenleben von Betagten<br />
aller Nationalitäten. Im September<br />
wird er sich in<br />
Zürich ein entsprechendes<br />
Projekt anschauen.<br />
Dort gibt es<br />
bereits eine spezielle<br />
Betreuung für betagte<br />
Südländer. «Konkret<br />
geplant wird bei<br />
uns nicht. Es geht<br />
vorab darum, Ideen<br />
zu sammeln»,<br />
DEMARMELS,<br />
LEITER HEIME STADT LUZERN<br />
schränkt Borsotti<br />
ein. Zudem sei gegenwärtig<br />
unklar, ob<br />
es in Luzern überhaupt<br />
eine Nachfrage<br />
nach solchen Betreuungsplätzen<br />
gebe.<br />
Mindestens<br />
zehn Plätze<br />
Den zurückhalten-,<br />
den Äusserungen schliesst sich Beat<br />
Demarmels, Leiter Heime und Alterssiedlungen<br />
der Stadt Luzern, an: «Man<br />
müsste mindestens zehn Plätze besetzen<br />
können, um eine solche Spezialabteilung<br />
wirtschaftlich führen zu können.»<br />
Notfalls Hessen sich die freien<br />
Plätze aber auch aus unerwarteten<br />
Reihen besetzen, ist Demarmels bekannt:<br />
«Ich weiss von betagten Schweizern,<br />
die ebenfalls Interesse an einem<br />
solchen mediterranen Betreuungsplatz<br />
angemeldet haben.»<br />
EXPRESS<br />
• In Luzern sollen<br />
Pflegeplätze für Senioren<br />
aus dem Süden entstehen.<br />
• Dort sollen sie betreut und<br />
verpflegt werden wie in<br />
ihrer Heimat.<br />
SCHWEIZ<br />
Mediterrane Pflege<br />
in anderen Städten<br />
In Zürich bietet die Stiftung Alterswohnen<br />
in Albisrieden zwei Pflegewohnungen<br />
mit insgesamt 17 Plätzen<br />
für betagte Südländer an. Auch<br />
das Pflegezentrum Ehrlenhof in Zürich<br />
führt eine mediterrane Abteilung<br />
mit 20 Betten.<br />
Im Basler Alterszentrum Falkenstein<br />
wohnen elf Senioren in einer<br />
mediterranen Wohngruppe. Im Berner<br />
Pflegeheim Domicil Schwabgut<br />
leben zehn Personen in einer eigenen<br />
Hausgemeinschaft. Während in Bern<br />
nur Italiener zusammenleben, sind es<br />
in Zürich und Basel auch einige<br />
Spanier.<br />
Angebot ohne Aufpreis<br />
In keiner der Einrichtungen bezahlen<br />
die Senioren für das Sonderangebot<br />
mehr als die konventionellen<br />
Tarife. Die Nachfrage nach freien<br />
Plätzen ist in allen Einrichtungen<br />
gross.<br />
cos
Kanton<br />
Zug<br />
/<br />
In den Heimen gibt es kaum leere Betten<br />
Die Auslastung nähert sich<br />
der 100-Prozent-Marke.<br />
Und die Pflege wird<br />
immer intensiver.<br />
JJA. Anfang 2008 standen im Kanton<br />
Zug in den 15 Alters- und Pflegeheimen<br />
1028 Plätze zur Verfügung. Ende<br />
Jahr gab es 1004 Bewohner. Dies geht<br />
aus der Mitteilung der für die <strong>Zentralschweiz</strong>er<br />
Kantone zuständigen Lustat,<br />
Statistik Luzern hervor. Die mitüere<br />
Auslastung der Zuger Alters- und<br />
Pflegeheime betrug im letzten Jahr<br />
97,6 Prozent. Das Durchschnittsalter<br />
der Bewohner lag bei 84,1 Jahren, 7,6<br />
Prozent waren über 94 Jahre alt. Frauen<br />
sind in allen Altersgruppen übervertreten,<br />
bei den unter 75-Jährigen<br />
beträgt ihr Anteil 58,5 Prozent und bei<br />
den über 94-Jährigen 77,6 Prozent. Die<br />
Wahrscheinlichkeit eines Heimaufenthalts<br />
steigt mit dem zunehmenden<br />
Pflegebedarf im hohen Alter. So wohnten<br />
rund 6 Prozent der 75- bis 84-jährigen,<br />
aber 32 Prozent der 85- bis<br />
94-jährigen Zuger im Heim.<br />
Jeder Fünfte<br />
Kurzzeitaufenthalter<br />
Im Jahr 2008 traten 83 (20,8 Prozent)<br />
Personen für einen vorübergehenden<br />
Aufenthalt und 316 (79,2 Prozent) für<br />
einen Langzeitaufenthalt in eines der<br />
Alters- oder Pflegeheime ein. Eine<br />
ähnliches Verhältnis zeigt sich bei den<br />
Austritten. 238 Langzeitaufenthalter<br />
verstarben 2008 im Alters- oder Pflegeheim,<br />
30 kehrten wieder nach Hause<br />
zurück, und 29 wechselten in eine<br />
andere Institution, ins Spital oder an<br />
einen anderen Aufenthaltsort. Gemessen<br />
an der Bewohnerzahl Anfang Jahr,<br />
lag die Fluktuationsrate der Personen<br />
mit Langzeitaufenthalt mit 31,3 Prozent<br />
fast auf Vorjahresniveau. Von den<br />
316 neu eingetretenen Langzeitaufenthaltern<br />
lebten 179 vor ihrem Eintritt zu<br />
Hause, 87 kamen aus dem Spital und<br />
50 aus einer anderen Institution oder<br />
Lebenssituation.<br />
22,7 Prozent der Bewohner waren<br />
Ende 2008 weniger als ein Jahr, 28,2<br />
Prozent seit mindestens fünf Jahren im<br />
Heim. Die mittlere Aufenthaltsdauer<br />
blieb beinahe unverändert und betrug<br />
vier Jahre - für Männer 3,5 und für<br />
Frauen 4,3. Die ältesten Bewohner<br />
lebten im Mittel mit 6,5 Jahren schon<br />
am längsten im Heim.<br />
2008 wurden insgesamt 367 232<br />
Heimtage verrechnet, 1,3 Prozent<br />
mehr als im Vorjahr. Die fakturierten<br />
Tage werden nach Pflegeaufwand eingeteilt<br />
(so genannte BESA-Stufen), wobei<br />
die Stufen 0 bis 2 keinen bis<br />
leichten Aufwand bedeuten und die<br />
Stufen 3 bis 4 auf intensivere Pflege<br />
hinweisen. 2008 entfielen 30,9 Prozent<br />
der fakturierten Tage auf die höchste<br />
Pflegestufe, die einen schweren und<br />
umfassenden Pflegebedarf anzeigt.<br />
Der Anteil an fakturierten Tagen für<br />
mittleren bis schweren Pflegeaufwand<br />
(BESA 3 und 4) erhöhte sich im Vergleich.<br />
zum Vorjahr von 47,1 auf 49,6<br />
Prozent.<br />
Frauen in der Überzahl<br />
Ende 2008 waren in den Alters- und<br />
Pflegeheimen des Kantons Zug 1170<br />
Personen beschäftigt, zum grössten<br />
Teil Frauen (1031 oder 88,1 Prozent).<br />
51,1 Prozent aller Beschäftigten waren<br />
älter als 44 Jahre. Das Personal der<br />
Alters- und Pflegeheime besetzte im<br />
Jahresmittel 834 Vollzeitstellen, 8,6<br />
Prozent mehr als im Vorjahr. Wie in<br />
den beiden Vorjahren kam 2008 auf<br />
einen Bewohner durchschnittlich eine<br />
80-Prozent-Stelle.<br />
Fast nur Frauen in der Pflege<br />
Das Pflegepersonal zählte Ende Jahr<br />
687 Beschäftigte, davon 94,2 Prozent<br />
Frauen. Im Jahresmittel entfielen somit<br />
494,6 aller Vollzeitstellen (59,3 Prozent)<br />
in den Alters- und Pflegeheimen auf<br />
das Pflegepersonal. Rund die Hälfte der<br />
Vollzeitstellen im Pflegebereich besetzten<br />
Beschäftigte mit qualifizierter Ausbildung<br />
im Pflegebereich, rund ein<br />
Viertel Angestellte mit einem Abschluss<br />
als Pflegehelfer SRK oder in einem<br />
anderen Betreuungsberuf. Personen in<br />
Ausbildung besetzten einen Zehntel<br />
der Vollzeitstellen im Pflegebereich.
Rückenschmerzen drücken<br />
Jeder vierte Arbeitnehmer<br />
leidet im Job an Erkrankungen<br />
des Bewegungsapparats. Das<br />
kostet die Wirtschaft über vier<br />
Milliarden pro Jahr. Jetzt werden<br />
die Firmen besser kontrolliert.<br />
Von Antonio Cortesi, Bern<br />
«Oft wäre es einfach, die körperliche Belastung<br />
am Arbeitsplatz zu verringern»,<br />
sagt der Arbeitspsychologe Thomas<br />
Läubli. Als Beispiel nennt der ETH-<br />
Dozent den Job der Zügelmänner: «Früher<br />
hat man schwere Möbel noch mit Gurten<br />
herumgeschleppt, heute werden Hebelifte<br />
eingesetzt.» Damit gebe es nicht nur weniger<br />
Rückenprobleme. Auch die Zügelfirmen<br />
profitierten, weil die Arbeit rascher<br />
erledigt werden könne.<br />
Viele Unternehmen, in denen schwere<br />
Lasten getragen werden oder viel Sitzarbeit<br />
geleistet wird, scheuen jedoch solche<br />
Investitionen. Die Folgen sind gravierend<br />
- nicht nur in Bezug auf die Arbeitsleistung<br />
der Betroffenen, sondern auch für<br />
deren Gesundheit. Dies zeigen zwei neue<br />
Studien des Staatssekretariats für Wirtschaft<br />
(Seco):<br />
• 670 000 Erwerbstätige leiden an Beschwerden<br />
des Bewegungsapparates. Das<br />
ist beinahe ein Viertel aller Arbeitnehmer<br />
in der Schweiz.<br />
• Die Wirtschaft kostet das jährlich über<br />
4 Milliarden Franken. Davon entfallen 3,3<br />
Milliarden auf verminderte Produktivität<br />
und eine Milliarde auf Absenzen.<br />
IV-Fälle nicht berücksichtigt<br />
In der Studie nicht berücksichtigt sind<br />
die volkswirtschaftlichen Kosten wegen<br />
Invalidität und frühzeitigen Pensionierungen.<br />
Im Jahr 2008 bezogen über 50 000<br />
Personen eine IV-Rente aufgrund von Erkrankungen<br />
des Bewegungsapparats. Etwa<br />
ein Drittel dieser Fälle wird auf berufliche<br />
Belastung zurückgeführt.<br />
Die betroffenen Unternehmen stehen in<br />
der Verantwortung: Gemäss Arbeitsgesetz<br />
müssen sie «alle Massnahmen treffen, um<br />
die physische und psychische Gesundheit<br />
der Arbeitnehmer zu gewährleisten».<br />
Nacken- und Rückenschmerzen hängen<br />
meist mit anderen Faktoren zusammen.<br />
Laut Studie entscheidend ist die «Work-<br />
Life-Balance». Wenn sie durch lange Arbeitstage<br />
und viele Überstunden beeinträchtigt<br />
ist, steigt das Risiko von Erkrankungen<br />
des Bewegungsapparats deutlich.<br />
Für Seco-Leiter Serge Gaillard ist klar:<br />
«Es gibt in den Betrieben erhebliches Verbesserungspotenzial.»<br />
Der Bund und die<br />
Kantone setzten aber «nicht primär auf<br />
zusätzliche Kontrollen, sondern auf Information<br />
und Sensibilisierung». Man werde<br />
den Betrieben eine ausführliche Dokumentation<br />
zu Verfügung stellen.<br />
350 Kontrolleure für die ganze Schweiz<br />
Dennoch wird es auch zu mehr Kontrollen<br />
kommen. In den Kantonen sind die Arbeitsinspektorate<br />
dafür zuständig. Laut<br />
Marc-Andre Tudisco, Präsident des interkantonalen<br />
Verbandes für Arbeitnehmerschutz,<br />
werden die Inspektoren in den<br />
nächsten beiden Jahren in drei Branchen<br />
vermehrt aktiv sein: bei der Gastronomie,<br />
beim Baugewerbe und bei den Gesundheitsberufen.<br />
Die Kontrollen werden allerdings wie<br />
bisher beratender Natur sein. «Unsere Inspektoren<br />
halten sich nicht eine Woche in<br />
einem Betrieb auf, um die Arbeitsabläufe<br />
im Detail zu überprüfen», sagt Tudisco.<br />
Man konzentriere sich auf Befragungen<br />
und rege betriebsinterne Schulungen an.<br />
Entscheidend sei, die Firmenchefs davon<br />
zu überzeugen, «dass ihnen Verbesserungen<br />
einen Mehrwert bringen».<br />
Mit akribischen Kontrollen würden die<br />
Arbeitsämter auch personell an ihre Grenzen<br />
stossen. Zusammen mit den Kontrolleuren<br />
der Suva stehen schweizweit bloss<br />
350 Inspektoren im Einsatz. Laut Beat<br />
Hohmann, Leiter des Bereichs Physik bei<br />
der Suva, sind allein in seinem Zuständigkeitsbereich<br />
landesweit an 200000 Arbeitsplätzen<br />
Massnahmen nötig.<br />
«Schwerer als ein Sack Kartoffeln»<br />
«Bei uns ist das Problem der körperlichen<br />
Belastung sehr akut», sagt Elsbeth<br />
Wandeler. Die Präsidentin des Schweizerischen<br />
Pflegeverbands mit 26000<br />
Mitgliedern begrüsst es, dass die kantonalen<br />
Arbeitsinspektoren die Gesundheitsberufe<br />
genauer unter die Lupe nehmen<br />
wollen.<br />
Besonders gravierend sei die Situation<br />
bei der Langzeitpflege und bei der<br />
Spitex. «Viele können sich gar nicht vorstellen,<br />
wie schwer Menschen sind, die<br />
sich selber kaum bewegen können. Sie<br />
sind schwerer als ein Sack Kartoffeln.»<br />
Hinzu komme, dass man bei der Betreuung<br />
von bewusstlosen oder dementen<br />
Patienten oft allein sei.<br />
Zum Beispiel nachts auf der Intensivstation:<br />
Um dem Wundliegen vorzubeugen,<br />
muss der Kranke alle zwei Stunden<br />
in eine andere Lage gebracht werden.<br />
Oder beim Spitex-Besuch zu Hause: «Da<br />
ist die Pflegende ohnehin allein. Und die<br />
betagte Lebenspartnerin des Kranken ist<br />
auch keine wirkliche Hilfe.»<br />
Zu den Rückenproblemen komme<br />
die psychische Belastung. Und der allgemeine<br />
Frust, dass sich die Personalengpässe<br />
im Gesundheitswesen noch<br />
verschärfen würden. Auch die Fallpauschalen<br />
hätten den Arbeitsdruck erhöht.<br />
«Viele steigen vorzeitig aus, und<br />
wer über 60 ist, landet oft in der lava- -<br />
lidenversicherung.»<br />
Elsbeth Wandeler bezweifelt allerdings,<br />
dass die Inspektoren mehr ausrichten<br />
werden als bis anhin. In den 30<br />
Jahren ihres Berufslebens sei sie nämlich<br />
noch nie einem solchen begegnet.<br />
«Dass ein Inspektor einer Spitex-Frau<br />
über die Schulter schaut, ist schon<br />
deshalb nicht vorstellbar, weil dies die<br />
Privatsphäre des Patienten stören<br />
würde.» (ac)
Reussbühl<br />
Heim soll Angehörige<br />
in den Pflegealltag einbeziehen<br />
z:<br />
Der alte Vater ist im Heim,<br />
die Familie sorgt sich, hat<br />
Schuldgefühle. Das Staffelnhof-Seminar<br />
machte Mut,<br />
Konflikte anzugehen.<br />
Rund 100 Personen, vorwiegend Pflegefachpersonen<br />
aus Alters- und Pflegezentren<br />
in der Region Luzern, befassten<br />
sich am Staffelnhof-Seminar in Reussbühl<br />
am Donnerstag mit Umwälzungen<br />
in der Alterspflege. Professorin Marie-<br />
Louise Friedemann, Pflege- und Gesundheitswissenschaftlerin,<br />
plädierte<br />
dafür, dass Spitex und Heime die Familie<br />
des Pflegebedürftigen als Partner sehen<br />
und Angehörige in die Pflege einbeziehen.<br />
Probleme ortet sie da, «wo Pflegende<br />
sich als Experten sehen und die<br />
Familie praktisch stehen gelassen wird».<br />
Im Alterszentrum Staffelnhof werde<br />
der intensive Einbezug der Angehörigen<br />
sehr ernst genommen, sagte Ernst<br />
Schäfer (49), Leiter Pflege und Betreuung,<br />
im Gespräch mit unserer Zeitung.<br />
Vertrauen aufbauen<br />
Das beginne bereits vor und beim<br />
Heimeintritt. Denn eine Familie, die<br />
«Für den Bewohner<br />
ist ja das Heim<br />
sein Zuhause.»<br />
ERNST<br />
STAFFELNHOF<br />
SCHÄFER,<br />
zum Beispiel den schwer pflegebedürftigen<br />
Vater während Jahren zu Hause<br />
gepflegt habe, bis es nicht mehr ging,<br />
könne oft schwer loslassen und habe<br />
gar Schuldgefühle. Ernst Schäfer: «Da<br />
braucht es Gespräche, Beratung, wir<br />
müssen gegenseitiges Vertrauen aufbauen.<br />
Ich sage dann jeweils den Angehörigen,<br />
jetzt dürfen Sie einmal zu sich<br />
schauen.» So könnten die Familienmitglieder,<br />
die vorher vielleicht mehrmals<br />
nachts aufstehen mussten, erst einmal<br />
wieder zur Ruhe kommen.<br />
Feste Ansprechperson<br />
Im Staffelnhof hat jeder Bewohner<br />
und jede Bewohnerin eine feste Bezugsperson<br />
im Pflegeteam der Abteilung.<br />
«Das erleichtert auch den Kontakt<br />
von Seiten der Angehörigen, sie wissen<br />
genau, an wen sie sich wenden können»,<br />
so Ernst Schäfer. Diese Ansprechperson<br />
werde mit der Zeit, wenn ein<br />
gegenseitiges Vertrauensverhältnis aufgebaut<br />
werde, praktisch ein Familienmitglied<br />
- wofür auch Professorin Friedemann<br />
ausdrücklich plädierte. Die in<br />
den USA tätige Schweizerin empfiehlt<br />
auch, dass Angehörige von Heimbewohnern<br />
eine Ansprechperson aus der<br />
Familie bezeichnen, was wiederum<br />
vom Heim geschätzt werde. Der Begriff<br />
Familie sollte weit gefasst werden: Für<br />
Heimbewohner ohne Kinder oder Geschwister<br />
könnten auch Freunde die<br />
Familie sein.<br />
Keine starre Besuchszeit<br />
Angehörige in den Pflegealltag einzubeziehen<br />
(zum Beispiel zum Helfen beim<br />
Essen), mache Sinn, sagt der Pflegedienstleiter.<br />
Er erlebe es manchmal, dass<br />
jemand aus der Familie frage, wann er zu<br />
Besuch kommen dürfe bei der Mutter<br />
oder beim Bruder im Heim. «Jederzeit»,<br />
laute dann seine Antwort. Der Staffelnhof<br />
kenne keine starr geregelten Besuchszeiten,<br />
«denn für den Bewohner ist<br />
ja das Heim sein Zuhause, wo er Besuch<br />
empfangen kann, wann er es wünscht».<br />
Professorin Marie-Louise Friedemann<br />
ermunterte die Pflegefachpersonen:<br />
«Haben Sie keine Vorurteile. Es gibt<br />
natürlich die verschiedenartigsten Familien.<br />
Seien Sie mutig.» RUTH SCHNEIDER<br />
ANGEHÖRIGE<br />
Bei Konflikten das<br />
Gespräch suchen<br />
Was können Angehörige tun,<br />
wenn sie sich im Heim nicht ernst<br />
genommen fühlen oder wenn ein<br />
Konflikt nicht lösbar ist? «Ich empfehle,<br />
das Gespräch mit der Pflegedienstleitung<br />
oder mit der Zentrumsleitung<br />
zu suchen», sagt<br />
Ernst Schäfer, Leiter Pflege und<br />
Betreuung im Alterszentrum Staffelnhof<br />
in Reussbühl. «Für mich<br />
sind kritische Angehörige, die sich<br />
wehren, eine Chance, dass wir<br />
zum Beispiel Qualitätsmängel aufspüren<br />
und Verbesserungen einleiten<br />
können.»<br />
Könne ein Konflikt im Gespräch<br />
mit der Heimleitung nicht gelöst<br />
werden, so sei der Sozialvorsteher<br />
der entsprechenden Gemeinde die<br />
nächste Instanz.<br />
rs
Tages-Anzeiger - Samstag, 19. September 2009<br />
«Ich kann sehr gut nachvollziehen<br />
Seit Katharina Schmid (22) als<br />
Kind im Spital operiert worden<br />
ist, will sie Pflegefachfrau<br />
werden. In einem halben Jahr<br />
ist es so weit. Der Arbeitsmarkt<br />
wartet auf sie.<br />
kinder spezialisieren. Doch beim Eintrittsgespräch<br />
in die Schule riet man mir zur<br />
Akutsomatik. Ich hatte zuerst die Lehre<br />
zur Fachangestellten Gesundheit (Fage) in<br />
einem Alters- und Pflegeheim gemacht,<br />
und da meinten sie, der Ubergang wäre zu<br />
abrupt. Erwachsenenpflege im Spital war<br />
mir auch recht - Hauptsache ich konnte<br />
die höhere Fachschule machen.<br />
Patienten haben auch den Eindruck, dass<br />
die Pflegenden häufiger im Stationszimmer<br />
am Computer sitzen als am Bett pflegen.<br />
Nimmt die administrative Arbeit zu?<br />
Ich selber schreibe gern, deshalb nehme<br />
ich das nicht so wahr. Doch mit meinen<br />
Ausbildungskolleginnen diskutiere ich<br />
auch darüber. Da gibt es schon unterschiedliche<br />
Meinungen.<br />
Mit Katharina Schmid sprach<br />
Susanne Anderegg<br />
Diese Woche haben Pflegende gegen die<br />
geplante Lohnrevision demonstriert. Sie<br />
sind der Meinung, ihre Arbeit werde nicht<br />
gerecht bewertet. Wie sehen Sie das?<br />
Ich finde, wir verdienen vor allem während<br />
der Ausbildung zu<br />
wenig. Nur die halbjährigen<br />
Praktika sind bezahlt,<br />
mit 2600 Franken im Monat.<br />
Das muss fürs andere<br />
halbe Jahr auch noch reichen.<br />
«Arn Pflegeberuf<br />
gefällt mir, dass ich<br />
mit vielen Menschen<br />
zusammenarbeite.»<br />
Da brauchen Sie wohl<br />
noch Unterstützung von<br />
den Eltern?<br />
Ich bin jetzt 22 und bekomme<br />
noch immer ein wenig Unterstützung<br />
von den Eltern. Ich wohne in einem<br />
günstigen Personalzimmer. Gross auszugehen<br />
oder neue Kleider zu kaufen, kann<br />
ich mir nicht leisten. Aber es ist ja eine befristete<br />
Zeit.<br />
Was werden Sie nachher verdienen?<br />
Der Anfangslohn einer Pflegefachfrau<br />
liegt bei rund 5500 Franken.<br />
Wollten Sie von Anfang an dorthin?<br />
Mit zwölf habe ich beschlossen, die<br />
Pflegeausbildung zu machen. Ich war operiert<br />
worden, und als ich aus der Narkose<br />
aufwachte, war das für mich klar. Ich<br />
sagte: Ich werde Krankenschwester. Und<br />
das habe ich bis jetzt durchgezogen.<br />
mehr Alternativmedizin wünschen. Sie<br />
Es läuft nichts: So empfinden viele Patientinnen<br />
scheinen zufriedener zu sein. Sie haben<br />
Der Weg zur Pflegefachfrau und Patienten den Spitalalltag, ist ziemlich<br />
den Eindruck, dass die Pflege mehr Zeit für<br />
lang, wo stehen Sie im Moment?<br />
Ich bin im dritten Jahr der höheren<br />
Fachschule, Ende März werde ich abschliessen.<br />
Eben habe ich mein drittes<br />
und letztes Praktikum angefangen, auf der<br />
vor allem wenn sie länger bleiben müssen. sie hat. Es kommt zum Beispiel gut an,<br />
wenn man ihnen einen Wickel macht.<br />
Auch die Psyche wird berücksichtigt. Das<br />
wird hier im Akutspital auch versucht,<br />
doch liegen die Schwerpunkte oft anders.<br />
Unfallchirurgie des Uni-Spitals.<br />
War das Ihr Wunsch?<br />
Ursprünglich wollte ich mich auf Klein-<br />
Haben Sie das Spital also<br />
positiv erlebt?<br />
Ich war als Kind und als<br />
Jugendliche schon oft im<br />
Spital - im Kinderspital<br />
sowie im Uni-Spital - und<br />
es war sehr eindrücklich<br />
als Patientin. Ich kann<br />
jetzt nachvollziehen, weshalb<br />
Patienten manchmal<br />
sehr speziell reagieren.<br />
Was meinen Sie mit speziell?<br />
Dass sie sich auch mal ärgern, bis hin<br />
zum Ausraster. Oder den Spitalkoller haben<br />
und motzen: Es läuft nichts, es bringt<br />
nichts, niemand versteht mich, was soll<br />
das überhaupt? Solche Sachen kann ich<br />
sehr gut nachvollziehen, das habe ich zum<br />
Teil selber durchgemacht - aber ich habe<br />
auch viel Positives erlebt.<br />
Weshalb entsteht dieser Eindruck?<br />
Weil wir meist mehrere Patienten<br />
gleichzeitig zu betreuen haben und mit verschiedenen<br />
Diensten zusammenarbeiten.<br />
Das Uni-Spital ist eben ein sehr grosses Spital.<br />
Wenn wir zum Beispiel mit einem Patienten<br />
ins Röntgen müssen, braucht das<br />
seine Zeit.<br />
Wie argumentieren Sie dann?<br />
Pflegeplanung und -dokumentation sind<br />
Teil unserer Aufgaben. Es ist aus rechtlichen<br />
Gründen und für die Qualität der Behandlung<br />
wichtig. Und die Kolleginnen der<br />
nachfolgenden Schicht müssen wissen,<br />
was ich bei den Patienten gemacht habe.<br />
Wie viele Patienten betreuen Sie?<br />
Ich habe erst diese Woche auf der Unfallchirurgie<br />
begonnen, zurzeit bin ich für<br />
ein bis zwei Patienten nach leichteren<br />
Operationen verantwortlich.<br />
Was finden Sie am Uni-Spital besonders?<br />
Ich habe noch keinen Vergleich, weil<br />
ich alle Praktika hier machte. Das erste<br />
auf der Neurologie und das zweite in der<br />
Wochenklinik, in der ich Patienten vor<br />
und nach Untersuchungen am Herzen, an<br />
der Lunge oder an den Gefassen betreute.<br />
Wohin zieht es Sie nach der Ausbildung?<br />
Ich kann mir gut vorstellen, in einer<br />
Klinik zu arbeiten, wo auch Alternativmedizin<br />
zur Anwendung kommt.<br />
Wieso interessiert Sie das?<br />
Ich denke, dass die Patienten in Zukunft<br />
Weil es hektischer ist?<br />
Ja, die Patienten kommen und gehen<br />
viel schneller wieder.
Tages-Anzeiger - Samstag, 19. September 2009<br />
«Ich kann sehr gut nachvollziehen<br />
Seit Katharina Schmid (22) als<br />
Kind im Spital operiert worden<br />
ist, will sie Pflegefachfrau<br />
werden. In einem halben Jahr<br />
ist es so weit. Der Arbeitsmarkt<br />
wartet auf sie.<br />
kinder spezialisieren. Doch beim Eintrittsgespräch<br />
in die Schule riet man mir zur<br />
Akutsomatik. Ich hatte zuerst die Lehre<br />
zur Fachangestellten Gesundheit (Fage) in<br />
einem Alters- und Pflegeheim gemacht,<br />
und da meinten sie, der Ubergang wäre zu<br />
abrupt. Erwachsenenpflege im Spital war<br />
mir auch recht - Hauptsache ich konnte<br />
die höhere Fachschule machen.<br />
Patienten haben auch den Eindruck, dass<br />
die Pflegenden häufiger im Stationszimmer<br />
am Computer sitzen als am Bett pflegen.<br />
Nimmt die administrative Arbeit zu?<br />
Ich selber schreibe gern, deshalb nehme<br />
ich das nicht so wahr. Doch mit meinen<br />
Ausbildungskolleginnen diskutiere ich<br />
auch darüber. Da gibt es schon unterschiedliche<br />
Meinungen.<br />
Mit Katharina Schmid sprach<br />
Susanne Anderegg<br />
Diese Woche haben Pflegende gegen die<br />
geplante Lohnrevision demonstriert. Sie<br />
sind der Meinung, ihre Arbeit werde nicht<br />
gerecht bewertet. Wie sehen Sie das?<br />
Ich finde, wir verdienen vor allem während<br />
der Ausbildung zu<br />
wenig. Nur die halbjährigen<br />
Praktika sind bezahlt,<br />
mit 2600 Franken im Monat.<br />
Das muss fürs andere<br />
halbe Jahr auch noch reichen.<br />
«Am Pflegeberuf<br />
gefällt mir, dass ich<br />
mit vielen Menschen<br />
zusammenarbeite.»<br />
Da brauchen Sie wohl<br />
noch Unterstützung von<br />
den Eltern?<br />
Ich bin jetzt 22 und bekomme<br />
noch immer ein wenig Unterstützung<br />
von den Eltern. Ich wohne in einem<br />
günstigen Personalzimmer. Gross auszugehen<br />
oder neue Kleider zu kaufen, kann<br />
ich mir nicht leisten. Aber es ist ja eine befristete<br />
Zeit.<br />
Was werden Sie nachher verdienen?<br />
Der Anfangslohn einer Pflegefachfrau<br />
liegt bei rund 5500 Franken.<br />
Wollten Sie von Anfang an dorthin?<br />
Mit zwölf habe ich beschlossen, die<br />
Pflegeausbildung zu machen. Ich war operiert<br />
worden, und als ich aus der Narkose<br />
aufwachte, war das für mich klar. Ich<br />
sagte: Ich werde Krankenschwester. Und<br />
das habe ich bis jetzt durchgezogen.<br />
mehr Alternativmedizin wünschen. Sie<br />
Es läuft nichts: So empfinden viele Patientinnen<br />
scheinen zufriedener zu sein. Sie haben<br />
Der Weg zur Pflegefachfrau und Patienten den Spitalalltag, ist ziemlich<br />
den Eindruck, dass die Pflege mehr Zeit für<br />
lang, wo stehen Sie im Moment?<br />
Ich bin im dritten Jahr der höheren<br />
Fachschule, Ende März werde ich abschliessen.<br />
Eben habe ich mein drittes<br />
und letztes Praktikum angefangen, auf der<br />
vor allem wenn sie länger bleiben müssen. sie hat. Es kommt zum Beispiel gut an,<br />
wenn man ihnen einen Wickel macht.<br />
Auch die Psyche wird berücksichtigt. Das<br />
wird hier im Akutspital auch versucht,<br />
doch liegen die Schwerpunkte oft anders.<br />
Unfallchirurgie des Uni-Spitals.<br />
War das Ihr Wunsch?<br />
Ursprünglich wollte ich mich auf Klein-<br />
Haben Sie das Spital also<br />
positiv erlebt?<br />
Ich war als Kind und als<br />
Jugendliche schon oft im<br />
Spital - im Kinderspital<br />
sowie im Uni-Spital - und<br />
es war sehr eindrücklich<br />
als Patientin. Ich kann<br />
jetzt nachvollziehen, weshalb<br />
Patienten manchmal<br />
sehr speziell reagieren.<br />
Was meinen Sie mit speziell?<br />
Dass sie sich auch mal ärgern, bis hin<br />
zum Ausraster. Oder den Spitalkoller haben<br />
und motzen: Es läuft nichts, es bringt<br />
nichts, niemand versteht mich, was soll<br />
das überhaupt? Solche Sachen kann ich<br />
sehr gut nachvollziehen, das habe ich zum<br />
Teil selber durchgemacht - aber ich habe<br />
auch viel Positives erlebt.<br />
Weshalb entsteht dieser Eindruck?<br />
Weil wir meist mehrere Patienten<br />
gleichzeitig zu betreuen haben und mit verschiedenen<br />
Diensten zusammenarbeiten.<br />
Das Uni-Spital ist eben ein sehr grosses Spital.<br />
Wenn wir zum Beispiel mit einem Patienten<br />
ins Röntgen müssen, braucht das<br />
seine Zeit.<br />
Wie argumentieren Sie dann?<br />
Pflegeplanung und -dokumentation sind<br />
Teil unserer Aufgaben. Es ist aus rechtlichen<br />
Gründen und für die Qualität der Behandlung<br />
wichtig. Und die Kolleginnen der<br />
nachfolgenden Schicht müssen wissen,<br />
was ich bei den Patienten gemacht habe.<br />
Wie viele Patienten betreuen Sie?<br />
Ich habe erst diese Woche auf der Unfallchirurgie<br />
begonnen, zurzeit bin ich für<br />
ein bis zwei Patienten nach leichteren<br />
Operationen verantwortlich.<br />
Was finden Sie am Uni-Spital besonders?<br />
Ich habe noch keinen Vergleich, weil<br />
ich alle Praktika hier machte. Das erste<br />
auf der Neurologie und das zweite in der<br />
Wochenklinik, in der ich Patienten vor<br />
und nach Untersuchungen am Herzen, an<br />
der Lunge oder an den Gefassen betreute.<br />
Wohin zieht es Sie nach der Ausbildung?<br />
Ich kann mir gut vorstellen, in einer<br />
Klinik zu arbeiten, wo auch Alternativmedizin<br />
zur Anwendung kommt.<br />
Wieso interessiert Sie das?<br />
Ich denke, dass die Patienten in Zukunft<br />
Weil es hektischer ist?<br />
Ja, die Patienten kommen und gehen<br />
viel schneller wieder.
Eine Ombudsfrau für Senioren<br />
Die Alters- und Pflegeheim Hochdorf<br />
AG hat als erste Institution eine<br />
Ombudsstelle eingerichtet. Werner<br />
Grüter, Vorsitzender der Geschäftsleitung,<br />
erklärt weshalb.<br />
«Anzeiger Luzern»: Herr Grüter, aus welchem Bedürfnis<br />
heraus ist die unabhängige Ombudsstelle eingerichtet<br />
worden?<br />
Werner Grüter: Für uns ist das eine Angelegenheit der<br />
offenen Kommunikation und einem praxisorientierten<br />
Qualitätsmanagement beziehungsweise einem Qualitätsverständnis.<br />
Wir sind überzeugt, dass es in so wichtigen<br />
Organisationen wie dem Alters- und Pflegeheim<br />
Hochdorf wichtig ist eine Ombudsstelle zu haben. Vor<br />
allem weil wir hiertiefe persönliche Kontakte haben und<br />
sich die Beteiligten in schwierigen Fragen an eine entsprechende<br />
Stelle wenden können.<br />
Die Stelle ist durch Rita von Wartburg-Angehrn besetzt.<br />
Seit wann ist sie Ombudsfrau im Alters- und Pflegeheim<br />
Hochdorf?<br />
Frau von Wartburg ist seit Sommer 2009 als Ombudsfrau<br />
eingesetzt.<br />
Warum haben Sie sich für Frau von Wartburg<br />
entschieden?<br />
Die Integrität und die ausgezeichnete Ausbildung, welche<br />
Frau von Wartburg hat, zeichnet sie entsprechend<br />
aus. Sie besuchte diverse Weiterbildungen und ist unter<br />
anderem ausgebildete Mediatorin, was für diese Aufgabe<br />
von Vorteil ist. Zudem verfügt sie als ehemalige Gemeinderätin<br />
auch über einen hohen Bekanntheitsgrad. Sie ist<br />
eine wichtige Persönlichkeit, die anerkannt ist und sehr<br />
ernst genommen wird.<br />
Gab es ein reguläres Bewerbungsverfahren?<br />
Logischerweise haben wir sehr genau geprüft, wer für<br />
diese wichtige Funktion in Frage kommt.<br />
DifS6 Woche<br />
Ist es eine ehrenamtliche Arbeit?<br />
Es besteht eine klare vertragliche Regelung.<br />
Aber auf die Bewohner kommen keine zusätzlichen<br />
Kosten zu?<br />
Die Ombudsstelle versteht sich als unabhängig und<br />
grundsätzlich kostenlos.<br />
Welche Aufgaben nimmt Frau von Wartburg wahr?<br />
Sie steht allen unseren Bewohnerinnen und Bewohnern,<br />
den Angehörigen sowie dem ganzen Personal bei Fragen<br />
und Anliegen zur Verfügung. Zudem soll sie mit ihrer<br />
Tätigkeit auch konstruktiv vermittelnd zwischen den<br />
Parteien wirken.<br />
Was sind das für Fragen und Anliegen?<br />
Solche, die nicht hausintern mit den zuständigen<br />
Führungskräften ordentlich geregelt werden können.<br />
Oder wenn in ausserordentlichen Situationen die<br />
internen Kommunikationswege und -mittel nicht<br />
ausreichen sollten.<br />
Haben Sie ein konkretes Beispiel?<br />
Es könnte zum Beispiel sein, dass sich Personen vielleicht<br />
nicht direkt über eine bestimmte Person äussern möchten<br />
und deshalb den indirekten Weg suchen.<br />
Das Vertrauen scheint hier also sehr wichtig zu sein.<br />
Ist Frau von Wartburg also eine Art Freundin für die<br />
Bewohner?<br />
Frau von Wartburg wird alle Anliegen neutral entgegennehmen<br />
und im Gespräch versuchen optimale Lösungen<br />
einzuleiten. Selbstverständlich arbeitet sie unter vollster<br />
Diskretion und Vertraulichkeit. Zudem steht Frau von<br />
Wartburg auch unter Schweigepflicht, was es den<br />
Bewohnern wohl einfacher macht auf sie zuzugehen.<br />
Ist dies nur ein Projekt oder soll die Ombudsfrau einen<br />
festen Platz im Betrieb einnehmen?<br />
Das ist für uns selbstverständlich eine feste Einrichtung.<br />
Sie steht jedoch nicht innerhalb des Betriebes, sondern<br />
als externe Fachperson zurVerfügung.<br />
Sie haben dabei eine Vorreiterrolle. Werden es Ihnen<br />
andere Betriebe gleichtun?<br />
Wir haben von verschiedenen Häusern Anfragen und<br />
Komplimente bekommen. Was uns natürlich freut und<br />
auch ein bisschen stolz macht. Auch die Organisation der<br />
Heime des Kantons interessiert sich dafür.<br />
Und wie reagieren die Bewohner auf die neue Frau an<br />
ihrer Seite?<br />
Frau von Wartburg wird auch von unseren Bewohnerinnen<br />
und Bewohnern sehr aberkannt und geschätzt.<br />
Interview: Katrin Werten<br />
Werner Grüter wurde 1954 geboren, ist verheiratet und Vater von<br />
zwei schulpflichtigen Kindern. Sein beruflicher Werdegang führte<br />
ihn ins Gesundheitswesen und in die Sport- und Freizeitbranche.<br />
Seit Januar 2009 ist er nun als Vorsitzender der Geschäftsleitung der<br />
Alters- und Pflegeheime Hochdorf AG tätig. In der Freizeit spielt er<br />
gerne Badminton, fährt Ski und segelt oder widmet sich seiner<br />
Familie.
wenn Patienten manchmal motzen»<br />
Derzeit ist viel die Rede vom drohenden<br />
Personalmangel. Macht es Ihnen Angst,<br />
wenn Sie hören, dass bald Zehntausende<br />
von Pflegefachleuten in den Spitälern fehlen?<br />
Darüber mache ich mir schon Gedanken.<br />
Einerseits kann ich sicher sein, dass<br />
ich immer einen Job habe. Anderseits<br />
frage ich mich, wie die Pflegequalität<br />
dann aussehen wird.<br />
Nochmals kurz gefragt: Was ist für Sie am<br />
Pflegeberuf attraktiv, und was ist weniger übernehme gerne Verantwortung, Man<br />
schön?<br />
muss bei der Arbeit immer den Kopf bei<br />
Mir gefällt, dass ich mit vielen verschiedenen<br />
Menschen zusammenarbeiten ist manchmal die interdisziplinäre Zu-<br />
der Sache haben. Mühsam in der Pflege<br />
kann - mit Patienten, mit Angehörigen, sammenarbeit. Da diskutieren wir dann<br />
im Team. Ich organisiere auch gerne und schon mal.<br />
Berufsinformation<br />
in den Spitälern<br />
Zürich. - Heute Samstag findet der<br />
dritte nationale Spitaltag statt, an<br />
dem sich auch einige Spitäler in der<br />
Region Zürich beteiligen. Der Spitaltag<br />
steht unter dem Motto «Jobs mit<br />
Kopf und Herz» und hat zum Ziel,<br />
Nachwuchs für die Gesundheitsberufe<br />
zu fördern.<br />
Im Stadtspital Triemli geben<br />
leitende Mitarbeitende von 10 bis<br />
18 Uhr Auskunft, und im Eingangsbereich<br />
gibt es eine Diashow. Das Spital<br />
Bülach informiert im Mehrzweckraum<br />
zwischen 9 und 13 Uhr über die<br />
vielfältigen Ausbildungsmöglichkeiten.<br />
Im Kantonsspital Baden präsentieren<br />
die Lehrlinge ihre Lehrstellen<br />
von 10 bis 15 Uhr in der Eingangshalle.<br />
Die Privatklinik Bethanien<br />
zeigt ihr Ausbildungsangebot zwischen<br />
14 und 17 Uhr. Die Klinik Im<br />
Park ist von 9 bis 16 Uhr im Hauptbahnhof<br />
Zürich mit einem Stand präsent.<br />
Das Spital Zollikerberg macht<br />
eine Standaktion in den Stadtkreisen<br />
7 und 8 und in Zollikon.<br />
Das Universitätsspital Zürich<br />
stellt sich in einer Beilage im heutigen<br />
«Tages-Anzeiger» als Ausbildungsspital<br />
vor. Es hat 120 Lehrstellen<br />
und ebenso viele Praktikumsplätze,<br />
wovon sich 80 in der Pflege<br />
befinden. Dazu kommen über 700<br />
Weiterbildungsplätze, 110 für Pflegende,<br />
der Rest sind Assistenzarztstellen.<br />
(an)
Spitäler<br />
Sie müssen<br />
Der Bund plant Massnahmen<br />
gegen den Fachkräftemangel<br />
im Gesundheitsbereich.<br />
Doch der Spitalverband<br />
HPIus wehrt sich gegen<br />
den Lehrstellenzwang.<br />
Lehrstellen schaffen<br />
VON BENNO TUCHSCHMID<br />
Der Schweiz droht der Pflegenotstand:<br />
Bis zum Jahr 2020 braucht es 25 000 bis<br />
48 000 zusätzliche Gesundheits-Fachkräfte<br />
- davon 80 bis 90 Prozent im<br />
Bereich Pflege und Betreuung. Zu diesem<br />
Resultat kommt eine Studie des<br />
Schweizerischen Gesundheitsobservatoriums<br />
(Obsan). Der Grund dafür: Die<br />
Schweizer werden immer älter und damit<br />
immer pflegebedürftiger.<br />
Bundesrätin Doris Leuthard hat den<br />
Handlungsbedarf erkannt. Das Gesundheitswesen<br />
bezeichnet Leuthard<br />
als Wachstumsmarkt, «der auch in der<br />
Krise Chancen bietet». Im Rahmen der<br />
fünften Lehrstellenkonferenz in Baden<br />
stellte Leuthard gestern Massnahmen<br />
Rund ein Drittel des<br />
Personals in Spitälern<br />
ist aus dem Ausland.<br />
vor, um den Personalmangel im Gesundheitswesen<br />
zu bekämpfen.<br />
• Ab 2012 soll im Pflegebereich eine<br />
zweijährige Attesüehre - eine bessere<br />
Anlehre - angeboten werden. Damit<br />
soE der Pflegeberuf auch für weniger<br />
qualifiziertes Personal aufgewertet werden.<br />
Gleichzeitig soll die Ausbildung die<br />
Qualität steigern.<br />
• Mit einer Informationskampagne sollen<br />
Jugendliche für eine Ausbildung im<br />
Gesundheitsbereich gewonnen werden.<br />
• Sogenannte Lehrstellenförderer sollen<br />
im Gesundheitswesen Lehrstellen<br />
akquirieren und dafür sorgen, dass<br />
mehr Stellen angeboten werden.<br />
• Durch spezielle Ausbildungsangebote<br />
sollen Quereinsteiger aus anderen<br />
Berufen gefördert werden.<br />
Gerade von der Attestlehre erhofft<br />
sich Leuthard mehr Nachwuchs in der<br />
Pflege. Heute ist rund ein Drittel des<br />
Personals in Spitälern aus dem Ausland<br />
- weil in der Schweiz der Nachwuchs<br />
fehlt. Die Attestlehre soll hier Abhilfe<br />
schaffen. Damit es nicht bloss bei der<br />
guten Absicht bleibt, will die Lehrstellenkonferenz<br />
Kliniken und Pflegeinstitutionen<br />
zum Anbieten von Lehrstellen<br />
verpflichten. Gemäss Krankenversicherungsgesetz<br />
können Gesundheitsinstitutionen<br />
gezwungen werden, gewisse<br />
Auflagen zu erfüllen, um in eine kantonale<br />
Spital- oder Pflegeinstitutionsliste<br />
aufgenommen zu werden. «Das ist ein<br />
griffiges Instrument», sagt Leuthard.<br />
Nur Institutionen, die auf dieser Liste<br />
stehen, sind zur Krankenversicherung<br />
zugelassen. Gegen diese Ausbildungsverpflichtung<br />
wehrt sich aber der Spitalverband<br />
HPIus. «Wir sind gegen<br />
einen Ausbildungszwang. Allerdings<br />
müssen wir dafür sorgen, dass Spitäler,<br />
die ausbilden, dafür entschädigt und<br />
somit nicht schlechter behandelt werden<br />
als solche, die nicht ausbilden»,<br />
sagt Bernhard Wegmüller, Direktor von<br />
HPIus und gleichzeitig Präsident des<br />
Obsan. Laut Wegmüller braucht es<br />
schlicht eine Minimalmenge an Personal,<br />
um überhaupt Ausbildungsstellen<br />
in Spitälern anbieten zu können.<br />
5000 freie Lehrstellen<br />
Derweil ist die Lage auf dem Lehrstellenmarkt<br />
stabil geblieben. Ende August<br />
besetzten die Firmen 82 000 Lehrstellen,<br />
wie aus dem gestern veröffentlichten<br />
Lehrstellenbarometer hervorgeht. 5000<br />
Ausbildungsplätze waren noch offen.<br />
NACHGEFRAGT<br />
«Viele Ungelernte<br />
mit Potenzial»<br />
bei Volkswirtschaftsministerin<br />
Doris Leuthard<br />
Frau Bundesrätin Leuthard, heute<br />
braucht offenbar jeder Pfleger einen<br />
Hochschulabschluss...<br />
Doris Leuthard: Es gibt tatsächlich<br />
einen Trend zur Akademisierung.<br />
Gerade in der Romandie, wo, man<br />
die höhere Berufsbildung nicht<br />
kennt, sondern nur gerade die<br />
Fachhochschule.<br />
Mit der Einführung der Attestlehre<br />
wird dieser Trend zur Akademisierung<br />
aber doch weiter gefördert.<br />
Leuthard: Keineswegs/Es braucht<br />
nicht für alle Aufgaben Leute, die<br />
sieben Jahre in Ausbildung waren.<br />
Mit der Attestlehre wollen wir ein<br />
Konzept einführen, das eine zweijährige<br />
und eine dreijährige Ausbildung<br />
anbietet.<br />
Gibt es denn genügend Schweizer<br />
Jugendliche, die sich für eine zweijährige<br />
Attestlehre im Pflegebereich<br />
interessieren?<br />
Leuthard: Ja, denn wir haben<br />
heute in diesem Bereich rund 30<br />
Prozent Ungelernte, Leute die gar<br />
keine sekundäre Ausbildung haben.<br />
Und die würden den schulischen<br />
Anforderungen dieser zweijährigen<br />
Ausbildung entsprechen?<br />
Leuthard: Es gibt sicher Leute, für<br />
die es schwierig wäre. Aber es gibt<br />
auch viele Ungelernte mit Potenzial,<br />
die man via Passerelle in die Ausbildung<br />
führen könnte. Manche Menschen<br />
haben nun mal keinen grossen<br />
schulischen Rucksack. Genau die<br />
können sich via Attestlehre weiterentwickeln.<br />
BENNO<br />
TUCHSCHMIED
Spitäler<br />
ÄÄ^r Lehrstellen schallen<br />
Sie müssen<br />
Der Bund plant Massnahmen<br />
gegen den Fachkräfteman- -w- . "1 • f!C_<br />
HPIus wehrt sich gegen<br />
den Lehrstellenzwang.<br />
VON BENNO TUCHSCHMID<br />
Der Schweiz droht der Pflegenotstand:<br />
Bis zum Jahr 2020 braucht es 25 000 bis<br />
48 000 zusätzliche Gesundheits-Fachkräfte<br />
- davon 80 bis 90 Prozent im<br />
Bereich Pflege und Betreuung. Zu diesem<br />
Resultat kommt eine Studie des<br />
Schweizerischen Gesundheitsobservatoriums<br />
(Obsan). Der Grund dafür: Die<br />
Schweizer werden immer älter und damit<br />
immer pflegebedürftiger.<br />
Bundesrätin Doris Leuthard hat den<br />
Handlungsbedarf erkannt. Das Gesundheitswesen<br />
bezeichnet Leuthard<br />
als Wachstumsmarkt, «der auch in der<br />
Krise Chancen bietet». Im Rahmen der<br />
fünften Lehrstellenkonferenz in Baden<br />
stellte Leuthard gestern Massnahmen<br />
1<br />
Rund ein Drittel des<br />
Personals in Spitälern<br />
ist aus dem Ausland.<br />
vor, um den Personalmangel im Gesundheitswesen<br />
zu bekämpfen.<br />
• Ab 2012 soll im Pflegebereich eine<br />
zweijährige Attestlehre - eine bessere<br />
Anlehre - angeboten werden. Damit<br />
soll der Pflegeberuf auch für weniger<br />
qualifiziertes Personal aufgewertet werden.<br />
Gleichzeitig soll die Ausbildung die<br />
Qualität steigern.<br />
• Mit einer Informationskampagne sollen<br />
Jugendliche für eine Ausbildung im<br />
Gesundheitsbereich gewonnen werden.<br />
• Sogenannte Lehrstellenförderer sollen<br />
im Gesundheitswesen Lehrstellen<br />
akquirieren und dafür sorgen, dass<br />
mehr Stellen angeboten werden.<br />
• Durch spezielle Ausbildungsangebote<br />
sollen Quereinsteiger aus anderen<br />
Berufen gefördert werden.<br />
Gerade von der Attestlehre erhofft<br />
sich Leuthard mehr Nachwuchs in der<br />
Pflege. Heute ist rund ein Drittel des<br />
Personals in Spitälern aus dem Ausland<br />
- weil in der Schweiz der Nachwuchs<br />
fehlt. Die Attestlehre soll hier Abhilfe<br />
schaffen. Damit es nicht bloss bei der<br />
guten Absicht bleibt, will die Lehrstellenkonferenz<br />
Kliniken und Pflegeinstitutionen<br />
zum Anbieten von Lehrstellen<br />
verpflichten. Gemäss Krankenversicherungsgesetz<br />
können Gesundheitsinstitutionen<br />
gezwungen werden, gewisse<br />
Auflagen zu erfüllen, um in eine kantonale<br />
Spital- oder Pflegeinstitutionsliste<br />
aufgenommen zu werden. «Das ist ein<br />
griffiges Instrument», sagt Leuthard.<br />
Nur Institutionen, die auf dieser Liste<br />
stehen, sind zur Krankenversicherung<br />
zugelassen. Gegen diese Ausbildungsverpflichtung<br />
wehrt sich aber der Spitalverband<br />
HPIus. «Wir sind gegen<br />
einen Ausbildungszwang. Allerdings<br />
müssen wir dafür sorgen, dass Spitäler,<br />
die ausbilden, dafür entschädigt und<br />
somit nicht schlechter behandelt werden<br />
als solche, die nicht ausbilden»,<br />
sagt Bernhard Wegmüller, Direktor von<br />
HPIus und gleichzeitig Präsident des<br />
Obsan. Laut Wegmüller braucht es<br />
schlicht eine Minimalmenge an Personal,<br />
um überhaupt Ausbildungsstellen<br />
in Spitälern anbieten zu können.<br />
5000 freie Lehrsteilen<br />
Derweil ist die Lage auf dem Lehrstellenmarkt<br />
stabil geblieben. Ende August<br />
besetzten die Firmen 82 000 Lehrstellen,<br />
wie aus dem gestern veröffentlichten<br />
Lehrstellenbarometer hervorgeht. 5000<br />
Ausbildungsplätze waren noch offen.<br />
NACHGEFRAGT<br />
«Viele Ungelernte<br />
mit Potenzial»<br />
bei Volkswirtschaftsministerin<br />
Doris Leuthard<br />
Frau Bundesrätin Leuthard, heute<br />
braucht offenbar jeder Pfleger einen<br />
Hochschulabschluss...<br />
Doris Leuthard: Es gibt tatsächlich<br />
einen Trend zur Akademisierung.<br />
Gerade in der Romandie, wo, man<br />
die höhere Berufsbildung nicht<br />
kennt, sondern nur gerade die<br />
Fachhochschule.<br />
Mit der Einführung der Attestlehre<br />
wird dieser Trend zur Akademisierung<br />
aber doch weiter gefördert.<br />
Leuthard: Keineswegs. Es braucht<br />
nicht für alle Aufgaben Leute, die<br />
sieben Jahre in Ausbildung waren.<br />
Mit der Attesüehre wollen wir ein<br />
Konzept einführen, das eine zweijährige<br />
und eine dreijährige Ausbildung<br />
anbietet.<br />
Gibt es denn genügend Schweizer<br />
Jugendliche, die sich für eine zweijährige<br />
Attestlehre im Pflegebereich<br />
interessieren?<br />
Leuthard: Ja, denn wir haben<br />
heute in diesem Bereich rund 30<br />
Prozent Ungelernte, Leute die gar<br />
keine sekundäre Ausbildung haben.<br />
Und die würden den schulischen<br />
Anforderungen dieser zweijährigen<br />
Ausbildung entsprechen?<br />
Leuthard: Es gibt sicher Leute, für<br />
die es schwierig wäre. Aber es gibt<br />
auch viele Ungelernte mit Potenzial,<br />
die man via Passerelle in die Ausbildung<br />
führen könnte. Manche Menschen<br />
haben nun mal keinen grossen<br />
schulischen Rucksack. Genau die<br />
können sich via Attestlehre weiterentwickeln.<br />
BENNO<br />
TUCHSCHMIED
In Altersheimen droht der Pflegenotstand<br />
Die Zahl der Demenzkranken<br />
nimmt zu, doch die Rekrutierung<br />
des Pflegepersonals wird immer<br />
schwieriger. Bis 2020 werden<br />
15 000 Fachkräfte fehlen.<br />
Übergriffe könnten sich häufen.<br />
Von Beat Bühlmann<br />
Die Zahlen sind alarmierend. Aufgrund<br />
der Alterung müssten innert zehn Jahren<br />
im Gesundheitsbereich mindestens 25 000<br />
zusätzliche Fachkräfte eingestellt werden.<br />
Laut einem Alternativszenario wären es<br />
sogar 33 000 Stellen, wie eine aktuelle Studie<br />
des Schweizerischen Gesundheitsobservatoriums<br />
(Obsan) festhält (TA vom<br />
26.2.). Das heisst: Der Personalbestand<br />
müsste für Spitäler, Spitex und Pflegeheime<br />
um 13 bis 25 Prozent aufgestockt<br />
werden (siehe Grafik). Erschwerend fällt<br />
ins Gewicht, dass im nächsten Jahrzehnt<br />
60 000 Pflegefachleute in Pension gehen.<br />
Am stärksten nimmt der Personalbedarf<br />
in den Alters- und Pflegeheimen zu. Sie<br />
Pflegeheime brauchen 15 000<br />
zusätzliche Angestellte<br />
Zuwachs bis 2020 in % gemäss Refererizszenario<br />
Bevölkerung<br />
+34%<br />
65 Jahre<br />
und<br />
älter<br />
+2%<br />
Spitäler<br />
Pflegebedarf<br />
+20%<br />
Spitex-<br />
Dienste<br />
TA-Grafik ib / Quelle: Bundesamt für Statistik<br />
+30%<br />
Tage in<br />
Altersund<br />
heimen<br />
Stellenbedarf<br />
+13%<br />
Total<br />
Vollzeitstellen<br />
benötigen bis 2020 mindestens 15 000 zusätzliche<br />
Angestellte. Denn die Bevölkerung<br />
im Rentenalter wächst in diesem<br />
Jahrzehnt um 400 000 Personen (plus<br />
34 Prozent), und unter den Hochbetagten<br />
wird der Anteil an Demenzkranken stark<br />
zunehmen. Doch ausgerechnet bei der stationären<br />
Alterspflege ist es bereits heute<br />
schwierig, qualifiziertes Personal zu finden.<br />
«Aus Spargründen wird das Pflegefachpersonal<br />
zunehmend durch weniger<br />
qualifiziertes ersetzt», kritisiert Elsbeth<br />
Wandeler, Geschäftsleiterin des Schweizerischen<br />
Berufsverbandes für Pflegefachfrauen<br />
und Pflegefachmänner (<strong>SBK</strong>).<br />
So werde zunehmend ausländisches<br />
Personal, vermehrt aus europäischen Ländern<br />
und aus Asien, zu einem tieferen<br />
Stundenansatz beschäftigt. Diese Pflegerinnen<br />
seien jedoch im Umgang mit hochbetagten,<br />
gebrechlichen und mental eingeschränkten<br />
Heimbewohnerinnen oft überfordert<br />
- nicht nur aus sprachlichen Gründen.<br />
«Wer Demenzkranke pflegt, müsste<br />
auch den kulturellen Hintergrund der Patienten<br />
kennen.» Mangelt es künftig an<br />
fachkundigem Personal, seien vermehrt<br />
Übergriffe wie sie im Zürcher Pflegeheim<br />
Entlisberg zutage kamen, zu befürchten.<br />
Die neusten Obsan-Zahien hat die <strong>SBK</strong>-<br />
Geschäftsleiterin jedenfalls mit einem<br />
«mulmigen Gefühl» zur Kenntnis genommen.<br />
«Es droht eine akute Personalnot»,<br />
sagt Wandeler, «die gute Pflege im Alter<br />
ist mittelfristig infrage gestellt.»<br />
Pflegebedürftige tragen Folgen<br />
«Die dramatische Prognose sollte uns<br />
aufrütteln», bestätigt der Berner Geriatrieprofessor<br />
Andreas Stuck. Er habe schon<br />
heute die grösste Mühe, das nötige Pflegepersonal<br />
zu rekrutieren. Trotzdem könne<br />
man in der Schweiz noch nicht von einem<br />
Notstand sprechen. Auch im Zürcher Fall<br />
scheine es keinen Zusammenhang zu geben<br />
mit einem Mangel an Personal. Die<br />
Obsan-Studie werde jedoch in ihrer Tragweite<br />
unterschätzt. «Schon in zehn Jahren<br />
könnte es für die Alterspflege prekär werden»,<br />
befürchtet Andreas Stuck. «Die Folgen<br />
für pflegebedürftige Personen wären<br />
dramatisch, wenn uns plötzlich das qualifizierte<br />
Personal fehlt.» Was tun? Der Pflegeberuf<br />
müsse für junge Leute und Wiedereinsteigerinnen<br />
aufgewertet und durch<br />
attraktive Rahmenbedingungen gefördert<br />
werden. Es brauche einen kreativeren<br />
Umgang mit neuen Technologien, neue<br />
Betreuungsfojmen, eine bessere Unterstützung<br />
von Angehörigen und zeitgemässe<br />
Ausbildungsmodelle für das medizinische<br />
Fachpersonal. «In Zürich gibt es<br />
nach wie vor keinen Lehrstuhl für Geriatrie»,<br />
bemängelt Stuck, «da besteht dringender<br />
Handlungsbedarf.»<br />
Alterspflege aufwerten<br />
Markus Leser, Leiter Fachbereich Alter<br />
beim Heimverband Curaviva, wünscht<br />
sich ebenfalls mehr gesellschaftliche Anerkennung<br />
für die Alterspflege. «Die Arbeit<br />
im Heim ist nicht ausschliesslich belastend,<br />
und es dreht sich nicht alles um<br />
die Demenz und das Sterben.» Curaviva<br />
werde jedenfalls alles unternehmen, um<br />
gutes Personal zu rekrutieren; der Verband<br />
habe soeben eine neue Stelle für<br />
«Human Resources» geschaffen. Wenn<br />
man den Pflegeberuf aufwerten wolle,<br />
brauche es auch Systemkorrekturen. So<br />
werde die Krankenversicherung immer<br />
mehr auf medizinische Pflegeleistungen<br />
beschränkt. «Doch die Spritze ist nicht immer<br />
mehr wert als ein einfühlsames Gespräch»,<br />
sagt Leser.<br />
Auch die 73-jährige Angeline Fankhauser,<br />
Kopräsidentin der Seniorenvereinigung<br />
Vasos, wünscht sich eine weniger<br />
medizinische und mechanistische Pflege.<br />
«So geht nur die menschliche Kompetenz<br />
verloren.» Gefragt seien Lebensbegleiter<br />
fürs Alter, kleinere Pflegewohngruppen<br />
und vielleicht auch die persönliche Assistenz,<br />
um das Wohnen zu Hause zu ermöglichen.<br />
Und woher das Geld nehmen fürs<br />
Personal? «Das Schläueste wäre, die Erbschaftssteuer<br />
wieder einzuführen», sagt<br />
die frühere SP-Nationalrätin.