2 Schuldenbremse, Solidarpakt und Infrastrukturbau - 1 ...
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2 <strong>Schuldenbremse</strong>, <strong>Solidarpakt</strong> <strong>und</strong> <strong>Infrastrukturbau</strong><br />
Prof. Dr. Dr. h. c. Ulrich Blum<br />
Präsident des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle/Saale<br />
Zusammenfassung: Mit der <strong>Schuldenbremse</strong> hat der Gesetzgeber eine Lage geschaffen, die,<br />
um einer Generationengerechtigkeit willen, langfristig die Einnahmen <strong>und</strong> Ausgaben der Gebietskörperschaften<br />
ausgleichen will. Das bedeutet, dass vor allem die Ausgabenseite unter<br />
Druck geraten wird, weil aus Gründen des internationalen Steuerwettbewerbs <strong>und</strong> auch sonst<br />
das Anheben von Steuersätzen nur begrenzt zu erhöhten Einnahmen auf der Einnahmenseite<br />
führt. In Ostdeutschland tritt hinzu, dass durch das Abschmelzen des <strong>Solidarpakt</strong>s in erheblichem<br />
Maße Einnahmen entfallen werden, was bezogen auf die Leistungsfähigkeit der Landeshaushalte<br />
um die Jahrtausendwende, im Jahr 2020 einen Etatrückgang von real ungefähr<br />
einem Drittel impliziert. Der folgende Beitrag geht der Frage nach, welche Folgen das für die<br />
Bauwirtschaft haben kann <strong>und</strong> mit welchen Folgen aus gesamtwirtschaftlicher Sicht gerechnet<br />
werden kann. Er betrachtet zunächst die Frage, was eigentlich mit Staatsverschuldung gemeint<br />
ist. Dann gebe ich (m)ein ordnungsökonomisches Credo, an das sich die Sachverhaltsaufklärung<br />
<strong>und</strong> schließlich die Bewertung anschließen.<br />
Staatsverschuldung – ein Definitionsversuch<br />
Das Wort Schuldenkrise ist in aller M<strong>und</strong>e.<br />
Hohe Schuldenstände in einigen Mitgliedsländern<br />
der Europäischen Union drohen die<br />
gemeinsame Währung zu destabilisieren.<br />
Auf dem Höhepunkt der Weltwirtschaftskrise<br />
hat Deutschland die „<strong>Schuldenbremse</strong>“<br />
eingeführt, die das langfristige Zurückfahren<br />
der Staatsschulden erzwingen soll. Die ersten<br />
„Blauen Briefe“ des Stabilitätsrates gingen<br />
an Länder mit kritischer Haushaltslage<br />
heraus, die nun Sanierungskonzepte übermitteln<br />
müssen. Neben diesen expliziten Schulden<br />
werden zunehmend auch implizite<br />
Schulden thematisiert, vor allem aus Versorgungsverpflichtungen<br />
der öffentlichen Hand<br />
<strong>und</strong> in den Sozialversicherungssystemen.<br />
Bisher kaum beachtet wird eine weitere Kategorie:<br />
Verdeckte Verschuldung aus Unterinvestitionen.<br />
In Unternehmensbilanzen sind implizite<br />
Schulden Teile der Rückstellungen, beispielsweise<br />
aus Pensionszusagen. Unterinvestitionen<br />
bzw. unterlassene Instandhaltungen<br />
zeigen sich in einem Schrumpfen von<br />
Vermögen <strong>und</strong> Eigenkapital, also einer Bilanzverkürzung,<br />
wenn die erforderlichen Erträge<br />
am Markt nicht mehr verdient <strong>und</strong><br />
dann als Liquidität sichtbar werden.<br />
Überschüsse fallen beim Staat selten an.<br />
Investitionen <strong>und</strong> Sozialausgaben als Anteile<br />
am Budget haben gegenüber der Situation<br />
vor 40 Jahren ihre Positionen getauscht (siehe<br />
weiter unten). Schon heute gibt es im öffentlichen<br />
Bereich einen Investitionsrückstau,<br />
beispielsweise bei der Verkehrs- <strong>und</strong><br />
der Bildungsinfrastruktur. Dieser droht zum<br />
Engpass der wirtschaftlichen Entwicklung zu<br />
werden. In Griechenland sieht man deutlich<br />
die Folgen einer Politik, die sich nur auf die<br />
explizite Verschuldung konzentriert: Es werden<br />
schlichtweg Lasten in die Zukunft verlagert,<br />
<strong>und</strong> das verschärfte Sparen begrenzt die<br />
Wirtschaftsleistung.
10 <strong>Schuldenbremse</strong>, <strong>Solidarpakt</strong> <strong>und</strong> <strong>Infrastrukturbau</strong><br />
Die Bauwirtschaft in Deutschland klagt inzwischen<br />
darüber, dass in vielen B<strong>und</strong>esländern<br />
die öffentlichen Ausgaben wegen des<br />
Einhaltens der Schuldenkriterien sinken –<br />
Bauinvestitionen sind oft nur noch eine Residualgröße;<br />
sie werden dann getätigt, wenn<br />
alle anderen Verpflichtungen erfüllt sind.<br />
Dies wäre gänzlich unproblematisch, würde<br />
privates Kapital einspringen, beispielsweise<br />
im Rahmen der Privatisierung, wie aus dem<br />
Verkehrsbereich bekannt. Doch auch hier<br />
führt die Weltwirtschaftskrise zu Verwerfungen:<br />
Diese Investitionen besitzen ohnehin<br />
niedrige Renditen, die durch die langsam anziehende<br />
Geldentwertung unter Druck geraten.<br />
Die Verbindung zwischen Inflation,<br />
niedriger Verzinsung <strong>und</strong> kalter Steuerprogression<br />
führt letztendlich dazu, dass der<br />
Staat konsumtive Ausgaben aus der Vermögenssubstanz<br />
seiner Bürger schöpft. Auf die<br />
Dauer kann das nicht gutgehen. Offensichtlich<br />
wird uns das Thema weiter beschäftigen<br />
– Generationengerechtigkeit herzustellen<br />
wird wohl in dieser Generation nicht<br />
gelingen.<br />
Ordnungsökonomisches Credo –<br />
ein Deutungsversuch<br />
Der Weg zum Schuldenstaat wird<br />
von vielen mit einem Verlust an<br />
Denken in ordnungsökonomischen<br />
Kategorien verb<strong>und</strong>en. Das bedeutet,<br />
dass einerseits die Rolle des<br />
Staates in der Wirtschaft zu betrachten<br />
ist, denn ab einem gewissen Niveau<br />
staatlichen Handelns wird private<br />
Aktivität verdrängt <strong>und</strong> insbesondere<br />
werden innovative Wachstumskräfte<br />
gelähmt. Auf der anderen<br />
Seite steht das Denken in Anreizen,<br />
weil viele Fehlsteuerungen der Tatsache geschuldet<br />
sind, dass die Summe des individuell<br />
Rationalen kollektiv zum Verderb führt.<br />
Das sei an einem Beispiel verdeutlicht:<br />
Wenn der Staat im Rahmen des Hartz IV-<br />
Programms die Unterstützung am Konstrukt<br />
„Bedarfsgemeinschaft“ festmacht, dann darf<br />
er sich nicht w<strong>und</strong>ern, wenn diese „explodieren“,<br />
weil nicht eingetragene Lebenspartnerschaften,<br />
bzw. Unverheiratete, mehrere<br />
Wohnungen nehmen, um damit ihr staatlich<br />
unterstütztes Einkommen zu maximieren.<br />
Dabei kann diese Strategie sogar im Interesse<br />
der Wohnungsbaugesellschaften liegen,<br />
die damit ihre Einnahmensituation verbessern<br />
können. Statistisch wird die Problematik<br />
des Erzeugens von Risikostrukturen<br />
durch staatliches Handeln vor allem bei der<br />
Armutsgefährdung deutlich: Diese liegt beispielsweise<br />
in Sachsen-Anhalt als Flächenstaat<br />
ungefähr 50 % über der der südlichen<br />
Länder, <strong>und</strong> es stellt sich die Frage, woran<br />
das liegt. Sicher ist auch die ökonomische<br />
Lage ein Gr<strong>und</strong> dafür, aber weshalb ist es<br />
möglich, dass sich Väter regional dermaßen<br />
unterschiedlich aus der Verantwortung ziehen<br />
können? Kann die Hypothese völlig verneint<br />
werden, dass mit der Großzügigkeit<br />
staatlicher Hilfe der Wille, sich das Geld<br />
vom Ex-Partner zu holen, erlahmt <strong>und</strong> auch<br />
die staatliche Bürokratie dazu keinen Anreiz<br />
gibt, weil es mit erheblichem Aufwand verb<strong>und</strong>en<br />
ist?<br />
Sachsen‐Anhalt<br />
Mecklenburg‐Vorpommern<br />
Thüringen<br />
Sachsen<br />
Brandenburg<br />
Saarland<br />
Niedersachen<br />
Bremen<br />
Rheinland‐Pfalz<br />
Nordrhein‐Westfalen<br />
Deutschland<br />
Schleswig‐Holstein<br />
Bayern<br />
Hessen<br />
Baden‐Württemberg<br />
Hamburg<br />
Berlin<br />
0,0 10,0 20,0 30,0 40,0 50,0 60,0<br />
Abb. 1 Armutsgefährdungsquoten von Alleinerziehenden<br />
2007<br />
Offensichtlich werden wir, wie diese kleinen<br />
Beispiele zeigen, die Ausgaben, vor allem<br />
im Bereich der Sozialausgaben, nur dadurch<br />
in den Griff bekommen, wenn wir die Anreize<br />
verstärken, die das Verhalten Einzelner<br />
auch gesamtwirtschaftlich effizient machen<br />
<strong>und</strong> es damit in Einklang mit dem marktwirtschaftlichen<br />
System bringen.
<strong>Schuldenbremse</strong>, <strong>Solidarpakt</strong> <strong>und</strong> <strong>Infrastrukturbau</strong> 11<br />
Dr. Eucken nannte diese Problematik die<br />
Verschränkung des politischen Systems mit<br />
dem wirtschaftlichen System. Nur die Akzeptanz<br />
des wirtschaftlichen Systems aus<br />
dem politischen System heraus gewährleistet<br />
einen Ordnungsrahmen, der für die Einzelnen<br />
<strong>und</strong> für die Gesamtheit kalkulierbar ist.<br />
Nur der Erfolg des Wirtschaftssystems kann<br />
auch eine politische Lage der Akzeptanz<br />
schaffen. An dieser Stelle klaffen immer<br />
mehr Argumentationslücken, 30.000<br />
weil Politik zu-nehmend zu<br />
25.000<br />
einen ad-hoc-Geschäft im alternativlosen<br />
Raum gewor-<br />
20.000<br />
15.000<br />
den ist. Diese systematische<br />
10.000<br />
Zerstörung marktwirtschaftlicher<br />
Gr<strong>und</strong>lagen ist wenig<br />
5.000<br />
geeignet, die Probleme der 0<br />
Zukunft zu bewältigen.<br />
Finanzspielräume – Fiskalspielräume:<br />
Was begrenzt<br />
sie?<br />
Die <strong>Schuldenbremse</strong>, die im B<strong>und</strong> ab 2016<br />
<strong>und</strong> in den Ländern ab 2020 greift, wird die<br />
Notwendigkeit, die Finanzverfassung<br />
spätestens ab 33<br />
35<br />
2019 neu zu justieren, verstärken<br />
<strong>und</strong> insbesondere<br />
31<br />
29<br />
27<br />
die explizite, nicht aber die<br />
25<br />
implizite, Verschuldung 23<br />
bremsen. Für die Stabilität 21<br />
19<br />
der Wirtschaft sind aber,<br />
17<br />
wie oben erwähnt, auch<br />
15<br />
implizite Verschuldungstatbestände,<br />
einmal in<br />
Richtung Sozialversicherung<br />
(Generationenvertrag) <strong>und</strong> ein anderes<br />
Mal in Richtung auf die Balance zwischen<br />
Vermögensbeständen <strong>und</strong> dem entsprechend<br />
zuzurechnenden Kapitalstock von erheblicher<br />
Relevanz. Denn sie können ineinander<br />
übergehen, wenn beispielsweise Mineralölsteuern<br />
für Sozialausgaben verwendet <strong>und</strong><br />
dann Schulden für Verkehrsinvestitionen<br />
aufgenommen werden. Dabei bereitet die<br />
Bevölkerungsabnahme besondere Probleme,<br />
weil in den betroffenen Ländern die Finanzzuweisungen<br />
in starkem Maße bevölkerungsproportional<br />
erfolgen. Damit werden<br />
vermutlich die Ergebnisse der Volkszählung<br />
besonders für die Länder mit schrumpfender<br />
Bevölkerung bereits in den kommenden Jahren<br />
zu erheblichen Anpassungen führen. Die<br />
folgenden Grafiken zeigen den Grad der<br />
Verschuldung in Deutschland nach Gebietsköperschaften<br />
<strong>und</strong> die Entwicklung von Investitionen<br />
<strong>und</strong> Sozialleistungen zur Verdeutlichung<br />
staatlicher Prioritäten in den<br />
letzten vierzig Jahren.<br />
Abb. 2 Schuldenstände der Länder <strong>und</strong> Durchschnitte<br />
(vorl.) per 31.12.2010<br />
1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010<br />
Bruttosozialleistungen<br />
Investitionen<br />
Abb. 3 Investitionen <strong>und</strong> Sozialleistungen, 1970-<br />
2010<br />
Daraus ist ersichtlich, dass besonders die<br />
Ausgabendynamik staatliche Haushalte belastet.<br />
Tatsächlich sind die Investitionen seit<br />
ihrem Höhepunkt – vereinigungsbedingt –<br />
nicht nur zurückgegangen, sie liegen auch<br />
unter dem Wert vor 1990. Dies hat viel mit<br />
der Tatsache zu tun, dass sich in einem Exportüberschussland<br />
zwingend ein Kapitalabfluss<br />
ergibt.
12 <strong>Schuldenbremse</strong>, <strong>Solidarpakt</strong> <strong>und</strong> <strong>Infrastrukturbau</strong><br />
250<br />
230<br />
210<br />
190<br />
170<br />
150<br />
130<br />
110<br />
90<br />
70<br />
50<br />
Bauhauptgewerbe Hochbau Tiefbau<br />
Abb. 4 Entwicklung der Bauwirtschaft (2005 =<br />
100)<br />
Externe Ersparnis: Eine Hilfe?<br />
Der deutsche Exportüberschuss bedeutet,<br />
dass Ersparnisse des Landes, <strong>und</strong> zwar private,<br />
in erheblichem Maße international angelegt<br />
werden. Für ein alterndes <strong>und</strong> damit an<br />
Bevölkerung schrumpfendes Land stellt das<br />
eine sinnvolle Strategie dar, um in einer späteren<br />
Phase von der Wertschöpfung anderer<br />
Länder leben zu können, wenn die eigene<br />
Leistungskraft zunehmend erlahmt <strong>und</strong> sich<br />
die Bevölkerungsstruktur hin zu den älteren<br />
verschoben hat, womit die Leitungskraft der<br />
jüngeren erwerbstätigen Generation schnell<br />
unter Druck gerät.<br />
Tatsächlich<br />
setzt das aber<br />
stabile Anlagemöglichkeiten<br />
voraus. Das Exportschema<br />
„Porsches gegen<br />
Schrottimmobilien“<br />
im Bezug<br />
auf den Handel<br />
mit Amerika ist<br />
mit Sicherheit<br />
kein Erfolgsmodell,<br />
<strong>und</strong> die<br />
Folgen werden<br />
bereits in der Rendite von Lebensversicherungen<br />
<strong>und</strong> anderen Anlagen sichtbar. Die<br />
sozialen Folgen, besonders für den Mittelstand,<br />
dürfen nicht als gering eingeschätzt<br />
werden. Das führt zu der Erkenntnis, dass<br />
dort, wo externe Ersparnisse<br />
noch nicht verschenkt worden<br />
sind, eine Kalamität durch Inflationsanpassung<br />
zu befürchten<br />
ist, die nicht nur als Phänomen<br />
in den USA sondern<br />
auch in den EU-Ländern zu<br />
diskutieren ist. Inwieweit der<br />
strategische Partner in den<br />
USA, an dieser Stelle China,<br />
das mittragen wird, ist derzeit<br />
noch völlig offen. Es ist zu befürchten,<br />
dass in dem Maße, in dem China<br />
insbesondere durch seine neokoloniale Strategie<br />
den Verlust seiner amerikanischen Devisenvorräte<br />
durch entsprechende Positionen<br />
in Rohstoffmärkten absichern kann, keine<br />
Unterstützung des amerikanischen Überkonsums<br />
mehr erfolgt. Spätestens dann wird die<br />
Anpassungskrise durchschlagen.<br />
Das Strukturproblem der Länder – sind<br />
sie sanierungsfähig?<br />
Die nachfolgende Tabelle verdeutlicht, dass<br />
derzeit nur wenige Länder in der Lage sind,<br />
strukturelle Finanzierungssalden auszuweisen,<br />
die als nachhaltig interpretiert werden<br />
können.<br />
Tab. 1 Strukturelle Finanzierungssalden je Einwohner<br />
in Euro
<strong>Schuldenbremse</strong>, <strong>Solidarpakt</strong> <strong>und</strong> <strong>Infrastrukturbau</strong> 13<br />
Es zeigt sich, dass die Krise einige der sich<br />
bereits auf gutem Weg befindlichen Haushalte<br />
wieder unter Druck gesetzt hat.<br />
Binnenwirtschaftliche Wirkungen von<br />
Bauausgaben<br />
Bauausgaben haben die Eigenschaft, dass ein<br />
Großteil der Wertschöpfung im eigenen<br />
Land, ein erheblicher Teil auch in der eigenen<br />
Region, verbleibt, weil ein hoher Anteil<br />
davon mit Arbeit verb<strong>und</strong>en ist <strong>und</strong> auch die<br />
Baustoffindustrie meist regional angesiedelt<br />
ist. In der Folge finden die sogenannten<br />
Multiplikationseffekte ihren Niederschlag in<br />
der Region. Daraus folgt, dass der Wachstumseffekt,<br />
der von den Bauinvestitionen<br />
ausgeht, das Investitionsvolumen in der Regel<br />
überschreitet <strong>und</strong> damit dem Staat meist<br />
ein beträchtlicher<br />
35 000<br />
Teil der Ausgaben<br />
in Form von Steuereinnahmen<br />
wie-<br />
30 000<br />
25 000<br />
der zurückgeführt<br />
20 000<br />
wird.<br />
Zu den Verteilungsproblemen<br />
10 000<br />
15 000<br />
zählt dabei, dass<br />
5 000<br />
die Gebietskörperschaften,<br />
die von<br />
0<br />
derartigen Einnahmen<br />
profitieren,<br />
meist andere sind<br />
als die, die den<br />
Großteil der öffentlichen Bauinvestitionen<br />
stemmen. Dies führt dann zu einem Wettlauf<br />
von Steuereinnahmen unter Vermeidung von<br />
Ausgaben, was man unmittelbar an den Straßenlöchern<br />
in den Städten sehen kann. Gesamtwirtschaftlich<br />
ist das jedoch eine ungünstige<br />
Strategie, wie das nachfolgende<br />
Tableau belegt.<br />
Tatsächlich hat Ostdeutschland mit den<br />
stabilisierenden Effekten von Bauinvestitionen<br />
sehr gute Erfahrungen gemacht, auch<br />
wenn sie zu einer „Baublase“ führten, die<br />
dann Ende der 90er Jahre platzte: Ohne diese<br />
Ausgaben wäre die ökonomische <strong>und</strong> soziale<br />
Stabilisierung nach der Wende nicht möglich<br />
gewesen. Dies mag die Tatsache verdeutlichen,<br />
dass der Anteil des produzierenden<br />
Gewerbes bereits Mitte der 90er Jahre zügig<br />
an das westdeutsche Niveau aufgeschlossen<br />
hat: Nur die Verhältnisse Bauwirtschaft zur<br />
gewerblichen Wirtschaft waren genau umgekehrt<br />
– 14:7 statt 7:14.<br />
Kann man lernen?<br />
Es gibt zwei Aspekte des Lernens: Zum einen,<br />
dass Unterinvestitionen ein Land in die<br />
Misere führen können – die DDR ist bester<br />
Beleg. Zum anderen, dass Entwicklungsverläufe<br />
sehr zäh – quasi pfadgeb<strong>und</strong>en sind.<br />
Beide müssen beachtet werden: Investitionen<br />
sind nicht alles, notwendig für die Entwicklung,<br />
aber nicht hinreichend – es bedarf<br />
mehr: Man sieht dies deutlich an der wirtschaftlichen<br />
Dynamik – <strong>und</strong> Stagnation in<br />
Deutschland in den letzten 110 Jahren.<br />
1900 1910 1920 1930 1940 1950 1960 1970 1980 1990 2000 2010<br />
Reich+West Germany East Germany United Germany<br />
Abb. 5 Entwicklung des pro-Kopf-Einkommens,<br />
1900-2010 in Euro<br />
Während nämlich die westdeutsche Entwicklung<br />
an die des Reiches anschließt – nach<br />
erheblichen Einbrüchen durch zwei Weltkriege<br />
<strong>und</strong> die Weltwirtschaftkrise, startet<br />
die DDR – systembedingt – von einem niedrigeren<br />
Niveau als der „westdeutsche Zwilling“;<br />
dafür sind vor allem Demontagen <strong>und</strong><br />
die Autarkiepolitik maßgebend, also der<br />
Verlust an Wettbewerbsfähigkeit (trotz besser<br />
erhaltenen Kapitalstocks 1945 als im<br />
Westen) <strong>und</strong> die Unmöglichkeit, die Vorteile<br />
der Arbeitsteilung zu nutzen. Auch die Dynamik<br />
ist damit verhaltener. Sie bricht vollends<br />
ein, als Anfang der 70er Jahre die noch<br />
verbliebenen Teile des Privatsektors ver-
14 <strong>Schuldenbremse</strong>, <strong>Solidarpakt</strong> <strong>und</strong> <strong>Infrastrukturbau</strong><br />
staatlicht werden <strong>und</strong> eine Stagnation <strong>und</strong><br />
Abschwungsphase auslöst, die ganz besonders<br />
deutlich für die internationale Wettbewerbsfähigkeit<br />
war <strong>und</strong> letztlich einen ökonomischen<br />
Leistungsverlust bewirkte.<br />
Die Wirtschaftskraft war zum Zeitpunkt<br />
der Einheit mit der des Westens in den fünfziger<br />
Jahren vergleichbar. Der Aufbau Ost<br />
stieß damit auf ein wirtschaftlich weit stärker<br />
ausgezehrtes Land als es der Vorstellung,<br />
acht- bis zehntgrößte Wirtschaftsnation in<br />
der Welt zu sein, entsprach. Den beeindruckenden<br />
ersten Aufbaujahren, induziert vor<br />
allem durch Großinvestitionen von außen,<br />
folgt inzwischen eine Phase der Stagnation,<br />
welche nur durch Wachstum der bisher in<br />
der Größenstruktur weitgehend unterkritischen<br />
mittelständischen Unternehmen überw<strong>und</strong>en<br />
werden kann. Anders gewendet: Nur<br />
wenn der heute noch DAX-lose Osten Konzernzentralen<br />
aufbaut <strong>und</strong> seine industrielle<br />
Forschung <strong>und</strong> Entwicklung ausbaut, wird er<br />
auf einen neuen, höheren Wachstumspfad<br />
gelangen. Schon heute korreliert die wachsende<br />
räumliche Polarisierung der wirtschaftlichen<br />
Entwicklung im Osten mit unternehmerischen<br />
Qualitäten. Damit wird die<br />
soziale Vorbildsfunktion des Unternehmers<br />
– der übrigens immer investiert – sowie eine<br />
spezifische Gründungs- <strong>und</strong> Wachstumsförderung<br />
zum Erfolgfaktor des Ostens.