Was ist soziale Gerechtigkeit? - UVB
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Soziale Marktwirtschaft als Grundlage für <strong>Gerechtigkeit</strong> in einer modernen Gesellschaft<br />
insm.de/<strong>Gerechtigkeit</strong><br />
facebo<br />
ok.com/marktwirtschaft
ie viel dürfen Manager verdienen? Welcher<br />
Stundenlohn <strong>ist</strong> für harte Arbeit angemessen?<br />
Und wie hoch sollen Sozialle<strong>ist</strong>ungen<br />
und Steuersätze ausfallen? Moderne Gesellschaften<br />
führen fortwährend <strong>Gerechtigkeit</strong>sdebatten. Zahlreiche<br />
Studien belegen: Nahezu jeder Mensch hat ein<br />
grundlegendes Bedürfnis nach <strong>Gerechtigkeit</strong>. <strong>Was</strong><br />
jedoch der Einzelne unter diesem abstrakten Begriff<br />
versteht, bleibt me<strong>ist</strong> unklar. Dabei <strong>ist</strong> das individuelle<br />
Empfinden nicht unbedingt ein guter Indikator, um<br />
festzulegen, was fair und was unfair <strong>ist</strong>. Denn es <strong>ist</strong> stark<br />
evolutionär geprägt und in einer Zeit entstanden, als es<br />
noch keinen nennenswerten Zuwachs an Wohlstand gab.<br />
In einer modernen Gesellschaft müssen somit andere<br />
<strong>Gerechtigkeit</strong>smaßstäbe gelten als in Jäger-und-Sammler-Gesellschaften.<br />
Eine zentrale Rolle spielt heute der<br />
Ordnungsrahmen, der Regeln und Rahmenbedingungen<br />
des wirtschaftlichen Handelns festlegt – und<br />
somit (mit-)entscheidend <strong>ist</strong> für die Verteilung und<br />
den Zuwachs von Gütern und Dienstle<strong>ist</strong>ungen.<br />
Das Urteil über eine Wirtschaftsordnung <strong>ist</strong> dabei<br />
immer stark abhängig von der Beurteilung der <strong>Gerechtigkeit</strong><br />
<strong>soziale</strong>r und ökonomischer Zustände. In der politischen<br />
Landschaft der Bundesrepublik Deutschland<br />
hat sich innerhalb der letzten Jahre mehr und mehr<br />
das Konzept der Chancen- oder Teilhabegerechtigkeit<br />
gegenüber der reinen Verteilungs- oder Le<strong>ist</strong>ungsgerechtigkeit<br />
durchgesetzt. Neben einem einheitlichen<br />
theoretischen Verständnis dafür, was unter <strong>Gerechtigkeit</strong><br />
zu verstehen <strong>ist</strong>, bleibt es jedoch entscheidend,<br />
wie diese <strong>Gerechtigkeit</strong>svorstellungen realisiert werden<br />
können.<br />
Impressum<br />
Grundlage des Textes: Studie „Internationaler <strong>Gerechtigkeit</strong>smonitor<br />
2013“ von Dr. Dominik H. Enste, Institut der<br />
deutschen Wirtschaft Köln (IW) im Auftrag der INSM<br />
Herausgeber: Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft INSM<br />
GmbH, Georgenstraße 22, 10117 Berlin<br />
Geschäftsführer: Hubertus Pellengahr<br />
Ansprechpartner: Julia Saalmann<br />
Grafi sche Gestaltung: Serviceplan Berlin GmbH & Co. KG<br />
Stand: Januar 2013<br />
Die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) <strong>ist</strong> ein<br />
überparteiliches Bündnis aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft.<br />
Sie wirbt für die Grundsätze der Sozialen Marktwirtschaft<br />
in Deutschland und gibt Anstöße für eine moderne<br />
marktwirtschaftliche Politik. Die INSM wird von den Arbeitgeberverbänden<br />
der Metall- und Elektro-Industrie finanziert.<br />
Sie steht für Freiheit und Verantwortung, Eigentum und<br />
Wettbewerb, Haftung und <strong>soziale</strong>n Ausgleich als Grundvoraussetzungen<br />
für mehr Wohlstand und Teilhabechancen.<br />
2
<strong>Was</strong> <strong>ist</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong>?<br />
Konzepte und Sichtweisen<br />
rundsätzlich lassen sich sechs <strong>Gerechtigkeit</strong>sprinzipien<br />
unterscheiden: Verfechter des Prinzips<br />
der Einkommensgerechtigkeit sind der<br />
Meinung, dass in einer gerechten Gesellschaft Güter<br />
und Lasten möglichst gleich zwischen den Menschen<br />
verteilt sein sollten. Intuitiv erscheint diese Maxime<br />
wohl den me<strong>ist</strong>en unter uns zunächst als gerecht. Auf<br />
den zweiten Blick wird jedoch deutlich, dass eine<br />
vollkommen identische Güterausstattung nicht jeden<br />
Menschen zufriedenstellen kann.<br />
Beziehen wir zusätzlich die unterschiedlichen Bedürfnisse<br />
der Menschen mit ein und möchten allen<br />
möglichst das geben, was sie zum Leben brauchen, so<br />
sprechen wir von Bedarfsgerechtigkeit. Nach diesem<br />
Konzept <strong>ist</strong> eine Gesellschaft also dann gerecht, wenn<br />
jedem Menschen ein – wie auch immer definierter –<br />
Mindestbedarf an Gütern zur Verfügung steht. Bei<br />
diesem Anspruch muss zusätzlich Einigkeit darüber<br />
herrschen, worin der Güterbedarf eines Menschen<br />
genau besteht. Wie vielfältig die Antworten auf diese<br />
Frage ausfallen, zeigt sich regelmäßig in den Debatten<br />
zur Höhe von Sozialle<strong>ist</strong>ungen.<br />
Ein weiterer <strong>Gerechtigkeit</strong>smaßstab, der von der Idee<br />
der gleichen Verteilung der Güter abweicht, <strong>ist</strong> die<br />
Le<strong>ist</strong>ungsgerechtigkeit. Nach diesem Konzept nehmen<br />
Menschen am Wohlstand einer Gesellschaft in<br />
dem Maße teil, wie es ihrer individuellen Le<strong>ist</strong>ung<br />
entspricht, auch wenn dies bedeutet, dass eine Gesellschaft<br />
Ungleichheiten in Kauf nimmt. In einem<br />
marktwirtschaftlichen System, in dem das Prinzip des<br />
Wettbewerbs und der Ausgleich von Angebot und<br />
Nachfrage über den Preis gelten, kommt allerdings<br />
die Knappheit von Gütern als zentrales Kriterium für<br />
die Verteilung und Bezahlung hinzu. Die Produkte,<br />
Dienstle<strong>ist</strong>ungen und Fähigkeiten, die knapp sind, erzielen<br />
einen höheren Preis oder Lohn als solche, bei<br />
denen ein Angebotsüberschuss besteht. Gibt es beispielsweise<br />
in einer Stadt viele Friseure, sinkt der Preis<br />
für diese Dienstle<strong>ist</strong>ung. Gibt es nur einen, steigt der<br />
Preis, obwohl die Dienstle<strong>ist</strong>ung die gleiche bleibt.<br />
Eine in der Debatte immer mehr an Gewicht gewinnende<br />
<strong>Gerechtigkeit</strong>svorstellung <strong>ist</strong> die Chancengerechtigkeit.<br />
Sie fordert, dass alle Menschen die Möglichkeit<br />
haben sollen, ihre Lebenschancen durch eigene Anstrengung<br />
zu gestalten und zu verbessern. Abweichend<br />
von den anderen Konzepten bezieht sich die Chancengerechtigkeit<br />
also nicht auf das Ergebnis, sondern<br />
auf die Ausstattung und den Prozess der Verteilung<br />
von Gütern und Lasten. Eine entscheidende Grundlage<br />
für die Sicherung von Chancengerechtigkeit <strong>ist</strong> der<br />
Zugang zu Bildung. Nur wenn dieser gewährle<strong>ist</strong>et<br />
<strong>ist</strong>, erhalten Menschen die Möglichkeit, durch eigene<br />
Anstrengungen am wirtschaftlichen Leben teilzuhaben<br />
und die eigenen Fähigkeiten optimal zu nutzen.<br />
3
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4
<strong>Was</strong> deutsche Politiker unter <strong>Gerechtigkeit</strong> verstehen<br />
Chancen- und Teilhabegerechtigkeit<br />
Hilfe für sozial Schwache<br />
Verteilungsgerechtigkeit<br />
Le<strong>ist</strong>ungsgerechtigkeit<br />
10% 20% 30% 40% 50% 60%<br />
Quelle: Robert B. Vehrkamp und Andreas Kleinsteuber (2007): Soziale <strong>Gerechtigkeit</strong> – Ergebnisse<br />
einer repräsentativen Parlamentarier-Umfrage. Gütersloh, Bertelsmann Stiftung<br />
In der Wirtschaftstheorie lassen sich fünf Grundformen<br />
der Wirtschaftsordnung unterscheiden: Auf der<br />
einen Seite gibt es die reine marktwirtschaftliche Ordnung,<br />
deren Aufbau sich insbesondere an dem Prinzip<br />
der Le<strong>ist</strong>ungs- und Knappheitsgerechtigkeit orientiert.<br />
Derartige Marktformen finden sich insbesondere<br />
in angelsächsischen Ländern. Auf der anderen Seite<br />
stehen sozial<strong>ist</strong>isch geprägte Wirtschaftsordnungen,<br />
in denen Gleichheit oder Bedarfsgerechtigkeit propagiert<br />
werden. Die Soziale Marktwirtschaft hingegen<br />
verbindet – wie der Name schon sagt – <strong>soziale</strong> und<br />
marktwirtschaftliche Elemente. Weitere Mischformen<br />
der Wirtschaftsordnungen stellen die der europäischen<br />
Mittelmeerstaaten und die skandinavischer<br />
Länder dar.<br />
Aus Sicht der Begründer der Sozialen Marktwirtschaft<br />
hat die Laissez-faire-Wirtschaft in der Praxis ebenso<br />
versagt wie die sozial<strong>ist</strong>ische Planwirtschaft. Der<br />
Grundgedanke hinter der Sozialen Marktwirtschaft<br />
besteht deshalb zum einen in der Wahrung marktwirtschaftlicher<br />
Prinzipien für ein funktionierendes<br />
Wirtschaftssystem und zum anderen in der Absicherung<br />
der Menschen, die unverschuldet in eine Notlage<br />
geraten sind. Anders als in der sozial<strong>ist</strong>ischen Wirtschaftsordnung<br />
oder in den skandinavischen Ländern<br />
sind die Verteilungsaufgaben des Staates jedoch zunächst<br />
weniger umfangreich und kommen erst nach<br />
der Selbstregulierung der Märkte zum Einsatz.<br />
Gesamtranking für das Jahr 2012 für alle Dimensionen<br />
100<br />
90<br />
80<br />
70<br />
60<br />
50<br />
40<br />
30<br />
20<br />
10<br />
0<br />
Bedarfsgerechtigkeit Le<strong>ist</strong>ungsgerechtigkeit Chancengerechtigkeit Einkommensgerechtigkeit Regelgerechtigkeit Generationengerechtigkeit Gesamtranking 2012<br />
Skandinavisches Modell Soziale Marktwirtschaft Freie Marktwirtschaft Postsozial<strong>ist</strong>ische Ordnung Mediterranes Modell<br />
Quelle: OECD, Weltbank, Eurostat: Studie „Internationaler <strong>Gerechtigkeit</strong>smonitor 2013“ des IW Köln, Skala: 0–100<br />
5
Chancen auf <strong>Gerechtigkeit</strong><br />
durch Markt und Staat<br />
ine Wirtschaftsordnung gilt gemeinhin als gerecht<br />
und gesellschaftlich akzeptiert, wenn sie<br />
möglichst viele der bestehenden <strong>Gerechtigkeit</strong>skriterien<br />
erfüllt. Die Soziale Marktwirtschaft <strong>ist</strong> anderen<br />
Ordnungssystemen in dieser Hinsicht überlegen:<br />
Das Lohngefälle auf dem Arbeitsmarkt bewirkt, dass<br />
mehr Le<strong>ist</strong>ung (und mehr Knappheit) honoriert wird –<br />
und damit Le<strong>ist</strong>ungsgerechtigkeit sichergestellt <strong>ist</strong>. Zudem<br />
garantieren klare, konstante und allgemeingültige<br />
Rahmenbedingungen die Einhaltung der Regelgerechtigkeit.<br />
Die Beachtung von wirtschaftlichen und <strong>soziale</strong>n<br />
Zielen zeigt sich ebenso durch die Verwirklichung<br />
der Chancengerechtigkeit, die innerhalb der Sozialen<br />
Marktwirtschaft durch ein weitgehend kostenfreies Bildungsangebot<br />
(Grundschule, weiterführende Schulen)<br />
sichergestellt werden soll. Schließlich sorgt die von<br />
der Gesellschaft bestimmte Höhe der <strong>soziale</strong>n Mindestsicherung<br />
dafür, dass jeder Mensch in einer Notlage<br />
zumindest den Grundbedarf erhält. Ein einziges <strong>Gerechtigkeit</strong>sprinzip<br />
wird in der Sozialen Marktwirtschaft<br />
nicht realisiert: die Gleichheit in der Güterausstattung.<br />
Doch dies muss nicht negativ sein, denn Gleichheit<br />
mindert Le<strong>ist</strong>ungsanreize, behindert Wettbewerb und<br />
beschneidet Wachstumschancen – und kann darum<br />
mit den me<strong>ist</strong>en anderen <strong>Gerechtigkeit</strong>sprinzipien<br />
nicht koex<strong>ist</strong>ieren.<br />
Die Soziale Marktwirtschaft verbindet somit die<br />
Stärken der marktwirtschaftlichen und der sozial<strong>ist</strong>isch<br />
geprägten Wirtschaftsordnung: Während die Marktelemente<br />
dafür sorgen, dass Knappheits-, Le<strong>ist</strong>ungsund<br />
Regelgerechtigkeit bestehen, können die sozialstaatlichen<br />
Elemente sowohl Bedarfs- als auch Chancengerechtigkeit<br />
sichern.<br />
Obwohl sie verschiedene <strong>Gerechtigkeit</strong>smaximen<br />
umfassend erfüllt, nimmt die Akzeptanz der Sozialen<br />
Marktwirtschaft in Deutschland immer weiter ab. Dabei<br />
besteht dazu kein Anlass: Den schlimmsten Erwartungen<br />
zum Trotz stieg die Zahl der erwerbstätigen<br />
Personen in Deutschland trotz Wirtschaftskrise an und<br />
die Wirtschaftsle<strong>ist</strong>ung übersteigt sogar wieder das Vor-<br />
Frage: „Haben Sie von der Sozialen Marktwirtschaft in Deutschland eine gute Meinung oder keine gute Meinung?“<br />
60%<br />
50%<br />
40%<br />
30%<br />
20%<br />
10%<br />
0%<br />
1996 2000 2004 2008 2010<br />
Gute Meinung<br />
Keine gute Meinung<br />
Basis: Bundesrepublik Deutschland, Bevölkerung ab 16 Jahre. Quelle: Allensbacher Archiv, IfD-Umfragen 6038, 6096, 7062, 10021, 10049<br />
6
krisenniveau. Damit war die Krise in Deutschland deutlich<br />
weniger spürbar als in anderen Ländern. Doch was<br />
<strong>ist</strong> die Ursache für die Unzufriedenheit? Bei einer aktuellen<br />
Infratest-Umfrage gaben 77 Prozent der Befragten<br />
an, die Soziale Marktwirtschaft mache die Reichen reicher<br />
und die Armen ärmer. Damit zweifeln auch Bürger<br />
mit einem hohen gesellschaftlich-wirtschaftlichen<br />
Status zunehmend an der Verteilungsgerechtigkeit in<br />
Deutschland.<br />
Chancengerechtigkeit: Deutschland nur im Mittelfeld<br />
01 NOR<br />
02 NZL<br />
03 CHE<br />
04 CAN<br />
05 AUS<br />
06 AUT<br />
07 DNK<br />
08 SWE<br />
09 BEL<br />
10 NLD<br />
11 ROU<br />
12 SVN<br />
13 POL<br />
14 DEU<br />
15 FIN<br />
16 USA<br />
17 LUX<br />
18 FRA<br />
19 CZE<br />
20 GBR<br />
21 ITA<br />
22 PRT<br />
23 HUN<br />
24 GRC<br />
25 ESP<br />
26 IRL<br />
27 SVK<br />
28 TUR<br />
0 20 40 60 80 100<br />
Quelle: OECD, Weltbank, Eurostat: Studie „Internationaler <strong>Gerechtigkeit</strong>smonitor 2013“ des IW Köln,<br />
Skala: 0–100<br />
Zur Beseitigung dieser wahrgenommenen Ungerechtigkeit<br />
fordern die Gegner der Sozialen Marktwirtschaft<br />
vielfach eine stärkere staatliche Umverteilung durch<br />
Steuern und Transfers. Doch die Soziale Marktwirtschaft<br />
<strong>ist</strong> nur dann in der Lage, Wohlstand für alle zu<br />
sichern, wenn ihre grundlegenden Prinzipien eingehalten<br />
werden: Zunächst kommen die offenen Märkte<br />
zur Wohlstandsgenerierung und erst dann der Staat<br />
mit geringfügiger Umverteilung. Statt den erwirtschafteten<br />
Reichtum aufzuteilen, <strong>ist</strong> es die Aufgabe<br />
des Staates, Chancengerechtigkeit zu schaffen, um<br />
allen Menschen eine Teilhabe zu ermöglichen – und<br />
so die Kluft zwischen Arm und Reich zu verringern.<br />
Im Vergleich mit anderen OECD-Ländern wird der<br />
Bedarf an ebensolchen Reformmaßnahmen besonders<br />
deutlich. Während Deutschland im Internationalen<br />
<strong>Gerechtigkeit</strong>smonitor 2013 auf Platz 7 von 28 OECD-<br />
Staaten und damit im oberen Mittelfeld liegt, belegt<br />
die Bundesrepublik gerade einmal Platz 14 bei der<br />
Chancengerechtigkeit. Ein verwunderliches Ergebnis<br />
angesichts des <strong>Gerechtigkeit</strong>sverständnisses deutscher<br />
Mandatsträger.<br />
<strong>Was</strong> jeder einzelne Mensch unter <strong>Gerechtigkeit</strong> versteht,<br />
wird auch in Zukunft von dessen individueller<br />
Wahrnehmung abhängen. Diese persönliche Einschätzung<br />
allein kann und darf jedoch nicht die entscheidende<br />
Grundlage für gesamtgesellschaftliche<br />
Normen und Regeln bilden. Auf gesellschaftlicher<br />
Ebene muss der Ordnungsrahmen stets möglichst<br />
viele Dimensionen von <strong>Gerechtigkeit</strong> berücksichtigen,<br />
die in einem fortwährenden gesellschaftlichen<br />
Diskurs ausgehandelt und weiterentwickelt werden.<br />
Eine wichtige Grundlage für diese Debatte bildet<br />
die Systematisierung der <strong>Gerechtigkeit</strong>sdimensionen.<br />
Anhand dieser Indikatoren <strong>ist</strong> es möglich, eine differenziertere<br />
Antwort auf die Frage zu geben, welche Wirtschaftsordnung<br />
in welchen Dimensionen als gerecht<br />
angesehen werden kann. Es wird deutlich, dass die Soziale<br />
Marktwirtschaft mehr <strong>Gerechtigkeit</strong>sdimensionen<br />
erfüllt als sozial<strong>ist</strong>ische oder nur über den Markt gesteuerte<br />
Wirtschaftsordnungen. Sie belohnt Le<strong>ist</strong>ung,<br />
bietet jedem die gleichen Chancen und sorgt dennoch<br />
dafür, dass auch diejenigen, die ihr Auskommen nicht<br />
durch die eigene Le<strong>ist</strong>ung sichern können, von der<br />
Gesellschaft aufgefangen werden.<br />
7
Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft GmbH<br />
Georgenstraße 22 · 10117 Berlin<br />
T 030 27877-171 · F 030 27877-181<br />
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